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Archiv "Euro-Nephro-Disney: Ein Kongreßbericht" (14.10.1994)

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POLITIK

ielfach kritisiert und totge- sagt, wuchert es fröhlich wei- ter: das Kongreß-Unwesen.

Eine von vielen Gelegenhei- ten: die Jahrestagung der European Renal Association – European Dia- lysis and Transplant Association in Paris. Die Fräulein im Kon- greßbüro drücken mir die obligato- rische Kongreßtasche in die Hand:

Eine Bescheinigung für eine zehn- prozentige Ermäßigung in den Ga- leries Lafayette, Stadtpläne, Gut- scheine für Empfänge, Konzerte, Prospekte, Kugelschreiber, Schreib- papier, Programme und das Ab- stract-Heft. Merkwürdig, daß Kon- greß-Veranstalter immer noch das Gefühl haben, Kongressisten be- säßen keine eigene Tasche: auf je- dem Kongreß erhält man eine, in unserem ökologischen

Zeitalter gelegentlich aus Baumwolle oder Leinen statt aus Pla- stik. Doch wer braucht sie alle? Praktisch ist lediglich, daß man Kongreßteilnehmer

damit überall als solche erkennt...

Was gibt es denn da? Bei einer bekannten schwedischen Dialysefir- ma drängt sich alles: es gibt nämlich Champagner in Plastikflöten. Eine namhafte deutsche Firma ist der zweite beherrschende Aussteller, ebenfalls mit einem riesigen Stand mit eigenem Teppichboden, damit man sich ganz wie zuhause fühlen kann. Sie sorgt auch für den Kaffee, per Coupon in limitierter Auflage.

Dafür kann man unter Anleitung ausprobieren, wie sich die neuen CAPD-Beutelverschlüsse knacken lassen: einmal gebrochen und – hopp, auf den Müll! Dann stehen da die klinikweißen Prototypen der neuesten Dialysemaschinen; end- lich die eierlegende Wollmilchsau!

Nur funktioniert bei der Demon- stration die Hälfte nicht – es sind ja auch erst Prototypen! Das per Gut- schein in der Kongreßmappe ver- sprochene Geschenk fällt eher dürf- tig aus: einmal Handcreme und Pro- spekte in einem lieblosen, aber ga- rantiert grundwasserneutralen Pla- stikbeutel.

Neben den Dialysetechnikfir- men ist die pharmazeutische Indu-

GLOSSE

strie der Kongreßriese: Eine deut- sche Firma wirbt mit einem giganti- schen Stand, auf dem kostenlos französische Wörterbücher verteilt werden. Auch dort kann man Kaf- fee trinken und nahezu alle wichti- gen europäischen Zeitungen lesen.

In großer Zahl schwirren Firmenre- präsentanten umher und versorgen die Großen der Szene mit Einla- dungen zu Abendessen, Konzerten, Theater... Die große Schmierage!

Im Prinzip geht es an allen Ständen gleich zu: Es wird konsumiert, Müll produziert, man begegnet sich, man staubt ab, was man kann. Im Na- men von Gesundheit und Medizin!

Was sich der Laie wohl denken mag? Auch eine Form der Prostitu- tion, was die angestellten Frauen und Männer der pharmazeutischen

Industrie dort betreiben müssen:

für Geld geben sie sich hin. Geht es uns Ärzten anders?

Jetzt habe ich noch gar nichts über den wissenschaftlichen Teil des Kongresses gesagt – das ist nicht so wichtig, denn der spielt keine we- sentliche Rolle mehr. Dazu ist alles zu perfekt. Man kann die Dinge ja nachlesen, entweder sind sie schon oder sie werden noch publiziert, zu- dem kann man Videos sämtlicher Vorträge kaufen. Im übrigen stehen alle Vorträge im Abstract-Heft. We- gen der bis zu fünf Parallelveran- staltungen kann man ohnehin nicht überall sein, da reicht es auch, nir- gendwo hinzugehen. Was mögen sich Außenstehende denken über die Scheinwelt, die mit den Niede- rungen der ärztlichen Tätigkeit so wenig zu tun haben will? Was soll das alles? Es kostet viel, viel Geld – aber es wird sich schon rechnen für die Industrie. Es schafft ein Ge- meinschaftsgefühl, welches das schlechte Gewissen des einzelnen Vielleicht-noch-Arztes entlastet und ihn gleichzeitig zum Mithalten zwingt — er kann doch nicht lassen, was alle anderen machen!

Euro-Nephro-Disney – war- um? Mit dem Euro-Disneyland ver- binden viele die totale Überflüssig- keit, die reine Profitgier, die ökolo- gische Katastrophe auf Staatsko- sten und den Verderb der Kultur.

Aber gibt es einen wesentlichen Unterschied zu vielen heutigen Kongressen? Auch sie sind über- flüssig, werden von der Industrie aus Profitgier gesponsert, sind – da- zu noch im Namen der Gesundheit – eine ökologische Katastrophe und haben mit Aus- und Weiterbildung nicht viel zu tun.

Warum fahre ich dennoch da- hin? Dabeisein ist alles, man will se- hen und gesehen werden, schau- spielert ein wenig, interessiert sich für die neuesten Entwicklungen der Industrie, will Bekannte und Freun- de wiedersehen, will wichtig sein und wich- tig genommen werden;

mehr, als das im Klinikalltag geschieht.

Es gibt natürlich auch fachlich-sachliche Gründe: Die Persön- lichkeiten kennenzulernen, die die eine oder andere Behandlungsart vertreten, die subjektiven Bewer- tungen diagnostischer und thera- peutischer Möglichkeiten: Zuhörer sind weniger geduldig als Papier.

Aber muß es diesen Rahmen ha- ben? Von unten formieren sich die Gruppen neu, weil sie merken, was ihnen im Großen fehlt: der ehrliche Austausch, die praktischen Fragen des Alltags betreffend, in denen man mit seinen Problemen ganz al- lein dasteht. Die Selbstherrlichkeit eines solchen Kongresses mit der damit verbundenen solidarischen Gewißheit, das Richtige zu tun, ent- bindet den Einzelnen von seinem Gewissen, da er sich einer Massen- bewegung anschließt, die ein kol- lektives Gewissen hat – ein vor- übergehender Trost: denn im Alltag reicht dann ein kollektives Gewis- sen nicht aus, der Einzelne ist ei- genverantwortlich gefragt.

Anschrift des Verfassers

Dr. med. Stephan Heinrich Nolte Arzt für Kinderheilkunde Alter Kirchhainer Weg 5 35039 Marburg/Lahn

Euro-Nephro-Dis ney Ein Kongreßber ficht

Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 41,14. Oktober 1994 (33) A-2737

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