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Die Nutzung digitaler sozialer Netzwerkdienste zur Personalrekrutierung: Vom Post & Pray zum Active Sourcing

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Academic year: 2022

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www.fernuni-hagen.de

FernUniversität in Hagen

Die Nutzung digitaler

sozialer Netzwerkdienste zur Personalrekrutierung

Vom Post & Pray zum Active Sourcing Tanja Gluding

Tanja GludingDie Nutzung digitaler sozialer Netzwerkdienste zur Personalrekrutierung

SOZIOLOGIE

Die Nutzung digitaler sozialer Netzwerkdienste zur Personalrekrutierung

ISBN: 978-3-96163-198-8

www.readbox.net/unipress 21,90 €

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Tanja Gluding

Die Nutzung digitaler sozialer Netzwerkdienste zur

Personalrekrutierung

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Die Nutzung digitaler sozialer Netzwerkdienste zur

Personalrekrutierung

Vom Post & Pray zum Active Sourcing

zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften

der FernUniversität in Hagen

Tanja Gluding von

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die vorliegende Arbeit wurde von Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität in Hagen im Wintersemester 2019/2020 als Dissertation

angenommen.

Erstgutachterin: Prof. Dr. Sylvia Marlene Wilz Zweitgutachter: Prof. Dr. Hermann Kotthoff Disputation: 22. Juli 2020

1. Auflage 2020

ISBN 978-3-96163-198-8 readbox unipress

in der readbox publishing GmbH Rheinische Str. 171

44147 Dortmund

http://www.readbox.net/unipress

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Danksagung

Die vorliegende Arbeit wurde an der FernUniversität in Hagen am Institut für Sozio- logie, Lehrgebiet Soziologie III, im November 2019 angenommen.

An dieser Stelle möchte ich allen Menschen meinen großen Dank aussprechen, die mich bei der Anfertigung meiner Dissertation unterstützt haben.

Mein besonderer Dank gilt meiner Doktormutter Frau Prof. Dr. Sylvia Marlene Wilz für ihre wertvolle Unterstützung bei der Umsetzung der gesamten Arbeit. Ebenso danke ich Herrn Prof. Dr. Hermann Kotthoff, der das Zweitgutachten erstellt hat.

Vor allem aber möchte ich ein großes Dankeschön an meine Familie und an meine Freundinnen und Freunde richten. Nur mit ihnen, ihrer Geduld und ihren Ermutigun- gen konnte ich die Dissertation abschließen. Danke, dass ihr mich immer wieder auf- gerichtet habt. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie wichtig dieser Rückhalt für mich war!

Der größte Dank gebührt jedoch meinen Großeltern, Anneliese und Felix. Ihr Ver- trauen in mich und ihre uneingeschränkte Unterstützung hat mein Studium erst mög- lich gemacht. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet.

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Inhalt

1 Einleitung – vom Post & Pray zum Active Sourcing ... 9

2 Zum Begriff der Organisation ... 23

2.1 Organisationen als gesellschaftliche Faktizität ... 25

2.2 Organisationen und organisationales Handeln... 27

2.3 Zwischenfazit ... 31

3 Strukturationstheorie ... 33

3.1 Leitideen ... 35

3.1.1 Handlungsebene ... 36

3.1.2 Strukturebene ... 41

3.1.3 Regionalisierung ... 44

3.2 Strukturation der Organisation ... 46

3.3 Zwischenfazit ... 49

4 Human Resources Management (HRM) ... 53

4.1 Vom Personalwesen zur „HR Factory“ ... 54

4.2 Personalrekrutierung als Teildisziplin des HRM ... 58

4.2.1 Ziel der Personalrekrutierung ... 60

4.2.2 Aufgaben und Praktiken der Personalrekrutierung ... 61

4.2.3 Probleme der Personalrekrutierung ... 66

4.3 Recruiting über soziale Netzwerke als gängige Praktik ... 69

4.3.1 Rekrutierungsvorteile sozialer Kontakte... 71

4.3.2 Erfolgsmechanismen sozialer Netzwerke ... 73

4.4 Das Internet – sozialer Handlungsraum ... 76

4.4.1 Web 2.0 – das „Mitmach-Web“ ... 79

4.4.2 Digitale soziale Netzwerke für die Personalrekrutierung ... 82

4.5 Digitale soziale Netzwerkdienste – das Beispiel XING ... 83

4.5.1 Das XING-Profil für Einzelpersonen ... 85

4.5.2 XING für Unternehmen ... 87

4.6 Zwischenfazit ... 90

5 Qualitative Analyse ... 93

5.1 Vorannahmen und Reflexion ... 94

5.2 Erhebungsmethode: Expert(inn)eninterviews ... 100

5.2.1 Auswahl und Beschreibung der Expert(inn)en ... 101

5.2.2 Konstruktion und Durchführung der Expert(inn)eninterviews ... 105

5.2.3 Transkription der Interviews ... 107

5.3 Erhebungsmethode: Dokumentenanalyse ... 107

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5.3.1 Auswahl der Dokumente ... 108

5.3.2 Kontext, Funktion, Zielgruppe ... 109

5.4 Auswertungsmethode: Qualitative Inhaltsanalyse ... 111

5.4.1 Zentrale Kategorien und Merkmalsausprägungen ... 114

5.4.2 Qualitative und quantitative Auswertung der Dokumente ... 127

6 Darstellung der empirischen Befunde ... 135

6.1 Dokumentenanalyse – empirische Befunde... 135

6.1.1 Abgrenzbare Themen der Personalrekrutierung ... 137

6.1.2 Corporate Social Media Recruiting ... 146

6.1.3 Active Sourcing ... 149

6.2 Expert(inn)eninterviews – empirische Befunde ... 156

6.2.1 Zur Bedeutung der Personalrekrutierung ... 157

6.2.2 Personalbeschaffungskanäle ... 160

6.2.3 Grundlagen der Nutzung digitaler sozialer Netzwerkdienste ... 167

6.2.4 Nutzungsbegründungen und Annahmen ... 171

6.2.5 Von der Bewerberin zur Kandidatin ... 177

6.2.6 Vom Recruiter zum Agenten des Unternehmens ... 179

6.2.7 Wissen & Kompetenzen von Recruiterinnen und Recruitern ... 183

6.2.8 Die digitale Anwesenheit vor Ort ... 185

6.2.9 Normierte Suche und persönliche Ansprache ... 192

6.2.10 Herausforderungen und Risiken ... 217

7 Struktur und Strategie: „Vom Post & Pray zum Active Sourcing“ ... 221

8 Schlussbetrachtung ... 237

9 Literatur ... 247

10 Abbildungen ... 259

11 Tabellen ... 261

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1 Einleitung – vom Post & Pray zum Active Sourcing

Eine zentrale Aufgabe von Organisationen ist die stetige Rekrutierung von geeignetem Personal, um wettbewerbsfähig zu werden und zu bleiben. Wenn die Nachfrage nach Fachkräften groß ist und das Angebot deutlich übersteigt, wird diese Aufgabe ungleich herausfordernder. In der gegenwärtigen Situation des akuten Fachkräftemangels be- deutet Personalrekrutierung in deutlich stärkerem Maße als zuvor eine tatsächliche Su- che nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, denn die Auswahl kann bekanntlich nur aus einer begrenzten Anzahl an verfügbaren Kandidat(inn)en erfolgen. Die personal- wirtschaftliche Fachwelt thematisiert die Verfahren der Suche entsprechend immer mehr. Die Fragen, wo geeignete Kandidat(inn)en zu finden sind, welche Suchwege ge- eignet erscheinen und welche nicht, werden insbesondere im Zusammenhang mit der Technologie der digitalen sozialen Netzwerke diskutiert.

Das Anliegen dieser Studie

„Wer sich nach dem Post & Pray-Prinzip blindlings auf etablierte Struk- turen verlässt, muss sich an die eigene Nase fassen.“1

*

„Das althergebrachte ,Post & Pray‘-Recruiting, also Anzeigen zu schal- ten und auf Bewerber zu hoffen, reicht heutzutage oft nicht mehr aus“

(Brickwedde 2018: 143).

**

„Das Internet hat die Kandidatensuche revolutioniert. Immer mehr Un- ternehmen begeben sich über Active Sourcing selbst auf die Kandida- tensuche“ (Demmer 2014: 18).2

***

1 https://wollmilchsau.de/personalmarketing/bewerberansprache-candidate-journey/ (zuletzt abgerufen am 24.08.2018). Wollmilchsau GmbH (Gründung 2008) ist ein Unternehmen, das sich in den Bereichen Personalmarketing, HR-Analytics, Employer Branding und Onlinepersonalsuche verortet.

2 Demmer, Christian (2014): Neue Machtverhältnisse im Recruiting. In: Personalwirtschaft 08/2014, S. 17–

22.

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„,Post and Pray‘ verliert an Bedeutung. Moderne Recruiter können heute nicht mehr nur Bewerbungsverwalter sein“ (Appel/Wahler 2018:

147).

Diese und ähnliche Zeilen finden sich vielfach in personalwirtschaftlichen Publikatio- nen wie auch als „prophezeiende Aussagen“ von Anbietern personalwirtschaftlicher Strategien und Konzepte. Daraus ergibt sich unweigerlich eine ganze Reihe von Fra- gen: Welche neuen Prinzipien der Personalrekrutierung versprechen bessere Erfolge als die bislang propagierten? Von welchen etablierten Strukturen heben sie sich wiede- rum ab? Was führt zu einer Veränderung der etablierten Strukturen? Wie zeigt sich dies im professionellen Feld der Praxis? Welche gesellschaftlichen wie auch wirtschaftlichen Veränderungen führen überhaupt dazu, dass der Wandel vom Post & Pray zum Active Sourcing gefordert wird, ja für die Unternehmen sich als ein zwingendes Erfordernis darstellt?

