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Archiv "Auch Seelen dampfen herauf aus dem Feuchten: Das menschliche Wesen aus der Sicht des Heraklit" (13.11.1980)

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„Mit dem sie am engsten verkehren, dem Logos, von dem kehren sie sich ab, und worauf sie täglich stoßen, das erscheint ihnen fremd,"

Er schimpft im Fragment B 107 die alltäglichen Menschen Barbaren, weil sie nicht verstehen, was ihnen der Logos offenbart, und weil die Vielen sich so verhalten, als verstän- den sie nicht, was ihnen die eigene Sprache andeutet.

Das Denken —

Suchen des Allgemeinen

Das aber, was sich dem eröffnet, der mit dem verständigen Denken auf das Wesen der Dinge hinzuhorchen

FEUILLETON

Auch Seelen

dampfen herauf aus dem Feuchten

Heraklit lebte um 500 v. Chr. in Ephesos. Sein Denken ist bestimmt und durchwaltet vom Logos-Begriff.

Der Logos —

die Einheit der Gegensätze

Die gewöhnliche Übersetzung des griechischen Wortes „logos" lautet:

Wort, Rede und Lehre. Heraklit weist uns aber auf einen Logos hin, der, obwohl er jedem zugänglich ist, nur von Wenigen gehört wird. Im Hin- horchen des verständigen Denkens erfährt der Mensch durch diesen Lo- gos die in eins und zumal gefaßte Einheit des Gegensätzlichen.

Die Welt ist im ganzen wie im einzel- nen antithetisch, aber die antitheti- schen Glieder schließen sich im Lo- gos zu dem Einen zusammen.

Das alltägliche Meinen glaubt, in der strahlenden Helle des Tages dessen volle Anwesenheit zu sehen. Dem verständigen Denken zeigt sich die volle Präsenz des Tages erst in der Einheit mit seinem Gegenteil: in der gegenstrebigen Verbindung von Tag und Nacht; denn die Dunkelheit der Nacht und nur sie ermöglicht in ih- rem Rückzug allererst, daß Tag wird und seine Helligkeit anwesend sein kann. Der Tag ist nur Tag, weil es die Dunkelheit der Nacht am Tage nicht gibt. Ebenso verhält es sich mit dem Sieger und dem Besiegten. Der Sie- ger ist nur Sieger, weil es den Be-

Vom philosophischen Werk des Heraklit sind nur wenige Fragmente erhalten geblie- ben, die uns durch andere Denker überliefert wurden.

Sein Gesamtwerk läßt sich nicht rekonstruieren. Ein Ver- ständnis seiner Sätze kann nur aus dem Geist seiner Zeit erfolgen. Darüber hinaus kön- nen sie für uns heute Denkan- stoß zu einer freien Interpreta- tion von Wesenszügen sein.

die auch jetzt noch Gültigkeit haben. Wie Heraklit die Seins- weise des Menschen dachte, was er über die Seele sagt, und wie er versucht, die wider- strebenden Gegensätze in ei- ner Einheit zusammenzufas- sen, dies soll hier erläutert werden.

siegten gibt. Der Sieger verdankt sein Siegersein seinem besiegten Gegner.

Heraklit kritisiert das Verhalten des Alltagmenschen, der das Wesentli- che nicht weiß und der in seiner Un- wissenheit auch gar keinen Mangel empfindet. Fragment B 72*) sagt:

Das menschliche Wesen aus der Sicht des Heraklit

Norbert Kohnen

Die Erkenntnis —

das Vernehmen des Logos

Darstellung des Hades. In der Mythologie der Griechen wurde gegensätzlich zur sichtbaren hellen Welt eine dunkle Unterwelt gedacht, die das Reich der Schatten und

Wohnstätte der verstorbenen Seelen war •) Die Bezeichnung der Fragmente richtet sich nach der Ordnung von H. Diels (1)

2770 Heft 46 vom 13. November 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Persephone vereinigte in einer Person gegensätzliche Kräfte. Als Göttin der Frucht- barkeit, Kore genannt, war sie verantwortlich für den Fortbestand des Lebens, und als Königin der Unterwelt hielt sie die Toten in ihrem Reich. Nur durch die Vereinigung beider Kräfte konnte sie dem Wachstum und dem Tod das bestimmende Maß geben.

