• Keine Ergebnisse gefunden

Rohstoffspekulation: Mythos oder Realität? | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Rohstoffspekulation: Mythos oder Realität? | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

ROHSTOFFHANDEL

30 Die Volkswirtschaft   6 / 2021

So ist es möglich, dass Spekulationen die Preise von Terminkontrakten in die Höhe trei- ben. Wenn der gehandelte Rohstoff nicht knapp ist, steigt der langfristige Preis gegenüber dem kurzfristigen an. Ein Spekulant kauft immer auf Termin, da er am physischen Produkt gar nicht interessiert ist. Er wettet auf den steigenden – oder sinkenden – Preis.

Wenn keine Knappheit herrscht, führt der Anstieg der Terminpreise zu vollen Lager- beständen, da die Lieferanten der physischen Rohstoffe lieber zum höheren Preis in der Zukunft als zum tieferen aktuellen Preis ver- kaufen. Mit der Differenz zwischen den Preisen können sie die Lagerung finanzieren. Durch die Zunahme der Lagerbestände sinkt allerdings die verfügbare Rohstoffmenge, worauf der aktu- elle Preis steigt, und zwar so lange, bis die Preis- differenz zum Terminpreis ausgeglichen ist.

Durch diese Verbindung zum physischen Markt unterscheiden sich die Rohstoffmärkte von reinen Finanzmärkten. Dieser Mechanismus bremst die Spekulation – ausser ein Spekulant würde den Rohstoff physisch einlagern.

Finanzialisierung geht zurück

Der zweite Mythos besagt, die Finanzialisie- rung der Rohstoffmärkte sei ein neuer, stark zunehmender Trend. Was hat es damit auf sich? Traditionell waren Finanzinstitute an der Finanzierung von Spekulationen beteiligt, und sie handelten manchmal auch auf eigene Rechnung. In den 1990er- und 2000er-Jahren kamen mehrere populäre Studien1 und Bücher2 zum Schluss, dass die Rohstoffpreise und die Preisentwicklung anderer Anlagen nur wenig korrelieren. In der Folge begannen Hedge- fonds und andere Anleger, in Rohstoffe zu

D

ie Vorstellung, dass die Spekulation einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf der Rohstoffpreise hat, ist weitverbreitet. Häufig ist auch zu hören, die «Finanzialisierung» der Roh- stoffmärkte habe die Spekulation angeheizt, was impliziert, dass Banken und andere Finanz- institute auf diesen Märkten eine wichtigere Rolle spielen als früher. Doch stimmt das wirk- lich? Im Folgenden nehmen wir drei Mythen zum Rohstoffhandel unter die Lupe.

Der erste Mythos besagt, dass sich die Preise an den Terminbörsen vom physischen Handel abkoppeln können. Tatsächlich werden viele Rohstoffe an der Börse in Form von Termin- kontrakten gehandelt. Mit solchen Verträgen können Produkte gekauft oder verkauft wer- den, die zu einem späteren Zeitpunkt geliefert werden. So können sich die Marktteilnehmer gegenüber einer ungünstigen Preisentwicklung absichern: Ein Produzent kann beispielsweise heute einen bestimmten Preis für eine Lie- ferung in einigen Monaten festlegen. Dafür braucht es jedoch jemanden, der den Gegenpart übernimmt und zu diesem Preis kauft. Hier kommt der Spekulant ins Spiel, der darauf wet- tet, dass sich der Preis in eine für ihn vorteil- hafte Richtung entwickeln wird. Der Spekulant will jedoch das physische Produkt nicht wirk- lich kaufen, sondern veräussert den Termin- kontrakt später wieder.

Rohstoffspekulation:

Mythos oder Realität?

Für Preisschwankungen an den Rohstoffmärkten werden oft Spekulationen verantwort- lich gemacht. Eine Analyse zeigt, dass der Einfluss überschätzt wird.  Olle Östensson

Abstract  Kritische Stimmen monieren immer wieder, dass die Spekulation mit Rohstoffen zugenommen habe und die Märkte «finanzialisiert» seien, was bei den Basiswerten zu einer ungesunden Preisentwicklung geführt habe. Studien zeigen jedoch, dass sich die Preise an den Börsen nicht vom physischen Handel abgekoppelt haben. Zudem ist die Finanzialisierung im Rohstoffhandel aufgrund einer strengeren Regulierung nach der Finanz- krise 2008 zurückgegangen. Schliesslich gibt es auch kaum Hinweise darauf, dass Indexfonds den Markt destabilisiert haben.

