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Archiv "Medium-Chain-Acyl-CoA-Dehydrogenase-Mangel: eine klinisch bedeutsame Stoffwechselstörung" (23.09.2005)

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ie in den letzten Jahren etablier- te, hoch sensitive Technologie der Tandem-Massenspektrome- trie (Tandem-MS) erlaubt in Deutsch- land mittlerweile nahezu flächen- deckend eine Früherkennung seltener vererbbarer Stoffwechselstörungen im Neugeborenenscreening. Das Screening erfolgt durch die Analyse von Kapillar- blut, das am dritten Lebenstag auf eine spezielle Filterkarte getropft und per Post an ein Neugeborenenscreening-La- bor versandt wird. Dies ermöglicht von einem MCAD-(Medium-Chain-Acyl- CoA-Dehydrogenase-)Mangel betrof- fene Neugeborene rechtzeitig vor dem Auftreten erster Symptome oder Kri- sen zu erkennen. Es handelt sich bei dieser Erkrankung um eine Abbau- störung mittelkettiger Fettsäuren, be- dingt durch einen Defekt des Enzyms MCAD (OMIM 201450) bei der mito-

chondrialen Fettsäurenoxidation (1).

Fettsäuren dienen vor allem als Ener- giequelle für Muskulatur, Herzmuskel und Leber. Eine verminderte Nüchtern- toleranz als Leitsymptom des MCAD- Mangels tritt besonders dann auf, wenn die Glykogenspeicher der Leber aufge- braucht sind. Längere Nüchternphasen

können bei betroffenen Kindern daher zu schweren Hypoglykämien und po- tenziell lebensbedrohlichen Krisen führen. In der Regel tritt bei Kindern ei- ne katabole Stoffwechsellage bei länge- ren Fastenperioden im Rahmen von In- fekten, bei Inappetenz oder bei Opera- tionen mit perioperativer Nüchternheit auf. Die Betroffenen können freie Fettsäuren nur sehr eingeschränkt als direkte Energiequelle oder zur Bildung von Ketonkörpern nutzen. Außerdem akkumulieren intramitochondrial Me- tabolite, die verschiedene Enzymsyste- me hemmen können. Die akkumulierten aktivierten Fettsäuren mittlerer Ketten- länge werden beim MCAD-Mangel an die Transportsubstanz Carnitin gebun- den und renal eliminiert. Dadurch wer- den jedoch die Carnitinspeicher des Körpers entleert, und es kann sich ein Carnitinmangel entwickeln.

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 38⏐⏐23. September 2005 AA2565

Medium-Chain-Acyl-

CoA-Dehydrogenase-Mangel:

eine klinisch bedeutsame Stoffwechselstörung

Zusammenfassung

Ein angeborener Defekt des Enzyms Medium- Chain-Acyl-CoA-Dehydrogenase (MCAD) führt zu einer Abbaustörung mittelkettiger Fettsäu- ren, die daher im Intermediärstoffwechsel nur unzureichend energetisch genutzt werden können. Komplikationen drohen für die Betrof- fenen beispielsweise bei längerem Fasten, In- fekten oder perioperativer Nüchternheit. Stoff- wechselentgleisungen mit hypoketotischer Hypoglykämie, metabolischer Azidose und neurologischen Symptomen wie Hypotonie, Lethargie bis hin zu Koma und Tod können die Folge sein. Der MCAD-Mangel ist klinisch sehr variabel und manifestiert sich typischerweise in den ersten Lebensjahren. Durch das erwei- terte Stoffwechselscreening bei Neugebore- nen mit der Tandem-Massenspektrometrie kann vor dem Auftreten erster Symptome die Diagnose bestätigt und das Kind somit einer Therapie zugeführt werden. Therapeutisch sind die Vermeidung längerer Nüchternphasen, eine kohlenhydratbetonte und eher fettarme Ernährung und der Ausgleich eines Carnitin-

mangels erforderlich. Bei drohender Stoff- wechselentgleisung ist eine ausreichende Koh- lenhydratzufuhr, gegebenenfalls durch Gluko- se-Elektrolyt-Infusionen und stationäre Be- handlung, vordringlich. Ausführliche Informa- tionen und Notfallausweise mit Instruktionen für Ärzte und Eltern sind praktisch bedeutsam, um kritische Situationen bei Patienten mit MCAD-Mangel adäquat zu behandeln und den Screeningerfolg nachhaltig zu sichern.

