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Globale Integration lokal integrierbarer Vektorfelder

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Elem. Math. 52 (1997) 1 – 11

0013-6018/97/010001-11 $ 1.50+0.20/0 Elemente der Mathematik

Globale Integration lokal integrierbarer Vektorfelder

Serge Lang

Serge Lang wurde 1927 in Paris geboren, wo er auch seine ersten Schuljahre absol- vierte. Die weitere Ausbildung erhielt er dann allerdings in den Vereinigten Staaten, wo er das California Institute of Technology (Caltech) und die University of Prin- ceton besuchte. Hier erhielt er das Doktorat in Mathematik im Jahre 1951. Nach Aufenthalten am Institute for Advanced Study in Princeton und an der University of Chicago war er von 1955 bis 1970 Professor an der Columbia University in New York. Gastprofessuren in Princeton und Harvard folgten, und 1972 wurde er Pro- fessor an der Yale University. Seine Interessen sind weitgespannt, aber sein Haupt- interesse geho¨rte immer der Mathematik, besonders der Zahlentheorie. Bis anhin hat er 34 Bu¨cher und u¨ber 70 Forschungsartikel vero¨ffentlicht.

Wir betrachten in der Ebene R2 ein Gebiet (zusammenha¨ngende offene Menge)Uund inUein Vektorfeld

F :UR2 , F(x,y) = (p(x,y),q(x,y)).

Wir setzen dabei voraus, dass die Komponentenfunktionenpundqstetig differenzierbar sind. Ferner sei inUein stu¨ckweise stetig differenzierbarer Wegγ:[a,b]Ugegeben mit AnfangspunktP =γ(a)und EndpunktQ=γ(b). Unter diesen Voraussetzungen ist

.

Der Cauchysche Integralsatz der klassischen Funktionentheorie ist, zusammen mit sei- ner Verallgemeinerung, dem Residuensatz, eines jener mathematischen Resultate, die immer wieder im Zentrum neuer U¨ berlegungen stehen. U¨berraschende Verbindungen zeigen sich zu verschiedenen anderen Gebieten, zum Beispiel zur reellen Analysis und zur algebraischen Topologie. Nur schon das Offenlegen von derartigen Zusammen- ha¨ngen fu¨hrt zu einer tieferen Einsicht, und neue Beweise und neue Resultate sind die Folge. Serge Lang geht in seinem Beitrag einigen dieser Beziehungen nach. Der Problemkreis wird, auf das Wesentlichste reduziert, in einen weiten Zusammenhang eingeordnet. Nicht nur gewinnt der Gegenstand auf diese Weise an Transparenz, son- dern es zeigen sich auch neue allgemeine Resultate, die den Cauchyschen Integralsatz und den Residuensatz als einfache Folgerungen beinhalten. – Der Beitrag basiert auf einem Vortrag von Serge Lang an der ETH Zu¨rich, den er am 1. Juni 1995 vor einer Zuho¨rerschaft von jungen Studierenden gehalten hat. ust

(2)

das Integral R

γF definiert (siehe Figur 1). Bekanntlich ha¨ngt im allgemeinen der Wert dieses Integrals vom Weg γ – und nicht nur von Anfangs- und Endpunkt des Weges – ab.

Q

P

U

Fig. 1

Fu¨r eine wichtige Klasse von Vektorfeldern ist die Situation allerdings einfacher. Eine Funktionφ:UR heisst ein Potential des VektorfeldesF, wenn F der Gradient von φist:

(p,q) = ∂φ

∂x,∂φ

∂y

.

