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Akten zur Auswärtigen Politik der BundesnepubHk Deutschland 1974

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Matthias Rogg, Landsknechte und Reisläufer: Bilder vom Soldaten. Ein Stand in der Kunst des 16. Jahrhunderts, Paderborn, München, Wien, Zürich: Schö- ningh 2002, X, 457 S. (= Krieg in der Geschichte, 5), EUR 46,80 [ISBN 3-506- 74474-7]

Matthias Roggs 2002 erschienene Dissertation wurde 1998 an der Universität Frei- burg im Breisgau angenommen und 2000 mit dem Ersten Preis des »Werner-Hahl- weg-Preises für Militärgeschichte und Wehrwissenschaften« ausgezeichnet. Die Arbeit führt in der historischen Bildkunde nicht nur Kunst- und Militärgeschich- te zusammen, sondern steht auch für den Ansatz einer kulturgeschichtlich ausge- richteten »Neuen Militärgeschichte«, wie sie der Arbeitskreis »Militär und Gesell- schaft in der Frühen Neuzeit« verfolgt. Analog zur Entwicklung dieser For- schungsrichtung ist der größte Teil der bisherigen Untersuchungen zu einer ähn- lichen Thematik in der Schweiz sowie in den angelsächsischen Ländern entstanden.

Hier ist vor allem J.R. Haies 1990 erschienene Arbeit zu Künstlern und Krieg in der Renaissance zu nennen.

In ausgedehnten Archivrecherchen hat Rogg ca. 4000 Bildquellen aus dem Schweizer und oberdeutschen Raum zusammengetragen und analysiert. Im Mit- telpunkt seiner Untersuchung stehen neben der Frage nach den Bildern und ihrer Funktionalisierung das Spannungsverhältnis zwischen abgebildeter Realität und der »Instrumentalisierung des Soldatenbildes für moralisierende/propagandisti- sche Zwecke« (S. 7) sowie das Verhältnis zwischen militärischen Entwicklungen und Veränderungen in der Abbildung von Soldaten.

Nach der Einführung setzt sich Rogg in einem kurzen Kapitel mit dem histo- rischen und kunsthistorischen Rahmen auseinander, um dann im dritten Kapitel, dem Hauptteil des Buches, den Topos »Soldat« aufzuschlüsseln. Im Mittelpunkt ste- hen hier das komplexe Verhältnis zwischen »Lebenswirklichkeit« der Söldner und ihrer Abbildung in der Kunst, die sich vorwiegend in Genredarstellungen finden läßt. Andere zentrale Themen sind Soldaten im Kontext moralisierender und po- litischer Bildaussagen sowie Soldaten in Sinnbildern, wie z.B. Wappenbildern oder Prognostiken. Im letzten Kapitel des Hauptteils verfolgt Rogg die Entwicklung vom »autonomen Soldatenbild« zur »Bildserie« im Kontext der militärischen Ver- änderungen im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit.

Methodisch orientiert sich der Autor an Trudl und Rainer Wohlfeils Begriff des

»historischen Dokumentensinns«. So »bietet die historische Bildkunde die Mög- lichkeit, Kunstwerke hinsichtlich ihres differenzierten Sinngehalts zu begreifen.

Dadurch werden geistige, religiöse, soziale, kulturelle, politische und mentalitäts- geschichtliche Sinnschichten zugänglich gemacht« (S. 5). Von diesem Ansatz aus- gehend entwirft Rogg eine zugleich griffige und offene Methode, die leserfreund- lich auf zwei Seiten vorgestellt wird. Die räumliche und zeitliche Verortung birgt den Vorteil in sich, daß in der Zeit vom Spätmittelalter bis zum Vorabend des Drei- ßigjährigen Krieges im oberdeutschen und Schweizer Raum nicht nur europäische Zentren der Söldnerrekrutierung lagen, sondern auch die »deutschsprachigen Kunstzentren« Nürnberg, Augsburg und Basel. Die Vielzahl der hier produzier- ten Quellen erlaubt vorsichtige Aussagen über thematische Schwerpunkte oder auch das Marktinteresse an bestimmten Themen. Ebenso spielt die Untersuchung der Geschlechterverhältnisse eine wichtige Rolle in der vorliegenden Arbeit, die

Militärgeschichtliche Zeitschrift 63 (2004), S. 517-601 © Militärgeschichtliches Forschungsamt,Potsdam

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weit über die Behandlung in einem gesonderten Kapitel (S. 33-66) hinausgeht (z.B.

S. 106 f., 220 (:, 225-227, 234)

Das Kapitel »Aufgeschlüsselter Topos« steht methodisch im Zeichen des Span- nungsfeldes zwischen der realistischen Wiedergabe von Kriegsleuten und poli- tisch-moralischen Absichten in ihrer Darstellung. In der Untersuchung der »Le- benswirklichkeit« in Genredarstellungen widmet sich Rogg schwerpunktmäßig der Frage nach den Möglichkeiten, militärische Realität aus Bildquellen zu rekon- struieren. Das methodische Dilemma, daß es keinen Königsweg gibt, u m zwischen

»Realität« und »Topos« zu unterscheiden, löst Rogg in diesem Kapitel durch eine thematische Gliederung nach Bereichen des militärischen Lebens (Lager, Troß, Kampf etc.). Innerhalb dieser wird unter sorgfältiger Beachtung der Bildkomposi- tion nicht nur der Frage nachgegangen, welche Aussagen über das Leben der Söld- ner gefunden werden können, sondern auch wie sich bestimmte längerfristige mi- litärische Entwicklungen in den Bildern niederschlagen. Daß moralische, religiö- se oder politische Absichten immer wieder in diesen Themenbereich hineinspielen, liegt in den Quellen begründet und der Autor versteht es, das Problem durch sorg- fältige Einzelfallanalysen zu meistern. Dabei findet sich die »Lebenswirklichkeit«

»vor allem [in den] nachgeordneten Bildaussagen [und den] genrehaften Szenen«

(S. 33). Im Zusammenhang mit der Darstellung von Frauen zeigt Rogg, daß »kei- ne Personen-, Berufs- oder Standesgruppe so häufig neben dem Soldaten abgebil- det wird wie die Frau« (S. 33). Da man am häufigsten »Frauendarstellungen im Umfeld von Troß und Lager« findet, liegt der Schwerpunkt der Darstellung auch auf den Soldatenbegleiterinnen. Mentalitätsgeschichtlich besonders interessant ist die Feststellung, daß das vor allem in den Städten ansässige Publikum der Druck- erzeugnisse in die Soldaten als »Herzensbrecher« seine unerfüllten Sehnsüchte projizierte (S. 39). Wurde hier die »wilde« und ungezwungene Seite des Söldner- lebens angesprochen, so können die Kriegsknechte auch als treusorgende Famili- enväter auftreten, bzw. die Frauen als »ehrsame Hausfrauen und Mütter, in mo- discher Kleidung und mit den Insignien ihrer häuslichen Gewalt versehen« (S. 38).

Die Bilder verweisen im allgemeinen nicht nur auf das harte Leben der Frauen im Troß der Söldnerheere (S. 49), über welches schriftliche Quellen nur wenig Aus- kunft geben, sondern Rogg kann auch deutlich machen, daß zwischen den ver- schiedenen Soldatenbegleiterinnen oder Prostituierten im Lager deutliche soziale Unterschiede herrschten. Die Statusgruppen reichten von den wohlangesehenen Begleiterinnen der Fähnriche (S. 51) oder »Luxusdirnen« (wie Rogg anhand einer detaillierten Analyse von Altdorfers »Reitender Dame von Kriegsvolk umgeben«

nachweisen kann) bis hin zu Frauen, die als »Opfer einer wilden Soldateska« grau- same Verstümmelungen erleiden mußten.

Hervorzuheben ist noch der Befund, daß Kriegsübungen fast nie bildlich dar- gestellt wurden. Rogg schlußfolgert daraus, daß entsprechende Übungen »im Großverband« im 16. Jahrhundert nur selten oder gar nicht abgehalten wurden.

Im Vergleich mit anderen Ständen kann Rogg herausarbeiten, daß die Solda- ten von den Zeitgenossen als eigener Stand gesehen wurden, aber »unter den schlecht beleumundeten Gesellschaftsgruppen eine Spitzenposition« einnahmen (S. 155). Um so interessanter ist die Feststellung der Kapitel zur Instrumentalisie- rung von Soldatenbildern in Polemiken oder Sinnbildern, daß der Soldat in jeder Hinsicht einsetzbar war. Hier reicht die Palette vom Künder zukünftigen Unglücks in Himmelserscheinungen (S. 231) über den lasterhaften Landsknecht (S. 233) bis hin zum positiven Helden, der den wahren Glauben gegen Türken (S. 177) oder

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Papisten (S. 206 f.) verteidigt oder wie im berühmten Triumphzug Maximilians I.

von Altdorfer als wohlgeordnete Kriegsmacht der Verherrlichung des Fürsten dient.

In der Zusammenfassung verweist Rogg noch einmal auf das differenzierte Sol- datenbild in den bildlichen Darstellungen und die flexible Instrumentalisierbar- keit dieser Bilder. In ihnen wird der dynamisch und oft genug »wild« dargestellte Kriegsmann weniger ambivalenter dargestellt als in Schriftquellen der Zeit. Be- sonders interessant scheint die These, daß die Darstellung von wohlgeordnetem Kriegsvolk im Zusammenhang mit den Staatswerdungsprozessen und der Herr- scherlegitimation an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert zu sehen ist. Dabei spielte die Türkenangst eine besondere Rolle, da sie die kaiserliche Kriegsmacht als Schutz vor dem Ansturm der Ungläubigen erscheinen ließ und somit nicht nur zur Legitimation des Herrschers, sondern auch der Erhöhung des sozialen Presti- ges der Söldner beitrug.

Das Buch ist gut lesbar und oft amüsant geschrieben, so daß es auch einen Le- serkreis außerhalb der historischen Zunft erreichen kann. Die prägnante Zusam- menfassung am Schluß hätte der Leser sich jedoch auch nach jedem Abschnitt des Buches gewünscht. Dem rundum positiven Gesamteindruck des Werkes tut dies aber keinen Abbruch.

