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Archiv "Makroskopische Anatomie: Danken und Gedenken am Ende des Präparierkurses" (10.11.2006)

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A3008 Deutsches ÄrzteblattJg. 103Heft 4510. November 2006

T H E M E N D E R Z E I T

D

er Kurs der Makroskopischen Anatomie, von Medizinstu- dierenden und Ärzten meist kurz

„Präparierkurs“ genannt, nimmt in der Ärzteausbildung in vielerlei Hinsicht eine außergewöhnliche Stellung ein. Elektronische Medien der studentischen Lehre können das Lernen an der Leiche zwar unter- stützen, die eigenen Erfahrungen beim Präparieren aber nicht erset- zen (1, 2). Keinem anderen Kurs im Verlauf des Studiums wurde rück- blickend von Krankenhausärzten eine so hohe Relevanz für die kli- nisch-ärztliche Tätigkeit zuerkannt wie dem Präparierkurs (10). Diese Einschätzung findet man grund- sätzlich bestätigt bei der Auswer- tung einer kürzlich durchgeführten Befragung von mehr als 1 000 Ärz- ten zur Zeit der Facharztprüfung (12). Es gibt zahlreiche Publikatio- nen zur Lehre der Makroskopi- schen Anatomie, die – unabhängig von Land und Ausbildungssystem – die zentrale Rolle dieses Kurses im

Medizinstudium betonen (4, 8, 9, 11, 14). Für viele junge Studierende ist dies der erste Kontakt mit einem toten Menschen. Dass dessen Leich- nam im Laufe des Kurses durch das Skalpell in seiner körperlichen Inte- grität zerstört werden muss, um Wis- sen zu erwerben, kommt als belasten- der Faktor für Studierende und Leh- rende hinzu (5, 15).

Prägender Einfluss auf die spätere ärztliche Tätigkeit

Ärzte erinnern sich noch viele Jahre nach Abschluss des Studiums an die besonderen Situationen und Erfah- rungen in diesem Kurs. Aber auch die zwiespältigen Reaktionen aus dem näheren Umfeld wie Familien- und Freundeskreis, die sich in Fra- gen, ironischen Bemerkungen oder Erzählverboten ausdrücken, ruft kein anderer Kurs des Medizinstu- diums hervor (14). Oft finden sich deshalb im Kreis der Kommilitonen und Institutsangehörigen die einzi- gen Ansprechpartner für die Aus-

einandersetzung mit diesen Erfah- rungen, den dadurch verursachten eigenen Gedanken und Gefühlen und den existenziellen Fragen zu Sinn und Grenze des Lebens. Ver- mutlich hat bereits die Art der Aus- einandersetzung mit dem Leichnam Einfluss auf die spätere ärztliche Tätigkeit und den Umgang mit Pati- enten (6). Den Mitarbeitern der In- stitute für Anatomie kommt dabei eine Vorbildfunktion zu – sowohl in Bezug auf ihren eigenen respekt- vollen Umgang mit dem Körper- spender als auch in Hinsicht auf ei- ne mögliche Auseinandersetzung mit Gedanken und Bedenken der Studierenden (11). Diese müssen ernst genommen, nicht überspielt oder durch Übersprunghandlungen kaschiert werden (14). Schließ- lich ist das intensive Lernen am menschlichen Körper nur deshalb möglich, weil diese Menschen sich dafür noch zu Lebzeiten freiwillig und ohne Honorierung zur Verfü- gung gestellt haben.

Ein angemessener Umgang mit den Körperspendern und den eige- nen Gefühlen kann durch einführen- de Erläuterungen zu Beginn und im Verlauf des Kurses erreicht werden, sodass eine gewisse, notwendige Professionalisierung, die Konzen- tration auf das Erlernen der Begriffe und funktionellen Zusammenhänge erreicht werden kann.

Darüber hinaus – so hat eine Um- frage unter allen Instituten für Anato- mie in Deutschland ergeben (13) – fördert eine von den Studierenden durchgeführte Veranstaltung am En- de des Präparierkurses die Auseinan- dersetzung mit dem Erlebten und den respektvollen Umgang. Zu den unter- schiedlichen Aspekten der Feiern am Ende des Kurses war im Sommer- semester 2005 allen Anatomie-Insti- tuten in Deutschland ein Fragebogen

MAKROSKOPISCHE ANATOMIE

Danken und Gedenken am Ende des Präparierkurses

Ergebnisse einer Umfrage bei Instituten für Anatomie in Deutschland

Wissenserwerb erfolgt dadurch, dass der Leichnam im Verlauf des Kurses in seiner körperlichen Inte- grität zerstört wird.

