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Geliebter Madensack. Die Menschwerdung Gottes als Ausdruck seiner Menschenliebe

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Geliebter Madensack

Die Menschwerdung Gottes als Ausdruck seiner Menschenliebe

Von: Anne Käfer, erschienen im Deutschen Pfarrerblatt, Ausgabe 12/2010

Trotz Luthers Wertschätzung des menschlichen Körpers wird in evangelisch-lutherischer Tradition häufig die Ansicht vertreten, der menschliche Körper sei ein notwendiges Übel und letztlich nur ein Madensack, der während des Lebens dem Geist zu dienen habe. Anne Käfer fragt danach, welcher Umgang mit körperlichen Bedürfnissen nach evangelisch-christlichem Verständnis angemessen ist.

»›Sihe ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.‹ [...] Wie heisst denn die Freude, damit sol ein Christen umbgehen? ›Euch‹, spricht er [d.i. der Engel], ›ist geborn der

Heiland‹. Wie kuende er froelicher reden? Er will sagen: singet, springet [...]. [...] nu [...] ist euch ein Heiland geboren, welcher nicht allein ist ein Mensch geboren, der euch gleich ist, sondern der euch auch gegeben ist, also daß seine Geburt und alles, was er hat, sol ewer sein.Nu bedencke ein Mensch, wie hoch sind wir geadelt, daß die Menschliche Natur zu solchen Ehren kommen ist, der Madensack ist so herrlich gezieret, denn dis Kind hat ihn selbst an sich genomen, was kann nu unfletig sein am Menschen?«1 Was kann nun unflätig sein am Menschen? Das fragt Martin Luther in seiner Weihnachtspredigt von 1529 und zeigt auf den Mensch gewordenen Gott in der

Weihnachtskrippe. Dass da in der Weihnachtskrippe ein Menschenkind liegt, das ist nach Luther Beweis dafür, dass der menschliche Körper als solcher nicht unflätig, nicht unrein ist. Der

»Madensack« oder der sterbliche und verwesliche Körper des Menschen ist nach Luther von Gott vielmehr angenommen und geliebt – schon deshalb kann der menschliche Körper als solcher nicht unrein sein, weil er von Gott selbst geschaffen ist. Trotz dieser Wertschätzung des Körpers scheint auch in evangelisch-lutherischen Kirchen die Ansicht vertreten zu werden, der menschliche Körper sei ein notwendiges Übel und letztlich nur ein Madensack, der während des Lebens dem Geist zu dienen habe. Dieser Dienst aber erfordere strenge Zurückhaltung beim Genuss von Körperlichkeit und bei der Befriedigung körperlicher Bedürfnisse. Entsprechend werden Genuss und die Befriedigung

körperlicher Bedürfnisse scharf reglementiert; das ist u.a. in Fragen der Sexualität, der Kleidung und der Ernährung der Fall. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, was nach evangelisch-christlichem Verständnis für einen angemessenen Umgang mit körperlichen Bedürfnissen gefordert ist. Dabei soll das Angenommensein des menschlichen Körpers durch den in Jesus Christus Mensch gewordenen Schöpfer leitender Maßstab sein. Die Ausführungen gliedern sich in drei Punkte. Weil das christliche Verständnis vom Umgang mit dem menschlichen Körper dadurch bedingt ist, dass Körper und Seele eines Menschen untrennbar aufeinander bezogen sind, soll auf die Beziehung zwischen Seele und Körper eingegangen werden (1.). Weil für diese Bezogenheit und den daraus resultierenden Umgang mit dem menschlichen Körper die Einsicht in die Menschwerdung Gottes maßgeblich ist, soll die Inkarnation des Schöpfers in den Blick genommen werden (2.). Anschließend sollen Überlegungen zum christlich angemessenen Umgang mit dem menschlichen Körper festgehalten werden (3.). 1. Die Beziehung zwischen Seele und Körper Geschaffen ist der Mensch als ein Wesen mit Geist und Seele und Körper. Die Schöpfung des Menschen umfasst die Erschaffung seiner Seele und seines Körpers;

nach Luther ist der Mensch »creatura Dei, carne et anima spirante constans«.2 Nur auf Grund seiner Seele, seines Herzens oder Gewissens – alle drei Worte stehen für dasselbe – ist dem Menschen eine bewusste Beziehung mit Gott möglich. Das Gewissen oder Bewusstsein ist die von Gott geschaffene Instanz, über die Gott mit dem Menschen eine Beziehung aufbauen kann. Grundsätzlich ist es dem mit Bewusstsein ausgestatteten Menschen gegeben, sich selbst und seiner Umwelt bewusst zu sein.