Sascha Möbius

Bernhard Mündt, Prinz Heinrich von Preußen 1726-1802. Die Entwicklung zur politischen und militärischen Führungspersönlichkeit (1726-1763), Ham- burg: Kovac 2002 (= Schriftenreihe Studien zur Geschichtsforschung der Neuzeit, 27), 567 S„ EUR 140,00 [ISBN 3-8300-0697-7]

Prinz Heinrich wird, wenn überhaupt, bestenfalls als jüngerer Bruder Friedrichs d.Gr. wahrgenommen. Sein Bild ist bis in die Gegenwart geprägt durch Einschät- zungen des 19. Jahrhunderts; eine wissenschaftlich fundierte Biographie liegt bis heute nicht vor. Eine solche wird auch nicht mit der umfangreichen Studie von Bernhard Mündt geboten, sie wird nicht einmal angestrebt, denn der Autor be- kundet bereits im Titel seiner Arbeit, daß diese nur der ersten Hälfte des Lebens von Prinz Heinrich von Preußen (1726-1802) nachgehen will, nämlich den Jahren, in denen er als Feldherr für Preußen hervorgetreten war. Diese Aktivitäten endeten aber bereits mit dem Frieden von Hubertusberg 1763. Die Jahre bis 1802 werden nur noch im »Schluß« beiläufig erwähnt.

Das vom Autor langfristig ins Auge gefaßte Ziel, eine »auf drei Bände ange- legte neue Prinz-Heinrich-Biographie« zu verfassen (S. 27), kann bei der Beurtei- lung der vorgelegten Abhandlung nicht berücksichtigt werden. Vorerst gilt es nur, die Qualität der von der Philosophischen Fakultät der Universität Mannheim im Dezember 2000 angenommenen Dissertation an ihren begrenzten Zielen zu mes- sen.

Die eigentliche Untersuchung beginnt mit einer Beschreibung der politischen und sozialen Strukturen im Preußen des 17. und 18. Jahrhunderts; die Rolle des Adels, die Bedeutung des Absolutismus und die Rolle der Prinzen im Herr- schaftsverständnis der Hohenzollern werden auf der Grundlage der Standardlite- ratur beschrieben. Die Informationen über den Berliner Hof im 18. Jahrhundert und die Erziehungsprinzipien König Friedrich Wilhelms I. bieten nichts Neues. Da

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es kaum Quellen gibt, die über die frühen Jahre des Prinzen Auskunft geben kön- nen, bewegen sich die Aussagen über dessen Bildungsgang im Bereich des Spe- kulativen.

Prinz Heinrich war noch zu jung, um am Ersten Schlesischen Krieg (1740-1742) teilnehmen zu können; deshalb sind die breit angelegten Schilderungen von des- sen Verlauf nicht sonderlich erhellend. Das gilt auch für die breite Darstellung des Zweiten Schlesischen Krieges (1744/45), in dessen Verlauf Prinz Heinrich nur ein kleines Truppenkommando hatte. Die Spannungen zwischen dem König und sei- nen jüngeren Brüdern sind aus der Literatur über Friedrich d.Gr. bekannt; die Per- spektive »von unten«, d.h. aus der Sicht der jüngeren Prinzen schafft mancherlei neue Einblicke, die in der Regel zu Ungunsten des Königs ausfallen, besonders deshalb, weil die Beziehung der übrigen Geschwister miteinander insgesamt po- sitiv dargestellt wird.

Prinz Heinrich erscheint aus der Sicht des Königs über viele Jahre nur als Re- gimentskommandeur ohne besondere Privilegien. Die Despotie Friedrichs einer- seits und die akzeptierte Botmäßigkeit des Prinzen Heinrich andererseits bestim- men das Leben des Prinzen bis zu den Rheinsberger Jahren.

Ausführlich behandelt Mündt die Eheschließung des Prinzen mit einer Toch- ter des Landgrafen Maximilian von Hessen, Wilhelmine, wobei seitenweise aus den Dokumenten, die zum Ehevertrag führten und aus diesem selbst zitiert wird.

Eine knappe Analyse der Vereinbarungen hätte genügt, nicht zuletzt deshalb, weil Aktivitäten und Ansichten des Prinzen selbst nicht sichtbar werden, da diesbe- zügliche Quellen fehlen.

Auch die folgenden Ausführungen über das Leben in Rheinsberg sind ge- kennzeichnet durch lange Zitate, die simple Aussagen z.B. über die Schenkungs- urkunde von 1744 betreffen (S. 147 f.), oder durch historische Rückgriffe, die we- nig Neues bringen und zum eigentlichen Gegenstand der Abhandlung wenig bei- tragen. Was hat die über sieben Seiten ausgebreitete Dokumentation über die Bil- dung eines Hofstaats in Rheinsberg, in der Prinz Heinrich nur beiläufig erwähnt wird, mit der »Entwicklung zur politischen und militärischen Führungspersön- lichkeit« zu tun? Da sind die im folgenden eher beiläufig beschriebenen Anzeichen des gespannten Verhältnisses des Prinzen zu seinem königlichen Bruder wesent- lich bedeutungsvoller.

Prinz Heinrich betrieb nach 1753 vielerlei Studien, wobei die Philosophie zwar im Mittelpunkt stand, die Bandbreite der Themen aber beachtlich war. Da sich nur Skizzen erhalten haben, sind Aussagen über die Qualität der in Rheinsberg ver- faßten Arbeiten nicht möglich. Auch das private Leben Heinrichs, seine Ehe mit Wil- helmine, die alles andere als glücklich war, und die Beziehungen zu seinen Ge- schwistern bleiben in der Darstellung blaß. Es werden meist nur archivalische Zu- fallsfunde in ausgedehnten Zitaten dargeboten; ein Erkenntnisgewinn ist damit kaum verbunden. Auch die frankophile Ausrichtung der geistigen Aktivitäten des Prinzen wird nur an der Oberfläche berührt. Der Umbau Rheinsbergs zu einer Sommerresidenz wird zwar mit vielen Details, aber ohne erkennbaren Bezug zur Persönlichkeit des Prinzen beschrieben.

In den Jahren 1753 bis zum Beginn des Siebenjährigen Krieges verfaßte Prinz Heinrich unter dem Pseudonym »Maréchall Gessler« Denkschriften zur politischen und militärischen Führung des königlichen Bruders seit 1740, wobei die erste große aus dem Jahr 1753 als die wichtigste erscheint. Mündt gibt den Inhalt dieser Denk- schrift, die bereits seit 1917 gedruckt vorliegt, in einer Mischung aus Regest und

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wörtlichem Zitat auf 12 Seiten wieder. Dabei wird zwar die kritische Position Hein- richs hervorgehoben, eine Analyse erfolgt aber nicht. Diese ist auch bei den nach- folgend mitgeteilten diplomatischen Noten, in denen sich der Prinz zu üben scheint, und bei den militärischen Studien, die fiktive Briefe des »Maréchall Gessler« an den König darstellen, zu vermissen. Die taktischen Gedankenspiele des Prinzen werden über mehr als 30 Seiten zitiert; nur ganz selten erfolgen kritische Kom- mentare, die Rückschlüsse auf die Qualität der Studien zulassen würden. Was un- ter der Uberschrift »Zur Verortung der Memoranden« (S. 263 ff.) geboten wird, ist nicht viel mehr als Spekulation darüber, ob Prinz Heinrich mit seinem Bruder Au- gust Wilhelm unter Beteiligung engster Mitarbeiter einen fiktiven Konflikt unter- einander ausgetragen habe. Mündt bescheinigt »seinem Helden« zwar einerseits

»ungewöhnlichen Scharfblick« (S. 267), sieht in ihm aber andererseits einen Poli- tiker, der in tradierten europäischen Kategorien denkend die weltpolitischen Ver- änderungen seiner Zeit nicht verstanden hat.

Mündts Urteil, die diplomatischen und militärischen Übungen hätten die »in- nere Entwicklung« des Prinzen zu einem Abschluß gebracht, er habe seine »Fähig- keit« zu sicheren Urteilen und logischen Schlüssen bewiesen (S. 270), vermag nicht zu überzeugen. Denn im folgenden Kapitel über die Vorgeschichte des Sieben- jährigen Krieges wird dem Prinzen bescheinigt, daß er die politische Situation we- gen seiner einseitig kontinentaleuropäischen Sicht verkannt habe. Darüber hinaus hatte der König ihm jede Information über die Lage Preußens verwehrt.

Am Feldzug gegen Sachsen nahm Prinz Heinrich nur in untergeordneter Stel- lung teil. Erst 1757 konnte er selbständig bei allerdings begrenzten Aufgaben ope- rieren. Die Kommandoenthebung der Prinzen August Wilhelm durch den König habe, so stellt Bernhard Mündt fest, bei Prinz Heinrich dazu beigetragen, die eigene Position als eine absoluter Abhängigkeit zu begreifen. Die Aussagen über das Ver- hältnis des Prinzen zu seinen Brüdern und besonders zum König sind bemer- kenswert (S. 296 f.).

Bei der Schilderung des weiteren Kriegsverlaufs konzentriert sich die Darstel- lung zwar auf die Leistungen des Prinzen Heinrich, bringt aber kaum neue Er- kenntnisse. Im März 1758 erhielt Prinz Heinrich den Oberbefehl über die preußi- schen Truppen in Sachsen. Die diesbezügliche Instruktion wird ausführlich wie- dergegeben; dabei wird deutlich, daß die Selbständigkeit des Kommandos letztlich eine sehr eingegrenzte war. Im Verlauf des Jahres 1758 wurden seine Kompetenzen deutlich reduziert und auch danach ließ der König seinen Bruder wissen, wer das Sagen in allen politischen, militärischen und familiären Fragen hatte.

Bei der Schilderung der militärischen Ereignisse des Jahres 1759 ergibt sich zwar eine stärkere Position des Prinzen Heinrich, aber die Bevormundung durch den König hielt an. Daß Prinz Heinrich in den folgenden Jahren die eine oder andere Aufgabe auch in diplomatischen Angelegenheiten wahrgenommen hat, wird de- tailliert berichtet, wirklicher Einfluß auf die preußische Politik ist aber nicht er- kennbar. Seine Beteiligung an den militärischen Ereignissen des Siebenjährigen Krieges wird in zahlreichen Details mitgeteilt, meist durch ausführlich wiederge- gebene Zitate. Die Spannungen zwischen den Brüdern werden beschrieben, wobei Mündt zwar zahlreiche Details zur unterschiedlichen Beurteilung der politischen Lage seitens des Königs und seines Bruders wiedergibt, aber nicht erkennen läßt, worin das »Genie« des Prinzen Heinrich bestanden haben könnte. Als sich Prinz Heinrich krankheitshalber von den militärischen Aufgaben zurückzieht, wird Kö- nig Friedrich bedauert, »weil er ohne seinen fähigsten Feldherren« hätte auskom-

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men müssen (S. 428); worin aber die Fähigkeiten dieses Feldherrn bestanden ha- ben könnten, wird nicht oder nur undeutlich beschrieben. Statt dessen wird mit Blick auf die Ereignisse des Jahres 1761 erneut festgestellt, daß die Befehlsgewalt des Prinzen den strategischen Konzeptionen des Königs in jedem Falle unterge- ordnet war (S. 430).

