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„die Sache ist …“: eine Projektor-Konstruktion im gesprochenen Deutsch*

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„die Sache ist …“: eine Projektor-Konstruktion im gesprochenen Deutsch

*

SUSANNE GÜNTHNER

Abstract

This paper, focusing on die Sache ist-constructions in spoken German, is intended as a contribution to an interactional perspective on grammatical issues: It aims at connecting concepts of Construction Grammar with as- pects of analyzing language use in its communicative praxis.

Based on an empirical analysis of conversational German, this article shows that the standard view of die Sache ist-constructions as [matrix clausesubordinated complement clause] cannot be supported by actual data from spoken interactions. Instead of a subordinated complement clause following the matrix clause, speakers reanalysedie Sache ist(“seg- ment A”) as a projector phrase, anticipating the upcoming core message (“segment B”). Segment B (“the complement clause”) overwhelmingly occurs with no complementizer dass ‘that’. Instead it can take various forms in spoken interactions: it can be realized as a subordinate clause, a main clause, a complex clause and even as a larger discourse segment. In all these cases, it is no longer a conceptual element of segment A’s proposi- tion.

Thus, a usage based approach of die Sache ist-constructions suggests that speakers use it as a projector-construction (Hopper) anticipating an upcoming utterance.

Keywords: Interactional Linguistics, Construction Grammar, Conversa- tional German, Complement Clause, Subordination-Coordination, Pro- jector-construction.

* Der Beitrag ist im Rahmen eines von der DFG geförderten Projektes ,Grammatik in der Interaktion: Zur Realisierung fragmentarischer und komplexer Konstruktionen im gesprochenen Deutsch‘ entstanden. Peter Auer, Arnulf Deppermann, Paul Hopper, Wolfgang Imo, Janine Printing, Janet Spreckels, Lars Wegner sowie den TeilnehmerIn- nen der Datensitzung ,Konstruktionen in der Interaktion‘ (WWU Münster) danke ich für Kommentare zu einer früheren Fassung des Beitrags. Bei den beiden GutachterIn- nen der ZS möchte ich mich für ihre hilfreichen Kommentare bedanken.

Zeitschrift für Sprachwissenschaft 27 (2008), 3971 0721-9067/2008/0270039

DOI 10.1515/ZFSW.2008.003Walter de Gruyter

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1. Einleitung

Wie Arbeiten der Interaktionalen Linguistik, der Funktionalen Pragma- tik sowie der Gesprochene-Sprache-Forschung der letzten Jahre ver- deutlichen, sind sprachliche Strukturen eng mit ihrer emergenten, pro- zesshaften, kommunikativ-dialogischen Produktion, mit kognitiven Aspekten sowie mit den spezifischen kommunikativen Mustern und Gat- tungen, in denen sie auftreten und die sie mit konstituieren, verwoben.1 Der Forschungsgegenstand einer an der ,kommunikativen Praxis‘

(Günthner 2000, 2003, 2007a) orientierten Perspektive auf sprachliche Strukturen und ihre Funktionen zielt folglich nicht länger auf die Re- Konstruktion eines idealisierten, universellen Regelapparates, dessen separate Module aus allen seinen prozessualen, kommunikativ-dialogi- schen, funktionalen, medialen und soziokulturellen Vernetzungen her- ausgeschnitten wurden, sondern auf die Analyse sprachlicher Strukturen in ihrer sequentiellen, kontextbezogenen und lebensweltlich verankerten Verwendung.2

So zeigen Studien zu syntaktischen Erscheinungen des gesprochenen Deutsch, dass SprecherInnen bei der Durchführung kommunikativer Handlungen nicht nur spontane Äußerungen, die auf einem abstrakten Regelwerk aufbauen, produzieren; Interagierende greifen vielmehr auf memorierte Vorlagen, ,Konstruktionen‘ bzw. konstruktionelle Einheiten zurück (Günthner & Imo 2006). Diese haben sich im Verlauf einer langen Kette vergangener Interaktionssituationen verfestigt und sind als sedi- mentierte Muster zur Lösung bestimmter kommunikativer Aufgaben im Wissensvorrat der Mitglieder der Sprechgemeinschaft abgespeichert.3

Unter ,Konstruktionen‘ verstehe ich in Anlehnung an die Construc- tion Grammar (Fillmore et al. 1988; Goldberg 1995, 1996; Croft 2001) sowie deren Anwendung in der Interaktionalen Linguistik (Thompson 2002a; Auer 2005a; Günthner & Imo 2006; Deppermann 2007) unter- schiedlich komplexe, konventionalisierte, rekurrente Sequenzen von For- men, die Interagierenden zur Ausführung verschiedener Aufgaben zur Verfügung stehen. „A construction is defined to be a pairing of form

1. Siehe u. a. die Arbeiten von Ford (1993), Ochs et al. (1996), Schlobinski (1997), Hoff- mann (2003), Schwitalla (2003), Redder & Rehbein (1999), Rehbein (2003), Fiehler et al.

(2004), Hakulinen & Selting (2005), Deppermann et al. (2006), Hennig (2006), A´ gel &

Hennig (2006), Deppermann (2007).

2. Vgl. die Nähe zu der Forderung nach einer „realistischen Sprachwissenschaft“ (Hart- mann 1979; Auer 2003; Günthner 2003). Siehe auch Ehlich (2006) zum Zusammenhang von Sprache und menschlichem Handeln.

3. Zum Sedimentierungsprozess sprachlicher Muster siehe Luckmann (1992), Günthner &

Knoblauch (1994) und Günthner & Luckmann (2001). Siehe auch die frühe Arbeit von Hakuta (1974) zu „prefabricated patterns“ in Zusammenhang mit dem Zweitsprach- erwerb.

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with meaning/use such that some aspect of the form or some aspect of the meaning/use is not strictly predictable from the component parts or from other constructions already established to exist in the language.“

(Goldberg 1996: 68) Sprachliche Konstruktionen bilden einen wesentli- chen Teil des Inventars an symbolischen Ressourcen, über die Interagie- rende zur Erzeugung und Interpretation von Bedeutung verfügen.

Die folgende Untersuchung zu „die Sache ist“-Konstruktionen⫺und damit einer im Deutschen gebräuchlichen Form der N-be-that-construc- tion⫺ist als Beitrag zu einer interaktionalen Perspektive auf grammati- sche Phänomene zu sehen, wobei eine Verbindung zwischen dem Kon- zept der „Konstruktion“ (im Sinne der Construction Grammar) und zen- tralen Aspekten einer an der kommunikativen Praxis orientierten, inter- aktional ausgerichteten Sprachbeschreibung hergestellt wird.4

2. Konstruktionen in der Interaktion

In den letzten Jahren zeichnen sich Annäherungen zwischen interaktio- nal ausgerichteten Studien zu grammatischen Phänomenen und dem An- satz der Construction Grammar, der Impulse für die Modellierung einer Grammatik der gesprochenen Sprache bieten kann, ab. Die Construc- tion Grammar (in ihren verschiedenen Ausprägungen) befasst sich mit unterschiedlich komplexen, konventionalisierten, rekurrenten syntakti- schen Formaten, die Interagierenden zur Ausführung sprachlicher Hand- lungen zur Verfügung stehen. Sie baut damit auf Wissen über oberflä- chennahe und redundante Konstruktionsschemata auf und verbindet Aspekte der gebrauchsbezogenen Oberflächengrammatik mit Fragen sprachlichen Wissens und menschlicher Kognition. Ihre nicht-modulare, holistische Ausrichtung, ihr verwendungsbasierter Rahmen, die Verbin- dung von Form- und Funktionsanalysen, der Einbezug pragmatischer, diskursfunktionaler und kognitiver Aspekte bei der Analyse sprachlicher Konstruktionen sowie ihr Postulat, dass sich grammatische Strukturen für kommunikative Zwecke herausgebildet haben und sie eng mit kon- kreten Gebrauchsbedingungen wie auch mit Aspekten menschlicher Ko- gnition verwoben sind, macht diese Grammatiktheorie attraktiv für eine praxisorientierte Perspektive auf sprachliche Phänomene (Günthner 2006a, 2006b, 2006c; Günthner & Imo 2006). Zwar rückt der Aspekt der Gebrauchsbasiertheit gerade innerhalb der eher kognitiv ausgerichteten Strömungen der Construction Grammar zunehmend in den Vordergrund (Östman 2005), doch existieren bislang kaum empirische Studien zur tat- sächlichen Verwendung grammatischer Konstruktionen in alltäglichen

4. Zur Interaktionalen Linguistik siehe Selting & Couper-Kuhlen (2001).

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Interaktionen, und selbst „usage-based“ Ansätze (Goldberg 1995, 1996, 2003; Lambrecht 2001; Croft 2001) vernachlässigen Fragen der sequenti- ellen, kontextuellen und gattungs- und aktivitätsspezifischen Verwen- dungsweisen der entsprechenden Konstruktionen.

