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Schule und Kultur - Veränderungen im Generationsverhältnis, in der Erziehungsaufgabe undim Charakter der Jugend in der Bundesrepublik Deutschland.

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Ludwig Liegle:

SCHULE UND KULTUR:

Veränderungen im Generationsverhältnis, in der Erziehungsaufgabe und im Charakter der Jugend in der Bundesrepublik Deutschland.

1. Vorbemerkungen

Schule ist seit dem 19. Jh. zu einem wesentlichen F a k t o r der Insti- tutionalisierung des J u g e n d a l t e r s als einer eigenständigen Lebensphase geworden; sie ist gleichzeitig zur. wichtigsten Ausdrucksform eines aus den natürlichen A r b e i t s - und Lebenszusammenhängen herausgenommenen erzieherischen Umgangs zwischen den Generationen geworden. Unter den veränderten Produktionsbedingungen der industriellen Gesellschaft müssen, so Siegfried Bernfeld 1925, "die Kenntnisse, sollen sie nicht mit der sie besitzenden G e n e r a t i o n aussterben, in einem besonderen Prozeß, dem U n t e r r i c h t , ü b e r m i t t e l t , durch eine spezifische A r b e i t s - leistung, das Lernen, erworben w e r d e n " (Bernfeld 1925, S. 78).

Daß die Überlieferung der Kultur von der ä l t e r e n auf die jüngere Generation erkauft wird durch eine Auflösung der Lebenszusammenhän- ge zwischen den Generationen, ist seitdem ein unlösbares Problem der Erziehung und der Pädagogik geblieben; dies insbesondere deshalb, weil die Zukunft, auf welche die junge Generation vorzubereiten ist, immer offener, unsicherer, ja bedrohlicher geworden ist; neben die Überlieferung des kulturellen Erbes muß die Antizipation von Neuem, neben die Vermittlung überlieferter Lebensformen muß die Suche nach neuen Lebensformen t r e t e n .

Die "Kulturpädagogik" mit ihrem Bekenntnis zur Kulturfunktion der Erziehung - "Die Erziehung gewinnt erst durch die Kultur Sinn und Inhalt, die Kultur nur durch die Erziehung Kontinuität und Einheit"

(R. Meister 1943) - hat schon in ihrer Z e i t , im e r s t e n Drittel dieses J a h r h u n d e r t s , ihre Relativierung und Ergänzung e r f a h r e n in der K u l t u r - kritik, in der Jugendbewegung und in der fortschrittlichen Reformpäda- gogik; sie alle haben darauf bestanden, daß es eine neue Kultur, gerade auch eine pädagogische Kultur, zu schaffen gelte, die zur Bewältigung der Zukunftsprobleme der Gesellschaft geeignet ist. Kultur erscheint hier nicht mehr allein als ein Problem der Überlieferung, sondern auch als eine Aufgabe im Horizont konkreter Utopie.

Für die heutige Situation, die durch Auflösung der Lebenszusammenhän- ge zwischen den Generationen und durch die Bedrohung der Zukunft der Menschheit gekennzeichnet ist, erscheinen mir insbesondere zwei Standpunkte innerhalb der erziehungswissenschaftlichen Diskussion a n -

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regend: Coleman (1982) kommt nach seiner Diagnose der m o d e r n e n Gesellschaft als einer sozialen F o r m a t i o n , die durch die V o r h e r r s c h a f t des "korporativen Subjekts" und durch eine " A s y m m e t r i e " und T r e n n u n g zwischen den Generationen gekennzeichnet ist, zur Forderung n a c h Schaffung einer pädagogischen Kultur, die zurückfindet zu L e b e n s z u - sammenhängen zwischen den G e n e r a t i o n e n , zu Schulen, die sich d e m Arbeitsleben und Gemeinwesen öffnen. Benner (1983) gelangt n a c h dem Durchgang durch die klassischen Positionen der Ethik zu d e m Schluß, daß die Klärung des Normproblems der Erziehung n i c h t m e h r durch die Berufung auf Grundwerte oder auf den kategorischen I m p e r a - tiv allein zu erhoffen sei; es gehe d a r u m , "daß das G e n e r a t i o n s v e r h ä l t - nis s c h r i t t w e i s e in ein herrschaftsfreies überführt wird und die j e w e i l s e r w a c h s e n e Generation in der Erziehung der nachwachsenden G e n e r a t i o n sich selbst nicht als normativen Maßstab und Telos der Erziehung mißversteht, sondern die Aufgabe und die komplexe Problematik der Verständigung über die richtige Orientierung im Handeln ü b e r l i e f e r t " ; bei der Antwort auf Schleiermachers F r a g e : "Was will denn e i g e n t l i c h die ä l t e r e Generation mit der j ü n g e r e n ? " gehe es um eine e r w a c h s e n e G e n e r a t i o n , die nicht diese F r a g e zunächst für sich b e a n t w o r t e t , um dann die Antwort zu t r a d i e r e n , sondern um eine e r w a c h s e n e G e n e r a - tion, "die diese F r a g e gemeinsam mit der nachwachsenden G e n e r a t i o n e r ö r t e r t , um sie als F r a g e an diese und mit dieser zu ü b e r l i e f e r n "

