Vektoranalysis ∗
Martin Brokate
†Inhaltsverzeichnis
1 Kurvenintegrale und Potentiale 1
2 Mannigfaltigkeiten 6
3 Volumenintegrale 12
4 Das Oberfl¨ achenintegral 20
5 Der Integralsatz von Gauß 29
6 Der Integralsatz von Stokes 38
7 Harmonische Funktionen 42
∗Vorlesungsskript, WS 2017/18
†Zentrum Mathematik, TU M¨unchen
1 Kurvenintegrale und Potentiale
In der Analysis 2 wurden bereits Kurven behandelt. Dort wurde die L¨ ange L(x) einer Kurve x : [a, b] → R
nals Supremum der L¨ angen von approximierenden Polygonz¨ ugen definiert und die Formel
L(x) = Z
ba
kx
0(t)k dt
bewiesen. Weiter wurde gezeigt, dass L(x) nicht von der Parametrisierung der Kurve abh¨ angt.
In diesem Kapitel geht es darum, Integrale von Funktionen F l¨ angs einer Kurve zu be- trachten; F ist dabei auf einer Teilmenge Ω des R
ndefiniert, innerhalb der die Kurve verl¨ auft.
Zur Motivation betrachten wir eine Situation aus der Physik: Ein konstantes Kraftfeld, repr¨ asentiert durch einen Vektor F ∈ R
3, leistet entlang der Strecke, welche einen Punkt x
0∈ R
3mit einem Punkt x
1∈ R
3verbindet, die Arbeit
W = hF, x
1− x
0i = kF k
2kx
1− x
0k
2cos ϕ
wobei ϕ der von den Vektoren F und x
1− x
0eingeschlossene Winkel ist. Betrachten wir den Streckenzug, welcher nacheinander die Punkte x
0, x
1, . . . x
Nverbindet, und nehmen wir an, dass l¨ angs der Verbindung von x
i−1nach x
idie Kraft F
iwirkt, so ergibt sich die Gesamtarbeit zu
W =
N
X
i=1
hF
i, x
i− x
i−1i . (1.1)
Wenn wir diesen Streckenzug als Kurve x : [a, b] → R
3mit x(t
i) = x
izu einer geeigneten Zerlegung auffassen und F (x
i) = F
isetzen, so wird (1.1) zu
W =
N
X
i=1
F (x(t
i)), x(t
i) − x(t
i−1) t
i− t
i−1(t
i− t
i−1) , (1.2) Ist F : R
3→ R
3stetig und x : [a, b] → R
3stetig differenzierbar, so ist die l¨ angs x verrichtete Arbeit gleich
Z
b ahF (x(t)), x
0(t)i dt .
Definition 1.1 (Kurvenintegral)
Sei Ω ⊂ R
n, seien F : Ω → R
nstetig und x : [a, b] → R
nstetig differenzierbar, sei C = x([a, b]) ⊂ Ω. Dann heißt
Z
C
F · dx :=
Z
b ahF (x(t)), x
0(t)i dt (1.3)
das Kurvenintegral von F entlang C von x(a) nach x(b). 2
Diese Definition ist sinnvoll, da das Kurvenintegral sich nicht ¨ andert, wenn wir eine andere Parametrisierung von C w¨ ahlen, die die Orientierung erh¨ alt. Ist etwa ϕ : [α, β] → [a, b]
eine C
1-Parametertransformation, so gilt Z
βα
hF ((x ◦ ϕ)(τ)), (x ◦ ϕ)
0(τ )i dτ = Z
βα
hF (x(ϕ(τ))), x
0(ϕ(τ ))i ϕ
0(τ ) dτ
= Z
ϕ(β)ϕ(α)
hF (x(t)), x
0(t)i dt = ± Z
ba
hF (x(t)), x
0(t)i dt ,
je nachdem, ob ϕ orientierungserhaltend oder orientierungsumkehrend ist.
F¨ ur st¨ uckweise stetig differenzierbare Kurven x : [a, b] → R
nsetzen wir Z
C
F · dx =
k
X
i=1
Z
Ci
F · dx , (1.4)
falls x|[t
i−1, t
i] stetig differenzierbar ist und C
i= x([t
i−1, t
i]). (Man zeigt, dass diese Defi- nition unabh¨ angig ist von der Wahl der Zerlegung.) Aus der Linearit¨ at des Integrals folgt unmittelbar
Z
C
(F + G) · dx = Z
C
F · dx + Z
C
G · dx , Z
C
λF · dx = λ Z
C
F · dx , (1.5) f¨ ur λ ∈ R .
Satz 1.2 Sei Ω ⊂ R
noffen, f ∈ C
1(Ω), x : [a, b] → R
nst¨ uckweise stetig differenzierbar, sei C = x([a, b]) ⊂ Ω. Dann gilt
Z
C
grad f · dx = f(x(b)) − f (x(a)) . (1.6) Beweis: Sei zun¨ achst x ∈ C
1([a, b]). Dann gilt
Z
C
grad f · dx = Z
ba
hgrad f(x(t)), x
0(t)i dt = Z
ba
(f ◦ x)
0(t) dt
= f(x(b)) − f (x(a))
nach Kettenregel und Hauptsatz. Ist x st¨ uckweise stetig differenzierbar und (t
i) eine ent- sprechende Zerlegung von [a, b], so folgt
Z
C
grad f · dx =
k
X
i=1
Z
Ci
grad f · dx =
k
X
i=1
(f(x(t
i)) − f (x(t
i−1))) = f (x(b)) − f (x(a)) . 2 Aus Satz 1.2 folgt: Ist F : Ω → R
nein Gradientenfeld auf Ω (das heißt, es gibt f : Ω → R mit F = grad f), so ist das Kurvenintegral zwischen zwei Punkten P, Q ∈ R
nunabh¨ angig davon, wie die Kurve von P nach Q verl¨ auft. Insbesondere ist dann
Z
C
F · dx = 0
f¨ ur jede geschlossene Kurve C.
Lemma 1.3 Sei Ω ⊂ R
noffen, F : Ω → R
nstetig differenzierbar. Ist F ein Gradienten- feld auf Ω, so gilt
∂
iF
j(x) = ∂
jF
i(x) (1.7)
f¨ ur alle x ∈ Ω und alle i, j mit 1 ≤ i, j ≤ n.
Beweis: Ist F = grad f , so gilt
∂
iF
j(x) = ∂
i(∂
jf )(x) = ∂
j(∂
if)(x) = ∂
jF
i(x) .