Zahlreiche deutsche Firmen haben einen wachsenden Fachkräftemangel zu beklagen und viele Stellen können nicht mehr mit adäquat qualifiziertem Personal besetzt wer- den. Davon spricht bspw. der IAB-Kurzbericht 23/2018. Demnach gab es 2017 bei 43 % der Vakanzen Schwierigkeiten mit der Neubesetzung (vgl. Bossler et al. 2018: 6).

Daher müssen Personalabteilungen und Recruiter/innen andere Wege gehen, um die Unternehmen konkurrenzfähig zu halten. Als einer der zukunftsträchtigsten Wege dorthin gilt das Active Sourcing über digitale soziale Netzwerkdienste.

Der Fachkräftemangel wird zwar nahezu täglich von Politik, Wirtschaft und Medien in Deutschland beklagt und kommentiert. Dennoch ist es der einschlägigen sozialwissen- schaftlichen Forschung bislang nicht gelungen, das Instrument des Active Sourcing zur Personalrekrutierung so ergiebig zu untersuchen, dass aus wissenschaftlicher Perspek- tive daraus fundierte Erkenntnisse sowie unter praktischen Gesichtspunkten mögliche Handlungsorientierungen für Personaler/innen erwachsen wären. Zwar liegt ein ge- wisser Fundus an Literatur und Forschung vor, jedoch erweckt er den Eindruck, dass die Autor(inn)en den entscheidenden Problemen der Fachkräfterekrutierung auswei- chen und sich in Vermarktungsargumenten insbesondere für die digitalen Plattformen XING und LinkedIn verlieren. Im deutschsprachigen Raum, auf den sich diese Unter- suchung bezieht, existieren nur wenige grundlegende Studien zum vorliegenden

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Thema. Bei den verfügbaren Studien ist zudem Vorsicht geboten, da es sich überwie- gend um interessengeleitete Auftragsforschung handelt. Allen voran sind die seit 2002 jährlich veröffentlichten Studien „Recruiting Trends“3 der Otto-Friedrich-Universität Bamberg unter der Leitung von Tim Weitzel zu nennen, die im Auftrag von Monster durchgeführt werden. Auch das seit Jahren auf dem Markt agierende Institut für Com- petitive Recruiting (ICR) (Wolfgang Brickwedde) veröffentlicht regelmäßig quantita- tive Studien unter den Überschriften „Recruiting Trends“ und „Recruiting Reports“4 und arbeitet dabei offenbar eng mit den Netzwerkdiensten XING und LinkedIn zu- sammen. Und auch die Studie „Entwicklung der Personalbeschaffung in Deutschland“

(2012)5 der Hochschule RheinMain Wiesbaden wurde von einer Personalberatung der

„Real Staffing Group“ unterstützt. Ein ähnliches interessengeleitetes Bild liefert die einschlägige deutschsprachige Literatur, in der seit Jahren überwiegend dieselben be- reits bekannten Akteurinnen und Akteure referieren und die offenkundig von den ein- schlägigen Netzwerkdiensten unterstützt wird, betrachtet man bspw. die Werbung im Klappentext zur dritten Ausgabe des Praxishandbuchs „Social Media Recruiting“

(Dannhäuser: 2018). Im Hinblick darauf, jedoch mit einem Fokus auf die sozialen Me- dien im Personalmarketing, sind als die federführenden Autoren Christoph Beck, Wirt- schaftswissenschaftler von der Hochschule Koblenz, sowie Gero Hesse zu nennen. Es überrascht dann auch nicht, wenn in den dort gedruckten Interviews und Beiträgen überwiegend Beratungsunternehmen, Marketingagenturen, Rechtsanwälte und be- kannte Unternehmen zu Wort kommen. Verwendete Begriffe und Konzepte bleiben dabei häufig unklar, stattdessen arbeiten die Autor(inn)en mit plakativen Schlagwörtern und Floskeln. Zudem hinterlassen etliche Veröffentlichungen (vgl. beispielweise Dann- häuser 2018; Ullah 2018; Rechsteiner 2019; Beck 2012; Brenner 2009) den Eindruck, dass über die Jahre hinweg immer wieder gleiche Gedanken in verschiedenem Ge- wande, inhaltlich jedoch im Kern redundant wiedergegeben werden, ohne den Ent- scheidungsträgerinnen und -trägern in den brennenden praktischen Fragen wirklich weiterzuhelfen.

3 https://www.uni-bamberg.de/isdl/transfer/e-recruiting/recruiting-trends/ (zuletzt abgerufen am 31.08.2019).

4 https://www.competitiverecruiting.de/index.html#.XWodmygzZPY (zuletzt abgerufen am 31.08.2019).

5 https://assets.progressiverecruitment.com/PR_university_reports_v3.pdf (zuletzt abgerufen am 01.07.2019).

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Die vorliegende explorative Studie soll einen Beitrag dazu leisten, diese Forschungslü- cke zu schließen. Sie geht folgender Leitfrage nach: Wie nutzen Organisationen6 die neuen digitalen sozialen Netzwerkdienste zur Personalrekrutierung? In dieser Leitfrage sind zwei entscheidende Dimensionen enthalten. Zum einen geht es um eine Bestands- aufnahme, wie die Personalabteilungen deutscher Firmen mit dem Thema in ihrer kon- kreten Rekrutierungspraxis aktuell umgehen. Die andere Dimension der Leitfrage be- trifft die Analyse des Geschehens einschließlich des Teilaspektes, inwieweit die Prob- lematik in den Organisationen offen thematisiert und diskutiert wird.

Im Fokus steht aus organisationssoziologischer Sicht in beiden Fällen der Blick auf die sich wandelnden sozialen Praktiken in der Personalrekrutierung, welche an der Schnitt- stelle zur organisationalen Umwelt operieren. Die Verbindung zur Umwelt war der Personalrekrutierung schon immer immanent, aber es wurde von ihr nie so eindeutig erwartet und praktiziert wie von anderen Funktionen der Organisation, bspw. dem Vertrieb und dem Einkauf. Im Hinblick darauf ist seit geraumer Zeit in der personal- wirtschaftlichen Literatur zu lesen, dass von Recruiterinnen und Recruitern ein Ver- käuferdenken erwartet wird und sie ihre Organisationen in den Arbeitgebermärkten anpreisen sollen, um vakante Arbeitsplätze zu verkaufen.7 Mit Social Media verändert sich das Rekrutierungshandeln der Recruiter/innen und reicht direkt in die organisati- onale Umwelt hinein. Die weiterführende Frage, wie Personaler/innen dieses neue In- strument idealerweise einsetzen sollten, um ihr Recruiting zu optimieren, ist nicht mehr eigentlicher Gegenstand der Untersuchung, wird jedoch am Ende ebenfalls themati- siert.

Um die Leitfragestellung näher zu entfalten, gibt die Studie zunächst einen Überblick über die aktuellen Ansichten, Konzepte, Begriffe und Trends der Personalrekrutierung, die vor allem in den letzten Jahren und im zeitlichen Zusammenhang mit den Inter- nettechnologien diskutiert und unter der Überschrift Social Media Recruiting zusammen- gefasst werden. Weiter sind die Gründe und Grundlagen des explizit geforderten Wan- dels von Handeln und Struktur der Personalrekrutierung in den Blick zu nehmen. Dies erfolgt zum einen über eine Dokumentenanalyse der personalwirtschaftlichen Literatur

6 In dieser Arbeit wird auch der Begriff Unternehmen und Firma als eine Organisationsform der privaten Marktwirtschaft verwendet.

7 Furkel, Daniela (2013): Selbst suchen und finden. In: Personalmagazin 04/2013, S. 38.

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aus den vergangenen Jahren, um einen differenzierten Überblick über die diversen Be- griffe und Konzepte des Social Media Recruitings zu geben. Den Mittelpunkt und das Kernstück vorliegender empirischer Studie bildet die Analyse konkreter praktischer Wege zur Personalrekrutierung über digitale soziale Netzwerkdienste. Zu diesem Zweck wurden 15 Personalverantwortliche aus verschiedenen Bereichen der deutschen Wirtschaft als Expert(inn)en eingehend zu ihrer Rekrutierungspraxis über digitale so- ziale Netzwerkdienste befragt. In der inhaltsanalytischen Auswertung werden die Aus- sagen der Gesprächspartner/innen strukturiert zusammen- und einander gegenüber- gestellt.

Zum Sachhintergrund vorliegender Studie

Organisationen benötigen zur Sicherung ihres Bestandes Personal. Aufgrund der guten Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage der letzten Jahre und des demografischen Wandels in Deutschland wird eines der zentralen Probleme von Organisationen in der knappen Verfügbarkeit qualifizierter Mitarbeiter/innen gesehen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales spricht in dem Zusammenhang von „Fachkräftelücken“, die sich insbesondere im Gesundheitswesen, in technischen und naturwissenschaftlichen Be- rufen sowie im Management und bei leitenden Angestellten zeigen8. Zur Betitelung des Problems ist bereits seit 1997 der durch eine US-amerikanische Studie der Unter- nehmensberatung McKinsey geprägte Begriff „War for Talents“ gängig.

Dieser Wettkampf wird mehr und mehr über das Medium Internet ausgetragen. Vor- wegzunehmen ist an der Stelle, dass sich die vorliegende Studie nicht explizit mit dem Internet und den dahinterliegenden Technologien beschäftigt. Sie beschäftigt sich mit dem Handeln organisationaler Akteurinnen und Akteure im Kontext der Personalrek- rutierung über digitale soziale Netzwerkdienste. Allerdings kann die Technik auch nicht gänzlich unerklärt und außer Acht gelassen werden, da sie Anstoß und auch Bestandteil der starken Veränderungen in der Personalrekrutierung ist. Die Internettechnologien sind eine wesentliche Triebkraft der Digitalisierung in diesem Bereich und bringen in den Organisationen neue Handlungen hervor oder verändern die bisherigen Hand-

8 https://www.bmas.de/DE/Schwerpunkte/Neustart-in-Deutschland/Neustart-Arbeitsuchende/der- deutsche-arbeitsmarkt.html (zuletzt abgerufen am 05.12.2018).

