A K T U E L L
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A2544 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 403. Oktober 2003
Parlamentarischer Abend
Rüttelstrecke für die
Gesellschaft
Die Ärzteschaft lud Politiker, Vertreter des Gesundheitswesens und Journalisten ein.
B
undesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) schau- te nur kurz beim Parlamenta- rischen Abend von Bundes-ärztekammer (BÄK) und Kassenärztlicher Bundesver- einigung (KBV) in Berlin her- ein. Doch sie brachte interes- sante Erkenntnisse mit. Zum ersten Mal sei sie sich einig mit Elis Huber, der angesichts ih- res Reformvorhabens gesagt habe: „In dem Gesetz steckt eine kleine Revolution.“ So urteilten viele am Vorabend der Verabschiedung des GKV- Modernisierungsgesetzes. Die Gesundheitsreform werde die Gesell- schaft „auf eine har- te Rüttelstrecke“ brin- gen,prophezeite BÄK- Präsident Prof. Dr.
med. Jörg-Dietrich Hoppe. In zehn Jah- ren werde man „völ- lig neue Strukturen“
vorfinden. So sah es auch Dr. med. Man- fred Richter-Reich- helm: „Das Gesetz wird unterschätzt.“
Durch die Möglich- keit, Einzelverträge abzuschließen, sei viel mehr möglich als auf den ersten Blick erkennbar, ebenso durch die Öffnung der Kranken- häuser für die ambulante Versorgung. Der KBV-Vor-
sitzende kündigte an, man werde keine Blockadehal- tung einnehmen, sondern in den Wettbewerb mit Konkur- renten treten. Zurückhaltend äußerte sich Regina Görner, Gesundheitsministerin des Saarlandes, in dessen Landes- vertretung Ärzteschaft und
Besucher zu Gast waren. Die Strukturprobleme des Ge- sundheitswesens seien noch nicht gelöst, sagte die CDU-Politikerin. Sie hätte sich gewünscht, dass „Rah- menbedingungen für ein paar Jahre“ gesetzt worden
wären. Rie
S
eit die Bezahlbarkeit me- dizinischer Leistungen in Deutschland immer wichtiger wird, rücken auch Leitlinien stärker in den Vordergrund der Debatte. Die rechtlichen Konsequenzen solcher Vor- gaben und ihre möglichen un- erwünschten Nebenwirkun- gen fanden bislang allerdings wenig Beachtung. Darauf wies am vergangenen Wo- chenende in Berlin Prof. em.Dr. med. Jürgen Hammer- stein hin, Geschäftsführer der Kaiserin-Friedrich-Stiftung für das ärztliche Fortbildungs-
wesen. Sie veranstaltete zum Thema „Ökonomisierung der Medizin – Standards und Leitlinien“ ihr 28. Symposium für Ärzte und Juristen, dieses Mal gemeinsam mit der Deut- schen Gesellschaft für Medi- zinrecht.
Dr. jur. Rainer Hess verwies dabei auf das GKV-Moderni- sierungsgesetz, das einen Ge- meinsamen Bundesausschuss vorsieht, der Qualitätsvorga- ben mit unmittelbarer Ver- bindlichkeit für Ärzte, Patien- ten und Krankenhäuser unter- breiten soll. Der Hauptge- schäftsführer der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung hält eine solche direkte Rechtsver- bindlichkeit für problematisch und meinte, dass man grund- sätzlich weder Ärzte noch Pa- tienten zu stark „gängeln“ sol- le. Hess nannte als zweites Beispiel einer zu erwartenden stärkeren Normierung der Versorgung die strengen Vor- gaben des Bundesversiche- rungsamtes für Disease-Man- agement-Programme.
Eine realistische Einstel- lung zu den Einflussmög- lichkeiten durch Leitlinien mahnte Prof. Dr. med. Micha- el Linden an. In der Arztpra- xis laufe manches anders ab, als man es zuweilen ver- mute. Linden forderte des- halb, Leitlinien erst einzu- führen, wenn empirisch über- prüft sei, dass Ärzte in Kennt- nis und Anwendung einer Leitlinie beim Patienten Bes- seres bewirkten als „Leitlini-
en-Naive“. Rie
Kinderzahnheilkunde
Lehrstuhl vor dem Aus
Forderung: Personalabbau stoppen
D
er einzige in Deutschland ver- bliebene Lehrstuhl für Präventi- ve Zahnheilkunde – angesiedelt an der Universität Jena mit Sitz in Er- furt – steht vor dem Aus. Grund sind geplante Personalkürzungen von 14 auf 3,8 Vollzeitkräfte. Sie würden nach Ansicht der Deutschen Gesell- schaft für Zahn-, Mund- und Kiefer- heilkunde und der Vereinigung der Hoch- schullehrer für Zahn-, Mund- und Kieferheil- kunde dazu führen, dass der Lehrstuhl seine Forschungs- und Lehrtätigkeit im Sinne einer modernen, prophylaxeorientierten Zahnme- dizin nicht mehr erhalten könnte. Der Lehr-stuhl ist nach eigenen Angaben führend auf den Gebieten der Fluoridforschung, Fissu- renversiegelung sowie Kariesfrühdiagnostik.
Vor diesem Hintergrund forderten mehrere Vereinigungen der Zahnmediziner, den Per- sonalabbau in Erfurt zu stoppen. BS Verwaiste Labors, leere Hörsäle als Folge drastischen Perso- nalabbaus: Dies droht nach Ansicht von Experten dem Lehr- stuhl für Präventive Zahnheilkunde der Universität Jena.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt schaute nur kurz beim Empfang vorbei.
Leitlinien
Nicht frei von Nebenwirkungen
Fortbildung: Instrumentalisierung von Standards für ökonomische Zwecke
Foto:Norbert Krämer
Foto:Norbert Hirsch