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Warum Sie diesen Beitrag lesen sollten?Derzeit stellt die knöcherne Rekonstruktion von großen Oberkieferdefekten über (mikrovaskulär anastomosierte)
autologe Transplantate einen Standard der Rehabilitation der betroffenen Patienten dar. Dieser
sollte jedoch in ausgewählten Fällen kritisch diskutiert werden,
da sich manchmal auch mittels deutlich weniger invasiven Verfahren in enger interdisziplinär
chirurgisch-prothetischer Zusammenarbeit suffiziente und zufriedenstellende Versorgungen
erarbeiten lassen.
VERSORGUNG NACH HEMIMAXILLEKTOMIE
Manchmal ist weniger mehr – defektprothetische Versorgung im Oberkiefer nach Hemimaxillektomie
Dr. Monika Bjelopavlovic M.Sc., PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer M.A., FEBOMFS
Ziel: In der vorliegenden Fallbeschrei- bung wird eine Option zur implantatpro- thetischen Versorgung des Oberkiefers nach ablativer Chirurgie ohne ossäre Re- konstruktion präsentiert.
Material und Methode: Bei einem 60-jäh- rigen Patienten erfolgte aufgrund eines Plattenepithelkarzinoms im anterioren Oberkiefer eine Hemimaxillektomie. Nach einer alio loco fehlgeschlagenen Becken- kammaugmentation des Oberkieferde- fekts wurden in den residualen Knochen strategisch zahnärztliche Implantate inse- riert und der Patient steggetragen-implan- tatprothetisch rehabilitiert.
Schlussfolgerung: Mittels einer minimal - invasiven implantatprothetischen Lösung lassen sich bei sorgfältiger präoperativer Planung und Analyse nicht selten auch im Fall einer defizitären Oberkiefersituation gute Ergebnisse in funktioneller und äs- thetischer Hinsicht erreichen.
Schlüsselwörter: Plattenepithelkarzi- nom; Oberkiefer; ablative Chirurgie; Im- plantation; Prothetik; minimalinvasiv
Zitierweise: Bjelopavlovic M, Kämmerer PW: Versorgung nach Hemimaxillektio- mie. Manchmal ist weniger mehr – implan-
tatprothetische Versorgung im Oberkiefer nach Hemimaxillektomie. Z Zahnärztl Im- plantol 2020; 36: 256 260
DOI.org/10.3238/ZZI.2020.0256 0260
EINLEITUNG
Das Mundhöhlenkarzinom beinhaltet nach abgeschlossener Primärtherapie des Tumors oftmals einen komplexen An- satz in der Wiederherstellung der Kau- und Sprechfunktionalität. Der rekonstruk- tive Anteil der dentalen Rehabilitation ist entscheidend bei der psychosozialen Reintegration der Betroffenen und muss nach patientenindividuellen Risikofakto- ren festgelegt werden [1, 2].
Hierbei gibt es insbesondere bei De- fekten im Oberkiefer in der Literatur nicht ausreichend Evidenz für ein allgemein zu bevorzugendes chirurgisches und/oder prothetisches Konzept bei der Versorgung dieser herausfordernden Fälle [7, 3], je- doch sollen die Hygienefähigkeit und die Möglichkeit einer strukturierten Nachsor- ge im Vordergrund stehen [5]. Der vorge- stellte Fall beleuchtet einen implantatpro- thetischen Ansatz zur funktionellen und ästhetischen Rehabilitation eines ausge-
dehnten Kieferdefekts nach ablativer Ent- fernung eines Plattenepithelkarzinoms im Oberkiefer nach alio loco fehlgeschlage- ner ossärer Augmentation.
