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Archiv "Zeugen Jehovas: Kritik am Transfusionsverbot nimmt zu - Stellungnahme" (12.04.2002)

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Stellungnahme

Es ist unter Medizinern allgemein be- kannt, dass Jehovas Zeugen die Trans- fusion von Vollblut und dessen Haupt- bestandteilen ablehnen (1). Unzählige Angehörige der Religionsgemeinschaft schätzen es, dass engagierte Ärzte in den letzten Jahrzehnten die Herausfor- derung angenommen und sie erfolg- reich unter dieser Bedingung behandelt haben (2).

Transfusionsalternativen

Das seit den 80er-Jahren geschärfte Ri- sikobewusstsein hat ein Überdenken der allgemeinen Transfusionspraxis be- wirkt. So wurde ein Hämoglobinwert von 10 g/dl als Transfusionstrigger für alle Patienten aufgegeben. Immer mehr Strategien fremdblutfreier Behandlung wurden entwickelt: zum Beispiel ge- naue Blutstillung, Cell Salvage sowie Erythropoetin und Aprotinin. Die San- guis-Studie und Anschlussstudien bele- gen, dass dennoch die Transfusionspra- xis in den Kliniken große Unterschiede aufweist (3). Demzufolge werden viele unnötige Transfusionen verabreicht.

Selbst bei alten und Intensivpatienten sind routinemäßige Fremdblutgaben offensichtlich nicht angezeigt und er- höhen sogar die Mortalität (4, 5). Des- halb zielt das Transfusionsgesetz darauf ab, den Verbrauch von Blut und Blut- produkten lückenlos zu dokumentieren und zu verringern.

Hilfsdienst für Zeugen Jehovas

Um die fremdblutfreie Behandlung für Patienten, die Zeugen Jehovas sind, zu erleichtern, hat die Religionsgemein- schaft seit den 80er-Jahren den Kran- kenhausinformationsdienst und landes- weit Krankenhaus-Verbindungskomi- tees gebildet. Dies wurde vom Justiziar der Berufsverbände Deutscher Anäs- thesisten und Chirurgen begrüßt (6). In- zwischen ist der Hilfsdienst in 150 Län- dern tätig und arbeitet mit über 100 000 erfahrenen Ärzten zusammen, davon in Deutschland über 4 600. Beide Sei- ten profitieren vom Informationsaus- tausch (7). Beispielsweise wird das von Jehovas Zeugen in Zusammenarbeit mit weltweit führenden Experten pro- duzierte Video „Konzepte für Transfu- sionsalternativen: einfach, sicher und effektiv“ in der klinikinternen Fortbil- dung eingesetzt. In der medizinischen Fachliteratur werden zunehmend Ar- beiten über die Behandlung von Zeu- gen Jehovas veröffentlicht (8, 9). Bei elektiven Eingriffen können Zeugen Je- hovas in der Regel zwischen mehreren Ärzteteams wählen. Eine kompetente Versorgung ist auch in Notfällen gesi- chert. Der Hilfsdienst wird nur auf Wunsch des Patienten oder des Arztes tätig und achtet somit in vollem Maß das Arzt-Patienten-Verhältnis.

„Imperatives Glaubensgebot“

Trotz dieser Entwicklungen werden Je- hovas Zeugen immer noch von Außen- stehenden wegen ihrer Ablehnung von Fremdblut diskreditiert. Dies geschieht zum Beispiel über eine anonyme Web- site und von Dr. Osamu Muramoto, der selbst kein Zeuge Jehovas ist und sei- ne Informationen hauptsächlich von Apostaten bezieht (10). Es ist sachlich nicht gerechtfertigt, Patienten, die Zeu- gen Jehovas sind, im Rahmen des Auf- klärungsgesprächs auf diese Quellen hinzuweisen. Denn gemäß den Emp- fehlungen der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedi- zin besteht der Zweck der Aufklärung darin, über Diagnose und Verlauf der Erkrankung sowie Alternativen und Risiken der Behandlung zu informieren (11). Zudem basiert bei Jehovas Zeu- gen die Ablehnung von Bluttransfusio-

nen auf einem „imperativen Glaubens- gebot“ (6), das der Einzelne aufgrund seines Bibelstudiums (12) vor Beginn der Mitgliedschaft als für sich bindend akzeptiert hat. Eine dieses Glaubensge- bot ablehnende Reformbewegung in- nerhalb der Religionsgemeinschaft exi- stiert nicht. Wenn ein Zeuge zentralen Glaubensinhalten den Rücken kehrt, kann dies zur Trennung von der Religi- onsgemeinschaft führen. Gemäß dem Verständnis der Zeugen Jehovas ändert sich die Beziehung der Eheleute jedoch nicht, wenn ein Partner kein Zeuge Je- hovas mehr ist (13). Kinder, denen ge- gen ihren Willen oder den Willen ihrer Eltern Bluttransfusionen verabreicht wurden, erfahren Trost und Zuwen- dung innerhalb ihrer Familie und in der Glaubensgemeinschaft (14).