Schlüsselwörter: Fettsäurenoxidationsstörung, MCAD-Mangel, Neugeborenenscreening, päd- iatrische Erkrankung

Summary

Medium-chain acyl-CoA dehydrogenase deficiency: a clinically important metabolic disorder

Medium-chain acyl-CoA dehydrogenase defi- ciency (MCADD) is an inborn error of fatty acid oxidation. Catabolic episodes such as fasting, febrile infection, anorexia or surgery, can pre-

cipitate acute metabolic decompensation. Pa- tients suffer hypoketotic hypoglycemia, meta- bolic acidosis, and neurological symptoms such as lethargy, encephalopathy or even death.

MCADD-related metabolic decompensation usually presents in the first years of life. Early diagnosis by tandem mass spectrometry-based screening in the neonatal period, followed by clear advice to parents and supportive treat- ment in the presymptomatic state helps to pre- vent fatal metabolic decompensation. Fasting or high-fat nutrients should be avoided, and adequate carbohydrate intake ensured, along with supplementation with carnitine if neces- sary. In potentially critical catabolic situations, early administration of carbohydrates is essen- tial, if necessary via glucose-electrolyte infusi- ons on an inpatient basis. General information and an emergency card providing detailed in- structions are essential to prevent metabolic crises and to avoid an adverse outcome despite newborn screening.

Key words: fatty acid oxidation defect, MCAD deficiency, newborn screening, pediatric disease

1Kinder- und Jugendklinik (Direktor: Prof. Dr. med. Dr. h.c.

Wolfgang Rascher), Friedrich Alexander-Universität, Er- langen

2Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmit- telsicherheit (Präsident: Prof. Dr. med. Volker Hingst), Oberschleißheim

3Dr. von Haunersches Kinderspital (Direktor: Prof. Dr.

med. Dietrich Reinhardt), Ludwig-Maximilians-Univer- sität, München

4 Kinderklinik der Technischen Universität Schwabing (Di- rektor: Prof. Dr. med. Stefan Burdach), München

5Abteilung für Epidemiologie im Kindes- und Jugendal- ter, Institut für Soziale Pädiatrie (Direktor: Prof. Dr. med.

Dr. h. c. Hubertus von Voss), Ludwig-Maximilians-Univer- sität, München

Ina Knerr1 Uta Nennstiel-Ratzel2 Wulf Röschinger3 Esther M. Maier3 Joachim Baumkötter4 Rüdiger von Kries5

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Der MCAD-Mangel tritt mit einer Häufigkeit von etwa 1 : 10 000 auf und wird autosomal rezessiv vererbt (2, 3, 4). Die im Screening identifizierten Kinder sollten rasch einer adäquaten Konfirmationsdiagnostik in Kinder- kliniken mit einer Stoffwechselabtei- lung zugeführt werden (5). Entschei- dend ist eine frühzeitige Information der Eltern über die Stoffwechsel- störung und mögliche Risiken sowie eine detaillierte Beratung, die das the- rapeutische Vorgehen in potenziell ge- fährlichen Situationen beinhaltet, so- wie die Aushändigung eines Notfal- lausweises.

Klinik

Ohne Früherkennung und Prophylaxe manifestiert sich der MCAD-Mangel klinisch typischerweise in den ersten zwei Lebensjahren (Kasten 1). Die in der Literatur angegebene Altersspan- ne bei Erstmanifestation beträgt etwa 2 Tage bis 6,5 Jahre, im Mittel 12 Mo- nate (6). Es sind jedoch auch Erstma- nifestationen im Jugend- oder Er- wachsenenalter sowie asymptomati- sche Verläufe beobachtet worden (1, 7, 8). Wenn im Rahmen verlängerter Fa- stenperioden die Fettsäurenoxidation zur Energiegewinnung intensiviert werden muss, sind prinzipiell in jedem Lebensalter akute Stoffwechselkrisen möglich.