Die Arbeiten Ono & Thompsons (1995), Thompsons (2002a, 2002b), Hoppers (2001, 2004), Auers (2005a), Thompson & Couper-Kuhlens (2005), Günthners (2006a, 2006b, 2006c, 2008), Deppermanns (2007), Günthner & Imos (2006) stellen erste Verbindungen zwischen interaktio- nal ausgerichteten Studien und der Construction Grammar (insbeson- dere der kognitiven, gebrauchsbasierten Richtung) her, indem sie zeigen, dass SprecherInnen einerseits über relativ detaillierte, oberflächennahe und redundante Konstruktionsschemata verfügen, die interaktionale Ressourcen für die Bewältigung kommunikativer Aufgaben darstellen.

Zum anderen veranschaulichen diese Analysen, dass kognitive und strukturelle Aspekte der Syntax gesprochener Sprache nicht ohne, son- dern im Gegenteil erst durch Rückgriff auf das Verständnis der Funk- tionsweisen des Diskurses, in den sie eingebettet sind, erklärt werden können. Konstruktionen, die das Ergebnis routinierter Bearbeitungen wiederkehrender kommunikativer Aufgaben sind, fungieren in der Inter- aktion als Orientierungsrahmen, auf die sich Interagierende sowohl bei der Produktion als auch der Rezeption kommunikativer Handlungen beziehen (Günthner 2006c). Die Gebrauchsbedingungen der Konstruk- tionsschemata werden von den Interagierenden also nicht immer wieder neu konstituiert, sondern sie sind Teil ihres sprachlichen Wissensvorrats.

Hierbei stellt sich jedoch die Frage, auf welche Weise interaktionale und kognitive Aspekte die Produktion und Interpretation grammatischer Konstruktionen in der gesprochenen Sprache bestimmen: Finden sich in Alltagsinteraktionen tatsächlich feste, stabile Form-Funktions-Paarun- gen⫺ja „Konstruktionen“ im Sinne der Construction Grammar? Oder sind syntaktische Strukturen in der gesprochenen Sprache eher als „pre- fabricated fragments“ im Sinne Hoppers (2004: 5) und damit als „emer- gent“, „open“ und „intrinsically indeterminate“ zu beschreiben?

3. Verwendungsweisen von „die Sache ist“-Konstruktionen in der gesprochenen Sprache

Die vorliegende Untersuchung basiert auf einem Korpus von deutschen Alltagsgesprächen (informellen Face-to-Face Interaktionen im Familien- und Freundeskreis, Beratungssendungen im Radio und Gesprächen aus der Fernsehserie „Big Brother“), die in den Jahren 1989⫺2006 in Baden- Württemberg, Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Thüringen aufgezeichnet wurden. Auf der Grundlage von 20 Belegen

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sollen im Folgenden die formalen und funktionalen Merkmale von „die Sache ist“-Konstruktionen näher beleuchtet werden.

Bei „die Sache ist“-Äußerungen handelt es sich um einen Matrixsatz (bzw. Hauptsatz) mit einem folgenden Subjekt-Komplementsatz (In- haltssatz). Das Verb (die Kopula) des Matrixsatzes macht eine Ergän- zung erforderlich, die dann im folgenden Komplementsatz geliefert wird.

Der Komplementsatz ist somit „valenzgebunden“; er ist „Subjekt zum Verb des übergeordneten Satzes“ und bezeichnet einen Sachverhalt, der

„Bestandteil des vom Gesamtsatz bezeichneten ist“ (Eisenberg 1999/

2001: 308). Noonans (1985: 42) sprachtypologische Abhandlung zu Komplementsätzen geht davon aus, dass diese komplexen Sätze aus zwei Teilsätzen bestehen: einem Hauptsatz und einem subordinierten Teilsatz, der als Komplement des Verbs im Hauptsatz fungiert. Langacker (1991:

436) argumentiert ebenfalls, dass Komplementsätze den jeweiligen Ma- trixsätzen untergeordnet sind; d. h. sie sind konzeptuell in den jeweiligen Matrixsatz, der die Haupthandlung repräsentiert, eingebettet: „… com- plement clauses are prototypical instances of subordination; […] A su- bordinate clause is then describable as one whose profile is overridden by that of a main clause. […] In a typical complement clause construc- tion, the two clauses combine directly and the main clause is clearly the profile determinant: ,I know she left‘ designates the process of knowing, not of leaving.“ Rehbeins (2003) Studie zu „Matrix-Konstruktionen in Diskurs und Text“ verdeutlicht hingegen, dass Matrixsätze eine Tendenz zur Verfestigung zu sprachlichen Formeln haben und folglich das „Su- per-Subordinations-Verhältnis zwischen Matrix- und p-Konstruktion aufgehoben“ werden kann (Rehbein 2003: 270). Innerhalb der Construc- tion Grammar werden die vorliegenden „die Sache ist“-Äußerungen der

„N-be-that-construction“ (Schmid 2001) zugeordnet, die aus einer initia- len NP mit einem abstrakten Nomen als Subjekt, einer Kopulaform und einem subordinierten „that-clause“ besteht. Allerdings basieren bisherige konstruktionsgrammatische Untersuchungen zur „N-be-that-construc- tion“ auf Korpora geschriebener Sprache (Schmid 2001).5

Auf der Grundlage einer empirischen Analyse werde ich verdeutlichen, dass bei den vorliegenden „die Sache ist“-Konstruktionen die Kategorien

„Matrix-“ bzw. „Hauptsatz“ sowie „Komplement-“ bzw. „Inhaltssatz“

5. Schmid (2001) analysiert anhand einer korpuslinguistischen Studie die „N-be-that-con- struction“ in Texten des geschriebenen Englisch und verdeutlicht, dass die hierbei am häufigsten auftretenden Nomen „problem, thing, truth, fact, trouble, point, result, view, reason, idea“ sind. Abgesehen davon, dass seine auf das Englische bezogenen Ergeb- nisse nicht ohne Weiteres auf das Deutsche übertragbar sind, sind seine Beispiele an der normierten Schriftsprache ausgerichtet, so dass zahlreiche für die gesprochene Sprache relevanten Erscheinungsformen dieser Konstruktion unberücksichtigt bleiben.

(6)

insofern problematisch sind, als weder das „die Sache ist“-Syntagma als traditioneller „Matrixsatz“, in dem die zentrale, für die Folgeinteraktion relevante, Information geäußert wird, zu betrachten ist, noch das Folge- syntagma (formal und) inhaltlich untergeordnet ist. Schaut man sich die Verwendungsweisen von „die Sache ist“-Konstruktionen in der gespro- chenen Sprache genauer an, so wird deutlich, dass der „Matrixsatz“ eine Relevanzrückstufung zugunsten des Folgesyntagmas erfährt und die Funktion einer Thematisierungsphrase erhält.6 Ferner löst sich das po- stulierte Format [Matrixsatz ⫹ Komplementsatz] in eine Vielzahl ver- schiedener Konstruktionstypen⫺hinsichtlich der Gestaltung des „Kom- plementsatzes“ ⫺ auf, die keineswegs subordiniert im traditionellen Sinne sind. Die Verwendungsweisen im gesprochenen Deutsch legen stattdessen nahe, „die Sache ist“-Äußerungen im Sinne einer „Projektor- Konstruktion“ (Hopper 2005, Günthner 2008) und damit als eine struk- turell zweiteilige Konstruktion zu betrachten, wobei der erste Teil (der Projektorteil) eine Folgeeinheit unterschiedlicher Ausprägung (als eigent- lichen Kern der Äußerung) antizipiert.

3.1. „die Sache ist“ mit einem durch den Subjunktordasseingeleiteten Komplementsatz in Verbendstellung

„Die Sache ist, dass ich wieder Interesse an der Welt nehme“

(J.W. v. Goethe: 1816⫺17/1981: 25; Autobiographische Schriften) Bei der folgenden „die Sache ist“-Äußerung, die einem Ausschnitt der Radio-Talksendung DOMIAN entstammt, handelt es sich zunächst ein- mal um eine typische Form der Realisierung von Matrix- und Komple- mentsatz, bzw. einer „N-be-that-construction“. Die komplexe Konstruk- tion besteht aus zwei Teilen: dem Matrixsatz, der sich durch eine initiale NP („die Sache“) und die Kopula („ist“) auszeichnet und dem Folgesyn- tagma, einem durch den Komplimentizer „dass“ eingeleiteten subordi- nierten Nebensatz.

H, ein Jurastudent, berichtet von seiner Unfähigkeit, seinem Vater⫺ einem Juristen⫺einzugestehen, dass er schwul ist:

(1) DOMIAN: JURISTEN I

222 D: [GU:T aber es kann ja sein,]

223 dass=dass er jetz so ZORnig is;=

6. Siehe auch Rehbein (2003) zur „Statusänderung in Matrix-Konstruktionen“.

(7)

224 =und sacht HIER DER kriecht erst ma nix von mir.

225 wie- KÖNNtest du [ dann LEben?]

