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Die Entwicklung kognitiver Prozesse bei Menschen mit geistiger Behinderung

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Universität Bremen Sommersemester 2009 Studiengang Inklusive Pädagogik

Seminar: Entwicklung und Entwicklungsstörungen in den ersten Lebensjahren Dozentin: xxx

xxx

Die Entwicklung kognitiver Prozesse bei Menschen mit geistiger Behinderung

Vorgelegt von:

Sandra Pohl Matrikelnr. xxxx Adresse Adresse

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Inhalt

1. Einleitung

2. Theorien der kognitiven Entwicklung

1. Piagets Stufenmodell der geistigen Entwicklung 2. Informationsverarbeitungsmodell

3. Kognitive Entwicklung bei geistig behinderten Menschen 1. Beeinträchtigte Prozesse bei der Informationsverarbeitung 2. Motivationale Entwicklung

3. Diagnostik in früher Kindheit

4. Fazit

5. Literatur

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1. Einleitung

Es gibt zahlreiche Erklärungsansätze zu den Entstehungshintergründen einer geistigen Behinderung. Neurologen sehen die Ursache hauptsächlich bei biologisch-genetischen Schädigungen im Gehirn, während pädagogisch-anthropologische Theorien die

Normalisierung und somit eher gesellschaftliche Prozesse sowie die kommunikative und soziale Entwicklung geistig behinderter Menschen in den Mittelpunkt der Forschung stellen. Diese Arbeit soll sich mit entwicklungspsychologischen Theorien zur Kognition befassen. Dabei ist eine zentrale Frage, ob die Intelligenzentwicklung bei geistig

behinderten Menschen im Vergleich zu normaler Entwicklung als ein reines verzögertes Erreichen von Entwicklungsstufen zu betrachten ist, oder ob es spezielle Besonderheiten in der Entwicklung gibt.

Hierzu werden in dieser Arbeit zunächst grundlegende Modelle zur allgemeinen kognitiven Entwicklung beschrieben, um anhand dieser die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur kognitiven Entwicklung bei geistig behinderten Menschen aufzuführen.

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2. Theorien der kognitiven Entwicklung

Theorien der kognitiven Entwicklung beschreiben die Fähigkeiten eines Kindes im Denken und zur Wissensaneignung in verschiedenen Altersstufen. Der Klassiker dieser Art von Theorien ist Piagets Stufenmodell der geistigen Entwicklung, auf der auch viele neuere Theorien aufbauen. Diese und alternative Modelle sollen nun in diesem Kapitel

beschrieben werden.

2.1. Piagets Stufenmodell der kognitiven Entwicklung

Piaget war ein Vertreter des Konstruktivismus, er vertrat also die Ansicht, dass sich das Kind aktiv sein Wissen in Interaktion mit seiner Umwelt erschließt. Er sieht diesen Prozess als ein Wechselspiel zwischen zwei Komponenten: in der Assimilation wird neu

erworbenes Wissen in vorhandene mentale Strukturen eingefügt, in der Akkomodation passen sich diese mentalen Strukturen an die Umweltbedingungen an.

Die Entwicklung der intellektuellen Fähigkeiten beschriebt Piaget als ein Modell von vier aufeinander folgende Stadien, wobei jedes Stadium die Grundlage bildet für das nächste.

Es wird unterschieden zwischen (1) dem sensumotorischen Stadium (0 – 2 Jahre), (2) dem Präoperationalen Stadium (2 – 7 Jahre), (3) dem Konkret-operationalen Stadium (7 – 12 Jahre) und (4) dem Formal-operationalen Stadium (vgl. Sodian 2008, S. 437ff).

(1) Das Sensumotorische Stadium ist gekennzeichnet durch einfache Reflexe und elementare Wahrnehmungsfähigkeiten des Säuglings. Die Grundlage für das Denken wird ausgebildet durch die Aneignung sensumotorischer Schemata von Handlungen (vgl. Sodian 2008, S. 438). In den ersten Lebensmonaten werden angeborene Reflexe wie z.B. das Saugen angepasst auf unterschiedliche

Situationen, was sich dann über größere Verhaltenseinheiten ausweitet bis hin zu Wiederholung von Handlungen mit interessanten Effekten. Eine der wichtigsten kognitiven Entwicklungen ist das Bilden von Objektpermanenz, d.h. dass ein Objekt, das aus dem Sichtfeld des Kindes verschwindet, immer noch als existent angenommen wird. Diese Fähigkeit bildet die Grundlage für mentale

Repräsentationen, die ein symbolisches Denken ermöglichen. Dieses wiederum ist unter anderem die Voraussetzung für die Entwicklung von Sprache, weil Wörter immer Symbole sind für das, was mit ihnen gemeint ist.