Diese können mit muskulärer Hy- potonie und neurologischen Sympto- men wie Apathie, Bewusstlosigkeit, zerebralen Anfällen und Leberversa- gen, das dem Reye-Syndrom ähnelt, einhergehen. Bei fehlender Behand- lung besteht eine Letalität von bis zu 20 Prozent. Außerdem drohen im glei- chen Ausmaß neurologische Residuen in Form von Entwicklungsretardie- rung, Verhaltensauffälligkeiten oder zerebralen Krampfanfällen (1, 6, 9).

Die charakteristischen aber unspezifi- schen laborchemischen Veränderun- gen in der akuten Entgleisung sind ei- ne hypoketotische Hypoglykämie, me- tabolische Azidose, erhöhte Aktivitä- ten der Aspartat-Aminotransferase (AST, GOT) und Kreatinkinase (CK) sowie möglicherweise eine Hyperam- monämie. Eine Ketonurie schließt ei-

nen MCAD-Mangel nicht aus (6). Ein Zusammenhang zwischen dem plötzli- chen Kindstod („sudden infant death syndrome“, SIDS) und dem MCAD- Mangel wird diskutiert (9–11). Bei frühzeitiger Diagnose im Rahmen des Neugeborenenscreenings und bei konsequenter Vermeidung kataboler Stoffwechsellagen können metaboli- sche Entgleisungen wirksam verhin- dert werden. Die betroffenen Kinder können sich dann völlig normal ent- wickeln.

Diagnostik

Leitparameter für den MCAD-Man- gel im Tandem-MS-Screening ist eine erhöhte Konzentration von Octanoyl- carnitin (12). Die Messung erhöhter mittelkettiger Acylcarnitine und die Bildung von Quotienten einzelner Pa- rameter wie Octanoyl-/Decanoylcar- nitin oder Octanoyl-/Acetylcarnitin erlaubt es, die diagnostische Sicherheit deutlich zu erhöhen und die Rate falschpositiver Proben zu senken (3, 4). Bei auffälligem Ergebnis im Neu- geborenenscreening fordert das Labor eine Kontroll-Trockenblutkarte an.

Bei Bestätigung der pathologischen Werte kann die Diagnose biochemisch als gesichert gelten. Ergänzend sollten Blutzucker, Säure-Basen-Status, Le- berfermente und CK bestimmt wer- den, um das Ausmaß einer möglichen metabolischen Entgleisung zu erfas- sen, wobei auch die Untersuchung der organischen Säuren im Urin diagno- stisch hilfreich ist (13). Bei den organi- schen Säuren findet man eine erhöhte Ausscheidung von Adipinsäure, Sube- rin- und Sebacinsäure sowie der Gly- cinkonjugate Hexanoylglycin und Sub- erylglycin.

Bei ausgeglichener Stoffwechsella- ge können diese Befunde unauffällig sein, und dies vermag keinen MCAD- Mangel auszuschließen. Die moleku- largenetische Untersuchung erhöht die diagnostische Sicherheit; hierfür kann DNA aus peripheren Leuko- zyten verwendet werden. Oft wird die Mutation 985 A nach G im Exon 11 des MCAD-Gens homozygot oder zu- sammen mit anderen Mutationen fest- gestellt (compound heterozygot) (14).

Die Punktmutation führt zu einem Aminosäureaustausch von Lysin durch Glutamat an der Position 329 des MCAD-Proteins, bezeichnet als K329E. Es handelt sich somit um eine Fehlsinn- (Missense-)Mutation, die häufig bei klinisch symptomatischen Patienten gefunden wurde (1).

Die diagnostischen Verfahren sind so sicher, dass die enzymatische Ana- lytik sowie der früher häufiger durch- geführte, jedoch nicht ausreichend sensitive 3-Phenylpropionsäure-Bela- stungstest verzichtbar sind; ein Fasten- test oder eine Öl-Belastung sind obso- let, weil hierbei der Stoffwechsel le- bensbedrohlich entgleisen kann.

