DIZIN KURZBERICHT
Parathormon-related Protein (PTHrP):
Ein neuer Tumormarker bei der Tumorhyperkalzämie*
Friedhelm Raue, Eberhard Blind'
Problemstellung
Bei etwa 1 Prozent der Kranken- hauspatienten findet sich eine Hy- perkalzämie. Häufigste Ursache ist ein Tumorleiden, die zweithäufigste ein primärer Hyperparathyreoidis- mus (1). 10 bis 20 Prozent aller Tu- morpatienten entwickeln im Verlauf ihrer Erkrankung eine Hyperkalz- ämie, meist im fortgeschrittenen Tu- morstadium. Bei Frauen ist es beson- ders das Mammakarzinom, bei Män- nern das Bronchialkarzinom (vom Plattenepithelkarzinomtyp), welches zur Entwicklung einer Hyperkalz- ämie neigt. Findet sich als Ursache hierfür keine ossäre Metastasierung,
Parathormon-related Protein (PTHrP) als pathogenetischer Faktor für die Tumorhyperkalzämie
1987 konnte aus verschiedenen Tumoren, die eine Hyperkalzämie verursachten, ein Protein, das Parat- hormon-related Protein (PTHrP), isoliert, gereinigt und kloniert wer- den (3). Es ruft eine ähnliche Wir- kung wie Parathormon (PTH) am Knochen und an der Niere hervor.
Acht der 13 ersten Aminosäuren bei- der Peptide sind identisch, die übrige Aminosäurensequenz (bei PTH bis Aminosäure 84, bei PTHrP bis 139-173) ist komplett unterschiedlich (Abbildung 1). PTHrP bindet am PTH-Rezeptor. Ob es einen eigenen PTHrP-Rezeptor gibt, bleibt abzu- warten. In den letzten zwei Jahren wurden Bestimmungsmethoden für PTHrP entwickelt, die die pathophy- siologische Rolle des PTHrP bei der
so spricht man bislang von einer pa- raneoplastischen Hyperkalzämie. Als Ursache dieser humoral vermittelten Hyperkalzämie wurde schon lange die Sekretion eines parathormonähn- lichen Proteins durch den Tumor vermutet, da zahlreiche biochemi- sche Gemeinsamkeiten zwischen die- sem Krankheitsbild und dem primä- ren Hyperparathyreoidismus beste- hen. Für die Differentialdiagnose zwischen diesen beiden häufigsten Ur- sachen der Hyperkalzämie könnte zu- künftig der Nachweis dieses vom Tu- mor sezernierten parathormonähnli- chen Peptides im Blut von Bedeutung sein, gegebenenfalls könnte es auch als Tumormarker eine Rolle spielen.
Tumorhyperkalzämie belegen. 60 bis 90 Prozent der Patienten mit Tumor- hyperkalzämie haben, je nach Be- stimmungsmethode, erhöhte PTHrP- Spiegel (2, 8) (Abbildung 2). Erhöhte PTHrP-Spiegel findet man weitge- hend unabhängig davon, ob Kno- chenmetastasen vorhanden sind oder nicht. Es ist also nicht mehr gerecht- fertigt, die Tumorhyperkalzämie ab- hängig vom Vorhandensein von Kno- chenmetastasen in eine lokalosteoly- tische Form und eine humorale oder paraneoplastische Form zu unter- scheiden. Bei beiden Formen kann die Hyperkalzämie offensichtlich durch PTHrP vermittelt werden. Es wird sogar vermutet, daß PTHrP als
Medizinische Universitätsklinik und Poli- klinik, Innere Medizin I (Ärztlicher Direktor:
Prof. Dr. med. Reinard Ziegler), Heidelberg
* Mit finanzieller Unterstützung des Tumor- zentrums Heidelberg/Mannheim und der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Wegbereiter für die Knochenmeta- stasierung wichtig ist oder zumindest die Metastasierung begünstigt (5).
Dagegen spielt PTHrP bei hämatolo- gischen Systemerkrankungen (insbe- sondere Lymphomen und Plasmozy- tomen) keine entscheidende patho- genetische Rolle, nahezu alle unter- suchten Patienten mit dieser Erkran- kung hatten normale PTHrP-Spiegel.