(2) Im Präoperationalem Stadium kommt es nun zu der Ausbildung stabiler mentaler

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Repräsentationen. Hierdurch entwickelt das Kind auch die Vorstellung von Vergangenheit und Zukunft. Symbolisches Denken zeigt sich in Spiel,

Kommunikation und Sprache. Das logische Denken ist allerdings immer noch gebunden an reale Handlungen und einfache logische Regeln – die mentalen Repräsentationen können noch nicht in Gedanken manipuliert werden. Im sozialen Bereich zeigt sich dieses Stadium darin, dass das Kind unfähig ist, andere

Positionen wahrzunehmen und sich in die Perspektive anderer Personen

einzudenken. Man merkt diesen Egozentrismus z.B. in Gesprächen, in denen das Kind nur unzureichende Informationen gibt, weil es davon ausgeht, dass die andere Person über das gleiche Wissen verfügt wie es selbst.

(3) Im Konkret-operationalen Stadium werden abstrakte Begriffe wie der der Zahl, der Zeit und der Kausalität erworben und Reversibilität im Denken erlernt. Es können nun Aufgaben mit mehreren Dimensionen durchgeführt werden, jedoch sind abstraktere Denkvorgänge noch nicht möglich.

(4) Das Formal-operative Stadium sieht Piaget als den Idealtyp menschlichen Denkens an. Hier herrscht eine hypothesenbildende und theoretische Herangehensweise an Probleme. Von vorne herein werden alle möglichen Variablen einer Situationen erfasst, es können Schlussfolgerungen gezogen werden, wobei jedoch die eigene Erkenntnis als eine von vielen möglichen Perspektiven betrachtet werden kann.

Die an weitesten reichende Kritik an Piagets Modell ist die fehlende empirische Überprüfung. Unter dieser Prämisse haben in den 70er Jahren viele Forschungen stattgefunden, die teilweise einige Punkte der Theorie widerlegten. So fanden z.B.

Säuglingsforscher mit der Habituationsmethode heraus, dass eine mentale Repräsentation von Objekten bereits viel früher gebildet werden kann als von Piaget angenommen (vgl.

Sodian 2008, S. 444). Auch was die kognitive Kompetenz im Vorschulalter betrifft, sind die Aufgaben, die Piaget in seinen Untersuchungen gestellt hat, daraufhin hinterfragt worden, ob sie nicht bereichsspezifisches Wissen voraussetzen und deswegen nicht von allen Kindern gelöst werden konnten. Neue Untersuchungen ergaben jedoch, dass Kinder nicht viel anders kausal denken als Erwachsene, wenn sie Problemstellungen lösen, die an ihr Vorwissen angepasst sind. Es kommt also vielmehr auf das Verstehen der Phänomene an, um die sich die Aufgaben drehen und nicht auf das kausale Denken selbst (vgl. Sodian 2008, S.447).

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2.2. Informationsverarbeitungsmodell

Eine andere Theorie über kognitive Entwicklung beschreibt Denken als die Verarbeitung von Informationen (vgl. Sodian 2008, S. 449). Kognitive Funktionen gliedern sich in verschiedene Prozesse des Wissenserwerbs: (1) Aufmerksamkeit, also das Fokussieren auf relevante Informationen, ist Voraussetzung für die Wahrnehmung, also das Aufnehmen von Funktionen über das sensorische System. Von hier werden die Reize weitergeleitet in das (2) Gedächtnis und dort verarbeitet. Schließlich gibt es noch die (3) exekutiven

Funktionen wie die Planung von Handlungen, die Auswahl von Lösungsstrategien für Problemstellungen und die Kontrolle über das Ausführen einer Aufgabe (vgl. Sarimski 2003, S, 151).