In der Schlußphase des Siebenjährigen Krieges trat Prinz Heinrich zwar als Kri- tiker der Ziele seines königlichen Bruders auf und war im Rahmen seiner Mög- lichkeiten um eine Humanisierung der Kriegführung bemüht; darüber hinausge- hende Initiativen sind aber kaum erkennbar. In einem Schlußkapitel kann Prinz Heinrich zwar noch als Sieger von Freiberg und als Empfänger zahlreicher Ehren vorgestellt werden, doch worin seine Leistungen als Feldherr bestanden haben, wird auch hier nicht erklärt.

Die Abhandlung endet mit einem als »Schluß« bezeichneten Kapitel, in dem ein Ausblick auf die künftige Karriere des Prinzen mit dem Versuch einer Bilanz seiner bis zum Frieden von Hubertusburg erbrachten Leistungen verbunden wer- den soll. Das Ergebnis ist wenig befriedigend, weil Prinz Heinrich keineswegs als bemerkenswert eigenständige Persönlichkeit neben seinem königlichen Bruder er- scheint. Vielmehr wird ein Blick auf die Despotie Friedrichs des Großen geworfen und vielfältig belegt.

Was bietet diese umfangreiche Studie über Prinz Heinrich? Nichts Neues, die- ses aber sehr viel ausführlicher und mit umfangreicheren Zitaten belegt als bisher.

Der Verfasser teilt alles mit, was er an Daten in gedruckten und ungedruckten Quel- len hat auffinden können. Er reiht diese Informationen aneinander, ohne sie kriti- schen Fragen zu unterwerfen. Deshalb seien abschließend vier Fragen gestellt und Antworten darauf versucht:

- Worin besteht der militärgeschichtliche Gewinn der Studie? - Die umfangrei- che Abhandlung bringt zwar zahlreiche neue Details zur Geschichte des Sie- benjährigen Krieges, aber keine Erkenntnisse, die als neu angesehen werden könnten.

- Was leistet die Arbeit als Teilbiographie? - Sie bietet eine Fülle an zitierten Quel- len und mancherlei Details, die bisher nicht bekannt waren; neue Einsichten zur Erfassung der Persönlichkeit des Prinzen Heinrich sind aber nur aus- nahmsweise zu erkennen.

- Wird Prinz Heinrich als »politische und militärische Führungspersönlichkeit«, wie der Untertitel der Abhandlung geltend macht, erkennbar? - Was über die politischen und militärischen Aktivitäten des Prinzen mitgeteilt wird, läßt nur ausnahmsweise erkennen, daß Prinz Heinrich ein dem König ebenbürtiges Ge- nie war.

- Ist dem Verfasser anzuraten, auf der Grundlage des vorgelegten Werkes weitere Bände zu verfassen, um zu einer Biographie des Prinzen Heinrich zu gelangen (wie in der Einleitung bekundet)? - Diese Frage kann nicht bejaht werden.

Eckardt Opitz

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Lothar Kittstein, Politik im Zeitalter der Revolution. Untersuchungen zur preußischen Staatlichkeit 1792-1807, Stuttgart: Steiner 2003,692 S., EUR 76,00 - [ISBN 3-515-08275-1]

Dieses Buch ist gegen den Strich geschrieben - gegen den Strich der bisherigen Forschung zur preußischen Politik im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert, gleichgültig ob es sich dabei um die Hinterlassenschaft der alten Preußenge- schichtsschreibung handelt oder um die neueren Untersuchungen von Reinhart Kosellek oder Paul Nolte. Im Mittelpunkt der Arbeit, einer Bonner Dissertation, steht das politische Handeln der herausgehobenen Persönlichkeiten, insbesonde- re die Aktivitäten des Kabinettsministeriums und des preußischen diplomatischen Personals, wobei der Verfasser von der Grundannahme ausgeht, »daß Menschen aus einem Sinnhorizont heraus handeln, den sie oft selbst falsch einschätzen« (S. 13).

Untersucht wird von daher der Handlungssinn dieser Personen, der für Kittstein vor allem deshalb interessant ist/weil er in dem erfaßten Zeitraum durch die Fran- zösische Revolution prinzipiell in Frage gestellt wurde. Die Auseinandersetzung mit der Revolutionsgefahr führte nach Kittstein dazu, daß das bis dahin vorherr- schende Verständnis von Politik, das sich als Dienst am Staat ünd dessen Interes- sen artikuliert hatte, nun einer Ideologisierung unterworfen wurde. Insofern spiel- te in der Furcht vor der Revolution, die das politische Handeln in Preußen ab 1795 zunehmend bestimmte, die Sorge um die rationalen Nonnen von Politik, Diplomatie und Kriegführung bzw. um eine Entgrenzung des Politischen eine entscheidende Rolle.

Die Arbeit selbst gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil, der die Überschrift

»Preußen und die Französische Revolution: Das Ringen um politische Rationa- lität« trägt, wird vor allem der erste Koalitionskrieg und damit die Außenpolitik untersucht. Dabei geht es dem Verfasser weniger um den Kriegsverlauf als viel- mehr um das preußische Selbstverständnis, das sich in der Revolutionsfurcht und der Kriegführung ebenso wie in der Art und Weise des Friedensschlusses artiku- lierte. Bezogen auf diese Thematik - allerdings erweitert um die Nationalismus- Debatte - wird auch die folgende Entwicklung bis 1799 dargestellt.

Der anschließende Teil »Preußen und das Ende der Revolutionsära: Staatliche Schwäche und der Versuch politischer Modernisierung« befaßt sich mit dem Pro- blem der Revolutionsfurcht unter dem Aspekt der staatlichen Herrschaft nach in- nen. Im Mittelpunkt stehen dabei das widersprüchliche Selbstverständnis des pa- ternalistischen Staates und die Zensurpraxis. Kittstein sieht in der Zensur einen Ausdruck des Unbehagens an der Herausbildung politischer Öffentlichkeit-und begreift sie als Verteidigung einer rational verstandenen Politik. Vor diesem Hin- tergrund wird das Verhältnis zu den europäischen Mächten, insbesondere zu Frank- reich, interpretiert sowie Preußens Reichspolitik, bezogen auf die Versuche als Ge- gengewicht zum Rheinbund ein norddeutsches Kaiserreich zu etablieren.

Im dritten Teil werden unter dem Titel »Soziale Struktur und politischer Sinn:

Das preußische Regierungssystem« die Untersuchungsergebnisse -auf die wider- streitenden Meinungen innerhalb der preußischen Führung bezogen. Ki ttstein kon- zentriert sich dabei auf das Phänomen der »Kabinettsregierung«, das - so die bis- lang vorherrschende Meinung - die reguläre Struktur der Staatsführung außer Kraft gesetzt und damit wesentlich zur Katastrophe von 1806 beigetragen habe.

Für den Verfasser steht dagegen fest, daß die Existenz einer derartigen Kabinetts- regierung einzig und allein auf Gerüchten beruhte. Allerdings sage die Akzeptanz

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dieses Gerüchtes viel über das politische Denken der Zeitgenossen aus. Die Vor- würfe, die der sogenannten Kabinettsregierung gemacht wurden, waren ein wich- tiger Ursprung für die preußischen Reformen, die für Kittstein »eine beispiellose romantisch-moralische Wende des politischen Denkens« markieren (S. 25). Indem er jedoch die preußischen Reformbestrebungen als Ausbruch von romantischem Ir- rationalismus deutet, verwirft er - im deutlichen Gegensatz zur bisherigen For- schung - zugleich jede »partizipationsteleologische« Interpretation und sieht in den Reformen auch keine Annäherung an eine Uberale und moderne »Staatsbür- gernation«.

Sein Urteil beruht darauf, daß er die Stimmungen und Verhaltensweisen vor 1807 in die Zeit danach verlängert und nicht bereit ist, den tiefen Einschnitt, den die Niederlage von Jena und Auerstedt über den militärischen Bereich hinaus be- deutete, anzuerkennen. Damit negiert er das in den Gesetzen, Verordnungen und Memoranden immer wieder artikulierte Bemühen um Partizipation, um politische Mitsprache im Rahmen der Delegation politischer Verantwortung. Insofern ak- zeptiert er auch nicht, daß die von Stein und Hardenberg entwickelten politischen Konzeptionen, die Maßnahmen der Militärreformer um Scharnhorst und Gnei- senau sowie die Ansätze zur Bildungsreform unter Wilhelm von Humboldt und des- sen Mitarbeitern Süvern und Nicolovius ein Indikator dafür sind, daß es den Re- formern tatsächlich um die Transformation des Untertanen zum Staatsbürger ging.

Und schließlich übersieht er, daß das Reformwerk selbst explizit in dieser Weise von den Zeitgenossen wahrgenommen wurde - das Verhalten von großen Teilen der so- genannten Kriegsgeneration von 1813 ebenso wie die erst kürzlich ausführlich von Hans-Christof Kraus untersuchte Tugendbund-Kontroverse (Theodor Anton Hein- rich Schmalz, 1760-1831. Jurisprudenz, Universitätspolitik und Publizistik im Span- nungsfeld von Revolution und Restauration, Frankfurt a.M. 1999, S. 189-242) be- legen dies nachdrücklich. Die einseitige Betonung der Revolutionsfurcht, deren ir- rationale Komponenten Kittstein in der Tat in das rechte Licht gerückt hat, ver- hindert somit, daß andere Entwicklungen von ihm wahrgenommen werden, was schließlich dazu führt, daß wichtige Aspekte des preußischen Reformwerks nicht adäquat interpretiert werden können.

Heinz Stübig

Dierk Walter, Preußische Heeresreformen 1807-1870. Militärische Innovati- on und der Mythos der »Roonschen Reform«, Paderborn, München, Wien, - Zürich: Schöningh 2003, 654 S. (= Krieg in der Geschichte, 16), EUR 88,- [ISBN 3-506-74484-4]

Zu Beginn seiner Untersuchung, einer Dissertation, die bei Stig Förster an der Uni- versität Bern angefertigt wurde, zeichnet der Verfasser die »dominante Erzählung«

über das preußische Militär im 19. Jahrhundert nach. Sie orientiert sich an folgen- dem Muster: Nach der Heeresreform und der Bewährung der reorganisierten Ar- mee in den Befreiungskriegen können die Streitkräfte schon bald ihre eigentliche Funktion nicht mehr ausfüllen, was während der Revolution von 1848 und in den folgenden politischen Konflikten offen zutage tritt. Erst die Roonsche Reform von 1859/60 führt das Heer aus dieser Abwärtsbewegung heraus und macht es zum mi- litärischen Instrument der Reichseinigung. Die Strukturveränderungen im Militär,

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die Auseinandersetzung über die Heeresvorlage, der daraus resultierende Verfas- sungskonflikt und die Reichskanzlerschaft Bismarcks werden dabei als ein auf- einander bezogener Prozeß gesehen, an dessen Ende das Deutsche Reich von 1870/71 steht.