(Benner 1983, S. 55).

Dem Standpunkt von Coleman sind im folgenden Text insbesondere die Ausführungen über grundlegende gesellschaftliche T a t s a c h e n des J u g e n d - a l t e r s (Abschnitt 2) sowie über deren Bedeutung für die L e b e n s s i t u a - tion von Jugendlichen (Abschnitt 2 ) , dem Standpunkt von Benner sind insbesondere die Ausführungen über Reaktionen im Bildungssystem und die F r a g e der Werte-Erziehung (Abschnitt 6) verpflichtet. Im übrigen konzentriert sich der T e x t , e n t s p r e c h e n d der Fragestellung der A r b e i t s - gruppe "Schule und die Entwicklung des Charakters der J u g e n d " , auf subjektive Deutungsmuster der gesellschaftlichen Tatsachen und der Lebenssituation bei Jugendlichen (Abschnitt 4) und auf die F r a g e nach Handlungsorientierungen bzw. nach einer " p o s t m a t e r i e l l e n " W e r t - orientierung bei Jugendlichen (Abschnitt 5). Im ganzen handelt es sich hier um eine Zusammenstellung a u s g e w ä h l t e r Daten, S t i c h w o r t e und Thesen, die, insbesondere mit Blick auf Leser in der VR Polen, ein Bild von Ansätzen und Ergebnissen der pädagogischen Jugendforschung in der Bundesrepublik Deutschland v e r m i t t e l n sollen.

2. Einige grundlegende gesellschaftliche T a t s a c h e n

Im Zeitvergleich ergibt sich eine erheblich längere Bildungsbeteiligung der Jugendlichen.

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Um den Wandel im Ausmaß der gesellschaftlichen Institutionalisierung des Jugendalters durch die Teilnahme an schulischer Bildung deutlich zu machen, werden im folgenden beispielhaft s t a t i s t i s c h e Daten zum Besuch von allgemeinbildenden und beruflichen Schulen bei Jugendlichen im A l t e r von 18 Jahren in der Bundesrepublik (im Zeitvergleich) a n g e - führt:

Jahr Jungen (%) Mädchen (%)

1960 37.6 26.0 1970 57.6 35.5 1982 75.0 67.2 (Quelle: BMBW, Grund- und S t r u k t u r d a t e n 1984/85, S. 38)

Es zeigt sich in allen modernen Gesellschaften eine Zunahme von Differenzierung und Spezialisierung gesellschaftlicher Handlungsfelder und die mit diesen Prozessen verbundene Trennung zwischen Bildungs- institutionen und außerschulischen Lebenswelten sowie zwischen den G e n e r a t i o n e n (vgl. z. B. Fauser/Schweitzer 1983).

Für eine wachsende Zahl von Schul- (bzw. Hochschul-)Absolventen wird Arbeitslosigkeit zu einer gesellschaftlichen T a t s a c h e . Nach Daten der Repräsentativbefragung "Die verunsicherte G e n e r a t i o n " (Sinus, 1983) h a t t e n b e r e i t s 19 % der Jugendlichen die Erfahrung der A r b e i t s - losigkeit gemacht (vgl. F e n d / P r e s t e r 1985, S. 47).