226 H: [Also die SACH]e is;=

227 =dass das eigentlich (-) VÖllich unMÖGlich is;=

228 =weil ähm (0.5)IN- (-)

229 JA das sind son bisschen so (.) 230 eingeschwOrene KREIse;=

231 =das kann man schlecht beschrEIben;=

232 =aber es sind halt diese jurISten unter sich;=

233 =das merkt man auf diesen verANstaltungen ja immer ganz deutlich.

234 D: mhm;

235 H: ähm (.) von von denen hat NIEmand jetzt- 236 äh= en schwulen SOHN oder ähm-

Domian versucht zunächst, die Gründe für Hs Angst vor dem Einge- ständnis seiner Homosexualität gegenüber dem Vater zu eruieren und fragt in den Zeilen 222 ff., inwiefern H befürchtet, sein Vater könne ihm die Studienfinanzierung streichen. Statt direkt auf Domians Vermutung einzugehen, führt H mittels „Also die SACHe is;“ (Z. 226) eine Umfo- kussierung durch und expliziert die Unmöglichkeit, Homosexualität in Juristenkreisen einzugestehen. „Also die SACHe is;“ leitet hier insofern eine dispräferierte zweite Handlung ein, als H Domians Vermutung ab- weist und stattdessen den tatsächlichen Kern seiner Angst thematisiert;

nämlich das Problem der sozialen Stigmatisierung in diesen Kreisen. Der Matrixsatz baut eine Erwartung bzgl. der noch ausstehenden Konsti- tuente auf: Durch die NP „die Sache“ wird Faktizität denotiert und der noch ausstehende Sachverhalt als saliente Information angekündigt.

Die vorliegende Konstruktion lässt sich als Zusammensetzung zweier abhängiger Teilkonstruktionen (Teil A und Teil B) betrachten:

Teil A Teil B

„die Sache ist“ „dass“⫹Verbendsatz Also die SACHe is; dass das eigentlich (-)

VÖllich unMÖGlich is;=

Trotz der „syntaktischen Integration“ (Günthner 1996; Hoffman 2003) weist die Konstruktion einen prosodischen Bruch zwischen den beiden Teilen A und B auf: Sie werden in zwei getrennten Intonationskonturen realisiert. Hinsichtlich der Informationsorganisation zeigt sich, dass die Hauptinformation keineswegs im Matrixsatz liegt, sondern im subordi- nierten Nebensatz, der den konversationell zentralen Beitrag enthält.

Der in Überlappung auftretende Matrixsatz „Also die SACHe is;⫽“ er-

(8)

öffnet eine Projektionsspanne und lenkt die Aufmerksamkeit der Rezi- pientInnen auf die noch ausstehende Konstituente und damit auf die Identifizierung des angekündigten Sachverhaltes, der als „Kern“ der Ausführung präsentiert wird. Folglich kann man hierbei durchaus von einer „Fokuskonstruktion“¿wie Miller & Weinert (1998: 243) für „the thing is“-Konstruktionen und Schmid (2001: 1535) im Falle der „N-be- that-construction“ ¿ sprechen. Die Fokussierung auf den B-Teil wird durch die relativ unspezifische Semantik des Nomens „Sache“ im Ma- trixsatz noch unterstützt.7

Gelegentlich wird die Fokussierung des noch ausstehenden Sachver- halts durch ein „katadeiktisches Element“ (Zifonun et al. 1997: 555) („DIE“) verstärkt, wie der folgende Ausschnitt zeigt:

(2) DOMIAN: VERGEBEN

15 Arne: aber es DÜRFte nIch SO kompliZIERT sein, 16 wie=s bei MIR is also-

17 D: es is ja fast Immer kompliziert in der lIEbe;

18 Arne: hm. (.) ja aber nich SO:; ((lacht))

19 D: <<all> natürlich nich so komplizIert wie bei

DIR,>

20 <<all>das is mir schon klAr;>

21 .h DRU:M erZÄHL uns was LOS is, 22 was VORgefallen is;

23 Arne: <<all>JA also wie gesagt,>

24 ich hab mich eh-

25 verLIEBT in eine sehr gute FREUNdin von mir,

26 D: mhm,

27 Arne: die sache is nur DIE, 28 dass sie verGEben ist, 29 seit zweieinhalb JAHren,

30 D: hm?

31 Arne: <<all>mit ihrem gemeinsam->

32 <<all> eh mit ihrem frEUND auch=n gemeinsames

KIND hat,>

33 D: hm?

34 Arne: MITtlerweile auch wieder SCHWANger is von IHM,

35 D: ja,

Nach der für die Radiosendung DOMIAN unspektakulären Einlei- tung⫺nämlich dass der Anrufer sich „verLIEBT [hat] in eine sehr gute FREUNdin“ (Z. 24⫺25)⫺animiert Domian Arne durch ein auffordern- des „mhm,“ (Z. 26) zur Fortführung seiner Erläuterung. Daraufhin führt

7. Gelegentlich wird in den vorliegenden Daten auch das unspezifische Nomen „Ding“ als initiale NP im Matrixsatz verwendet. Ähnliche Strukturen finden sich im Übrigen auch bei semantisch gehaltvolleren Nomen wie in „das Problem ist“ oder „die Frage ist“ etc.

(9)

dieser die eigentliche Problematik⫺d. h. den Kern seines Problems und damit den Grund für seinen Anruf⫺mittels „die sache is nur DIE,“ ein (Z. 27⫺34). Durch die im Matrixsatz eröffnete Projektionsspanne wird die Aufmerksamkeit des Rezipienten Domian sowie der ZuhörerInnen auf die noch ausstehende Konstituente und somit auf die Identifizierung des angekündigten Sachverhalts gelenkt, was wiederum deren Salienz erhöht und den Ausschlag für die besondere Fokusmarkierung darstellt.8 Die Fokussierung wird hierbei durch das Adverb „nur“ und das proso- disch markierte katadeiktische Element „DIE“ verstärkt.9

Teil A Teil B

„die Sache ist“ „dass“Verbendsatz die sache is nur DIE, dass sie verGEben ist,

seit zweieinhalb JAHren,

<<all>mit ihrem gemeinsam->

<<all> eh mit ihrem frEUND

auch=n gemeinsames KIND hat,>

MITtlerweile auch wieder SCHWANger is von IHM,

Auch wenn die syntaktische Bindung zwischen Matrixsatz und dem ex- tensiven Folgesyntagma aufgrund des Subjunktors „dass“ und der Ver- bletztstellungen eng ist, werden die Teile dieser komplexen Konstruktion auch hier in verschiedenen Intonationskonturen realisiert. Was den In- formationsgehalt angeht, so steckt die Hauptinformation (also der Grund des Anrufs), die für die Weiterführung des Gesprächs relevant bleibt, nicht etwa im Matrixsatz, sondern⫺wie im vorherigen Beispiel⫺ im subordinierten Folgesyntagma: Die Erwähnung der Tatsache, dass die Geliebte einen Partner hat und ein weiteres Kind von ihm erwartet.

Die formale Subordination des B-Teils steht somit in Kontrast zum In- formationsmanagement.

In den bisherigen Beispielen der zweiteiligen „die Sache ist“-Konstruk- tion wird durch den Matrixsatz (Teil A) eine Projektion aufgebaut, die

8. Siehe Parallelen zu Redders (1980) Analysen von „ich wollte sagen“-Phrasen. Diese routinisierten Formeln werden so Redder (1980: 118119) eingesetzt, um den Hörer auf „thematische Bezüge aufmerksam“ zu machen. Durch diese „besondere Auf- merksamkeitskonzentration“ wird „der Fokus auf seinen [der des Sprechers] Beitrag, speziell auf dessen propositionalen Gehalt neu etabliert“ (Redder 1980: 118119).

9. In der Regel finden sich wie im vorliegenden Beispiel im Falle katadeiktischer

„DIE“-Einleitungen extensive Folgesyntagmen; dies könnte daran liegen, dass „DIE“

die Projektionskraft weiter verstärkt.

(10)

gewisse grammatische (Abschluss der Äußerung durch die Produktion des noch ausstehenden Komplementsatzes) und semantische (Identifika- tion des angekündigten Sachverhalts) Erwartungen auslöst; die Gestalt- schließung erfolgt dann unmittelbar im Anschluss. Gelegentlich kommt es jedoch durch den Einschub von Nebensequenzen zur Verzögerung der Gestaltschließung. Die Tatsache, dass die einmal eröffnete Projektions- spanne auch über Nebensequenzen, Parenthesen oder Rezipientenreak- tionen hinweg erhalten bleibt, indiziert zugleich, dass sich Interagierende an der vorliegenden Konstruktion orientieren und sie eine gewisse psy- chologische Realität besitzt.

Der folgende Ausschnitt entstammt wiederum dem Gespräch zwischen Domian und dem Jurastudenten H. H berichtet, dass sein Freund von ihm erwartet, dass er seinem Vater seine Homosexualität eingesteht, doch er dies nicht schafft:

(3) DOMIAN: JURISTEN II

092 H: [JA(.) ALso] das problem is jetz wirklich

093 dass ähm

094 (.) es geht jetzt halt seit VIER jahrn so;

095 und ähm (.)

