Was tun,
wenn psychiatrische Praxis
auf Menschen mit extrem rechter Gesinnung trifft?
Fachgespräch ONLINE der DGSP, 28.7.2021
Dr. Samuel Thoma (Psychiatrische Tagesklinik Fürstenwalde), Prof. Dr.
Esther Lehnert (ASH Berlin), Dr. Friedemann Bringt (Bundesverband mobile Beratung), Prof. Dr. Marion Mayer (ASH Berlin)
ABLAUF
• Vorstellung und kurze Einführung in das Workshop-Thema
• Drei kurze Inputs der Mitwirkenden aus den Perspektiven:
• Psychiatrische Versorgung im Klinikkontext;
• Fachberatung Gender und Rechtsextremismus;
• Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus
• Austausch und Diskussion in zwei Runden
• I: Welche Phänomene nehmen Sie wahr? Und welche Herausforderungen sind damit verbunden?
• II: Welche Handlungsmöglichkeiten kann es geben?
• Was kann aus dem Gespräch folgen?
Ungebrochener Anstieg an rechter Gewalt und Zunahme gruppenbezogener
Menschenfeindlichkeit
Exemplarisch ein paar Zahlen:
23.080 Straftaten durch „rechts“ im Jahr 2020 213 Todesopfer seit 1990
ca. 32.500 rechtsextrem Bekannte
1.063 Hasstaten gegen Amts- und Würdenträger*innen in 2020.
(Quelle: Zick; 2021)
DIE GESELLSCHAFTLICHE UND SOZIALE PERSPEKTIVE MITDENKEN
„Eine Welt im Wandel braucht Beratung,
aber eine Beratung, die diesem Wandel Rechnung trägt!“
(Zweite Frankfurter Erklärung zu Beratung, Forum Beratung DGVT 2021)
Und welche Sozial- und Gemeindepsychiatrie braucht sie?
ALLTAGSPRAKTISCHE PERSPEKTIVE
• Frau Hüther: Anfang 50jährige Patientin in stationärem Setting, aufgenommen wegen wiederkehrenden
Depressionen und einer Persönlichkeitsstörung
• Seit kurzem berentet, davor große Belastung am Arbeitsplatz, „betriebliche Umstrukturierungen“
• Agitiert politisch in Gruppentherapien und Milieutherapie
MORGENRUNDE
DISKUSSION IM TEAM
• „Was ist das für eine Marke?“ „Hab ich nicht erkannt“ „Reagierst Du nicht ein bisschen übersensibel?“
• → Spreche die Pat. darauf an und bitte sie, die Marke hier nicht zu tragen.
• → Gewöhnliche Reaktionen:
• „Keine Angst, ich mach hier keinen Krawall“ // „Dass Thor Steinar rechtsradikal ist, ist ein totales Missverständnis – aber klar, dass Sie mir das dann verbieten müssen.“
• Mit Frau Hüther eskaliert Situation jedoch weiter…
• → Schreibt Brief an Klinikleitung. „Thor Steinar ist von der Verfassung nicht verboten.“
DISKUSSION IM TEAM
• Diskussion im Team intensiviert sich; zahlreiche Supervisionen
• Lassen wir uns von der Pat. provozieren und spalten?
• Politische Agitation der Patientin als Symptom ihrer (Persönlichkeits-)Störung?
• → Vereinbarung im Team: Sie mit ihrem Verhalten konfrontieren und dieses mit ihr auf ihre Biographie und ihre Erkrankung
zurückführen
• Reaktion: „Endlich hört mir jemand zu. Endlich hat jemand Verständnis für mich!“
• Gleichzeitig: Gespräche über die Ästhetik der Runenschrift im Hinterhof, weiteres politisches Agitieren und Klüngeln
• Meine Reaktion: Therapeutische Beziehung wird unmöglich
ÄRZTLICHE VS.
PSYCHOTHERAPEUTISCHE HALTUNG
• → Beispiel Neonazis auf der Rettungsstelle
THERAPEUTISCHE “STANDARDS”
• Abstinenz
• Floskeln: „Aha, was fühlen Sie, wenn Sie das so hören?“ // „Was löst das bei den anderen aus?“ // „Beschreiben Sie Ihre
Gefühle.“
• „Bitte bleiben Sie bei sich“
• → Wirkte hier sinnlos
Sexismus-Betroffenheit/
Betroffene von Gewalt:
Sexismus, sex. Gewalt, Häusliche Gewalt
Mythen über die friedfertige Frau
Stereotype: „Freundin* von“,
„doppelte Unsichtbarkeit“
kaum Wissen über
regionale Raumaneignung und rechte Strategien:
Frauen als
Normalisiererinnen Beziehung/ Bindung zu/an
Beraterin* /Therapeutin*
Klientin*
Adressatin*
Genderdimensionen
Frauen gelten als per se friedfertiger (Mitscherlich 1985, Mythos der friedfertigen Frau). Der politische Hintergrund der Aktivitäten rechtsextremer Frauen und Mädchen bleibt oft unbemerkt, das Gefahren- und Gewaltpotential ihrer Aktivitäten wird oft
übersehen. Im Alltag bleiben rechtsextreme Frauen und Mädchen oftmals unerkannt.