3. Die Bedeutung der genannten gesellschaftlichen T a t s a c h e n für die Lebenssituation der Jugendlichen

Die Verlängerung der Schulzeit sowie die Reformen des Schulsystems in den l e t z t e n zwei Jahrzehnten haben Schule "für die Jugendphase von 13 bis 18 Jahren faktisch zum zumindest zeitlich dominierenden sozialen Erfahrungsraum Jugendlicher" werden lassen. "Die Schule ist durch die Zunahme an gesellschaftlicher und individueller Bedeutung ungeplant und teilweise unbemerkt der Ersatz für viele Lebenserfahrun- gen geworden, die noch vor ein bis zwei Generationen in Familie und Jugendorganisationen ihren Platz h a t t e n " (Hurrelmann 1983, S. 51).

Die Verlängerung der Schulbildung hat im Lebenslauf von Jugendlichen zu verlängerter wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Elternhaus und ver- l ä n g e r t e r psychischer Abhängigkeit von der Erwachsenengeneration ( E l t e r n , aber auch professionelle Erzieher/Lehrer) geführt.

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Gleichzeitig ist für die Jugendlichen ein verlängertes " M o r a t o r i u m "

e n t s t a n d e n ; die Ausgangsbedingungen für eine Reflexion g e s e l l s c h a f t - licher T a t s a c h e n und Werte sowie für Identitätsbildung haben sich dadurch v e r ä n d e r t .

Die Verlängerung der Jugend- bzw. Schulzeit und eine Reihe w e i t e r e r F a k t o r e n t r a g e n zu einer zunehmenden Selbstorganisation der J u g e n d - lichen in vielfältigen Formen einer "Jugendkultur" bei: "Die Mitglied- schaft in informellen Gruppen von Jugendlichen hat in den beiden letzten Jahrzehnten enorm zugenommen: von 16.2 % auf 56.9 %, also um über 40 %. Während Mädchen 1962 nur e t w a halb so oft wie Jungen Mitglied in Cliquen waren, gibt es h e u t e keinen G e s c h l e c h t s - unterschied mehr. Die Mehrheit beider Geschlechter gehört Cliquen an ... Diese Zunahme kann nicht mit s t r u k t u r e l l e n Veränderungen - wie e t w a der Zunahme des Anteils der Schüler - erklärt werden: Sie zeigt sich in ähnlicher Größenordnung bei Schülern, Lehrlingen und b e r u f s t ä t i g e n Jugendlichen" (Allerbeck/Hoag 1985, S. 32).

Die zunehmende Selbstorganisation von Jugendlichen in verschiedenen F o r m e n der Jugendkultur kann auch als Ausdruck einer Lebenssituation i n t e r p r e t i e r t werden, die kennzeichnend ist für eine " a s y m m e t r i c s o c i e t y " (Coleman 1982, vgl. auch Ders. 1983), eine Gesellschaft also, in welcher eine zunehmende Trennung zwischen den G e n e r a t i o n e n , eine zunehmende Ausgrenzung der jungen Generation (und auch einer in b e s t i m m t e r Weise institutionalisierten Schule) gegenüber der E r - wachsenengesellschaft zu beobachten ist.

Angesichts der seit Ende der 70er zunehmenden Arbeitslosigkeit wird die Unsicherheit über die berufliche Zukunft für eine wachsende Zahl von Jugendlichen zu einem b e s t i m m e n d e n Element ihrer L e b e n s s i t u a - tion. Viele Jugendliche erleben das Verhältnis von Bildungssystem und Beschäftigungssystem bzw. die Plazierungsfunktion der Schule als p r o - blematisch und definieren verlängerten Schul- bzw. Hochschulbesuch als einen Wartestand im Blick auf den Eintritt in das Berufsleben.

Diesen belastenden Faktoren s t e h t die T a t s a c h e gegenüber, daß die heutige junge Generation, insbesondere die weibliche Jugend, im V e r - gleich zu früheren Generationen in sehr viel s t ä r k e r e m Maße als frühere Generationen ein "Bürgerrecht auf Bildung" in Anspruch n e h - men kann.

