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Eine Straße. Eine Gesellschaft.

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JAHRESBERICHT 2018 JAHRESBERICHT 2018

Eine Straße. Eine Gesellschaft.

(2)

INTRO

Mehr davon:

WWW.WIR-GESELLSCHAFT-BW.DE

Eine Straße.

Eine Gesellschaft.

Was hält unsere Gesellschaft zusammen?

Sind es unsere gemeinsamen Ziele, unsere Wünsche, unsere Träume?

Unsere Ideen und Ideale? Das Wir? Oder doch unsere Individualität, das konsequente Ich? – In jedem Fall: die Menschen.

Wir schauen hin und erkunden den Mikrokosmos unseres

Zusammenlebens: eine Straße im Umbruch, mitten im Stuttgarter Westen. Anonym und dennoch bunt. In einem Stadtviertel, in

dem sich die Verhältnisse rasch und deutlich verändern: vielfältige Lebensentwürfe auf kleinstem Raum, unterschiedliche Kulturen und Subkulturen, Milieus und Einkommensverhältnisse.

Alteingesessene und Neuankömmlinge prallen aufeinander und leben miteinander. Ein Labor unserer Gesellschaft.

Als unabhängige und überparteiliche Stiftung des Landes sind wir in besonderem Maße den Menschen in Baden-Württemberg

verpflichtet. Mit einem klaren Auftrag und mit einer klaren Haltung.

Deshalb gestalten wir Wandel – in der Gesellschaft, in Kultur, Bildung und Forschung. Für eine gemeinsame Zukunft, die nicht auf das Ich, sondern auf das Wir baut.

Farben Liebig

15

Buchstäbchen

12

Schwabschule

6

Mobile Jugendarbeit

3

Der gestiefelte gerhardt

17

Maries gute Stube

2

Bäckerei Bosch

5

STELP

4

16

Caritas

18

Schüttgut

10

Stuttgarter Früchtle

7

Markt

9

Tabacum

Die Metzgerei Büro für Auszeitkultur

8

Textilpflege

11

INHALT

Editorial 002

Factsheet 008

Willkommen im Viertel 009

SCHWABSTRASSE 193 - 12

015

Haltung 077

Bericht des Geschäftsführers 078 Bericht des Geschäftsführers

im Vermögensbereich 079

AKTIVITÄTEN

083

Forschung 084

Bildung 102

Gesellschaft & Kultur 122

Mitarbeiter 148

Rückblick 151

BILANZ

153

Zahlenteil 154

Lagebericht für das Geschäftsjahr 2018 160 Anhang für das Geschäftsjahr 2018 163 Bestätigungsvermerk

des Abschlussprüfers 170

Schriftenreihe 173

Impressum 178

Gewand

14

nails & more

13

Tabak Reich

19

Boss Travel

20

Rosis Pinte

1

SCHW ABS TRA

S SE

(3)

001

INTRO

Mehr davon:

WWW.WIR-GESELLSCHAFT-BW.DE

Eine Straße.

Eine Gesellschaft.

Was hält unsere Gesellschaft zusammen?

Sind es unsere gemeinsamen Ziele, unsere Wünsche, unsere Träume?

Unsere Ideen und Ideale? Das Wir? Oder doch unsere Individualität, das konsequente Ich? – In jedem Fall: die Menschen.

Wir schauen hin und erkunden den Mikrokosmos unseres

Zusammenlebens: eine Straße im Umbruch, mitten im Stuttgarter Westen. Anonym und dennoch bunt. In einem Stadtviertel, in

dem sich die Verhältnisse rasch und deutlich verändern: vielfältige Lebensentwürfe auf kleinstem Raum, unterschiedliche Kulturen und Subkulturen, Milieus und Einkommensverhältnisse.

Alteingesessene und Neuankömmlinge prallen aufeinander und leben miteinander. Ein Labor unserer Gesellschaft.

Als unabhängige und überparteiliche Stiftung des Landes sind wir in besonderem Maße den Menschen in Baden-Württemberg

verpflichtet. Mit einem klaren Auftrag und mit einer klaren Haltung.

Deshalb gestalten wir Wandel – in der Gesellschaft, in Kultur,

Bildung und Forschung. Für eine gemeinsame Zukunft, die nicht

auf das Ich, sondern auf das Wir baut.

(4)

Editorial

Christoph Dahl

Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung Tabacum

Baden-Württemberg Stiftung

Ch ri st op h D ah l

tigen den gesellschaftlichen Zusammenhalt – im Kleinen wie im Großen. Deswegen müssen wir uns überlegen, wie wir dieser Tendenz entgegenwirken können.

U ND WIE KÖN NTE DAS AUS IHRER SICHT AUSSEHEN?

CD — Jeder Einzelne muss befähigt werden, selbst Verantwortung zu übernehmen. Das Stichwort: Bildung, angefangen bei der frühkindlichen Erziehung. Es geht um Teilhabe. An erster Stelle steht dabei die Frage: Was ist Demokratie? Was leistet sie und wie kann ich mich dafür einbringen? Das müssen schon die jüngsten Bürger lernen. Bürgerschaftliches Engagement ist dafür entscheidend, sich gemeinsam zu organisieren, ein Projekt anzugehen, zusammen sein Quartier zu gestalten, wie die Händler und Anwohner hier am Hölderlinplatz. Ähnliche Interessen und Ziele verbinden. Auch wenn im Gemeinwesen oft Kompromisse notwendig sind und wir immer wieder vom eigenen Standpunkt abweichen müssen, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.

WELCHE WERTE U ND VOR AUS SETZU NGEN SIND

DAFÜR ENTSCHEIDEND?

CD — Wer gesellig und tolerant ist, hat es einfacher. Wer sich verschließt, hat es oft schwerer. Doch auch jene dürfen wir nicht außer Acht lassen. Wir brauchen gemein- same Regeln, für die wir alle einstehen. Heruntergebro- chen auf eine Stadt wie Stuttgart ist es wichtig, nicht zu trennen, nicht abzuspalten: Wir müssen eine Ghettoisie- rung verhindern, den Rechtsstaat bewahren. Sicherheit spielt in solch einer Straße eine ganz entscheidende Rolle. Wer seine Mitmenschen im Blick hat, die Nachbarin, die zu vereinsamen droht, oder wer aufmerksam durch das Viertel geht, kann sehr viel dafür tun, dass unsere Gesell- schaft funktioniert. Und wer sich sozial engagiert, profi- tiert letztlich auch selbst davon.

WAS IST DER SOZIALE KLEBSTOFF, DER U NS VERBINDET?

CD — Gemeinsam genießen, zusammenkommen, sich austauschen, das ist elementar. Kultur, Kunst und eine gemeinsame Sprache sind natürlich gerade im Bereich der Integration elementar – Ausdrucksformen, die wir mit unserer Stiftungsarbeit fördern. Aber wir müssen auch anerkennen, dass es andere Prägungen gibt, andere Familienstrukturen und Lebensformen. In einem starken Gemeinwesen müssen wir uns gegenseitig respektieren und Verständnis zeigen und dabei die demokratischen Spielregeln einhalten. Vielfalt erfordert Offenheit. Sie kann bedeuten, dass Ängste und Abwehr entstehen, wenn andere Sprachen, andere Lebensformen aufeinan- derprallen. Vielfalt kann im besten Sinne aber auch positiv wirken und befruchten, wenn wir Ideen aufgreifen und es keine Ausgrenzung gibt.

HERR DAHL, WAS MACHT FÜR SIE DEN REIZ IN DIESEM VIERTEL AUS?

CD — Wenn ich durch die Schwabstraße gehe, genieße ich, wie sich das öffentliche Leben immer mehr auf die Straßen und Plätze verlagert, wie viele Tische draußen stehen und wie viele Menschen sich dort treffen.