2 Definition 1.4 Sei X Vektorraum, sei Y ⊂ X. Y heißt sternf¨ ormig, falls es ein y ∈ Y
gibt mit [x, y] ⊂ Y f¨ ur alle x ∈ Y . 2
Satz 1.5 Sei Ω ⊂ R
noffen und sternf¨ ormig, sei F : Ω → R
nstetig differenzierbar. Gilt
∂
iF
j(x) = ∂
jF
i(x) (1.8)
f¨ ur alle x ∈ Ω und alle i, j, 1 ≤ i, j ≤ n, so ist F ein Gradientenfeld auf Ω, es gibt f ∈ C
2(Ω) mit
F = grad f . (1.9)
Beweis: Sei y ∈ Ω mit [y, x] ⊂ Ω f¨ ur alle x ∈ Ω. Wir definieren f als das Kurvenintegral von F entlang der Strecke von y nach x, wir setzen also
f (x) = Z
10
hF (y + t(x − y)), x − yi dt .
Nach einem Satz ¨ uber das Differenzieren parameterabh¨ angiger Integrale (siehe Analysis 2) existieren alle partiellen Ableitungen ∂
if und sind stetig. F¨ ur
f(x) = ˜ hF (y + t(x − y)), x − yi gilt
∂
if ˜ (x) = ht∂
iF (y + t(x − y)), x − yi + hF (y + t(x − y)), e
ii , also
∂
if(x) = Z
10
ht∂
iF (y + t(x − y)), x − yi + F
i(y + t(x − y)) dt . F¨ ur
g
i(t) = tF
i(y + t(x − y)) gilt
g
i0(t) = ht(grad F
i)(y + t(x − y)), x − yi + F
i(y + t(x − y)) , und mit z = y + t(x − y)
h(grad F
i)(z), x − yi =
n
X
j=1
∂
jF
i(z)(x
j− y
j) =
n
X
j=1
∂
iF
j(z)(x
j− y
j)
= h∂
iF (z), x − yi .
Es folgt
g
0i(t) = ht(∂
iF )(y + t(x − y)), x − yi + F
i(y + t(x − y)) , und damit
∂
if(x) = Z
10
g
i0(t) dt = g
i(1) − g
i(0) = F
i(x) .
2 Folgerung 1.6 Sei Ω ⊂ R
3offen und sternf¨ ormig, sei F : Ω → R
3stetig differenzierbar.
Dann ist F ein Gradientenfeld auf Ω genau dann, wenn rot F = 0 in Ω.
Definition 1.7 (Wegzusammenhang)
Ein metrischer Raum (X, d) heißt wegzusammenh¨ angend, wenn es f¨ ur alle x
a, x
b∈ X eine Kurve r : [0, 1] → X gibt mit r(0) = x
aund r(1) = x
b. 2 Definition 1.8 (Konservatives Vektorfeld)
Sei Ω ⊂ R
noffen. Ein Vektorfeld F : Ω → R
nheißt konservativ auf Ω, falls “das Kur- venintegral wegunabh¨ angig ist”, d.h. falls f¨ ur alle Punkte x
a, x
b∈ Ω und alle st¨ uckweise C
1-Kurven C
1, C
2von x
anach x
b, welche in Ω verlaufen, gilt
Z
C1
F · dx = Z
C2
F · dx . (1.10)
2
Satz 1.9 Sei Ω ⊂ R
noffen und wegzusammenh¨ angend, sei F : Ω → R
nstetig. Dann gilt F ist Gradientenfeld auf Ω ⇔ F ist konservativ auf Ω .
Beweis: “⇒”: Folgt aus Satz 1.2.
“⇐”: Seien x, y ∈ Ω beliebig. Wir beweisen zun¨ achst
Es gibt eine st¨ uckweise C
1-Kurve von y nach x. (1.11) Sei r : [0, 1] → Ω stetig mit r(0) = y, r(1) = x. Sei
U
ε= {z : z ∈ R
n, dist (z, r([0, 1])) < ε} .
Wir w¨ ahlen ε > 0 so, dass U
ε⊂ Ω gilt (das ist m¨ oglich, da dist (∂Ω, r([0, 1]) > 0 falls
∂Ω 6= ∅, was gleichbedeutend ist mit Ω 6= R
n). F¨ ur eine hinreichend feine Unterteilung (t
i) von [0, 1] gilt, dass der Polygonzug, welcher r(0), r(t
1), . . . , r(1) verbindet, ganz in U
εund damit auch in Ω liegt. Damit ist (1.11) bewiesen. Wir w¨ ahlen nun x
∗∈ Ω und definieren f : Ω → R durch
f(x) = Z
C
F · dx , (1.12)
wobei C eine st¨ uckweise C
1-Kurve von x
∗nach x ist (eine solche gibt es nach (1.11), und
nach Voraussetzung h¨ angt das Kurvenintegral nicht von der Wahl von C ab). Zu zeigen
ist noch F = grad f. Sei x ∈ Ω beliebig, sei h > 0 so gew¨ ahlt, dass [x, x + he
i] ⊂ Ω gilt.
Sei C
∗eine st¨ uckweise C
1-Kurve von x
∗nach x, sei C(h) definiert durch r
h: [0, h] → Ω , r
h(t) = x + te
i.
Dann gilt
f (x + he
i) = Z
C∗
F · dx + Z
C(h)
F · dx = f (x) + Z
C(h)
F · dx .
F¨ ur
g(h) = f (x + he
i) − f(x) gilt also
g(h) = Z
C(h)
F · dx = Z
h0
hF (r
h(t)), r
h0(t)i dt = Z
h0
F
i(x + te
i) dt ,
also ist g rechtsseitig differenzierbar in 0 und g
+0(0) = F
i(x). Dasselbe Argument mit −e
istatt e
iliefert die Existenz von ∂
if (x) und die Formel ∂
if(x) = F
i(x). 2 Als Beispiel betrachten wir
Ω = R
2\ {0} , F : Ω → R
2, F (x, y) =
− y
x
2+ y
2, x x
2+ y
2. (1.13)
Es gilt f¨ ur alle (x, y) 6= (0, 0)
∂
1F
2(x, y) = ∂
2F
1(x, y) .
Die Menge Ω ist nicht sternf¨ ormig, Satz 1.5 ist also f¨ ur Ω nicht anwendbar. Ist aber ˜ Ω eine sternf¨ ormige Teilmenge von Ω, so gibt es nach Satz 1.5 ein f ∈ C
2( ˜ Ω) mit
F (x) = grad f (x) , f¨ ur alle x ∈ Ω ˜ .