Ein Vektorfeld, zu dem ein Potential existiert, heisst ein Potentialfeld. IstF ein Potenti- alfeld mit Potentialφ, so folgt – wie eine einfache Rechnung zeigt –

Z

γ

F =φ(Q)φ(P). (1)

Fu¨r Potentialfelder ha¨ngt der Wert des Integrals R

γF folglich nur von Anfangs- und Endpunkt des Weges γ ab. Es zeigt sich, dass die Eigenschaft (1) die Potentialfelder auch charakterisiert. Es gilt na¨mlich das folgende grundlegende Resultat:

Satz 1 Das Vektorfeld F besitzt genau dann ein Potential auf U, wenn fu¨r Punkte P undQinUund fu¨r inUverlaufende Wegeγmit AnfangspunktP und EndpunktQdas IntegralR

γF vonγunabha¨ngig ist.

Wir fu¨hren hier den Beweis dieses in der Vektoranalysis wohlbekannten Satzes nicht vollsta¨ndig durch, sondern begnu¨gen uns damit, die wesentlichsten Schritte in Erinnerung zu rufen. Um das Potential φzu definieren, wa¨hlen wir inUeinen PunktP0. IstQein Punkt inU undγein Weg mit AnfangspunktP0 und EndpunktQ, so setzt man

φ(Q) = Z

γ

F .

(3)

Wegen der Unabha¨ngigkeit vonγ definiert dies in der Tat eine FunktionφaufU, die – wie man unschwer nachweist – ein Potential des VektorfeldesF ist. Fu¨r die Einzelheiten des Beweises konsultiere man z.B. [L1], Chapter 15, Theorem 4.2.

Satz 1 la¨sst sich auch etwas anders ausdru¨cken. Ein Weg γ heisst geschlossen, wenn sein Endpunkt mit seinem Anfangspunkt u¨bereinstimmt.

Satz 10 Das Vektorfeld F besitzt genau dann ein Potential auf U, wenn fu¨r alle ge- schlossenen Wegeγ inUgilt:R

γF =0.

Um die A¨ quivalenz der beiden Aussagen einzusehen, muss man nur beachten, dass aus zwei Wegen vonP nachQein geschlossener Weg gebildet werden kann.

Aus einem Satz der elementaren Analysis (Satz von Schwarz) folgt, dass fu¨r die Kom- ponenten(p,q)eines PotentialfeldesF mit Potentialφ,

F = (p,q) = ∂φ

∂x,∂φ

∂y

,

die Gleichung

∂p

∂y= ∂q

∂x (2)

erfu¨llt ist, weil

∂p

∂y= 2φ

∂x∂y= 2φ

∂y∂x = ∂q

∂x

gelten muss. Die Bedingung (2) ist also eine notwendige Bedingung dafu¨r, dass das Vektorfeld F = (p,q) ein Potential φ besitzt; man spricht deshalb auch etwa von der Integrabilita¨tsbedingung. In der elementaren Analysis beweist man ohne grosse Mu¨he, dass unter bestimmten zusa¨tzlichen Bedingungen, welche das Gebiet U betreffen, die Integrabilita¨tsbedingung fu¨r die Existenz eines Potentials auch hinreichend ist. Es gilt:

Satz 2 Es sei F ein Vektorfeld auf U, welches die Integrabilita¨tsbedingung (2) er- fu¨llt, und es sei R ein ganz inU liegendes Rechteck, bzw. D eine ganz inU liegende Kreisscheibe. Dann besitztF im RechteckRbzw. in der KreisscheibeDein Potentialφ.

Beweis. Wir fixieren einen (beliebigen) Punkt(x0,y0)des RechtecksRbzw. den Mittel- punkt(x0,y0)der KreisscheibeDund definieren fu¨r(x,y)inRbzw.D

φ(x,y) = Z x

x0

p(t,y)dt+ Z y

y0

q(x0,u)du.

Das zweite Integral ist nicht vonxabha¨ngig. Nach dem Fundamentalsatz der Infinitesi- malrechnung erha¨lt man dann fu¨r die Ableitung vonφnach x

∂xφ(x,y) =p(x,y).