Wenn bei einem Kind ein MCAD- Mangel diagnostiziert wurde, ist eine weitere Beratung der Familie empfeh- lenswert. Beide Eltern und die Ge- schwister, die vor der Einführung des Tandem-MS-Screenings geboren wur- den, sollten getestet werden (Acylcar- nitinprofil im Trockenblut, gegebe- nenfalls eine molekulargenetische Untersuchung). Entscheidend ist, dass bei einem auffälligen Neugeborenen- screening die weitere Diagnostik des MCAD-Mangels durch pädiatrische Stoffwechselspezialisten erfolgt, die im Umgang mit den Labortechniken, M E D I Z I N

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Symptome bei Kindern mit MCAD-Mangel

>Kinder mit MCAD-Mangel können zeitle- bens, gehäuft aber im Säuglings- und Kleinkindesalter schwere metabolische Krisen erleiden.

>Diese Krisen treten typischerweise bei In- fekten und/oder längerer Nahrungskarenz sowie im Zusammenhang mit Operatio- nen auf.

>Leitsymptome der Krisen sind Schwäche, Apathie, Krampfanfälle und Koma.

>Biochemisch charakterisiert sind diese Stoffwechselentgleisungen durch hypoke- totische Hypoglykämie, metabolische Azi- dose, Anhäufung von mittelkettigen Acyl- carnitinen und sekundären Carnitinmangel.

>Während solcher Krisen können unbehan- delt etwa 20 Prozent der Kinder sterben.

>Spätfolgen der Krisen sind in bis zu 20 Pro- zent psychomotorische Behinderungen.

Kasten 1

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der Ergebnisinterpretation im Scree- ning, der Konfirmationsdiagnostik und der Beratung betroffener Familien er- fahren sind (5).

Therapie

Die Behandlung des MCAD-Mangels sollte durch ein interdisziplinäres Spe- zialistenteam eingeleitet werden (Kin- derärzte, Ökotrophologen oder Diät- assistentinnen sowie Pflegepersonal mit vertieften Kenntnissen auf dem Gebiet pädiatrischer Stoffwechseler- krankungen). Entscheidend für die einfache, aber sehr wirksame Prophyla- xe einer Stoffwechselentgleisung beim Kind ist die detaillierte Aufklärung der Eltern (Kasten 2).

Eine längere Nahrungskarenz muss konsequent vermieden werden. Je nach Alter sollten die Nüchternphasen 6 Stunden beim Säugling im ersten Le- benshalbjahr, 8 Stunden im zweiten Lebenshalbjahr und beim Kleinkind sowie 10 Stunden beim Schulkind und Jugendlichen nicht überschreiten, wo- bei diese Angaben als Richtwerte zu interpretieren sind. Zur Vermeidung von Stoffwechselentgleisungen wäh- rend der Nacht ist eine abendliche

Spätmahlzeit ratsam. Eine kohlenhy- dratbetonte und etwas fettreduzierte, ansonsten jedoch altersgerechte Er- nährung wird empfohlen (13). Risiko- situationen für betroffene Kinder sind beispielsweise Nahrungsverweigerung bei fieberhaften Infekten, Magen- Darm-Infekte mit Emesis und Diarrhö oder die perioperative, iatrogene Nah- rungskarenz.

Während einer fieberhaften Er- krankung sollte frühzeitig die erhöhte Körpertemperatur gesenkt werden, um eine fieberbedingte Trinkschwäche, einen erhöhten Energiebedarf und zu- nehmende Katabolie zu vermeiden.

Außerdem muss eine ausreichende orale Zufuhr von Kohlenhydraten ge- währleistet sein. Dies kann über die Gabe von Traubenzucker in Tee oder Säften erfolgen oder über die Anrei- cherung mit Glukosepolymeren, bei- spielsweise Maltodextrin-Lösung. Die Maltodextrin-Lösung sollte 15- bis 20- prozentig sein (15 bis 20 g auf 100 mL Flüssigkeit), die zugeführte Menge an Glukosepolymeren sollte pro Tag je nach Alter und klinischem Zustand zwischen 40 bis 60 g bei Säuglingen, 80 bis 120 g bei Kleinkindern, 140 bis 180 g bei Schulkindern und Jugendlichen betragen.