Aber andererseits gilt, wenn wir den Einheitskreis als eine geschlossene Kurve C auffassen, mit r : [0, 2π] → R
2, r(t) = (cos t, sin t)
Z
C
F · dx = Z
2π0
hF (r(t)), r
0(t)i dt = Z
2π0
sin
2t + cos
2t dt = 2π ,
also ist F nicht konservativ auf Ω. Aus Satz 1.9 (bzw. schon Satz 1.2) folgt, dass es kein f ∈ C
2(Ω) geben kann mit
F (x) = grad f (x) , f¨ ur alle x ∈ Ω .
2 Mannigfaltigkeiten
In diesem Abschnitt betrachten wir Teilmengen des R
n, die eine “differenzierbare Struk- tur” haben. Wir gehen aus von der Beschreibung affiner Unterr¨ aume. Ist a ∈ R
nein Vektor und X ⊂ R
nein Unterraum mit dim X = k, so k¨ onnen wir den affinen Unterraum
M = a + X = {a + x : x ∈ X} (2.1)
auf zwei verschiedene Weisen beschreiben:
• mit einer Parameterdarstellung: Sei (v
1, . . . , v
k) Basis von X, sei Φ : R
k→ R
ndefiniert durch
Φ(t
1, . . . , t
k) = a +
k
X
i=1
t
iv
i, (2.2)
dann ist
M = Φ( R
k) , Φ : R
k→ M bijektiv. (2.3)
• als L¨ osungsmenge eines linearen Gleichungssystems: Sei (w
1, . . . , w
n−k) Basis des orthogonalen Komplements
X
⊥= {w : w
Tx = 0 f¨ ur alle x ∈ X} , (2.4) sei f : R
n→ R
n−kdefiniert durch
f
i(x) = w
iT(x − a) , (2.5)
so ist
M = {x : f(x) = 0} . (2.6)
Affin lineare Unterr¨ aume k¨ onnen also als Urbild der 0 bzw. als Bild eines R
kvermittels affin linearer Abbildungen dargestellt werden. Verzichten wir auf die Linearit¨ at, so k¨ onnen wir allgemeinere Teilmengen darstellen, etwa gekr¨ ummte Fl¨ achen. Wir werden verlangen, dass die darstellenden Abbildungen differenzierbar sind.
Nun ist es allerdings so, dass man zur Darstellung einer gekr¨ ummten Fl¨ ache im allge- meinen nicht mit einer einzigen darstellenden Abbildung (Φ bzw. f) auskommt, sondern mehrere ben¨ otigt, die geeignet zusammengesetzt werden m¨ ussen.
Definition 2.1 (Mannigfaltigkeit)
Eine Teilmenge M von R
nheißt k-dimensionale C
α-Mannigfaltigkeit im R
n(hierbei ist 0 ≤ k ≤ n, α ∈ N ∪ {∞}), falls zu jedem a ∈ M eine offene Menge U ⊂ R
nmit a ∈ U und ein f ∈ C
α(U ; R
n−k) existieren mit
M ∩ U = {x : f (x) = 0} , rang J
f(a) = n − k . (2.7) 2 Die Bedingung (2.7) bedeutet, dass J
f(a) maximalen Rang hat. Dazu ist ¨ aquivalent, dass die Ableitung (Fr´ echet-Ableitung, totale Ableitung) Df(a) : R
n→ R
n−ksurjektiv ist.
In den folgenden Beispielen gen¨ ugt eine einzige Abbildung zur Darstellung (also U = M).
Beispiel 2.2
1. Affine Unterr¨ aume. Wie in (2.4) – (2.6) dargestellt, k¨ onnen wir in Definition 2.1 U = R
nund f¨ ur jedes a dasselbe f w¨ ahlen.
2. Niveaumengen. Sei U ⊂ R
noffen, f ∈ C
α(U ), c ∈ R ,
N
c(f ) = {x : f (x) = c} . (2.8) N
c(f) ist eine (n − 1)-dimensionale C
α-Mannigfaltigkeit, falls grad f (x) 6= 0 gilt f¨ ur alle x ∈ N
c(f ). Ein Spezialfall davon ist die Oberfl¨ ache der n-dimensionalen Einheitskugel in der euklidischen Norm,
S
n−1= {x : kxk
2= 1} . (2.9)
S
n−1ist eine (n − 1)-dimensionale C
∞-Mannigfaltigkeit.
3. Orthogonale Matrizen. Eine Matrix A ∈ R
(n,n)ist orthogonal genau dann, wenn A
TA = I, die Menge O(n) der orthogonalen Matrizen im R
(n,n)ist also gegeben durch
O(n) = {X : X ∈ R
(n,n), f (X) = 0}
mit
f (X) = X
TX − I , f : R
(n,n)→ R
(n,n)sym.
Da R
(n,n)symdie Dimension n(n+1)/2 hat, ist hier k = n
2−n(n+1)/2 = n(n−1)/2. Wir wollen zeigen, dass Df (A) eine surjektive lineare Abbildung ist f¨ ur jedes A ∈ O(n).
Es gilt 1
t (f(A + tH) − f(A)) = 1 t
(A + tH)
T(A + tH) − A
TA
= H
TA + A
TH + tH
TH , also
Df (A)H = lim
t→0
1
t (f(A + tH) − f (A)) = H
TA + A
TH . Eine L¨ osung von
Df(A)H = B f¨ ur beliebiges B ∈ R
(n,n)symist gegeben durch
H = 1
2 (A
T)
−1B , da Df (A)H = 1
2 (B
T+ B) = B .
Also ist Df (A) surjektiv. Die Menge O(n) ist also eine C
∞-Mannigfaltigkeit der Dimension n(n − 1)/2. Da orthogonale Matrizen die Determinante 1 oder -1 haben, und da die Determinante stetig ist, ist
SO(n) = {X : X ∈ O(n) , det(X) = 1}
ebenfalls eine C
∞-Mannigfaltigkeit der Dimension n(n − 1)/2.
2
Satz 2.3 (Darstellung von C
α-Mannigfaltigkeiten) Sei M ⊂ R
n, α ∈ N . Dann sind ¨ aquivalent:
(i) M ist eine k-dimensionale C
α-Mannigfaltigkeit.
