POLITIK LEITARTIKEL
Chargendokumentation von Blutprodukten
Unterschiedliche Auffassungen zu Humanalbumin
Im Oktober 1993 faßte der Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) den Beschluß, die Vorschriften für eine ordnungsgemäße ärztliche Dokumentation auf verabreichte Blutprodukte auszuwei- ten. Hintergrund war die Diskussion um eine HIV-Gefährdung durch verseuchtes Blut und Blutprodukte. Nun hat die Kammer die
Vorgaben für eine „Chargendokumentation von Blut und Blutpro- dukten" präzisiert. Der genaue Wortlaut ist als Bekanntgabe in die- sem Heft veröffentlicht. Die Veröffentlichung in der jetzigen Form ist jedoch umstritten: Das Bundesgesundheitsministerium sowie das Paul-Ehrlich-Institut stehen nicht auf der Liste der Unterzeichner.
I
n der Bekanntgabe „Chargendo- kumentation von Blut und Blut- produkten" wird präzisiert, wel- che Präparategruppen dokumen- tiert werden müssen. Die Zusam- menstellung hat bereits Ende De- zember eine Arbeitsgruppe vorge- nommen, der Mitglieder des Wissen- schaftlichen Beirats der Kammer so- wie weitere Sachverständige ange- hörten. Dazu zählten auch Vertreter des Bundesministeriums für Gesund- heit sowie des Paul-Ehrlich-Instituts.Dennoch fehlen die beiden Institu- tionen auf der Liste der Unterzeich- ner.
Das Ministerium ließ zunächst mitteilen, daß „die Abstimmung zu der Chargendokumentation von Blutprodukten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesund- heit noch nicht abgeschlossen" sei.
Als nichts geschah, mahnte die Kam- mer Ende Januar bei Bundesgesund- heitsminister Horst Seehofer (CSU) eine zügige Bearbeitung an. In dem Schreiben im Namen des BAK-Vor- stands wird betont, daß die Ärzte- schaft kein Verständnis für eine der- artige Bearbeitung dringender Fra- gen habe. Schließlich habe man ja der Ärzteschaft vorgeworfen, Proble- me zwar erkannt, jedoch vernachläs- sigt zu haben. Nach einer Presseer- klärung hat „die Information der Ärzte Vorrang vor einem bürokrati- schen Marathon". Deshalb werde die Liste nun einfach veröffentlicht.
Im Bundesgesundheitsministeri- um (BMG), erklärte Friedger von Auer, habe man „aufgrund verschie- dener Voten" von einer Unterzeich- nung des Beschlusses zum jetzigen Zeitpunkt abgesehen. Von Auer ist Leiter des Referats „Blut und Blut-
produkte". Nach seinen Worten be- treffen die Einwände Humanalbu- min, das laut Bekanntgabe nicht do- kumentiert werden muß.
Auch Gesundheitsminister Horst Seehofer weist in seinem Schreiben an Dr. med. Karsten Vil- mar, BÄK-Präsident, auf dieses Pro- dukt hin. Die Abstimmung im Ge- schäftsbereich des BMG sei noch nicht abgeschlossen. Gleichzeitig bit- tet er darum, daß sich der Wissen- schaftliche Beirat der Kammer im Hinblick auf die Gruppe der Albu- minpräparate erneut mit der Doku- mentationsfrage befasse. Das Schrei- ben ist vom 28. Februar 1994 und lag der Bundesärztekammer bei Redak- tionsschluß noch nicht vor.
Angefügt ist ihm ein Brief aus dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) vom 27. Januar 1994. Darin wird erläu- tert, daß dem PEI nach der Sitzung bei der Bundesärztekammer Zweifel an der Auslassung von Humanalbu- min gekommen seien. Begründet wird dies formal damit, daß Ende 1993 die „Verordnung über die Ein- führung der staatlichen Chargenprü- fung bei Blutzubereitungen" auf den Weg gebracht worden sei. Für Blut- zubereitungen, die Humanalbumin enthalten, tritt sie am 1. Januar 1995 in Kraft. „Diese Vorschrift ist nur zu verstehen, wenn von einem vielleicht auch extrem geringen Risiko char- genabhängiger Mängel ausgegangen wird. Es erscheint dem PEI inkonse- quent, wenn der zweite Schritt, der zu Verfolgung dieser Mängel . . . not- wendig ist, nämlich die Chargendo- kumentation, unterlassen wird", heißt es.
Inhaltlich wird darauf verwiesen, daß zwar unbestritten sei, „daß nach
Einführung der Hitzebehandlung ...
die Viren, die zu Infektionen durch andere Blutprodukte mit bekannten Konsequenzen führten (HIV, Hepa- titis-Viren), durch Humanalbumin nicht übertragen werden". Es werde jedoch zunehmend diskutiert, ob nicht auch der Erreger der Creutz- feldt-Jakob-Erkrankung durch Blut und Blutprodukte übertragen wer- den könne und einer Hitzebehand- lung widerstehe. Konsequenz: Es sei in einem vorbeugenden Sinn notwen- dig, auch für Humanalbumin eine Chargendokumentation zu fordern.
Aus dem letzten Teil des Briefs läßt sich schließlich erahnen, warum das BMG noch immer keine eindeu- tige Stellung bezogen hat. Darin wird angemerkt, daß Humanalbumin häu- fig auch als Hilfsstoff eingesetzt wer- de. Auf den ersten Blick müsse man eine Dokumentationspflicht dann auch für derartige Produkte fordern.
Allerdings sei dem PEI gar nicht be- kannt, bei wie vielen Arzneimitteln Humanalbumin als Hilfsstoff einge- setzt werde. „Ist jedoch eine sehr große Zahl klassischer Arzneimittel betroffen ..., dann kann allein auf- grund der Masse nicht mehr mit ei- ner adäquaten Durchführung der Dokumentationspflicht gerechnet werden." Vor einer endgültigen Ent- scheidung müsse man sich erst einen Überblick verschaffen.
Prof. Dr. med. Walter Brand- städter, in der BÄK-Ad-hoc-Arbeits- gruppe federführend, kommentiert die Diskussion als „sehr feinsinnig geführt". Es sei richtig, den Beschluß nun zu veröffentlichen. Schließlich könne man die Liste ja, falls nötig, um das Albumin erweitern.
Sabine Dauth
Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 10, 11. März 1994 (19) A-623