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Die Vernunfterstickt zuerst

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Academic year: 2022

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Auch ausserhalb Deutschlands wird der hauptsächlich dort seit geraumer Zeit ausgetragene Streit um die EU-weit bestehenden Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide nicht nur wahrgenom- men, sondern inzwischen auch kommentiert – vielleicht gerade noch rechtzeitig, bevor in den immer stärker aufwallenden Emotionen die Ratio einmal mehr fast gänzlich untergeht. So erhebt sich unter anderen auch hierzulande in Person von Nino Künzli, Vizedirektor des Schweizerisches Tropen und Public Health Instituts Basel (Swiss TPH) und Präsident der Eidgenös - sischen Kommission für Lufthygiene (EKL) des Bundesrates, nun eine tatsächlich berufene Stimme, die der zuletzt eher von so ge- oder gern auch selbst ernannten Experten vorgetragenen pauschalen Verunglimpfung eines gesamten Forschungsfeldes endlich Substanzielles entgegenzusetzen vermag (1, 2).

Es geht um zum Teil von Kraftfahrzeugen produzierte Luft- schadstoffe und mithin um eine, je nach Standpunkt, reale oder vermeintlich nur herbeigeredete Gesundheitsgefährdung. Wen wundert es, wenn da, wie jüngst im «grossen Kanton» gesche- hen, Lungenfachärzte und hochdotierte Automobilingenieure als Vorreiter einer Scheindebatte in den medialen Mittelpunkt rücken? Dabei hat etwa Dieter Köhler, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, selbst nie im Bereich Epidemiologie oder Umweltmedizin wissenschaftlich gearbei- tet, worauf denn auch Künzli in seiner Replik verweist. Gleiches gilt für die Koautoren von Köhlers Stellungnahme wie etwa Matthias Klingner (Leiter des Dresdner Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme) oder Thomas Koch (derzeit Leiter des Karlsruher Instituts für Kolbenmaschinen und zuvor in verschiedenen Positionen in der Motorenentwicklung bei Daimler-Benz). Bei Letzteren drängt sich zudem die Frage auf, ob nicht doch gewisse Interessenkonflikte ihren Blick auf die Materie verengen, über die zu urteilen sie sich nun bemüssigt fühlen.

Mehr überraschen kann da schon das Gewicht, welches seitens der Politik den von einer immerhin dreistelligen Zahl ärztlicher

Kollegen unterschriebenen Einlassungen und Behauptungen beigemessen wurde, die trotz fehlender dedizierter Belege und inzwischen nachgewiesener simpler Rechenfehler (3) in ihrem Kern nichts weniger bezweckten, als die über mehrere Jahr- zehnte nach allen Regeln wie fraglos auch mit allen Schwächen der wissenschaftlichen Kunst zusammengetragene medizi- nisch-epidemiologische Evidenz in Abrede zu stellen. Dies zeigt, wie dünn das Eis mittlerweile ist, auf dem sich die agierenden deutschen Volksvertreter gleichsam ferngesteuert und zudem reichlich ungelenk bewegen. Mehr als andernorts bedarf es im Land der sprichwörtlichen «freien Fahrt für freie Bürger», das seinen Wohlstand zum Gutteil seinen Autokonzernen verdankt, schon sehr handfester Argumente, um dieser heiligsten aller Kühe ans blecherne Leder zu gehen ... Dass dieser Staat gleich- zeitig auch Heimat zahl- und einflussreicher bisweilen hane - büchenste Umweltschutzverordnungen verfechtender Zeit - genossen ist, lässt den Tanz auf dem politischen Vulkan nicht weniger fiebrig anmuten.

Man kann, darf und sollte freilich – und übrigens nicht nur im Nachbarland – darüber diskutieren, ob existierende Grenzwerte oder einseitige Fahrverbote sinnvoll und angemessen sind. In der Schweiz, wo seit Jahren tiefere Stickoxidgrenzwerte gelten als in der EU, passiert dies (noch?) vergleichsweise erstaunlich sachlich. Hier scheinen selbst die Gelehrten nicht mehr anzu- zweifeln, dass die Erde keine Scheibe ist, scheinen zu begreifen, dass es letztlich eben doch einen Unterschied macht, ob man sich im stillen Kämmerlein eine Kerze oder eine Zigarette an- zündet oder aber draussen vor der Tür kein Fenster zum Lüften mehr öffnen kann, und zu akzeptieren, dass jegliche Grenzwerte stets den schwächsten, weil schon vorbelasteten Mitgliedern der Gemeinschaft angepasst sein müssen. Wer, zumindest von seiner (Aus-)Bildung her eigentlich zu Vernunft und Sachver- stand befähigt, dagegen den fortwährenden Verweis auf in der Tat sehr komplexe Ursache-Wirkungs-Beziehungen dazu miss- braucht, um davon abzulenken, eigene Weltbilder nicht revidie- ren oder lediglich eigene Pfründe sichern zu wollen, der verant- wortet, dass sich nichts – nie! – ändern wird. Der trägt dazu bei, dass das so dringend notwendige allgemeine Bewusstsein für die eigentlichen und schlicht nicht mehr ernsthaft leugbaren ökologischen Probleme, wie etwa die vom vor allem in den Städ- ten stetig wachsenden Gesamtverkehr ausgehende Feinstaub- und CO2-Belastung, den Bach der Irrationalität mit hinabgeht.

Ralf Behrens

1. Internationale Experten zu Stellungnahme von Lungenärzten. Science Media Cen- ter Germany, 25.01.2019, https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/

rapid-reaction/details/news/internationale-experten-zu-stellungnahme-von- lungenaerzten/

2. Kritik an Feinstaub-Forschung: «Stammtischdiskussion einiger älterer Ärzte».

NZZ, 29.01.2019, https://www.nzz.ch/wissenschaft/stammtischdiskussionen- einiger-aelterer-aerzte-ld.1454651

3. Falsche Angaben zu Stickoxid: Lungenarzt mit Rechenschwäche. taz, 13.02.2019, http://www.taz.de/!5572843/

EDITORIAL

ARS MEDICI 4 | 2019

89

Die Vernunft

erstickt zuerst

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