(4)

Um die Ableitung vonφnachyzu bestimmen, darf man unter den gegebenen Voraus- setzungen unter dem Integral ableiten. Damit ergibt sich

∂yφ(x,y) = Z x

x0

∂yp(t,y)dt+q(x0,y)

= Z x

x0

∂tq(t,y)dt+q(x0,y)

=q(x,y)−q(x0,y) +q(x0,y)

=q(x,y). Es ist alsoφein Potential vonF.

Ein Vektorfeld, das die Integrabilita¨tsbedingungen (2) erfu¨llt, heisst lokal integrierbar.

Man ko¨nnte diese Definition sogar etwas abschwa¨chen, indem man verlangt, dass jeder Punkt P eine Umgebung besitzt, in derF ein Potential hat. Wir bleiben aber hier aus Gru¨nden der Einfachheit bei der oben angegebenen Definition.

Im allgemeinen Fall ist die Integrabilita¨tsbedingung fu¨r die Existenz eines Potentials nicht hinreichend. Ein explizites Beispiel ist durch das Vektorfeld

G(x,y) = −y

x2+y2, x x2+y2

= −y

r2, x r2

, wo r2 =x2+y2 ,

gegeben, das auf der punktierten Ebene R2\ {O}definiert ist. Wie man leicht nachrech- net, erfu¨llt das VektorfeldGdie Integrabilita¨tsbedingung (2), es ist also lokal integrierbar.

Andererseits kannG, wie wir jetzt nachweisen, global kein Potential besitzen. Wir wer- den na¨mlich zeigen, dass es geschlossene Wegeγ gibt, fu¨r die das Integral R

γG nicht Null ist. Dazu berechnen wir zuerstp dx+q dyin Polarkoordinatenr, θ. Es ergibt sich

p dx+q dy=dθ , denn mitx=rcosθ,y=rsinθ erha¨lt man

p dx+q dy=−rsinθ

r2 (cosθdrrsinθ dθ) +rcosθ

r2 (sinθdr+rcosθdθ), und die rechte Seite reduziert sich sofort aufdθ.

Es folgt aus dieser Rechnung, dass der Polarwinkelθ fu¨rG lokal ein Potential ist: Fu¨r jedes ganz in R2\ {O}liegende RechteckR, bzw. fu¨r jede ganz in R2\ {O}liegende KreisscheibeDistθ ein Potential fu¨rG.

Ist γ irgendein Weg, der O nicht entha¨lt, so liefert R

γG das Integral u¨ber dθ. Fu¨r einen geschlossenen Weg γ in der punktierten Ebene R2\ {O} a¨ndert sich θ um ein ganzzahliges Vielfaches von 2π. Man erha¨lt folglich

Z

γ

G=2πk , (3)

wo keine ganze Zahl ist. Insbesondere ist fu¨r den einmal im Gegenuhrzeigersinn durch- laufenen Kreis mit MittelpunktOder Wert des Integrals 2πund nicht Null. Wir nehmen (3) zum Anlass fu¨r die folgende Definition:

(5)

Definition Es sei γ ein geschlossener Weg in der Ebene, der O nicht entha¨lt. Dann definieren wir die UmlaufzahlW(γ,O)von γbezu¨glichOdurch

W(γ,O) = 1 2π

Z

γ

G .

Fu¨r einen beliebigen PunktPR2,P= (x0,y0)setzen wir GP(x,y) =G(xx0,yy0).

Fu¨r einen geschlossenen WegγmitPist die UmlaufzahlW(γ,P)vonγbezu¨glich P durch

W(γ,P) = 1 2π

Z

γ

GP

definiert.

Es wird sich in der Folge zeigen, dass das VektorfeldGund seine verschobenen Kopien GP das einzige Hindernis dafu¨r bilden, dass Vektorfelder, welche die Integrabilita¨ts- bedingung (2) erfu¨llen, in U auch global ein Potential besitzen. Dieses u¨berraschende Resultat basiert auf dem folgenden Satz 3. Wie eine tiefere Analyse, auf die wir hier nicht eingehen ko¨nnen, zeigt, handelt es sich dabei eigentlich um ein rein topologisches Resultat; es wird hier aber in einer analytischen Form ausgesprochen.