096 ANfangs kam mein freund auch damit klAr, 097 dass ichs meinen ELtern nich sagen wollte;

098 weil (.) ähm bei IHM sind halt die famIl:ien verHÄLT- nise-

099 auch ganz anders;

100 der=der (-) se=SEIN VAter zum beispiel, 101 der is son ganz WILder;

102 Also(.)

103 D: <<schmunzelnd>hihi>

104 H: noch so noch son halber HIppie=

105 =der is irgendwie noch so achtnsechzich HÄngen=ge- bliebn-

106 D: mh(.)mmh;

107 H: und ähm(-)!JA! und äh (.) 108 die SACHe is dass=ichs (.) 109 e=e=GEB ich selber ZU,=

110 = viellEIcht nachDEM ich den abschlUss gemacht habe;

111 =und dann IN der kanzlEI arbeiten würde; (.) 112 D: hm;

113 H: <<l>EIgentlich ()!GAR! nich mehr SAgen kann.>(-)

114 D: hm=hm;

Zunächst beschreibt H die Familienverhältnisse seines Freundes, für den es kein Problem war, sich gegenüber den Eltern zu „outen“.10 In Zeile

10. Auch bei der in Zeile 92 ff. verwendeten Konstruktion: „[JA(.) ALso] das problem is jetz wirklich dass ähm (.) es geht jetzt halt seit VIER jahrn so;“ handelt es sich um einen Matrixsatz mit folgendem Komplementsatz, der strukturell mit den „die Sache ist“-Konstruktionen verwandt ist. Der erste Teil baut eine Projektion bzgl. des folgen-

(11)

108 führt H nach zahlreichen Zögerungspartikeln und Disfluenzmarkern mittels „die SACHe is“ eine thematische Umfokussierung durch, indem er nun auf seine eigene Situation eingeht. Er eröffnet hierbei eine Projek- tionsspanne, die zunächst durch das mit dem Subjunktor „dass“ eingelei- tete Folgesyntagma fortgesetzt wird. Der Subjunktor, das Subjekt („ich“) und das klitisierte Objekt („-s“) des Komplementsatzes werden hier zusammen mit dem Matrixsatz in einer Intonationseinheit produ- ziert („die SACHe is dass⫽ichs (.)“); die Anbindung zwischen Teil A und dem Beginn des Folgesyntagmas ist somit sehr eng. Doch dann bricht H seine Äußerung ab und fügt eine Parenthese ein: „e⫽e⫽GEB ich selber ZU,⫽“ (Z. 109). Die Fortsetzung (Z. 110⫺113) indiziert durch die Ver- bletztstellungen eine klare Rückbindung an Teil A („die SACHE is das- s⫽ichs (.)“ Z. 108). Mittels der Verlangsamung des Sprechtempos hebt H schließlich seine Schlussfolgerung hervor: „<<l> EIgentlich (⫺)

!GAR! nich mehr SAgen kann.>“ (Z. 113).

Teil A Teil B

„die Sache ist“ „dass“⫹Verbendsatz die SACHE is dass=ichs (.)

⫹PARENTHESE⫹

⫹HÖRERSIGNAL⫹

<<l>EIgentlich (-)!GAR! nich

mehr SAgen kann.>

Dieser Ausschnitt veranschaulicht, dass die vorliegende Konstruktion es⫺aufgrund der im A-Teil eröffneten Projektionsspanne ⫺den Spre- cherInnen erlaubt, über Einschübe und Redezüge hinweg ihr Rederecht zu sichern. Das grammatische Wissen über die Konstruktion und ihren Abschluss führt dazu, dass die SprecherInnen bemüht sind, die eröffnete syntaktische Gestalt zu schließen und dass die RezipientInnen mit der Turnübernahme in der Regel bis zum Ende der Gestaltschließung war- ten, was darauf hindeutet, dass sie sich an der Konstruktionsvorgabe orientieren.11

Die vorliegende Konstruktion (bestehend aus Teil A und Teil B) bildet insofern eine syntaktische „Gestalt“, die „nach dem gestaltpsychologi- schen Prinzip der ,guten Fortsetzung‘ durch die Produktion einer mehr oder weniger präzise vorhersagbaren Abschlussstruktur geschlossen wer-

den Sachverhalts auf. Im Vergleich zu „die Sache ist“-Konstruktionen ist bei dieser Projektor-Konstruktion der A-Teil jedoch semantisch gehaltvoller.

11. Siehe Parallelen zu Pseudocleft-Konstruktionen (Günthner 2006b).

(12)

den“ muss (Auer 2005a: 3), als mit dem A-Teil („die Sache ist“) be- stimmte Erwartungen an die Fortsetzung des Redebeitrags (Teil B) ge- setzt werden. Dieser ist erst nach der Produktion der noch ausstehenden Konstituente ⫺ und damit der Identifikation des noch offenen Ele- ments⫺abgeschlossen. Zugleich richtet der A-Teil im Prozess der Rede- zugentfaltung die Aufmerksamkeit des Gegenübers auf einen noch zu explizierenden Sachverhalt. Damit hat die Teilkonstruktion A zwei inter- aktive Funktionen: Zum einen wird dem Gegenüber signalisiert, dass das Ende des Redezugs erst nach Abschluss der Projektionsspanne erfolgt und der Sprecher folglich das Rederecht weiterhin benötigt; zum anderen gewinnt das bereits Angekündigte aufgrund des verlängerten Projek- tionsbogens an Gewicht und wird fokussiert. Die „die Sache ist“-Äuße- rung lässt sich somit den von Hopper (2005, Günthner 2008)) themati- sierten Projektor-Konstruktionen zuordnen, bei denen die erste Teilkon- struktion (der Projektorteil) die Funktion hat, ein Folgesegment zu anti- zipieren. Dass „die Sache ist“-Konstruktionen primär in Kontexten ein- gesetzt werden, in denen SprecherInnen eigene Positionen ins Zentrum rücken, grundlegende Sachverhalte präsentieren, neue Argumente ein- führen und gewichtige Gegenargumente vorlegen⫺ja den eigentlichen Kern ihres Anliegens präsentieren⫺verwundert somit nicht.

3.2. „die Sache ist“ mit einem durch den Subjunktordasseingeleiteten Hauptsatzgefüge

In den Daten finden sich allerdings auch Fälle, die die Zuordnung der

„die Sache ist“-Konstruktion auf der Achse Subordination-Koordination insofern weiter erschweren, als sie zwar den Subjunktor „dass“ enthalten, doch dann ein Hauptsatzgefüge folgt.

Im folgenden Ausschnitt unterhalten sich Kora, Lore und Siggi über Britney Spears.

(4) BRITNEY SPEARS I12

1 Lore: warum? (.)

2 warum ist britney spears dazu <<AB> verPFLICH- tet>irgendwie? (.)

3 die FAHne der- (.) der- (.) äh

4 wie sacht man? (.)

5 JUNGfräulich in die ehe zuABGEhen, (.)

6 HOCHzuhalten.

7 Kora: dat is sie, (.)

8 weil (.) ich von ANfang an nIe behauptet hab,

12. Für die Bereitstellung des Gesprächs BRITNEY SPEARS danke ich Oliver Schröder.

(13)

9 dass ich wArten möchte,

10 weil ich mir dessen so SICHer war, 11 aber wenn ich so einen auf,

12 <<A>äh (.) danke für den PREIS,>

13 <<A>danke GOTT ich bin JUNGfrau>(.)

14 mache,

15 dann hab ich auch verfickt noch mal eine zu sein.

16 Siggi: ja aber (.) die SACHe is dOch, (0.5) 17 die SACHe is dOch, (.)

18 dass SIE,

19 genauso wie sie SACHT,(.)

20 <<B>ey>ich möchte JUNGfrau sein,

21 bis- bis mein (.)geLIEBter JUStin, 22 hier den finger an nen RING steckt,

23 <<all>kann se auch genAUso gut,>

24 <<all> dann auch wieder gleich direkt danach

SAgen,>

25 nö, ich hab mir das jetzt ANders überlegt, (0.5) 26 ich MÖCHte jetz dOch vielleicht mal (.)

Siggi übernimmt in Zeile 16 mit dem Dissens-markierenden Vorlaufele- ment „ja aber“ den Redezug und kontextualisiert damit seine folgende Nichtübereinstimmung.13 In Zusammenhang mit „die Sache ist“-Kon- struktionen finden sich häufig Modalisierungsmarkierungen (durch Ad- verbien und Partikeln wie „ja aber“, „doch“, „bloß“, „aber auch“, „nur“,

„nämlich“ etc.), die⫺wie im vorliegenden Fall „die SACHe is dOch,“⫺ den Geltungsanspruch der Folgebehauptung unterstreichen.14Durch die Wiederholung von „die SACHe is dOch“ in Kombination mit den Pau- sen (Z. 16, 17) wird Spannung aufgebaut und an die Aufmerksamkeit

13. Zur konversationellen Organisation von Nichtübereinstimmungen siehe Auer & Uh- mann (1982).

14. In den vorliegenden Daten (20 Belege) werden folgende Partikeln und Adverbien im

„die Sache ist“-Syntagma verwendet:

Partikel/Adverb

also 1 mal

aber auch 1 mal

bloß 1 mal

doch 3 mal

halt 1 mal

ja 1 mal

ja aber 1 mal

nämlich 1 mal

natürlich 1 mal

nur 1 mal

Ferner wird einmal der Vokativ „DU“ verwendet: „DU (.) die sache is die,“.