1 Siehe etwa Froot (1995) sowie Gorton und Rouwenhorst (2006).

2 Z. B. Anson (2006).

(2)

FOKUS

Die Volkswirtschaft   6 / 2021 31 investieren – wodurch die Finanzialisierung an-

stieg. Aufgrund neuer Regulierungen nach der Finanzkrise 2008 mussten die Banken ihre Pra- xis anpassen und den Handel mit Rohstoffen im Jahr 2014 ganz einstellen. Dadurch nahm auch die Finanzialisierung wieder ab.3

Die Rolle der Indexfonds

Manchmal ist auch zu hören, dass Indexfonds besonders intensiv spekulieren. So sollen sie in den Jahren 2007 und 2008 für dramatische Preissteigerungen gesorgt haben. Was ist von diesem dritten Mythos zu halten?

Grundsätzlich gilt: Indexfonds wurden für Anleger geschaffen, die von den steigenden Rohstoffpreisen profitieren wollten, ohne direkt in die «physischen» Produkte zu investieren.

Solche «Rohstoffindizes» werden hauptsäch- lich von Banken angeboten und bilden die Ent- wicklung der Rohstoffpreise ab.

Die Banken sichern ihre Positionen in der Regel ab, indem sie Rohstoffterminkontrakte in einem Volumen kaufen, das dem Volumen der von ihnen verkauften Indizes entspricht. Sie kaufen zum Beispiel einen Terminkontrakt für eine Lieferung in drei Monaten und verkaufen diesen zwei Monate später wieder. So können sie ihr Vermögen auf einem stabilen Niveau halten und sind jederzeit abgesichert, ohne je Rohstoffe geliefert zu erhalten. Kritiker sagen allerdings, Indexfonds hätten den Markt aus dem Gleichgewicht gebracht, weil sie in grossem Umfang Kontrakte kauften.

Echte Knappheit

Zahlreiche akademische Studien4 haben die Rolle der Spekulation und insbesondere der Indexfonds untersucht. Die Schlussfolgerungen sind gemischt. Einige fanden Hinweise darauf, dass Spekulation den Preis gewisser Rohstoffe Spekulanten wetten

auf künftige Preis- änderungen von Rohstoffen wie Erdöl.

ALAMY

3 Bianchi et al. (2020).

4 Z. B. Irwin und Sanders (2010) sowie Andreas- son et al. (2016).

(3)

ROHSTOFFHANDEL

32 Die Volkswirtschaft   6 / 2021

CFTC, BROKER-POSITIONEN / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Abb. 2: Rohölpreis an den Terminmärkten (2006–2009)

–500 000 –500

0 500 Preis pro Barrel Brent (in Dollar) 1000

2006 2007 2008 2009

0 500 000

1 000 000 Anzahl Kontrakte

  Nettopositionen «Commercial» (Produzenten und Reffinerien, linke Skala)        Nettopositionen «Swap Dealers» (Indexfonds, linke Skala)   Rohölpreis pro Barrel Brent (rechte Skala)     

vorübergehend beeinflusst. Mehrere Metaana- lysen5 kamen hingegen zum Schluss, dass sich in den meisten Studien kaum Anhaltspunkte für eine Destabilisierung finden.

Man muss aber keine Ökonometrikerin sein, um das Konzept von Indexfonds zu verstehen.

Es gibt auch einfacher verständliche Belege. So genügt etwa ein Blick auf die Rohölpreise wäh- rend der Weltwirtschaftskrise 2008 – die im Zentrum der Debatte stehen.

Wie bereits erklärt füllen sich die Öllager, wenn steigende Terminpreise auf die Spekula- tion zurückzuführen sind. Die Preisentwicklung

der Erdölvorräte in den Jahren 2005 bis 2008 zeichnet jedoch ein ganz anderes Bild: Als die Preise 2008 explodierten, waren die Lager- bestände niedrig und gingen im Frühling zurück  – einer Jahreszeit, in der Raffinerien normalerweise ihre Tanks füllen (siehe Ab- bildung  1). Für den starken Preisanstieg waren somit nicht irgendwelche Indexfonds ver- antwortlich, sondern die tatsächliche physische Knappheit von Rohöl.

Dies bestätigen auch Daten der US-Auf- sichtsbehörde CFTC zu den Nettopositionen von Marktteilnehmern (siehe Abbildung 2). Dabei Abb. 1:  Rohölvorräte in den OECD-Staaten, in Mio. Barrel Brent (2005–2008)

INTERNATIONALE ENERGIEAGENTUR, OIL MARKET REPORTS / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

900 925 950 975 1000 1025

2005 2006 2007 2008

  März        April        Mai        Juni

5 Haase et al. (2016) und Boyd et al. (2018).

(4)

FOKUS

Die Volkswirtschaft   6 / 2021 33 sind hier zwei Kategorien von Rohölhändlern,

die bei der CFTC gemeldet sind, relevant: Die erste umfasst Produzenten und Raffinerien («Commercial»), die zweite hauptsächlich Indexfonds («Swap Dealers»).

