• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Arbeitsplatz Afrika: Herausforderung oder Überforderung" (03.04.1998)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Arbeitsplatz Afrika: Herausforderung oder Überforderung" (03.04.1998)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

er Weg von Nairobi in das klei- ne tansanische Krankenhaus am Victoriasee führte im Überlandbus durch den Seren- geti-Nationalpark. Wer sich in Tansa- nia auf öffentliche Verkehrsmittel ein- läßt, muß damit rechnen, mit einem Totalschaden Stunde um Stunde am Wegesrand auszuharren. Unseren Kleinbus ereilte das Aus bereits rund fünf Kilometer, nachdem wir um die Mittagszeit das Tor zur Serengeti pas- siert hatten. Anfang Oktober ist die östliche Serengeti eine trockene, heiße und baumlose Steppe. Ziemlich schnell ergaben sich Probleme mit der Wasserversorgung. Betroffen waren hauptsächlich die zahlreichen Kinder.

Gegen Abend unternahm der Fahrer einen Startversuch, und wider Erwarten sprang der Motor an. Mit langsamer Fahrt erreichten wir den Kontrollposten am Eingangstor zur Serengeti. Durst und Hunger wurden notdürftig befriedigt.

Die Nacht verbrachte ich zusammengekauert im Bus mitten in der afrikanischen Wildnis.

Gegen Mittag des fol- genden Tages erreichte uns ein Ersatzbus. Das Motto „There is no hurry in Africa“ kommt einer Lebensweisheit nahe. Der neue Fahrer zählte zu den wenigen, die sich diese Maxime nicht zu eigen gemacht haben. Eine halbe Stunde nach dem Auf- bruch verlor er auf- grund überhöhter Ge-

schwindigkeit die Kontrolle über den Bus, der sich daraufhin überschlug.

Ich mußte meine ärztliche Tätigkeit vorzeitig aufnehmen und versorgte notdürftig einige Platzwunden und Frakturen. Diese Odyssee spiegelt viele Probleme eines Afrikaaufent- haltes wider.

Mein Arbeitgeber war das Mkula Hospital der African Inland Church.

Das Krankenhaus liegt am Ufer des Victoriasees, 160 Kilometer nördlich von Mwanza, der zweitgrößten Stadt Tansanias. Das Hospital wurde vor rund zehn Jahren mit europäischer Hilfe erbaut. Dem Krankenhaus ange- schlossen sind 16 Krankenstationen,

die zusammen rund eine halbe Million Menschen versorgen. Das Hospital hat 65 Betten und eine Grund- ausstattung für Röntgen, Labor und Chirurgie. Angegliedert sind die teil- weise mobilen Bereiche der Schwan- gerenberatung und der primären Ge- sundheitsversorgung. Zwei einheimi- sche Ärzte und 50 medizinische Helfer

betreuen die Patienten. Die Ärzte werden unterstützt von mehreren Me- dical Assistants, die die ambulante Versorgung und die medizinische Be- treuung in den entfernteren Kran- kenstationen übernehmen. Der Man- gel an Ärzten in Tansania – jährlich gibt es nur etwa 70 Absolventen der einzigen Universität in Daressalam – ließ einen zweiten Bildungsweg entste- hen. In einer fünfjährigen, praxisorien- tierten Ausbildung kann sich ein Medi- cal Assistant zum Medical Assistant Officer qualifizieren, was gleichwertig ist mit einem Hochschulstudium.

Das Mkula Hospital ist ein Pri- vatkrankenhaus. Patienten müssen

für ihre Behandlung bar bezahlen.

Dagegen ist das staatliche Gesund- heitssystem im Prinzip unentgeltlich, deckt aber weniger als die Hälfte der notwendigen gesundheitlichen Be- treuung ab. Häufig suchen Patienten die staatlichen Gesundheitseinrich- tungen vergeblich auf, weil wichtige Medikamente fehlen. Zudem lassen sich viele Ärzte ihre Bereitwilligkeit, Patienten zu empfangen, bezahlen.

Wasser und Strom fehlen

Die Arbeitsbedingungen für Ärz- te weisen innerhalb des Landes erheb- liche Unterschiede auf, je nachdem welchen Einfluß westliche Hilfsorga- nisationen in der betreffenden Region ausüben. Viel grundsätzlicher steht und fällt die medizinische Versorgung jedoch mit dem Vorhandensein von Licht und Wasser. Fast 80 Prozent des Landes sind weder mit Elektrizität noch mit fließendem Wasser versorgt.