(14)

der Rezipientinnen appelliert. Der Subjunktor „dass“ baut zunächst die Erwartung eines subordinierten Nebensatzes auf, doch stattdessen folgt ein komplexes Satzgebilde mit mehreren syntaktischen Einheiten und eigenständigen Intonationskonturen: „genauso wie sie SACHT [fremde Rede] kann se auch genAUso gut, dann auch wieder gleich direkt danach SAgen [fremde Rede]“ (Z. 19 ff.). D. h. obgleich durch den Subjunktor

„dass“ ein subordinierter Teilsatz erwartbar gemacht wird, wechselt der Sprecher ⫺ wohl bedingt durch die Komplexität des Komplementsat- zes⫺im weiteren Verlauf der Produktion des Komplementsatzes in die Hauptsatzsyntax über.15Dem Subjunktor sowie der Nennung der Ereig- nisträgerin („SIE“) folgt ein komplexer B-Teil, der sich über mehrere Turnkonstruktionseinheiten hinweg ausdehnt:

Teil A Teil B

„die Sache ist“ „dass“⫹komplexes Satzgefüge über mehrere Turnkonstruktionseinheiten die SACHe is dOch,

(TCU) hinweg dass SIE,

genauso wie sie SACHT,

⫹FREMDE REDE⫹

<<all>kann se auch genAUso gut,>

<<all>dann auch wieder gleich

direkt danach SAgen,>

⫹FREMDE REDE⫹

Es handelt sich hierbei um eine Hybridform zwischen einer „,die Sache ist‘-Konstruktion mit einem durch den Subjunktor dass eingeleiteten Komplementsatz in Verbendstellung“ (3.1) und einer „,die Sache ist‘- Konstruktion mit einer folgenden komplexen Sequenz“ (3.4), die als Kontamination⫺bedingt durch die Komplexität des B-Teils⫺zu wer- ten ist.

Hinsichtlich der prosodischen Anbindung zeigt sich, dass Teil A „die SACHe is dOch,“ durch Pausen und eigene Intonationskonturen von den Folgesyntagmen abgetrennt ist, auch wenn die leicht steigende Inton- ation nach „die SACHe is dOch,“ eine Fortsetzung des Turns projiziert.

Ferner sind auch der Subjunktor „dass“ und die Nennung des Subjekts

15. Vgl. Auer (2005b), der zeigt, dass syntaktische Konstruktionswechsel, verzögerte Selbst- reparaturen oder Konstruktionsabbrüche nicht unbedingt auf ein kognitives Problem verweisen, sondern Lösungen für bestimmte kommunikative Aufgaben darstellen können.

(15)

„SIE“ prosodisch von der folgenden komplexen syntaktischen Gestalt getrennt. Hinsichtlich der Informationsdarlegung ist auch hier die im Folgesyntagma präsentierte Information die zentrale und damit die für den Interaktionsfortgang relevante.

3.3. „die Sache ist“ mit einem folgenden abhängigen Hauptsatz ohne Subjunktordass

„Die Sache ist die“, sagte der Wachtmeister und schloss dabei die Ak- tentasche auf. „Der Dieb, den der Realschüler Emil Tischbein heute früh hat festnehmen lassen, ist mit einem seit vier Wochen gesuchten Bankräuber aus Hannover identisch“.

(Kästner 1929/2003: 155⫺156; Emil und die Detektive)

In 15 der 20 Belege wird die Komplementstelle nicht etwa durch einen mitdasseingeleiteten subordinierten Teilsatz, sondern durch ein Haupt- satzgefüge gefüllt.16

Der folgende Ausschnitt entstammt einem universitären Sprechstun- dengespräch zwischen P (einer Professorin) und S (einer Studentin).17 Die Professorin liefert einen Vorschlag, den die Studentin mittels einer

„die Sache ist“-Konstruktion ablehnt:

(5) SPRECHSTUNDENTRANSKRIPT Nr. 21

296 P: also irgendwie so inhaltlich.

297 (…)

298 S: das wär (auch was.) 299 P: mhm,

300 S: mhm, also ehm;

301 die sache is,

302 jetz hab ich also mit calvino angefangen; (-) 303 jetz so vom zeitplan her; ehm (2,0)

304 weiß nich wie lang das dann halt dauern wird,

Statt eines abhängigen Komplementsatzes folgt dem A-Teil („die sache is,“ Z. 301) ein relativ unabhängiges Syntagma („jetz hab ich also mit calvino angefangen;“ Z. 302), dem sowohl der Subordinationsmarker

16. Hierbei eingeschlossen sind auch komplexe Segmente (siehe 3.4.).

17. Das Beispiel wurde Meer (2002) entnommen und nach GAT umgeschrieben.

(16)

dassals auch die Verbletztstellung und somit die typischen Markierungen syntaktischer Abhängigkeit fehlen. Prosodisch bilden sowohl der A-Teil (der Matrixsatz) als auch der B-Teil (der folgende Hauptsatz) eigenstän- dige Intonationskonturen. Da der Matrixsatz zwar vom Folgesyntagma abhängig ist, das Folgesyntagma („jetz hab ich also mit calvino angefan- gen;“)jedoch keine hypotaktischen Markierungen aufweist und folglich nur schwer als Nebensatz zu klassifizieren ist, werde ich⫺in Anlehnung an Elmauer (1973) und Auer (1998) ⫺von einem „abhängigen Haupt- satz“ sprechen. Der maßgebliche Abhängigkeitsindikator ist darin zu se- hen, dass der A-Teil eine syntaktische Leerstelle eröffnet, die gefüllt wer- den muss. Die zentrale Information liegt auch im vorliegenden Beispiel im B-Teil, also im abhängigen Hauptsatz; sie ist nicht etwa präsuppo- niert, sondern „relativ assertiert“ (Auer 1998: 293 f.), d. h. sie wird von der Gesprächspartnerin als „neu“ bzw. „unzugänglich“ eingestuft. Eine Eliminierung des Komplementsatzes ist nicht möglich, während ein Weg- fall des Matrixsatzes weder zu unsemantischen noch zu agrammatischen Strukturen führen würde. Somit dreht sich die Abhängigkeitsrelation zwischen Matrixsatz und Komplementsatz insofern um, als nun der A- Teil eine konzeptuelle Abhängigkeit vom B-Teil aufweist.Die Äußerung ist nur schwerlich unter die Form „N-be-that“ zu subsumieren: Weder formal noch konzeptuell ist der B-Teil dem A-Teil untergeordnet.

Teil A Teil B

„die Sache ist“ „abhängiger Hauptsatz“

die sache is, jetz hab ich also mit calvino angefangen;

Der nächste Ausschnitt entstammt ebenfalls dem Gespräch der drei Stu- dentInnen Lore, Kora und Siggi über Britney Spears. Lore führt in Zeile 125 ihr zentrales Argument mittels „die SACHe is“ ein, wobei sie zu- nächst Britney Spears’ ablehnende Haltung zu Pelzen akzeptiert, doch diese dann in Kontrast zu deren Propagierung der „Jungfräulichkeit vor der Ehe“ setzt:

(6) BRITNEY SPEARS II

120 Lore: PELz is ja wirklich nun mal (.) schEIsse.

121 dat (.) kann man ja so SAgen=

122 denn TIERhaltung und so,

123 und<<A>ich bin ja auch vegetArier,>

124 aber? (.)

125 die SACHe is, (.)

(17)

126 geSCHLECHTSverkehr zu haben, 127 ist KEIne FIEse SACHe.

128 Kora: ne. (.)

129 aber ihn zu hAben obwohl man vorher so auf kathO- lisch macht,

130 schOn.

131 Lore: ja aber egal ob man PELz gut findet oder nich, 132 (.) nen pelz zu hAben ist IMmer SCHEIsse.

Bereits das „aber“ in Zeile 124 kündigt die folgende durch „die SACHe is,“ eingeleitete Adversativität an. Das Argument „geSCHLECHTSver- kehr zu haben, ist KEIne FIEse SACHe.“ (Z. 126 f.) wird in Form einer sentenzhaften Aussage als allgemein gültige Tatsache präsentiert. Nach Beendigung dieser Aussage liefert Kora ein zustimmendes „ne.“ (Z. 128) und setzt die Äußerung weiter fort: „ne. (.) aber ihn zu hAben obwohl man vorher so auf kathOlisch macht, schOn.“ (Z. 128⫺130). Diese An- bindung verdeutlicht, dass Kora Lores Äußerung „die SACHe is, (.) ge- SCHLECHTSverkehr zu haben, ist KEIne FIEse SACHe.“ als ersten Teil einer Kontrastierung interpretiert, die es zu komplettieren gilt.