Aus meiner Sicht ist das eine durchweg positive Entwick- lung, die Berührungspunkte schafft. Räume spielen eine große Rolle für unseren Gemeinsinn. Architektur fördert im Idealfall die Gemeinschaft: Fühle ich mich wohl in einer Straße? Gibt es Begegnungsorte? In der Schwab- straße funktioniert das. Es findet sich ein Mix aus Gastro- nomie, Kultur, Handwerkern, mit kleinen Werkstätten in den Hinterhöfen, vielen inhabergeführten Geschäften statt großen Ketten. So entsteht ein Stadtviertel zum Wohlfühlen mit Kiezcharakter und einer sehr persönli- chen Atmosphäre, geprägt von unterschiedlichsten Kreisen und Schichten auf engstem Raum.

DIE SCHWABSTR ASSE ALS SPIEGEL DER GESELLSCHAFT: INWIEWEIT TRIFFT DAS AUS IHRER SICHT ZU?

CD — In einem Mikrokosmos wie diesem, in dieser einen Straße, geht es im Kleinen um die ganz großen Themen: Globalisierung, Migration und Digitalisierung.

Viele gesellschaftliche Herausforderungen sind im Alltag direkt spürbar: wenn etwa die Apotheke schließen muss als eine Folge des Internethandels, oder wenn es um Vertei- lungsprobleme geht, zum Beispiel beim Thema Wohnraum.

Wenn sich selbst das bürgerliche Milieu, etwa der Hand- werkermeister mit seiner Familie, die Miete kaum noch leisten kann, wenn es plötzlich um Zwangsmaßnahmen in Kommunen geht, um Enteignungen, kann die Stimmung schnell kippen. Viele haben aktuell die Sorge, abgehängt zu werden, ihren Job zu verlieren oder beruflich nicht mehr mitzukommen, weil ihnen eine Weiterbildung fehlt. Diese Verunsicherung in Teilen der Bevölkerung kann wiederum dazu führen, dass einige Sündenböcke suchen und anfällig für simple Parolen werden. Dann heißt es: „Migranten nehmen uns die Arbeitsplätze weg.“ Verunsicherung und Misstrauen stören das Zusammenleben und beeinträch-

i # WIRSINDS

„Hier geht es

im Kleinen um die großen Themen.“

Christoph Dahl, Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung

Das „Tabacum“ ist seit 1979 eine Institution im Stuttgarter Westen.

Christoph Dahl kommt regelmäßig auf einen Espresso und eine Zigarre oder Pfeife in die

„Casa del Habano“.

Seine Lieblingsecke ist der rote Salon, die Raucherlounge.

(5)

Editorial

Christoph Dahl

Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung Tabacum

J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 8

Baden-Württemberg Stiftung

002

Ch ri st op h D ah l

tigen den gesellschaftlichen Zusammenhalt – im Kleinen wie im Großen. Deswegen müssen wir uns überlegen, wie wir dieser Tendenz entgegenwirken können.

U ND WIE KÖN NTE DAS AUS IHRER SICHT AUSSEHEN?

CD — Jeder Einzelne muss befähigt werden, selbst Verantwortung zu übernehmen. Das Stichwort: Bildung, angefangen bei der frühkindlichen Erziehung. Es geht um Teilhabe. An erster Stelle steht dabei die Frage: Was ist Demokratie? Was leistet sie und wie kann ich mich dafür einbringen? Das müssen schon die jüngsten Bürger lernen.

Bürgerschaftliches Engagement ist dafür entscheidend, sich gemeinsam zu organisieren, ein Projekt anzugehen, zusammen sein Quartier zu gestalten, wie die Händler und Anwohner hier am Hölderlinplatz. Ähnliche Interessen und Ziele verbinden. Auch wenn im Gemeinwesen oft Kompromisse notwendig sind und wir immer wieder vom eigenen Standpunkt abweichen müssen, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.

WELCHE WERTE U ND VOR AUS SETZU NGEN SIND

DAFÜR ENTSCHEIDEND?

CD — Wer gesellig und tolerant ist, hat es einfacher.

Wer sich verschließt, hat es oft schwerer. Doch auch jene dürfen wir nicht außer Acht lassen. Wir brauchen gemein- same Regeln, für die wir alle einstehen. Heruntergebro- chen auf eine Stadt wie Stuttgart ist es wichtig, nicht zu trennen, nicht abzuspalten: Wir müssen eine Ghettoisie- rung verhindern, den Rechtsstaat bewahren. Sicherheit spielt in solch einer Straße eine ganz entscheidende Rolle.

Wer seine Mitmenschen im Blick hat, die Nachbarin, die zu vereinsamen droht, oder wer aufmerksam durch das Viertel geht, kann sehr viel dafür tun, dass unsere Gesell- schaft funktioniert. Und wer sich sozial engagiert, profi- tiert letztlich auch selbst davon.

WAS IST DER SOZIALE KLEBSTOFF, DER U NS VERBINDET?

CD — Gemeinsam genießen, zusammenkommen, sich austauschen, das ist elementar. Kultur, Kunst und eine gemeinsame Sprache sind natürlich gerade im Bereich der Integration elementar – Ausdrucksformen, die wir mit unserer Stiftungsarbeit fördern. Aber wir müssen auch anerkennen, dass es andere Prägungen gibt, andere Familienstrukturen und Lebensformen. In einem starken Gemeinwesen müssen wir uns gegenseitig respektieren und Verständnis zeigen und dabei die demokratischen Spielregeln einhalten. Vielfalt erfordert Offenheit. Sie kann bedeuten, dass Ängste und Abwehr entstehen, wenn andere Sprachen, andere Lebensformen aufeinan- derprallen. Vielfalt kann im besten Sinne aber auch positiv wirken und befruchten, wenn wir Ideen aufgreifen und es keine Ausgrenzung gibt.

HERR DAHL, WAS MACHT FÜR SIE DEN REIZ IN DIESEM VIERTEL AUS?

CD — Wenn ich durch die Schwabstraße gehe, genieße ich, wie sich das öffentliche Leben immer mehr auf die Straßen und Plätze verlagert, wie viele Tische draußen stehen und wie viele Menschen sich dort treffen.

Aus meiner Sicht ist das eine durchweg positive Entwick- lung, die Berührungspunkte schafft. Räume spielen eine große Rolle für unseren Gemeinsinn. Architektur fördert im Idealfall die Gemeinschaft: Fühle ich mich wohl in einer Straße? Gibt es Begegnungsorte? In der Schwab- straße funktioniert das. Es findet sich ein Mix aus Gastro- nomie, Kultur, Handwerkern, mit kleinen Werkstätten in den Hinterhöfen, vielen inhabergeführten Geschäften statt großen Ketten. So entsteht ein Stadtviertel zum Wohlfühlen mit Kiezcharakter und einer sehr persönli- chen Atmosphäre, geprägt von unterschiedlichsten Kreisen und Schichten auf engstem Raum.

DIE SCHWABSTR ASSE ALS SPIEGEL DER GESELLSCHAFT: INWIEWEIT TRIFFT DAS AUS IHRER SICHT ZU?

CD — In einem Mikrokosmos wie diesem, in dieser einen Straße, geht es im Kleinen um die ganz großen Themen: Globalisierung, Migration und Digitalisierung.

Viele gesellschaftliche Herausforderungen sind im Alltag direkt spürbar: wenn etwa die Apotheke schließen muss als eine Folge des Internethandels, oder wenn es um Vertei- lungsprobleme geht, zum Beispiel beim Thema Wohnraum.