Bei kompletter Nahrungsverweige- rung, mehrfachem Erbrechen oder Di- arrhö ist neben der Blutzuckerstabili- sierung auch der Mangel an Volumen und an Elektrolyten wie Natriumchlo- rid sowie der Säure-Basen-Status zu bedenken. Im Notfall kann die intra- venöse Gabe einer altersadaptierten Glukose-Elektrolyt-Lösung und die stationäre Behandlung in einer Kin- derklinik erforderlich sein. Angestrebt wird eine normoglykämische Stoff- wechsellage bei ausgeglichenem Säu- re-Basen-Haushalt. Eine orale Carni- tin-Substitution, bei anhaltendem Er- brechen auch vorübergehend intra- venös, wird bei einer niedrigen Kon- zentration von freiem Carnitin im Plasma in einer Dosierung von 20 bis 50 mg pro kg Körpergewicht und Tag empfohlen.

Zur Frage der prophylaktischen Carnitin-Supplementation bei MCAD- Mangel besteht hingegen noch kein all- gemeiner Konsens, zumindest in kriti- schen Stoffwechselsituationen scheint

sie aber sehr sinnvoll zu sein. Im Stoff- wechselzentrum wird für das betroffe- ne Kind ein Notfallausweis oder eine Notfallbescheinigung ausgestellt und den Eltern ausgehändigt. Dieser Not- fallausweis enthält genaue Instruktio- nen für die Eltern und die mitbehan- delnden Ärzte. Er spielt besonders dann eine wichtige Rolle, wenn das Kind im Rahmen von Situationen mit potenziell kataboler Stoffwechsellage Ärzten vorgestellt wird, die mit dieser Stoffwechselstörung weniger vertraut sind.

Es ist zu erwarten, dass durch eine interaktive Kommunikation zwischen betroffenen Eltern sowie behandeln- den Stoffwechselexperten und Ärzten anderer Fachrichtungen einer unzurei- chenden oder nachlassenden Krank- heitseinsicht wirksam vorgebeugt wer- den kann.

Prognose

In retrospektiven Studien wird ange- geben, dass vor der Einführung des Tandem-MS-Screenings etwa 20 Pro- zent der Patienten mit bis dahin nicht diagnostiziertem MCAD-Mangel in der ersten Stoffwechselkrise starben (6, 9). Es ist nun davon auszugehen, dass das Neugeborenen-Screening die Prognose der vom MCAD-Mangel Betroffenen entscheidend verbessert (12, 15, 16).

Voraussetzung hierfür sind optimal informierte und handlungskompeten- te Eltern und Ärzte. In der Langzeit- studie des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittel- sicherheit in Oberschleißheim zum weiteren Verlauf von Kindern mit MCAD-Mangel, die im bayerischen Neugeborenenscreening erfasst wur- den, konnten einige Problemen in der Langzeitbetreuung betroffener Kin- der und ihrer Familien identifiziert werden (Kasten 3).

So trugen erhebliche Probleme bei der Durchführung der Notfalltherapie dazu bei, dass trotz einer früh erfolg- ten Diagnose im Rahmen des Neuge- borenenscreenings zwei Kinder mit ei- nem MCAD-Mangel im späten Säug- lingsalter an einer Stoffwechselent- gleisung starben. Insgesamt zeichnet M E D I Z I N

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Therapie des MCAD-Mangels

>Vermeidung von längeren Fastenperi- oden: maximale Nüchternphasen von 6 Stunden beim Säugling im ersten Le- benshalbjahr, im zweiten Lebenshalb- jahr und beim Kleinkind 8 Stunden, beim Schulkind und Jugendlichen etwa 10 Stunden.

>Besonders bei Infekten Anabolie sichern:

40 bis 60 g Kohlenhydrate wie Malto- dextrin bei Säuglingen pro Tag, 80 bis 120 g bei Kleinkindern, 140 bis 180 g bei Schulkindern und Jugendlichen, mit Ge- tränken oder mit der Nahrung zuführen (Richtwerte; rechtzeitig eine intravenöse Behandlung durchführen).

>Carnitin substituieren: 20 bis 50 mg pro kg Körpergewicht und Tag, insbesonde- re bei Carnitinmangel, bei drohender Entgleisung oder klinischen Risikositua- tionen (Infekte, Nüchternheit, Operati- on).