Satz 3 Es seiγ ein geschlossener Weg inU, so dass fu¨r alle P/U die Umlaufzahl W(γ,P)Null ist. Es seiF ein lokal integrierbares Vektorfeld inU. Dann gilt

Z

γ

F =0.

Wir werden weiter unten auf einige Anwendungen des Satzes 3 zuru¨ckkommen.

Der Beweis verla¨uft in mehreren Schritten. Der erste Schritt besteht in einer Reduktion auf “Rechteckswege”. Wir nennen einen Weg γ einen Rechtecksweg, wenn er sich aus endlich vielen Geradenstu¨cken zusammensetzt, die parallel zu den Koordinatenachsen verlaufen. Wir behaupten:

Lemma 4 Gilt die Aussage von Satz 3 fu¨r Rechteckswegeη, so gilt sie auch fu¨r beliebige (stu¨ckweise stetig differenzierbare) Wegeγ.

Beweis. Wir u¨berdecken den Weg γ durch ganz in U liegende offene Kreisscheiben Di, i = 1,2, . . . ,N, und wa¨hlen Kurvenpunkte Pi mit PiDiDi−1, und ferner PN+1=P0DND1 (man beachte, dass der Wegγ geschlossen ist). Das Wegstu¨ckγi zwischenPiundPi+1ersetzen wir dann durch ein Wegstu¨ckηi, das aus zwei geradlinigen Stu¨cken parallel zu den beiden Koordinatenachsen besteht und ganz im Innern vonDi

(6)

D P

P

i

P γ

η

ηi Di

γi

i-

i- i-

i-

i+

1 1 1

1 1

Fig. 2

verla¨uft (siehe Figur 2). Da das VektorfeldF lokal integrierbar ist, folgt Z

γi

F = Z

ηi

F , fu¨r i=1,2, . . . ,N,

und damit Z

γ

F = Z

η

F . (4)

Analoges gilt fu¨r die (ebenfalls lokal integrierbaren) VektorfelderGP, die zur Berechnung der Umlaufzahl herangezogen werden. Daraus folgt fu¨rP/U

W(η,P) =W(γ,P) =0. Da dies fu¨r jedesP/Uzutrifft, folgt

Z

η

F =0,

falls die Aussage des Satzes 3 fu¨r Rechteckswege als richtig angenommen wird. Mit (4)

ergibt sich somit Z

γ

F =0, wie in Lemma 4 behauptet.

In einem zweiten Schritt beweisen wir die Aussage des Satzes 3 fu¨r Rechteckswege. Es sei zuerstRein beliebiges, ganz inUliegendes Rechteck, und ∂Rsei der im positiven Umlaufsinn durchlaufene Rand von R. Da das VektorfeldF lokal integrierbar ist, folgt aus unserem Satz 2R

∂RF =0.

Wenn der Weg γ als SummeP

mi∂Ri gegeben ist, wobei fu¨r allei das Rechteck Ri

ganz inUenthalten sei, so folgt Z

γ

F =X

i

mi Z

∂Ri

F =0.

Das fundamentale Resultat ist nun das folgende; es beweist gema¨ss den obigen Bemer- kungen die Aussage des Satzes 3 fu¨r Rechteckswege.

(7)

Satz 5 Es sei γ ein geschlossener Rechtecksweg inU. Es gelteW(γ,P) =0 fu¨r alle Punkte P mit P/ U. Dann existieren ganz in U enthaltene Rechtecke Ri und ganze ZahlenmiZ mit

γ=X

i

mi∂Ri.