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lungsroutinen. Ein vergleichbarer Einschnitt, der die Organisationen maßgeblich ver- änderte, war die Erfindung des Buchdrucks, als „Revolutionierung der Kommunikati- onstechnologien“ (vgl. Türk et al. 2006: 47f). Die dort entstandenen Möglichkeiten zur Speicherung, Weitergabe und Zugänglichmachung von Wissen hatten bereits einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung von Organisationen. Heute stellen die technischen Mittel zur Erfassung, Speicherung, Interpretation und Kommunikation von Daten und Informationen ein Grundprinzip datengetriebener Unternehmen dar.

Quantitative Studien zeigen, dass das Internet als „neuer sozialer Handlungsraum“

(Boes et al. 2006: 11) seit mehr als 10 Jahren zunehmend von Organisationen zum Zwecke der Personalrekrutierung genutzt wird (z. B. Erhebungen des Statistischen Bundesamtes9). Zahlreiche Strategien, Konzepte, Begriffe und Beratungsprodukte der personalwirtschaftlichen Praxis kommen seitdem auf den Markt und scheinen der Per- sonalrekrutierung ein hohes Maß an Bedeutung und Aufmerksamkeit zu schenken.

Personalrekrutierung als eine der zentralen Aufgaben des Human Resources Manage- ments (HRM) als Funktion der Organisation meint den gesamten personalwirtschaft- lichen Prozess von der Personalbedarfsplanung bis zur Einstellung. Zentrale Aspekte der Personalrekrutierung sind die Suche und die Auswahl passender Kandidat(inn)en, wobei die Modalitäten der Suche bereits entscheidende Implikationen für die Auswahl liefern – bspw. durch die Entscheidung, über welchen sogenannten Rekrutierungskanal nach neuen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gesucht werden soll. Die Frage, wann die Recruiter/innen sich für die Anwendung von Active Sourcing entscheiden, spielt entsprechend auch für die vorliegende Studie eine Rolle, da diese Wahl vermutlich auch Konsequenzen für die Auswahl eines Kandidaten oder einer Kandidatin hat.

Mit dem Konzept des Active Sourcings sind insbesondere die aktive Suche und die aktive Kontaktaufnahme zu zumeist unbekannten Jobkandidat(inn)en innerhalb der digitalen sozialen Netzwerkdienste (bspw. XING und LinkedIn) zum Zwecke der Rek- rutierung gemeint. Digitale soziale Netzwerkdienste bieten dahingehend in erster Linie – ebenso wie Onlinejobportale, Karrieremessen, Bildungseinrichtungen und Mitarbei-

9 https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Unternehmen/IKT-in-Unternehmen- IKT-Branche/Tabellen/iktu-5-nutzung-social-media.html (zuletzt abgerufen am 18.09.2019).

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ter(innen)empfehlungen – eine Möglichkeit des ersten Kontaktes zwischen Organisa- tionen und potentiellen Jobkandidat(inn)en. Als eines der zentralen Probleme der Per- sonalrekrutierung gilt in dem Zusammenhang das Problem des Zugangs zu und der Erreichbarkeit von potentiellen Jobkandidat(inn)en. Inwiefern die Nutzung digitaler sozialer Netzwerkdienste und damit verbunden das aktive Handeln der Recruiter/in- nen in die Organisationsumwelt hinein hierfür eine Lösung sein kann, wird ebenfalls Teil der Fragestellung sein.

Digitale soziale Netzwerkdienste werden als Plattformen verstanden, deren zentrale Merkmale das selbstverfasste digitale Profil, die Vernetzung mit anderen Nutzern und Nutzerinnen sowie die Möglichkeit der Kontaktaufnahme über das Senden von Nach- richten sind. Jegliche Anwendungen der zentralen Netzwerkfunktionen (Suchen, An- sprechen, Vernetzen) können immer nur über ein persönliches (Recruiter/innen-) Profil erfolgen. Durch den Erwerb von kostenpflichtigen Nutzerlizenzen stehen den Organisationen zudem verschiedene Funktionen der Netzwerkdienste zur Verfügung, die den Einzelnen nicht zugänglich sind, wie bspw. die erweiterte Suchmaske des XING-TalentManagers.

Kontrastiert werden die neuen Rekrutierungspraktiken des Active Sourcings mit dem sogenannten Post & Pray als der bisher üblichen und weitverbreiteten Methode der Schaltung einer Stellenanzeige, der anschließenden Sichtung eingehender Bewerbun- gen und der Auswahl derjenigen, die für die beworbene Position als geeignet erschei- nen. Dass die Kontaktaufnahme zu potentiellen Kandidat(inn)en über den Zugang der Stellenausschreibung kaum noch Erfolg zu haben scheint und darüber schon gar nicht die „richtigen“ Kandidat(inn)en gefunden werden können, lassen die eingangs zitierte Textstelle und das folgende Zitat vermuten.

„Der 2.0-Recruiter […] habe erkannt, dass er auf diese Weise zwar noch Bewerbungen bekomme, längst aber nicht die richtigen Kandidaten“

(Trappe 2017).10

10 Trappe, Thomas (2017): Post, pray, lose (im Interview mit Ralph Dannhäuser, Hrsg. des Buches „Praxis- handbuch Social Media Recruiting“). Online verfügbar unter URL: https://www.humanresourcesmana- ger.de/news/post-pray-lose.html (zuletzt abgerufen am 01.12.2018).

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Vor dem Hintergrund der Leitfrage nach der organisationalen Rekrutierungspraxis ist in der vorliegenden Untersuchung zu klären, wie die Personalabteilungen die richtigen Kandidat(inn)en über digitale soziale Netzwerkdienste „ermitteln“.

In Abgrenzung zum Recruiting 2.0 wird das Recruiting 1.0 in der Fachliteratur abwer- tend als reaktive Stellenverwaltung nach dem Post-and-Pray-Prinzip beschrieben, wäh- rend das Recruiting 2.0 proaktiv wirkt und die Beratung des Unternehmens einschließt.

In der gängigen Fachliteratur ist zudem bereits die Rede von den Recruiterinnen und den Recruitern 4.0 (vgl. Fenner 2018: 544). Im Unterschied zu den anderen X.0-Re- cruiterinnen und -Recruitern seien sie „[..] aktiv, bidirektional in den aktuellen Netz- werken der Zielgruppen, im Interesse ihrer Unternehmen, präsent […]“ (Fenner 2018:

544). Wie verändern sich im Zuge von Social Media die Handlungsoptionen und -an- forderungen an die Recruiter/innen?

Die vorliegende Untersuchung ist eine organisationssoziologische und wenn von Or- ganisationen die Rede ist, dann von besonderen Modalitäten des Organisierens. Nach Weick heißt Organisieren, „fortlaufend […] Handlungen zu vernünftigen Folgen zu- sammenzufügen, so daß vernünftige Ergebnisse erzielt werden“ (Weick 1985: 11). Im Falle der Organisation heißt vernünftiges Organisieren durchgängig, dass Handeln re- gelgeleitet, zweckrational, zielgerichtet, arbeitsteilig und hierarchisch stattfindet und dass das Handeln und dessen Ergebnisse als sinnvoll und legitim anerkannt werden.

Beim Zusammenschluss von Ressourcen und der Formulierung von Regeln werden Ziele verfolgt, die nicht zwingend und für jedes Mitglied die eigenen sind, zu denen sie sich aber verpflichten, um Mitglied zu werden oder zu bleiben (vgl. Kühl 2011: 31).

Die Organisationsforschung hat aber auch gezeigt, dass das Funktionieren von Orga- nisationen entscheidend vom informellen sozialen Austausch der Mitglieder abhängig ist und nicht unbeeinflusst bleibt von der Umwelt wie bspw. dem Arbeitsmarkt, der technologischen Entwicklung oder aktuellen Trends (Preisendörfer 2011/2016). Eines der bedeutendsten und in der Gegenwart immer überlebenswichtigeren Tätigkeitsfel- der von Organisationen liegt im Anwerben von Personal und damit in der Sicherstel- lung der eigenen Leistungsfähigkeit.

Festgehalten wird, dass mit der Personalrekrutierung eine Reihe von Herausforderun- gen und Risiken für Organisationen verbunden sind und insbesondere die Suche von

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Personal nicht zuletzt durch die Internettechnologien mehr in den Fokus des Human Resources Managements gerückt ist.

Neuer qualitativer Untersuchungsansatz

Zum Thema der Personalrekrutierung in Organisationen liegen kaum qualitative Un- tersuchungen vor. Die Frage, wie Mitarbeiter/innen gesucht und angeworben werden, betrachtet die Wissenschaft zumeist unter quantitativen Gesichtspunkten nach der Wirksamkeit einzelner Suchstrategien und insbesondere mit Blick auf die jeweilige Nutzungshäufigkeit (bspw. Studien des Instituts für Arbeitsmarktforschung [IAB11]).