Wenn sich selbst das bürgerliche Milieu, etwa der Hand- werkermeister mit seiner Familie, die Miete kaum noch leisten kann, wenn es plötzlich um Zwangsmaßnahmen in Kommunen geht, um Enteignungen, kann die Stimmung schnell kippen. Viele haben aktuell die Sorge, abgehängt zu werden, ihren Job zu verlieren oder beruflich nicht mehr mitzukommen, weil ihnen eine Weiterbildung fehlt. Diese Verunsicherung in Teilen der Bevölkerung kann wiederum dazu führen, dass einige Sündenböcke suchen und anfällig für simple Parolen werden. Dann heißt es: „Migranten nehmen uns die Arbeitsplätze weg.“ Verunsicherung und Misstrauen stören das Zusammenleben und beeinträch-

i # WIRSINDS

„Hier geht es

im Kleinen um die großen Themen.“

Christoph Dahl, Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung

Das „Tabacum“ ist seit 1979 eine Institution im Stuttgarter Westen.

Christoph Dahl kommt regelmäßig auf einen Espresso und eine Zigarre oder Pfeife in die

„Casa del Habano“.

Seine Lieblingsecke ist der rote Salon, die Raucherlounge.

003

(6)

„Wir sitzen alle an einem Tisch.“

Giulia Cardascia (24)

„Zusammenhalt ist für mich an erster Stelle

Loyalität, zueinanderhalten, ehrlich sein. Wir lieben das Viertel, unser Revier.

Wenn wir Bock haben, tanzen wir auf der Straße, machen Saltos, wir machen den Westen bunter.“

„Mensch ist Mensch. Leben und leben lassen, das ist unser Motto. Leider gibt es in Deutschland nicht so viel Zusammenhalt. Seit der Flüchtlingswelle merken wir erst, wie die andern uns anschauen. Dabei leben wir schon immer hier.“

„Zusammenhalt heißt, sich um sich selbst kümmern, nicht dem Nachbarn vorschreiben, wie er leben soll.“

Siegfried Schäuble (70)

Harry Lahm (51) Ekici Halit (54)

„Die Deutschen nehmen viele Dinge,

die ihnen von Politik oder Wirtschaft auf- gedrückt werden, viel zu einfach hin.

Diese fehlende Demonstrationskultur gefährdet den Zusammenhalt.“

„Nur mit Will-

kommenskultur haben wir eine Chance.“

Aslan Önen (35) & Ulas Yalcin (30)

Baden-Württemberg Stiftung

(7)

„Wir sind Herdentiere – und brauchen andere, um uns zu spüren.“

Alexander Buresch (46)

Donatella Conte (39)

„Fehlt jemandem etwas, helfen wir uns. Wir spüren, dass wir dazugehören.“

Felix Rieger (29)

„Was mir fehlt, ist die Kommunikation zwischen den Schichten. Die Leute sollten mal

offen über die Dinge des Lebens reden und den Standpunkt des anderen verstehen lernen.“

„Durch die Hektik, den Stress und die Schnell- lebigkeit denken viele nur noch an sich und ihren eigenen Vorteil.“

Martin Fischer (38)

„Wenn wir uns trauen, aufeinander zu- zugehen, uns einander vorstellen und mehr miteinander statt übereinander reden,

hat die gesamte Gesellschaft etwas davon.“

Waldemar Neufeld (37) & Tatiana Neufeld (32)

005

Was hält uns zusammen?

(8)

Kunst am Bau. Die vielen Altbauten begeistern insbesondere die junge Generation.

(9)

Kirche. Markt. Treffpunkt. Der Bismarckplatz ist in vielerlei Hinsicht ein Ort der Begegnung.

Heilig's Blechle tifft Urban Art. Eine Straße voller Gegensätze.

(10)

/ .

Factsheet

Stuttgart-West

20,1 % 17,93 €

Allgemeines

Haushalte

Migrationsstruktur

Kaufkraft

Mietpreise

Fahrzeuge

A B B . 1

A B B . 4 A B B . 5 A B B . 6

A B B . 2 A B B . 3

Gesamtmigrantenanteil in Stuttgart-West:

Aktuelle Monatsmiete/m2 Italien

10,6 %

übrige EU 27,3 %

Kroatien 13 % 2017

15,29

2018 18,70

2019 18,15

Serbien 4,1 % Türkei

7,7 % Sonstige

31 %

Griechenland 6,3 %

Fläche:

GPS:

1.864,3 ha N 48° O 9°

52.214 2.800 Einwohner:

Einwohner/km2: Schwabstraße

Stuttgart-West

Stuttgart

0,32 PKW

Private PKW pro Person 1 Person

61,7 %

Lastwagen 4 % Kraft- räder 8,6 % PKW

84,1 % 5+ Personen

1,8 %

2 Personen 22,8 % 3 Personen 8,1 % 4 Personen 5,6 %

30.552 €

Kaufkraft/

Person netto

31.462

Gesamtanzahl der Haus- halte in Stuttgart-West:

S T A N D 2 0 1 9

S T A N D 2 0 1 9 S T A N D 2 0 1 9 S T A N D 2 0 1 9

S T A N D 2 0 1 9 S T A N D 2 0 1 9

Anhänger 4 % Baden-Württemberg Stiftung

(11)

/ .

Willkommen im Viertel

WIR BEFINDEN U NS IM HERZEN DER SCHWABSTR ASSE.

WELCHE BEDEUTU NG HAT SIE FÜR DIE STADT?

RM — Die Schwabstraße ist die einzig große Querverbindung durch den Stuttgarter Westen und hat daher auch ein entspre- chendes Verkehrsaufkommen. Ihre Bedeu- tung lässt sich auch schon daran erkennen, dass die dort fahrende Buslinie 42 dieje- nige mit der höchsten Auslastung in ganz Stuttgart ist. Zudem verfügt die Straße über mehrere sogenannte Unterzentren – also Bereiche, in denen die wesentlichen Einrich- tungen der Grundversorgung vorhanden sind.

Und wo dies der Fall ist, gibt es natürlich auch sehr viele Menschen mit unterschiedlichsten Ansichten und Bedürfnissen.

YY — Einen Teil dieser Bedürfnisse – Hunger, Durst, aber eben auch Erlebnis und Kommunikation – erfüllt die Gastronomie.

Und die hat sich entlang der Schwabstraße in den letzten Jahren enorm entwickelt. Das Angebot ist deutlich größer, hochwertiger, vielfältiger und kreativer geworden. Mit den entsprechenden Auswirkungen auf das Mitei- nander und die Bedeutung der Straße als Ort der Begegnung.

HT — Richtig. Und Locations wie die

„Metzgerei“ haben sicherlich dazu beige- tragen, dass aus dem bürgerlichen Westen mit seiner gewachsenen Bevölkerungsstruktur ein echtes In-Viertel geworden ist. Die Kehr- seite der Medaille ist allerdings, dass der Westen aus meiner Sicht kein Stadtteil mehr für jedermann ist.

YY — Wobei die Geschäfte schon von dieser Entwicklung profitieren. Die Markt- standbetreiber auf dem Bismarckplatz haben mir beispielsweise schon mehrfach versichert, dass sie mehr Zulauf hätten, seit es die „Metz- gerei“ dort gibt. Und ich freue mich anders- herum, wenn die Leute nach dem Markt auf einen Kaffee oder zum Frühstücken mit ihren Kindern zu uns kommen.

RM — Genau das beschreibt das hohe Gut des Stuttgarter Westens – und die Tatsache, dass das Viertel als Lebens- und Wohnraum so beliebt ist. Die Infrastruktur ist perfekt.

Gastro, Kultur, Einzelhandel, medizini- sche Versorgung, Schulen. Alles ist da – und fußläufig zu erreichen. Das findet man in dieser Form leider nicht mehr überall. Wobei Ein Ur-Schwabe, ein türkischer Szene-Gastro-

nom und ein Top-Architekt mit indonesischen Wurzeln. Es ist eine interessante Gesell- schaft, die sich im Restaurant „Metzgerei“

zusammengefunden hat. Was sie verbindet?

Die große Wertschätzung für den „Kiez“, den jeder der drei auf unterschiedliche Art liebt und aktiv mitgestaltet. Thema des Gesprächs:

Der „Gesellschaftsentwurf Schwabstraße“ – und wohin er sich entwickelt.

