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Archiv "Dürrekatastrophe: Hunger am Horn von Afrika" (30.09.2011)

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A 2024 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 39

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30. September 2011

DÜRREKATASTROPHE

Hunger am Horn von Afrika

Mehr als 1 200 Somalier fliehen täglich vor der Dürre nach Kenia.

Doch auch Millionen Kenianer hungern.

S

chon früh am Morgen be- ginnt für die Helfer von

„Handicap International“ in den ke- nianischen Flüchtlingslagern von Dadaab der Wettlauf gegen die Zeit.

Ruppig holpern die Jeeps von Jo- seph Wesonga und seinen Mitarbei- tern über die löchrigen Lehmpisten.

Entlang endlosen Reihen eng ge- drängter Lehmbaracken, Zelten und Hütten, Eselskarren und herum- streunenden Kindern geht es in die Randbezirke der Lager Ifo, Daga- haley und Hagadera. Weit weg von den Versorgungsstellen für Wasser und Nahrung stranden dort inzwi- schen Tag für Tag mehr als 1 200 Somalier. Es gilt, die besonders Schutzbedürftigen – Behinderte, Schwangere, unbegleitete Kinder, Alte – zu finden und mit Hilfe der Partnerorganisationen rasch für de- ren bevorzugte Registrierung, me- dizinische Versorgung und Unter- bringung nahe den Versorgungsstel- len zu sorgen.

Aufgrund der riesigen Flücht- lingswelle, die seit Juni über Da- daab schwappt, dauert die Regis- trierung der neuen Flüchtlinge in- zwischen bis zu 50 Tage. Zu den Neuankömmlingen gehört Masra.

Die 34-Jährige ist tags zuvor mit ih- rem Mann und sieben Kindern zwi- schen zwei und neun Jahren völlig erschöpft in Dadaab eingetroffen.

Die Kinder sind unterernährt, erkäl- tet, sie haben Fieber. Als das letzte Stück Vieh in Folge der Dürre ge- storben war, machten sich die schwangere Masra, ihr Mann und die Kinder auf den Weg. „Sieben Tage dauerte die Strecke – teils zu Fuß, teils mit dem Eselskarren – von der Gedo-Region im Südwes- ten Somalias bis nach Dadaab.

Kurz vor der Grenze überfielen uns Räuber und raubten uns bis auf die Kleidung, die wir am Leib trugen, völlig aus, selbst die Matratzen und Kochtöpfe nahmen sie uns weg.“

Rasche Hilfe erhalten auch die Opfer von Kampfmitteln wie der 22-jährige Mohamed Jimale Daud, der als Elfjähriger in Mogadischu beim Spiel mit einer Granate beide Unterarme verlor und nun bei Han- dicap die dringend notwendige Physiotherapie erhält. Oder Ibrahim Abdi Said, dem die Al-Shabaab-

Milizen die linke Hand und den rechten Fuß abhackten, weil er eine Zusammenarbeit mit den Islamisten verweigerte, und der nun eine Be- helfsprothese für den Arm erhält, um sich wenigstens selbst waschen zu können.

Hoffnungslos überfüllte Lager Seit 20 Jahren fliehen Somalier vor den Kämpfen zwischen den ver- schiedenen Clans um die Macht im Lande, vor Anarchie, marodieren- den Banden und Piraten, einer unfä- higen und korrupten Übergangsre- gierung, vor radikal-islamischen Al-Shahaab-Milizen und Hizbul- Islam-Milizen. Die Massenflucht der somalischen Bevölkerung, die meisten Nomaden oder Bauern, in die großen Flüchtlingslager der An- rainerstaaten Kenia, Jemen, Äthio- pien und Dschibuti wurde durch ei- ne verheerende Dürre ausgelöst.

Als im dritten Jahr der Regen aus- fiel, das letzte Vieh verendete, die Ernte auf den Feldern verdorrte, die

letzten Reserven aufgebraucht wa- ren und die Al-Shabaab-Milizen trotz Hungersnot keine humanitäre Hilfe ins Land ließen, begann der Massenexodus der Somalier. Mehr als 430 000 Flüchtlinge leben in- zwischen in den hoffnungslos über- füllten Lagern um Dadaab, einer tristen Siedlung mitten in der Wüs- te, rund 80 Kilometer entfernt von der Grenze zu Somalia. Auch die Nichtregierungsorganisationen sind am Rande ihrer Kapazitäten. Die lange Wartezeit bis zur Registrie- rung der Flüchtlinge, die ihnen Zu- gang zu Lebensmittelrationen, Pla- nen, Moskitonetzen, Küchen- und Hygienesets, Wassercontainern und Matten verschafft, überbrücken sie mit Lebensmittelrationen für je 21 Tage. Das hilft zumindest, die ärgs- te Not zu lindern.

Dr. Nailah Kassim ist leitende Ärztin der deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Dadaab. „Das größte Pro- blem der Neuankömmlinge sind

Foto: laif

Massenexodus: Zu Fuß und mit Eselskar- ren versuchen die So- malier dem Hunger zu entfliehen.

T H E M E N D E R Z E I T

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Deutsches Ärzteblatt

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30. September 2011 A 2025 Unter- und Mangelernährung. Wir

untersuchen alle Schwangeren, Säuglinge und Kinder bis zehn Jah- re sowie alle alten Menschen über 60 Jahre auf Zeichen von Unterer- nährung. Für alle anderen fehlen schlicht die Kapazitäten.“ Je nach Grad der Unterernährung gibt es In- fusionen oder kalorienreiche Nah- rungsergänzungsmittel. „96 Prozent der Unterernährten, die in unsere Klinik kommen, überleben“, sagt Kassim. Auch die acht Monate alte Hawa hat überlebt. 30 Tage wurde sie von ihrer Mutter von der Juba- Region in Zentralsomalia durch die Wüste nach Dadaab geschleppt.