Hinlänglich vorhanden ist jedoch fachspezifische Beratungsliteratur zum Thema Per- sonalrekrutierung. Im Bereich der Suche und Ansprache potentieller Kandidat(inn)en haben vor allem die Sozialkapitalforschung und die Arbeitsmarktforschung die Rekru- tierung über persönliche Netzwerke und Mitarbeiter(innen)empfehlungen betrachtet (bspw. Studien des Instituts für Arbeitsmarktforschung [IAB12]).Auch die Mechanis- men, die durch Prozesse der Rekrutierung zur Ausgrenzung aus Arbeitsmarktchancen führen, wurden untersucht (bspw. Windolf/Hohn 1983). Qualitative Studien zur Suche und Auswahl von Personal wurden in Deutschland nur sehr wenige verfasst. Beispiel- haft ist die Untersuchung von Wilz (2009) zu nennen. Sie beschreibt das Verfahren des Executive Search über Personalberater/innen unter anderem unter dem Aspekt der Einstellungsentscheidung (Wilz 2009: 49). Die empirische Studie von Hauptmann (2012) betrachtet aus Sicht der Organisationforschung die computervermittelte Kom- munikation über Social Media. Mit Blick auf die Personalauswahl beschäftigt sich die Wissenschaft jedoch vorrangig damit, geeignete Auswahlinstrumente zu entwickeln und zu evaluieren, die dem Zweck des Human Resources Managements dienen und das Ziel der Personalrekrutierung nach geeigneter Passung unterstützen. Allem voran steht der diagnostische Blick auf die Personalauswahl unter Anwendung wissenschaft- licher Methoden (z. B. Kanning 2019). Generell kann man sagen, dass das Thema der Personalrekrutierung üblicherweise ein betriebswirtschaftliches und im Hinblick auf die Auswahlinstrumente ein psychologisches ist. Die Methoden und Techniken der

11 http://doku.iab.de/kurzber/2017/kb1817.pdf (zuletzt abgerufen am 09.11.2019).

12 https://infosys.iab.de/infoplattform/dokSelect.asp?pkyDokSelect=115&sort-

Lit=2&show=Lit&title=Soziale_Netzwerke_und_Arbeitsmarkt____ (zuletzt abgerufen am 18.09.2019).

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Auswahl, insbesondere der Eignungsdiagnostik, stehen aktuell mehr im Fokus des In- teresses als die Verfahren der Suche nach Personal. Die vorliegende Studie handelt jedoch in erster Linie von einem neuen Verfahren der Suche, dem Active Sourcing, aus einer dezidiert organisationssoziologischen Perspektive. Unter Berücksichtigung der bisherigen Kenntnisse und Diskurse zum Gegenstand der Personalrekrutierung geht es um die Leitfrage dieser Studie nach den Rekrutierungspraktiken mit Hilfe digitaler sozialer Netzwerkdienste aus Sicht der organisationalen Akteurinnen und Akteure. Das Active Sourcing ist in besonderem Maße motiviert durch das Aufkommen der Inter- nettechnologien, die von außen auf die Organisationen einwirken und mit denen sie sich unweigerlich beschäftigen müssen, zumal wenn sie in ihrer Umwelt als moderne und innovative Unternehmen gelten wollen.

Abbildung 1 veranschaulicht den Fokus vorliegender Studie noch einmal im Überblick.

Abbildung 1: Analyserahmen und Fokus der Untersuchung

(Eigene Darstellung)

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Gang der Untersuchung

Aus der Leitfragestellung der Arbeit nach der Nutzung digitaler sozialer Netzwerk- dienste zur Personalrekrutierung von Organisationen ergibt sich ein sinnvoller Aufbau der Studie, die bei einer theoretischen Grundlegung in Kapitel zwei und drei ansetzt.

Entlang eines fundamentalen Wandels im Verständnis wie auch im Selbstverständnis von Organisation betrachtet Kapitel zwei ihre entscheidenden Merkmale wie auch die Kriterien bei der Personalsuche und -auswahl, die konstitutiv für die Mitgliedschaft und die Vergabe von Positionen in einer Organisation sind. Bekannt ist bspw., dass die organisationale Mitgliedschaft zumeist einen entscheidenden identitätsbildenden Ein- fluss auf die Einzelnen hat, wobei beide zueinander passen sollten. Entscheidend im Hinblick auf die Leitfrage der Arbeit ist: Was als konstitutiv für das Gelingen von Or- ganisationen gilt, hat besonderen Einfluss auf die Sichtweise des Personals und wirkt sich auch auf die Praktiken der Personalrekrutierung aus. Dies wird im zweiten Teil des Kapitels erläutert.

Ausgehend von dem Vorverständnis von Organisation und entlang der Fragestellung nach den Rekrutierungspraktiken wurde die Strukturationstheorie nach Anthony Gid- dens als theoretischer Rahmen für die empirische Untersuchung gewählt – ihre Leit- ideen sind in Kapitel drei zu entfalten. Die Strukturationstheorie, die im Grunde eine Sozialtheorie ist, wurde von der Forschung bereits zur Analyse verschiedener organi- sationaler Fragestellungen angewendet. In ihrem Zentrum stehen soziale Praktiken, in denen Handelnde durch die Bezugnahme auf Strukturen gleichermaßen diese Struktu- ren produzieren und reproduzieren. Handeln wird immer im Zusammenhang mit dem sozialen Akteur, dessen Eingebundenheit in Strukturen sowie seinem Umfeld betrach- tet. Die Strukturationstheorie liefert damit ein umfangreiches Analyseraster, um das Handeln von Akteur(inn)en in der sozialen Praxis zu erfassen. Denn auch beim Ver- fahren des Active Sourcing handeln Akteure und Akteurinnen, indem sie sich zum einen an etablierten Strukturen orientieren, beispielsweise der Organisation und der Personalrekrutierung, und gleichzeitig zu deren Veränderungen beitragen, und zwar durch ihr Handeln. Ganz entscheidend bei der Personalrekrutierung über digitale so- ziale Netzwerkdienste ist der Bezug zur Umwelt, da sowohl die Personalmärkte als auch die Mechanismen der Netzwerkdienste auf das Rekrutierungshandeln Einfluss

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nehmen. Nach Giddens sind Akteurinnen und Akteure handlungsmächtig und reflexi- onsfähig, das heißt, sie kennen die Inhalte und Gründe des eigenen Handelns und kön- nen darüber Auskunft geben. Aus diesem Grund eignen sich die Erhebungsmethode der Expert(inn)eninterviews und deren inhaltsanalytische Auswertung für die Bearbei- tung der gewählten Fragestellung. Zudem können mit der Strukturationstheorie Orga- nisationen als offene soziale Systeme betrachtet werden, die im wechselseitigen Aus- tausch mit ihrer Umwelt stehen. Diese Sichtweise geht einher mit der des Neoinstitu- tionalismus, der in dieser Arbeit nicht im Einzelnen betrachtet wird, der allerdings die Beantwortung der zentralen Fragestellung mit Blick auf das Verhältnis zwischen Or- ganisation und Umwelt unterstützt. Nach der Sichtweise des Neoinstitutionalismus agieren Organisationen in einem gesellschaftlichen Umfeld, dessen Anforderungen und Einflüsse entscheidende Bedeutung für das organisationale Handeln haben (vgl.

Senge 2011: 14).

Im Rahmen der strukturationstheoretischen Analyse werden die digitalen sozialen Netzwerkdienste als technische Systeme in die Analyse mitaufgenommen. Neben de- ren Beschreibung ist auch die Darlegung des Technikverständnisses dieser Arbeit er- forderlich. Die Analyse im Sinne der Strukturationstheorie folgt dem Technikverständ- nis von Rammert, wonach Technik als materielle Infrastruktur zu verstehen ist, die in alltägliches Handeln eingebaut ist (vgl. Rammert 2007: 14). Rammert/Schulz-Schaeffer sprechen von dem „Mit-Handeln der Technik“ und sehen Mensch und Technik als ein

„gemeinsames Geflecht vermischter Aktivitäten“ (Rammert/Schulz-Schaeffer 2007:

92). Softwaretechnik bezeichnen sie als „Techniken in Aktion“ (Rammert/Schulz- Schaeffer 2007: 92). In diesem Sinne versteht die Studie digitale soziale Netzwerk- dienste als aktive technische Infrastruktur zum Zwecke der Personalrekrutierung.

Nachdem der organisationstheoretische Rahmen abgesteckt ist, wird zunächst in Ka- pitel vier das Personalwesen von Organisationen betrachtet, das heute weitgehend in- stitutionalisiert unter der Bezeichnung „Human Resources Management“ (HRM) be- kannt ist. Ziele, Aufgaben und zentrale Praktiken sowie die Probleme der Personalrek- rutierung als Teildisziplin des HRM werden skizziert sowie relevante Begriffe und Konzepte erläutert, die für die Leitfragestellung von Bedeutung sind. Im Anschluss

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daran beschreibt Abschnitt 4.5 am Beispiel des beruflichen Netzwerkes XING die ak- tuellen zentralen Funktionen digitaler sozialer Netzwerkdienste, die der organisationa- len Personalrekrutierung zur Verfügung stehen.

Im Anschluss an die bis dahin getätigten Ausführungen zum Gegenstand und vor dem Hintergrund der Strukturationstheorie dokumentiert Kapitel fünf die Methoden zur Datenerhebung und zur Datenanalyse. Deduktiv, aus der zugrunde liegenden Theorie und der vorausgehenden Analyse des Diskurses heraus, werden Vorannahmen formu- liert, die als Grundlage für die Expert(inn)eninterviews dienen. Als eine weitere Daten- ebene wird die Dokumentenanalyse erläutert, das heißt eine Untersuchung, inwieweit gegenwärtige personalwirtschaftliche Fachzeitschriften sich dem Thema Nutzung di- gitaler sozialer Netzwerkdienste zur Personalrekrutierung widmen. Sie ermöglicht ei- nen Überblick über die aktuellen personalwirtschaftlichen Themen der Personalrekru- tierung und zugleich die thematische Eingrenzung des Instruments Active Sourcing.