Reinhard Möhrle, Bezirks- vorsteher

Hadi Tandawardaja, Architekt

Yilmaz Yogurtcu, Gastronom

009

E L I S A B E T H E N S T R A S S E 3 0 , 7 0 1 9 7 S T U T T G A R T

Die Metzgerei I N T E R V I E W P A R T N E R Hadi Tandawardaja, Reinhard Möhrle, Yilmaz Yogurtcu

(12)

man natürlich auch sehen muss, dass wir hier nicht die Insel der Glückseligen sind. Auch in der Umgebung der Schwabstraße existieren Probleme. Insbesondere mit dem Verkehr sowie der Parkplatzsituation.

U ND WAS IST MIT DEN IN DEN LETZTEN JAHREN HORREND GESTIEGENEN MIETEN? STICHWORT:

GENTRIFIZIERU NG?

RM — Um das zu beantworten, sollte man erst einmal einige Zeit zurückblicken. Vor 20, 30 Jahren gab es fast so etwas wie eine Flucht von Familien aus dem Westen. Viele verließen das Viertel in Richtung „Stuttgarter Speckgürtel“, um dort Einfamilienhäuser mit Gärten zu beziehen. Als Grund wurde damals oft gesagt, dass man hier mit Kindern nicht leben könne.

Das hat sich im letzten Jahrzehnt komplett geändert. Der Westen ist wieder wahnsinnig attraktiv geworden. Den Familien ist bewusst geworden, wie viel eine vorhandene Infra- struktur wert ist. Aber klar: Von den Mieten her droht das Viertel natürlich zu kippen. Daher sind Projekte wie das Olga-Areal enorm wichtig.

Dort entsteht gerade ein ganzes Quartier mit 50 % gefördertem Wohnraum und Baugemein- schaften. Dies ist übrigens nur deshalb möglich, weil sich so viele Menschen gemeinsam dafür engagiert haben. Das ist auch ein Zeichen einer funktionierenden Gesellschaft.

YY — Dennoch muss man sagen, dass die Eigentümer genau wissen, wie sie von der aktu- ellen Situation profitieren können. Eine leer gewordene Wohnung wird renoviert und dann für mehr als 20 Euro auf den Quadratmeter vermietet. Oder noch teurer, wenn sie möbliert angeboten wird. Dementsprechend ändert sich auch die Durchmischung des Viertels: Ich sehe immer mehr Akademiker und Gutverdiener.

Das empfinde ich schon als Problem – obwohl ich von dieser Klientel als Gastronom ja profi- tiere. Aber wenn immer mehr sozial Schwache verdrängt werden, finde ich das traurig.

HT — So ein bisschen tragen wir dafür ja auch selbst die Verantwortung. Unsere Konzepte sind sicherlich eher für Wohlhaben- dere attraktiv. Und das ist jetzt nicht unbe- dingt im Sinne eines wild durchmischten, lebendigen Stadtviertels. Wir brauchen die Rentner genauso wie die Jungen und die Arbeiterfamilie genauso wie das Akademi- kerpärchen. Die Gefährdung dieses Gleich-

gewichts ist aber natürlich in erster Linie der Mietpreissituation geschuldet.

RM — Wobei der Stuttgarter Westen immer noch sehr gut durchmischt ist. Es gibt nach wie vor genügend Altwestler – und von denen sind viele keine Gutverdiener. Aber ja – durch die überproportional gestiegenen Mieten und Immobilienpreise ist es für Leute aus den unteren Einkommensschichten nicht mehr möglich, hierher zu ziehen. Wobei die Gentrifizierung kein Phänomen des Viertels ist. Sie ist nur schon weiter fortgeschritten.

Hier fangen eben nicht nur positive, sondern auch negative Entwicklungen an. Der Leiter des statistischen Amts hat mir mal gesagt:

Wenn er Trends in Stuttgart sehen will, dann müsste er nur in den Westen kommen. Hier könne er am besten sehen, wohin sich unsere Gesellschaft gerade entwickelt.

U ND WOHIN ENTWICKELT SIE SICH?

YY — Was ich beobachte, ist die Viel- zahl der Kinder, die im Westen auf die Welt kommen. Vor fünf Jahren habe ich Kinder- wagen in der Schwabstraße nur vereinzelt gesehen. Heute stehen im Sommer unzählige davon vor meinem Lokal – und die Kinder toben vor der Elisabethenkirche herum, während die Eltern einen Kaffee trinken. Und

„Wir haben hier nicht

die Insel der Glück-

seligen. Es gibt auch Probleme.“

Reinhard Möhrle

Baden-Württemberg Stiftung

(13)

auch sonst ist das Viertel wegen seiner zuneh- menden Kinderfreundlichkeit bei Familien sehr gefragt. Da frage ich mich: Sind die Kitas und Schulen auf den wachsenden Zulauf überhaupt vorbereitet?

RM — Diese Entwicklung ist den Verant- wortlichen selbstverständlich bewusst. Aber wie in nahezu jeder Großstadt ist die Bildungs- problematik nicht einfach zu lösen. Auf der anderen Seite sind gerade Schulen die Stätten, die den Zusammenhalt und das Miteinander fördern. Weil man dort, egal ob arm oder reich, mit oder ohne Migrationshintergrund, zusammen ist. Und nicht nur dort. Man ist auch gemeinsam auf den Spielplätzen, beim Einkaufen, in den Lokalen – überall. An diesen Orten begegnet man sich, lernt sich kennen und schätzen. Das ist das, was die Gesellschaft hier prägt und sie funktionieren lässt.

SIE SPRECHEN BEWUSST AUCH VON DER GASTRONO MIE, HERR MÖHRLE. DAHER DIE FR AGE AN DIE BEIDEN ANDEREN HERREN AM TISCH: SIE PLANEN GER ADE DAS DRITTE GEMEINSAME PROJEKT IN DER SCHWAB STR ASSE. WÜRDEN SIE IHRE LOK ALE AUCH ALS BEGEGNU NGSSTÄTTEN BEZEICHNEN?

YY — Absolut. Wir planen die Konzepte ja auch so. Und der Zulauf gibt uns recht.

Genauso wie die vielen Gespräche und Kontakte, die jeden Tag entstehen. Die Menschen sehnen sich nach solchen Orten.

HT — Unser erstes gemeinsames Projekt war das „Lumen“ – rund 200 Meter die Straße runter. Das war damals die erste etwas andere Gastro in der Straße – und wurde sehr gut angenommen. Was uns gezeigt hat: Da verändert sich etwas in der Schwabstraße – und wir können mit unseren Ideen wirklich was bewegen. Dann kam die die „Metzgerei“.

Damit ist es uns gelungen, im Zusammen- spiel mit der Eisdiele – das „Fragola“ – auf der anderen Seite des Platzes, ein echtes Span- nungsfeld aufzubauen, das den Bismarckplatz deutlich stärker belebt hat.

YY — Vor einigen Jahren gab es hier so gut wie keine Außengastro. Abends herrschte draußen Totenstille. Jetzt gibt es innerhalb

von 200 Metern vier Lokale, vor denen bis 22 oder 23 Uhr Menschen miteinander sitzen, reden und lachen. Damit müssen natürlich auch die älteren Menschen zurecht kommen, die schon lange da sind. Und da muss man auch akzeptieren, dass die der Entwicklung mit Ablehnung begegnen. Dennoch finde ich, dass der Erfolg belegt, dass die Leute so etwas wollen. Und deswegen machen wir etwas Gutes für die Gesellschaft.

HT — Wobei es nicht immer zwingend gut ist, was „die Leute“ wollen. Die wollen im Sommer natürlich bis um drei Uhr im Freien sitzen und trinken.

„Früher herrschte hier abends Totenstille draußen.