Literaturverzeichnis

1. Deutsch E, Bender AW, Eckstein R, Zimmermann R, editors: Transfusionsrecht. Stuttgart: Wiss. Verl.- Ges.; 2001, p. 246–261.

2. Ott DA, Cooley DA: Cardiovascular: surgery in Je- hovah’s Witnesses: report of 542 operations without blood transfusion. JAMA 1977; 238 (12): 1256–1258.

3. Sanguis Study Group: Use of blood products for elective surgery in 43 European hospitals. Transf Med 1994; 4 (4): 251–268.

4. Von Bormann B, Strube HD: Verletzungen im fortge- schrittenen Lebensalter aus anästhesiologischer Sicht. OP-Journal 1995; 11 (1): 16–23.

5. Hébert PC et al.: A multicenter, randomized, con- trolled clinical trial of transfusion requirements in critical care. N Engl J Med 1999; 340 (6): 409–417.

6. Weißauer W: Spezielle Probleme der Eingriffseinwil- ligung und der Aufklärungspflicht. In: Häring R, edi- tor. Chirurgie und Recht. Berlin: Blackwell; 1993, p.

134–143.

7. Zieger B et al.: Therapie des schweren Faktor-VII- Mangels bei Mitgliedern der Zeugen Jehovas. Mo- natsschr Kinderheilkd 1997; 145 (10): 1076–1079.

8. Bartha R et al.: Blutersatzfreie Eingriffe in der Urolo- gie: Eine retrospektive Studie. Aktuel Urol 2001; 32 (2): 87–96.

9. Suess S et al.: Neurosurgical procedures in Jehovah’s Witnesses: an increased risk? Neurosurgery 2001;

49 (2): 266–273.

10. Röttgers HR, Nedjat S: Zeugen Jehovas: Kritik am Transfusionsverbot nimmt zu. Dtsch Arztebl 2002;

99: A 102–105 [Heft 3].

11. Biermann E: Einwilligung und Aufklärung in der Anästhesie. AINS 1997; 32 (7): 427–452.

12. Die Bibel: Apostelgeschichte 15, 29.

13. Websites: www.JehovasZeugen.de; www.watchto wer.org

14. Ströter M, Fichtner L: Religiöse Bedürfnisse von Pati- enten verschiedener Glaubensbekenntnisse und ihre Pflege im Krankenhaus. Deutsche Krankenpflege- zeitschrift 1987; 40 (2): 2–14.

Werner Rudtke, Präsidium der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland e.V., Am Steinfels, 65618 Selters

T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 15½½½½12. April 2002 AA999

zu dem Beitrag

Zeugen Jehovas: Kritik am Transfusionsverbot nimmt zu

von

Dr. med. Hanns-Rüdiger Röttgers und

Dr. med. Schide Nedjat in Heft 3/2002

DISKUSSION

(2)

Beim Lesen des sehr auf Emotionen abzielenden Artikels der Kollegen Röttgers und Nedjat kam mir, einem eher schreibfaulen Menschen, das erste Mal der Gedanke, einen Leserbrief zu schreiben – der Objektivität wegen und aus Respekt für die Patienten und für meine Lehrer und mit Respekt für all das, was ich als Arzt gelernt habe.

Zunächst zur Objektivität: Im Mai 2000 fand in Genf/Schweiz ein Kon- gress zu „Bloodless Health Care“ statt.

Der für das Kongressprogramm verant- wortlich zeichnende wissenschaftliche Beirat bestand aus namhaften interna- tionalen Experten der Fachbereiche Anästhesiologie, Transfusionsmedizin, Herz- und Thoraxchirurgie, Allgemein-, Abdominal- und Transplantationschir- urgie, Orthopädie und Pädiatrie. In den Vorträgen wurden unter anderem die bisher durchgeführten wissenschaftli- chen Studien vorgestellt, die – induziert durch die Auseinandersetzung mit Pati- enten wie den Zeugen Jehovas – bele- gen, dass eine Behandlung ohne Blut nicht nur möglich, sondern sogar die bessere Art der Behandlung ist, da ef- fektiver, kostengünstiger und rehabili- tationsverkürzender.

Beim Lesen des Artikels von Rött- gers/Nedjat wurde auch die Ambiva- lenz des deutschen Mediziners bezüg- lich seiner Patienten deutlich, wenn es um Mitspracherecht geht. Natürlich wollen wir Patientenverfügungen, so- lange sie uns nicht in unserem Alltags- trott einschränken. Allenthalben wird die schlechte Arzt-Patient-Beziehung beklagt, unsere Ausbildung kritisiert, aber seien wir ehrlich: Äußerungen wie

„Dokumentiert ist etwa die Praxis, während einer Operation auch gegen den erklärten Willen des Patienten Blut zu transfundieren und ihn darüber nicht in Kenntnis zu setzen . . .“ ermutigen nicht gerade dazu, seinem Arzt zu ver- trauen, auch wenn die Autoren in ei- nem späteren Satz erklären, dass „ein solches Verhalten weder zu rechtferti- gen noch unter heutigen Klinikbedin- gungen praktisch durchführbar“ ist.