(1) Aufmerksamkeit und Wahrnehmung

Es gibt drei Dimensionen von Aufmerksamkeit. Die selektive Aufmerksamkeit, also das Fokussieren auf relevante Information und das Ausblenden von Irrelevantem, ermöglicht z.B. zielgerichtetes Arbeiten, dem Folgen von Gesprächen und dem Ausblenden störender Geräusche. Die triadische Aufmerksamkeit, also das Ausrichten der Aufmerksamkeit mehrerer Personen auf dasselbe Objekt, ist wichtig für Kommunikation und Interaktion.

Zuletzt eröffnet die Daueraufmerksamkeit die Möglichkeit, über eine längere Zeitspanne kontrollierte Vorgänge auszuführen (Sarimski 2003, S. 159).

(2) Gedächtnisleistungen

Die Informationen werden schrittweise in verschiedenen Speichersystemen verarbeitet:

dem sensorischen Register oder auch Ultrakurzzeitgedächtnis, in dem alle Reize für eine gewisse Zeit gespeichert werden. Aus diesen Reizen wird eine Auswahl getroffen und in das Kurzzeitgedächtnis geleitet. Man vermutet, hier werden die Informationen bis zu 30 Sekunden gespeichert und wieder verworfen, wenn sie nicht ins Langzeitgedächtnis weitergeleitet und dort langfristig gespeichert werden (vgl. Sarimski 2003, S. 165). Eine Theorie von Case unterscheidet außerdem zwischen zwei Grundfunktionen des

Gedächtnisses: dem Arbeitsspeicher, in dem kognitive Prozesse ablaufen, und dem Kurzzeitspeicher, in dem die Ergebnisse dieser Prozesse kurzzeitig gespeichert werden (vgl. Büttner/ Schneider 2008, S. 486).

Baddeley unterscheidet außer den verschiedenen Speichersystemen auch verschiedene inhaltliche Bereiche des Gedächtnisses. Zum einen gibt es zwei verschiedene Verarbeitungssysteme: die artikulatorische Schleife verarbeitet

sprachliche Information und hat ihren Sitz in der linken Hirnhemisphäre, das visuell-

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räumliche Subsystem visuelle Reize mit Sitz in der rechten Hemisphäre (vgl.

Büttner/ Schneider 2008, S. 486).

Des Weiteren wird inhaltlich unterschieden zwischen dem deklarativen Gedächtnis, das bewusstes Wissen wie Erinnerungen und Fakten enthält, und dem impliziten Gedächtnis, das unbewusstes Wissen wie automatisierte Handlungsabläufe,

Konditionierungen, aber auch Gesichter und Orte speichert (vgl. Büttner/ Schneider 2008, S. 492).

In der Entwicklung des Menschen geschehen stadientypische Veränderungen all dieser mentalen Ressourcen. Wo Piaget beschriebt, dass Kinder im Vorschulalter noch keine mehrdimensionalen Aufgaben lösen können, besagt das

Informationsverarbeitungsmodell, dass dies nicht scheitert am logischen Denken, sondern an der begrenzten Kapazität des Arbeitsgedächtnisses. Untersuchungen haben ergeben, dass mit zunehmenden Alter des Kindes vor allem die

Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung steigt (vgl. Sarimski 2003, S. 167).

Auch die Fähigkeit, störende Handlungsimpulse oder andere Interferenzen zu hemmen, verbessert sich und führt somit zu mehr Effizienz bei der

Informationsverarbeitung. Das implizite Gedächtnis entwickelt sich bereits sehr früh – Neugeborene können sich schon gut Gesichter und Orte merken, allerdings verbessert es sich danach nicht viel mehr (vgl. Sarimski 2003, S. 167).

(3) exekutive Funktionen

Als exekutive Funktionen bezeichnet man die Fähigkeit, einen Plan für die Lösung eines Problems zu finden (vgl. Sarimski 2003, S. 173). Dabei sind wichtig die Absicht, irrelevante Reaktionen zu hemmen, eine Strategie mit mehreren Schritten anzuwenden und natürlich die mentale Repräsentation und Speicherung. Während diese Fähigkeit sich verbessert, wächst auch das Bestreben, komplexere Aufgaben zu lösen, sowie die

Leistungsmotivation und die metakognitiven Fähigkeiten.

