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In der Chou-Zeit änderte sich die Bildsprache

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TIGER UND LÖWEN IN DER FRÜHEN CHINESISCHEN KUNST

Von Eleanor von Erdberg, Aachen

Als auf den Bronzen der Shang-Zeit das Tier nicht durch seine Handlungen,

sondern durch unbewegte Anwesenheit im Bild kosmische Vorstellungen ver¬

körperte, konnten seine Formen reduziert oder erweitert werden. Eine Dar¬

stellung des Tigers ohne Anreicherung durch Machtattribute anderer Tiere ist

selten. Andererseits genügte das Gesicht des T'ao-t'ieh, um das Dämonen¬

wesen in seiner ganzen Wirkungskraft erscheinen zu lassen. In der Chou-Zeit

änderte sich die Bildsprache. In der Periode Ch'un-ch'iu (722-481 v. Chr. )

ist es bereits wichtig zu zeigen - und für uns wichtig zu wissen - , welches

Tier gemeint ist. Erst jetzt können wir vom Tiger sprechen.

Gewiß war immer das Leben wichtigstes Anliegen religiösen - und damit

auch künstlerischen Bemühens; aber jetzt, um die Mitte des ersten Jahrtau¬

sends v.Chr., begreift man Lebendigsein als Bewegung. Was sich schnell und

vielseitig regt, ist überlegen. Was sich nicht bewegt, hat keinen Anteil am Le¬

ben. Um dies ausdrücken zu können, muß man wissen, wie Bewegung ent¬

steht, welche Körperformen sie möglich machen. Das statische Bild, das durch

sein unbeirrbares Ruhen Macht über das Geschehen ausgedrückt hatte, wird

nun vom dynamischen abgelöst. Jetzt will man das Phänomen der Bewegung

sehen und die durch sie bewirkte Wandlung als gesetzmäßig im Bild vorführen.

Man muß den Lauf der Sterne kennen und die Veränderungen in der Erscheinung

der Lebewesen durch ihre Bewegung. Das hybride T'ao-t'ieh wird in den Hin¬

tergrund gedrängt, denn nur an einem vom Ansehen bekannten Tier kann man

den Ablauf der Bewegung im Geiste nachvollziehen. Der Drache und andere

Fabeltiere konnten sich nur darum halten, weil für sie eine gültige und funktio¬

nierende "Anatomie" ausgearbeitet und eingehalten wurde.

Nicht mehr aus der Vorstellung, sondern aus der Anschauung entstehen jetzt

die Bilder, die von der Ordnung der kosmischen Kräfte sprechen. Zu ihren

wichtigsten Trägern gehört weiterhin der Tiger. Das mächtigste Tier der chi¬

nesischen Fauna macht kaum Anleihen mehr bei anderen Tieren. Nur eine kurze

Zeit noch hält er sich Hörner. Kopfform, leicht S-förmig geschwungene Fell¬

zeichnung und langer Schweif gehören zu seinen typisierenden Merkmalen. Der

Künstler muß den Lebendigen in seinen Bewegungen beobachten. Was diese kenn¬

zeichnet und von anderen Tieren unterscheidet, muß klar dargestellt werden.

Das führt nicht unbedingt zum Naturalismus. Es wird ein Realismus erreicht,

der dem Wesen des Tigers jenseits aller Zufälligkeiten gerecht wird. Glieder

werden betont oder verlängert, andere Körperteile, die nicht Bewegung sicht¬

bar machen, vernachlässigt. Ausgangspunkt und Richtung der Bewegung wer¬

den durch stilisierende Linien verdeutlicht. Auch das Anfügen eines Flügel-

paares dient diesem Zweck.