Die empirischen Befunde der Dokumentenanalyse und der Expert(inn)eninterviews werden in Kapitel sechs entlang der definierten Kategorien und Merkmalsausprägun- gen aufgeführt, bevor in Kapitel sieben die Anbindung der empirischen Ergebnisse an die Strukturationstheorie erfolgt und in Kapitel acht ein abschließendes Fazit gezogen wird.

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2 Zum Begriff der Organisation

Moderne Organisationen, zu denen auch Wirtschaftsunternehmen zählen, zeichnen sich durch eine all ihren Mitgliedern gemeinsame Leitzielsetzung aus, die in einen kon- kreten Arbeitsauftrag mündet. Vor diesem Hintergrund wird sich eine Organisation intern in der Regel zielgerichtet organisieren und dafür adäquate Modalitäten heraus- bilden, um ihre Ziele bestmöglich zu erreichen (vgl. bspw. Kühl 2011). Gerade die Rekrutierung neuer Mitarbeiter/innen betrifft den Lebensnerv einer Organisation, denn ohne geeignetes Personal stellt sich die Frage, ob sie noch in der Lage ist, ihren Auftrag angemessen auszufüllen, was in extremen Fällen bis hin zu Zweifeln an ihrer Existenzberechtigung reichen kann. Daher tangiert die dieser organisationssoziologi- schen Studie zugrunde liegende zentrale Fragestellung, in welcher Weise Organisatio- nen digitale soziale Netzwerkdienste zur Personalrekrutierung nutzen, deren Kapazi- täten zur Aufnahme von äußeren gesellschaftlichen Einflüssen, Fähigkeiten zu inter- nen Arrangements wie auch Legitimation angesichts eines gegenwärtig tiefgreifenden und bei Weitem nicht nur kommunikationstechnologischen Wandels.

Wandel in der Gesellschaft zieht früher oder später organisationale Veränderungen nach sich. Denn die Gesellschaft kommt u. a. in Organisationen zum Ausdruck und zur Wirkung, andererseits wird die Organisation durch die Gesellschaft konstituiert (vgl. Türk 1978: 49). Bei der Betrachtungsweise von organisationsbezogenen Fragen handelt es sich daher lediglich um ein theoretisches Analyseraster (vgl. ebd. 49). „Or- ganisationen sind […] in jeder Hinsicht verwoben mit anderen gesellschaftlichen/so- zialen Prozessen (in Wirtschaft, Kultur und Politik) […]“ (Wilz 2015: 257). Aktuelle gesellschaftliche Diskurse werden regelmäßig in Kontexten organisationaler Strate- gieänderungen und Anpassungen aufgenommen und diskutiert. Darüber nehmen sie Einfluss auf zentrale Strukturen und Handlungen, mit denen sich u. a. das Human Re- sources Management in Organisationen beschäftigt, insbesondere das Recruiting (die Beschaffung von Personal) und das Retaining (das Binden von Personal).

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24

Der erste Teil dieses Kapitels gibt einen zusammengefassten Überblick der Entwick- lung13 sowie des heutigen Verständnisses von Organisationen. Der Abschnitt soll in die zentrale Fragestellung nach der Rekrutierung über digitale soziale Netzwerkdienste einführen und thematisiert daher auch die Eintrittsvoraussetzungen und Kriterien zur Vergabe von Positionen an Individuen in Organisationen entlang der historischen Ein- ordnung. Die aktuellen Veränderungstendenzen von Organisationen werden im Hin- blick auf deren Selbstverständnis, Grenzziehung sowie Möglichkeiten, virtuell und weltweit zu agieren, kurz aufgegriffen. Der zweite Teil des Kapitels zeigt zentrale wis- senschaftliche Perspektiven auf das Ordnungsschaffen in Organisationen. Wesentlich in diesem Zusammenhang sind die handelnden Personen, die nach funktionalen, rati- onalen14 Gesichtspunkten in einer regelgeleiteten hierarchischen Ordnung zusammen- arbeiten. Darüber hinaus haben auch informelle soziale Netzwerke, Austauschbezie- hungen und die außerorganisationale Identität der Organisationsmitglieder eine hohe Relevanz für das Gelingen von Organisationen. Mit einem neoinstitutionalistischen Blick auf Organisationen werden etablierte organisationale Beziehungen und Handlun- gen, Strukturangleichungen sowie die Notwendigkeit zum Austausch mit der Umwelt kurz erläutert.

Organisationen, wie wir sie heute kennen, existieren innerhalb eines bestimmten Rah- mens mit institutionalisierten Strukturen. Entsprechend besteht eine allgemein aner- kannte Übereinkunft darüber, wie Personal angeworben und rekrutiert wird. Mit den eingetretenen gesellschaftlichen Veränderungen unterliegt aber auch diese Sichtweise dem Wandel.

13 Ausführliche historische Überblicke finden sich beispielsweise in den Ausführungen von Klaus Türk (1978, 2000, 2006), aber auch bei William Richard Scott (1986), Alfred Kieser (2007), Georges Lapassade (1972) und Emil Walter-Busch (1996).

14 Der Terminus Rationalität bezieht sich nicht auf die Auswahl, die Festlegung der Ziele, sondern auf ihre Implementierung. Das Ziel kann also noch so irrational sein, es wird pflichtbewusst und rational verwirk- licht (vgl. Scott 1986: 92f). Das Konzept der Rationalität „bedeutet nicht notwendigerweise, daß organi- satorisches Handeln logisch oder vernünftig ist, sondern eher, daß es auf ein Ziel erdacht, gemeint, geplant, kalkuliert oder entworfen ist“ (Weick 1995: 35).

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2.1 Organisationen als gesellschaftliche Faktizität

„Als Mitglied, Klient oder Zaungast von Organisationen verfügen wir alle über vielfältige Erfahrungen“ (Walter-Busch 1996: 2).

Mit dem heutigen Alltagsverständnis erscheint die Frage, was eine Organisation ist, fast schon trivial. Da wir mitten in Organisationen leben, sind wir uns ihrer Anwesenheit, ihrer Wirkung und ihres Einflusses im Alltag kaum noch bewusst. „Organisationen sind für das praktische Erleben und Handeln eine Faktizität, ein sozialer Sachverhalt“

(Türk 1978: 1). Auch vorherige Gesellschaften waren organisiert und hatten eine Ord- nung, beispielsweise in Familiengemeinschaften, in die nahezu alle Lebensbereiche in- tegriert waren. Zwar gab es eine hierarchische Ordnung, die in aller Regel identisch mit den verwandtschaftlichen Strukturen war, aber es fehlte das für heutige Organisationen wichtige Merkmal der freiwilligen Mitgliedschaft15 (vgl. ebd. 4f.). Aus heutiger Sicht ist das „Management der Mitgliedschaft […] ein zentrales Merkmal von Organisationen.

Über die Mitgliedschaft wird trennscharf festgelegt, wer zu einer Einrichtung gehört und wer nicht“ (Kühl/Strodtholz 2002: 12).

Mitgliedschaft entscheidet sich im Prozess der Personalrekrutierung üblicherweise ent- lang funktionsabhängiger Auswahlkriterien, die ein zentrales Merkmal entwickelter In- dustriegesellschaften sind (vgl. Laske/Weiskopf 1996: 303). Dementsprechend sollten bspw. freundschaftliche und parteiliche Verbundenheit sowie familiale Kriterien bei der Einstellung keine Rolle spielen, da sie sich als kontraproduktiv erwiesen haben und dem organisationalen Rationalitätsanspruch entgegenstehen, der von Laske/Weiskopf kritisch als „Rationalitätsanschein“ bezeichnet wird (vgl. ebd.) Mit dem Ziel, Personal- auswahlentscheidungen von Willkür zu befreien, zu rationalisieren und gerechter zu machen (vgl. ebd.), werden heute eine Vielzahl sogenannter personalwirtschaftlicher Auswahlinstrumente eingesetzt, die eine Einstellungsentscheidung begründen und zu- mindest legitimieren. Mit dem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wurde 2006 zudem

15 Die 1380 gegründete Ravensburger Handelsgesellschaft war eine Gesellschaft von Fernhandelskaufleuten und eine der ersten Organisationen mit einem relevanten Merkmal von Organisation, der freiwilligen Mit- gliedschaft. Kaufleute konnten ihr beitreten und auch wieder austreten, einige brachten Kapital und Ar- beitskraft ein und andere waren stille Gesellschafter (vgl. Kieser 2007: 5). Auch die Freimaurer des 18.

Jhd. bildeten eine freiwillige Vereinigung und leisteten einen bedeutenden Beitrag zur Entstehung von Organisationen (vgl. ebd., 5).

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26

eine gesetzliche Grundlage zur Regulierung der Such- und Auswahlkriterien sowie der Einstellungsbedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit geschaffen, um die „Be- nachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Ge- schlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität […] zu verhindern oder zu beseitigen“ (§ 1 AGG).

Organisationen der Moderne

Bereits das Konzept der „juristischen Person“ führte zu einer „Virtualisierung“ von Organisationen, deren Grenzen nicht mehr alleine durch die räumliche Konzentration bestimmt werden (vgl. Türk et al 2006: 263). Von der Organisation als Person zu spre- chen war zunächst eine formaljuristische Konstruktion16, mit der Rechte und Pflichten einhergehen, die über gesetzliche und normative Verhaltensvorschriften den Men- schen in der Organisation zugeschrieben werden. In den letzten Jahren etablierte sich zudem die Vorstellung von der Organisation als Kultur mit eigenen Werten, Normen, Ritualen und Überzeugungen. „Heute ist es im Alltag offenbar ganz unproblematisch und selbstverständlich, Organisationen als ‚Personen‘ oder gar als (handlungsfähige)

‚Subjekte‘ zu betrachten“ (Türk et al 2006: 265). Türk bezeichnet es als die „Dimension der Vergemeinschaftung“, die durch Strukturen organisationsbezogener Unterneh- menskultur oder auch „Corporate Identity“ dargestellt wird und durch die Prozesse der Identitätsbildung und Schließung möglich sind (vgl. Türk 1997: 176). Heute scheint die kulturelle Übereinstimmung zwischen der Person und Organisation ein wichtiges Kriterium mit Blick auf die Passung zu sein. In der aktuellen personalwirtschaftlichen Praxis wird diesbezüglich von „Cultural-Fit“ und von „Person-Organisation-Fit“ ge- sprochen (vgl. Ullah/Witt 2018: 103). Diese Denkweise nimmt heute bereits Einfluss auf die Personalrekrutierung, worauf hier an späterer Stelle weiter eingegangen wird.