AUSGANGSLAGE
Ein 60-jähriger Patient stellte sich 2017 in der ambulanten Sprechstunde der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Univer- sitätsmedizin Mainz mit gesicherter Diag- nose eines Plattenepithelkarzinoms im anterioren Oberkiefer zwecks Therapie- übernahme vor. Ursprünglich wurde der Patient aufgrund des gelockerten Zahns 21 vorstellig, der ihm Schmerzen bereite- te. Bei der klinischen Befundung imponier- te der histologisch gesicherte Befund ex- traoral unauffällig, intraoral stellte sich ei- ne 4x5 cm große, verrukös-ulzeröse Mundschleimhautveränderung in regio 21–25 dar (Abb. 1). Zur weiteren Diagnos- tik wurde eine Panoramaschichtaufnahme angefertigt (Abb. 2) sowie ein Staging (CT-Kopf/Hals- und Röntgen-Thorax-Auf- nahme) initiiert. In Zusammenschau der Befunde ergab sich die Tumorformel cT4a, cN0, Mx. Anamnestisch wies der Patient eine gut eingestellte arterielle Hy- pertonie auf und nahm täglich einen selek- tiven Betablocker sowie einen Angioten- sin-Converting-Enzym-Hemmer ein. Des Weiteren wurde eine Edoxaban-Therapie zur Antikoagulation angegeben. Im inter- disziplinären Tumorbord der Universitäts- medizin Mainz wurde die Empfehlung zur chirurgischen Therapie des den Oberkie- Abb. 1: Klinischer Befund eines Plattenepithelkarzi- noms des anterioren Oberkiefers bei Erstvorstellung
Abb. 2: Panoramaschichtaufnahme zum Zeitpunkt der initialen Vorstellung
Abb. 1–5: Peer W. Kämmerer
Abb. 3: Entnommenes Oberkieferteil - resektat regio 21–25 unter Bewahrung eines Sicherheitsabstandes am patho lo - gischen Präparat von mindestens 0,5 cm
Abb. 4: Postoperative Panoramaschichtaufnahme
Abb. 5: Ausschnitt aus der postoperativen Panoramaschichtaufnahme nach Insertion der Im- plantate regio 11, 21, 23 und 27
fer infiltrierenden Plattenepithelkarzinoms getroffen.
VORGEHENSWEISE Chirurgische Therapie
Das oben beschriebene Plattenepithelkar- zinom wurde im Sinne einer Hemimaxillek- tomie unter Bewahrung eines Sicherheits- abstandes am pathologischen Präparat von mindestens 0,5 cm reseziert (Abb. 3).
Die teils direkt in Kontakt mit dem Tumor befindlichen, teils nicht erhaltungswürdi- gen Zähne 11, 21, 24, 25, 46 und 47 wur- den im Rahmen der Operation extrahiert (Abb. 4). Zusätzlich fand eine beidseitige selektiv-funktionelle Neck Dissection statt.
Zur lokalen Rekonstruktion des Weichge- webes wurde ein kaudal gestielter Nasola- biallappen von links nach enoral einge- schlagen. Aufgrund der Ausdehnung des in sano resezierten Tumors (pT4a, pN0(0/30), L0, V0, Pn0, G2, R0) mit einer Infiltrationstiefe von 11 mm folgte dem chi- rurgischen Eingriff eine adjuvante Radio- chemotherapie. Der Patient entschied sich im weiteren Verlauf für eine heimatnahe Rekonstruktion des Defekts mit einem avaskulären Beckenkammtransplantat, das jedoch nach Bildung einer Dehiszenz und ausbleibender Einheilung entfernt werden musste. Circa 2 Jahre nach der ab- lativen Entfernung des Oberkieferkarzi- noms erfolgte so eine Wiedervorstellung mit Bitte um Rekonstruktion. Da sich in der
Tumornachsorge kein Hinweis auf das Auftreten von Rezidiven und/oder Metas- tasen darstellte, erfolgte in Absprache mit dem Patienten, der als primäres Ziel eine Rekonstruktion der Kau funktionalität an- strebte, primär aufgrund der ausgeprägten Einziehung der Oberlippe nach Einlage- rung des Nasolabiallappens und Verlust
des Beckenkammtransplantats eine Vesti- bulumplastik des Oberkiefers mit Spalt- haut. Im zweiten Schritt wurden 4 Implan- tate im Oberkiefer in regio 11, 21, 23 und 27 und 2 im Unterkiefer in regio 46 und 47 unter oraler Antibiose mithilfe einer 3D-Schablone inseriert (jeweils Strau- mann BLX®; Abb. 5), die subgingival ein- heilten. Bei der chirurgischen Freilegung
stellte sich das Implantat in regio 27 als nicht osseointegriert dar und wurde ex- plantiert. Von einer Nachimplantation wur- de nach eingehender Abwägung des Risi- koprofils (stattgefundene Radiochemothe- rapie) abgesehen und der Patient zur Ver- sorgung an die Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde überwiesen.
Prothetische Therapie
Der Patient stellte sich als ausgesprochen compliant und technisch sehr versiert dar.
