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Reviewed by Kerstin Weiand. Published on H-Soz-u-Kult (July, 2007)

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Universalität in der Provinz – die vormoderne Landesuniversität Gießen zwischen korporativer

Autonomie, staatlicher Abhängigkeit und gelehrten Lebenswelten. Gießen: Horst Carl; Friedrich Lenger;

Historisches Institut, Neuere Geschichte I und II, 08.06.2007-09.06.2007.

Reviewed by Kerstin Weiand

Published on H-Soz-u-Kult (July, 2007)

Im Angesicht der Portraitgalerie der Professo‐

ren, eines zentralen Erinnerungsmediums der Gießener Universität, fand am 8. und 9. Juni im Senatssaal eine universitätsgeschichtliche Tagung anlässlich des 400jährigen Jubiläums der Justus- Liebig-Universität statt. Unter dem spielerisch-ko‐

ketten, vielleicht auch „trotzigen“ (LOTTES) Titel

„Universalität in der Provinz – die vormoderne Landesuniversität Gießen zwischen korporativer Autonomie, staatlicher Abhängigkeit und gelehr‐

ten Lebenswelten“ hatten Horst Carl und Fried‐

rich Lenger ein Programm entworfen, das weit über ein solennes Memorieren der eigenen Ver‐

gangenheit hinausging. In sechs Sektionen wurde sowohl in zeitlicher und thematischer Hinsicht, aber auch bezüglich der geschichtswissenschaftli‐

chen Forschungsansätze ein weiter Bogen ge‐

spannt: Lag der Schwerpunkt eindeutig auf der Frühen Neuzeit, so wurde der Blick doch auch auf gegenwärtige Tendenzen und zukünftige Entwick‐

lungen gelenkt. Viele der behandelten Themen, wie das Verhältnis von Universität und Landespo‐

litik, Fragen der Studienfinanzierung oder Stu‐

dentenproteste, bewiesen eine nahezu zeitlose Aktualität. Dies entsprach der Intention der Ver‐

anstalter, aus Anlass des Jubiläums mittels histori‐

scher Reflexion der eigenen Vergangenheit und deren Einordnung in übergeordnete Kontexte auch den gegenwärtigen Standort kritisch zu hin‐

terfragen und auf diese Weise die Zukunftsfähig‐

keit der Gefeierten aufzuzeigen. In diesem Sinne wurde die wechselvolle Geschichte der Ludovicia‐

na bzw. Justus-Liebig-Universität nicht nur thema‐

tisiert, sondern in der deutschen wie europäi‐

schen Universitätsgeschichte verortet. Der Fokus wurde zudem über traditionelle universitätsge‐

schichtliche Ansätze erweitert auf sozialgeschicht‐

liche und vor allem – ganz im Sinne des Profils der Gießener Geschichtswissenschaft – kulturge‐

schichtliche Fragestellungen nach den Lebenswel‐

ten und Selbstdeutungen von Universitätsangehö‐

rigen sowie nach der Funktion von universitären Erinnerungskulturen.

Die Tagung begann mit einer Sektion im Zei‐

chen der Gründung der Ludoviciana im Jahre 1607 sowie deren Einbettung in die zeitgenössi‐

sche Hochschullandschaft des Alten Reiches und Europas. Zunächst zeichnete Anton SCHINDLING ein anschauliches Bild von der Vielfalt des Hoch‐

schulwesens im Heiligen Römischen Reich um 1600, zwischen Späthumanismus und Konfessio‐

nalisierung. Neben der „klassischen“ Vier-Fakultä‐

ten-Universität, die sich am Pariser Vorbild orien‐

tierte, entstanden noch weitere Institutionen hö‐

herer Bildung im Reich, so etwa die reformierten Hohen Schulen oder die Gymnasia illustria. Zwar entwickelten sich im Reich gemäß der Konfessi‐

onsgrenzen verschiedene Bildungslandschaften, jedoch habe – so SCHINDLING – der Humanismus mit seiner Hochschätzung des klassischen und