Auf dem Hu ausHsin-cheng und einem ähnlichen aus dem Grab des Marquis

von Ts'ai werden dem Tiger Funktionen zugeteilt, die er kraft seines Körper¬

baus und seiner Bewegungsfähigkeit erfüllen kann. Er trägt das Gefäß auf

(2)

seinem langen Rücken. Das Gewicht zwingt ihn fast in die Kniee. Als Griffhen¬

kel bietet er seine Körpermitte zum Anfassen und hält sich mit allen Vieren

an der Gefäßwand. Die Spannung, die der chinesischen Kunst seit über tausend

Jahren ihre Ausdruckskraft verleiht, zwingt den Tiger, den Kopf scharf rück¬

wärts zu drehen. An einem Spät-Chou Ho sträubt der Tiger sich mit aller Kraft

gegen die Halsfessel - eine Anstrengung, die seine Füße nur umso fester ge¬

gen die Gefäßwand preßt. Eine solche Kausalität ist neu im chinesischen Bil¬

den. Als Gegenbeispiel sei die Kanne aus der Sammlung Lochow angeführt,

deren Tigerhenkel nicht sehr vertrauenerweckend in seiner Haltekraft ist. Eine

Konvention, die nur noch am Dekorationswert haftet, bestimmte die Wahl des

Tieres. Auf einer Glocke dagegen stemmen sich zwei Tiger gegeneinander -

Brust an Brust (Sammlung Brundage, Mus.San Francisco). Die rückwärts

gewendeten Köpfe auf langen Hälsen streben auseinander. Dieses Gleichgewicht

im Gegenspiel der Kräfte schafft den Halt für das Aufhängen der schweren

Bronze. Wie anders steht ein einzelner Tiger auf einer Glocke! (ehem. Mus.

f.Völkerkunde, Berlin) - spannungs- und mühelos auf sicherer Unterlage ru¬

hend. Der Nutzform leiht das Tier seine Schmuckform, sagt aber nichts über

eine Funktion aus.

Vergleichen wir die Tiger, die mit ihrer Bewegung den Dienst des Gefäßes

unterstützen, mit denen, die es nur interessanter profilieren, so fällt auf, daß

die letzteren oft naturalistischer gestaltet sind, oder daß wenigstens das Be¬

streben des Künstlers in diese Richtung geht, während die Dienenden in ihrer

Stilisierung noch an der Grenze des Reiches der Fabeltiere stehen. Ich er¬

laube mir darum, den Begriff "Tiger" hier weit zu fassen - voraussetzend,

daß der Tiger einen Symbolwert erbte, der seine Erscheinung in einer erkenn¬

baren, wenn auch nicht immer der Natur nachgebildeten Form bestimmt.

Natürlich ist der Tiger nicht das einzige Tier, durch dessen Bild die Bewe¬

gung überzeugend "aufgeschrieben" werden kann. Aber er ist das Tier mit der

längsten und reichsten Tradition - von der von Zeit und Handlung gelösten

Erscheinung bis zur äußersten Intensität des Kraftaufwandes. Zu diesem war

er im größten Maße fähig - durch Lauf, Sprung, Schlagen und Reißen. Der

Ansatz zum Sprung ist die Haltung, die die Phantasie des Beschauers auch die

anderen Bewegungen miteinbeziehen läßt, durch die der Tiger allen anderen

Tieren - und auch dem Menschen überlegen ist. Auf den steinernen Decken¬

balken der Han-Gräber von Nan-yang und I-nan nimmt er statische Aufgaben

wahr und schützt mit drohend aufgerissenem Maul das Grab, dessen baulichen

Bestand er sichert. Beide Aufgaben löst er mit Bewegungen, die seiner Natur

entsprechen.

Auf den Endziegeln der Dächer der Han-Paläste sind die Vier Tiere der

Himmelsrichtungen eingepreßt - unter ihnen der Tiger des Westens. Ikono-

logisch ist ihm hier eine neue Aufgabe gestellt, die keine Handlung zuläßt.