Das in dieser Geschichtsschreibung zum Ausdruck kommende teleologische Moment wird von Walter prinzipiell in Frage gestellt. Für ihn basiert diese Inter- pretation im wesentlichen auf der unkritischen Auswertung zweier Quellen. Da- bei handelt es sich um die vom Kriegsministerium herausgegebenen zweibändigen

»Militärischen Schriften weiland Kaiser Wilhelms des Großen Majestät« (Berlin 1897) sowie die dreibändigen »Denkwürdigkeiten aus dem Leben des General- Feldmarschalls Kriegsminister Grafen von Roon«, einer Sammlung von Briefen, Schriftstücken und Erinnerungen, die Mitte der 1890er Jahre von dessen Sohn pu- bliziert wurden. Den Historikern wirft Walter vor, entweder direkt aus diesen Quel- len geschöpft oder voneinander abgeschrieben zu haben. Angesichts dieser Be- standsaufnahme lautet sein Fazit: »Es gibt keine Forschungen zur Roonschen Re- form« (S. 32).

Gleichwohl war die tradierte Geschichtserzählung überaus wirkmächtig, und zwar deshalb, weil sie die Roonsche Reform direkt mit verschiedenen militärischen Innovationen in Beziehung brachte - dazu gehörten u.a. die Einführung des Zünd- nadelgewehrs, die Umbewaffnung der Artillerie, die Reform der Infanterietaktik, der Ausbau des Generalstabs, die Reform der Offizierausbildung und die Verjün- gung des Offizierkorps -, die insgesamt als Paradebeispiel einer »partiellen Mo- dernisierung« fungierten. Vor dem Hintergrund der in schwarzen Farben gemal- ten Jahrzehnte vor 1860 bekam das Roonsche Reformprojekt - so der Verfasser - ge- radezu heilsgeschichtliche Züge.

Walter kritisiert diesen »Mythos«, indem er die spezifische Wandlungsge- schwindigkeit - er vermeidet bewußt den Begriff »Modernisierung« - in einigen Kernbereichen des preußischen Militärs untersucht und von da aus die These auf- stellt, »dass der massive Zäsurcharakter der 1860er Jahre, speziell der Reorganisa- tion von 1859/60, für das preußische Militärwesen des 19. Jahrhunderts ein in der Historiographie fälschlich entstandenes Bild ist, dass der Wandel mit anderen Wor- ten wesentlich flacher und kontinuierlicher verlaufen ist.« (S. 52)

Seine Untersuchung ist so aufgebaut, daß in den ersten beiden Kapiteln nach den nationalen und internationalen Auswirkungen des preußischen Sieges in den Einigungskriegen gefragt wird. Im Hinblick darauf setzt sich der Verfasser insbe- sondere mit den Erklärungen für die überraschenden militärischen Erfolge aus- einander, die dazu führten, daß die preußischen Streitkräfte im militärischen Be- reich für Jahrzehnte weltweit eine Vorbildrolle spielen sollten. Das dritte Kapitel un- tersucht die Zusammenhänge zwischen Militär, Krieg und Gesellschaft im »lan- gen 19. Jahrhundert« und schafft damit zugleich die Voraussetzungen für die eigentliche Untersuchung. Im vierten Kapitel werden analog dazu die politischen und sozialen Rahmenbedingungen analysiert. Der Hauptteil der Arbeit besteht aus den Kapiteln 5 bis 8, die sich mit der Entwicklung der preußischen Heeres- verfassung von der Militärreform nach 1806/07 bis zum Abschluß der Reorgani- sation von 1859/60 befassen. Die Reichweite der »Roonschen Reform« und ihr Zä- surcharakter im Hinblick auf die Entwicklung der Wehrverfassimg werden am En- de dieses Teils zusammenfassend bilanziert, so daß dieser Abschnitt gewisser- maßen als Fazit der Untersuchung gelten kann. Es folgen vier abschließende Kapitel, in denen der Verfasser den Veränderungen im Hinblick auf die Heeresgliederung

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und den Mobilmachungsplan, den Generalstab, die Offizierausbildung und -be- förderung sowie die Technikaneignung durch das Militär nachgeht. Walter hat die- se Bereiche deshalb ausgewählt, weil sie den Kern des Entwicklungsvorsprungs markieren, der dem preußischen Militärwesen der 1860er Jahre attestiert wird.

Nach dem siegreichen Abschluß der sogenannten Einigungskriege erschien die militärische Reorganisation von 1859/60 nicht länger als eine partielle Umstruk- turierung der Streitkräfte mit dem Ziel der Leistungsverbesserung - so die Be- hauptung der Staatsregierung zu Anfang der Debatte -, sondern vielmehr als sä- kularer Einschnitt in der Geschichte der Wehrverfassung. Mit anderen Worten: sie wurde als Ausgangspunkt einer grundlegenden Erneuerung der Armee interpre- tiert. Walter bestreitet diese Einschätzung vehement. So wollte Roon mit seiner Re- form u.a. die allgemeine Wehrpflicht im Sinne einer größeren Wehrgerechtigkeit end- gültig durchsetzen. Doch auch ein halbes Jahrhundert danach zog die deutsche Armee weiterhin nur rund die Hälfte der Wehrpflichtigen eines Jahrgangs ein - al- lerdings rückte Preußen damit aus dem unteren Mittelfeld weit an die Spitze der europäischen Mächte. Dennoch konnte man nicht verhindern, daß andere Mäch- te nach wie vor eine militärische Überlegenheit behielten. Beispielsweise rangier- te das Deutsche Reich während der 1870er Jahre nicht nur hinter Rußland, son- dern auch hinter Frankreich, das eine deutlich geringere Bevölkerungszahl als Deutschland hatte.

Auch ein weiteres Ziel, nämlich die Schaffung eines einheitlichen und ver- jüngten Feldheeres, wurde nicht verwirklicht - dazu Walter: »Das von Roon pro- jektierte Feldheer, nicht größer als vor der Reform, aber vereinheitlicht und ver- jüngt, ausschließlich aus Linientruppen bestehend, das hat es nie gegeben« (S. 474).

Sowohl 1866 als auch 1870/71 kämpften Wehrmänner in Linientruppen und eige- nen Landwehrverbänden in erheblichem Umfang im Feldheer. Letzten Endes zähl- te allein die Masse und nicht die Einheitlichkeit der militärischen Verbände.

In diesem Zusammenhang befaßt sich Walter auch mit Eckart Kehrs Feststellung, daß im Gefolge der Roonschen Reform der Bürger-Offizier in Gestalt des Land- wehroffiziers durch den »Möchtegern-Offizier« in Gestalt des Reserveoffiziers ab- gelöst worden sei, was den Prozeß der sozialen Militarisierung des Bürgertums in Deutschland wesentlich begünstigt habe. Zwar kritisiert Walter Kehrs These nicht prinzipiell, widerspricht aber der Auffassung, daß diese Entwicklung durch die Reorganisation von 1859/60 ausgelöst worden sei. Nicht diese strukturellen Ein- griffe, sondern die nachfolgenden massiven Heeresvermehrungen hätten zu der starken Vergrößerung des Reserveoffizierkorps geführt.

Auf die Frage, was denn nach alledem von der »großartigen Erneuerung der Ar- mee« geblieben sei, lautet Walters Antwort: »Schlechterdings eine nicht unerheb- liche Aufrüstung, oder wie man vielmehr angesichts der Truppenzahlen der an- deren Mächte sagen muss: Nachrüstung Preußens. Durch die höhere Anspannung der Wehrkraft konnte die preußische Armee wenigstens ansatzweise mit den Ar- meen der Festlandmächte mithalten, was die Schaffung militärisch ausgebildeter Reservepotentiale anging« (S. 480).

Naturgemäß sieht der Autor seine spezifische Leistung in dem Nachweis eines flacheren und kontinuierlicheren Verlaufs des Reformprozesses und damit in der Relativierung der bisherigen Forschungsergebnisse. Den Leser wird Walters aus- führliche Beweisführung manchmal ermüden, um so mehr wird er von der de- taillierten und überzeugenden Analyse der »Roonschen Reform« selbst profitie- ren. Deren einzelne Aspekte werden in dieser Untersuchung unter Einbeziehung

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der (noch) vorhandenen Quellen minutiös erörtert und im Hinblick auf ihre Be- deutung oftmals einer Revision unterzogen. Festzuhalten bleibt, daß wir nach Wal- ters Studien die von der Geschichtswissenschaft postulierten Zusammenhänge zwischen dem Heereskonflikt und der Reichsgründung von 1870/71 besser und das heißt zugleich kritischer beurteilen können.

Heinz Stübig

Manfred Beike, Berühmte Seeschlachten 1862-1945, Leipzig: Militzke 2003, 192 S., EUR 26,80 [ISBN 3-86189-286-3]

Militärische Auseinandersetzungen auf See übten nicht nur auf die Historiker »im- mer eine besondere Faszination« aus. Für Kaiser Wilhelm II. und Reichskanzler von Bülow bildete die Flotte das A und O ihres Weltmachtstrebens, und für die flottenbegeisterten Alldeutschen begründeten die mißgünstig zu »Merchant Ad- venturers« stilisierten Kaperfahrer ihrer Majestät Elisabeth I. den »zielbewußte[n]

Aufstieg [Englands] zur Weltmacht« (Einhart, d.i. Heinrich Claß, Deutsche Ge- schichte, 16. Aufl., Leipzig 1934, S. 131).

Gaius Julius Caesar hatte wohl zum ersten Mal den Einfall, berühmte See- schlachten nachzuspielen. Dazu ließ der römische Staatsmann und geniale Feldherr das Kolosseum in Rom mit Wasser fluten oder sperrte ganze Teile von großen See- gewässern hermetisch ab, wo dann die Schlachten detailgetreu nachgestellt wur- den. Das römische Volk wußte zu berichten, daß Caesar nicht nur die kostbaren Schiffe versenken ließ, sondern auch die gesamte Besatzung schonungslos nie- dermetzelte.

Kaiser Caligula (t 41) eiferte ihm nach. Am Lago di Nemi ca. 40 km südöstlich von Rom soll der größenwahnsinnige Herrscher große Schiffe gebaut haben, mit denen er Seeschlachten nachspielte.