Foto:Peter Wirtz

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A3010 Deutsches ÄrzteblattJg. 103Heft 4510. November 2006

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zugeschickt worden. Gefragt wurde nach dem Zeitpunkt und Ort dieser Veranstaltungen, den Initiatoren und den Beteiligten, besonders nach der Mitwirkung der Studierenden und kirchlicher Vertreter. Es liegen Ant- worten von allen Instituten vor, die Präparierkurse durchführen.

Nur an einer medizinischen Fa- kultät gab es im Sommersemester 2004 keine vergleichbare Veranstal- tung. Es fällt auf, dass an 18 der 32 Institute die Feiern zum Abschluss des Kurses erst nach 1990 begonnen wurden. Andere hingegen blicken auf eine jahrzehntelange Tradition zurück. Die erste Anregung oder In- itiative für eine solche Feier ist nach Angabe der Anatomen in der Regel von den Lehrenden ausgegangen.

Vielfach scheinen auch Versetzun- gen an eine neue Dienststelle eine Rolle zu spielen.

Die Namensgebung zeigt die Viel- falt in der Zielsetzung der Feiern: 47 Prozent nennen sie Gedenkfeier, 21 Prozent Gedenkgottesdienst. Auch Trauergottesdienst oder Dankgottes- dienst werden verwandt. Manchmal steht die Wahl der Bezeichnung den Studierenden frei. Ein einmal ge- wählter Name wird selten gewech- selt. Die Namensgebung geht offen- sichtlich vor allem auf bisherige Er- fahrungen mit Feiern im Todesfall zurück, auch wenn es sich hier um ei- nen besonderen Anlass handelt.

Die alleinige Hauptverantwortung für die Feiern liegt zu 28 Prozent bei Mitarbeitern der Institute. Auch wenn nicht alle Veranstaltungen als Gottesdienst gehalten werden, sind zu 84 Prozent evangelische und ka- tholische Geistliche (meist Studie- rendenpastoren oder Klinikseelsor- ger), zu neun Prozent nur ein Pastor der evangelischen Kirche bei Vorbe- reitung und/oder Durchführung ein- bezogen. Ebenso sind eine Kirche (43 Prozent) beziehungsweise eine Friedhofskapelle (40 Prozent) der gewählte Veranstaltungsort. Deutlich seltener ist es ein Hörsaal oder eine Krankenhauskapelle.

Engagement der Studierenden

Die Studierenden beteiligen sich ak- tiv mit musikalischen Beiträgen, Lesungen, Ansprachen und Gebe- ten. Neben biblischen Texten wer-

den oft selbst verfasste, zum Teil sehr persönliche Texte vorgetragen.

Gesten, wie das Aufstellen von Ker- zen oder Blumen für jeden Körper- spender, werden in die Veranstal- tung integriert, die vielfach auch im Ablauf einem Gedenk- oder Beiset- zungsgottesdienst gleicht (17).

Die Abschlussfeier erfordert eine intensive Vorbereitung. Wenn man die zeitliche Belastung der Studie- renden unter anderem durch Klau- suren, Testate am Semesterende be- rücksichtigt, ist es erfreulich, dass sich einige Studierende für die Vor- bereitungsgruppen so viel Zeit neh- men. Das belegt, welch ein wichti- ges Anliegen diese Veranstaltung für diese Studierenden ist.

Dabei fließen keine Elemente an- derer Kulturen oder Religionen ein, obwohl an allen Universitätsorten Studierende unterschiedlicher kul- tureller Herkunft und religiöser Überzeugung studieren. Auch die Religionszugehörigkeit der Körper- spender wird, soweit sie bekannt ist, in mehr als 70 Prozent nicht berück- sichtigt (3, 7). Je nach Vermächtnis- verfahren in den einzelnen Institu- ten muss die Anonymität der Ver- mächtnisgeber gewahrt werden. In 37 Prozent der Feiern werden die Namen der Körperspender zum ers-

ten Mal als Zeichen für ihre Person genannt, ohne eine individuelle Zu- ordnung zu ermöglichen.

Auf die Abschlussveranstaltun- gen wird überwiegend in Vorlesun- gen (72 Prozent) oder auf Plakaten (66 Prozent) (Abbildung) hingewie- sen. Es erfolgen aber auch Ankündi- gungen in lokalen/regionalen Zei- tungen, besonders wenn neben den Studierenden die Angehörigen von Körperspendern erreicht werden sollen. Die Anzahl der Teilnehmer ist sehr unterschiedlich und setzt sich neben Studierenden aus Tuto- ren und Hilfskräften des Präparier- kurses, Wissenschaftlern und Hoch- schullehrern der Anatomie, Vertre- tern der Fakultätsleitung und An- gehörigen zusammen. Der Zu- spruch aus so verschiedenen Grup- pen zeigt das Bedürfnis, das Ende des Präparierkurses zu begehen und sich der Körperspender, die diesen erst möglich gemacht haben, zu er- innern (16).