Trotzdem biegt sich der Körper in den Kreis - mit einer Spannkraft, die

das Bild füllt, aber seine Grenzen nicht sprengt, sondern ausschreitend ih¬

nen folgt. Der Tiger läßt sich nicht mehr in die repräsentative, statische Form

zurückversetzen. Wenn auch die Modeln für Tiger auf den Ziegeln aus Lo-yang

ihn nicht im Lauf oder Sprung darstellen, so ist doch die Haltung bewegungs¬

trächtig, die Rückenlinie gespannt. Selbst in den ruhenden, zu einem Ya-hsiu

zusammengerollten tigerartigen Tieren ist noch die Spannkraft spürbar, die

sie jederzeit hochschnellen lassen kann. Auf Agraffen erscheint der Tiger in

verschiedenen Stellungen, in deren keiner er in völliger Ruhe verharrt. Trotz-

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dem die Bewegung sich ohne Beziehung zum Raum vollzieht, muß sie den Tiger

nicht isolieren. Ein Schlingmuster der Leiber auf Weihrauchgefäßen - auf

Deckel oder Fuß - und das Miteinander von Tiger und Drache auf Lung-hu

Spiegeln des 3. Jh. n.Chr. zeigt Körper und Bewegungen den Gesetzen unter¬

worfen, die sich die Linien in der chinesischen Kunst ohne Rücksicht auf die

von ihnen umrissenen Gestalten gaben. Wie auf den Rundziegeln stoßen die

Bewegungsimpulse nicht über den Rand hinaus. Diesem Gebot unterworfen

sind auch die Tiger auf einem Ständerfragment aus dem Man-ch'eng Grab,

2. Jh.v.Chr. Im Gegensatz zu den tragenden Tigern auf der Glocke erschei¬

nen die in die Zweckform zusammengepreßten Tiere eher passiv als aktiv.

Eine passive Haltung nehmen schon zwei Rücken an Rücken ruhende Tiger aus

einem Spät-Chou Grab in Honan an ( Chang-t'ai-kuan, Hsing-yang, L. 108 cm);

jedoch auch sie erfüllen die Aufgabe des Unterstützens. Wie die Tiger am Hsin-

cheng Hu können sie kraft ihres Gewichts Gewichtiges tragen. Die kauernde

Haltung ist dieser Anstrengung besser angepaßt. Ebenso lagern sich zwei bron¬

zene Tiger aus Man-ch'eng zu einem ähnlichen Zweck.

Die in der Ruhestellung gebändigte, aber bewegungsträchtige Kraft hat nichts

mehr mit der Machtaussage in der statischen Bannung auf die Flächen der Shang-

Kunst gemein. Diese Tigerbilder sind Darstellungsformen, die ich das Por¬

trät nennen möchte. Die Künstler bemühen sich, das Bild des ruhenden Tigers

oder des schreitenden und dem Beschauer vergnügt lächelnd zugewandten allein

durch seine natürliche Gestalt wirken zu lassen. (Shanghai Museum, Bronze.

Honolulu, Sig. Cooke, Ziegel). Das Tier ist interessant wie ein Mensch, des¬

sen Vielseitigkeit man in ein Porträt einfangen will. Es wird als schön emp¬

funden. Die machtverleihenden Eigenschaften sind latent vorhanden, aber nicht

der Anlaß zur Darstellung. Wir dürfen jedoch annehmen, daß jedes dieser Bild¬

werke zusätzlich eine ins Metaphysische reichende Bedeutung hatte.

Vom Porträt führt der Weg wieder zur Bewegung - über eine erhöhte Indi¬

vidualisierung im dramatischen Geschehen. Eine Handlung bringt den Tiger in

Beziehung zu anderen Wesen und deren Tun - und damit zu Zeit und Raum.

Von den Bildern jagender und gejagter Tiere, die den Tiger in immer neuen

Bewegungen zeigen, führt der Weg zur Gegenüberstellung_von Tier und Mensch.