Jahrhunderte später ließ August der Starke in seinem Lust- und Jagdschloß Mo- ritzburg eine ganze Meereslandschaft erstehen. Ein Leuchtturm sollte den Ein- druck einer Küstenlandschaft verstärken, wann immer der »sächsische Son- nenkönig« antike Seeschlachten nachstellen ließ. Und der russische Hochadel be- rauschte sich an üppigen Festen, wenn die Adelsgesellschaft auf dem großen Teich von Kuskowo bei Moskau an Wochenenden riesige »Seeschlachten« mit hölzer- nen Schiffen veranstaltete.

Der Dresdner Militärhistoriker und vormalige Chef einer Abteilung großer Tor- pedoschnellboote in der DDR-Volksmarine Dr. Manfred Beike, geboren 1941 in Hannover, gibt in seinem neuen Buch Antworten auf die Frage, warum sich etwa Seeschlachten leichter »als die an Land« für eine »Verherrlichung von Heldentum, Mut, Tapferkeit und Manneszucht« (S. 7) instrumentalisieren »ließen und lassen«.

Bedurfte es dazu aber wirklich eines neuen Werkes zur Seekriegsgeschichte? Und ist das Spektrum der Literatur zum Thema »Seeschlachten« in all seinen militär- geschichtlichen Betrachtungen und chronologischen Auslotungen von der Antike bis in die Gegenwart nicht schon schier uferlos?

Manfred Beike aber hat sich auch unkonventionellen Fragen gestellt: Taten doch historistisch-verklärende Darstellungen ein übriges, »um die Schrecken des Krie- ges auf See in den Augen des Volkes zu verharmlosen und um ihn mit einem Glo- rienschein zu versehen«. Zwar sind militärgeschichtliche Untersuchungen wie

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»Clio im Schützengraben. Die Kriegspsychologie im 1. Weltkrieg und ihre ge- schichtspolitische Instrumentalisierung« immer wieder auf Fachtagungen thema- tisiert worden, aber Beike wollte sich an ein besonders breites Lesepublikum wen- den. Er hat auch nur solche Ereignisse der Seekriegsgeschichte ausgewählt, »die dem Leser zumindest dem Namen nach bekannt sein dürften«.

Der Militärhistoriker, der unter anderem auch eine Geschichte der Kriegsflot- ten und Seekriege der Antike sowie ein »Kaleidoskop der Seeschlachten« (1990) zu den militärischen Brennpunkten »Armada 1588«, »Seeschlacht von Trafalgar 1805« und »Seeschlacht von Tsushima 1905« - geliefert hat, schärft seinen Blick auf die Zeit vom amerikanischen Sezessionskrieg (1861-1865) bis zum Ende des Zwei- ten Weltkrieges. Beike hat die Seeschlachten von Hampton Roads (1862), bei Lis- sa , bei Tsushima, bei den Falklandinseln (1914), die Skagerrakschlacht, den japa- nischen Überfall auf Pearl Harbor, die See- und Luftschlachten in der Korallensee und bei Midway, die Jagd auf die »Bismarck« sowie die Versenkung der »Scharn- horst« in jeweils abgeschlossenen und spannend geschriebenen Kapiteln themati- siert.

Der Sezessionskrieg ist auch zur See von Seiten der Nord- als auch der Süd- staaten mit besonderer Brutalität geführt worden und markierte eine militärtech- nische und logistische Revolution. Die Südstaaten hatten das erste kriegstüchtige U-Boot, die C.S.S. »H.L. Hunley« entwickelt und zum Einsatz gebracht, und mo- derne Panzerschiffe, auch »Eisenschiffe« genannt, machten den segelbestückten Schraubenkorvetten militärische Konkurrenz. Der Marineminister der Konföde- rierten, Stephen R. Mallory (1815-1885), notierte damals: »Die zahlenmäßige Über- legenheit des Gegners muß durch Unverletzlichkeit auf unserer Seite ausgeglichen werden. Wirtschaftlichkeitserwägungen und Erfolgsstreben zwingen uns zu der Erkenntnis, daß es zweckmäßig ist, mit Eisen gegen Holz zu kämpfen.« Entspre- chend dieser Maxime bauten Südstaatler-Ingenieure die im April 1861 im Hafen von Norfolk in konföderierte Hände gefallene Schraubenfregatte »Merrimac«, deren Rumpf nach dem Sinken völlig intakt blieb, fieberhaft zu einem Panzerschiff um.

Das vom 8. bis zum 9. März 1862 in den Hampton Roads tobende Seegefecht zwi- schen den Panzerschiffen »Merrimac«, jetzt »Virginia«, und der »Monitor« mach- te deutlich, daß sich beide Eisenschiffe nicht durch Kanonenfeuer versenken konn- ten.

Zuvor aber hatten die hölzernen Blockadeschiffe der Nordstaaten in der Mün- dung des Elizabeth River ihrer vollständigen Vernichtung entgegensehen müssen.

Beike resümiert: »Die zwei Tage auf den Hampton Roads waren tatsächlich Ende einer vergehenden und Beginn einer neuen Etappe in der Seekriegsgeschichte. Sie demonstrierten zusammen mit den Erfahrungen aus der Seeschlacht bei Sinope, daß die Zeit des Holzschiffes endgültig vorbei war. Nur ein Eisen-, und später ein Stahl- schiff hatte noch reale Chancen, im Seekrieg erfolgreich eingesetzt zu werden. Die- ser Tendenz vermochten vorerst nur die entwickeltsten Staaten wie Großbritanni- en, Frankreich und die USA zu folgen. Erst später traten weitere in den beginnen- den Rüstungswettlauf ein« (S. 28).

Beike spielt damit auch auf den im Zeichen des »Handelsschutzes« stehenden deutschen Flottengründungsplan der Jahre 1865/1867 an. Als im Jahre 1908 die Weltöffentlichkeit gespannt auf die »Weltfahrt« der Kriegsflotte der Vereinigten Staaten von Amerika mit sechzehn Schlachtschiffen unter der »pünktlichsten In- nehaltung« (Die Grenzboten) des Programms blickte, schwamm das Deutsche Reich längst in dem Mahlstrom des maßlos übersteigerten internationalen Prestige-

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denkens in der Seekriegsgeltung. In seiner berühmten Hamburger Rede vom 18. Ok- tober 1899 hatte der deutsche Kaiser, Wilhelm II., verlauten lassen:

»[...] und bitter not ist uns eine starke deutsche Flotte!« Im Sommer 1912 aber überflügelte in der Flottenstärke die Kaiserliche Marine mit acht fertiggestellten und neun auf Kiel gelegten Dreadnoughts die Kriegsflotte der USA und errang unter den Seemächten nach Großbritannien den zweiten Platz in der Welt, wie es etwa auch in Koehlers Illustriertem Deutschen Flottenkalender von 1913 nachzu- lesen ist. Zu Recht spricht Beike von der Tirpitzschen »Risikotheorie« - auch die Nie- derringung der deutschen Flotte schwächte den Gegner (England) so sehr, daß die eigene Machtstellung nicht mehr durch die eigenen Seestreitkräfte gesichert sein würde - als von einer »abenteuerlichefn] Konzeption« (S. 67).

In Wirklichkeit hatte der Staatsekretär des Reichsmarineamtes aber längst zu- gegeben, daß »unsere Chancen im Krieg mit England [...] zurzeit durchaus unzu- reichend« sind. Die Skagerrakschlacht vom 31.5. bis 1.6.1916, »die letzte Seeschlacht der klassischen Linientaktik«, die Beike in allen Details minutiös schildert und Re- vue passieren läßt (S. 86-108), hatte dann ungeachtet des »zu ihren Gunsten« ent- schiedenen Sieges der deutschen Flotte »strategisch gesehen [...] kaum Auswir- kungen« (S. 107).

Beike bilanziert: »Die Vielzahl der zum Einsatz gekommenen unterschiedlichen Kräfte und Mittel, die Schnelligkeit der Ereignisentwicklung sowie die daraus re- sultierende große Anzahl von Lagemeldungen, aber auch die oftmals fehlenden, ungenauen oder falschen Informationen über die Handlungen des Gegners und der eigenen Kräfte machte es den beiden Oberbefehlshabern unmöglich, die La- geentwicklung voll zu überschauen und die Führung der Kräfte immer zu ge- währleisten. Die Lineartaktik, die in ihrer ursprünglichen Form in dieser Seeschlacht schon nicht mehr zur Anwendung kam, wurde zur Fessel, die schon während der Schlacht gesprengt wurde. Um sie völlig abstreifen zu können, bedurfte es quali- tativ neuer Führungs- und Beobachtungsmittel, denn die eingesetzten entsprachen weder den Schiffsgeschwindigkeiten und Artilleriereichweiten noch der gegen- über früheren Zeiten höheren Dynamik der Kampfhandlungen. Die Lösung dieser Aufgabe sollte der Zukunft vorbehalten bleiben« (S. 108).

Manfred Beikes Buch besticht vor allem durch seine taktisch-strategischen Ana- lysen der historischen Seeschlachten, die anschauliche Wiedergabe der waffen- technischen Entwicklung und besonders gute Lesbarkeit. Zahlreiches Kartenma- terial, historische Schiffsaufriß-Zeichnungen, Uniformabbildungen der internatio- nalen Marinestreitkräfte (S. 170-173) sowie vielfach bisher unveröffentlichtes Fo- tomaterial verschaffen dem Leser Zugang in eine Zeit, deren Kampfhandlungen zur See »im heutigen Sinne« kaum noch »einzuordnen« sind (S. 7). Die genuinen Ursachen und die handelnden politischen Kräfte der internationalen Flottenhoch- rüstung noch stärker zu benennen, hätte den Rahmen dieses auf akribische Quel- lenstudien gründenden Werkes zur Seekriegsgeschichte aber gesprengt.

Michael Peters

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S.C.M. Paine, The Sino-Japanese War of 1894-1895. Perceptions, Power, and Primacy, Cambridge: Cambridge University Press 2003, XI, 412 S., £ 40.00 [ISBN 0-521-81714-5]

In ihrer jüngsten Veröffentlichung widmet sich die am U.S. Naval War College leh- rende Autorin einem in der westlichen Literatur weitgehend übergangenen Krieg von epochalem Ausmaß, der das traditionelle Kräfteverhältnis in Ostasien grund- legend erschütterte und den Grad des politischen Mit- und Gegeneinanders der ostasiatischen Staaten bis auf den heutigen Tag prägte, bedenkt man etwa die bis heute ungelöste territoriale Erbschaft des Krieges und deren langfristige Folgen in Korea, der Volksrepublik China und in Taiwan. Der Chinesisch-Japanische Krieg von 1894/95 war der erste moderne Krieg des 19. Jahrhunderts, in dem sich die Rivalen China und Japan direkt gegenüberstanden. Vordergründig ging es in die- sem Konflikt um die Unabhängigkeit Koreas von chinesischer Oberhoheit, für die das ab 1868 einen atemberaubenden Modernisierungsprozeß durchlaufende japa- nische Meiji-Kaiserreich gegen das Mandschureich focht; hintergründig ging es um die Neuverteilung der Machtansprüche in Ostasien sowie um die Destabili- sierung der auf dem traditionellen konfuzianischen Wert- und Ordnungssystem ruhenden Vorbildfunktion des Reiches der Mitte in jener Hemisphäre.