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4. Subjektive Deutungsmuster der gesellschaftlichen T a t s a c h e n und der Lebenssituation bei Jugendlichen

Aus einigen n e u e s t e n Beiträgen zur Jugendforschung (insbesondere im Zeitvergleich zwischen N a c h k r i e g s - und Gegenwartsjugend) lassen sich die folgenden Mosaiksteine zum Einstellungsprofil von Jugendlichen zusam mentragen:

Jugendliche o r i e n t i e r e n sich verstärkt an jugendspezifischen Bezugs- gruppen;

"Die Gesellschaft der Altersgleichen h a t in den achtziger Jahren an Gewicht als psychosoziale, soziokulturelle Bezugsgruppe zugelegt. Die Generation der achtziger Jahre identifiziert sich intensiver und a u s - dauernder mit Jugend; sie bezieht vom Standpunkt 'der Jugend1 und ihrer Werte kritische Positionen gegenüber dem Erwachsensein und dessen Werten (wie auch dem einzelnen Erwachsenen gegenüber); der Jugendbegriff h a t sich mit politischer Bedeutung aufgeladen" ( F u c h s / Zinnecker 1985, S. 24).

Die meisten Jugendlichen sehen ihr Verhältnis zu den Eltern nicht als gestört an:

"Im Vergleich der Z e i t p u n k t e scheint das Verhältnis zu den Eltern e t w a s v e r s c h l e c h t e r t . " Aber: "Die Mehrzahl der Jugendlichen hat 1983 nach eigener Aussage ein g u t e s Verhältnis zu V a t e r und Mutter. 2 % haben ein ' s c h l e c h t e s ' Verhältnis zum V a t e r , 5,1 % ' h ä u f i g1 Meinungs- verschiedenheiten mit ihm; 58,5 % nennen ihr Verhältnis zum Vater in verschiedenen S c h a t t i e r u n g e n positiv. Das Verhältnis zu den Müttern ist e t w a s besser: schlecht bei 0,9 %, häufige Meinungsverschiedenheiten gibt es bei 2,3 %; 73 % - fast drei Viertel - haben ein gutes bis sehr gutes Verhältnis zu ihrer M u t t e r " (Allerbeck/Hoag 1985, S. 35).

In den Aussagen über Schule halten sich positive und negative Stellung- nahmen fast die Waage:

"Während 1953 und 1955 die guten Schulerinnerungen die negativen bei weitem überwogen (1955: 84 % zu 55 %) und die Berichte deshalb damals ein insgesamt eher positives Verhältnis der Jugendlichen zur Schule konstatieren konnten, stellt sich bei den Jugendlichen h e u t e ein ausgeglichenes Verhältnis von positiven und negativen Stellungnah- men heraus (89 % zu 90 %). Schulkritik, 1953 und 1955 nur von e t w a s mehr als der Hälfte der Jugendlichen vorgebracht, hat bei den Jugend-

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liehen h e u t e das Lob der Schule eingeholt.

Unter den guten Erinnerungen hat sich besonders beim Verhältnis zu den Schulkameraden eine r a s a n t e Erhöhung ergeben; die gleichaltrigen Mitschüler spielen h e u t e eine wesentlich größere Rolle im Blick auf das eigene Schulleben als 1955. Unter den negativen Erinnerungen bzw. Beurteilungen werden h e u t e viel häufiger als 1955 'Prüfungen und Zeugnisse' genannt. Viel s t ä r k e r kritisiert werden auch die L e h r e r "

(Fuchs/Zinnecker 1985, S. 20).

Die meisten Jugendlichen glauben nicht an Chancengleichheit und Aufstiegsmöglichkeiten:

"An Offenheit der Gesellschaft und Mobilität nach oben und Gleichver- teilung der Chancen in diesem Mobilitätsprozeß glaubten 1973 55 % der Hauptschüler, 1982 nur mehr 40 %. Bei den Gymnasiasten ging der e n t s p r e c h e n d e Glaube von 30 % auf 14 % zurück" ( F e n d / P r e s t e r 1985, S. 55/57).

Im Blick auf den Beruf verlieren m a t e r i e l l e A s p e k t e an Bedeutung gegenüber der Sicherheit einer Stellung und der persönlichen Befriedi- gung in der Berufstätigkeit:

"Die Sicherheit der Stellung als Aspekt des Berufes bekommt die größte Bedeutung. Dagegen fällt der Aspekt der Entlohnung zurück und wird unwichtiger. Während e t w a 70 % der Hauptschüler und R e a l - schüler den Aspekt der Sicherheit für sehr wichtig h a l t e n , ist dies bei der Entlohnung nur zu e t w a 10 % der Fall. Kaum Änderungen ergeben sich hingegen bei den ' i n t r i n s i s c h e n ' Aspekten der B e r u f s t ä t i g - keit, bei der Verwirklichung eigener Vorstellungen und Ideale durch den Beruf, bei der Möglichkeit, durch berufliche Tätigkeit a n d e r e n Menschen nützlich sein zu können und bei der Möglichkeit, die F ä h i g - keit voll einsetzen und e t w a s leisten zu können" ( F e n d / P r e s t e r 1985, S. 58).