Zudem ist dem gewissen-haften Menschen eine Macht und Größe bewusst, die, was da ist, begründet und beherrscht. Die Beschaffenheit solch einer einzelnen oder plural verfassten Macht wird jedoch unterschiedlich gesehen. Nach christlicher Überzeugung bestimmt allein der dreieinige Gott das Sein der Welt. Gott der Schöpfer, Erlöser und Vollender ist die Macht und Größe, die das eigene Leben und die Welt insgesamt begründet, erhält und vollendet. Von diesem Gottesbewusstsein, diesem Wissen um den dreieinigen Gott wird christliches Leben geleitet. Christliches Leben geschieht im Bewusstsein des dreieinigen Gottes, der die Welt geschaffen hat, selbst Mensch geworden ist und den Glauben an sich selber wirkt. Christliches Leben geschieht also maßgeblich im Bewusstsein der

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Inkarnation des Wortes Gottes, das mit Jesus Christus (nicht aber mit der Heiligen Schrift) identisch ist; christliches Leben geschieht im Bewusstsein der Menschwerdung des Schöpfers, die den menschlichen Körper als von Gott geschaffen und angenommen bezeugt. Von diesem Bewusstsein ist alles Leben, Denken und Tätigsein eines Christenmenschen grundlegend bestimmt. Und wiederum ist wie bei allem Handeln so auch beim Zustandekommen von Bewusstsein der menschliche Körper beteiligt. Über den menschlichen Körper werden Eindrücke aufgenommen und Begegnungen erlebt.

Mit den Sinnen werden Erlebnisse und Informationen rezipiert. Mit den Körperorganen wird gegessen und getrunken. Bedürfnisse werden gestillt. Mit dem menschlichen Körper werden auf der anderen Seite Äußerungen gemacht und Willensabsichten zum Ausdruck gebracht. Es werden Begegnungen gesucht oder gemieden. Bedürfnisse werden geäußert und ihrer Befriedigung wird nachgegangen. Es gibt sehr unterschiedliche körperliche Bedürfnisse. Von Mensch zu Mensch variiert das Bedürfnis nach Lustgewinn oder Schmerzfreiheit, nach Schlaf oder Nahrung, nach Wärme, Bewegung oder Ruhe. Diese körperliche Bedürftigkeit kann verneint und abgewehrt werden. Die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse kann aber auch zum einzigen Lebensinhalt werden. Da gibt es Menschen, die ein zurückhaltendes Leben loben und »Ausschweifungen« verwerfen. Umgekehrt sieht der dolce vita-Typ abschätzig auf den Asketen herab. Um darzustellen, was nach evangelisch-christlichem Verständnis für einen angemessenen Umgang mit körperlichen Bedürfnissen gefordert ist, soll im Folgenden von der Menschwerdung des Schöpfers die Rede sein.3 Was bedeutet das, dass Gott selbst einen menschlichen Körper angenommen hat? 2. Die Menschwerdung des Schöpfers In Jesus Christus ist Gott der ewige und allmächtige Schöpfer Mensch geworden. Er hat nicht nur die Welt und alle Menschen auf ihr geschaffen. Er ist auch selbst in der Welt geboren worden als ein Mensch mit Fleisch und Blut. Er hat als Mensch mit Seele, Geist und Körper auf Erden unter den von Gott geschaffenen Geschöpfen gelebt. Damit, dass Gott Mensch geworden ist und in seiner Schöpfung lebte und starb, hat er sich unwiderruflich zu seiner Schöpfung und insbesondere zum Menschen bekannt. Nach Luther ist Gottes Inkarnation eindeutiger Beweis dafür, dass der menschliche Körper, der Madensack, nicht nur nicht unflätig ist. Die Tatsache, dass Gott selbst als Mensch geboren wird, den Tod am Kreuz auf sich nimmt und sich also zum Menschen bekennt, ist nach Luther vielmehr Ausdruck der Menschenliebe des Schöpfers. »Nu haben wir von Gott eitel Liebe und wohlthat empfangen, denn ist das nicht eine grosse unaussprechliche Liebe, das er seinen eingebornen Son vom Himel herunter geschickt hat und ins fleisch geworffen, auff das er uns errettete und erlösete von Sünde, Tod, Teufel und Helle?«4 In Jesus Christus bekennt der Schöpfer seine Liebe zum