Jetzt gibt es viele Lokale, vor denen

bis spät

Menschen miteinander sitzen, reden und lachen.“

Yilmaz Yogurtcu

011

I N T E R V I E W P A R T N E R Hadi Tandawardaja, Reinhard Möhrle, Yilmaz Yogurtcu

E L I S A B E T H E N S T R A S S E 3 0 , 7 0 1 9 7 S T U T T G A R T

Die Metzgerei

(14)

YY — Deswegen muss man immer beide Seiten betrachten – und Verständnis für den anderen haben. Geben und nehmen. Daher sorgen wir dafür, dass spätestens um 23 Uhr Ruhe vor dem Lokal ist. Und wenn ich das meinen Gästen vernünftig erkläre, funkti- oniert das auch. Letzten Sommer hatten wir zum Beispiel nicht einmal Polizeibesuch wegen Ruhestörung.

GLAUBEN SIE, DAS LIEGT AUCH DARAN, DASS DIE MEN SCHEN HIER – VIELLEICHT JA AUCH WEGEN DER DICHTEN BESIEDLUNG ZWISCHEN SCHWABTUNNEL UND HÖL DERLINPLATZ – TOLERANTER, GESPRÄCHS UND KOMPRO MISSBEREITER SIND?

RM — In ganz großen Teilen ist das so – sonst würde das hier alles auch nicht so gut funktionieren. Es gibt natürlich immer

Menschen, die sich ganz besonders gestört fühlen und auch nicht bereit sind, in Kommu- nikation zu treten. Aber das sind absolute Ausnahmen. Im Wesentlichen herrscht hier ein ausgesprochen gutes und konstruktives Mitei- nander der Bevölkerung. Das sieht man auch an der Entwicklung des Sanierungsgebietes Bismarckplatz. Hier gibt es eine sehr hohe Bürgerbeteiligung – und das ist auch von der Stadt so gewünscht. Wenn wir den Bewohnern zuhören, ihre Bedürfnisse berücksichtigen, sie zum Diskurs auffordern und das alles transpa- rent darstellen, entstehen gute Kompromisse.

WAS KÖN NEN WIR TU N, UM DEN BESONDEREN SPIRIT IM MIKROKOSMOS SCHWAB STR ASSE ZU ERHALTEN?

YY — Wir müssen das funktionierende Miteinander bewahren. Es ist wunder- schön, dass hier im Sommer so viele Kinder gemeinsam spielen und die Eltern dadurch ins Gespräch kommen. Solche Begegnungen fördern das Zusammenwachsen und den Zusammenhalt im Viertel immens.

RM — Ich sage immer: Kümmert euch um euren Bezirk. Engagiert euch. Sucht den Kontakt zu anderen Menschen. Dazu muss man auch nicht in einen Verein eintreten.

Es gibt hier im Westen so viele kleine Orte, die zum Mitmachen einladen. Das sollte man annehmen.

HT — Dafür braucht es als natürlich immer auch Mut. Mut, sich zu zeigen und einzu- bringen. Das Viertel als seine eigene „Hood“

anzunehmen und aktiv für alle mitzugestalten.

So entsteht ein lebendiges Miteinander, das die Gesellschaft zusammenhält.

„Wir brauchen Mut, uns zu zeigen und einzubringen.

Das Viertel als seine eigene ‚Hood‘

anzunehmen und aktiv für alle mitzugestalten.“

Hadi Tandawardaja

ist ehrenamtlicher Bezirksvorsteher von Stuttgart-West. Der Stadtteil, in dem er bis auf seine Studienzeit immer wohnte, ist eine echte Herzensangelegenheit für ihn.

Auch weil hier so viele Menschen unter- schiedlichster Herkunft, Altersstufen, verschiedenster Lebensgemeinschaften und Einkommenssituationen tolerant, friedlich und respektvoll zusammenleben.

gilt als Pionier und Wegbereiter der neuen Gastronomie in der Schwabstraße, wo er mit seiner Familie auch wohnt.

Nach dem „Lumen“, das er mittlerweile abgegeben hat, etablierte er in einer ehemaligen Metzgerei das gleichnamige Restaurant am Bismarckplatz. Sein neustes Projekt, die Bar „Blau“, ist ebenfalls in der Schwabstraße.

gründete 2017 mit Tobias Bochmann das Stuttgarter Architekturbüro SOMAA. Auf seiner Mission, Orte der Identifi kation und Kommunikation zu schaffen, bildet er mit Lokal-Betreiber Yogurtcu ein Duo bei der Entwicklung von neuer Gastronomie in der Schwabstraße – von der er großer Fan ist.

Dennoch hat er 2016 seine Wohnung im Westen aufgegeben und lebt nun in Vaihingen.

Reinhard Möhrle (67) Yilmaz Yogurtcu (49) Hadi Tandawardaja (41)

Baden-Württemberg Stiftung

(15)

013

(16)

„Keine Minderheiten oder sozial Schwache ausschließen.“

Klaus Teichmann (49)

„Zivilcourage. Sich aufeinander verlassen können, zueinander- stehen, auch wenn es hart auf hart kommt.“

Axel Kreutle (34)

„Eine interessierte Freundlichkeit,

die man dem anderen entgegenbringt.

Offenheit. Ein freier, beweglicher Geist.“

Annik Aicher (50)

„Gemeinsam Ziele verfolgen, sich gegenseitig unter- stützen, Höflich- keit und direkte Kommunikation.“

Tobias Maucher (41)

Justin Bosch (38) Serkan Eren (35)

„Frieden.

In allen

Facetten.“

„Unser Grundgesetz, das Sozialstaatsprinzip. Das alles garantiert Fairness und Gleichberechtigung.“

Baden-Württemberg Stiftung

Was hält uns zusammen?

(17)

/ .

Schwab- straße

193 – 104

/. Schloßstraße 98

015

(18)

Klaus Teichmann ist Soziologe, Journalist und neuerdings Kneipier. Er lebt seit 2005 im Stuttgarter Westen. 2019 hat er als neuer Pächter „Rosis Pinte“ übernommen. Urwirtin und Namensgeberin Rosi, eine Österreicherin, soll sie vor gut vierzig Jahren gegründet haben.

Schwabstraße

193

1

Rosis Pinte Baden-Württemberg Stiftung

K la us T ei ch m an n

(19)

KT — Der persönliche Bezug ist intensiv.

Wir kennen uns mit Namen. Ich weiß bei den meisten Gästen gleich, welches Getränk sie wollen. Als Soziologe sage ich: Zusammen- halt bedeutet, niemanden auszuschließen.

Rentner, Studenten, Arbeiter, Alteingeses- sene, Zugezogene, Linke, Konservative sitzen nebeneinander an der Theke. Die Diskussi- onskultur ist lebhaft. Andere Meinungen aushalten können, das ist entscheidend. So unterschiedlich die Leute und Ansichten auch sind, sie respektieren sich. Hier erklärt ein Hip-Hopper schon mal den Stammgästen, was Rappen und Scratchen ist, also das kratzende Hin- und Herbewegen einer Schallplatte. Und die zeigen ihm, wie eine E-Zigarette funk- tioniert. Unsere Kneipe soll wie ein Markt- platz sein, wo alle willkommen sind und sich austauschen. Manche sitzen jeden Tag am gleichen Platz. Für einige Westler ist das ihr zweites Wohnzimmer, ein Ort gegen die Alters- einsamkeit. Das Klischee stimmt: Als Knei- pier bist du Zuhörer, Psychologe. Und notfalls bringen wir auch mal einen Gast nach Hause, wenn er zu viel getrunken hat.

KT — Viele der Gäste leben schon immer hier. Wir wollen ein Nachbarschaftstreff sein.

