Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 46⏐⏐17. November 2006 A3077
P O L I T I K
noch viele offene Fragen, beispiels- weise in welchem Zeitraum für die jeweilige Region die notwendigen Impfdosen zur Verfügung stehen, ob die (Vor-)Finanzierung der Impf- stoffbereitstellung geklärt ist und welche Personengruppen prioritär geimpft werden sollen. Zudem haben viele Länder nicht die notwendigen Medizinprodukte/Zusatzmaterialien, wie Kanülen und Spritzen, in ausrei- chender Menge bevorratet.
Im Sommer 2005 forderten die Gesundheitsministerkonferenz und die Bund-Länder-Abteilungsleiter-
Arbeitsgruppe die Bundesärztekam- mer und die Kassenärztliche Bun- desvereinigung auf, für den Fall einer Pandemie Risikogruppen zu definieren, die bevorzugt medika- mentös versorgt werden sollten.
Eine Priorisierung lehnt die Ärzte- schaft jedoch strikt ab, da dies auf eine harte Rationierung hinauslau- fen würde. Gesundheitsrisiken und Überlebenschancen eines behand- lungsbedürftigen Patienten gegen- über den anderen, meist noch un- bekannten Patienten abwägen zu
müssen, ist zutiefst unethisch und mit der ärztlichen Berufsauffassung nicht vereinbar. Auch rechtlich ist der Arzt seinem Patienten gegen- über individuell verantwortlich.
Bei gegebener Indikationsstellung müssen Ärztinnen und Ärzte trotz der Mittelknappheit im Gesundheits- wesen unter ethischen und rechtli- chen Aspekten antivirale Arzneimit- tel rezeptieren. Dabei muss ange- sichts dieser Knappheit die Indika- tion jedoch besonders sorgfältig ge- stellt werden. Inwieweit das Rezept in einer Apotheke eingelöst werden kann, hängt allein davon ab, wie lange der Vorrat reicht.
Diese Position akzeptierte die Bund-Länder-Koordi- nierungsgruppe. Die Länder haben andere Lösungen in ihren jeweiligen Landes- pandemieplänen gefunden, wie das Austeilen von Bezugsscheinen für Schlüsselpersonen, die antivirale Arz- neimittel aus einem gesonderten Kontingent des Vorrats beziehen können. Es ist die Aufgabe von Bund und Ländern, Strategien zum Um-
gang mit der Knappheit zu ent- wickeln, die sie durch eine zu geringe Bevorratung von antiviralen Arznei- mitteln verursacht haben.
Konsequentes Vorgehen Ziel der Bundesärztekammer und der Landesärztekammern ist es, durch geeignetes politisches Vorge- hen auf Bund und Länder einzuwir- ken, um den nationalen Pandemie- plan mit Festlegungen der Verant- wortlichkeiten bis in den kommuna- len Bereich hinein auszudifferenzie- ren. Eine klare Festlegung der Zu- ständigkeiten und Verantwortlich- keiten von Bund und Ländern ist un- abdingbar. Vor allem wird eine kon- sequente Vorgehensweise zur Be- vorratung und Vergabe von antivi- ralen Arzneimitteln zu therapeuti- schen und/oder prophylaktischen Zwecken und eine zeitadäquate Ver- fügbarkeit von wirksamen Pande- mieimpfstoffen für die Bevölkerung gefordert. Fragen, wie die der Kosten- übernahme der Pandemievorberei- tung und -bekämpfung durch den Staat oder durch die Krankenver- sicherungen, der Sicherstellung der allgemeinen Versorgung der Bevölkerung sowie der allgemeinen Kranken- versorgung, der stationä- ren und der ambulanten Versorgung, sind dringend zu klären.
Die Bundesärztekammer und die Landesärztekam- mern treten gegenüber Bund und Ländern dafür ein, dass für Aufgabenbereiche, für die keine Bundeskompetenz be- steht, aber für die ein einheitli- ches Handeln geboten ist, zu- mindest eine funktionierende Koordinierungsstelle mit Ent- scheidungsbefugnis gemeinsam von Bund und Ländern einge- richtet werden muss. Ferner sollte die Bund-Länder-Koordi- nierungsgruppe den Dialog mit der Bundesärztekammer wieder aufnehmen, um die Pandemie- vorbereitung voranzutreiben. I Dr. med. Annegret Schoeller Bundesärztekammer
Langfassung des Beitrags unter:
www.aerzteblatt.de/plus4606
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Es ist die Aufgabe von Bund und Ländern, Strategien zum Umgang mit der Knappheit zu entwickeln.
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INFORMATIVE BROSCHÜRE
Gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gibt die Bundesärztekammer aktuell den 20-seitigen Flyer „Fragen und Ant- worten zur Vogelgrippe“ für die Praxis und das Krankenhaus heraus.
Fragen wie „Wer ist gefährdet?“, „Wie steckt man sich an?“, „Wie wahrscheinlich ist eine Pandemie?“ oder „Ei und Geflügel – worauf sollte man achten?“ sowie Fragen zu Impfung, Behandlung und Prophylaxe werden übersichtlich geordnet und leicht verständlich beantwortet. Die Landesärztekammern oder Kassenärztlichen Vereinigungen können die erforderlichen Exemplare – mit ihrem eigenen Logo versehen – selbst drucken. Den Flyer kann man aber auch bereits jetzt auf den Internetseiten von BÄK und KBV einsehen und herunterladen. Dies ist auch über das Onlineangebot des Deutschen Ärzteblattes (www.aerzteblatt.de/plus4606) möglich.
Neben dieser Patienteninformation veröffentlichten BÄK und KBV unter Mitarbeit der Arzneimittel- kommission der Ärzteschaft bereits im Dezember 2005 für Ärztinnen und Ärzte die Empfehlungen
„Saisonale Influenza, Vogelgrippe und potenzielle Influenzapandemie – Empfehlungen zum Einsatz insbesondere von antiviralen Arzneimitteln“ (www.aerzteblatt.de/plus4606). Eine weitere medizinische Empfehlung zur Thematik der Postexpositions- und Langzeitprophylaxe mit antiviralen Arzneimitteln wird derzeit erarbeitet und demnächst im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht. ER