Piaget nahm an, dass Kinder zu jedem Zeitpunkt immer nur auf eine bestimmte Art und Weise denken können. Siegler geht im Gegensatz dazu von einer kognitiven Variabilität aus (vgl. Sodian 2008, S. 450): es gibt nicht nur eine Strategie der Problemlösung, sondern Kinder setzen dann auch alternative Strategien ein. Neue Strategien ersetzen alte nicht in einem plötzlichen Konflikt, sondern die adäquatere gewinnt allmählich, wobei die Effizienz der Strategie entscheidend ist. Es bilden sich durch Selektion und Anpassung nach evolutionsbiologischem Muster immer anspruchsvollere Strategien aus. Diese „Theorie überlappender Wellen“ ist eine

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Alternative zu der Stadientheorie.

All diese Funktionen bilden eigenständige Komponenten des Ganzen. Die Entwicklung dieser Komponenten geschieht nicht zeitgleich. Im Säuglingsalter wachsen die

Fähigkeiten Wahrnehmung und Aufmerksamkeit in hohem Maße, die sprachlichen Fähigkeiten und exekutive Funktionen entwickeln sich dagegen im Kindes- und Jugendalter schneller.

Die Effizienz unserer kognitiven Funktionen ist individuell unterschiedlich und abhängig von den einzelnen Teilleistungen. Im „Modell der minimalen kognitiven Architektur“ nach Anderson lässt sich unser Denken mit der Funktionsweise eines Computers vergleichen (vgl. Sodian 2008, S. 449; Sarimski 2003, S. 152). Anhand dieser Metapher wird deutlich, dass die Zusammenstellung der einzelnen Komponenten über die Gesamtleistung

entscheidet. Die Hardware besteht aus Arbeitsspeicher (Arbeitsgedächtnis), Festplatte (Wissensbasis im Langzeitgedächtnis), Prozessor (Verarbeitungsgeschwindigkeit) und den Eingabegeräten zur Wahrnehmung und auch zur Hemmung von Irrelevantem. Dazu

kommt die Software als bereits angeeignetes Wissen und Strategien zur Lösung von Problemen.

Zu den genannten basalen Informationsverarbeitungsprozessen kommen noch modulare Kompetenzen dazu, die sich unabhängig zu ersteren entwickeln. Dazu gehören unter anderem die dreidimensionale Wahrnehmung, phonologisches Enkodieren beim Lesen, die Theory of Mind (die Fähigkeit, andere Perspektiven wahr- und einzunehmen als die eigene) oder musikalische und künstlerische Fähigkeiten (Sarimski 2003 (2), S. 44).

Mit diesem Modell lassen sich auch Piagets Stufen der Intelligenzentwicklung erklären, wenn man die Entwicklung als Reorganisationsprozess betrachtet, der abhängig ist von Bearbeitungsstrategien. Kognitive Fortschritte bestehen dann darin, wenn das Kind

Informationsverarbeitungsprozesse automatisiert, Strategien entwickelt für ein effizienteres Arbeitsgedächtnis und sich mehr Wissen angeeignet hat zum schnelleren Vergleichen und Kombinieren von Information.

3. Kognitive Entwicklung bei geistig behinderten Menschen

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Die entscheidende Frage zur kognitiven Entwicklung bei Menschen mit geistiger

Behinderung ist, ob nur eine Verzögerung in der Entwicklung durchlaufen wird oder ob es Besonderheiten gibt, die spezifisch sind für eine Geistige Behinderung oder verschiedene genetische Syndrome. Diese Frage soll in folgendem Kapitel aufgegriffen werden.

Die „similar-sequence-Hypothese“ (vgl. Sarimski 2003, S. 156) besagt, dass Menschen mit geistiger Behinderung die gleichen Entwicklungsschritte durchlaufen wie nicht behinderte Menschen, diese aber zu einem späteren Zeitpunkt erreichen. Deshalb gibt es viele Untersuchungen, in denen Menschen mit geistiger Behinderung ein „mentales Alter“

zugeschrieben bekommen, das anzeigt, auf welcher kognitiven Entwicklungsstufe sie sich gerade befinden.

Allerdings ist jedoch der Entwicklungsverlauf nicht immer linear, sondern geistig

behinderte Menschen haben bei manchen Stufenübergängen größere Schwierigkeiten.

Diese Zeitspannen können je nach genetischem Syndrom variieren1.