Hochglanzläden gibt es genug, Edelgastro- nomie mit teuren Cocktails. Über den Preis findet Ausschluss statt. Wir wollen origi- nell sein, ein schräges Lokal. Den Oldschool- Charme übersetzen wir ironisch ins Trashige mit röhrendem Hirsch an der Wand und Plas- tikrosen in der Vase. Nur Schlager lassen wir weg. Den Stammgästen habe ich erklärt: Fast alles soll bleiben, wie es ist. Zugleich will ich die Kneipe für neues Publikum öffnen, Ausstel- lungen organisieren, Konzerte, Vorträge über Feminismus und Klimawandel. Als Team von zehn Freunden ziehen wir die Pinte gemeinsam auf. Die Nachbarschaft findet gut, dass hier was passiert. Wir haben am Anfang einen Brief geschrieben, uns vorgestellt, zur Eröffnungsfeier waren viele Anwohner da.

Wenn wir unsere laute Klimaanlage nachts vergessen auszumachen, kriegen wir schon mal einen Verweis. Wir versuchen, dass niemand sich gestört fühlt von uns. Die Stadt ist hinterher, dass keine Partymeile entsteht.

Doch das wollen wir gar nicht.

KT — Die Durchmischung, das bunte Metropolpublikum, lebendig, immer im Wandel. Hier lebt eine aufgeklärte Stadtbe- völkerung, wo Milieus aufeinanderprallen.

Wir haben beispielsweise einen Stammgast, der schon ewig in Deutschland ist, seinen türkischen Pass nicht abgeben will, Erdogan gut findet. Er hat sich mit Paul angefreundet, der einen sehr liberalen, alternativen Verlag leitet. Nun spielen sie jeden zweiten Tag Darts, sind in einer Fußballmannschaft und lernen gemeinsam für seinen Personenbeförderungs- schein. Leute mit unterschiedlichsten Hinter- gründen und Ansichten kommen zusammen, die sonst keine Berührungspunkte hätten. Poli- tische Meinungsverschiedenheiten räumen sie beim Bier aus – oder diskutieren zumindest und entdecken Gemeinsamkeiten. So entsteht Gemeinschaft. In der Schwabstraße gibt es so eine Westidentität, eben dieses Gemeinschafts- gefühl. Was ich mir wünsche: Mehr Fahr- räder, weniger Verkehr, dass die Mieten nicht explodieren. Dass wir den Mut haben, aktiv zu werden, uns für unser Quartier einsetzen – wenn es sein muss, auch mal ein Haus besetzen.

KLAUS TEICHMAN N, WIE WIRD ZUSAMMENHALT IN IHRER PINTE GELEBT?

DIE KLASSISCHE ECKKNEIPE STIRBT AUS. SIE K ÄMPFEN FÜR DEN ERHALT. WARUM?

WAS MACHT DIESES VIERTEL FÜR SIE SO BESONDERS?

F R A G E F R A G E F R A G E

1 2 3

# WIRSINDS

„Wir brauchen eine lebendige

Diskussionskultur.“

Klaus Teichmann (49)

017

K N E I P I E R

Klaus Teichmann

S C H W A B S T R A S S E 1 9 3 , 7 0 1 9 3 S T U T T G A R T

Rosis Pinte

(20)

AA — Früher war hier war alles vollge- parkt mit Motorrädern. Ich hatte die Idee, einen Treffpunkt zu gestalten. Mit Flyern bin ich losgezogen, habe den anderen Anwohnern erzählt, dass ich den Platz an der Schwab-/

Ecke Traubenstraße umgestalten möchte – gemeinsam mit ihnen. Mit drei Ämtern und fünf Verantwortlichen der Stadt plus Bezirks- beirat habe ich mich abgestimmt.

Nun ist ein „Geschichts-Begegnungs-Ort“

entstanden – in meiner kleinen Garage. Marie Vogel hieß die Bauherrin der Schwabstraße 120 – nach ihr ist das Mini-Museum darin benannt.

Sechs Frauen und ein Mädchen aus der Nachbarschaft haben mit mir große Wein- und Whiskyfässer aufgestellt. Dort wuchert jetzt ein kleiner Weinberg für die Nachbarn – mit Tafeltrauben und heimischen Wildkräutern.

Ganz unterschiedliche Pflanzen auf einem Raum wachsen darin wunderbar zusammen und ergänzen sich. Sie nehmen sich weder Platz noch Licht weg, sie bereichern sich durch Viel- fältigkeit. So stelle ich mir eine ideale Gesell- schaft vor. Der Nachbar nebenan tickt zwar anders als ich, aber das ist okay. Schwer wird es, wo man den Einzelnen nicht mehr sieht, sondern nur eine große anonyme Gruppe.

Klar, auch ich bin in meiner Blase, in meinen Gedankengebäuden: Ich lebe „öko“, zu viele Autos nerven mich. Doch auch wenn andere anders sind, gehören wir zusammen und brau- chen Verständnis füreinander.

Ich wünsche mir, dass die Stadt mehr Frei- räume erhält, dass auch junge Kreative sich

„Zusammen

wachsen und sich

ergänzen, das heißt Zusammenhalt.“

Annik Aicher (50)

hier noch einen Platz leisten können, mehr Offenheit, etwas gemeinsam zu machen – ohne gleich an Vandalismus denken zu müssen, an Kosten, die Probleme.

Darum mag ich die „Schätze des Westens“

oder unsere Hofflohmärkte so. Da funktio- niert das. Ich habe mit vielen Leuten gespro- chen, wie es früher hier war und recher- chiert: Die Hausgemeinschaft hatte eine viel größere Bedeutung.

Da haben sich alle bei der Familie versam- melt, die den ersten und damals einzigen Fern- seher hatte, um zusammen „Kulenkampff“ zu kucken. Es gab mehr Anlässe, sich zu treffen – und weniger Freizeitmöglichkeiten. Man ging bei den Leuten einfach vorbei – ohne sich vorher groß zu verabreden. Ich erwarte heute nicht, dass sich jeder neue Mieter mit Hefezopf bei allen im Haus vorstellt, aber ich würde mich über mehr Austausch freuen.

Ich habe lang in Birmingham und Frankfurt gelebt. Vielleicht ist diese Zurückhaltung, die es hier manchmal gibt, auch der schwäbi- schen Mentalität geschuldet.

Ich wollte immer in einem Viertel leben, wo ich herumlaufen kann, wie es mir passt, ohne beäugt zu werden. Auf dem Dorf wäre ich wohl eine Exotin. Und doch will ich die Menschen um mich herum kennen. Das habe ich in der Schwabstraße gefunden.

Was ich mir wünsche: dass wir weniger auf das Smartphone kucken, sondern uns wieder mehr in die Augen schauen.

# WIRSINDS

Annik Aicher ist Kunsthistorikerin.

Am Traubenplätzle hat sie eine Gara- ge aus den 1950ern zum vermutlich kleinsten Museum der Stadt umge- baut: „Maries gute Stube“ – mit his- torischen Bildern und Geschichten aus dem Stadtteil.

i

Jeder zweite Deutsche kennt seinen Nachbarn nicht.

A B B . 7

Anonymität

???

ICH

Baden-Württemberg Stiftung

M its pra che re ch t A nn ik A iche r

(21)

Erinnerungen aus dem Westen: Vom Jahr 1788, in dem das Viertel aus Weinbergen, Gärten und Feldern bestand, bis zu Erzählungen aus den 1970er-Jahren, als die Straßenbahn noch durch den Schwabtunnel fuhr.

Geschichten aus der sprechenden Kaffeekanne:

Nachbarn haben sie Annik Aicher erzählt.

2

Maries gute Stube Schwabstraße

120 019

K U N S T H I S T O R I K E R I N

Annik Aicher

S C H W A B S T R A S S E 1 2 0 , 7 0 1 9 3 S T U T T G A R T

Maries gute Stube

(22)

Baden-Württemberg Stiftung

Th em a A xe l K re ut le u nd T ob ia s M au ch er

Im Stadtteil verwurzelt: Gemeinsam ziehen Axel Kreutle (links) und Tobias Maucher los und bieten Jugendlichen ihre Hilfe an.

Sie kennen ihre Treffpunkte, unterstützen sie zu Hause, in der Schule oder an ihrer Ausbildungsstelle.