Beweis. Ausgehend vom Rechtecksweg γ zeichnen wir als erstes alle achsenparallelen Geraden, welche Geradenstu¨cke des Wegesγ enthalten. Dies liefert eine Zerlegung der Ebene R2 in endlich viele endliche und unendliche Rechtecke. Wir zeichnen ferner vier weitere achsenparallele Geraden ein, die dazu dienen, die bei der so konstruierten Unter- teilung entstandenen unendlichen Rechtecke abzuschneiden. Damit verla¨uft die gegebene Rechteckskurve so, dass in jeden Teilstu¨ck sowohl links wie rechts des Weges ein end- liches Rechteck unserer Unterteilung liegt (siehe Figur 3). Es seienR1,R2, . . . ,RN die endlichen Rechtecke der so entstandenen Unterteilung. Wir wa¨hlen in jedem Ri einen PunktPi und definierenmi=W(γ,Pi). Dann behaupten wir

(a) Es giltγ=P

imi∂Ri. (b) Fu¨rmi 6=0 istRiU.

Diese beiden Behauptungen zusammen beweisen Satz 5.

R Pσ Rk

j Pk j

Fig. 3

Wir wenden uns zuerst der Behauptung (b) zu. Es sei mi 6=0. Laut Definition von mi ist die UmlaufzahlW(γ,Pi)ungleich Null. Nun ist aber die Umlaufzahl einerseits stetig vom Punkt Pi abha¨ngig, andererseits eine ganze Zahl. Es ist also die Umlaufzahl auf

(8)

zusammenha¨ngenden Mengen konstant. Fu¨rP im Innern des Rechtecks Ri ist folglich W(P, γ) =W(Pi, γ)6=0. Daraus folgtPU, denn fu¨rP/UgiltW(P, γ) =0 nach Voraussetzung. Fu¨rP∂Ri gilt dasselbe Argument, ausser im FallPγ. Da aberγin Uliegt, folgt auch in diesem FallPU. Es ergibt sich aus diesen U¨ berlegungen, dass das ganze (abgeschlossene) RechteckRi inUliegt.

Um die Behaupung (a) zu beweisen, betrachten wir den Wegγ0 mit γ0=γ−X

i

mi∂Ri .

Es ist zu zeigen, dassγ0 kein gerades Teilstu¨ck von γmehr entha¨lt.

Es sei σeine Seite des beliebigen RechtecksRk. Dann ko¨nnen wir schreiben γ0=γ−X

i

mi∂Ri=+Terme ohneσ , wobeimeine gewisse ganze Zahl ist. Betrachten wir den Wegγ−P

imi∂Rim∂Rk, so erhalten wir fu¨r die Umlaufzahl bezu¨glichPk

W γ−X

i

mi∂Ri−m∂Rk,Pk

!

=W(γ,Pk)−X

i

miW(∂Ri,Pk)−mW(∂Rk,Pk)

=mkmkm

=−m. Im Wegγ00=γ−P

mi∂Rim∂Rk kommt aber das Geradenstu¨ckσnicht mehr vor.

In unserer Unterteilung geho¨rte σ zum Rand von zwei Rechtecken: Liegt Rk auf der einen Seite, so liegeRj auf der anderen Seite vonσ(siehe Figur 3). Die PunktePk und Pj liegen dann fu¨rγ00 in einem zusammenha¨ngenden Gebiet, so dass folgt

m=W

γ−X

mi∂Rim∂Rk,Pk

=W

γ−X

mi∂Rim∂Rk,Pj

=W(γ,Pj)−X

i

miW(∂Ri,Pj)−mW(∂Rk,Pj)

=mjmj−0

=0.

Dies beweist unsere Behauptung (a).

Unser Beweis des Satzes 5 ist einem Beweis von Emil Artin fu¨r den Satz von Cauchy der (komplexen) Funktionentheorie nachgebildet (siehe [A]). Wenn man das obige Resultat im Kontext der rellen Analysis kennt, so sieht man sofort, wie es sich in den komplexen Fall u¨bersetzen la¨sst. Die obigen Argumente liefern in der Tat den Hauptteil des globalen Satzes von Cauchy (siehe z.B. [L2], Chapter IV, Theorem 2.2). Dazu werden wir weiter unten noch einige Bemerkungen machen. Zuerst wenden wir uns aber einer anderen Anwendung zu (siehe Figur 4).