Durch diese Reanalyse des vorausgehenden Syntagmas als Ausgangs- punkt für die nun folgende Komplettierung etabliert sich Kora als „co- teller“ (Ford 1993: 124 ff.). In Zeile 131 übernimmt Lore jedoch den Redezug und bringt⫺ohne Ratifizierung der Fortsetzung Koras⫺die von ihr begonnene Kontrastierung selbst, in Analogie zum ersten Teil, zu Ende: „ja aber egal ob man PELz gut findet oder nich, (.) nen pelz zu hAben ist IMmer SCHEIsse.“

Die Einleitung allgemein gültiger Aussagen durch „die Sache ist“ fin- det sich in den vorliegenden Daten⫺vor allem in argumentativen Kon- texten ⫺immer wieder. „die Sache ist“-Äußerungen scheinen aufgrund der Kontextualisierung von Faktizität prädestiniert dafür, Argumente, Bewertungen, Einschätzungen etc. als allgemein gültige und evidente Tatsachen zu konstruieren. Der Geltungsanspruch der Aussage im B-Teil wird dabei häufig durch Adverbien und Partikeln wiedoch, aber auch, natürlich, nämlich etc., die das „die Sache ist“-Syntagma begleiten, be- tont.

Auch im folgenden Ausschnitt, der ebenfalls dem Gespräch über Brit- ney Spears entstammt, leitet „<<f> die sache is,>“ (Z. 255) eine als allgemein gültig präsentierte Maxime ein. Die Sprecherin Kora liefert in den Zeilen 247 ff. ein Gegenargument zur Bewertung der vorausgehen- den Sprecherin Lore:

(7) BRITNEY SPEARS III

241 Lore: ey, mir tut se eigentlich eher nen bisschen LEID;

242 weißte= dass sie sich die gAnze-

243 also dass sie diesen (.) ganzen KRA:M da mitmachen musste;

(18)

244 Kora: OH::: (.)<<l>die Arme rEIche [britney]>

245 Lore: [<<l>die arme] reiche britney.>

246 Kora: OH:::

247 Kora: <<f>ne>(.) da- das SEH ich überhaupt NICH ein, 248 wenn man WIRKlich die klappe so AUFreißt in der öf-

fentlichkeit,

249 sei es (.) irgendein polItiker der auf morAl schwört,

250 oder irgendeine POP-queen, 251 die sacht sie is JUNGfrau, (.) 252 da MUSS man auch verf- hh’

253 <<all> hh’ jetzt sach ich schon fast verfickten

schon wieder;>

254 dann hh’

255 <<f>die sache is,>(.)

256 da muss man ja auch dann daHINter stEhen, 257 und dann muss man DAT auch so MACHen.

258 [man kann dOch]

259 Lore: [dass du gerade] britney spEArs mit nem polItiker verGLEICHst,

260 find ich nen bisschen HERbe, 261 Siggi: <<f>ja.>

262 Kora: ist des nich alles ZIRkus.

Mittels „dann“ (Z. 254) in Kombination mit der markierten Einatmung und dem folgenden „die sache is,“-Syntagma (Z. 254⫺255) kehrt die Sprecherin (nach der Parenthese in Z. 253) zur Hauptsequenz ⫺ und damit zu ihrer Argumentation ⫺zurück. „<<f> die sache is,>“ lenkt die Aufmerksamkeit der RezipientInnen auf die Folgeäußerung, die eine maximenartige Sentenz enthält: Durch das unpersönliche Pronomen

„man“, das Modalverb „muss“ und die Modalpartikel „ja“ wird hier Allgemeingültigkeit konstruiert.

Die präsentierten „die Sache ist“-Konstruktionen mit folgendem ab- hängigem Hauptsatz stellen nicht länger Matrixsätze im traditionellen Sinne dar, sondern sie besetzen topologisch betrachtet die Position des Vor-Vorfeldes18und damit den Ort, an dem keine abgeschlossenen Rede- beiträge stehen, sondern Elemente, die die Nachfolgeäußerung meta- kommunikativ oder semantisch rahmen:19

18. Zur Vor-Vorfeldposition siehe Auer (1997).

19. Siehe auch Fiehler et al. (2004) zur Funktion von Operatoren im Diskurs. Rehbein (2003: 262) spricht in Zusammenhang von Matrix-Konstruktionen von der Funktion der Herstellung einer „Interaktionskohärenz zwischen S und H“, d. h. der Sprecher gibt mit dem Matrixsatz an, „was kommt“ bzw. ordnet die folgende Information für den Hörer „in eine Wissenskategorie“ ein und „synchronisiert“ dadurch „die mentalen Pro- zesse zwischen Sprecher und Hörer“.

(19)

Vor-Vorfeld Vorfeld linke Satz- Mittelfeld rechte Satz Nachfeld

klammer klammer

die sache jetz hab ich also angefangen;

is, mit calvino

die SACHe geSCHLECHTS- ist KEIne FIEse

is, (.) verkehr zu SACHe.

haben,

<<f>die da muss man ja auch daHINter

sache dann stEhen,

is,>(.)

Die Anbindung zwischen dem im Vor-Vorfeld positionierten „die Sache ist“-Teilsatz und dem Folgesegment ist recht schwach: Einerseits sind die beiden Teile prosodisch durch eigene Intonationskonturen und Pausen voneinander abgetrennt, zum anderen führt der minimale semantische Gehalt des A-Teils (aufgrund des unspezifischen Nomens) gekoppelt mit der syntaktischen Unabhängigkeit des Folgesyntagmas dazu, dass ein Wegfall des A-Teils keine agrammatische Struktur nach sich ziehen würde:

(5a) SPRECHSTUNDENTRANSKRIPT Nr. 21

S: mhm, also ehm;

jetz hab ich also mit calvino angefangen; (-) jetz so vom zeitplan her; ehm (2,0)

weiß nich wie lang das dann halt dauern wird,

(6a) BRITNEY SPEARS II

Lore: und<<A>ich bin ja auch vegetArier,>

aber? (.)

geSCHLECHTSverkehr zu haben, ist KEIne FIEse SACHe.

Kora: ne. (.)

(7a) BRITNEY SPEARS III

Kora: <<all> hh’ jetzt sach ich schon fast verfickten schon wieder;>

dann hh’

da muss man ja auch dann daHINter stEhen, und dann muss man DAT auch so MACHen.

[man kann dOch]

Im Vergleich zu den Originaläußerungen wirken die Aussagen der kon- struierten B-Teile unvermittelter. Man könnte ⫺im Sinne Lambrechts

(20)

(2001)⫺von einer Art „Arbeitsteilung“ zwischen den beiden Syntagmen sprechen: Während der A-Teil primär diskurspragmatische Funktionen hat (die Projektion der Folgeäußerung als Kern der Äußerung), enthält der B-Teil die eigentliche Prädikation. Dies entspricht auch der Beobach- tung Auers (1997), dass im Vor-Vorfeld positionierte Syntagmen meist metakommunikative oder semantische Rahmungsfunktionen inneha- ben.20 Ferner zeigen sich deutliche Parallelen zu Diessel & Tomasellos (2001) und Thompsons (2002b) Beobachtungen zum Gebrauch von Komplementsätzen im gesprochenen Englisch. Ihre Studien verdeutli- chen, dass der Matrixsatz (der CTV-clause, d. h. „Complement Taking Verb“) im gesprochenen Englisch keineswegs die Hauptfunktion innehat, sondern der Komplementsatz, der (formal und) konzeptuell nicht länger vom CTV-Teilsatz abhängig ist, die eigentliche Kernproposition aus- drückt (Diessel & Tomasellos 2001). Der CTV-Teilsatz entwickelt sich zunehmend zu einer formelhaften Phrase (CTP-phrase; Thompson 2002b), die dazu verwendet wird, eine epistemische, evaluative bzw. evi- dentielle Einstellung zur Folgeproposition zum Ausdruck zu bringen.21

Die Relevanz des Matrixsatzes wird auch in den vorliegenden Fällen zur Thematisierungsphrase bzw. zum Rahmungselement abgewertet, während der Komplementsatz die zentrale Information erhält. Diese Zweiteilung in Rahmungselement und Folgeäußerung, die eine Erleichte- rung der Prozessierung der syntaktischen Struktur repräsentiert (Auer 1997; Günthner 1999b; Fiehler et al. 2004), weist deutliche formale und funktionale Parallelen zu „Einleitungsfloskeln“ (Altmann 1981: 82 ff.), im Vor-Vorfeld positionierten „Thematisierungsformeln“ (Zifonun et al.

1997: 524 ff.), Diskursmarkern (Gohl & Günthner 1999; Günthner 1999a) bzw. „Operatoren“ (Fiehler et al. 2004) auf,22 denn auch sie re- präsentieren prosodisch meist selbstständige, syntaktisch nicht abge- schlossene und nicht turn-konstitutive metakommunikative Rahmungs-

20. Rehbeins (2003: 262) These, dass mittels Matrixkonstruktionen „(i) die mentalen Pro- zesse zwischen Sprecher und Hörer synchronisiert“ und „(ii) die Prozessierung sprachli- cher Muster, speziell propositionaler Gehalte, sprecherseitig kontrolliert“ werden, zielt in eine ähnliche Richtung.