Der Sinn des Lebens wird von Jugendlichen immer weniger im L e i - stungsstreben und in der Arbeit gesehen:

"Die Gymnasiasten sind 1973 in ihrem Urteil relativ eindeutig: 85 % meinen, daß man sein Leben verfehlen k ö n n t e , wenn man nur nach Leistung s t r e b t . Eine Erfüllung in der Arbeit sehen zu diesem Z e i t - punkt nur e t w a 30 % der Gymnasiasten. 1982 ist die Perspektive, daß die Erfüllung des Menschen in der Arbeit liegt, bei den Gymnasiasten zurückgegangen: sie liegt jetzt nur mehr bei e t w a 20 % Zustimmung.

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Gleichzeitig ist aber auch die Ängstlichkeit, durch Leistungsstreben den Sinn des Lebens zu verfehlen, geringer geworden. Dies meinen jetzt e t w a 60 %. Daß die Hauptschüler so viel s t ä r k e r a r b e i t s o r i e n t i e r t sind, ist ein auffallendes Phänomen. Ihre Arbeitsorientierung geht aber von 1973 auf 1982 deutlich zurück. Beinahe noch 76 % haben 1973 g e m e i n t , daß die Erfüllung des Menschen in seiner Arbeit liegt.

Dieser Meinung sind 1982 nur mehr 34 %" (Diess. S. 110, 63).

Die Suche nach dem Sinn des Lebens und nach " I d e n t i t ä t " gewinnt bei den Jugendlichen der 80er Jahre an Bedeutung:

Die 8 0 e r - J a h r e - G e n e r a t i o n unterscheidet sich maßgeblich von der 5 0 e r - J a h r e - G e n e r a t i o n "in ihrer Bereitschaft und Fähigkeit, Jugend als Lebensphase g e s t e i g e r t e r Sinn- und Ich-Suche zu verstehen, a u f g e - n ö t i g t e oder selbstgewollte Moratorien hierfür zu nutzen (auch A r b e i t s - losigkeit!), sich auf die Gefahren und Chancen jugendlicher I d e n t i t ä t s - krisen einzulassen. Dies äußert sich im Gebrauch eines Vokabulars der S e l b s t - T h e m a t i s i e r u n g , das in dieser Weise der F ü n f z i g e r - J a h r e - G e n e r a - tion fremd war, in der Beteiligung der Jugendlichen h e u t e an den verschiedensten Diskursen um Subjektivität und Subjekt-Krise schließlich auch in dem zunächst überraschenden Befund, daß die Generation der achtziger Jahre sich erheblich s t ä r k e r literarisch und künstlerisch produktiv b e t ä t i g t als die Vergleichsgeneration . . . " ( F u c h s / Zinnecker 1985, S. 25).

5. Handlungsorientierungen bei Jugendlichen und die F r a g e nach dem

" P o s t m a t e r i a l i s m u s "

Nicht zuletzt die englische Jugendforschung (insbesondere am "Center for Contemporary Cultural Studies") hat gezeigt, daß es gegenwärtig in der jungen Generation eine Vielfalt von Mustern der Handlungsorien- tierung gibt (vgl. Prondcznsky 1985). Verallgemeinerungen über "die Jugend" sind daher u n a n g e b r a c h t . A n d e r e r s e i t s legt das Z u s a m m e n w i r - ken der erwähnten F a k t o r e n der gesellschaftlichen und Lebenssituation, verstärkt durch übergreifende Krisen der Zivilisation ( U m w e l t , H o c h - rüstung), die Vermutung n a h e , daß gerade die junge Generation (bzw.

Teile derselben) zum Träger und Motor der G e s e l l s c h a f t s - und K u l t u r - kritik und " n e u e r " Handlungsorientierungen wird (ähnlich, wie dies um die Jahrhundertwende in der Jugendbewegung der Fall w a r ) . In diesem Zusammenhang ist die Orientierung an Werten des " P o s t m a t e r i a l i s m u s "

bzw. die darüber geführte wissenschaftliche D e b a t t e zu sehen.