fleischlich/körperlich verfassten Menschen. Dieses Liebesbekenntnis Gottes zielt darauf, den

Menschen dazu zu befreien, seinen bedürftigen Körper als gute Schöpfergabe anzunehmen. Damit ist auch die Erkenntnis verbunden, dass es keineswegs grundsätzlich unchristlich ist, körperliche

Bedürfnisse zu befriedigen und deren Befriedigung gar zu genießen. Das verbürgt insbesondere das Sakrament des Abendmahls.5 Nach lutherischem Verständnis ist Gott selbst gegenwärtig in Brot und Wein. In diesen beiden Schöpfungsgaben, die die dem Menschen nötigen Lebensmittel

repräsentieren, sind Fleisch und Blut des Menschgewordenen präsent. Mit ihnen sorgt Gott nicht nur für das Wohl der Seele, er sorgt auch für das Wohl des Körpers; er selbst versorgt den Menschen mit Lebensnotwendigem, mit Liebe und mit Nahrung, mit genussreicher Nahrung. Denn die Liebe des Schöpfers gilt eben gerade auch dem menschlichen Körper. Gott der Schöpfer ist es, der dem Menschen »geben hat und ohn Unterlaß erhält Leib, Seele und Leben«; von ihm gilt, dass er den Menschen »fur allem Ubel und Unglück behütet und beschützet, allerlei Fährligkeit und Unfall abwendet, und solchs alles aus lauter Liebe und Güte, durch uns unverdienet«.6 Dass Gott die Menschen liebt, und zwar mit Seele und Körper, das kommt bei der Feier des Abendmahls zum Ausdruck. Im Abendmahl wird nicht nur vergegenwärtigt, dass Gott selbst als Mensch mit Fleisch und Blut auf Erden lebte. Es wird vielmehr vermittelt über den Körper derer, die das Abendmahl genießen, die Präsenz der Liebe Gottes vergegenwärtigt. Mit körperlichen Sinnen werden seine

Menschwerdung, seine Hingabe und somit seine Menschenliebe spürbar.7 Es ist dem Menschen überhaupt nur über seinen Körper vermittelt möglich, die Hingabe Christi zu erleben. Gottes Zuwendung wird durch Predigt und Sakramente über offene Ohren und Augen und über die Geschmacksorgane vermittelt; nur so gelangt sie schließlich bis zum Herzen.8 Nach Luther »kompt der heilige geist und gibt sich auch uns gantz und gar, der leret uns solche wolthat Christi, uns erzeigt, erkennen, hilfft sie empfahen und behalten, nützlich brauchen und austeilen, mehren und foddern,

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Und thut dasselbige beide, ynnerlich und eusserlich: Ynnerlich durch den glauben und ander geistlich gaben. Eusserlich aber durchs Euangelion, durch die tauffe und sacrament des altars, durch welche er als durch drey mittel odder weise er(!) zu uns kompt und das leiden Christi ynn uns ubet uns zu nutz bringet der seligkeit.«9 Dass sich Gott der Seele und besonders auch dem Körper des Menschen zuwendet, das hat Auswirkungen auf den menschlichen Umgang mit dem Körper. Christlich

angemessen kann nur ein solcher Umgang sein, der das Angenommensein des von Gott

geschaffenen bedürftigen Körpers durch den Schöpfer selbst voraussetzt und im Blick behält. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Einsicht, dass dieses Angenommensein und das Vertrauen darauf nicht durch eigenen körperlichen Einsatz erlangt werden kann. 3. Umgang mit körperlichen - Bedürfnissen in evangelisch-lutherischer Sicht Nach evangelisch-lutherischer Überzeugung ist für die Güte menschlichen Handelns die Gewissensbestimmtheit oder vielmehr die Gesinnung und