Die Politikwissenschaftlerin Paine breitet keine auf neuer Forschung basieren- de Studie aus, sondern synthetisiert die bisherige Forschung zu diesem Thema und komplettiert diese durch die Auswertung der zeitgenössischen Tagespresse. Paines Thema ist der fernöstliche Krieg aus der Sicht der westlichen, vornehmlich der englischsprachigen Presse, die durch Korrespondenten und Bildberichterstatter vor Ort regelmäßig und durchaus zuverlässig über die Ereignisse auf den »exoti- schen« Schlachtfeldern berichtete. Damit wurde der Chinesisch-Japanische Krieg erst in ein mediales Großereignis transformiert, das nur vom Russisch-Japanischen Krieg, als dessen Vorspiel der Waffengang von 1894/95 häufig gilt, übertroffen werden sollte. Die Zulassung von westlichen Journalisten wurde von den Krieg führenden Parteien völlig unterschiedlich gehandhabt. Während China generell keine Korrespondenten bei seinen Fronttruppen zuließ und als einzige Ausländer nur die Instrukteure und Militärbeobachter auf den Kriegsschiffen duldete, er- laubte Japan westlichen Journalisten nach seinen ersten großen Siegen Mitte Sep- tember 1894 in der Landschlacht bei Pyongyang und der Seeschlacht am Yalu, dem fernöstlichen Krieg bei seiner Armee beizuwohnen. Der unterschiedliche Umgang mit der Presse führte dazu, daß die westliche Berichterstattung über den ostasia- tischen Krieg eine pro-japanische Färbung bekam, da die japanische Führung be- reitwillig als authentisch gewertete Nachrichten an die Öffentlichkeit lancierte und damit dem westlichen Informationsbedürfnis in jeder Hinsicht entgegenkam. In- dem Japan es verstand, die moderne Kommunikationspolitik für seine Zwecke zu nutzen und sich auf diese Weise gegenüber China in westlicher Sicht als fort- schrittlich profilieren konnte, rutschte Chinas seit dem Opiumkrieg ohnehin an- geschlagene Reputation auf den Stand eines bornierten, modernisierungsfeindli- chen, ja »barbarischen« Landes ab, dem alles fremd war, wofür das sich an west- liche Denk- und Organisationsmuster anlehnende neue Japan stand. Der journali- stischen Perzeption des Krieges, die im Wandel der alten China- und Japanbilder zu neuen Klischeebündeln gipfelte, die besonders das Japanbild für lange Zeit in einer ambivalenten Schwebe beließ (Japan als das bewunderte »Preußen des Ostens«

sowie als gefürchteter, die »Gelbe Gefahr« heraufbeschwörender Aggressor), stellt

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Paine die wie ein roter Faden die Darstellung durchziehende Kategorie der kor- rekten Form, der »Gesichtswahrung«, als gleichsam diplomatische Überlebens- formel im Verhältnis der ostasiatischen Staaten untereinander gegenüber.

Mitunter, so scheint es, wird das »Gesicht« (face) als vereinfachtes ethnopsy- chologisches Erklärungsmuster allerdings überstrapaziert (vgl. S. 349-351). Neben den direkten Kombattanten China und Japan, die infolge des Krieges eine schär- fere und für die folgenden Jahrzehnte prägende Konturierung erfahren, bezieht Paine folgerichtig das zaristische Rußland als gewichtigen fernöstlichen Macht- faktor in ihre Untersuchung mit ein, der teils treibend, teils blockierend die Ent- wicklungen an der sensiblen östlichen Flanke seines Herrschaftsgebietes zu be- einflussen vermochte.

Im ersten Kapitel behandelt Paine die politische Lage im Fernen Osten am Vor- abend des Krieges und stellt die Hauptprotagonisten China, Korea, Japan und Ruß- land mit ihren politischen und kulturellen Charakteristika vor. Besonders deutlich zeichnet sich dabei der Kontrast zwischen den konfuzianisch geprägten Staaten China und Korea mit dem nach westlichen Grundsätzen sich modernisierenden Japan ab, das nach militärischer Parität mit den etablierten Mächten strebte und eigene, vom vorherrschenden imperialistischen Zeitgeist mitbestimmte Vorstel- lungen für eine Umgestaltung der ostasiatischen Welt entwickelte. Die divergie- renden nationalen Aspirationen in der politischen, strategischen wie kulturellen Bewertung Ostasiens, an denen sich das Zarenreich an vorderster Front beteiligte, bargen eine gefährliche Sprengkraft, die das traditionelle, auf der kulturellen Uber- macht Chinas basierende Gleichgewichtssystem aus den Angeln zu heben drohte.

Kapitel 2 widmet sich der Schilderung und Bewertung des Krieges aus Sicht der westlichen Presse. Dabei wird deutlich, daß diese zu Beginn des Krieges über- wiegend auf einen chinesischen Sieg setzte. Militärische Reformen, vor allem der Aufbau einer modernen Flotte und Chinas numerische Stärke, haben das anfäng- liche pro-chinesische Bild beeinflußt. Spätestens mit den japanischen Land- und Seesiegen im September 1894 schlug der positive Eindruck jedoch in Verachtung der militärischen Kompetenz Chinas um, dem es an allen modernen militärischen Erfordernissen zu mangeln schien. Zu stark kontrastierte Chinas »traditionelle«

Kriegführung (z.B. das Verstümmeln von Gefangenen) mit der des modernen Ja- pan und rief Irritationen hervor. Der endgültige Todesstoß für Chinas militärisches Prestige war dann der Fall Port Arthurs (Nov. 1894). Zeitungen, die zunächst auf Chinas militärische Kraft vertraut hatten, gaben sich nun keinen Illusionen mehr hin und verdammten Chinas hilflose militärische Bemühungen. China hatte sich in den Augen der westlichen Beobachter diskreditiert; fortan galt es als rückstän- dig, barbarisch, unbelehrbar und fiel im Vergleich zu dem westlichen »Muster- schüler« Japan, der die moderne Kriegführung so effizient beherrschte, zwangs- läufig ab. »Japan became the yardstick by which China always fell short« (S. 312).

Das dritte Kapitel konzentriert sich auf die Kapitulation der Qing-Dynastie und die Konsequenzen des Krieges. Paine bettet den Fernostkrieg hier in den Kon- text einer Globalisierung der internationalen Beziehungen ein, um langfristige Ent- wicklungslinien untersuchen zu können. Für das kaiserliche China bedeuteten Krieg und der »Scramble for Concessions« den Anfang vom Ende; für Japan begann dagegen 1895 die neue Rolle als internationale Macht. Im letzten Teil dieses Kapi- tels diagnostiziert die Autorin die kulturellen Faktoren, die Chinas und Japans je unterschiedliches Handeln leiteten und es China erschwerten, auf die japanische wie die westliche Herausförderung angemessen zu reagieren. Das aus dem kultu-

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relien Superioritätsgefühl erwachsene Fehlen jeglichen Krisenbewußtseins wird dabei von der Autorin zu Recht als ein entscheidendes Kriterium für die chinesi- sche Misere angeführt (S. 339).

Wenn auch Paines Zugriff auf den Chinesisch-Japanischen Krieg die Frische des unmittelbaren Zeitbezuges atmet, so vermag dieser doch nicht rundum zu be- friedigen, denn bei der Fokussierung auf die zeitgenössischen Medienberichte bleibt zu viel Raum für Spekulationen, die nur eine quellenkritische Darstellung be- heben könnte. Dies wird besonders deutlich, wenn Paine das Deutsche Reich als

»mastermind« der zusammen mit Rußland und Frankreich unternommenen Tri- pelintervention gegen Japan (23.4.1895) ausweist (S. 287), ohne Belege zu präsen- tieren. Trotz Paines lesenswerter, vor allem in der Langzeitbewertung anregender Studie, ist die historisch-kritische Aufarbeitung des Chinesisch-Japanischen Krie- ges 1894/95 immer noch ein Desiderat der Forschung.

Rolf-Harald Wippich

Karl-Heinz Janßen, Und morgen die ganze Welt... Deutsche Geschichte 1871-1945, Bremen: Donat 2003, 527 S., EUR 25,40 [ISBN 3-934836-30-5]

Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um die Zusammenstellung von über fünfzig ZEIT-Artikeln des Autors aus den Jahren 1966 bis 1997. Sie beinhal- ten somit keine geschlossene Darstellung deutscher Geschichte von Bismarck bis Hitler, kein Resümee des aktuellen Forschungs- und Diskussionsstandes. Statt des- sen bietet sie Aufschluß über die Rezeptionswilligkeit eines renommierten Histo- riker-Joumalisten gegenüber geschichtlichen Themen. Die Beiträge, für ein zumeist intellektuelles Leserforum verfaßt, spiegeln den öffentlichen Bedarf an historischer Kenntnis wider und befriedigen eine allgemeine Nachfrage nach Vergegenwärti- gung bzw. Aktualisierung geschichtlicher Begebenheiten.

Die problematische Gewichtigkeit der einzelnen Abhandlungen ist höchst un- terschiedlich: da steht Autobiographisches von Beteiligten, nicht selten wenig kri- tisch übernommen, neben Anekdotischem; Episoden wechseln mit seriöser, re- flektierter Historik. Aufschlußreich und packend geschrieben, offeriert Janßen ei- ne Lektüre, der man ein breites Lesepublikum wünscht.

Ein Gutteil der Artikel ist dem Zeitalter der Weltkriege gewidmet. Janßen zählt zu den ganz wenigen Journalisten, die sich mit Militärgeschichte befassen. So le- sen wir u.a. über »Tannenberg - Der größte Sieg und die schlimmen Folgen«, über—

die »Mühle von Verdun - längste Schlacht der Weltgeschichte«, über Stalingrad, die Eroberung Warschaus und über die Bombardierung von Würzburg. Wer sich mit Militärgeschichte auseinandersetzt, kommt am Militärgeschichtlichen For- schungsamt (MGFA) nicht vorbei, so auch Janßen, der die Arbeit der - mit süffi- santer Überheblichkeit des Journalisten so titulierten - »Freiburger Kriegshistori- ker« wider besseres Wissen als »Ergebnis der quasi offiziellen deutschen Ge- schichtsschreibung« (man sollte den Art. 5 des Grundgesetzes kennen) stets wahr- genommen, genutzt, verbreitet, aber auch kritisch hinterfragt hat, wie im Falle einer Studie über Guernica.