Quelle: Screenshots Instagram, Tumblr
Der Mythos der Friedfertigkeit
Der Mythos der Friedfertigkeit
Mütterlichkeit,
Beziehungs-orientierung und Empathie schützen Frauen nicht per se vor dominanten Verhalten. Je nach Situation können diese „weiblichen“
Kompetenzen im Dienst von Diskriminierung, Ausbeutung und Gewalt stehen. Frauen sind eher geneigt, aus
„weiblichen“ Motiven Gewalt auszuüben. So etwa wenn sie
„um ihrer Familie willen“
Flüchtlinge aus dem Wohngebiet jagen.“
(Holzkamp/Rommelspacher 1991, S. 39)
GERMANIA FITNESS
Der Blog von Fräulein Hess
Die „doppelte Unsichtbarkeit“
(Lehnert 2013, S. 200)
Mädchen und jungen Frauen werden nach wie vor viel weniger politisches Interesse oder
eigenständige politische Ansichten zugetraut. (…) Erschwerend kommt hinzu, dass
Rechtsextremismus nach wie vor als ein
männliches Phänomen und damit auch Problem wahrgenommen wird. (…) Für rechtsextrem
orientierte und rechtsextreme Mädchen und junge Frauen konstatieren wir in diesen Fällen das Prinzip der „doppelten Unsichtbarkeit“.
Miriam Hope
- Rechte YouTuberin und Coronaleugner-Influencerin - Verbreitet Verschwörungsideologien („Great Reset“,
„New World Order“ etc.)
- NS-Relativierung: z.B. im April 2020 Video mit dem Titel
„Was haben der NationalSOZIALISMUS mit den Zwangsimpfungen des RKI Robert-Koch-Instituts, Leopoldina und Merkels Ehemann gemeinsam?“
Screenshot YouTube
Screenshot Twitter
Profilbild YouTube
Eva Rosen
- Mitorganisatorin der Frauen-Bustour gegen die Corona-Maßnahmen
- Ehemalige stellvertretende Parteivorsitzende „WIR2020“
- Seit Januar 2021 Mitglied bei
„DieBasis“ (zuvor Widerstand 2020) - Singt auf Querdenken-Demos ihre
Protest-Songs
Screenshot YouTube Screenshot YouTube
Erika Balzer
Catherine Thurner
- Verschwörungsideologische YouTuberin („Catherines Blick“ - 20.000 Abonnent*innen)
- QAnon-Anhängerin (Telegram-Kanal)
- bietet in ihrem Haus Körper-Energie-Sitzungen und Malkurse an
- In ihren Videos, die sie in ihrem Garten aufnimmt spricht sie über Alltag, Mutterschaft und esoterische Inhalte
Website catherine-thurner.com Screenshot YouTube
HANDLUNGSFELDER MOBILER BERATUNG
Menschenrechts- und Gemeinwesenorientierung
Beratung vor Ort
mobil, aufsuchend und unabhängig
Analysen und Recherchen
Politische Bildungsarbeit
Ressourcen- u.
Machtsensibilität
Prozess- begleitung, Netzwerkarbeit
Teamarbeit und Reflexion
Nachhaltigkeit Dokumentation
Evaluation
Beratungs- nehmer*innen
Prozess- begleitung Clearing u.
Verweisberatung
Fort- und Weiterbildung
Strategie- entwicklung Vernetzung
MOBILE BERATUNG
gegen Rechtsextremismus
bundesweiter Fachaustausch zu
rechtsoffenen Corona-Protesten
soziale Bewegung: zunehmende Dominanz rechter Ideologie(- fragmente )
bundesweite Zunahme von Beratungsanfragen (tlw. auch aus familiärem Kontext)
hoher Bedarf an Informations- und Bildungsveranstaltungen
diffuse Protestszene: Auseinandersetzung mit ideologischen
Anknüpfungspunkten/kulturellen Brücken in die extreme Rechte notwendig
rhetorische Bezüge zu Freiheit und Demokratie:
egoistischer Freiheitsbegriff verweigert Solidarität mit vulnerablen Gruppen
ausgrenzender Demokratiebegriff
Bezug auf völkisch verengten Nationalstaat
Wunsch nach der Abschaffung einer als illegitim empfundenen Ordnung => Gewalt
als legitimes Mittel zur Durchsetzung eigener Ziele
DISKUSSION: RUNDE 1
• Welche Veränderungen (mit Handlungsbedarf) im Umgang mit extremrechten, menschenfeindlichen oder antidemokratischen Äußerungen und Verhaltensweisen nehmen Sie bei Klient_innen (oder auch Kolleg_innen) in Ihrem Berufsalltag als Berater_in / Psychotherapeut_in wahr?
• Wie offen gehen Sie mit Ihren eigenen Einstellungen und
Haltungen und sich daraus ergebenden Grenzen und fachlichen Positionierungen im Kolleg*innenkreis um?
• Welche Fragen und Anliegen bringen Sie hierzu mit?
• Welche Herausforderungen stellen sich in der beruflichen Praxis?
DISKUSSION: RUNDE II
• Welche Möglichkeiten für eine kritische Auseinandersetzung sehen Sie?
• Welche Reflexions- und Diskussionsräume stehen zur Auseinandersetzung mit diesen Herausforderungen zur Verfügung?
• Welche Unterstützung, Rückendeckung und Handlungsanweisungen gibt es von Seiten der Arbeitgeber/Organisation?