Die jüngste Sekundäranalyse (Jagodzinski 1985) kommt im Blick auf die empirische Überprüfbarkeit der vorherrschenden P o s t m a t e r i a l i s m u s -

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theorie (Inglehart u. a.) zu einem im großen und ganzen negativen Fazit:

Die Stabilität von Wertorientierungen auf der Individualebene bzw.

innerhalb der Generationen läßt sich ebenso wenig zuverlässig n a c h w e i - sen wie die d a u e r h a f t e Unterschiedlichkeit der Anteile eines Werttyps in zwei aufeinanderfolgenden Generationen und die Zunahme des Anteils sog. p o s t m a t e r i e l l e r Wertorientierungen an der Gesamtheit aller B e - fragten.

Fast i n t e r e s s a n t e r als dieses Fazit selber ist die vom Autor geführte methodologische Diskussion:

- die Überlegungen zu den Mängeln der bisherigen Untersuchungen, insbesondere zum Mangel in der inhaltlichen Bestimmung der Werte;

vielleicht gehe es weniger um Materialismus und Postmaterialismus als um Leistungsbereitschaft und kommunikative Werte, Konformismus und Nonkonformismus, freiheitliche und e g a l i t ä r e Orientierungen;

- die Reflexion der "beunruhigenden F r a g e " , ob die unbefriedigenden Befunde nicht "in exemplarischer Weise zeigen, wie wenig geklärt das Zusammenspiel von a b s t r a k t e m W e r t m a ß s t a b , konkreter B e w e r - tung, Information und Handlung t h e o r e t i s c h und empirisch i s t "

(Jagodzinski 1985, S. 83).

Die Frage nach " W e r t o r i e n t i e r u n g e n " der jungen Generation, nach der Verbreitung von " P o s t m a t e r i a l i s m u s " bei Jugendlichen, ist in sich selber widersprüchlich: sie meint einen " W e r t e w a n d e l " , der an b e - s t i m m t e n - veränderbaren - " W e r t e n " im Sinne einer m a t e r i a l e n bzw.

teleologischen Ethik, am Wandel der Einstellungen zu b e s t i m m t e n Grundwerten f e s t g e m a c h t wird (vgl. Abschnitt 1); sie verfehlt damit jene Bewegung der Suche nach Lebenssinn und I d e n t i t ä t , die für " J u - gend" in der modernen Gesellschaft kennzeichnend ist, eine S u c h b e - wegung, die zwar aus der Distanzierung gegenüber kultureller Ü b e r - lieferung und überkommenen Lebensformen möglich wird, die aber nicht unbedingt auf b e s t i m m t e " n e u e " Werte zielen muß, sondern die Sinn- und Ich-Suche selber als Problem und als Aufgabe d e u t e t (vgl.

Abschnitt 4 ) . Klaus Mollenhauer spricht davon, daß in den komplexen modernen Gesellschaften das Identitätsproblem zur spezifischen Aufgabe des Jugendalters wird, daß "das Spiel des Jugendlichen mit S e l b s t e n t - würfen, deren symbolische R e p r ä s e n t a t i o n in Bildern der Einzigartigkeit und Zugehörigkeit eine kulturell notwendige Komponente seiner Bilde- bewegung" geworden ist (Mollenhauer 1983, S. 173); vielleicht ist für die Jugend der 80er Jahre kennzeichnender als gewisse " p o s t m a t e r i e l l e Wertorientierungen" die bewußte Bewegung in diesem Spiel und seinen bedrohlichen Kulissen.

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6. Reaktionen im Bildungssystem und die F r a g e der Werte-Erziehung In dieser Situation kann die Aufgabe der Erziehung b e s t i m m t werden als "kritische kulturelle Überlieferung" sowie als "Repräsentation des Identitätsproblems durch den Erwachsenen, das Modell, das er durch sich selber ist: seine Möglichkeiten nicht dem Wirklichen, den ' Z w ä n - g e n ' von Sachen und Verhältnissen zu opfern" (Mollenhauer 1983, S. 175, 173). Zwischen einer solchen Aufgabenstellung der Erziehung und den t a t s ä c h l i c h b e o b a c h t b a r e n Reaktionen im Bildungssystem auf die Probleme der Kultur, der Gesellschaft und des Jugendalters - Reaktionen z. B. in G e s t a l t von Programmen der Werte-Erziehung - liegen jedoch Welten:

"Kritische kulturelle Überlieferung" hat zur Voraussetzung das Offen- halten des Normproblems der Erziehung und zielt auf die Vorbereitung einer besseren Zukunft. Demgegenüber o r i e n t i e r t sich Werte-Erziehung in der Schule im w e s e n t l i c h e n an der Tradition einer m a t e r i a l e n Tugendlehre und an Grundwerten:

"Die fehlende g e m e i n s a m e Orientierung im Handeln wird zunehmend nicht mehr auf dem Wege einer Emanzipation von überkommenen Normen und Konventionen gesucht, sondern m i t t e l s einer Rückbesinnung auf zwar geschichtlich e n t s t a n d e n e , nun aber mit dem Anspruch auf übergeschichtliche Gültigkeit a u f t r e t e n d e sogenannte Grundwerte a n g e s t r e b t " (Benner 1982, S. 46).

Die derzeitige Diskussion über Werte-Erziehung in der Schule s t e h t im Zeichen der konservativen Wende; die Verunsicherung in der Hand- lungsorientierung wird dabei - z. B. im Rahmen des Bonner Forums

"Mut zur Erziehung" - nicht als Symptom gesellschaftlicher Problem- lagen, sondern als Folge einer Konfliktpädagogik in Schulen und Hoch- schulen diagnostiziert; d e m e n t s p r e c h e n d wird ein wesentliches " H e i l - m i t t e l " in der Modifikation und Erweiterung des schulischen Aufgaben- katalogs gesehen, in dem der Werte-Erziehung dann ein besonders herausgehobener Platz zugewiesen wird (vgl. Leschinsky 1985, S. 90f.).

" R e p r ä s e n t a t i o n " des I d e n t i t ä t s p r o b l e m s und der kulturellen Ü b e r l i e - ferung durch Erwachsene hat zur Voraussetzung einen Lebenszusammen- hang zwischen den Generationen; für die Regelschule ist demgegenüber die Herauslösung aus Lebenszusammenhängen, die Trennung zwischen Lernen und Lebenswelt kennzeichnend. Handlungsorientierungen sind das Ergebnis ganzheitlicher Erfahrungen und Erlebnisse; gerade diese sind jedoch aus der Schule bei ihrer derzeitigen V e r f a ß t h e i t weitgehend a u s g e s p e r r t .

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Werte gewinnen ihre Bedeutung nur durch ihren Bezug auf Handeln;

die derzeitigen Institutionalisierungsformen von Lernen beschneiden indes die Gelegenheiten zu sinnvollem Handeln und lassen W e r t e - Erziehung tendenziell zum Moralunterricht degenerieren.

Eine v e r t r e t b a r e Konzeption der Werte-Erziehung h ä t t e neben u n t e r - richtsbezogenen Diskursen über gesellschaftliche Tatsachen und Merk- male der Lebenssituation zur Voraussetzung die Selbst-Thematisierung der Schule als Erfahrungsraum und als Institution der Gesellschaft sowie die Öffnung der Schule gegenüber der außerschulischen L e b e n s - welt und für Formen des ganzheitlichen U n t e r r i c h t s .

Der Umgestaltung der Schule bzw. des Wechselbeziehungsgefüges zwischen Schule und außerschulischen Handlungsfeldern zu einem Ort bzw. Rahmen ganzheitlicher Erfahrung und ganzheitlichen Lernens scheinen in der öffentlichen Schule enge Grenzen gesetzt. Man kann indes mit Gründen die Position v e r t r e t e n , daß eine auch nur a n s a t z - weise Verwirklichung eines solchen Konzepts eines für die moralische Entwicklung b e d e u t s a m e n Schullebens - eines Konzepts, das bei den Klassikern der Pädagogik (z. B. bei S c h l e i e r m a c h e r ) und in der i n t e r - nationalen reformpädagogischen Bewegung vorgezeichnet ist - allen Versuchen vorzuziehen ist, Werte-Erziehung im Gleichschritt mit den allenthalben ablaufenden Prozessen der Differenzierung und Speziali- sierung zu verselbständigen.

L i t e r a t u r

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Werkstattbericht aus einer laufenden Studie. In: ZSE, 5. Jg., 1 9 8 5 , S. 5 - 2 8 .

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Referenzen

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