Der Autor betrachtet die Jahre 1871 bis 1945 - zumindest unter macht- und mi- litärpolitischem Aspekt - als historische Einheit. Dafür spricht, daß der gewählte Zeitrahmen die Geschichte des Deutschen Reiches zwischen Geburt und Unter-

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gang im Desaster des 8. Mai 1945 umfaßt. Mit der Spaltung in zwei Staaten als Fol- ge wurde Deutschland vom Subjekt zum Objekt der Weltpolitik im Konkurrenz- kampf der Supermächte USA und UdSSR um den ersten Platz in der Rangliste der Weltgeltung. Wer »die wundersame Wiedergeburt Deutschlands nach fünfzig Jah- ren« begreifen will, muß nach Janßens Auffassung einen politischen Bogen span- nen von Bismarck zu Hitler, gestützt auf den Pfeiler durchgängigen Bemühens um deutsche Weltgeltung mit dem Endziel der Weltherrschaft.

Dieser Topos der Weltherrschaft als signifikantes Movens der Politik des Deut- schen Reiches von der Kaiserzeit über die Weimarer Republik bis zur NS-Diktatur wird allerdings überstrapaziert. Präsentiert sich die Bismarck-Ära, ungeachtet ih- rer Kolonialpolitik, doch eher deutschland- und europazentrisch, denn imperial.

Daran ändert auch der als Zeuge vor der Geschichte geladene Heinrich Treitschke mit seiner Forderung nach einem Platz an der Sonne für sein Vaterland nichts. Un- geachtet des Tirpitzschen Flottenbauprogramms war der Erste Weltkrieg aus deut- scher Sicht in erster Linie eine europäische Angelegenheit. Und Stresemann globale Machtansprüche zuzumessen, um eine Kontinuität zu Hitler zu konstruieren, heißt denn doch, die Weimarer Republik in ihren außenpolitischen Möglichkeiten zu verkennen. Selbst die Politik Adolf Hitlers erweist sich als dominant europäisch und eurasisch orientiert. Pläne, laut gedachte Wunschvorstellungen und Utopien sowie martialische Sprüche sind in der historiographischen Analyse säuberlich von der Realpolitik zu trennen, und so sollte man den Begriff von der Weltherr- schaft durch den der Weltmachtpolitik substituieren. Die Antwort auf die Frage, warum man sich diese Politik vor Augen führen muß, um den Akt der Wieder- vereinigung zu verstehen, bleibt der Autor, dessen Betrachtungen mit dem Pots- damer Abkommen enden, dem Leser schuldig.

Janßen folgt noch einem zweiten gegenwartsbezogenen Interesse, wenn er auf

»einige böse Folgen des letzten Krieges« aufmerksam macht, weil sie erst in jüng- ster Zeit publik wurden: gemeint sind der Profit Schweizer Banken an Konten er- mordeter Juden, die gewinnbringende Beteiligung deutscher Geldinstitute und In- dustrie am Holocaust, die erst kürzlich durch eine Entschädigung überlebender Zwangsarbeiter eine symbolische Abgeltung erfuhr. Nun klingen in dem Sam- melband weder der Holocaust, noch die Machenschaften Schweizer Banken und deutscher Wirtschaft während des Dritten Reiches an. Dennoch ist die obige ein- leitende Bemerkung mehr als ein aktueller Aufhänger für ein historisches Buch.

Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Fragestellung, die Janßen vielfach umge- trieben hat, und die durchaus im Kontext seiner Weltherrschaftsthese formuliert ist:

Wie verhält es sich mit dem Beziehungsgeflecht zwischen Politik, Wirtschaft und.

Gesellschaft unter besonderer Berücksichtigung des Militärs? Auf der Suche nach einer Antwort ist der Autor u.a. in Studien von Mitarbeitern des MGFA fündig ge- worden, und zwar hinsichtlich der Begründung der Ursachen, Ziele und des Aus- gangs der Kriege zwischen 1871 bis 1945: Sie ist zu sehen in dem »seit der Jahr- hundertwende ungebrochene[n] Macht- und Geltungsanspruch deutscher Eliten«.

Von Fritz Fischer ist der Terminus des »Bündnisses der Eliten« übernommen, ein Bündnis, dem Interessenidentität im Prinzipiellen, wenn für die NS-Herrschaft auch nicht unbedingt in der Dimension des Verbrecherischen, beigemessen wird.

Dennoch wird auch diese verbrecherische Dimension in eine historische Konti- nuität gestellt: So fehlt nicht der Hinweis auf Paul de Lagarde als Vordenker der Ver- nichtungsstrategie der SS, auf den Massenmord während des Ersten Weltkrieges

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an den Hereros unter Einschluß des Verhungern- und Verdurstenlassens im Vor- griff auf die Belagerung von Leningrad.

Die hier skizzierten Problemfelder umfassen bei weitem nicht das Kaleidoskop der Themen, die angesprochen sind. Ihre Lektüre lohnt sich allemal, denn sie ist an- regend, vermittelt vielseitige Orientierung. Der oft subjektive Zugriff auf die Ge- schichte durch Zeitzeugen - ein bevorzugtes journalistisches Gestaltungsmittel - verleiht dem geschilderten Geschehen Unmittelbarkeit, wobei es an der objekti- vierenden Distanz des Historikers bisweilen mangelt.

Hans-Erich Volkmann

Michael Schmid, Der »Eiserne Kanzler« und die Generäle. Deutsche Rüstungs- politik in der Ära Bismarck (1871-1890), Paderborn, München, Wien, Zürich:

Schöningh 2003, XII, 751 S. (= Otto-von-Bismarck-Stiftung, Wissenschaft- liche Reihe, 4), EUR 65,00 [ISBN 3-506-79224-5]

Eine aus den Quellen geschöpfte Darstellung der deutschen Rüstungspolitik zwi- schen 1871 und 1890 war lange Zeit ein Desiderat. Jetzt hat Michael Schmid mit seiner von Stig Förster und Josef Becker betreuten Augsburger Dissertation diese Lücke geschlossen. Der Autor konnte sich bei seinen Untersuchungen auch auf Quellen stützen, die sich vor der deutschen Vereinigung im Militärarchiv der NVA befanden und damals für Forscher aus den alten Bundesländern nicht zugänglich waren. Dabei handelt es sich um Abschriften und Zusammenfassungen von Ak- ten des preußischen Kriegsministeriums und des Generalstabs, die von Mitarbei- tern der Historischen Abteilung des Reichsarchivs bzw. der Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt des Heeres angefertigt wurden und deren Originale im Kriege vernichtet worden sind, des weiteren um einen Aktenband, in dem die Schreiben Bismarcks an das Kriegsministerium registriert und referiert wurden.

In den Kapiteln II und IV bis VII seines Buches liefert Schmid eine kenntnis- reiche Ubersicht der Auseinandersetzungen zwischen Kriegsministerium und Reichstag. Bei diesen Auseinandersetzungen spielte Bismarck stets eine Vermitt- lerrolle, nicht selten auch eine Schiedsrichterrolle - und das häufig auf Kosten der Militärs. Lange Zeit herrschte in der Literatur eine harmonisierende Sicht des Ver- hältnisses zwischen Bismarck und der Militärführung vor. Der Autor unterbreitet demgegenüber reiches Material über die Spannungen zwischen dem »Eisernen Kanzler« und den militärischen »Halbgöttern«. Er zeigt, daß Bismarek, der sieh gern als getreuen »Vasallen« des preußischen Heerkönigs darstellte, in Wirklich- keit die Kompetenz beanspruchte, die Richtlinien der Militärpolitik vorzugeben. Ja, der Kanzler griff, zur großen Verärgerung der Kriegsminister Kameke und Brons- art, des öfteren in rein militärische Fragen wie die Einführung eines kleinkalibri- gen Gewehrs und eines rauchlosen Pulvers ein. Ende der 1880er Jahre freilich droh- te sich das Verhältnis zwischen Reichskanzler und Militärführung ins Gegenteil zu verkehren, suchte eine Kriegspartei um den stellvertretenden Generalstabschef Waldersee massiv in die Außenpolitik einzugreifen.

Immer wieder belegt Schmid, daß die Zurückhaltung des Kriegsministeriums bei der personellen Rüstung vor allem aus der Furcht vor einer Infiltration der Ar- mee durch Sozialdemokraten resultierte (S. 113 ff., 161 ff., 638 ff.). Auch wollte man die »Verbürgerlichung« des Offizierkorps möglichst gering halten. Schmid meint

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in diesem Zusammenhang, daß die häufig vertretene Ansicht, Kameke sei ein An- hänger liberaler Ideen gewesen, auf einem Irrtum beruhe (S. 111,148). Die kon- servative Rekrutierungspraxis des Kriegsministeriums geriet mehr und mehr in Konflikt mit den Planungen des Generalstabs.

Das Kapitel IX, in dem es um die Winterkrise 1887/88 geht, ist mit seinen 181 Seiten das bei weitem umfangreichste des Bandes. Die Kriegspartei um Waldersee strebte zur Jahreswende 1887/88 einen Angriffskrieg gegen Rußland an, der mit Rücksicht auf die Wegeverhältnisse in Russisch-Polen im Winter, bei gefrorenem Boden, stattfinden sollte (S. 347 ff.). Der greise Moltke stimmte dem Vorhaben zu (S. 361). Mit besonderer Verve setzte sich der deutsche Militârattaché in St. Peters- burg, Graf Yorck, für einen solchen »Präventivkrieg« ein. Als angeblichen Gleich- gesinnten benannte er den deutschen Geschäftsträger in St. Petersburg, Bernhard von Bülow. Dessen Brief an Holstein vom 10. Dezember 1887 ist mitunter als Be- fürwortung eines Vernichtungskrieges gegen Rußland gedeutet worden, so auch von Schmid (S. 348, Anm. 46). Eine solche Interpretation dieses Schreibens wurde jedoch schon von Peter Winzen (Bülows Weltmachtkonzept, Boppard a.Rh. 1977, S. 44, Anm. 94) als »abwegig« gekennzeichnet.