Konsequenzen

Nicht nur in den medizinischen Fa- kultäten, sondern auch in der Ärzte- schaft werden die psychologischen Belastungen zu wenig wahrgenom- men, die durch den erstmaligen Um- gang mit der Leiche im Präparier- kurs für die jungen Studierenden entstehen. Dabei kommt den Anato- men eine über die reine Faktenver- mittlung weit hinausgehende Be- deutung zu. Die aktuelle Erhebung zeigt, wie ernst Mitarbeiter der ana- tomischen Institute das Bedürfnis der Studierenden nehmen, am Ende der Makroskopischen Lehre den Körperspendern gegenüber ange- messen die Dankbarkeit auszu- drücken. Deshalb ist es wichtig, dass auch bei der Entwicklung neu- er Studienmodelle Raum für die Vorbereitung und Durchführung ei- ner solchen Feier bleibt. n Dr. theol. Vera Christina Pabst Evangelische Jugendbildungsstätte Asel E-Mail: vera_pabst@gmx.net

Prof. Dr. med. Reinhard Pabst Abt. Funktionelle und Angewandte Anatomie Medizinische Hochschule Hannover E-Mail: Pabst.Reinhard@MH-Hannover.de Ankündigung

des Dankgottes- dienstes am Ende des Präparierkurses im Sommer 2006 an der Medizini- schen Hochschule Hannover

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit4506

@

Plakat:Camilla von Homeyer

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Deutsches ÄrzteblattJg. 103Heft 4510. November 2006 A1

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LITERATUR

1. Aland RC, Kippers V: Human biomedical anatomy: a dissection-based anatomy course for science students. Surg Radiol Anat 2005; 27: 152–3.

2. Aziz MA, McKenzie JC, Wilson JS, Cowie RJ, Ayeni SA, Dunn BK: The human cada- ver in the age of biomedical informatics.

Anat Rec (New Anat) 2002; 269: 20–32.

3. Becker KW, Papathanassiou V: Menschen wollen helfen: anderen Menschen, der Medizin, der Wissenschaft. Eine Erhebung unter den Körperspendern für die Anato- mische Ausbildung an der Universität des Saarlandes. Gesundheitswesen 1999; 61:

A 35.

4. Dickinson GE, Lancester CJ, Winfield IC, Reece EF, Colthorpe CA: Detached con- cern and death anxiety of first year medi- cal students: before and after the gross anatomy course. Clin Anat 1997; 10:

201–7.

5. Gadebusch M, Kiekbusch S, Sohr S: Der Präparierkurs im psychologischen und medizinhistorischen Kontext. Psychomed 2000; 12: 59–66.

6. Lippert H: Wie human ist die Humananato- mie? Verh Anat Ges 1985; 79: 21–30.

7. Lippert H, Kaul-Hecker U, Cornely V: Sozio- logie und Psychologie der Körperspender.

Verh Anat Ges 1980; 74: 841–3.

8. Marks SC, Bertman SL, Penney JC: Hu- man anatomy: a foundation for education about death and dying in medicine. Clin Anat 1997; 10: 118–22.

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10. Pabst R, Rothkötter HJ: Was Ärzte rück- blickend von ihrer Ausbildung halten.

Dtsch Ärztebl 1996; 93: A 451–2.

11. Putz RV: Der Leichnam in der Anatomie. Z Med Ethik 1999; 45: 27–32.

12. Hofer M, Jansen M, Soboll S: Verbesse- rungspotential des Medizinstudiums aus retrospektiver Sicht von Facharztprüfun- gen. Dtsch. Med. Wochenschr 2006; 131:

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13. Tschernig T, Pabst R: Services of thanks- giving at the end of gross anatomy cour-

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14. Tschernig T, Schlaud M, Pabst R: Emotio- nal reactions of medical students to diss- ecting human bodies: a conceptual ap- proach and its evaluation. Anat Rec (New Anat) 2000; 261: 11–3.

15. Weiher E: Der Umgang mit dem Leichnam in der Anatomie. Für ein umfassendes Ler- nen in der Mediziner-Ausbildung. Z Med Ethik 2000; 46: 37–43.

16. Wastl G: Ein heilsames Geschehen: Eine Toten-Gedenkfeier in der Anatomie. Gott- esdienst 2005; 39: 45.

17. Pabst VC: Danken – Gedenken – Trauern?

Die Bedeutung der Kasualie zum Ab- schluss des „Präparierkurses“ im Medizin- studium. Berl Theol Zeitschr 2006; im Druck.

LITERATURVERZEICHNIS HEFT 45/2006, ZU:

MAKROSKOPISCHE ANATOMIE

Danken und Gedenken am Ende des Präparierkurses

Ergebnisse einer Umfrage bei Instituten für Anatomie in Deutschland

Referenzen

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