(ii) F¨ ur alle a ∈ M gibt es offene Mengen U, V ⊂ R
nund einen C
α-Diffeomorphismus F : U → V mit a ∈ U und
F (M ∩ U ) = V ∩ E
k, E
k= {(x
1, . . . , x
k, 0, . . . , 0) : x
i∈ R , 1 ≤ i ≤ k} . (2.10) (iii) F¨ ur alle a ∈ M gibt es eine offene Menge U ⊂ R
nmit a ∈ U , eine offene Menge T ⊂ R
kund ein Φ ∈ C
α(T ; R
n), so dass Φ : T → M ∩ U bijektiv, Φ
−1: M ∩ U → T stetig ist und
rang J
Φ(t) = k , f¨ ur alle t ∈ T . (2.11) Beweis: “(i)⇒(ii)”: Sei a ∈ M, sei U
0⊂ R
noffen mit a ∈ U
0, sei f ∈ C
α(U
0; R
n−k) mit
M ∩ U
0= {x : x ∈ R
n, f (x) = 0} , rang J
f(a) = n − k .
Wir betrachten zun¨ achst den Spezialfall, dass die letzten n − k Spalten von J
f(a) linear unabh¨ angig sind. Wir zerlegen x ∈ R
nin
x = (ξ, η) , ξ ∈ R
k, η ∈ R
n−k.
Die Matrix ∂
ηf(a) ∈ R
(n−k,n−k)ist invertierbar. Also gibt es (Satz ¨ uber implizite Funk- tionen) offene Mengen U
1⊂ R
k, U
2⊂ R
n−k, mit (a
1, . . . , a
k) ∈ U
1, und ein g : U
1→ U
2, g ∈ C
α(U
1; R
n−k), mit
M ∩ (U
1× U
2) = {(ξ, g(ξ)) : ξ ∈ U
1} ⊂ M ∩ U
0, also f (ξ, g(ξ)) = 0. Wir setzen
U = U
1× U
2, F (ξ, η) = (ξ, η − g(ξ)) , V = F (U) . Dann ist F injektiv, also F : U → F (U ) = V bijektiv, und
(ξ, η) ∈ M ∩ U ⇔ ξ ∈ U
1, η = g(ξ) ⇔ F (ξ, η) ∈ V ∩ E
k. Weiter ist
J
F(ξ, η) =
I 0
−J
g(ξ) I
,
also J
F(ξ, η) invertierbar und daher (Satz ¨ uber inverse Funktionen) F ein C
α-Diffeomor- phismus. Der allgemeine Fall wird durch Umnumerieren der Koordinatenachsen darauf zur¨ uckgef¨ uhrt. Seien die Spalten i
1, i
2, . . . , i
n−kvon J
f(a) linear unabh¨ angig. Sei P : R
n→ R
neine lineare Abbildung, welche die Einheitsvektoren permutiert, und zwar der Form
P (x
1, . . . , x
n) = (. . . , x
i1, . . . , x
in−k) .
Dann ist P (M ) eine k-dimensionale C
α-Mannigfaltigkeit mit der lokalen Darstellung (in einer Umgebung von P (a))
P (M ) ∩ P (U
0) = P (M ∩ U
0) = {y : y ∈ P (U
0), (f ◦ P
−1)(y) = 0}
und die letzten n − k Spalten von J
f◦P−1(P a) sind linear unabh¨ angig. Also existiert F wie behauptet mit
V ∩ E
k= F (P (M ) ∩ U ) = (F ◦ P )(M ∩ P
−1(U)) , das heißt, F ◦ P leistet das Verlangte.
“(ii)⇒(iii)”: Seien F, U, V wie in (ii) gegeben. Wir setzen
T = {ξ : ξ ∈ R
k, (ξ, 0) ∈ V } , Φ(ξ) = F
−1(ξ, 0) . Dann ist Φ : T → M ∩ U bijektiv, Φ
−1= F |(M ∩ U ) stetig, und
J
Φ(ξ) = J
F−1(ξ, 0) I
0
,
das heißt, J
Φentsteht aus J
F−1, indem man die Spalten k + 1, . . . , n auf 0 setzt. Da rang (J
F−1(ξ, 0)) = n, ist rang (J
Φ(ξ)) = k.
“(iii)⇒(i)”: Sei a ∈ M , seien U, T, Φ wie in (iii) gegeben. Wir setzen c = Φ
−1(a) ∈ T und betrachten den Spezialfall, dass die ersten k Zeilen von J
Φ(c) linear unabh¨ angig sind. (Der allgemeine Fall wird wie oben durch eine geeignete Permutation darauf zur¨ uckgef¨ uhrt.) Nach dem Satz ¨ uber inverse Funktionen gibt es offene Mengen ˆ T , V ˆ ⊂ R
kmit c ∈ T ˆ ⊂ T , so dass
Φ = (Φ ˆ
1, . . . , Φ
k) : ˆ T → V ˆ ein C
α-Diffeomorphismus ist. Wir definieren
G : ˆ T × R
n−k→ V ˆ × R
n−k, G(ξ, η) = Φ(ξ) + (0, η) . Es ist
J
G(ξ, η) =
J
Φˆ(ξ) 0
∗ I
, ξ ∈ T , ˆ η ∈ R
n−k,
also ist J
Ginvertierbar auf ˆ T × R
n−k. Wir zeigen, dass G bijektiv ist auf ˆ T × R
n−k. Es gilt G
j(ξ, η) = Φ
j(ξ) = ˆ Φ
j(ξ) f¨ ur 1 ≤ j ≤ k, also
G(ξ, η) = G(ξ
0, η
0) ⇒ Φ(ξ) + (0, η) = Φ(ξ
0) + (0, η
0) ⇒ Φ(ξ) = ˆ ˆ Φ(ξ
0)
⇒ ξ = ξ
0⇒ η = η
0. Also ist G injektiv. Sei nun (y, z) ∈ V ˆ × R
n−k. Es ist
(y, z) = Φ(ξ) + (0, η) ,
wenn wir ξ = ˆ Φ
−1(y) setzen und η so definieren, dass die Gleichung erf¨ ullt ist. Also ist G auch surjektiv und damit
G : ˆ T × R
n−k→ V ˆ × R
n−kein C
α-Diffeomorphismus. Wir setzen
U ˆ = ( ˆ V × R
n−k) ∩ U , und zerlegen
G
−1= ( ˆ f , f ) , f ˆ : ˆ U → T , ˆ f : ˆ U → R
n−k.
Dann gilt f¨ ur alle x ∈ U ˆ
x ∈ M ⇔ ∃ ξ ∈ T , ˆ Φ(ξ) = x ⇔ ∃ ξ ∈ T , G ˆ
−1(x) = (ξ, 0) ⇔ f (x) = 0 , also ist
M ∩ U ˆ = {x : x ∈ U , f ˆ (x) = 0} .