Die »Falken« im Generalstab und auch im preußischen Kriegsministerium, so zeigt der Autor, drängten auf einen »Präventivkrieg«, weil sie meinten, beim Rü- stungswettlauf mit Frankreich und Rußland arbeite die Zeit gegen Deutschland und es gelte die letzte Chance für einen Sieg zu nutzen. Für das Jahr 1888 rechne- ten sie mit einem Angriff der Russen. Schmid referiert jedoch Forschungsergeb- nisse britischer und amerikanischer Autoren, die in den 1990er Jahren in russischen Archiven arbeiten konnten. Sie besagen, daß die russischen Militärs keineswegs kriegslustig waren, sie vielmehr einen Angriff von deutscher und österreichischer Seite befürchteten (S. 378 ff.).

Im Dezember 1887 fiel in Berlin die Entscheidung gegen einen Angriffskrieg.

Schmid würdigt durchgängig den Widerstand Bismarcks gegen die Kriegspläne.

Er zieht jedoch die vorherrschende Auffassung in Zweifel, die Entscheidung vom Dezember 1887 sei in erster Linie durch Bismarck durchgesetzt worden. Schmid verweist darauf, daß sich der alte Kaiser Wilhelm I. strikt gegen einen Krieg wand- te, Moltke aus der Phalanx der Kriegstreiber ausscherte und die Wiener Regieren- den einen kühlen Kopf behielten. Ohne diese drei Faktoren, so meint Schmid, wä- re es Bismarck wahrscheinlich nicht gelungen, die Pläne der Kriegspartei zu durch- kreuzen (S. 403 ff.). Die These von Konrad Canis, Bismarck habe 1887 parallel zu einem österreichisch-russischen Krieg einen »Separatkrieg« gegen Frankreich be- fürwortet,lehnt er ab (S. 425 ff.).

Die wohlfundierte Studie zeigt, daß es hinsichtlich der Rüstungspolitik des preußischen Generalstabs und Kriegsministeriums zwischen der Ara Bismarck und der Ära Wilhelms II. wesentlich mehr Kontinuität gab, als bisher gemeinhin angenommen wurde. Auch der Mitarbeiter und Nachfolger Waldersees, Schlief- fen, entwickelte waghalsige, ja abenteuerliche Pläne. Schmid schließt deshalb sein Buch mit dem treffenden Satz: »Auch in Zukunft wurde im >Roten Haus<, dem Ge- neralstabsgebäude am Königsplatz in Berlin, tüchtig Vabanque gespielt« (S. 718).

Gerd Fesser

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Gerd Fesser, Reichskanzler Fürst von Bülow. Architekt der deutschen Welt- politik, Leipzig: Militzke 2003, 256 S., EUR 24,80 [ISBN 3-86189-295-2]

Offensichtlich fasziniert Bernhard von Bülow den Historiker immer wieder. Der deutsche Reichskanzler und preußische Ministerpräsident diente dem Reich vom 17. Oktober 1900 bis zum 14. Juli 1909. Über weite Strecken arbeitete er mit Wil- helm II. einvernehmlich zusammen. Beide verfolgten in den Jahren vor dem Er- sten Weltkrieg eine Politik des »German aggrandizement«.

Der Kanzler konnte auf eine beachtliche Karriere zurückblicken. In Lausanne, Berlin und Leipzig studierte er Rechtswissenschaften und trat 1874 in den deut- schen diplomatischen Dienst ein. Er besetzte eine Reihe diplomatischer Posten und wurde 1893 schließlich Botschafter in Rom. Doch sein tatsächlicher Aufstieg er- folgte im Juni 1897, als Wilhelm II. ihn zum Staatssekretär des Auswärtigen Am- tes ernannte. Er wurde schnell eine einflußreiche Persönlichkeit und verdrängte Hohenlohe-Schillingsfürst. Nach drei Jahren übernahm er dessen Amt.

Von dem neuen Kanzler wurde erwartet, die deutsche Machtausdehnung zu forcieren und das Ansehen des Reiches zu steigern. In seiner Außenpolitik ließ sich Bülow oft genug von Friedrich von Holstein leiten, er verfolgte eine Art »Bis- marckscher Realpolitik«, die im Gegensatz zu dem Credo des Reichsgründers ei- nen »Platz an der Sonne« sichern sollte. Ganz oben auf der Agenda stand die Bag- dad-Bahn, die Deutschland zu Ansehen und Macht verhelfen sollte. Weniger er- folgreich war Bülow allerdings bei den Versuchen, die Formierung einer englisch- französisch-russischen Entente gegen Deutschland zu verhindern. 1898 und 1901 hatte er vergeblich versucht, britische Garantien für Österreich-Ungarn zu erhal- ten. Der Vertrag von Björkö, im wesentlich von Bülow selbst gestaltet, verhinder- te nicht, daß sich Rußland doch an Frankreich und England anlehnte. Die Kon- frontation mit den beiden Staaten über Marokko in den Jahren 1905 und 1906 er- höhte die internationale Spannung - ohne Gewinn für Deutschland.

Innenpolitisch setzte Bülow auf die Unterstützung der Konservativen, des Zen- trums und der Nationalliberalen. Obwohl er die Sozialdemokratie nicht unter- drückte und sogar einige soziale Maßnahmen durch Arthur Posadowsky umset- zen ließ, lag ihm daran, daß diese Bewegung und Partei keine tatsächliche politi- sche Macht gewann. Drängenden sozialen und politischen Problemen ging Bülow aus dem Weg. Dazu gehörten das preußische Dreiklassenwahlrecht, die Auflösung des Dualismus zwischen Preußen und dem Reich, eine Reform der Finanzen und die Steuerfrage. Im Laufe seines politischen Lebens rang sich Bülow immer mehr zu der Uberzeugung durch, daß eine erfolgreiche Politik nur mit dem Reichstag möglich sei. Die Daily-Telegraph-Affäre, eine der größten Krisen des Wilhelmini- schen Reiches, zog langfristig seinen Sturz nach sich.

Im Herbst 1908 mochte der Kaiser den Kanzler nicht austauschen, Bülow er- hielt die Chance, sich an einer neuen Aufgabe zu versuchen. Große Erfolgschancen wurden ihm dabei aber nicht eingeräumt. Die Reichsfinanzreform stand seit lan- gem auf dem Programm, Bülow war skeptisch. Am 24. Juni 1909 torpedierten Deutschkonservative, Zentrum und andere Gruppen das Erbschaftssteuergesetz, das als Herzstück der Reform gelten konnte. Die Gegner betrachteten das Gesetz als eigentums- und familienfeindlich, aber sie konnten kaum verbergen, daß die Zeit für alte Rechnungen gekommen war. Das Zentrum beispielsweise wollte Bülow an seine Rolle bei den »Hottentottenwahlen« erinnern, die Konservativen unter- stellten ihm eine Illoyalität gegenüber dem Kaiser. Bülow zögerte nicht lange und

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bat Wilhelm II. zwei Tage nach seiner parlamentarischen Demütigung um Entlas- sung. Der Monarch entsprach der Bitte, knüpfte daran aber die Bedingung, bis zum Ende der parlamentarischen Beratungen seinen Posten nicht aufzugeben. Der Kai- ser wollte in der Öffentlichkeit ungern den Eindruck erwecken, nur als Instrument der Reichstagsmehrheit aufzutreten. Damit wäre der Ubergang von der konstitu- tionellen zur parlamentarischen Monarchie eingeleitet worden.

Bülows Denkwürdigkeiten erschienen posthum. Alles in allem sind die vier Bände der Versuch, sich von politischer Verantwortung freizusprechen. Dies galt für den Krieg und für Deutschlands Zusammenbruch. Tatsächlich spiegeln die Me- moiren seine Blindheit als Staatsmann und die nachträgliche Weigerung, durch den Blick zurück den eigenen Horizont zu erweitern.

So ähnlich könnte eine Einführung in Bülows Leben lauten. Viele Historiker prüfen immer wieder Bülows Rolle im Vorfeld der Urkatastrophe Europas. Gerd Fesser ist durch zahlreiche Publikationen zu diesem Thema ausgewiesen, Bülow ist für ihn ein Intimus, der sich dem historischen Rückblick nicht mehr entziehen kann. Fessers Untersuchung zeichnet sich durch sachliche Nüchternheit aus, die er- freulicherweise keine Sensationshascherei pflegt; dies gilt auch und gerade für das Intimleben, das vom Historiker Respekt verlangt. So erscheint es dem Rezensenten müßig, unsinnig und respektlos, die in jüngster Zeit wieder aufgeworfene Frage zu reflektieren, ob die vermeintliche Homosexualität des Kanzlers seine Politik we- sentlich beeinflußte. Viel entscheidender ist die Frage, welches Gewand er der Welt- politik verliehen hat, die keineswegs bei ihm ihren Ursprung hatte. Bülow verlieh ihr indes ein Gesicht mit deutlicheren Konturen, und er konnte seine Gedanken in der Reichsregierung zum Tragen bringen. Von einem geheimen »Bülow-Plan« kann, wie Fesser richtig bilanziert, keine Rede sein; Bülow nutzte die Gunst des Augen- blicks und erwarb Kolonien, als sich kein Widerstand auf tat. Dieser anfängliche Erfolg gab seinem Selbstbewußtsein einen ungeahnten Auftrieb. In der »Weltpo- litik« konnte er nach 1900 keinen großen Erfolg mehr verbuchen. Fessers gut les- bare, sich auf das Wesentliche konzentrierende Darstellung ist ohne Einschrän- kung zu empfehlen, geschrieben von einem Historiker, der sich Jahrzehnte mit dem Wilhelminismus auseinandersetzte.

Michael Fröhlich

Andreas Heinrich Biihler, Der Namaaufstand gegen die deutsche Kolonial- herrschaft in Namibia von 1904-1913, Frankfurt a.M., London: IKO-Verl. für Interkulturelle Kommunition 2003,435 S. (= ISSA, Wissenschaftliche Reihe.

Informationsstelle Südliches Afrika, 27), EUR 42,90 [ISBN 3-88939-676-3]

Zum 100. Jahrestag des Herero- und Namakrieges gegen die deutsche Kolonial- macht in Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia, sind die ersten Publikationen er- schienen; weitere werden folgen, auch TV-Produktionen sind in Vorbereitung, Rundfunksendungen, akademische und öffentlichkeitsorientierte Konferenzen, Vorträge, Ausstellungen und Lehrveranstaltungen. Einige der Ereignisse werden im Zusammenhang mit dem 120. Jahrestag der sogenannten Berliner Kongo-Kon- ferenz organisiert werden. Sicherlich werden unter den zu erwartenden Publika- tionen auch militärgeschichtliche Abhandlungen sein, wenngleich gerade auf die- sem Gebiet nur wenig Neues zu erforschen sein wird. Die seit einiger Zeit disku-

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