3.1. Beeinträchtigte Prozesse in der Informationsverarbeitung

Sarimski beschreibt anhand des Informationsverarbeitungsmodells die Entwicklung der einzelnen Verarbeitungsprozesse und deren Besonderheiten bei Menschen mit geistiger Behinderung. Er bezieht sich dabei auf Forschungsergebnisse, die hauptsächlich aus dem englischsprachigen Raum kommen (Sarimski 2003, S. 158) und sich überwiegend auf Tests mit Menschen mit leichterer geistiger Behinderung beziehen.

In Stadien der Aufmerksamkeitsentwicklung in früher Kindheit fällt eine leichte

Ablenkbarkeit auf. Dadurch ist die Suche nach bestimmten Informationen innerhalb eines Feldes von Reizen nicht sehr effizient und auch die Daueraufmerksamkeit fällt schwer.

Wenn man geistige Behinderung als eine Verlangsamung der Entwicklung begreift, haben Menschen mit geistiger Behinderung also ein mentales Alter, dass ihrem biologischen Altern um ein oder mehrere Jahre zurücksteht. Dies belegen auch die von Sarimski herangezogenen Studien zur Aufmerksamkeit geistig behinderter Kinder (Sarimski 2003, S. 162f). Sie haben Schwierigkeiten, bei einer Aufgabe zu bleiben, sind leicht ablenkbar.

1 Klaus Sarimski führt in seiner „Entwicklungspsychologie genetischer Syndrome“ (2003) Variabilität und Gemeinsamkeiten in der Entwicklung ausgewählter genetischer Syndrome auf, die mit geistiger Behinderung einhergehen.

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Außerdem können sie schwer ihre Aufmerksamkeit auf mehrere Aspekte einer Situation gleichzeitig richten und alle für die Aufgabe relevanten Informationen zu erfassen. Auch haben sie Schwierigkeiten bei Veränderungen einer Situation. Dabei ist anzumerken, dass sie nicht mehr Fehler machen als nicht-behinderte Kinder, aber länger brauchen.

Bei der Daueraufmerksamkeit waren geistig behinderte Kinder schneller überfordert, wenn die Aufgabe neben der reinen Aufmerksamkeit auch andere Verarbeitungsprozesse, wie zum Beispiel dem Abspeichern von Information im Gedächtnis, forderte: z.B. bei der Aufgabe, das fehlende Element in einer Zahlenreihe zu finden, was das Aufrufen der Information der Zahlenreihe erfordert (Sarimski 2003, S. 163).

Die langsamere Verarbeitung und die schwerfallende Hemmung von störenden Reizen lassen nicht auf ein generelles Defizit in Aufmerksamkeitsprozessen schließen, sondern auf eine Entwicklungsverzögerung. Allerdings deutet die Tatsache, dass sich geistig behinderte Kinder beim Lösen von Aufgaben keine Strategien aufrechterhalten können, auf spezielle Besonderheiten oder Schädigungen der Hirnstruktur hin (Sarimski 2003, S.

163).

Ähnliche Beobachtungen lassen sich auch im Bereich der Gedächtnisprozesse feststellen.

Geistig behinderte Menschen haben besonders beim aktiven Verarbeiten von

Informationen Schwierigkeiten. Es werden kaum Lernstrategien (z.B. leises Aufsagen, gedankliche Einordnung in Kategorien oder Pausen nutzen zum Rekapitulieren) benutzt, außer bei Aufgaben mit sehr niedrigen Leistungsanforderungen. Jedoch lassen sich bei Aufgaben, die keine Speicherung der Informationen notwendig machen, gleiche

Leistungen wie bei nicht-behinderten Kindern feststellen, wodurch das wenige Anwenden von Lernstrategien als Entwicklungsverzögerung zu verstehen ist (Sarimski 2003, S. 169).

Aufgrund der fehlenden Lernstrategien brauchen geistig behinderte Kinder aber bei der Informationsverarbeitung mehr Kapazität im Arbeitsgedächtnis. Durch diese Konzentration aber können die Informationen nicht so leicht im Langzeitgedächtnis abgespeichert

werden, was besonders auch bei sprachlichem Lernen auffällt. Diese Fähigkeiten verändern sich im Laufe der Entwicklung kaum, so dass mit zunehmenden Alter immer weniger Zuwachs an Wissen im Gegensatz zu nicht-behinderten Menschen geschieht (Sarimski 2003. S. 170).

Entgegen den Gedächtnisleistungen, die sprachliche oder aktive Strategien erfordern, ist das implizite Gedächtnis unbeeinträchtigt. Im bildlichen Speichern von Orten, Gesichtern oder motorischen Abläufen zeigen geistig behinderte Kinder die gleichen Leistungen wie

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nicht-behinderte Kinder (Sarimski 2003, S. 171).