Da J
G−1(x) invertierbar ist f¨ ur alle x ∈ U ˆ , hat J
f(x) maximalen Rang, also rang (J
f(x)) =
n − k f¨ ur alle x ∈ U. ˆ 2
Definition 2.4 (Karte, Atlas)
Sei M ⊂ R
neine k-dimensionale C
α-Mannigfaltigkeit. Eine Abbildung Φ : T → M ∩ U mit den in Satz 2.3(iii) genannten Eigenschaften heißt C
α-Karte (oder einfach Karte) von M . Eine Familie (Φ
j)
j∈Jvon Karten Φ
j: T
j→ M ∩ U
jheißt Atlas von M , falls
M ⊂ [
j∈J
(M ∩ U
j) .
2 Aus Satz 2.3 folgt unmittelbar, dass jede Mannigfaltigkeit einen Atlas besitzt. Ist M kom- pakt, so besitzt M einen endlichen Atlas (d.h. einen Atlas mit einer endlichen Indexmenge J).
Satz 2.5 Sei M ⊂ R
neine k-dimensionale C
α-Mannigfaltigkeit, seien Φ
j: T
j→ M ∩ U
j, j = 1, 2, C
α-Karten von M , sei M ∩ U
1∩ U
26= ∅. Dann sind
W
j= Φ
−1j(M ∩ U
1∩ U
2) (2.12) offene Teilmengen von R
kmit W
j⊂ T
j, und
Φ
−12◦ Φ
1: W
1→ W
2(2.13)
ist ein C
α-Diffeomorphismus. Die Abbildung Φ
−12◦ Φ
1heißt Kartenwechsel.
Beweis: Nach Konstruktion gilt W
j⊂ T
jf¨ ur j = 1, 2, und Φ
−12◦Φ
1: W
1→ W
2ist bijektiv.
Wir zeigen, dass W
joffen ist. Wir fassen M ∩U
jals metrischen Raum auf (mit der Metrik aus dem R
n). Die Menge M ∩ U
1∩ U
2ist offen relativ zu M ∩ U
j, Φ
j: T
j→ M ∩ U
jist stetig, also ist W
jals Urbild einer offenen Menge offen. Wir zeigen nun, dass Φ
−12◦ Φ
1ein C
α-Diffeomorphismus ist. Es gen¨ ugt zu zeigen, dass Φ
−12◦ Φ
1∈ C
α(W
1; R
k). Sei c
1∈ W
1beliebig. Wir setzen a = Φ
1(c
1). Gem¨ aß Satz 2.3(ii) w¨ ahlen wir eine offene Menge U ⊂ U
1∩U
2mit a ∈ U, eine offene Menge V ⊂ R
nund einen C
α-Diffeomorphismus F : U → V mit F (M ∩ U) = V ∩ E
k. Wir setzen
W ˆ
j= Φ
−1j(M ∩ U) .
Dass ˆ W
joffen ist, zeigt man genauso wie oben f¨ ur W
j. Es ist
F ◦ Φ
1: ˆ W
1→ R
n, F ◦ Φ
1= (g
1, . . . , g
k, 0, . . . , 0) ,
F ◦ Φ
2: ˆ W
2→ R
n, F ◦ Φ
2= (h
1, . . . , h
k, 0, . . . , 0) .
Sei g = (g
1, . . . , g
k), h = (h
1, . . . , h
k). Es ist g : ˆ W
1→ R
k, h : ˆ W
2→ R
kund rang J
F= n , rang J
Φj= k ,
also
rang J
F◦Φj= k , also
rang J
g= rang J
h= k .
Hieraus folgt mit dem Satz ¨ uber inverse Funktionen, dass es Umgebungen ˜ W
j⊂ W ˆ
jvon c
j= Φ
−1j(a) gibt, so dass
g : ˜ W
1→ g( ˜ W
1) , h : ˜ W
2→ h( ˜ W
2) , C
α-Diffeomorphismen sind, und dass
Φ
−12◦ Φ
1= h
−1◦ g , auf ˜ W
1.
Da c
1∈ W
1beliebig war, folgt Φ
−12◦ Φ
1∈ C
α(W
1; R
k). 2 Satz 2.5 besagt, dass alle Kartenwechsel C
α-Diffeomorphismen sind. Hieraus l¨ aßt sich eine allgemeinere Definition einer Mannigfaltigkeit M gewinnen, die nicht mehr von vornehe- rein als Teilmenge des R
ngegeben ist. Solche differenzierbaren Mannigfaltigkeiten werden in der Differentialtopologie untersucht. (Dort wird ¨ ublicherweise die Bezeichnung “Karte”
f¨ ur die Inverse Φ
−1, nicht f¨ ur Φ wie in Definition 2.4, verwendet.)
3 Volumenintegrale
In der Vektoranalysis spielen “Volumenintegrale” und “Oberfl¨ achenintegrale” eine große Rolle. In diesem Abschnitt befassen wir uns mit Volumenintegralen.
Volumen. Sei Q ein Quader im R
n. Sein Volumen ist definiert als vol (Q) =
n
Y
i=1
(b
i− a
i) , falls Q =
n
Y
i=1
(a
i, b
i) . (3.1) Die Maßtheorie befasst sich mit der Frage, welche Teilmengen des R
nman messen kann, und welches Maß man ihnen zuordnen kann. Will man Quadern das Volumen aus (3.1) zuordnen, so gelangt man zum Lebesgue-Maß; diejenigen Ω ⊂ R
n, f¨ ur die das Volumen definiert ist, heißen messbar. F¨ ur n¨ ahere Einzelheiten sei auf die Vorlesung ¨ uber Maß- und Integrationstheorie verwiesen. Dort wird auch gezeigt, dass f¨ ur messbare Mengen gilt vol (a + Ω) = vol (Ω) , a ∈ R
n, (3.2) vol (Ω
1∪ Ω
2) = vol (Ω
1) + vol (Ω
2) − vol (Ω
1∩ Ω
2) . (3.3) Wir ben¨ otigen auch das folgende Ergebnis aus der Maßtheorie.
Satz 3.1 Sei T : R
n→ R
nlinear. Dann gilt
vol (T (Ω)) = | det(T )|vol (Ω) (3.4)
f¨ ur alle messbaren Ω ⊂ R
n. 2
Beispielsweise ergibt sich f¨ ur T = αI , I die Identit¨ at und α > 0, dass vol (αΩ) = α
nvol (Ω) .