Herzenshaltung des handelnden Menschen maßgeblich. An der Herzenshaltung eines Menschen entscheidet sich, ob sein Handeln Sünde ist oder nicht. Die Gesinnung eines Menschen entscheidet darüber, ob sein Umgang mit dem menschlichen Körper sündhaft ist oder gut. Nach Luther ist ein jedes Werk, das im Glauben getan wird, ein gutes Werk; auch wenn dieses Werk »szo gering were als ein strohalmen auffheben«.10 – Unter Glauben versteht Luther das Vertrauen auf den Mensch

gewordenen Schöpfer, der sich selbst dem glaubenden Menschen zu Bewusstsein gebracht hat.

Jedes von solchem Vertrauen getragene Tätigsein wird von Luther gut genannt. Am Beispiel des Fastens wird diese Pointe evangelisch-lutherischer Ethik deutlich: Fasten wurde und wird im

Christentum als eine Weise der Religionsausübung verstanden. Luther kannte die Praxis des Fastens als übliche Form christlicher Frömmigkeitsübung. Er wusste, dass es einem Christenmenschen ziemte, nach Rom und Jerusalem zu wallfahren, zu beten und zu beichten; und er wusste, dass es der christlichen Frömmigkeit dienen sollte, wenn ein Christenmensch »fastet den und dissen tag«.11 Es gibt viele Gründe, auf Nahrung und bestimmte Getränke Verzicht zu leisten: Gesundheitsfaktoren oder ästhetische Absichten können eine Rolle spielen. Ebenso kann es sein, dass Traditionen oder

gesellschaftliche Bindungen ein Fasten bedingen. Dass das Fasten Gewicht reduzierende Wirkung hat, das kann dem menschlichen Körper gut tun. Ein unangemessenes, übermäßiges Fasten kann dem menschlichen Körper schaden. Keinesfalls jedoch kann nach Luther die aktive Ablehnung von Nahrung die Gottesbeziehung beeinflussen, gar Glauben wirken und die Liebe Gottes verdienen.12 Keine Tätigkeit des Menschen, kein körperliches Tun, weder Fasten noch Wallfahren, kann nach Luther zum Glauben führen. Das Vertrauen auf Gott lasse sich nicht mit bestimmten Werken bewirken und schon gar nicht durch den Verzicht auf die Befriedigung bestimmter menschlicher Bedürfnisse.

Gott und nicht der Mensch bewirkt im Menschen den christlichen Glauben, der durch Predigt und Sakrament vermittelt werde. »Der Mensch, ehe er zu einer neuen Creatur im Reiche des Geistes erneuert wird, thut nichts, bestrebt sich um nichts, wodurch er zu dieser Erneuerung und diesem Reiche geboren werde, dann auch, wenn er wiedergeboren ist, thut er nichts, bemüht sich um nichts, wodurch er in diesem Reiche beharren könnte, sondern beides thut allein der Geist in uns [...]. Aber er wirkt nicht ohne uns, da er uns ja gerade dazu wiedergeboren hat und erhält, damit er in uns wirke, und wir mit ihm wirken.«13 Weder ein asketischer Umgang mit Speisen und Getränken noch auch das Einhalten bestimmter Kleidungsvorschriften erwirkt nach Luther Gottes Liebe und führt zum Glauben.