Ich habe einen Teil meiner Ausbil- dung in einem Lehrkrankenhaus der Harvard Medical School absolvieren

dürfen und war seinerzeit überrascht zu erleben, wie anders im Vergleich zum deutschen Medizinsystem in USA gear- beitet wurde. Insbesondere das Mit- spracherecht des Patienten bei der Art seiner Behandlung war neu für mich;

egal ob es um das Ansetzen eines Medi- kamentes, das Durchführen einer Un- tersuchung oder einer sonstigen thera- peutischen Intervention geht, es ge- schieht nichts ohne vorherige Auf- klärung des Patienten und dessen Ein- verständnis! Ist der Patient mit der vor- geschlagenen Behandlung nicht einver- standen, muss der behandelnde Arzt Alternativen aufzeigen können, was zugegebenermaßen eine Herausforde- rung an alle praktizierenden Ärzte dar- stellt, jedoch für das vertrauens- und re- spektvolle Arzt-Patient-Verhältnis, so wie wir es uns alle wünschen würden, meines Erachtens unumgänglich ist.

Aus der Medizingeschichte wissen wir, dass die alten Ägypter – damals auf dem Höhepunkt ihres medizinischen Wissens – ihre Zeitgenossen mit Mischungen aus Exkrementen und anderen Giften behandelten, in dem Glauben, die best- mögliche Behandlung anzubieten.

Die Ärzte des 21. Jahrhunderts wol- len ihren Patienten ebenfalls die best- mögliche Behandlung zukommen las- sen. Das ist aber nur dann möglich, wenn wir auch kritisch genug sind, alte etablierte Methoden zu hinterfragen.

Bei allem Fortschritt dürfen wir aber nicht das Wichtigste außer Acht lassen, was wir für unsere Arbeit als Ärzte brauchen: unsere Patienten, die das Recht auf eine unvoreingenommene und von Respekt geprägte Haltung sei- tens des behandelnden Arztes haben.

Dr. med. Marianne Jeantot, August-von-Willich- Straße 117, 50837 Köln

Irrtümer

Die medizin-juristischen Fakten sind klar und für uns Ärzte verpflichtend.

Aus persönlichen Kontakten mit Zeu- gen Jehovas kenne ich deren Engage- ment und persönliche Integrität. Umso bedauerlicher ist es, dass es auf dem Boden des Christentums zu einer sol- chen Fehlleitung im Rahmen der Sek- tenbildung gekommen ist. Für mich als (katholischen) Christen ist die Bibel

ebenfalls der Maßstab, wie es auch die Gruppe der „Bibelforscher“ (Zeugen Jehovas) für sich in Anspruch nimmt.

Leider kann man aus der Bibel ziemlich viel herauslesen. Vermutlich deshalb hat Jesus seiner Gemeinschaft nicht ein schriftliches Regelwerk an die Hand ge- geben, sondern Menschen mit seiner Sendung betraut, einige davon in ver- antwortlicher Position für die Weiterga- be der Botschaft. Wer sich aus dieser Weitergabe-Kette löst und seine eigene Privatmeinung zum Beispiel in der Auslegung der Bibel absolut setzt, wird zu Irrtümern kommen, wie sie in dem Artikel beschrieben sind.

Dr. med. Markus Marschall, Prielmayerstraße 24, 85435 Erding

Schlecht recherchiert

Von einem Artikel im DÄ erwarte ich mehr Sachlichkeit. Er ist sehr schlecht recherchiert. Zwar sind die juristischen Darlegungen korrekt, ansonsten zeigen die Verfasser, dass sie voller Vorurteile sind und keine Erfahrung im klinischen Umgang mit Patienten haben, die Zeu- gen Jehovas sind. Wir freuen uns über jeden Patienten, der ein Zeuge Jehovas ist. Wir schätzen die umgängliche, offe- ne Art. Dadurch, dass ihre gewissens- mäßige Entscheidung respektiert wird, ergibt sich ein hohes Maß an Vertrauen und Kooperation. Eine ganzheitliche Behandlung des Patienten muss im In- teresse aller sein und führt auch bei ei- nem limitierten Behandlungsauftrag zu guten Ergebnissen. Auffallend ist, dass ein Zeuge Jehovas im Krankenhaus nie allein gelassen ist. Er erfreut sich einer regen Anteilnahme seiner Gemeinde.

Wir sehen auch dies als positiven Hei- lungsfaktor. Im Gegensatz zu den Ver- fassern kennen wir die Mitarbeiter des Krankenhausverbindungskomitees für Jehovas Zeugen als kompetent und ko- operativ. Wir schätzen ihre Dienste. Ei- ne frühzeitige Einschaltung kann Pro- bleme vermeiden, da sie das Vertrauen der Patienten haben und mit dem nöti- gen Verständnis zwischen Arzt und Pa- tient zu vermitteln suchen. Dies ist un- gleich wertvoller als irgendwelche du- biosen Internetadressen.

Gerhard Ehmann, Verwaltungsleiter der Rotkreuz-Kli- nik, Kapuzinerstraße 2, 97070 Würzburg

T H E M E N D E R Z E I T

A

A1000 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 15½½½½12. April 2002

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