Volumenintegral. In der Analysis 2 wurde das Integral Z
Q
f(x) dx
definiert f¨ ur den Fall, dass Q ⊂ R
nein Quader und f gleichm¨ aßiger Grenzwert von Treppenfunktionen ist, also unter anderem f¨ ur stetige Funktionen f : Q → R . Legt man das Lebesgue-Integral zugrunde, so ist
Z
Ω
f(x) dx (3.5)
zun¨ achst definiert f¨ ur messbare Ω ⊂ R
nund messbare Funktionen f : Ω → [0, +∞] mit f ≥ 0; es kann auch den Wert +∞ annehmen. Falls das Integral endlich ist, heißt f integrierbar. Messbare Funktionen f : Ω → [−∞, +∞] werden zerlegt in Positiv- und Negativteil
f = f
+− f
−, f
+= max{f, 0} , f
−= max −f, 0 . Ist |f| integrierbar, so auch f
+und f
−, und man definiert
Z
Ω
f(x) dx = Z
Ω
f
+(x) dx − Z
Ω
f
−(x) dx .
F¨ ur n¨ ahere Einzelheiten verweisen wir wieder auf die Maß- und Integrationstheorie, Es gelten die bekannten Rechenregeln zur Linearit¨ at
Z
Ω
(αf + βg)(x) dx = α Z
Ω
f (x) dx + β Z
Ω
g(x) dx , (3.6)
Monotonie
f ≤ g ⇒
Z
Ω
f (x) dx ≤ Z
g(x) dx , (3.7)
Absch¨ atzung
Z
Ω
f (x) dx
≤ Z
Ω
|f (x)| dx , (3.8)
und Zerlegung Z
Ω1∪Ω2
f (x) dx = Z
Ω1
f (x) dx + Z
Ω2
f (x) dx − Z
Ω1∩Ω2
f (x) dx . (3.9) Iterierte Integrale, Satz von Fubini. Mit dem Satz von Fubini wird die Berechnung von mehrdimensionalen Integralen auf die Berechnung eindimensionaler Integrale zur¨ uck- gef¨ uhrt. In der Analysis 2 wird behandelt:
Satz 3.2 Sei Q = Q
ni=1
[a
i, b
i], f : Q → R stetig. Dann gilt Z
Q
f (x) dx = Z
b1a1
· · · Z
bnan
f(x
1, . . . , x
n) dx
n· · · dx
1, (3.10) und die Integrationsreihenfolge kann beliebig vertauscht werden.
F¨ ur eine allgemeine Formulierung zerlegen wir den R
nin zwei Komponenten R
n= R
p× R
q= {(x, y) : x ∈ R
p, y ∈ R
q}
und betrachten messbare Mengen U ⊂ R
p, V ⊂ R
q. Satz 3.3 (Fubini)
Sei f : U × V → [−∞, +∞] messbar, sei |f| integrierbar. Dann ist die Funktion x 7→
Z
V
f(x, y) dy (3.11)
integrierbar auf U , und es gilt Z
U×V
f(x, y) d(x, y) = Z
U
Z
V
f (x, y ) dy
dx . (3.12)
2 Vertauscht man die Rollen von U und V , so erh¨ alt man
Z
U×V
f(x, y) d(x, y) = Z
V
Z
U
f (x, y ) dx
dy . (3.13)
Als Anwendung betrachten wir folgende Situation. Sei n = 2, p = q = 1, und Ω habe die Form
Ω = {(x, y) : a ≤ x ≤ b , ϕ(x) ≤ y ≤ ψ(x)} . (3.14) Wir setzen U = [a, b], V = R . Dann ist
Z
Ω
f(x, y) d(x, y) = Z
U×V
1
Ω(x, y)f (x, y) d(x, y) = Z
ba
Z
ψ(x) ϕ(x)f(x, y) dy dx . (3.15) Im Falle f = 1 ergibt sich das Prinzip von Cavalieri
vol (Ω) = Z
ba
vol (Ω
x) dx , Ω
x= {y : ϕ(x) ≤ y ≤ ψ(x)} . (3.16) Als Beispiel betrachten wir die Fl¨ ache ( = zweidimensionales Volumen) der oberen H¨ alfte des Einheitskreises,
Ω = {(x, y) : −1 ≤ x ≤ 1 , 0 ≤ y ≤ √
1 − x
2} . Es ist
vol (Ω) = Z
Ω
1 d(x, y) = Z
1−1
Z
√1−x2
0
1 dy dx = Z
1−1
√
1 − x
2dx = π 2 .
Substitution, Transformationsformel. Im Eindimensionalen haben wir die Substitu- tionsregel
Z
T(b) T(a)f (y) dy = Z
ba
f(T (x))T
0(x) dx . (3.17) Die sogenannte Transformationsformel verallgemeinert (3.17) ins Mehrdimensionale, sie lautet
Z
T(U)
f(y) dy = Z
U
f(T (x))| det DT (x)| dx . (3.18) Der Betrag taucht in (3.17) nicht auf, weil die linke Seite dort durch die Unterscheidung von unterer und oberer Grenze eine Orientierungsinformation enth¨ alt,
Z
T(b) T(a)f (y) dy = − Z
T(a)T(b)
f (y) dy .
F¨ ur den Spezialfall f = 1, T lineare Abbildung, ist (3.18) bereits in Satz 3.1 enthalten, da dann DT (x) = T gilt f¨ ur alle x ∈ U . Der Fall einer nichtlinearen Abbildung T wird durch Approximation darauf zur¨ uckgef¨ uhrt, und zwar folgendermaßen.
Sei P = [a−d, a+d] ein achsenparalleler Quader mit Mittelpunkt a ∈ R
nund Seitenl¨ angen 2d
i, d ∈ R
n. Wir wollen das Bild T (P ) unter einer differenzierbaren Abbildung T durch das Bild unter der Linearisierung DT (a) approximieren. F¨ ur ε ∈ [0, 1] betrachten wir die Quader
Y
ε= T (a) + (1 − ε)DT (a)(P − a) ,
Y
ε= T (a) + (1 + ε)DT (a)(P − a) . (3.19)
Satz 3.4 Seien U, V ⊂ R
noffen, T : U → V ein C
1-Diffeomorphismus, sei Q ⊂ U ein achsenparalleler Quader. Dann gibt es zu jedem ε > 0 ein δ > 0, so dass f¨ ur alle Quader P = [a − d, a + d] ⊂ Q mit kdk ≤ δ gilt
Y
ε⊂ T (P ) ⊂ Y
ε. (3.20)
Beweis: Sei ε > 0. Wir definieren das Restglied
r(x, a) = T (x) − T (a) − DT (a)(x − a) ,
ρ(x, a) = DT (a)
−1r(x, a) , x, a ∈ Q . (3.21) Rechte Inklusion: Sei P = [a − d, a + d], es gelte
ρ(x, a) ∈ ε(P − a) , f¨ ur alle x ∈ P . (3.22) Dann gilt f¨ ur alle x ∈ P
T (x) = T (a) + DT (a)[x − a + ρ(x, a)] ∈ T (a) + DT (a)[(1 + ε)(P − a)] , also T (P ) ⊂ Y
ε.