Die Ziele der Jugendarbeit: Jugendstraffälligkeit, Sucht und Gewalt verhindern. Selbstvertrauen, Gemein- schaftsfähigkeit und Verantwortung stärken.

(23)

AK & TM — Unsere Zielgruppe sind die am Rand der Gesellschaft. Wir sind ein Sprach- rohr für Jugendliche und verleihen denen eine Stimme, die oft nicht gehört werden. In Jugend- hilfegremien oder im Bezirksrat vertreten wir ihre Interessen, wenn es zum Beispiel um die Gestaltung eines neuen Treffpunkts geht. Wir wissen, wo wir „unsere“ Cliquen antreffen. Im Winter ist das die Stadtteilbibliothek, weil es dort einen Kaffeeautomaten gibt, im Sommer grillen viele im Kräherwald oder chillen am Sportplatz.

Das Freizeitverhalten hat sich spürbar verän- dert, die Jugendlichen gehen, so unser Eindruck, seltener vor die Tür. Stattdessen sitzen sie zu Hause vor der PlayStation. Wir sind Vermittler.

Wenn es Probleme mit Lärm und Müll gibt, sprechen wir mit beiden Seiten, befragen die Anwohner. Unseren Jugendlichen machen wir klar, was es bedeutet, wenn sie zu laut sind:

dass dann die kleinen Kinder aufwachen, zum Beispiel. So entwickeln sie mehr Verständnis.

In Stuttgart-West gibt es wenige Span- nungen, es herrscht sozialer Frieden – auch weil sich hier so viele Gruppen zu Hause fühlen. Es klingt zunächst widersprüchlich, aber Vielfalt schafft Zusammenhalt. Sie sorgt für Balance, ein ausgewogenes Verhältnis im sozialen Gefüge. Es gibt kaum Abgrenzung und Ausgrenzung, weil es den Menschen generell recht gut geht hier. Kriminalität und Gewalt sind auf einem niedrigen Niveau. Das spüren wir, tauschen uns auch viel mit der Polizei aus.

Das Sicherheitsgefühl ist im Westen sehr hoch.

Heute ist sich oft jeder selbst der Nächste.

Dem müssen wir entgegensteuern in Zeiten der „Trumpisierung“, in der eine Partei wie die AfD immer mehr Zulauf bekommt. Wir sollten lernen, uns auch mal zurückzunehmen, etwas demütiger zu sein und anderen gegenüber achtsamer.

3

Mobile Jugendarbeit Nah dran: Als Streetworker sind Tobias Maucher (links) und Axel Kreutle

oft mittendrin. Viele der Jugendlichen begleiten sie jahrelang. „Wir zeigen ihnen, dass wir für sie da sind.“

„Vielfalt schafft Zusammenhalt.“

Axel Kreutle (34) und Tobias Maucher (41)

# WIRSINDS

Seit 30 Jahren sind die Street- worker der Mobilen Jugendarbeit in den Stadtteilen unterwegs. Axel Kreutle und Tobias Maucher betreuen gemeinsam den Stuttgarter

Westen. Sie machen Einzelfallhilfe, vermitteln an Beratungsstellen.

Von der Schloß- straße zieht die Einrichtung bald um, direkt an den Bismarckplatz.

i

Schloßstraße

98 021

S T R E E T W O R K E R

Axel Kreutle & Tobias Maucher

S C H L O S S S T R A S S E 9 8 , 7 0 1 7 6 S T U T T G A R T

Mobile Jugendarbeit

(24)

„Etwas mehr Dankbarkeit, in einer der reichsten Städte

Deutschlands leben zu dürfen, würde unserer Gemeinschaft nicht schaden.“

Serkan Eren (35)

# WIRSINDS

4

STELP Schwabstraße

130

Baden-Württemberg Stiftung

S er ka n E ren

(25)

Serkan Eren ist Gründer und Vor- stand der Stutt- garter Hilfsor- ganisation STELP e.V. – supporter on site. Mit seinen Vereinskollegen und zahlreichen Ehren- amtlichen kümmert er sich seit knapp vier Jahren um Kinder in Not. Da die Vereinszentrale gerade von Erens Privatwohnung in neue Räumlichkeiten umzieht, treffen wir den ehemaligen Lehrer in der be- nachbarten „Bottega da Giulia“, die seine Freundin an der Ecke zur Trauben straße betreibt.

i

Ein verwahrloster Junge, der auf einer Müllkippe nach Essensresten sucht, ein Mädchen, das barfuß im kalten Matsch eines provisorischen Flüchtlingslagers steht. Die Bilder, die uns Serkan Eren zeigt, gehen einem durch Mark und Bein. Auch ihn haben sie damals nicht losgelassen, als er vor vier Jahren mit seinem Freund Steffen Schuldis und weiteren Helfern selbst gesammelte Hilfsgüter an in der Türkei gestrandete Flüchtlinge verteilte. Also gründeten die beiden eine Hilfsorganisation – die sie Schritt für Schritt gemeinsam mit unzähligen Frei- willigen zu einem mittlerweile auf drei Kontinenten tätigen Verein ausgebaut haben. Der Name STELP – für STuttgart hELPs – ist dabei Programm: Vom Westen der Stadt aus werden Freiwillige begeistert und ausge- bildet, die dann ehrenamtlich und vor Ort helfen. Was weit über die Verteilung von Geld- und Sachspenden hinausgeht. „Wir bauen Suppenküchen und Spielplätze, vermitteln Sprache und Bildung an die Kinder und legen Felder an, damit die Menschen vor Ort ihre Familien selbst versorgen können“, erzählt Eren, als wir ihm die Frage danach stellen, was für ihn Zusam- menhalt bedeutet. „Solche Dinge funktio- nieren in einer starken Gemeinschaft – und sie schweißen extrem zusammen. Sowohl die Helfer und die Notleidenden unter sich – als auch uns alle miteinander.“

U NTERSCHIEDLICHE WURZELN – EINE HEIMAT

In der Schwabstraße selbst – seiner „Heimat“, wie der im Schwarzwald geborene Sohn zweier türkischer Migranten seinen Lebens- raum bezeichnet – empfindet er den gesell- schaftlichen Zusammenhalt ebenfalls als sehr stark. „Als wir unsere jetzige Wohnung bezogen, wurden wir gefühlt alle fünf Minuten von wildfremden Leuten gefragt, ob sie uns beim Hochtragen der Umzugskartons helfen könnten“, so Eren. „Dieser Kosmos der Schwabstraße, den finde ich einfach genial.

Auch, weil die Bewohner hier sowohl den Einzelhandel als auch die Lokale im Kiez unterstützen.“ Worüber sich natürlich auch seine Freundin Giulia Cardascia freut, in deren mit viel Liebe fürs Detail eingerich- teten Feinkostladen wir uns getroffen haben.

„Die Leute hier sind wahnsinnig offen und zeigen großes Interesse für das Leben und die Sorgen anderer“, schwärmt die Tochter einer

italienischen Gastro-Familie. Sie muss es wissen, schließlich bietet sie ihre Leckereien auch bereits fertig zubereitet als täglichen Mittagstisch an. Zum Nachkochen für zu Hause, sozusagen. „Am besten zusammen.

Dann macht es am meisten Spaß“, ergänzt sie augenzwinkernd.

MIT DEM GEIST DES WESTENS WELTWEIT HELFEN

Die beiden fühlen sich wohl in ihrer „Oase“.

Weil das Bunte, der multikulturelle Mix zur ganz natürlichen DNA der Straße gehöre.