Das bedeutet, daß der Großteil der medizinischen Betreuung direkt von den klimatischen Gegebenheiten ab- hängt. Regen, der nur wenige Monate im Jahr fällt, ist das größte Wasser- reservoir Tansanias. Perspektiven für die künftige Wasserversorgung er- öffnen eventuell die drei großen Seen Ostafrikas (Victoria, Tanganjika, Ma- lawi), an die das Land angrenzt.

Die Wasserversorgung war auch im Mkula Hospital problematisch. Ei- ne großzügige Überdachung sollte es ermöglichen, Regenwasser in teils un- terirdischen Tanks zu speichern. Der Wasserbedarf in der Trockenzeit übertraf jedoch bei weitem die Kapa- zität der Tanks. Deshalb wurde eine Pumpe installiert, die mittels Wind- A-809 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 14, 3. April 1998 (41)

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Arbeitsplatz Afrika

Herausforderung oder Überforderung

Der Wunsch, nach dem Studium sein Wissen selbständig umzusetzen, führt viele Ärzte dazu, im Entwicklungsdienst zu arbeiten – für Unerfahrene ein schwieriges Unterfangen.

D

In den ländlichen Distriktkrankenhäusern kümmern sich ärztliche Entwick- lungshelfer auch um die präventive Mutter-Kind-Versorgung. Fotos: DED

(2)

kraft Grundwasser in einen Hochtank fördert. Das Windrad wurde leider in einer Talsohle errichtet, und das Was- ser wird durch Salze und zeitweise auch durch Fäkalien verunreinigt.

Aufgrund mangelnder Wartung er- füllt nur die Hälfte der installierten Solarsysteme zur Energieerzeugung ihre Funktion. Strom wird von einem Dieselgenerator erzeugt, wobei häu- fig das Geld für den Diesel fehlt.

Diese Beispiele verdeutlichen das Grundproblem der Entwicklungs- hilfe: Projekte, die nicht bis in die letz- te Einzelheit durchdacht werden, sind zum Scheitern verurteilt. Es braucht keinen aufmerksamen Beobachter, um die Ruinen vieler Entwicklungs- hilfeprojekte zu entdecken.

Arbeitsplatz Afrika – eine andere Welt

Problematisch für einen europäi- schen Arzt sind unter anderem die un- bekannten Krankheiten, unterschied- liche Traditionen und Lebenseinstel- lungen, ein anderes Verständnis von Krankheit, die Einflüsse der traditio- nellen afrikanischen Medizin sowie die Sprachbarriere.

Probleme bei der Diagnose von Krankheiten rühren daher, daß tro- penspezifische Erkrankungen wie Malaria, Leishmaniose, Schistosomia- sis, Lepra oder Filariasis in unserer Ausbildung nur gestreift werden. Zu- dem wird man mit Krankheiten kon- frontiert, die bei uns selten oder gar nicht mehr anzutreffen sind. Dabei handelt es sich hauptsächlich um In- fektionskrankheiten, die durch Hel- minthen, Protozoen, Pilze und Bakte- rien verursacht werden. Zivilisations- krankheiten kommen wenig vor.

Außer an theoretischem Wissen mangelt es jungen Ärzten meist an praktischer Erfahrung und Übung in der Diagnose mit Hilfe der fünf Sinne.

Gewohnte diagnostische Hilfsmittel fehlen. Die europäische Medizin ori- entiert sich stark an Prävention und Früherkennung. Das Patientengut in Tansania setzt sich hauptsächlich aus kranken und schwerkranken Men- schen zusammen. Das erleichtert zwar die Diagnose, erschwert aber die Be- handlung. Zudem entsprechen die therapeutischen Möglichkeiten nicht

dem westlichen Standard. Viele Ärzte stehen einer solchen Situation hilflos gegenüber. Der Gedanke, daß einige tausend Kilometer entfernt dieser Mensch nicht sterben müßte, ist häufi- ger Begleiter am Krankenbett. Dieser psychischen Belastung sind junge Ärzte oft nicht gewachsen. Der Um- gang damit hängt von der Fähigkeit ab, sich mit Gegebenheiten abzufin- den, die nicht zu ändern sind.

Der Umgang der Tansanier mit Krankheit und Tod ist sehr fatali- stisch. Die Möglichkeit, Krankheiten vorzubeugen oder den Verlauf zu be- einflussen, wird von großen Teilen der Bevölkerung negiert. Kranksein wird in der Regel auf den Einfluß lebender oder verstorbener Personen zurück- geführt. Daß der Grund für Fieber der Stich einer Malariamücke sein kann, ist zwar bekannt, aber die Ursache dafür, daß jemand gestochen wird und erkrankt, gilt als nicht beeinflußbar.