Ein weiteres Defizit liegt in der Übertragung der erlernten Strategien auf andere

Problemstellungen, was auch ein Problem bei den exekutiven Funktionen darstellt. Geistig behinderte Kinder sind deswegen auf Anleitung und Vorstrukturierung von Aufgaben angewiesen. Es gestaltet sich als schwierig, Leistungen der exekutiven Prozesse isoliert zu betrachten, da diese Teilfertigkeiten wie Gedächtnisleistung, Wahrnehmung, selektive Aufmerksamkeit und die Speicherung von Zwischenergebnissen voraussetzen. Allerdings lassen sich doch deutliche Defizite feststellen, sobald über diese basalen Fähigkeiten verfügt wird. Diese lassen sich auch nicht durch Entwicklungsverzögerungen erklären, da die beobachteten Leistungen noch unter denen der Vergleichspersonen gleichen mentalen Alters liegen (Sarimski 2003, S. 176f).

3.2. Motivationale Entwicklung

Eine große Rolle bei der kognitiven Entwicklung spielt auch die Leistungsmotivation.

Eine Auseinandersetzung mit herausfordernden Aufgaben setzt Motivation und die Zuversicht in die eigenen Kompetenzen voraus. Anhand dieses Zusammenhanges lässt sich feststellen, dass die Interaktion des Kindes mit seiner Umwelt auch entscheidend ist für die kognitive Entwicklung.

Studien zur Leistungsmotivation von Kindern mit geistiger Behinderung ergaben, dass sie sich stärker verunsichern lassen und geringere Zuversicht in Erfolge haben. Hierzu gab man Kindern vor der herausfordernden Aufgabe eine wenig anspruchsvolle, bei deren Lösung sich Kinder als erfolgreich erleben konnten. Bei geistig behinderten Kindern führte dies zu einer Verbesserung der Leistungen bei der herausfordernden Aufgabe (Sarimski 2003, S. 178).

Sarimski erklärt diese Gegebenheit durch die frühkindliche Entwicklung (ebd.). In den ersten Lebensmonaten ist bei den meisten Kindern mit geistiger Behinderung eine geringe Aktivität und eine sehr leichte Ablenkbarkeit zu beobachten. Deswegen kann seltener eine aufeinander abgestimmter Interaktion zwischen Kind und seinen Bezugspersonen

hergestellt werden und es fehlt somit häufiger die Befriedigung durch eine abgeschlossene Handlung. Auf der anderen Seite neigen Erwachsene dazu, auf Schwierigkeiten des

Kindes mit stärkerer Führung und Lenkung zu reagieren. Kinder lernen dadurch, dass bei Schwierigkeiten jemand für sie da ist und ihnen bei den Aufgaben hilft, das Interesse an

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eigener Aktivität geht verloren, sie haben weniger Ausdauer und geben schneller auf.

Diese gelernte Hilflosigkeit und Außengerichtetheit ist eine Strategie, die aber

übergeneralisiert ist. Wenn sich dieses Verhaltensmerkmal festigt, erhöht sich auch die Abhängigkeit von anderen.

3.3. Diagnostik in früher Kindheit

Wie bereits aufgeführt, sind häufig Defizite in den exekutiven Fähigkeiten ein signifikantes Merkmal einer geistigen Behinderung. Da sich diese Verarbeitungsprozesse aber erst in späterer Kindheit entwickeln und abhängig sind von basalen Fähigkeiten, stellt sich die Frage, ob diese Entwicklungsstörungen schon in früher Kindheit erkannt und das Kind somit adäquat gefördert werden kann.

Forscher haben versucht, die piagetschen sensumotorischen Entwicklungsschritte mit der Entwicklung geistig behinderter Kinder in Verbindung zu bringen. Ihre Beobachtungen haben ergeben, dass bei Kindern mit geistiger Behinderung in den ersten Lebensmonaten die sensumotorische Entwicklung verlangsamt ist. Dies betrifft Fähigkeiten wie

Objektpermanenz, die Wahrnehmung räumlicher Beziehungen, exploratives Verhalten und die Imitation von Gesten und Lauten (Sarimski 2005, S. 146). Ab dem zweiten Lebensjahr verläuft auch die Entwicklung des symbolischen Spiels verlangsamt. In Beobachtungen zum Spielverhalten von Kindern lassen sich jedoch auch kognitive Funktionen wie

Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, die Reaktion auf ablenkende Reize und die Reaktion auf mehrere Informationsquellen gleichzeitig beobachten.