PTHrP-Immunoassays
In den letzten drei Jahren wur- den verschiedene Immunoassays ge- gen PTHrP entwickelt, meist gegen das biologisch aktive aminoterminale Ende (8). Dabei fanden sich meist sehr niedrige PTHrP-Spiegel, so daß klinisch nützliche Assays nur durch eine vorgeschaltete Probenextraktion oder durch Messung mit der Two- site-Methodik zu verwirklichen wa- ren (4). Die Stabilität von PTHrP im Plasma, gemessen mit diesen Assays, ist gering. Nur durch Zugabe von Proteinaseninhibitoren und schneller Aufarbeitung der Proben sind zuver- lässige Meßergebnisse zu erzielen.
Dagegen zeigten Assays gegen das carboxyterminale Ende von PTHrP höhere und stabilere Serumspiegel, aber., als Nachteil, eine Akkumulati- on dieser Fragmente bei Nierenin- suffizienz (6). Diese Ergebnisse zei- gen, daß im Serum verschiedene Fragmente von PTHrP zirkulieren, ähnl ich wie beim PTH. Eine weitere Möglichkeit stellt die Messung von PTH rP mit Radioimmuno-Assays ge- gen den mittelregionalen Abschnitt des Proteins dar, wie sie von unserer Gruppe verwendet wird (2). Keine dieser Meßmethoden ist derzeit in je- der Hinsicht voll befriedigend. In ge- wisser Analogie zu dem heute über- Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 51/52, 27. Dezember 1993 (35) A1-3439
Nieren- K+ K- Malignome pHPT
insuff. Hämatol. Solide i +
n = 21 „ = 34 Normo-
n = 14 n = 27
1 calc.
Malignome + Hypercalc. n r-- 32 Normale
n = 87
PTHrP (pmo1/1)
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0
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0 0
203- 115
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80-
60-
40-
20
Abbildung 2: Plasma- konzentration von mid- regionalem PTHrP bei 87 Kontrollpersonen, 21 Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus (pHpt), 34 Patienten mit Niereninsuffizienz, bei 41 Patienten mit Turmorhyperkalzämie, davon 10 mit Knochen- metastasen (K +) und 17 ohne Knochenmeta- stasen (K —) und 32 Patienten mit Tumor und normalem Serum- Kalziumspiegel (Nor- malbereich gestrichelt, Nachweisgrenze 5 pmo1/1)
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MEDIZIN
Abbildung 1: Strukturelle und funktionelle Domä- nen der Aminosäuresequenz von humanem Parat- hormon (hPTH) und humanem Parathormon-re- lated Protein (hPTHrP)
wundenen Meßproblem von Parat- hormon ist zu hoffen, daß die Ent- wicklung robuster Two-site-Assays für PRHrP mit Erfassung des biolo- gisch aktiven N-terminalen Endes in niedriger Konzentration gelingt.
PTHrP in der
Differentialdiagnose der Hyperkalzämie
Die häufigste Ursache der Hy- perkalzämie ist bei Krankenhauspa- tienten die Tumorhyperkalzämie (1), wohingegen bei ambulanten Patien- ten der primäre Hyperparathyreo- idismus überwiegt. Beide Erkrankun- gen zusammen machen 80 bis 90 Pro- zent der Hyperkalzämieursachen aus. Während mit Two-site PTH-As- says (intakt PTH) die Diagnose des primären Hyperparathyreoidismus sicher gestellt werden kann, ist dies für die Tumorhyperkalzämie schwie- riger und meist nur im Sinne einer Ausschlußdiagnose möglich. Mit dem mittelregionalen PTHrP-Assay läßt sich in fast 80 Prozent der Fälle ein positiver Nachweis der Tumorhyper- kalzämie durch erhöhte PTHrP-Spie- gel erbringen (2). Dadurch wird die Differentialdiagnose der Hyperkalz- ämie erheblich erleichtert, da nur ei-
KURZBERICHT
ne kleinere Anzahl von Patienten üb- rig bleiben, die weder erhöhte PTH noch PTHrP Spiegel haben (Abbil- dung 3). Dabei handelt es sich dann meist entweder um hämatologische Systemerkrankungen oder um ande- re seltene Ursachen, wie Vit- amin-D-Intoxikation oder Thiaziddi- uretikaeinnahme.