Von einer primitiven Skizze auf einem Hu der Sammlung Ota, auf der der Tiger

dem Menschen gegenüber den Vorteil einer stilisierten, überlieferten Formgebung

zeigt, geht die Entwicklung zu den angreifenden Tigern in Nan-yang, zu Kampf

und Uberfall auf dem Freer Gallery Weihrauchbrenner. Höhepunkte der Dekor-

Bild-Synthese sind der Hosokawa Spiegel und der ebenfalls eingelegte Bronze¬

zylinder der Kunstakademie Tokyo aus Lo-lang. Die Bewegung entspringt jetzt

einer Absicht; der Tiger will ein bestimmtes Geschehen in seinem Ablauf be¬

einflussen oder wird zum Handeln gedrängt. Er steht nicht mehr im Dienst

einer zwar vom Menschen erdachten, aber nur vom Uber-Tier, das auch über

der Zeit steht, erfüllbaren Aufgabe. Er muß sich in geschmeidiger Wendung

und schnellem Sprung gegen den Menschen behaupten. Weiter als zum eben¬

bürtigen Gegner darf man ihn nicht herabziehen. Hier endet die Entwicklung

des Tigerbildes. In seiner letzten Phase verliert er die Unnahbarkeit in der

Isolierung. Doch kehrt er zu ihr und zur Symbolaufgabe zurück.

Der Löwe war im 8. Jahrhundert vor Chr., als sich die entscheidende Wen¬

de im Tigerbilde anbahnte, in China unbekannt und blieb es bis zum Ende der

Han-Zeit. Er konnte also in diesen fast tausend Jahren nicht als Gegenspieler

des Tigers auftreten und hatte keinen Teil an der Entwicklung vom Statischen

(4)

zum Dynamischen, vom Mythischen zum Realen. Den Weg vom Bild aus der

Vorstellung zum Abbild nach der Anschauung brauchte er nicht mehr zu durch¬

laufen - der Tiger hatte die Entwicklungsreihe bereits abgeschlossen.

Als der Tiger den weitgespanntesten bildlichen Wirkungskreis ausfüllte, wur¬

den die Chinesen mit dem Löwen bekannt - durch Hörensagen, durch Abbilder

aus dem Westen und aus Indien, wohl um 200 n.Chr. Erst als lebendige Löwen

in die kaiserlichen Tiergärten kamen, hatte ab und zu ein Künstler Gelegenheit

ein Konterfei nach der Natur anzufertigen. Von dem Maler Yen Li-pen, 2. H.

7. Jh.n.Chr., wird solches berichtet. Die wenigsten hatten das Wundertier

oder auch nur ein naturgetreues Bild gesehen.

Der Löwe betrat das Bewußtseinsfeld der Chinesen mit dem stolzen Schritt

des Königstieres. Den Diamantthron des Buddha flankierten Löwen "als die

Symbole der erweckenden Verkündigung und des unbezwingbaren Herrscher¬

tums" (Seckel). Die chinesischen Künstler mußten sich mit seiner fremd¬

artigen Form abmühen wie mit der Gestalt des Erleuchteten. Doch bereitete

ihnen das Tier, das seit Jahrhunderten zu ihren Aufgaben gehörte, weniger

Schwierigkeiten.

Der Löwe konnte schnell in China Fuß fassen, da er im Gefolge des Buddha

kam. Zudem sind die Menschen immer willens, an die Stelle einer Macht

eine andere zu setzen, von der sie noch größere Stärke erhoffen. Dem Künst¬

ler kamen seine Erfahrungen in der Tigerdarstellung zugute. Aber er beläßt

den Löwen in der Isolierung. Sogar aus der Konstruktion des Buddhathrons

löst er ihn heraus und stellt ihn davor auf.

Da der Löwe kaum aus der Anschauung bekannt war, der Ruf seiner Macht aber

gerade darum ins Übernatürliche wuchs, entstanden in der Phantasie der Chine¬

sen neue Fabelwesen, die in der Zeit der Sechs Dynastien in den Südstaaten

als gute Omen und Schutzgeister auftraten. Soper hat genaue Angaben darüber

zusammengetragen (Artibus Asiae XXIX, 1967, S. 55 ff. The "Jen-shou"

Mirrors). Alle glichen großen Raubkatzen und hatten darum viel mit dem Lö¬

wen gemein.