Kasten 2

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sich jedoch ab, dass die Rate schwerer Stoffwechselkrisen und Todesfälle der im Screening identifizierten Kinder in Bayern unter dem rechnerischen

„Erwartungswert“ für ungescreente Kohorten bleibt (15). Da es jedoch auch mildere Verlaufsformen gibt, werden diese so genannten benignen Phänotypen des MCAD-Mangels an der Universitäts-Kinderklinik Erlan- gen als Teilprojekt im Rahmen des na- tionalen Netzwerkes METABNET (Network for Genetic Metabolic Di- seases Detectable by Newborn Scree- ning, www.metabnet.de/) nachunter- sucht. Es scheint derzeit wahrschein- lich, dass die verschiedenen Mutatio- nen mit unterschiedlich hohem Risiko für Stoffwechselkrisen assoziiert sind (14, 17).

Derzeit können jedoch noch keine stratifizierten Therapieindikationen ge- stellt werden. Die molekulargenetische Untersuchung bei MCAD-Mangel sollte primär die Untersuchung von Exon 11 zum Nachweis der Hauptmu- tation K329E umfassen, weil beson- ders Kinder mit dieser Mutation ein erhebliches Risiko für Stoffwechsel- krisen haben. Durch eine Beratung zu Diät und Lebensführung können metabolische Krisen bei Kindern mit dieser Mutation weitgehend vermie- den werden (15). In aktuellen Studien wird untersucht, ob und welche Muta- tionen ein vergleichbar hohes Risiko

Probleme in der Langzeitbetreuung

>Eltern fühlen sich unzureichend informiert oder haben den Eindruck, dass Ärzte außerhalb der Stoffwechselambulanzen die Krankheit nicht oder nur unzureichend kennen, und sind daher verunsichert.

>Es gibt Eltern, die die Diagnose verdrän- gen oder wieder vergessen, da die Kinder im Alltag unauffällig sind.

>Es gibt Not-/Haus-/Kinderärzte, die das Krankheitsbild nicht kennen oder die Not- fallausweise nicht beachten. Dies kann zu fatalen Fehlentscheidungen führen.

>Notfallausweise oder Notfallbescheini- gungen werden teilweise nicht ausge- stellt, gehen verloren oder werden nicht mitgeführt.

Kasten 3 für Stoffwechselkrisen hervorrufen

(14, 15). Möglicherweise lassen sich molekulargenetisch definierte Hoch- risiko- und Niedrigrisikogruppen dif- ferenzieren.

Schlussfolgerung

Der MCAD-Mangel ist ein klinisch be- deutsames Krankheitsbild, das zu aku- ten Stoffwechselentgleisungen und po- tenziellen Langzeitfolgen führen kann.

Die Ursache ist eine Enzymopathie beim Abbau mittelkettiger Fettsäu- ren. Mit der Tandem-MS ist heute eine frühe Diagnose im Rahmen des Neu- geborenenscreenings möglich.

Bei guter Instruktion der Eltern und der gezielten Vermeidung katabo- ler Stoffwechselsituationen beim Kind mit rechtzeitiger Glukosezufuhr und konsequenter Notfallversorgung kön- nen schwere Stoffwechselentgleisun- gen und fatale Verläufe verhindert und eine ungestörte Entwicklung der Kinder ermöglicht werden. Dieses Ziel lässt sich jedoch nur in einem kompetenten Umfeld von gut infor- mierten Eltern und Ärzten dauerhaft erreichen.

Die Autoren danken dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für die Förderung im Rahmen von METAB- NET (IK) und dem Bayerischen Staatsministerium für Um- welt, Gesundheit und Verbraucherschutz für die Unter- stützung des Modellprojekts zum Screeningprogramm (UN-R).

Manuskript eingereicht: 27. 10. 2004, revidierte Fassung angenommen: 11. 3. 2005

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sin- ne der Richtlinien des International Committee of Medi- cal Journal Editors besteht.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2005; 102: A 2565–2569 [Heft 38]

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Anschrift für die Verfasser:

Priv.-Doz. Dr. med. Ina Knerr Kinder- und Jugendklinik Friedrich Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Loschgestraße 15 91054 Erlangen

E-Mail: ina.knerr@kinder.imed.uni-erlangen.de

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