In entlegenen Gebieten des Lan- des sind die Einflüsse der traditionel- len Medizin besonders stark ausge-

prägt. Die Menschen gehen dort eher zum traditionellen Heiler als in ein Krankenhaus. Deshalb werden viele Patienten oft erst in einem präfinalen Zustand ins Hospital gebracht.

Zudem gibt es viele unbekannte Wechselwirkungen zwischen traditio- nellen Heilpflanzen und gebräuchli- chen Medikamenten. Die Nome-Wur- zel beispielsweise regt die Wehen- tätigkeit an. Da Dosis-Wirkungs-Be- ziehungen wenig beachtet werden, kann es zu Überdosierungen kom- men, die zu Wehensturm und Uterus- ruptur führen. Wird die Schwangere rechtzeitig ins Krankenhaus gebracht,

kann sie durch eine Laparotomie ge- rettet werden. Gefährlich wird dabei häufig die Wechselwirkung von Nar- kose und Nome-Wurzel, die zur Kreis- laufdepression mit tödlichen Folgen führen kann.

Großer Einfluß der traditionellen Medizin

Afrikanische Ärzte betrachten solche Zwischenfälle als normal. Eine offene Konfrontation zwischen west- lich geprägter Schulmedizin und tradi- tionellen Heilmethoden gibt es nicht.

Europäische Ärzte sollten es vermei- den, sich zwischen die Fronten zu stel- len. Ein offener Konflikt kann zu ernsthaften Schwierigkeiten führen.

Sprachprobleme können nur un- befriedigend durch einen Dolmet- scher gelöst werden. Der Informati- onsverlust durch die subjektive Inter- pretation des Gesagten kann Diagno- se und Therapie erheblich erschwe- ren. Zudem wird jeder Arzt es früher oder später als unbe- friedigend empfinden, nicht persönlich mit dem Patienten spre- chen zu können, vor allem, wenn über ver- trauliche Dinge ge- sprochen werden muß.

Einsätze in der

„dritten Welt“ bieten gerade jungen Ärzten ein ungeahntes Betä- tigungsspektrum. Die einheimischen Ärzte legen in der Regel kei- ne Beschränkungen auf. Mit derselben Ge- lassenheit, wie eine Krankheit ertra- gen wird, wird auch das Resultat ärzt- licher Heilkunst hingenommen. Als junger Arzt muß man sich täglich selbst die Frage stellen, ob man seiner Aufgabe gewachsen ist. Gewissen und ärztliches Ethos müssen die Grenzen ziehen. Der Hunger nach praktischer Betätigung kann schnell zur Selbst- überschätzung führen. Die Versu- chung, zum Bastler ohne Gewissen zu werden, besteht.

Andreas Kittel Straße der Einheit 102 14547 Fichtenwalde A-810 (42) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 14, 3. April 1998

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Die Ausstattung der ländlichen Krankenhäuser ist bescheiden.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die eidgenössische Kommission für Strahlenschutz und Überwachung der Radioaktivität (KSR), die eidgenössische Kommission für nukleare Sicherheit (KNS) sowie die eidgenössi sche

Und doch kommt es nicht selten vor, daß ei- ne Person des Vertrauens, eine be- stimmte Schwester vielleicht oder ein Pfleger, eine Krankengymnastin oder ein Geistlicher von dem

Insofern sind Frühe Hilfen als Querschnittaufgabe für alle relevanten Politik- und Sozialgesetzgebungsbereiche sowie Professionen und Institutionen zu verstehen. «Kommunale

Aber ist es nicht eine Täuschung, dass früher alles besser war, weil wir die Vergangenheit mit der rosa Brille betrachten. Aber ist es nicht eine Täuschung, dass frü- her

Daher sind Hochstammreben in ausgesprochenen Frostlagen ungeeignet, an- sonsten können sie eine Alternative für die eine oder andere Anlage sein..

Die Ärzte Europas sind herausge- fordert, sich zu ihrer verbindlichen Berufsverpflichtung unüberhörbar zu bekennen, denn ihr ärztliches Gelöbnis und Tun war und ist die

Und damit landet auch die „Rente mit 67“ bei dem Grundproblem unse- rer Gesellschaft, bei dem früher oder später jede soziale Frage endet: dem Arbeitsmarkt..

Wenn die Erste Hilfe nicht geleistet wird, kann aufgrund der geringen Hypoxie- toleranz des Cerebrums von 3 bis 5 min eine spätere weitergehende Re- animation nicht mehr