Ich fasse wiederum den Begriff "Löwe" recht weit und schließe auch Fabel¬

tiere ein, die von den Chinesen verschiedene Namen erhielten, und solche,

die wir oft "Chimäre" nennen. Da das Bild des Löwen so selten am lebenden

Vorbild zurechtgerückt werden konnte, begünstigte die Unabhängigkeit vom

Realen die Entstehung z.B. des Pi-hsieh und des Tsou-yü, dem ein Löwen¬

kopf, Tigerkörper und Drachenbeine zugeschrieben werden. Es war also so

weit nicht vom Löwen entfernt - und sehr nahe dem, was sich der Chinese

unter "Löwe" vorstellte.

Ein in den südlichen Dynastien im 6. Jahrhundert n.Chr. verbreiteter

Über-Löwe wurde sicher durch die westasiatischen Flügeltiere beeinflußt.

Daß die Anregung so bereitwillig in China aufgenommen wurde, lag an ihrer

Verwandtschaft mit der ältesten chinesischen Tradition des Tierstils. Das

mächtige Tier wird noch mächtiger, wenn es sich die Kampf- und Verteidi¬

gungsmittel anderer Tiere zu eigen macht. So trug einst das Tigergesicht des

T'ao-t'ieh die Hörner des Widders oder Büffels - und so wuchsen dem Löwen

Flügel. Sie reichen nicht aus, ihn in die Lüfte zu erheben - schon die Vögel

auf Shang-Bronzen hätten nicht fliegen können. Die Flügel besagen nur, daß

dem Löwen, der von Natur aus alle Kräfte des Vierbeiners besitzt, auch die

Unabhängigkeit von der Bindung an den Erdboden bescheinigt wird. Alle großen

Löwen, die - in Stein gehauen - die Gräber der Königsfamilien, vor allem

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der Liang, bewachen, haben diese Flügel. Daß schon der Tiger sie zuweilen

trug, beweist der schreitende, steinerne Tiger am Grabe des Kao Yi in Ya-

chou, Szechwan, um 209 n.Chr.

Die Anordnung der Mähne wechselt. Manchmal sieht es aus, als ob sie wie

das Horn des Ch'i-lin auf dem Kopf liegt. Manchmal bildet sie zu beiden Sei¬

ten von Gesicht und Hals eine scharfkantige Verbreiterung.

So gewaltig diese Löwen erscheinen, so sind sie doch nur dürftig geglie¬

derte Masse. Denn Bewegung wird nicht von ihnen erwartet. Die Möglichkeit

ist erkennbar. Aber der vorgestellte Fuß tut keinen Schritt, der das Tier von

der Stelle brächte. Wie schon in der bronzezeitlichen Kunst umspielen ab¬

strakte Bewegungslinien die breitflächigen Körper. Sie sind in flachen Relief¬

abstufungen ausgeführt. Sie gliedern die Mähne und die ornamentalen Locken

des Fells und verleihen den Flügeln Schwung. Bei dem Tiger hatte die Linien¬

kraft sich bereits des ganzen Tieres bemächtigt und zieht eine Bewegungkurve

vom Kopf über die Wirbelsäule bis zum Schwanz durch. Eine solche Biegung

war auf die Steinkolosse schwer zu übertragen. Technische Schwierigkeiten

begünstigten die Trennung von plastischer Masse und linienbedeckter Ober¬

fläche, die ein wichtiges Merkmal der chinesischen Kunst ist.