„Ich habe schon einige schlechte Erfah- rungen gemacht, bei denen mein Migrati- onshintergrund – oder der anderer – eine Rolle gespielt hat. Aber hier? Noch keine einzige!“, schildert der 35-Jährige. Vielleicht macht es auch dieser besondere Spirit aus, warum so viele seiner freiwilligen Helfer aus dem Westen kommen. „Diese Menschen opfern ihren Urlaub und bezahlen ihren Flug zum jeweiligen Hilfsprojekt aus der eignen Tasche, damit jeder Cent, den wir einsam- meln, dort ankommt.“ Dennoch gebe es auch immer wieder Menschen, die ihn und die Arbeit des Vereins in der Anonymität der sozialen Netzwerke „haten“, wie es neudeutsch heißt. Was er auf die grundsätz- liche Unzufriedenheit von Teilen der Gesell- schaft zurückführt. Diesen Leuten täte es gut, etwas mehr Dank für ihr großes Glück zu empfinden, in Mitteleuropa geboren zu sein und in einer der reichsten Städte Deutschlands zu leben. „Dann täten sie sich sicherlich leichter, etwas von diesem Glück an Ärmere abzugeben. Und das ist schon ein großer Teil meines Verständnisses von Zusammenhalt.“ Wir haben verstanden.

A B B . 8

Weltweit

Auf den Philippinen, in der Türkei, in Griechenland, im Jemen, im Irak, in Nepal und in Afrika fi nden 2019 Projekte statt.

023

G R Ü N D E R U N D V O R S T A N D

Serkan Eren

S C H W A B S T R A S S E 1 3 0 , 7 0 1 9 3 S T U T T G A R T

STELP e.V. – supporter on site

(26)

Familienbande: Die Bäckerei Bosch wird von drei Geschwistern geleitet. Leonie Schoch (links) und Fanny Gutekunst arbeiten eng mit ihrem Bruder zusammen.

5

Bäckerei Bosch Schwabstraße

104

Baden-Württemberg Stiftung

J us ti n B osch

(27)

JB — Der Zusammenhalt in unserer Familie ist für mich ganz entscheidend. Ohne meine Schwestern könnte ich das alles hier nicht machen – und sie nicht ohne mich. Wir sind aufeinander angewiesen, greifen inein- ander. Es geht nur Hand in Hand. Wir ziehen an einem Strang und haben das gleiche Ziel.

Wir wollen die Tradition fortführen und uns doch immer weiterentwickeln.

Zu uns kommt ein Querschnitt der Gesell- schaft, Alt und Jung, Ärmere und eher Wohl- habende. Brezeln und Brötchen braucht fast jeder. Wir sind gefühlt schon immer da – sind demütig und dankbar dafür. Manchmal staune ich selbst, wenn die Kunden am Samstag bis zur Straße Schlange stehen für ein paar Früh- stückscroissants oder einen weiteren Weg auf sich nehmen. Damit im Winter niemand vor der Türe friert, schenken wir an den Advents- wochenenden heißen Punsch aus. Es gibt an jeder Ecke einen Bäcker, oft eine Kette, und dennoch kommen sie zu uns. So selbstver- ständlich ist das in der heutigen Zeit nicht.

Sonntags haben wir bewusst zu, auch wenn da gewiss viel los wäre. Doch mir ist die Familie wichtiger als ein paar Euro mehr Umsatz.

Vor Kurzem bin ich zum ersten Mal Vater geworden. Ich merke, wie sich meine Priori- täten, die Werte nun verschieben. Mir ist es wichtig, Zeit zu Hause zu verbringen und nicht nur in der Backstube zu stehen.

„Mehr miteinander schwätzen – nicht gegeneinander.“

Justin Bosch (38)

Ich finde, unsere Straße hat sich positiv gewandelt: Es gibt hier einfach alles. Keiner muss im Internet bestellen – auch wenn es dennoch jeder macht, ich zugegebenermaßen auch. Die Schattenseiten: Selbst Gutverdiener können sich heute kaum noch eine Wohnung hier leisten, wenn die Miete schnell mal 2.000 Euro kostet. Das finde ich schon heftig und erschreckend.

Es wird immer enger, immer mehr Autos sind unterwegs, die Parkplatzsuche ist nerven- aufreibend. Bisweilen sind die Anwohner eine Stunde auf der Suche. Nur nachts, wenn ich um drei Uhr morgens zur Arbeit fahre, dann ist alles ruhig und der Bürgersteig hochgeklappt.

Meine Botschaft an die nächste Genera- tion: Sprecht mehr miteinander, geht aufein- ander zu, nicht nur digital. Viele junge Leute stehen mittlerweile mit dem Smartphone in der Bäckerei. Das finde ich schade. Ich glaube, es verlagert sich zu viel in die digitale Welt. Jeder gibt dort seinen Senf dazu, viele pöbeln, sind aggressiv. Wenn ein Kunde die Brezel mal etwas „lätschig“ findet, soll er es mir persönlich sagen. Dann kann ich darauf eingehen. Auf einen anonymen Kommentar nicht. Besser wäre es ohnehin, wenn wir mehr miteinander schwätzen würden, nicht gegeneinander.

# WIRSINDS

Justin Bosch ist Bäcker und Vater einer kleinen Tochter. Seit fast 110 Jahren ist der Familienbetrieb in der Schwabstraße.

2013 hat Bosch die Bäckerei von seinen Eltern in vierter Generation übernommen. Er arbeitet mit sei- nen zwei Schwes- tern eng zusammen:

Leonie Schoch, 43, ist Konditor- meisterin und Fanny Gutekunst, 33, gelernte Hotelfachfrau.

i

Durchschnittlicher Samstagsverkauf in der Bäckerei Bosch.

A B B . 9

2.000 Brezeln

025

B Ä C K E R

Justin Bosch

S C H W A B S T R A S S E 1 0 4 , 7 0 1 9 3 S T U T T G A R T

Bäckerei Bosch

(28)

„Mer brauchet älle!“

Helene Prölß (67) Elisabeth Tull (59)

Ralf Reisch (rechts im Bild, 58)

Jens-Peter Wedlich (53)

„Lächeln und freundlich

sein. Denn Lächeln bekommt man immer zurück.“

„Ein höflicher, freundlicher Umgang. Grüß Gott,

Auf Wiedersehen!

Bitteschön, Dankeschön!“

„Sich gegenseitig grüßen und helfen.“

Stefanie Wilk (41)

„Menschlichkeit.“

Baden-Württemberg Stiftung

Was hält uns zusammen?

(29)

/ .

Schwab- straße

83 – 79

/. Bismarckstraße 30 /. Gutbrodstraße 4 /. Vogelsangstraße 51

027

(30)

Willkommenskultur in jeglicher Hinsicht: Frau Tull freut sich, dass die bunt gemischten Klassen während der zweijährigen Renovierungszeit der Schwabschule ein neues Zuhause in der benachbarten Friedensschule gefunden haben.

Pädagogin aus Leidenschaft: Die Schulleiterin achtet nicht nur bei Lehrplänen & Co auf die besonderen Details.

Bismarckstraße

30

Schwabschule

6

Baden-Württemberg Stiftung

E lis ab eth T ul l

(31)

# WIRSINDS

Elisabeth Tull war rund 20 Jahre Lehrerin an der Stuttgarter Schwab- schule, bevor sie im Jahr 2016 die Leitung der als äußerst multikultu- rell geltenden Bildungsstätte übernahm. Diese Vielfalt liebt sie auch an den gastro- nomischen Begeg- nungsstätten der Schwabstraße, wo die heutige Wahl-Untertürkhei- merin von 1989 bis 2000 wohnte.

i

„Wir müssen allen Kindern

Zugang zu guter, vielfältiger

Bildung geben.“

Elisabeth Tull (59)

An der Schwabschule besteht eine große kulturelle Vielfalt.

A B B . 1 0

Multikulturell

44 %

deutsche Kinder

26 %

deutsche Kinder mit Migrations- hintergrund

30 %

nichtdeutsche Kinder

029

R E K T O R I N

Elisabeth Tull

B I S M A R C K S T R A S S E 3 0 , 7 0 1 7 6 S T U T T G A R T

Stuttgarter Schwabschule

Referenzen

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