Hawas Vater war zurückgeblieben, um die letzten fünf Rinder zu ver- sorgen. Niemand hatte sie kaufen wollen. Anfangs war das stark un- terernährte Mädchen zu schwach zum Essen. Im GIZ-Krankenhaus wurde sie mit Infusionen aufgepäp- pelt und kann inzwischen schon wieder ein wenig Milch und Sirup bei sich behalten.

Unwillkommene Flüchtlinge Häufig diagnostiziert Kassim auch Atemwegsinfektionen, wässrige Durchfälle und Lungenentzündun- gen, manchmal TBC, ein- bis zwei- mal pro Woche Malaria. Zurzeit macht ihr eine Masernepidemie zu schaffen. Mehr als 20 Fälle wurden registriert. Alle verliefen problema- tisch mit Durchfällen und Lungen- entzündungen. Viele Flüchtlinge litten nach der Flucht auch am post- traumatischen Stresssyndrom, an Kopf- und Magenschmerzen, Schlaf- losigkeit. Traumatische Erlebnisse während der Flucht sind Kassim zu- folge die Ursache. „Manche Flücht- lingsfrauen mussten sich von ihrem ältesten Sohn trennen, den die Al- Shabaab-Milizen forderten im Tausch gegen freies Geleit für die Familie.

Andere Frauen wurden von den Mi- lizen vergewaltigt oder mussten mit ansehen, wie ihre Töchter miss- braucht wurden, anderen starb auf der Flucht ein Kind.“ Um die ra- sche Hilfe für die Opfer von sexuel- ler Gewalt kümmert sich die Hilfs- organisation Care. Deren Mitarbei- terin Sabine Wilke berichtet von mehr als 350 bislang registrierten Fällen von Vergewaltigung, geht

aber von einer weitaus höheren Dunkelziffer aus.

Obwohl sich die Vereinten Na- tionen (UN) und internationale Hilfsorganisationen mit allen Mit- teln bemühen, die Lage der Flücht- linge zu verbessern, stoßen sie bei der kenianischen Regierung regel- mäßig an ihre Grenzen. Den Kenia- nern passt der Zustrom der Soma- lier nicht. Sie fürchten sich vor Racheakten der fundamentalisti- schen Al-Shabaab-Milizen, denen die internationalen Hilfsorganisa- tionen ein Dorn im Auge sind. Sie

machen die Flüchtlinge, die die Bäume, Büsche und Sträucher der Region für Brennholz, Hüttenbau und Viehfutter abholzen, für Schä- den an Natur und Umwelt verant- wortlich. Eine Integration der Flüchtlinge in die kenianische Ge- sellschaft kommt für sie nicht in - frage. Im Gegenteil fordern einige die Verlegung der Camps hinter die somalische Grenze – Druckmittel, um mehr internationale Gelder für den kenianischen Staat zu erhalten.

So gehen Zugeständnisse der kenia- nischen Regierung an die für Da-

daab zuständigen UN-Organisatio- nen immer mit finanzieller Hilfe für Kenia einher. Ob von diesem Geld etwas bei den rund vier Millionen hungernden Kenianern ankommt, ist fraglich.

Notversorgung für Nomaden Wo die staatliche Hilfe ausbleibt, müssen internationale Nichtregie- rungsorganisationen einspringen wie die Johanniter. In der Turkana-Re- gion, wo inzwischen schätzungs- weise bis zu 80 Prozent der noma- dischen Bevölkerung Hunger lei- den, verteilen sie Nahrungsmittel an 5 000 Bedürftige. Vom Gesund- heitszentrum in Lokichokio, dem einzigen im Umkreis von circa 100 Kilometern, leistet ein Team von Krankenpflegern, medizinischen As- sistenten, Laboranten, einem Apo- theker und HIV-Berater im Auftrag der Johanniter mehrmals im Monat mit einer mobilen Klinik medizini- sche Notversorgung für weit über 1 000 Nomaden, die verstreut in der Wüste leben. Seit die Dürre in der Turkana-Region anhält, verenden mehr und mehr Tiere und verlieren die Nomaden, die traditionell von Blut, Milch und Fleisch ihrer Rin- der und Ziegen leben, ihre Exis- tenzgrundlage. Samy Ikeny, Pro- jektkoordinator der Johanniter in Lokichokio, erklärt die häufigsten Krankheiten: „Wir sehen hier viele Fälle von Malaria, Durchfall- und Atemwegserkrankungen, Unter- und Mangelernährung, Parasiten, Krät- ze und Bindehautentzündungen.“

Am häufigsten würden Antibiotika, Paracetamol und Anti-Malaria-Mit- tel verschrieben. „Gerade die kran- ken Frauen bräuchten auch drin- gend Ruhe, um sich zu erholen, aber in der archaischen Nomaden- Gesellschaft sind sie verantwortlich für Kinder, Haushalt und Essen.

Auf eine Krankheit nimmt da kei- ner Rücksicht.“ Besorgniserregend findet der Projektleiter die Zunah- me von Schussverletzungen. Der Kampf ums Überleben, um die Zu- gänge zu den letzten Weideflächen, Wasserstellen und ums Vieh ist er- bitterter geworden und wird inzwi- schen zunehmend auch mit Waffen- gewalt ausgetragen.

Annette Blettner Weltgrößtes Flüchtlingslager: Mehr als 350 000 Flüchtlinge haben

in den vergangenen sechs Jahrzehnten in Dadaab Zuflucht gefunden.

Humanitäre Katastrophe: Hilfs- organisationen ver- suchen, die Flücht- linge medizinisch zu versorgen und mit dem Nötigsten auszustatten.

Foto: laifFoto: picture alliance

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