Die Nettopositionen der Swap- Händler  – das heisst die von ihnen getätigten In- vestitionen in den Rohölmarkt – waren in den Jahren 2006 und 2007 nahezu konstant.

Nachdem die Rohölpreise Mitte 2008 ihren Höhepunkt erreicht hatten, gingen die Netto- positionen wieder etwas zurück. Wenn nun, wie manche behaupten, die Indexfonds die Preise in die Höhe getrieben hätten, wären die Nettopositionen hingegen gestiegen. Die Positionen der Marktteilnehmer der Kategorie

«Commercial», das heisst der Produzenten und Raffinerien, bewegten sich dagegen ähnlich wie die Rohölpreise.

Olle Östensson

Unabhängiger Berater und Lehrbeauftragter für Roh- stoffhandel, Fakultät für Wirtschaft und Management, Universität Genf

Literatur

Andreasson, P.; Bekiros S. und Salah Uddin G.

(2016). Impact of Speculation and Economic Uncertainty on Commodity Markets. Interna- tional Review of Financial Analysis, 43: 115–127.

Anson, M. J. P. (2006). Handbook of Alternative Investments. Hoboken, John Wiley & Sons.

Bianchi, R. J.; Fan J. H. und Todorova N. (2020).

Financialization and De-financialization of Commodity Futures: A Quantile Regression Approach. International Review of Financial Analysis, 68.

Boyd, N. E.; Harris J. H. und Li B. (2018). An Up- date on Speculation and Financialization in Commodity Markets. Journal of Commodity Markets, 10: 91–104.

Froot, K. A. (1995). Hedging Portfolios with Real Assets. Journal of Portfolio Management, 21 (4): 60–77.

Gorton, G. und Rouwenhorst K. G. (2006). Facts and Fantasies about Commodity Futures. Fi- nancial Analyst Journal, 62 (2): 47–68.

Haase, M., Seiler Zimmermann S. und Zimmer- mann H. (2016). The Impact of Speculation on Commodity Futures Markets – A Review of the Findings of 100 Empirical Studies. Journal of Commodity Markets, 3: 1–15.

Irwin, S. H. und Sanders D. R. (2010). The Impact of Index and Swap Funds on Commodity Futu- res Markets: Preliminary Results. OECD Food, Agriculture and Fisheries Working Papers, N° 27, OECD Publishing.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Spekulation mit Terminkontrakten die Rohstoffpreise vermutlich nur wenig beein- flusst. Nur wenn Spekulanten die physischen Rohstoffe tatsächlich besitzen, können sie von den Preisschwankungen profitieren. Dies wäre jedoch teuer und mit hohen Risiken verbunden.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

käufe durch Banken finanziert werden, lässt sich das Volumen der Nachfrage nach Rohstoffhandelskrediten zwischen 2012 und 2014 5 auf rund 560 bis 600 Milliarden Franken pro

schreibt vor, dass Aufträge von Kunden an eine andere Börse umgeleitet werden müs- sen, falls dort die Kurse vorteilhafter sind.. Allerdings präzisiert die Regel 602, dass eine

Die allgemeinen Bestimmungen enthalten insbesondere den Grundsatz, dass Banken je- derzeit über genügend Liquidität verfügen müssen, um ihren Zahlungsverpflichtungen auch

Anschliessend wen- den wir uns drei Themen zu, die momentan einen grossen Stellen- wert haben: dem Konsum der privaten Haushalte der USA, der Finanzierung der

Weil damit ihre Solvenz immer fraglicher wurde, wurde es für die Banken immer schwerer, die kurzfristigen Schulden bei anderen Banken zu er­. neuern, da diese befürchteten, bei

Sie macht reife Märkte sowohl für Export- einsteiger wie auch für erfahrene Exporteu- re schlicht unverzichtbar und trägt zu einem wesentlichen Teil zum Erfolg der Export-

Aber ohne anschliessende persönliche Kontak- tierung der Zielfirmen durch verkaufsorientier- te Projektpartner vor Ort bleibt es für den Schweizer Exporteur in der Regel

Dies hatte allerdings nichts mit Spekulation zu tun, denn die Terminmärkte für Reis sind relativ unbedeutend.. Vielmehr waren Ex- portrestriktionen wichtiger Erzeugerlän- der