(9)

P U

P

P

P

γ

γ γ

γ 1

3 2

4 5 5

2

3 γ1

γ

P4

Fig. 4

Satz 6 Im Gebiet U der Ebene sei ein geschlossener Weg γ gegeben, welcher die Eigenschaft hat, dass fu¨r jeden ausserhalb von U liegenden Punkt P die Umlaufzahl W(γ,P) Null ist. Es seien ferner P1,P2, . . . ,Pn Punkte in U, die nicht auf γ liegen.

Fu¨r jedesi=1,2, . . . ,nwa¨hlen wir eine ganz inUenthaltene (kleine) KreisscheibeDi

mit MittelpunktPi, und zwar so, dass keiner der Punkte Pk mit k 6=i inDi liegt. Die RandkurveγivonDiorientieren wir im Gegenuhrzeigersinn. Wir setzenmi =W(γ,Pi).

Es seiU =U\ {P1,P2, . . . ,Pn}, undF sei ein in U lokal integrierbares Vektorfeld.

Dann gilt

Z

γ

F = Xn

i=1

mi

Z

γi

F .

Beweis. Wir setzenC =γ−P

miγi. IstPein Punkt ausserhalbU, so folgt nach obigem W(C,P) =W(γ,P)−X

miWi,P) =0.

Fu¨r den Punkt Pk an Stelle des Punktes P erha¨lt man Wi,Pk) = 1 fu¨r i = k und Wi,Pk) =0 fu¨ri6=k. Damit folgt

W(C,Pk) =W(γ,Pk)−mk =0.

Auf das Gebiet U und die KurveC wollen wir jetzt unseren Satz 3 anwenden. Dabei ist zu bemerken, dass die Aussage des Satzes 3 nicht nur fu¨r geschlossene Kurven gilt, sondern auch fu¨r Kurven, die – wie C – endliche Summen von geschlossenen Kurven sind. Es folgt dann

0= Z

C

F = Z

γ

F− Xn

i

mi Z

γi

F ,

woraus sofort die Aussage des Satzes 6 folgt.

(10)

Wir ko¨nnen – a¨hnlich wie in der (komplexen) Funktionentheorie – das Residuum eines lokal integrierbaren VektorfeldesF in einem PunktPi definieren durch

resPi(F) = 1 2π

Z

γi

F ,

wo γi wie oben einen kleinen, im Uhrzeigersinn orientierten Kreis um Pi bezeichnet.

Das Residuum ist unter den Voraussetzungen des Satzes 6 unabha¨ngig vonγi. Mit dieser Definition lautet die Aussage von Satz 6

Z

γ

F =X

2πmi·resPi(F).

Diese Terminologie wird in der Funktionentheorie bei der Darstellung des entsprechen- den Resultates benu¨tzt, das vom Wegintegral einer meromorphen Funktion la¨ngs eines geschlossenen Weges in der komplexen Ebene handelt. Der Zusammenhang ist leicht be- schrieben: Es seien f eine komplexe Funktion undγ ein Weg in der komplexen Ebene.

Fasst manγals Weg in der reellen Ebene auf, so lassen sich Real- und Imagina¨rteil des komplexen WegintegralsR

γ f(z)dz als Integral von zwei zweidimensionalen rellen Vek- torfeldern la¨ngsγauffassen. Diese beiden Vektorfelder sind ausserdem lokal integrierbar, wenn f die Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen erfu¨llt. Unser Satz 6 entha¨lt also als Korollar das entsprechende Resultat der Funktionentheorie, den sogenannten Residuensatz (siehe z.B. [L2], Chapter VI, Theorem 1.2).