Linke Inklusion: Zu y ∈ Y
εkonstruieren wir ein x ∈ P mit y = T (x) durch eine geeignete Fixpunktiteration. Es gilt
y = T (x) ⇔ y = T (a) + DT (a)[x − a + ρ(x, a)]
⇔ x = a − ρ(x, a) + DT (a)
−1(y − T (a)) =: S(x) .
Wir wollen zeigen, dass S : P → P eine Kontraktion ist. Da y ∈ Y
ε, gilt f¨ ur jedes x ∈ P DT (a)
−1(y − T (a)) ∈ (1 − ε)(P − a) ,
also unter Verwendung von (3.22), da −(P − a) = P − a,
S(x) ∈ a + ε(P − a) + (1 − ε)(P − a) ⊂ P . Weiterhin gilt
DS(x) = −DT (a)
−1◦ ∂
xr(x, a) = −DT (a)
−1◦ [DT (x) − DT (a)] , also
kDS(x)k ≤ kDT (a)
−1k · kDT (x) − DT (a)k . (3.23) Aus dem Mittelwertsatz im Mehrdimensionalen folgt, dass S eine Kontraktion ist, falls
kDS(x)k ≤ 1
2 , f¨ ur alle x ∈ P . (3.24)
Aus der Kompaktheit von Q, der Stetigkeit von DT
−1sowie der gleichm¨ aßigen Stetigkeit von DT und r folgt nun, dass es ein δ > 0 gibt, so dass (3.22) und (3.24) gelten f¨ ur alle
P wie verlangt, und damit die Behauptung. 2
Satz 3.5 Seien U, V ⊂ R
noffen, T : U → V ein C
1-Diffeomorphismus, sei Q ⊂ U ein achsenparalleler Quader. Dann gilt
vol (T (Q)) = Z
Q
| det DT (x)| dx . (3.25)
Beweis: Sei ε > 0, sei Z
εeine Zerlegung von Q in hinreichend kleine Quader P , so dass alle P ∈ Z
εdie Bedingung
Y
ε⊂ T (P ) ⊂ Y
εin Satz 3.4 erf¨ ullen. Aus Satz 3.1 folgt, dass f¨ ur das Volumen der Parallelotope Y
εund Y
εgilt
vol (Y
ε) = (1 − ε)
n| det DT (a
P)|vol (P ) ,
vol (Y
ε) = (1 + ε)
n| det DT (a
P)|vol (P ) , (3.26) wobei a
Pden Mittelpunkt von P bezeichnet. Es folgt
(1 − ε)
n| det DT (a
P)|vol (P ) ≤ vol (T (P )) ≤ (1 + ε)
n| det DT (a
P)|vol (P ) . (3.27) Wir definieren die Funktionen g
ε±: Q → R durch
g
±ε(x) = X
P∈Zε
1
P(x) · (1 ± ε)
n| det DT (a
P)|
Es gilt dann wegen (3.27) Z
Q
g
ε−(x) dx = X
P∈Zε
Z
P
g
ε−(x) dx ≤ X
P∈Zε
vol (T (P )) ≤ X
P∈Zε
Z
P
g
ε+(x) dx
= Z
Q
g
+ε(x) dx .
(3.28)
Da x 7→ | det DT (x)| auf dem Kompaktum Q gleichm¨ aßig stetig ist, konvergieren g
ε+(x) und g
ε−(x) gegen | det DT (x)| f¨ ur ε → 0. Da g
ε+(x) und g
ε−(x) außerdem gleichm¨ aßig in ε beschr¨ ankt sind, folgt mit dem Konvergenzsatz von Lebesgue
lim
ε→0Z
Q
g
ε±(x) dx = Z
Q
| det DT (x)| dx . Zusammen mit (3.28) folgt die Behauptung, da P
P
vol (T (P )) = vol (T (Q)). 2 Satz 3.5 und seinen Beweis kann man als den Beitrag der Analysis zum Beweis der Trans- formationsformel auffassen.
Satz 3.6 (Transformationsformel)
Seien U, V ⊂ R
noffen, T : U → V ein C
1-Diffeomorphismus, sei f : T (U ) → [−∞, ∞]
und |f| integrierbar. Dann ist die Funktion x 7→ f (T (x))| det DT (x)| integrierbar auf U , und es gilt
Z
T(U)
f(y) dy = Z
U
f(T (x))| det DT (x)| dx . (3.29)
Beweis: Dieser wird mit Argumenten der Maßtheorie gef¨ uhrt. Siehe etwa M. Brokate, G.
Kersting, Maß und Integral, Seite 106 und 107. 2
Die Substitutionsregel (= Transformationsformel) wird oft dann angewendet, wenn T die Rolle einer Koordinatentransformation spielt. Wir betrachten Polarkoordinaten in der Ebene. Sie sind gegeben durch
T (r, ϕ) = (r cos ϕ, r sin ϕ) , T : [0, ∞) × [0, 2π] → R
2. (3.30) Wir wenden Satz 3.6 an mit U = (0, M ) × (0, 2π) und f : T (U ) → R . Wir erhalten
Z
T(U)
f(x, y) d(x, y) = Z
M0
Z
2π 0f (r cos ϕ, r sin ϕ)r dϕ dr . (3.31) Die Situation des ”uneigentlichen Integrals” (unbeschr¨ anktes Integrationsgebiet bzw. Pol- stellen von f ) wird in Satz 3.6 gleich miterfasst, etwa U = (0, ∞) × (0, 2π), T (U ) = R
2\ {(x, 0) : x ≥ 0},
Z
∞−∞
Z
∞−∞
f(x, y) dx dy = Z
∞0
Z
2π 0f (r cos ϕ, r sin ϕ)r dϕ dr . (3.32)
Beispiel 3.7
1. Sei f : R
2→ R rotationssymmetrisch, das heißt, f (x, y) = g( p
x
2+ y
2) , g : R
+→ R . Wegen (f ◦ T )(r, ϕ) = g(r) wird die Formel (3.32) zu
Z
R2
f (x, y) dx dy = Z
∞0
Z
2π 0g(r)r dϕ dr = 2π Z
∞0
g(r)r dr .