Plastik von Friedrich Tieck, Ermeler-Haus, Berlin

Heraklit: Das menschliche Wesen

vermag, das ist das Allgemeine, das allen im Denken Gemeinsame.

„Gemeinsam ist allen das Denken"

(B 113)

Unser Denken kann sich bis an die Grenzen des Alls erstrecken, wenn es auf den Logos hört; denn er durchherrscht und durchwaltet alles so, daß er das dem All Gemeine ist.

Weil nun der Logos allen gemein- sam ist und die Menschen ihn im Denken erfahren, ist er der Grund eines gemeinsamen Erkennens und Verstehens, so daß es eine Verstän- digung gibt. Das Verständige des Verstehens ist der Logos, das Wort.

Die Seele —

des Gegenstrebigen Einigung Heraklit denkt die Seele ebenso wie alles andere Seiende als in sich be- wegte Einheit von mehreren Ele- menten. Ihre Herkunft hat sie aus dem Feuchten, ihr Ziel ist das Trok- kene und die größte Gefahr droht ihr in einem Überwältigtwerden durch die Begierden und Gelüste.

Die trockene Seele — das sinnende Denken

Das Element, aus dem das Lebewe- sen seine Existenz schöpft, ist in Fragment B 36 genannt. Die Seelen

werden aus dem Wasser geboren und kehren im Tode zu ihm zurück:

„Der Seelen Tod ist Wasser zu wer- den, Wassers Tod Erde zu werden;

aus der Erde aber gewinnt Wasser Leben und aus Wasser die Seele."

(B 36)

Das Wasser ist eine Art Urprinzip, aus dem auch der Kosmos entstan- den sein soll. Für die Lebewesen be- deutet das Element des Feuchten das Urprinzip des Lebensstromes. In dem unablässig Fließenden findet jegliches erst Bestand; denn die Be- wegung sichert das Leben, da doch Stillstand Tod bedeutet.

„Um beim Reden Verständiges zu meinen, muß man sich stützen auf das dem All Gemeine, wie auf das Gesetz die Stadt sich stützt, und viel stärker noch. Nähren sich doch alle menschlichen Gesetze von dem Ei- nen, dem Göttlichen: denn das herrscht soweit es will und reicht hin im All und setzt sich durch." (B 114) Das Denken ist die Stätte, die im Wandel der mannigfaltigen Erschei- nungen das Gemeinsame, das Be- ständige und je dasjenige aufsucht, was sich als Bleibendes im Wechsel der Gestalten durchhält. Ein Baum wird stets als Baum erkannt, ganz gleich in welcher Wachstumsphase er sich befindet, welchen jahreszeit- lichen Wandel er zeigt und welche vielfältigen Umrißformen der im Wind zappelnden Blätter ihn prägen.

Der Logos, der in der Seele des Men- schen spricht, weist untrüglich auf das Wesentliche hin, indem er es als solches nennt.

„Daher muß man dem Allgemeinen folgen. Aber obwohl der Logos all- gemein ist, leben die Menschen, als hätten sie ein Denken für sich." (B 2) Für sich, privat, heißt griechisch

„idion". Diejenigen aber, die sich so verhalten als hätten sie ein Denken für sich und als hätten sie eine Pri- vat-Vernunft, diese nennen wir die

„Idioten". Dieses Wort hat seinen Sinngehalt seit den Griechen beibe- halten und trifft auch heute noch genau das in ihm Gedachte.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 46 vom 13. November 1980 2771

(3)

Herakles in der Unterwelt, er holt den Hund Kerberos aus dem Tartaros;

neben ihm Her- mes. Der Weg zur Unterwelt führte durch Ströme, die See- len wurden feucht. Aus- schnitt aus ei- nem Vasenge- mälde

Heraklit: Das menschliche Wesen

„Steigen wir hinein in die gleichen Ströme, fließt anderes und anderes Wasser hinzu. Auch Seelen dampfen herauf aus dem Feuchten." (B 12) Soll die Seele nicht wieder in die Unterschiedslosigkeit• des fließen- den Stromes (der Weltenseele) her- absinken, muß sie das Feuerele- ment, den Logos, aufnehmen, um so zur Vollkommenheit und Selbstän- digkeit zu gelangen.