Als leidenschaftlicher Trompetenspieler stellte er klare Anforderung an die Gestal- tung der Suprakonstruktion mit Bitte um minimalen Overjet, da sonst sein durch die Operation nicht mehr vorhandener Lip- penschluss weiter negativ beeinflusst wer- den würde. Den sehr regen Austausch mit dem Patienten sieht man beispielhaft in Abbildung 6, die eine schematische Dar- stellung der besprochenen prothetischen Elemente darstellt. Der Fokus lag auf der Rehabilitation der Sprache und der Kau - funktion durch eine steggetragene he- rausnehmbare Suprakonstuktion. Grund- sätzlich wurde eine Gaumenfreiheit ge- wünscht, die in der Patientenaufklärung besprochen und intensiv im Hinblick auf Stabilität und Erweiterbarkeit diskutiert wurde. Dabei stand einerseits der Patien- tenwunsch im Vordergrund, sollte aber mit den technischen Möglichkeiten vereinbar bleiben. Die fast lineare Anordnung der
Rekonstruktionen mit implantatprothetischer Rehabilitation von Defekten
nach ablativer Chirurgie orientiert sich an individuellen Risikofaktoren
und Präferenzen.
Abb. 6: Schematische Zeichnung des Patienten (mit freundlicher Genehmigung des Patienten)
Abb. 7: ATLANTIS ISUS Planungssoftware (ATLANTIS ISUS, Viewer 3.2)
Abb. 7: Bjelopavlovic
osseointegrierten Implantate und der Ver- lust des Implantats in regio 27 für ein idea- leres Unterstützungspolygon erwiesen sich als Herausforderung im Fräszentrum der Mesostruktur (ATLANTIS™ ISUS, Abb. 7). Dabei wurde auf die grazile Aus- dehnung im Frontzahnbereich geachtet und die 2–1 Konstruktion zusätzlich durch 2 Riegel unterstützt (Abb. 8–11). Der Zahn in regio 28, der vital war, eine Taschentie- fe von < 4 mm und keinen Lockerungs- grad aufwies, wurde als distaler Unterstüt- zungspfeiler mit einer Klammerauflage versehen. Sollte es hier in Zukunft zu ei- nem Zahnverlust kommen, ist die Insertion von zusätzlichen Implantaten avisiert. Die Implantate 46 und 47 wurden konventio- nell prothetisch versorgt (Abb. 12). Durch ein patientenindividuelles und engmaschi- ges Recall wird eine Kontrolle von streng zu vermeidenden Druckstellen und eine Überprüfung der Hygienefähigkeit in Zu- kunft neben der standardisierten Tumor- nachsorge durchgeführt werden.
DISKUSSION
Der vorliegende Fall beinhaltet eine im- plantatprothetische Rehabilitation bei ei- nem durch eine vorherige ablative Chirur- gie der anterioren Maxilla und einer adju- vanten Radiochemotherapie kompromit- tierten Patienten nach Fehlschlag einer alio loco durchgeführten avaskulären Kno- chentransplantation. In der Literatur fin-
den sich wenige Studien mit Nachuntersu- chungen der Implantatüberlebensraten im bestrahlten Gebiet, wobei – unter Beach- tung multipler Kautelen – auch bei be- strahlten Patienten besonders im Oberkie- fer ein ähnliches Langzeitüberleben der Implantate im Vergleich zu nicht-bestrahl-
ten Patienten beobachtet werden konnten [4, 8]. Die Wirkung der Chemotherapie auf die Osseointegration und das Überleben von zahnärztlichen Implantaten ist nicht gut belegt, obwohl gezeigt wurde, dass das Risiko einer durch Bestrahlung verur- sachten Knochenschädigung durch eine Abb. 8a/b: Steg in situ (a) und Suprakonstruktion intraoral (b)
Abb. 9a/b: Suprakonstruktion extraoral: Ansicht vestibulär (a) und Aufsicht (b)
Abb. 10: Inkorporierte Suprakonstruktion Abb. 11: Inkorporierte Suprakonstruktion von
frontal
a b
a b
Abb. 8a/b: M. BjelopavlovicAbb. 9a/b: M. Bjelopavlovic Abb. 10–12: M. Bjelopavlovic
Chemotherapie erhöht wird [6]. Tiermo- dellstudien legen nahe, dass Chemothe- rapeutika den normalen physiologischen Knochenumsatz, insbesondere die osteo- blastische Aktivität, nachteilig beeinflus- sen und auch die Frakturheilung und den Einbau von Knochentransplantaten durch dieselben Mechanismen verändern [9].