Der Umgang mit dem menschlichen Körper stellt keine Möglichkeit dar, Gottes Liebe zu erlangen;

ebenso verhindert er Gottes Zuwendung nicht. »Alßo hilffet es die seele nichts, ob der leyp heylige kleyder anlegt, [...] Auch nit, ob er leyplich bette, faste, walle und alle gute werck thue, die durch und ynn dem leybe geschehen mochten ewiglich. [...] Widderumb schadet es der seelen nichts, ob der leyp unheylige kleyder tregt, an unheyligen örten ist, yßt, trinckt, wallet, bettet nit«.14 Nach evangelisch- lutherischer Überzeugung bewirkt und verhindert kein Umgang mit dem menschlichen Körper die Beziehung zu Gott dem Dreieinigen. Allerdings wird ein glaubender Christenmensch auf Grund seiner Gottesbeziehung den Umgang mit dem Körper in bestimmter Weise gestalten. Vielleicht wird er einen Strohhalm aufheben, fasten oder sich in besonderer Weise kleiden und so ein gutes Werk vollbringen.

Sein Handeln wird jedenfalls in Bezogenheit auf den Mensch gewordenen Schöpfer geschehen.

Keinesfalls darf jedoch das Handeln eines Christenmenschen, das seinem christlichen Glauben entspringt, wiederum als für den Glauben notwendiges Tätigsein missverstanden werden. Kein Tätigsein, auch dasjenige nicht, das dem Glauben entstammt, kann Glauben oder vielmehr die Liebeszuwendung Gottes bedingen; diese ist und bleibt unverdient. Im Blick auf das Handeln eines

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Menschen ist zudem zu bedenken, dass es von anderen Menschen nicht als christlich oder sündhaft beurteilt werden kann. Denn die Seele des Handelnden kann von keinem anderen Menschen eingesehen werden; ob ein Mensch an Gott den Dreieinigen glaubt, das kann nach Luther »nicht bewiesen werden«15. In der Gesinnung dieses Menschen, in seinem Glauben oder Unglauben aber liegt die Güte seines Tätigseins begründet; gleichwohl kann der Handelnde nach seiner Gesinnung gefragt werden. Dass diese Überlegungen zum »christlichen Handeln« nicht von allen

Christenmenschen gleichermaßen beachtet werden, das machen nicht nur Kleidervorschriften, sondern vor allem auch Aussagen zum Sexualverhalten von Christenmenschen deutlich; dabei wird der Anschein erweckt, als könne allein Heterosexualität mit christlichem Glauben kompatibel sein. So vertritt beispielsweise eine Veröffentlichung der Evang. Landeskirche in Württemberg aus dem Jahr 2000 nebeneinander zwei (einander ausschließende) Ansichten zum Umgang mit dem menschlichen Körper, und zwar in Auseinandersetzung mit der Tatsache der Homophilie: Einerseits wird

festgehalten, dass »biblische Aussagen [...] homosexuelle Praxis grundsätzlich und generell ab[lehnen]«, weshalb diese von manchen Christenmenschen generell und grundsätzlich abgelehnt wird. Andererseits wird ausgesagt, dass »eine verantwortlich gelebte homosexuelle Partnerschaft ethisch positiv zu beurteilen« sei, weshalb sie von manchen Christenmenschen bejaht oder geduldet wird.16 In der Veröffentlichung werden die beiden Positionen durch einen differenten Umgang mit der Zeitbezogenheit biblischer Texte begründet. »Für die einen ist es heute selbstverständlich, dass die ethischen Aussagen der Bibel so zeitbezogen sind, dass sie nicht direkt auf gegenwärtige

Verhältnisse angewandt werden können.« Die andere Seite nimmt an: »Die biblischen Texte sind zwar zeitbezogen – das heißt aber nicht, dass ihre Aussagen durch Zeit und Umwelt bedingt sind. Vielmehr lassen sich biblische Aussagen wie Römer 1,26 f; 3. Mose 18,22 und 20,13 auch historisch gesehen nicht nur auf eine bestimmte Erscheinungsform von Homosexualität beschränken, sondern lehnen homosexuelle Praxis grundsätzlich und generell ab.«17 Im Unterschied dazu ist den vorliegenden Überlegungen daran gelegen, dass »christliches Handeln« am ewigen Mensch gewordenen Wort Gottes Orientierung findet. Abschluss Der menschliche Madensack ist von Gott in Liebe geschaffen und angenommen. Der menschliche Körper ist eine Liebesgabe des Schöpfers, mit der es

entsprechend umzugehen gilt. Dabei ist von grundlegender Relevanz, dass kein Umgang mit dem Körper die Beziehung zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen bewirkt oder zunichte macht.