Auf den Spiegeln der gleichen Zeit und gleichen Gegend ist der Unterschied

zwischen Löwe und Tiger zuweilen so gering, daß eine Benennung "Löwe" an¬

gefochten werden kann. Doch findet sich oft die breitausladende Mähne oder

der starke Haarwuchs am Schweif, oder ein gedrungener Körper, der den Lö¬

wen vom langgestreckten Tiger unterscheidet. Thompson (Artibus Asiae XXIX,

1967, S. 25 ff., The Evolution of the T' ang Lion and Grapevine Mirror) und

Soper (op.cit. ) denken beim mähnenumwallten Kopf an Tsou-yü. Runde Ohren

für den Tiger und spitze für den Löwen finden sich oft im Verein mit den oben¬

genannten Unterschieden. Dem Tiger bleibt der kurze Kopf mit der stumpfen

Schnauze, während der Löwe auf Spiegeln des 6. bis frühen 7. Jahrhunderts

oft eine spitze Nase hat, die schlecht zu ihm paßt. Hier mag vorübergehend

eine Anleihe beim Bären gemacht worden sein. Die großen Steinlöwen haben

nie diese spitze Schnauze. Sowohl Schafer (The Golden Peaches of Samarkand,

Berkeley 1963, S. 84) als auch Thompson (op.cit. ) weisen darauf hin, daß der

Löwe - aus dem Westen kommend - an die Stelle des Weißen Tigers trat,

der unter den, auf Spiegeln häufigen, Vier Tieren der Himmelsrichtungen dem

Westen zugehörte. Hier fand der Löwe also als Vorbild ein nicht handelndes,

unveränderliches Symbol. Auch zum Löwen, dessen Bild das Böse bezwingt,

paßt die statische, einschüchternde Erscheinung besser als die Handlung.

Weil der Löwe in der T' ang-Zeit in der Gefangenschaft zu beobachten war,

mehren sich die - meist kleinen - Darstellungen, die mit einem erstaunli¬

chen Naturalismus gestaltet sind. Von den Traubenspiegeln gewinnen wir den

Eindruck, daß die Löwen der kaiserlichen Gärten nicht schlecht ernährt wur¬

den. Sie jagen sich spielend im Spiegelrundj ihre Bewegung wird nicht einge¬

engt; sie ist auch nie aggressiv. An den Kleinplastiken fehlen Flügel und

andere artfremde Züge. Der Löwe sitzt stolz aufgerichtet; die Locken der Mäh¬

ne fallen auf seine Schultern. Oder er beißt sich in die juckende Hinterpfote.

Er bleibt im Bereich des Porträts. Er wird freier im Raum, aber auch bezie¬

hungsloser als der Tiger dargestellt. Ein Grund hierfür ist gewiß, daß die Lö¬

wen in China keine Gelegenheit zu dramatischen Handlungen in freier Wild-

balin hatten, die Künstler solche also auch nicht beobachten konnten.

(6)

Einige wenige Beispiele zeigen, daß man Löwen auch noch in der T'ang-Zeit

zu hybriden Ubertieren erhob. Unter den tönernen Grabfiguren gibt es dämo¬

nische Wächter, deren stolz aufgerichtete Haltung ihre Abkunft vom Löwen ver¬

rät. Der Tiger wird eher geduckt, mit aggressiv vorgeschobenem Kopf dar¬

gestellt (z.B. eine Steinfigur von einer Grabstraße, um 1000 n.Chr., Samm¬

lung von der Heydt). Zudem haben die tönernen Wächtertiere unter dem art¬

fremden Geweih die breitausladende Mähne - ein stilisiertes Löwenattribut.

Sonst bleibt den Löwen zur Ausweitung ihres Wirkungskreises nur das Ge¬

biet, in das sie am wenigsten hineinpassen: das der Nippfigur. Schon auf einer

buddhistischen Malerei im Musee Guimet, vielleicht 10. Jahrhundert, sind sie

niedlich. Zahme Tiere mit Glöckchen am Hals, Löwenköpfe und -füße als Ge¬

fäßzierat sind die Meilensteine auf dem Wege zu den bunten Porzellanlöwen der

Ch'ing-Zeit, die das mächtigste Tier zu Spielzeug und Tand erniedrigen. Zwi¬

schen dem königlichen, symbolträchtigen Ubertier und dem Kuriosum, das

als Tribut aus dem fernen Westen im Tiergarten den Gaffern ausgeliefert war,

gab es keine Brücke.

Seit der Sung- und Ming-Zeit bewegen sich Tiger und Löwen in abgegrenzten,

engeren Kreisen. Der Tiger wurde nicht in die Gattung Genre hineingezogen.

Er nahm seine Symbolstellung als Tier der Erde - dem Drachen des Himmels

zugeordnet (Diptychon von Mu Ch'i, um 1200) - wieder ein. Die Löwen geben

Schutz und Würde, die sie zuerst am Buddhathron verkörperten, nun auch

Tempeln, Palästen und öffentlichen Gebäuden. Volkstümliche Vorstellungen be¬

mächtigen sich beider und prägen kaum veränderbare Bilder.