PTHrP als Tumormarker 80 bis 90 Prozent der Patienten mit Tumorhyperkalzämie haben er- höhte PTHrP-Spiegel. Zwischen dem PTHrP und dem Serum-Kalzium- spiegel findet sich meist eine positive Korrelation. Die Frage, ob ein erhöh- ter PTHrP-Spiegel bei noch norma- lem Serum-Kalziumspiegel vor- kommt, ist zur Zeit noch nicht sicher
zu beantworten. Der prädiktive Wert eines erhöht gefundenen PTHrP- Spiegels oder des Nachweises von PTHrP in der Immunhistologie be- züglich der Entwicklung von Kno- chenmetastasen oder einer Hyper- kalzämie ist noch umstritten (5).
PTHrP wird vorzugsweise von be- stimmten histologischen Tumortypen exprimiert, beispielsweise dem Mam- makarzinom und dem Bronchialkar- zinom (Plattenepithel). Ob bei die- sen Tumoren ein systematisches Screening sinnvoll ist, bleibt abzu- warten. Ist der PTHrP-Spiegel er- höht, kann er im Follow-up als Tu- mormarker eingesetzt werden. Nach erfolgreicher Therapie (Chemothe- rapie, Operation) kommt es bei zuvor erhöhten PTHrP-Spiegeln zu einem Abfall von PTHrP (Abbildung 4).
Während systematischer kalziumsen- kender Therapie mit Bisphosphona- ten bleiben dagegen die PTHrP-Spie- gel unverändert. Bisphosphonate hemmen die durch PTHrP vermittel- te Osteolyse, beeinflussen aber of- fenbar nicht die Sekretion von PTHrP aus dem Tumor (7).
Ausblick
Die Untersuchungen zur Physio- logie des PTHrP sind noch bruch- stückhaft. Es scheint eine wichtige Rolle bei der Laktation (PTHrP- Spiegel in der Muttermilch sind etwa um den Faktor 10 000 höher als im Blut), bei der Kalziumregulation des Feten (im transplazentaren Kalzium- transport) und in der Regulation der A1 -3440 (36) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 51/52, 27. Dezember 1993
Abbildung 3: Plasma- konzentration von mid- regionalem PTHrP (x- Achse) und Intakt-PTH (y-Achse) gleichzeitig gemessen bei 21 Patien- ten mit primärem Hyper- parathyreoidismus (•), 14 Patienten mit hä- matologischen System- erkrankungen (A) und Hyperkalzämie und 25 Patienten mit soliden Tumoren (0) und Hy- perkalzämie (Normbe- reiche gestrichelt)
60 80 100 120 203 PTHrP (pmol/I)
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Abbildung 4: Plasma-PTHrP- und Serum-Kalziumspiegel bei einem 47jährigen Patienten mit Bronchialkar- zinom im Verlauf der Erkrankung unter Chemotherapie und systemischer, kalziumsenkender Therapie
MEDIZIN KURZBERICHT / NOTIZ
Haut (Keratozyten exprimieren phy- siologischerweise PTHrP) zu spielen.
Möglicherweise ist PTHrP ein loka- ler Wachstumsfaktor, der unter phy- siologischen Bedingungen nur in ge- ringen Mengen in der Zirkulation er- scheint. Über Faktoren, welche die Expression und Sekretion von PTHrP regulieren, ist wenig bekannt;
in vitro sind es jedoch unter anderem Glukokertikoide, 1,25 OH2-Vit- aminD3 und Zytokine. Die Wirkung von PTHrP am Knochen kann dar- über hinaus durch Zytokine, die im Rahmen des Tumorleidens freige- setzt werden, moduliert werden.
Neue Erkenntnisse in der Sekretion und Wirkung von PTHrP können da-
her zu neuen Ansätzen führen, die Tumorhyperkalzämie, neben der Wirkung am Knochen, auch durch Beeinflussung der Sekretion von PTHrP zu beeinflussen.
Deutsches Arzteblatt
90 (1993) A,-3439-3441 [Heft 51/52]
Literatur
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Nissenson, Ed. CRC press, Boca Raton (1992) pp. 93-143
Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Friedhelm Raue Medizinische Universitäts-Klinik Bergheimer Straße 58
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Deutsches Arzteblatt 90, Heft 51/52, 27. Dezember 1993 (37) A1-3441