21. Diessel & Tomasello (2001) differenzieren in diesem Zusammenhang zwischen einem performativen und einem sich daraus entwickelnden formelhaften Gebrauch des CTV- Teilsatzes. Während beim performativen Gebrauch der CTV-Teilsatz noch formal (nicht aber konzeptuell) eingebettet ist, ist dieserim Falle des formelhaften Gebrauchs weder formal noch konzeptuell eingebettet. Darüber hinaus hat der CTV-Teilsatz beim performativen Gebrauch noch eine Restbedeutung; beim formelhaften Gebrauch ist er dagegen semantisch entleert.

22. Fiehler et al. (2004: 265, 390) erwähnen in Zusammenhang mit ihrer „Operator-Skopus- Struktur“ zwar nicht „die Sache ist“-Strukturen, aber „Tatsache ist“ wird von ihnen als Geltungsoperator bezeichnet, der wie alle Operatoren den RezipientInnen Verstehen- sanleitungen liefert.

(21)

elemente, die von einem potenziell selbstständigen Syntagma fortgesetzt werden.23 Man könnte also von einer Art „blending“ (Croft & Cruse 2004: 38⫺39) verwandter Konstruktionen sprechen: Matrixsatz mit fol- gendem Komplementsatz, Matrixsatz mit uneingeleitetem, abhängigem Hauptsatz, Rahmungselement im Vor-Vorfeld bzw. Diskursmarker.24 3.4. „die Sache ist“ mit einer folgenden komplexen Sequenz

Auch wenn das im Vor-Vorfeld positionierte Syntagma „die Sache ist“

grammatikalisch betrachtet weglassbar ist, hat es dennoch ⫺ wie ge- zeigt⫺interaktive Funktionen: Einerseits kündigt es den Kern der Äu- ßerung im Folgesyntagma an und steuert damit die Aufmerksamkeit der RezipientInnen, zum anderen sichert es der SprecherIn bis zum Ab- schluss der Sequenz das Rederecht. Die Funktion der Rederechtsiche- rung wird besonders dann relevant, wenn die SprecherIn längere Diskur- seinheiten produziert. Und tatsächlich wird die vorliegende Konstruk- tion immer wieder zur Einführung komplexer Argumente bzw. Sachver- halte verwendet, die sich über mehrere Turnkonstruktionseinheiten aus- breiten und für die sich die SprecherInnen projektiv das Rederecht sichern.25

Nach einem Herumalbern über Britney Spears, die Pastorin hätte werden sollen, wechselt Kora in Zeile 14 die thematische Ausrichtung und kün- digt eine negative Bewertung an:

(8) BRITNEY SPEARS IV

1 Kora: britney spears hätte pastor werden sollen 2 da wär die scheiße am dampfen gewesen.

3 Lore: <<f>NOnne> (0.5)

4 nonne pastor hätt se ja werden können

23. Siehe auch Edmondson (1981: 155), der „the point is“ und „the thing is“ zu den „un- derscorers“ zählt und damit als „message-oriented devices“ betrachtet, die “draw special attention to the following, preceding, or ongoing communicative act.”

24. Siehe Parallelen zur Entwicklung von Diskursmarkern aus Verba sentiendi und dicendi (Redder 1980; Imo 2006). Wie Auer & Günthner (2005) veranschaulichen, werden in der gesprochenen Sprache verschiedene hochfrequente Verba sentiendi und dicendi als Diskursmarker reanalysiert, die ebenfalls auf Matrixsätze und einem nachfolgenden abhängigen Hauptsatz zurückgehen. Grundlage dieses Übergangs zum Diskursmarker ist die Tatsache, dass diese Verben unter bestimmten Bedingungen keinen nachfolgen- den eingebetteten dass-Satz erfordern, sondern von einem Syntagma mit Hauptsatzsyn- tax gefolgt werden können. Dieser Satz bildet dann semantisch gesehen die notwendige Ergänzung. Vgl. auch „es ist so, dass…“-Konstruktionen (Auer 2006).

25. Hierzu auch der bereits präsentierte Ausschnitt BRITNEY SPEARS I. Vgl. auch Günthners (2006b) und Auers (2006) Beobachtungen zu Pseudocleft- bzw. „es ist so, dass…“-Konstruktionen.

(22)

5 in der evangelischen kirche. (.)

6 Kora: britney spears als pastor fänd ich ziemlich fett.

7 (0.5)

8 Lore: <<l>EY ich weiß nich.>

9 (0.5)

10 Lore: da würden ihr die ganzen presbyter untern rock gucken

11 (1.0)

12 Lore: untern talar?

13 Kora: KRASS find ich dass britney spears ja schon diverse male (0.5)

14 <<all>ey wisst ihr was mich auch ankotzt,>(.)

15 dass berühmte leute gegen JE:DE form der gesetze verstoßen dürfen (.)

16 und nix passiert=alter (.) und (.)

17 <<l>die sache is,>(.)

18 wenn so kleine (1.0) VÖGelchen (.)

19 wie unsereins sich irgendeine scheiße zukommen lassen,

20 is sofort rhabarber;

21 weiße ich hab handbremse einmal nich angezogen,

22 zwanni.

23 <<Aall>weiße verstehse?>

24 kohl voll die kacke gemacht,

25 egal.

26 xavier naidoo gras gefunden, (.) 27 nie wieder was von gehört,

28 aber (.) so pOpelfritze (.) wie Unsereiner, 29 zwAnzig mark für hAndbremse,

30 lasst euch das mal durch=en kOpf gehen.

Bereits die in Zeile 14 verwendete Bewertung „<<all>ey wisst ihr was mich auch ankotzt,>“ baut eine Projektion bzgl. des nun folgenden Sachverhalts auf. Dieser Matrixsatz mit dem folgenden Komplementsatz

„dass berühmte leute gegen JE:DE form der gesetze verstoßen dürfen (.) und nix passiert⫽alter (.)“ ähnelt insofern der „die sache ist“-Konstruk- tion, als auch hier zunächst der Rahmen (die negative Bewertung) und dann erst der angekündigte Sachverhalt geäußert wird. (Im Vergleich zu

„die Sache ist“-Konstruktionen ist hierbei der A-Teil jedoch semantisch nicht entleert.)

Durch die prosodisch markierte Artikulation (Verlangsamung der Sprechgeschwindigkeit) von „die sache is,“ (Z. 17) wird dessen Projek- tionskraft unterstrichen. Nach diesem somit vom Kotext abgehobenen A-Teil liefert Kora eine komplexe Konstruktion, wobei sie mittels einer Konditionalkonstruktion eine Kontrastierung zum vorherigen Sachver- halt („bei berühmten Leuten passiert nichts“) aufbaut. Ab Zeile 21 führt Kora Beispiele zur Stütze ihrer Behauptung ein. Der B-Teil der „die Sa- che ist“-Konstruktion besteht hierbei aus einer komplexen „wenn-dann“-

(23)

Konstruktion, die sich aus mehreren syntaktischen und prosodischen Einheiten zusammensetzt:

Teil A Teil B

„die Sache ist“ komplexe Konstruktion

<<l>die sache is,>(.) wenn so kleine (1.0)

VÖGelchen (.) wie unsereins sich irgendeine scheiße zukommen lassen, is sofort rhabarber;

In Zusammenhang mit der Einleitung einer komplexen Sequenz nach

„die Sache ist“ finden sich immer wieder katadeiktische Ausdrücke wie

„die Sache istDIE …“.

Im folgenden Gespräch unterhalten sich Dora und Nora über ihre krebskranke Bekannte (Eva):

(9) KREBS

22 Dora: wir wIssen halt nich,

23 WAS genAU los is.

24 Nora: ich mein, (.)

25 die sache is halt DIE,

26 wenn du schon angekRATZT bist, 27 und das IS sie [ja.]

28 Dora: [mhm]

29 Nora: es- es is ja nich SO lang her-

30 mit der OP,

31 ein JAHR oder=so,

32 Dora: [mhm]

33 Nora: [da] dann haste bei jedem UNWOHLsein gleich ANGST.

In Zeile 24 führt Nora ihre Erklärung zunächst mit einer „ich mein“- Phrase ein. Solche im Vor-Vorfeld positionierten „ich mein“-Phrasen können ⫺ ähnlich wie „die Sache ist“-Äußerungen ⫺ dazu verwendet werden, Neupositionierungen, Nichtübereinstimmungen, Bewertungen und Schlussfolgerungen zu präsentieren (Günthner & Imo 2004).26Folg- lich ist das Zusammentreffen dieser Elemente nicht allzu verwunderlich.