Tiger und Löwe legten in der chinesischen Kunstgeschichte verschiedene

Wege zurück, die sich kreuzten und trennten. Von der Vorgeschichte des Lö¬

wen habe ich nicht gesprochen, da sie sich im Gebiet der Kollegen von der

vorderasiatischen und indischen Kunstgeschichte abspielte. In der Stilge¬

schichte und Ikonographie Chinas erwarb sich der Tiger Monopole, in die der

Löwe selten eindringen konnte, auch wenn er als Bild der Macht den Tiger

überflügelte.

(7)

ORNAMENTE DER SELDSCHUKISCHEN KARAVANSARAYS IN ANATOLIEN Zum Stand der Forschung

Von Hanna Erdmann, Wiesbaden

Mit 12 Abbildungen

Innerhalb der darstellenden islamischen Kunst nehmen die Ornamente einen

breiten Platz ein, Ornamente als Gliederung und Dekor in der Kleinkunst und

in der Großkunst, der Innen- und Außenarchitektur. Es erhebt sich dahen im¬

mer wieder die Frage, sind die Ornamente in der islamischen Kunst reines

Zierwerk, Spielerei oder haben sie einen Sinn, eine Aussagekraft.

Die allgemeine Feststellung, daß das Schaffen von figürlichen Kunstwerken

ein Eingreifen in das Privileg Gottes - Allah's - bedeute, daß Darstellungen

daher ornamental, abstrakt sein sollten, legt nahe, im Abstrakten und da.her

auch im Ornament eine Bedeutung zu suchen. Am Anfang der Suche nach dem

Sinn der Ornamente steht die Frage: Existiert ein System bei der Anwendung

von Ornamenten oder sind die Ornamente beliebig untereinander auswechsel¬

bar.

Bei einer kleinen Gruppe geometrischer Ornamente einer kurzen Period©

lassen sich Regeln nachweisen, nach denen diese Ornamente an bestimmten

Stellen von Bauten angebracht sind: bei den Ornamenten an den anatolischen

Karavansarays aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts (l). Unter diesen

Karavansarays gibt es sechs große, reich dekorierte, innerhalb von rund

fünfzehn Jahren (zwischen 1225 und 1240) errichtete Bauten, deren Ornamen¬

te so weitgehend erhalten sind, daß sie miteinander verglichen werden kön¬

nen (2).

Die seldschukisehen Karavansarays Anatoliens bestehen aus einer geschlos¬

senen Halle mit einem Portal und einem der Halle vorgelagerten Hof mit seit¬

lichen Räumen, der gleichfalls ein Portal hat. Die Hallen sind immer vor- den

Höfen gebaut worden und die Portale der Hallen sind immer ärmer an Ornamen¬

ten als die Portale der Höfe.

Die Rumseldschuken haben sich vielfach von den Byzantinern anregen las¬

sen ganze Bautypen wie die Hallen der Karavansarays wurden in die islami¬

sche' Architektur übernommen. Die byzantinischen Ornamente sind dagegen

von den neuen Herren Anatoliens abgelehnt worden und durch einige großseld-

schukische Ornamente ersetzt und weiterentwickelt worden, was ganz offen¬

sichtlich zeigt, daß dem Dekor eine Bedeutung zukommt.

Bei den Karavansarays kommen Ornamente an Portalen, Nebentüren, an

Fenstern, Gebetsnischen, Bögen oder Kapitellen vor, also an den architekto¬

nisch betonten Bauteilen, nicHt über ganze Wandflächen verteilt. Es gibt nur

flächigen, linearen Dekor (3) - Der Dekor ist niemals farbig angelegt, es gibt

keine Fliesen und keine FresKen. Schrift wird nicht dekorativ verwendet. Fi¬

guren spielen eine untergeordnete Rolle (4). Es bleibt in der Hauptsache ve-

getabiles und geometrisches Ornament, bei dem das geometrische überwiegt.

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