Klinische Versuche zum Zusammenhang mit Hirnschädigungen und Objektpermanenz haben ergeben, dass Leistungen in frühen kognitiven Teilprozessen Frühindikatoren sein können für Störungen der sich später entwickelnden exekutiven Funktionen. Dazu zählen die Objektpermanenz, das Mittel-Zweck-Verständnis (z.B. Benutzen eines Werkzeugs), Imitation (Nachahmung von Gesten, Gebrauch von Alltagsgegenständen),

Dezentralisierung (z.B. Nachahmung von sozialen Schemata bei einer Puppe), und triadische Aufmerksamkeit (die Abstimmung der gemeinsamen Aufmerksamkeit auf ein Objekt) (Sarimski 2005, S. 151). Anhand von Beobachtungen im Spielverhalten kann eine Frühdiagnostik von Intelligenzstörungen gestellt werden, die besonders den

Bezugspersonen helfen kann, ihr Kind durch die richtige Einschätzung seiner Fähigkeiten zu fördern und eine zu hohe oder zu niedrige Erwartungshaltung zu vermeiden.

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4. Fazit

Geistige Behinderung lässt sich anhand des Entwicklungsmodells von Piaget beschreiben als ein verzögertes Erreichen von Entwicklungsstufen, bei dem einige Schritte schwerer fallen. Nach dem Informationsverarbeitungsmodell sind Kernmerkmale einer geistigen Behinderung eine multiple Störung des aus den verschiedenen Verarbeitungsprozessen bestehenden Systems.

Komplexere Aufgaben müssen für Menschen mit geistiger Behinderung aufgrund ihrer schwachen Leistungen im Bereich der exekutiven Funktionen vorstrukturiert werden. Aber man muss dabei sehr aufpassen, dass man ihnen nicht zu strikte Vorgaben macht, um sie zu fördern, um ihre Motivation zu erhalten, auch komplexere Aufgaben allein zu lösen.

Man sollte also bei der Förderung der Leistungsmotivation beginnen. Wenn Kinder mit geistiger Behinderung von Anfang an gefördert werden, kann sich auch die kognitive Leistung erhöhen. Diese entwickelt sich nicht unabhängig von anderen

Entwicklungsbereichen, sondern diese stehen in einem Wechselspiel zueinander und hängen zusätzlich von vielen Einflüssen in der Umwelt ab. Der in dieser Arbeit aufgeführte Zusammenhang zwischen kognitiver und motivationaler Entwicklung zeigt, wie wichtig es ist, eine entwicklungsförderliche Umgebung für das Kind zu schaffen, die seinen

individuellen Bedürfnissen entspricht.

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5. Literatur

Büttner, Gerhard; Schneider, Wolfgang (2008): Entwicklung des Gedächtnisses bei Kindern und Jugendlichen, in: Oerter, Rolf; Montada, Leo: Entwicklungspsychologie, Weinheim: Beltz, S. 480 – 501.

Sarimski, Klaus (2005): Frühdiagnostik bei Intelligenzstörungen, in: von Suchodoletz (Hrsg.): Früherkennung von Entwicklungsstörungen, Göttingen: Hogrefe, S. 137 – 153.

Sarimski, Klaus (2003 (2)): Psychologische Theorien geistiger Behinderung, in:

Neuhäuser, Gerhard; Steinhausen, Hans-Christoph (Hrsg.): Geistige Behinderung.

Grundlagen, klinische Syndrome, Behandlung und Rehabilitation, Stuttgart: Kohlhammer, S. 42 – 54.

Sarimski, Klaus (2003): Kognitive Prozesse bei Menschen mit geistiger Behinderung, in:

Irblich, Dieter; Stahl, Burkhard (Hrsg.): Menschen mit geistiger Behinderung.

Psychologische Grundlagen, Konzepte und Tätigkeitsfelder, Göttingen: Hogrefe, S. 148 – 204.

Sarimski, Klaus (2003 (3)): Entwicklungspsychologie genetischer Syndrome, Göttingen:

Hogrefe.

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