Im Anschluss an „ich mein“ formuliert Kora in Zeile 25 eine „die Sache

26. Siehe auch Hohensteins (2004) sprachvergleichende Arbeit zu deutsch-japanischen Ma- trixkonstruktionen.

(24)

ist“-Konstruktion, wobei das kataphorische und prosodisch markierte

„DIE“ (Z. 25) bereits kontextualisiert, dass nun eine längere Sequenz zu erwarten ist. Solche⫺vor allem bei komplexen B-Teilen immer wieder auftretenden kataphorischen Elemente⫺unterstreichen die Projektions- kraft des A-Teils. Der B-Teil besteht aus einer „wenn-dann“-Konstruk- tion („wenn du schon angekRATZT bist, […] dann haste bei jedem UN- WOHLsein gleich ANGST.“), die wiederum durch eine längere Nebense- quenz (Z. 27⫺31) und Rezipientensignale (Z. 28 und 32) unterbrochen ist, so dass die endgültige Gestaltschließung erst mit der Apodosis „dann haste bei jedem UNWOHLsein gleich ANGST.“ in Zeile 33 erfolgt.

Im nächsten Ausschnitt, der der BIG BROTHER-Serie entnommen ist, reden Eva und Steffi über ihren Mitbewohner Frank. Mit dem „die Sache ist“-Syntagma führt Steffi eine längere Sequenz (ein „big pack- age“; Sacks 1964⫺68/1992) über ihre Beziehung zu Frank ein. Auch hier enthält das „die Sache ist“-Syntagma einen katadeiktischen Ausdruck:

(10) BIG BROTHER 2⫺18; 749⫺774

120 Ebru: ( ) FRANK;

121 (0.5)

122 Ste: ja FRANK ja.

123 Ebru: h=hm,

124 Ste: <<flüsternd>.h ja also,>

125 die sache is DIE ja;

126 <<all>(also) da haben wir ja schon OFT drüber ge-

redet mit frank;

127 FRANK is bestimmt kein schlechter KERL;

128 aber IRgendwann;

129 =jetzt im moment STÖRT er mich nich;>

130 aber eh-

131 IRgendwann musst de dich eben halt zwischen den leuten-

132 die du richtig LIEB hast,

133 und zu DEN du keine beZIEhung hast- 134 ent- entscheiden;

135 Ebru: [h=hm, ]

136 Ste: [DAS is] die sache;

137 er is trOtzdem NETT;

In Zeile 124⫺125 projiziert Steffi mit der Partikelkombination „ja also“

sowie dem Syntagma „die sache is DIE ja;“ die eigentliche Kernaussage.

Allerdings wird dann ⫺im Sinne einer Nebensequenz (Z. 126⫺129)⫺ ihre mit erhöhter Sprechgeschwindigkeit gesprochene Bewertung bzgl.

Frank eingeschoben. Erst in Zeile 131 greift Steffi ihre ursprüngliche Konstruktion wieder auf und führt sie in Form einer sentenzhaften Ma- xime zu Ende: „IRgendwann musst de dich eben halt zwischen den leu-

(25)

ten- die du richtig LIEB hast, und zu DEN du keine beZIEhung hast- ent- entscheiden;“. Anschließend folgt eine inverse Reformulierung der

„die Sache ist“-Phrase: „DAS is die sache;“ (Z. 136), wodurch die Ma- xime bzw. der Kern der Aussage richtiggehend eingeklammert und be- tont wird.

3.5. Fazit zu den verschiedenen Realisierungen von „die Sache ist“-Konstruktionen

Die im gesprochenen Deutsch auftretende „die Sache ist“-Konstruktion zeichnet sich durch zwei aufeinander bezogene Syntagmen (Teil A und Teil B) aus, wobei das erste (Teil A) insofern eine projizierende Kraft hat, als es eine syntaktische Leerstelle für eine Folgeaussage beinhaltet, die im Formulierungsprozess nach und nach gefüllt wird. Das grammati- sche Wissen über diese Projektionsgestalt und ihren Abschluss hat se- quentielle Implikationen und führt einerseits dazu, dass SprecherInnen im Falle von eingeschobenen Nebensequenzen meist zur ursprünglichen Konstruktion zurückkehren und die Gestalt abschließen. (Die immer wieder zu beobachtenden eingeschobenen Hintergrundinformationen, potenziellen Gegenargumente etc. verweisen auf die Stabilität der Kon- struktion.) Zum anderen findet in der Regel zwischen dem „die Sache ist“-Teilsatz und dem Folgesyntagma kein Sprecherwechsel statt; die Re- zipientInnen warten mit der Redezugübernahme bis zum Ende der Ge- staltschließung. Die A- und B-Teile sind prosodisch unabhängig: Meist wird zwischen den beiden Teilen eine prosodische Zäsur eingeschoben⫺ markiert durch Pausen und eigenständige Intonationskonturen.

Die vorliegende Analyse verdeutlicht ferner, dass die „die Sache ist“- Konstruktion im gesprochenen Deutsch weder auf das satzsyntaktische Format [Matrixsatz ⫹ Komplementsatz] noch auf die Konstruktions- form „N-be-that“ zu reduzieren ist. Stattdessen zeichnet sich eine Varia- bilität an syntaktischen Realisierungsformen der B-Teile ab. Diese kön- nen aus

(i) einem durch den Subjunktor „dass“ eingeleiteten syntaktisch inte- grierten Verbendsatz (in vier von 20 Fällen),

(ii) einem durch den Subjunktor „dass“ eingeleiteten, syntaktisch nicht integrierten Verbzweitsatz (in einem Fall),

(iii) einem syntaktisch nicht-integrierten Hauptsatz (in sieben von 20 Fällen),

(iv) einer komplexen Konstruktion bzw. einem längeren Diskurssegment (in acht von 20 Fällen) bestehen.

Die Ausgestaltung der durch das „die Sache ist“-Syntagma eröffneten Konstruktion ist somit keineswegs festgelegt, sondern sie wird interaktiv

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und prozessual erzeugt; sie ist emergent im Sinne Hoppers (2001, 2004).

Dies kommt insofern den Bedürfnissen gesprochener Sprache entgegen, als die Sprecherin so bis zum Ende des „die Sache ist“-Teilsatzes Zeit hat, die Gestaltung des Folgeteils in Angriff zu nehmen und damit den

„die Sache ist“-Teilsatz als innerhalb oder außerhalb der topologischen Struktur stehend zu definieren. Die unterschiedlichen Realisierungsmög- lichkeiten des B-Teils führen jedoch nicht dazu, dass sich die Bedeutung der syntaktisch integrierten und syntaktisch nicht-integrierten „die Sache ist“-Konstruktionen grundlegend unterscheidet. Auch im Falle subordi- nierter B-Teile tragen diese die Hauptinformation und sind dem Matrix- satz konzeptuell nicht untergeordnet.

4. Diskussion der Ergebnisse

Die Daten gesprochener Sprache verdeutlichen, dass die Verwendungs- weisen der „die Sache ist“-Konstruktion keineswegs auf einen einheitli- chen Konstruktionstypus der Form „N-be-that“ mit einem durch den Subjunktor „dass“ eingeleiteten Komplementsatz zu reduzieren sind;

vielmehr erweisen sich Realisierungsformen des B-Teils als weitaus viel- fältiger als in der Forschungsliteratur beschrieben. Ferner problematisie- ren die verschiedenen Grade der Integration der beteiligten Syntagmen einmal mehr die Idee einer dichotomischen Zweiteilung von Subordina- tion und Koordination bzw. Hypotaxe und Parataxe (Haiman & Thomp- son 1984; Günthner 1996, 1999b; Auer 1997): Der Matrixsatz und das Folgesyntagma können syntaktisch durch einen Subjunktor und Ver- bendstellung integriert sein, der Matrixsatz kann aber auch vom Folge- syntagma bzw. der noch ausstehenden Konstituente durch eine Ein- schubsequenz abgetrennt sein, das Folgesyntagma kann Verbzweitstel- lung aufweisen oder gar eine eigenständige (komplexe) Struktur darstel- len. Im letzten Fall rückt der A-Teil („die Sache ist“) ins Vor-Vorfeld und weist eine gewisse Nähe zu den im Vor-Vorfeld positionierten Operato- ren, Thematisierungsformeln wie auch zu Diskursmarkern auf. Damit reiht sich die vorliegende Konstruktion in eine immer wieder konstatierte Grammatikalisierungstendenz ein: Ein Matrixsatz wird zugunsten des Folgesyntagmas (des abhängigen Komplementsatzes) sowohl in seiner pragmatischen Gewichtung als auch in seiner syntaktischen Funktion als Trägersatz herabgestuft (Auer 1998; Diessel & Tomasello 2001; Günth- ner & Imo 2004). Im Zuge dieser grammatischen Reanalyse erhalten „die Sache ist“-Teilsätze eine primär diskurspragmatische Funktion. Statt von einer Abhängigkeit des Komplementsatzes vom Matrixsatz zu reden, liegt nun der umgekehrte Fall vor: Der projizierende Matrixsatz ist so- wohl syntaktisch als auch semantisch und diskursorganisatorisch vom Folgesyntagma, das die zentrale Information liefert, abhängig (Diessel &

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