Des Weiteren wurde der Aspekt der be- sonders vulnerablen Mundschleimhaut dieses Patientenklientels herausgearbei- tet und auf die Tegumententlastung durch implantologische Unterstützung hingewie- sen [5]. In dem gezeigten Fall wurde auf die Augmentation (mit einem mikrovasku- lären Transplantat bei ersatzschwachen bis unfähigem Lager) vor allem aufgrund des vorausgegangenen Verlustes eines alio loco inserierten Knochentransplantats sowie der Möglichkeit eines minimalinva- siveren Vorgehens nach ausführlicher Aufklärung des Patienten über alle Optio- nen mit ihren jeweiligen Vor- und Nachtei- len verzichtet.
Aufgrund der hohen Patientencompli- ance und der handwerklichen Geschick- lichkeit sowie einer grundlegenden Beurtei- lung und prognostischen Einschätzung der Restzähne des Oberkiefers konnte dem Wunsch nach Gaumenfreiheit nachgekom- men werden und Riegelelemente als zu- sätzliche Halteelemente eingefügt werden.
FAZIT
Die Wahl zwischen chirurgischer Rekons truktion mit Knochentransplanta- ten und einer minimalinvasiveren im- plantatprothetischen Rehabilitation von Oberkieferdefekten (inklusive einer Ob- turatoranfertigung) nach ablativer Chi- rurgie orientiert sich unter anderem an der Art des Defektes inklusive des resi- dualen Weich- und Hartgewebes, den in- dividuellen Risikofaktoren und Präferen- zen sowie den sozioökonomischen Mög- lichkeiten. Generell ist keine der Metho- den strikt zu bevorzugen, und es lässt sich oft in beiden Fällen – bei sorgfältiger präoperativer Planung – eine ausrei- chende Wiederherstellung von Funktion und Ästhetik erreichen.
Interessenkonflikte: Die Autoren geben an, dass in dem Zusammenhang mit dem Beitrag keine Interessenkonflikte beste- hen. Außerhalb der eingereichten Arbeit
gibt Dr. Bjelopavlovic an: Straumann. Dr.
Kämmerer: Wissen kompakt, ZZI, Sanofi- Aventis, Straumann, Zahnärztekammer, ITI.
Literatur
1 _ Allison PJ, Locker D, Feine JS:. The relationship between dental status and health-related quality of life in upper aerodigestive tract cancer patients.
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2 _ Bender-Heine A, Wax MK:. Reconstruction of the Midface and Palate. Semin Plast Surg 2020; 34:
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3 _ Buurman DJM, Speksnijder CM, de Groot RJ, Kessler P, Rieger JM: Mastication in maxillectomy patients: A comparison between reconstructed maxillae and implant supported obturators:
A cross-sectional study. J Oral Rehabil 2020; 47:
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4 _ Chrcanovic BR, Albrektsson T, Wennerberg A:
Dental implants in irradiated versus nonirradiated patients: A meta-analysis. Head Neck 2016; 38:
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6 _ Marx RE: Osteoradionecrosis: a new concept of its pathophysiology. J Oral Maxillofac Surg 1983;
41: 283–288
7 _ McCord JF, Michelinakis G: Systematic review of the evidence supporting intra-oral maxillofacial prosthodontic care. Eur J Prosthodont Restor Dent 2004; 12: 129–135
8 _ Schiegnitz E, Al-Nawas B, Kämmerer PW, Grötz KA: Oral rehabilitation with dental implants in irra- diated patients: a meta-analysis on implant survi- val. Clin Oral Investig 2014; 18: 687–698 9 _ Young DR, Virolainen P, Inoue N, Frassica FJ,
Chao EY: The short-term effects of cisplatin che- motherapy on bone turnover. J Bone Miner Res 1997; 12: 1874–1882
Abb. 12: Konventionelle implantatprothetische Versorgung im Unterkieferseitenzahnbereich regio 46 und 47
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DR. MONIKA BJELOPAVLOVIC, M.SC.Universitätsmedizin Mainz, Poliklinik für Zahn- ärztliche Prothetik und Werkstoffkunde monika.bjelopavlovic@unimedizin-mainz.de
Foto: privat
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PD DR. DR. PEER W. KÄMMERER Leitender Oberarzt und stellv. Klinikdirektor;Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Plastische Operationenen
der Universitätsmedizin Mainz peer.kaemmerer@unimedizin-mainz.de
Foto: privat