Aktuelle Entwicklungen, die sich aus den technischen Möglichkeiten der computerge- stützten Kommunikation ergeben – bspw. Homeoffice, Netzwerkorganisationen und

16 Seit Beginn des 20. Jahrhunderts werden Organisationen als abstrakte Orte der Ordnung und der Zurech- nung von Handlungen, Aufwendungen und Erträgen verstanden und im Bürgerlichen Gesetzbuch als

„juristische Personen“ geführt (vgl. Türk et al. 2006: 88 f). Die Pflichten und Befugnisse werden dem Menschen zugerechnet. Wer jedoch zuständig ist und wer die Kompetenzen hat, bestimmt die jeweilige Verfassung oder Geschäftsordnung. Werden Betriebe bis hierhin als ökonomische Institutionen betrach- tet, spricht man seit dem 20. Jhd. von Organisationen (vgl. Lapassade 1972: 33).

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virtuelle Büros –, lassen die topografisch-materiellen Grenzen an Relevanz verlieren (vgl. Türk et al. 2006: 263). Leitworte wie Agilität, Mobilität und Entrepreneurship17 deuten ebenso auf einen Wandel von Organisationen hin. Hierarchische Strukturen werden abgelöst durch sogenannte „Governance“-Konzepte, die im Sinne einer libe- ralen Führung Hierarchieebenen abbauen und mehr Eigenverantwortung und Selbst- steuerung der Angestellten postulieren (vgl. ebd. 262 f.). Die Informations- und Kom- munikationstechnologien stellen die Grenzen zwischen Organisationen und ihren Marktumwelten in Frage.

„Vernetzungsprozesse lassen räumliche Grenzen von Organisationen an Bedeutung verlieren, […] machen den Mitgliedsstatus ambivalent und lösen funktionale Differenzierungen […] auf (vgl. Teubner 2001:

1).18

Zudem wecken die Möglichkeiten der digitalen Technologien organisationale Erwar- tungen hinsichtlich einer digitalen Leistungsvermessung und unbegrenzten Erreichbar- keit der Einzelnen.

2.2 Organisationen und organisationales Handeln

Das organisationssoziologische Denken entwickelte sich insbesondere aus den sozialen Fragen und Ansichten zur Gestaltung, Planung und Regierung der Industriegesell- schaft sowie aus der Kritik bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse (vgl. Türk 1978:

21). Die Frage, wie die Entscheidungsträger/innen in Organisationen handeln und vor allem aufgrund welcher Kriterien sie ihre Entscheidungen treffen, wurde seitdem aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Im Folgenden werden kurz diejenigen skiz- ziert, mit denen sich nach wie vor organisationalen Denken und Handeln in Verbin- dung bringen lässt und die entsprechend für die hier gestellte Frage einer neuen Rek- rutierungsmethode relevant erscheinen.

17 Vgl. Ulrich Bröckling (2007) zum Begriff des „entrepreneurial self“ sowie die Ausführungen von Nicolas Rose (2000).

18 https://www.jura.uni-frankfurt.de/42828844/hybride_netzwerke.pdf (zuletzt abgerufen am 20.03.2018).

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28

Instrumentelle Rationalität und Kontrolle

Mit Blick auf organisationales Handeln ist die Frage des Ordnungsschaffens zentral.

Sie sollte zunächst sowohl durch ein technokratisches Regieren,19 also auch ein positi- vistisches Denken20 beantwortet werden. Im Vordergrund dieser Denkrichtungen ste- hen die rationale und effektive Planung sowie die zielorientierte Durchführung eines Vorhabens nach wissenschaftlichen Analysen und Erkenntnissen. Die bekanntesten Modelle dieser Richtung sind der Weber’sche Bürokratieansatz (Wirtschaft und Ge- sellschaft, 1922) und die wissenschaftliche Betriebsführung von Taylor (Scientific Ma- nagement, 1911). „Weber hat den Prozess der Rationalisierung beschrieben, den Tay- lor21 im Bereich der Arbeitsorganisation vorangetrieben hat“ (Kieser 2001: 75). Mit Rationalisierung sind die Berechenbarkeit und Beherrschbarkeit „der Probleme der na- türlichen und sozialen Welt durch Wissenschaft, Technik und Organisation“ gemeint (Kieser 2001: 42). Aus dieser Perspektive werden insbesondere die Zielspezifität sowie die Formalität der Organisation betrachtet (vgl. Scott 1986: 94). Die formale Struktur der Organisation „spezifiziert, welche Aufgaben zu erfüllen sind, welche Art von Per- sonal es anzustellen gilt, wie die Ressourcen unter den Beteiligten aufzuteilen sind“

(ebd. 94). Entsprechend sollen sich die Eintrittsvoraussetzungen des Personals an rein rationalen Kriterien orientieren, insbesondere an der qualifizierten Ausbildung und der bürokratischen Persönlichkeit (vgl. Weber 1976: 552f.). Die Personalauswahl soll un- beeinflusst von individuellen Merkmalen sein, die nicht unmittelbar den Organisati- onsinteressen und Organisationszielen dienen (vgl. Scott 1986: 248f.).

19 Die Vertreter/innen der Technokratie, von der man sagen kann, dass sie die Grundlage für die ersten Managementinstrumente der Moderne schuf, sprechen sich für eine rational organisierte soziale Ordnung aus und empfehlen eine enge Verbindung von Wissenschaft und Industrie (vgl. Lapassade 1972: 35).

20 Comte als Begründer des Positivismus postuliert, dass soziale Probleme durch wissenschaftliche Analyse gelöst werden können. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse könnten entsprechend für den Aufbau einer besseren, konfliktfreien Gesellschaft verwendet werden. Nur das gelte, was durch Fakten belegt und lo- gisch begründbar sei.

21 Frederick Winslow Taylor entwickelte (1911) in den USA mittels Zeit- und Bewegungsstudien ein System der wissenschaftlichen Betriebsführung (Scientific Management), das zu den klassischen Organisations- modellen gehört (vgl. Hillmann 2007: 885). Ziel seiner Analyse war die optimale Verbindung der Arbeits- plätze mit dem Arbeitsablauf zur Erreichung der maximalen Arbeitsproduktivität (vgl. Hillmann 2007:

885). In dem Zusammenhang wird das Bild der Organisation als „Maschine“ häufig bemüht, um die for- male Struktur und die Berechenbarkeit der organisatorischen Prozesse zu verdeutlichen (vgl. Kühl 2011:

91).

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Die Suche und die Auswahl von Personal ist teuer und risikoreich und selbstredend orientiert sich die Personalrekrutierung auch heute noch und gerade in Unternehmen, die in Deutschland ansässig sind, an einer nachweislich qualifizierten Ausbildung. Auch besteht der Anspruch, dass die Persönlichkeit der rekrutierten Person zur Organisation passen muss, wie anhand des Begriffs „Person-Organisation-Fit“ bereits gezeigt wurde.

Auch wird die Einstellungsentscheidung üblicherweise durch die Anwendung wissen- schaftlicher Kenntnisse, insbesondere der Personaldiagnostik, abgesichert und ge- stützt. In Kapitel vier wird dieser Punkt nochmals aufgegriffen.

Informelle Organisation und sozialer Austausch

Mit der Bürokratiekritik sah sich die Industrie mit den Fragen nach der Arbeitsmotiva- tion und Arbeitsleistung konfrontiert. Im Rahmen einer arbeitswissenschaftlichen Un- tersuchung über maßgebliche Leistungsfaktoren kam Mayo im Auftrag der Western Electric Company 1924 zu dem Ergebnis, dass es die informellen Beziehungen inner- halb von Arbeitsgruppen sind, die sich positiv auf die Arbeitsleistung auswirken (vgl.

Lapassade 1972: 39). Die Entdeckung der „menschlichen“, informellen Organisation war der Ausgang der Human-Relations-Schule. Man erkannte, dass neben der bisher betrachteten formalen Struktur informelle Netzwerke bestehen, deren Prinzip eher die Reziprozität – der soziale Austausch – als die hierarchische Ordnung ist (ebd. 45). Die Hawthorne-Studien kamen zu dem Ergebnis, dass die informellen Strukturen und Pro- zesse die „formalen stützen und bekräftigen […] [und] Organisationen vielfach über- haupt erst gangbar machen, indem sie Regelungslücken schließen und für die erforder- liche Flexibilität sorgen“ (Preisendörfer 2011: 120). Informelle Netzwerke, soziale Be- ziehungen und der soziale Austausch sind insbesondere für die Personalrekrutierung relevant und die Rekrutierung über soziale Netzwerke ist längst gängige Praxis, wie noch unter Abschnitt 4.3 auszuführen ist.

Die Relevanz der Umwelt und Rationalitätsfassaden

„Die Interaktion mit der Umwelt ist für offene Systeme lebenswichtig“

(vgl. Scott 1986: 157).

Heute werden Organisationen als offene Systeme betrachtet und dem Zusammenhang zwischen Organisation und Umwelt wird ein zentraler Stellenwert beigemessen (vgl.