Eine weitere Anwendung betrifft die folgende Situation, die ebenfalls in der Funktio- nentheorie betrachtet wird. Wir formulieren allerdings nur das reelle Resultat, die U¨ ber- setzung ins Komplexe ist einfach. Fu¨r diesen Zweck nennen wir ein Gebiet U einfach zusammenha¨ngend, wenn fu¨r jeden Wegγund jeden Punkt ausserhalbUdie Umlaufzahl W(γ,P) verschwindet,W(γ,P) =0. Es ist nicht schwer nachzuweisen, dass dies aus den sonst u¨blichen Definitionen von einfach zusammenha¨ngend folgt.

Satz 7 Es seiUein einfach zusammenha¨ngendes Gebiet der Ebene. Es seienP1,P2,...,Pn

paarweise verschiedene Punkte in U, und es seiU =U\ {P1,P2, . . . ,Pn}. Wie oben setzen wir

G(x,y) = −y

x2+y2, x x2+y2

und bezeichnen mit GPi die Translation vonG nach Pi. Ist F ein lokal integrierbares Vektorfeld aufU, so existieren Konstantena1,a2, . . . ,an und eine Funktionφauf U, so dass

F − Xn

i=1

aiGPi =gradφ .

(11)

Beweis. Es sei γi die im Uhrzeigersinn orientierte Peripherie eines kleinen Kreises mit MittelpunktPi, der keinen weiteren der PunkteP1,P2, . . . ,Pn entha¨lt. Dann gilt

Z

γi

GPj =

2π fallsi=j , 0 fallsi6=j . Wir setzen

ai= 1 2π

Z

γi

F und F1=F− Xn

i=1

aiGPi .

Nach unserem Satz 6 genu¨gt es dann zu beweisen, dass fu¨r alle geschlossenen Kurven inU das IntegralR

γF1 verschwindet. Aber gema¨ss unserem Satz 5 haben wir Z

γ

F1 =X

i

Z

γi

F =X

i

Z

γi

F−X

j

ajGPj

!

=X

i

mi2πai−X

i

X

j

miai Z

γi

GPj =X

i

mi2πai−X

i

miai2π=0. Dies beweist unsere Behauptung.

Der Begriff der Umlaufzahl liefert in der Mathematik die Basis fu¨r die Behandlung der elementaren topologischen Eigenschaften von Kurven in der Ebene. Es war die Idee von Emil Artin (siehe [A]), auch die Homologie (in Dimension 1) mit Hilfe der Umlaufzahl zu definieren: Ein geschlossener Weg γ in einem Gebiet U heisst nullhomolog in U, wenn fu¨r alle Punkte P, die nicht in U liegen, die Umlaufzahl W(γ,P) Null ist. Die Voraussetzungen u¨ber den Weg γ in unseren Sa¨tzen 5 und 6 bedeuten also, dass γ in Unullhomolog ist. Fu¨r weiteren Aufschluss u¨ber die mit dem hier behandelten Thema zusammenha¨ngenden elementaren Aspekte der Homologie und der Integration verweisen wir auf das klassische Buch von S. Lefschetz [Le], insbesondere auf den Abschnitt Inte- gration and topology, p. 19–25. Dort werden auch einige weiterfu¨hrende Entwicklungen angesprochen.

Acknowledgment: I am very grateful to U. Stammbach for the care he has given to the translation and the publication of my talk, and to Chr. Blatter for a critical reading of the text.

Literatur

[A] E. Artin: On the theory of complex functions. In The Collected Papers of Emil Artin, Addison Wesley, 1965; p. 513–522. Reprinted by Springer Verlag. Second edition, 1996.

[L1] S. Lang: Undergraduate Analysis, Springer Verlag 1983.

[L2] S. Lang: Complex Analysis, 3rd edition, Springer Verlag 1993.

[Le] S. Lefschetz: Introduction to topology, Princeton University Press, 1949

Serge Lang Yale University New Haven

Connecticut 06520, USA

Referenzen

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