Gleichwohl bedingt die Glaubensbeziehung des Christenmenschen einen Umgang mit dem

menschlichen Körper, der diesen samt seinen Bedürfnissen als individuelle Gottesgabe achtet. Nicht nur das Bedürfnis nach Nahrung gilt es darum in einer Weise zu stillen, die das Geschaffene

hochschätzt und dem jeweiligen körperlichen Wohl dient. Weil allerdings ein jeder Körper Anspruch auf einen wertschätzenden Umgang hat, wird die Befriedigung eigener körperlicher Bedürfnisse nicht ohne Rücksichtnahme auf die körperlichen Bedürfnisse anderer geschehen. Dabei schließt die Orientierung am ewigen Mensch gewordenen Gotteswort keinen Umgang mit dem menschlichen Körper aus, der wechselseitig die eigenen Bedürfnisse und die Bedürfnisse anderer Körper beachtet.

Ob der individuelle Umgang dann tatsächlich gut oder sündhaft ist, das kann kein Mensch erkennen.

Anmerkungen: 1 Martin Luther, Predigt am 1. Weihnachtsfeiertage 1529, WA 29, 653,22 und 654,16-26. 2 Martin Luther, Disputatio de homine, WA 39/I, 21. These, 176,7. 3 Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass aus evangelischer Sicht jegliche »Vergöttlichung« und auch alle

»Verteufelung« des Körpers nicht angemessen ist. 4 WA 10/III, Invokavitpredigt vom 15. März 1522, 55,26-30. 5 S. dazu Anne Käfer, Inkarnation und Schöpfung. Schöpfungstheologische

Voraussetzungen und Implikationen der Christologie bei Luther, Schleiermacher und Karl Barth, TBT 151, Berlin/New York 2010, 56-66. 6 Martin Luther, Großer Katechismus, Von dem Glauben. Der erste Artikel, BSLK, 648,13-15.45-49. 7 Martin Luther, Großer Katechismus, Von dem Sakrament des Altars, BSLK 717,2.3: Nach Luther ist »denen, so Christen wollen sein, aufgelegt [...], das Sakrament zu genießen.« 8 Vgl. dazu Ps. 34,9: »Schmecket und sehet wie freundlich der Herr ist.

Wohl dem, der auf ihn trauet!« 9 Martin Luther, Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis, WA

26,506,4-12. 10 Martin Luther, Von den guten Werken, Zum Vierten, WA 6,206,10.11. 11 Martin Luther, a.a.O., Zum Sechsten, WA 6, 207,33.34. 12 S. dazu CA 26, BSLK, 106,13-16: Das Fasten kann nur dazu dienen und soll dazu verwendet werden, »den Leib geschickt zu halten, daß er nicht verhindere, was einem iglichen nach seinem Beruf zu schaffen befohlen ist.« 13 Martin Luther, De servo arbitrio, WA 18,754,8-11.14.15 in der Walchschen Übersetzung, Bd. 18, 1909. 14 Martin

Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 4/5

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Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, Zum Vierten, WA 7,21,28-22,1. 15 Martin Luther, De servo arbitrio, WA 18,651,32 in der Walchschen Übersetzung, Bd. 18, 1739. 16 Die beiden Zitate stehen auf S. 13 und auf S. 12 der Veröffentlichung: »Gesichtspunkte im Blick auf die Situation homosexueller kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter«, hg. v. der Evangelisches Medienhaus GmbH im Auftrag des Evangelischen Oberkirchenrats, Stuttgart 2000. 17 A.a.O., 12.13.

Deutsches Pfarrerblatt, ISSN 0939 - 9771

Herausgeber:

Geschäftsstelle des Verbandes der ev. Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V Heinrich-Wimmer-Straße 4

34131 Kassel

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