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Scott 1986: 16). Man vergleicht sie mit „Fassaden“, „Bühnen“ und dem „Theater“, deren Erfolge davon abhängen, durch eine geglättete Außendarstellung die Unterstüt- zung ihrer Umwelt zu mobilisieren (vgl. Kühl 2011: 89).

Vor allem der Neoinstitutionalismus22 sieht das reflexive Verhältnis von Organisation und Gesellschaft (vgl. Senge 2011: 14). Aus dieser Sichtweise erweist sich organisatio- nales Handeln als untrennbar mit Prozessen im gesellschaftlichen Umfeld verwoben, beide Größen konstituieren sich wechselseitig (vgl. ebd. 18). Organisationen passen ihre Struktur und ihr Handeln der Umwelt nicht ausschließlich mit dem Ziel der tech- nischen und ökonomischen Effizienzsteigerung an, sondern um der Organisation Le- gitimation gegenüber ihrer Umwelt und damit Stabilität zu verschaffen sowie den Res- sourcenzufluss (z. B. Arbeitskräfte) zu sichern (vgl. ebd. 2001: 326, Meyer/Rowan 1977: 348ff.). Die Folge des Legitimitätsstrebens ist laut Neoinstitutionalismus eine Strukturangleichung oder Isomorphie von Organisationen und Umwelt (vgl. Preisen- dörfer, 2011: 148). Das bedeutet zugleich, dass sich Organisationen solchen Organisa- tionen angleichen, die als vorbildlich, rational und effektiv gelten. Sie übernehmen Vor- bilder, Moden und Ideen anderer Organisationen (vgl. Wilz 2010: 21). Diese Ansicht geht weit über das Verständnis der Tauschbeziehungen zwischen Umwelt und Orga- nisation in offenen Systemen hinaus und sieht das Verhältnis als dramatische Inszenie- rung „gesellschaftlicher Rationalitätsmythen“ (vgl. Walgenbach 2001: 330). „[…] insti- tutional theories in their extreme forms define organizations as dramatic enactments of the rationalized myths pervading modern societies“ (Meyer/Rowan 1977: 346).

Damit sind Organisationsstrukturen und Organisationsziele nicht nur Produkt interner Entscheidungsprozesse, sondern ebenso gesellschaftlicher Anforderungen an Organi- sationen (vgl. Senge 2011: 13). Aus dieser Betrachtungsweise heraus wird auch erklärt, warum diverse soziale Beziehungen23 und Handlungen in Organisationen als so weit

22 Insbesondere die (neo)institutionalistischen Ansätze der Organisationstheorien weisen auf die Bedeutung der Umwelt für die Organisation hin.„Institutions inevitably involve normative obligations but often enter into social life primarily as facts which must be taken into account by actors. Institutionalization involves the process by which social processes, obligations, or actualities come to take on a rule like status in social thought and action“ (Meyer/Rowan 1977: 341).

23 Der Begriff der sozialen Beziehungen ist ein elementarer Grundbegriff der Soziologie, mit dem Max We- ber „ein seinem Sinngehalt nach aufeinander gegenseitig eingestelltes und dadurch orientiertes Sichverhal- ten mehrerer“ meint (Weber 1980: 13). Ein wesentliches Merkmal stellt dabei die Wechselwirkung von Handlungen einzelner Akteurinnen und Akteure dar. Es bestehen ein gemeinsamer Sinn und eine Ver- ständigung darüber, wie gehandelt wird (vgl. Weber 1980: 1).

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entwickelt und akzeptiert gelten, dass sie kaum noch hinterfragt werden (vgl. Walgen- bach 2001: 321). Standardisierte Praktiken der Personalauswahl gelten als selbstver- ständlich und werden von zeitgemäßen, modernen und fortschrittlichen Organisatio- nen zudem erwartet, auch wenn ihre tatsächliche Wirksamkeit in Frage steht (vgl.

ebd. sowie Berger/Luckmann 2000: 56ff.). Mit Blick auf die Personalrekrutierung und damit im Zusammenhang mit der Leitfragestellung vorliegender Arbeit mag als pas- sendes Beispiel für solche nicht mehr zu hinterfragenden Handlungen etwa das Faktum der Personalauswahl mittels eines Assessment-Centers „als ein selbstverständliches In- strument der Personalselektion“ (Walgenbach 2001: 321) gelten. Bewerber/innen be- reiten sich darauf intensiv zur Durchleuchtung ihrer Persönlichkeit vor (vgl. ebd. 2001:

321).

2.3 Zwischenfazit

Vor dem Hintergrund der Leitfrage nach der Nutzung digitaler sozialer Netzwerk- dienste zur Personalrekrutierung von Organisationen hat Kapitel 2 den Rahmen auf- gespannt, in dem sich modernes organisationales Handeln bewegt. Einerseits ging es um den historischen Weg zum heutigen Organisationsverständnis, auf der anderen Seite im institutionalistischen Sinne um interne Übereinkünfte und Praktiken, die der Arbeit der Organisation ein strukturelles Gerüst verleihen und damit auch ihre Metho- den der Personalrekrutierung legitimieren.

Ausgehend von der zentralen Fragestellung soll aus diesem Kapitel festgehalten wer- den, dass es bei der Organisation um zielgerichtetes Organisieren geht und dass die Modalitäten des Organisierens und deren Wandel entscheidend von anderen einfluss- reichen Organisationen, Gesellschaftssystemen und deren Wirkkräften abhängen. So- wohl das wachsende wissenschaftliche Interesse an der „Ressource Personal“, die po- litischen Gesetze und Regularien, die technologischen Entwicklungen als auch die in- teressengeleiteten Anbieter/innen personalrelevanter Produkte (z. B. Assessment- Center) haben Einfluss auf den Wandel im Denken über und im Umgang mit Personal.

Im Hinblick darauf dienen organisationale Anpassungen an die Umwelt nicht immer

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einem ökonomischen Zweck, sondern als Mittel zur Schaffung von Legitimität, Aner- kennung und Stabilität gegenüber der Umwelt und zur Sicherung des Ressourcenzu- flusses, bspw. von Arbeitskräften.

Das Management der (freiwilligen) Mitgliedschaft als ein wichtiges Merkmal von Or- ganisationen beginnt entscheidend beim Anwerben und Rekrutieren neuer Mitarbei- ter/innen und setzt die Grenzen des Zugangs und der Zugehörigkeit zu einer Organi- sation. Die Erwartungen an einen rationalen Charakter des Organisierens werden an den Ansprüchen deutlich, die an die Auswahl und die Auswahlkriterien zur Rekrutie- rung neuer Mitarbeiter/innen gestellt werden. Sie sollen funktionsabhängig, objektiv, rational, gerecht und nachvollziehbar sein und heute sowohl der Identität der Organi- sation als auch der außerorganisationalen Identität der Einzelnen gerecht werden. Dies wird im Einzelnen noch in Kapitel 4 expliziert.

Die Frage, wie Organisationen digitale soziale Netzwerkdienste zur Mitarbeiterrekru- tierung nutzen, ist neu und komplex und erfordert daher ein umfangreiches Analyse- raster, das hilft, die Aspekte organisationalen Handelns sowie den Einfluss der Umwelt auf organisationale Strukturanpassungen gleichermaßen zu betrachten. In diesem Sinne ist ein theoretisches Fundament hilfreich, das ausgehend vom Handelnden er- laubt, unterschiedliche Erklärungen von Handeln einzubeziehen, die konstitutiv für das Handeln sind. Konkret und mit Blick auf die Personalrekrutierung über digitale soziale Netzwerkdienste bedeutet dies, folgende Fragen zu klären:

 Wer handelt?

 Welche Anstöße und Argumente liegen dem im vorliegenden Kontext neuen Handeln zugrunde?

 In welchem Kontext findet die Rekrutierung über soziale Netzwerkdienste statt?

 Welches Wissen ist für diese Art der Rekrutierung nötig?

 Auf welche Regeln nehmen die Akteurinnen und Akteure dabei Bezug?

 Was ermöglicht das Handeln und was begrenzt es letztlich?

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3 Strukturationstheorie

Zur Analyse der Leitfragestellung eignet sich besonders eine Richtung der Theorieent- wicklung, die auf Theorien sozialer Praktiken beruht und deren Entstehung als soge- nannter „Practice Turn“24 bekannt ist. Dabei handelt es sich um einen theoretischen Anspruch,

„die Dichotomie von Handlungsvollzug und Struktur implodieren zu lassen und in einer prozeduralen Perspektive des jeweiligen gegenwärti- gen praktischen ‚Tuns‘ aufzulösen“ (Wilz/von Groddeck 2017: 2).

Die Stärke des Ansatzes im vorliegenden Kontext zeigt sich daran, dass er nicht nur auf das Subjekt einerseits oder auf soziale Systeme und Strukturen andererseits ausge- richtet ist, sondern auf das alltäglich-lebenspraktische Handeln in stetiger Interaktion stehender Akteurinnen und Akteure (vgl. Hillmann 2007: 699). Die gesellschaftliche Wirklichkeit wird weniger als eine objektive Tatsache, sondern mehr als ein fortwäh- rendes interaktives Handeln gesehen, ein gemeinsames Sich-auf-etwas-Verstehen (vgl.

Reckwitz 2003: 289). Mit Blick auf die Fragestellung stehen in dieser Untersuchung Recruiter/innen der Organisationen im Fokus, die ihr praktisches Rekrutierungshan- deln an vorhandenen und bekannten Strukturen ausrichten, wobei diese nicht statisch sind, sondern durch das tägliche praktische Tun erhalten oder verändert werden. In dem Sinne ist davon auszugehen, dass sich die Praktiken der Personalrekrutierung durch das Aufkommen der digitalen sozialen Netzwerkdienste auf dem Markt künftig noch nachhaltig verändern.