„Trockene Seele — die klügste und vollkommenste." (B 118)

Der Grund für die Trockenheit der menschlichen Seele und ihrer Teil- nahme am Feuerartigen liegt in der Logos-habe.

„Die Seele hat den Logos, der aus sich heraus immer reicher wird."

(B 115)

Wird der trockene Seelenanteil nicht durch das Feuchte, z. B. durch Trun- kenheit, vernichtet, so wird er aus sich heraus reicher und reicher.

Durch den feuerartigen Logos eig- net der Seele die Vernunft; denn das Feuer ist seinerseits vernunftbegabt:

„Feuer eignet ein Sinnen" oder „ein bei Sinnen sein" (B 64a). Das sin- nende Denken kommt aber nur der trockensten und klügsten, der menschlichen Seele zu. Den Unter- schied der menschlichen Seelen zu den tierischen eröffnet uns die Ver- bundenheit mit den Elementen, zu denen sie sich hingezogen fühlen.

Menschen mit den trockensten See- len baden im klaren, reinen Wasser, so wie sich allgemein die Gegenteile

zusammenfügen. Die Mischseelen der Tiere, die selbst feucht sind, zieht es zum Gegenteil der Feuchtig- keit, zum erdigen, trockenen Staub.

„Schweine haben am Dreck mehr Lust als an sauberem Wasser." (B 13) „Schweine baden im Schlamm, Geflügel im Staub." (B 37).

In der Rangordnung der tierischen Seelen steht das Geflügel hinter den Säugetieren und den Menschen, was mit der überlieferten Meinung der Entwicklungsgeschichte der Tie- re in Genesis 1, 20 ff. und unseren naturwissenschaftlichen Erkennt- nissen übereinstimmt.

Die feuchte Seele — Lust oder Tod

Sollte die menschliche Seele feucht werden, droht ihr die Unvollkom- menheit der tierischen Seele und das heißt, daß sie von instinkthaften Begierden geleitet wird. Heraklit nennt diese leitenden Kräfte auch die Lust. Zwar werden die Seelen aus der Lust der bewegten Begierde geboren, doch müssen sie sich hü- ten, wieder in den feuchten Lebens- strom herabgezogen zu werden;

denn dies bedeutet, in den Begier- den zu ertrinken und so zu Tode zu kommen.

„Seelen, die feucht werden, eignet Lust oder Tod." (B 77)

„Ein Mann, der trunken ist, läßt sich leiten von einem Knaben; sein Fuß ist unsicher, und er merkt nicht, wo- hin es geht; denn seine Seele ist feucht." (B 117)

Der leblos gewordene Körper liegt wert- los im Reich des Hades. Die Seele, das Lebensprinzip, verläßt den Toten in der Gestalt von Schlangen. Aus „Virgil"

Fotos (4): Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Tod heißt bei Heraklit Stillstand. Ein relativer Stillstand liegt schon im be- trunkenen Körper vor. Die Trunken- heit der Seele ist aber eng mit Be- gierde und Lust verbunden, was die allgemeine Anschauung und die täg- liche Beobachtung bestätigen. Der betrunkene Mann, der unsicheren Fußes schwankt . und nicht merkt, wohin er geht, ist nicht bei Sinnen, und er kann dies auch nicht sein;

denn das, was für das „Bei-Sinnen- Sein" verantwortlich ist, das ist das Feuer, das nun durch die Feuchtig- keit und die Betrunkenheit der Seele verzehrt wurde. Unsere menschliche Seele ist stets im Kampf mit diesen todbringenden Begierden, die uns verschlingen wollen.

• Wird fortgesetzt

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Norbert Kohnen Remigiusstraße 33 5000 Köln 41

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