2. Fl¨ ache des Kreises K
Mum 0 mit Radius M : Es ist g = 1
[0,M], vol (K
M) =
Z
KM
1 d(x, y) = 2π Z
M0
r dr = πM
2. 3. F¨ ur
f (x, y) = e
−(x2+y2)erhalten wir
g(r) = e
−r2, also
Z
∞−∞
Z
∞−∞
e
−(x2+y2)dx dy = 2π Z
∞0
re
−r2dr = −πe
−r2r=∞
r=0
= π . Da andererseits
Z
∞−∞
Z
∞−∞
e
−(x2+y2)dx dy = Z
∞−∞
e
−x2dx
2, folgt außerdem
Z
∞−∞
e
−x2dx = √
π .
Wir betrachten nun Kugelkoordinaten im Raum. Sie sind gegeben durch
T (r, θ, ϕ) = (r sin θ cos ϕ, r sin θ sin ϕ, r cos θ) . (3.33) Der Nordpol (0, 0, r) entspricht dem Winkel θ = 0, der S¨ udpol (0, 0, −r) dem Winkel θ = π, der ¨ Aquator mit den Vektoren (r cos ϕ, r sin ϕ, 0) dem Winkel θ = π/2. Falls wir als Definitionsbereich f¨ ur die Integration
T : U = (0, ∞) × (0, π) × (0, 2π) → R
3. (3.34) setzen, so ist
R
3\ T (U ) = {(x, 0, z) : x ≥ 0, z ∈ R } eine (Lebesgue-) Nullmenge im R
3, und es gilt
det DT (r, θ, ϕ) = r
2sin θ . (3.35) Die Substitutionsregel, auf dem gesamten R
3formuliert, wird zu
Z
∞−∞
Z
∞−∞
Z
∞−∞
f (x, y, z) dx dy dz = Z
∞0
Z
2π 0Z
π 0f (T (r, θ, ϕ))r
2sin θ dθ dϕ dr . (3.36)
Beispiel 3.8
1. Sei f : R
3→ R rotationssymmetrisch, das heißt, f (x, y, z) = g( p
x
2+ y
2+ z
2) , g : R
+→ R . Dann ist (f ◦ T )(r, θ, ϕ) = g(r), also
Z
R3
f (x, y, z) d(x, y, z) = Z
∞0
Z
2π 0Z
π 0g(r)r
2sin θ dθ dϕ dr = 2π Z
π0
sin θ dθ Z
∞0
g(r)r
2dr
= 4π Z
∞0
g(r)r
2dr . (3.37)
2. Volumen der Kugel K
Rum 0 mit Radius R: Hier ist g = 1
[0,R], vol (K
R) = 4π
Z
∞ 0r
21
[0,R](r) dr = 4π Z
R0
r
2dr = 4 3 πR
3.
3. Gravitationspotential der Kugel K
Rmit rotationssymmetrischer Dichte ρ: Das Po- tential im Punkt P = (0, 0, a) oberhalb der Kugel (a > R) ist gegeben durch
u(P ) = γ Z
KR
ρ(kxk
2) kx − P k
2dx ,
wobei γ die Gravitationskonstante ist. Wir substituieren x = T (r, θ, ϕ) und erhalten
ρ(T (r, θ, ϕ)) = ρ(r) ,
sowie
kT (r, θ, ϕ) − P k
22= r
2sin
2θ cos
2ϕ + r
2sin
2θ sin
2ϕ + (a − r cos θ)
2= r
2sin
2θ + a
2− 2ar cos θ + r
2cos
2θ
= a
2+ r
2− 2ar cos θ . Es folgt also
u(P ) = γ Z
KR
ρ(kxk
2)
kx − P k
2dx = γ Z
R0
Z
2π 0Z
π 0ρ(r)r
2sin θ
√ a
2+ r
2− 2ar cos θ dθ dϕ dr
= 2πγ Z
R0
ρ(r)r
2Z
π0
sin θ
√ a
2+ r
2− 2ar cos θ dθ dr . Substitution t = − cos θ, dt = sin θ dθ ergibt
Z
π 0sin θ
√ a
2+ r
2− 2ar cos θ dθ = Z
1−1
√ 1
a
2+ r
2+ 2art dt = 1 ar
√
a
2+ r
2+ 2art
t=1
t=−1
= 1 ar
p (a + r)
2− p
(a − r)
2= 2 a , also
u(P ) = 4πγ a
Z
R 0ρ(r)r
2dr . Andererseits gilt f¨ ur die Gesamtmasse der Kugel
M = Z
KR
ρ(x) dx = 4π Z
∞0
1
[0,R](r)ρ(r)r
2dr = 4π Z
R0
ρ(r)r
2dr ,
also
u(P ) = γM a .
Als Ergebnis erhalten wir: Das von der Kugel herr¨ uhrende Gravitationsfeld ist au-
ßerhalb der Kugel dasselbe wie das von einer Punktmasse M im Nullpunkt erzeugte
Feld.
4 Das Oberfl¨ achenintegral
Thema dieses Kapitels ist das Integral Z
M
f (ξ) dS(ξ)
einer Funktion f, die auf einer Mannigfaltigkeit M ⊂ R
ndefiniert ist. Dabei soll dim(M ) = k < n und das Integral ein k-dimensionales Integral sein. Im Spezialfall f = 1 soll sich der k-dimensionale Inhalt
vol
k(M ) = Z
M
1 dS(ξ)
von M ergeben. Eine typische Situation ist M = ∂Ω, wobei Ω ⊂ R
noffen ist, mit k = n−1, M ist die “Oberfl¨ ache” von Ω, daher die Bezeichnung “Oberfl¨ achenintegral”. Im Falle n = 3 ist k = 2 und ∂Ω zweidimensional, vol
2(M ) ist dann der Fl¨ acheninhalt von M . Andere in Anwendungen h¨ aufig auftretende F¨ alle sind k = 1 mit n = 3 oder n = 2.
Inhalt eines niederdimensionalen Parallelotops. Wir wollen den k-dimensionalen In- halt eines von k Vektoren aufgespannten Parallelotops im R
nbetrachten. F¨ ur w
1, . . . , w
k∈ R
nsetzen wir
P [w
1, . . . , w
k] = n X
ki=1