Organisationen nehmen in diesem Ansatz eher eine Nebenrolle ein, aber Anthony Gid- dens (1992) bezieht sie in seine Theorie ebenso ein (vgl. Wilz/von Groddeck 2017: 2).

Giddens sieht Organisationen als einen Typ von Kollektiven, die überwiegend in klas- sengegliederten Gesellschaften auftauchen (vgl. Giddens 1992: 256ff.). Eine Organisa- tion stellt aus strukturationstheoretischer Perspektive ein „Bündel sozialer Praktiken dar“, die zustande kommen, weil sich Menschen „in abgestimmter Weise im Rahmen

24Die Praxistheorien knüpfen beispielsweise an den US-amerikanischen Pragmatismus von Charles Peirce (1829–1914), John Dewey (1859–1952) und George Herbert Mead (1863–1931) sowie an die Ethnome- thodologie Harold Garfinkels (1917–2011) und die Spätphilosophie bei Ludwig Wittgenstein (1889–1951) an (vgl. Wilz 2015: 255).

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bestimmter Muster verhalten. Diese Muster ergeben kollektive Handlungsstrukturen und damit Praktiken“ (Bamberger/Cappallo 2006: 22). Wesentlich für Organisationen sind die Kontrolle und Speicherung von Informationen zur Sicherung ihrer Einfluss- nahme als Bedingung ihrer sozialen Reproduktion sowie das regelgeleitete Verhalten bewusst handelnder Akteurinnen und Akteure, deren Interaktionsbezugsrahmen maß- geblich über die Reproduktion der verbundenen Rollenbeziehungen gesteuert wird (vgl. Giddens 1992: 255f.).

„Organisationen […] sind […] ,Entscheidungen treffende Einheiten‘, die sich innerhalb diskursiv mobilisierter Formen von Informationsflüs- sen bestimmter typischer Formen von Ressourcen (autoritativen und allokativen) bedienen“ (Giddens 1992: 259).

Die Strukturationstheorie (1984) entwickelte Giddens im Kontext einer Sozialtheorie, deren Ausgangspunkt der Akteur25 ist. Das zentrale Forschungsfeld der Sozialwissen- schaften soll dabei „weder in der Erfahrung des individuellen Akteurs noch in der Existenz irgendeiner gesellschaftlichen Totalität, sondern in den über Zeit und Raum geregelten gesellschaftlichen Praktiken [bestehen]“ (Giddens 1992: 52). Giddens spricht dann von einer sozialen Praktik, wenn Akteurinnen und Akteure Handlungen unabhängig von Zeit und Ort mit einer gewissen Ähnlichkeit (re-)produzieren, wobei ihr wechselseitiger Bezug aufeinander soziale Beziehungen entstehen lässt (vgl. Bam- berger/Cappallo 2006: 22). Die Doppeldeutigkeit von Erzeugen (Handeln) und Er- zeugnis (Struktur) ist in diesem Ansatz ausdrücklich vereint und wird als Rekursivität menschlichen Handelns bezeichnet. Das bedeutet, dass Akteure/Akteurinnen han- delnd Strukturen als Resultat ihrer Handlungen hervorbringen, die dann weiteres Han- deln ermöglichen oder einschränken (vgl. Ortmann et al. 2000: 315). Damit sind bereits die wesentlichen Grundpfeiler der Strukturationstheorie benannt – die rekursive Be- zogenheit von Handeln und Struktur26 im Kontext von Raum und Zeit. Dabei geht es

25 Giddens verwendet Handelnder und Akteur synonym (vgl. Giddens 1992: 101).

26 Die Verbindung von Handeln und Struktur ist abgeleitet von der strukturalistischen Linguistik. Ebenso wie die Sprache, die aus signifikanten Zeichen und Regelsystemen besteht, sind jegliche gesellschaftliche Strukturen als Produkte des Handelns zu betrachten, die erst Sinn ergeben, sofern sie von vielen Menschen in verschiedenen Situationen angewendet werden. Das Sprechen ist an eine sprechende Person gebunden und in eine spezifische Situation eingebunden (vgl. Werlen 2012: 148). Sprache als Struktur des Sprechens existiert demnach nur in der Anwendung und wird erst durch das Sprechen wirklich (ebd., 148). Deutlich wird diese Wechselseitigkeit von Sprache (Struktur) und Sprechen (Handeln) am stetigen Wandel von grammatikalischen Regeln, am Wortschatz und an Begriffen (ebd., 148). Sprache als Struktur ermöglicht

(36)

allerdings nicht um das Übereinanderbringen zweier analytisch getrennt gedachter Be- reiche, sondern um ein neues begriffliches Denken dieser Dualität als Einheit. Giddens nennt dieses Konzept die „Dualität von Struktur“ (ebd. 34).

Im Folgenden werden die wesentlichen Leitideen der Strukturationstheorie erläutert.

Für die späteren empirischen Befunde der Untersuchung bieten sie einen umfassenden analytischen Rahmen, der über das Verständnis von Organisation als instrumentelle Rationalität und Kontrolle hinausgeht und es ermöglicht, ebenso das informelle Ge- schehen, den sozialen Austausch wie auch die Relevanz der Umwelt in den Blick zu nehmen.

3.1 Leitideen

„Der Begriff der Strukturation besteht als Kunstwort aus den beiden Bestandteilen ,Struktur…‘ und ,…ation‘. Die Endung ,…ation‘ verweist auf Aktivität im Gegensatz zu dem statischen Begriffsbestandteil, Struk- tur…‘“ (vgl. Miebach 2012: 149).

Das Kernkonzept der Strukturationstheorie baut auf dem Begriffspaar „Agency“ und

„Structure“ auf und verbindet analytisch die Mikroebene des Handelns (Agency) mit der Makroebene gesellschaftlicher Institutionen (Structure). Gesellschaft konstituiert sich im und über menschliches Tun. „Die Begriffe ‚Struktur‘ und ‚Handeln‘ bezeichnen […] die allein analytisch unterschiedenen Momente der Wirklichkeit strukturierter so- zialer Handlungssysteme“ (Giddens 1988: 290). Der Begriff der Strukturation beinhal- tet gleichermaßen Handlung und Struktur, und zwar dahingehend, dass soziale Struk- turen nur durch konkrete Handlungen wirklich werden (vgl. ebd. 290).

Ein Ausgangspunkt der Strukturationstheorie ist die „Dezentrierung des Subjekts“

(vgl. Giddens 1992: 35). Giddens meint damit nicht die „Auflösung des Subjekts“ in soziale Strukturen, konzipiert als äußerer Zwang (ebd. 35), sondern die Betrachtung

Kommunikation und schränkt diese zugleich auch ein. Die Hinwendung zur zentralen Bedeutung der Sprache in den Sozialwissenschaften muss nach Giddens als eine „veränderte Sichtweise von Sprechen (oder Bezeichnung) und Tun [erfolgen] – eine Sichtweise, die eine neue Konzeption von Praxis liefert“

(Giddens 1992: 36).

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von Struktur als rekursiv reproduzierte Handlungen (vgl. Giddens 1988: 289f.). „Sozi- ale Strukturen sind Regeln, nach denen Akteure in der Produktion ihres sozialen Le- bens handeln und Ressourcen, auf die sie sich dabei beziehen“ (Giddens 1988: 291).

Die Gesellschaft wird nicht von individuellen Subjekten geschaffen, aber dennoch ist das menschliche Verhalten nicht als Ergebnis von Kräften zu betrachten, welche die Handelnden weder kontrollieren noch verstehen können (vgl. Giddens 1992: 29ff.).

Im Sinne dieses Denkens ist der Mensch nicht machtlos den vorgefundenen sozialen Strukturen ausgeliefert, sondern kann sie grundsätzlich durch sein Handeln verändern.

Gemäß der Strukturationstheorie sind damit vorgefundene Umstände (Strukturen) nicht statisch, sondern werden immer wieder durch erneutes Handeln hervorgebracht, während das Handeln wiederum der vorgefundenen Struktur folgt. Es handelt sich dabei um einen rekursiven, kontinuierlichen, ermöglichenden und einschränkenden, jedenfalls dynamischen Prozess.

3.1.1 Handlungsebene

Für die vorliegende Fragestellung ist es entscheidend zu erfahren, an welchen Regeln die Recruiter/innen ihr Handeln ausrichten und auf welche Ressourcen sie sich dabei beziehen. Entsprechend der Strukturationstheorie können die Strukturen der Perso- nalrekrutierung als das Ergebnis rekursiv reproduzierter Handlungen gesehen werden.

„Ich bin der Urheber vieler Dinge, die ich nicht zu tun beabsichtige und vielleicht nicht hervorbringen möchte, die ich aber nichtsdestotrotz tue“

(Giddens 1992: 60).

Grundsätzlich geht Giddens von einem kompetenten, handlungsmächtigen und ver- antwortlichen Akteur aus, „der sich ‚bewusst‘ und in ‚reflexiver‘ Manier mit seiner ma- teriellen und sozialen Umwelt auseinandersetzt und in diese eingreift“ (Giddens 1988:

291). In ihrem Handeln beziehen sich Akteure und Akteurinnen auf soziale Strukturen, die „virtuellen“ Charakters sind und bei den Handelnden in Form von Wissen als „Er- innerungsspuren“ existieren (vgl. Giddens 1988: 69). Soziale Strukturen finden über sogenannte strukturelle Momente ihren Ausdruck und sind in geteilten Wissensstruk- turen enthalten, die das Handeln lenken (vgl. Bamberger/Cappallo 2006: 23). Unter Handeln versteht Giddens soziale Interaktion „als das unbeständige, aber dennoch

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