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des christlichen Altertums sowie des klassischen Lateins als Gelehrtensprache die allgemeine Ver‐

ständigungsbasis für einen konfessionsübergrei‐

fenden Bildungs- und Kommunikationsraum ge‐

boten. Dies sei im Umfeld der Verfechter des soge‐

nannten „Konfessionalisierungsparadigmas“, das immer nur Teile der komplexen Struktur früh‐

neuzeitlicher Verhältnisse abbilde, insgesamt zu wenig beachtet worden. Diese Ausführungen am Gießener Beispiel zu konkretisieren unternahm Manfred RUDERSDORF, der die Gründung der Lu‐

doviciana als eine für die Frühe Neuzeit typische Kettenhandlung beschrieb, die von dynastischen, territorialen und konfessionellen Faktoren beein‐

flusst wurde. Ihre Entstehungsvoraussetzungen waren die hessische Landesteilung und die sich entwickelnden konfessionellen Gegensätze zwi‐

schen den beiden hessischen Linien, dem refor‐

mierten Kassel und dem lutherischen Darmstadt, die die Einrichtung Marburgs als hessischer „Sam‐

tuniversität“ schließlich nicht mehr opportun er‐

scheinen ließen. Die Gründung der Ludoviciana vollzog sich somit unter dem Zeichen hessen- darmstädtischer Territorialstaatsbildung. Den Kontext dieses Vorgangs zeichnete Wolfgang WE‐

BER, indem er das europäische Hochschulwesen der Zeit vorstellte, das von einer Gemengelage von Inklusion und Exklusion, von Monopolisie‐

rung und Konkurrenz geprägt war. Er unter‐

schied verschiedene Universitätslandschaften in Europa, für deren Vernetzung konfessionelle und regionale Aspekte entscheidend waren. Allerdings bemühte man sich mit der verstärkten Orientie‐

rung an nicht konfessionalisierten Wissen gerade in den Naturwissenschaften zunehmend um den Aufbau einer Res publica scientiae über die Kon‐

fessionsgrenzen hinweg; dabei seien Wissensaus‐

tausch und universitäre Vernetzung im europäi‐

schen Raum erst in Ansätzen erforscht.

Nach diesen institutionsgeschichtlichen Ein‐

führungen widmete sich die zweite Sektion unter dem Titel „Innovationen durch Intervention?“

den Wechselwirkungen von Hochschule und Poli‐

tik. Die Universitätsreformen im 18. Jahrhundert,

die aus einem rational und vor allem utilitaris‐

tisch ausgerichteten Bildungsverständnis der Auf‐

klärung rührten, skizzierte Günther LOTTES aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive. Dabei wurde deutlich, dass die aufgeklärte „Wissensre‐

volution“, die das Corpus des vorhandenen Wis‐

sens ebenso berührte wie die Regeln der Wahr‐

heitsfindung, die Kommunikationstechniken und Medien und die Institutionen und Akteure des Er‐

werbs und der Weitergabe von Wissen, von gro‐

ßem Einfluss für die Entwicklung der Universitä‐

ten war. So dienten fortan Nützlichkeit und Brauchbarkeit als Maßstab für die Legitimierung von Forschungs- und Lehrinhalten, was u.a. in der Einrichtung des Fachs „Kameralwissenschaften“

seinen Niederschlag fand. Insgesamt hätten sich die Universitäten entgegen dem Topos ihrer Auf‐

klärungsferne den Herausforderungen der „Wis‐

sensrevolution“ durchaus gewachsen gezeigt. De‐

ren Auswirkungen auf Gießen beleuchtete Eva- Marie FELSCHOW anhand der Universitätsrefor‐

men des 18. Jahrhunderts. Der wissenschaftliche Erneuerungsprozess und die Neuorientierung der Lehrinhalte im „Geist der Aufklärung“ führte sie vornehmlich auf landesherrliches Engagement zurück. Seit dem 18. Jahrhundert habe sich der landesherrliche Zugriff auf die Autonomie der Universität gesteigert und schließlich deren Ge‐

staltungsspielraum drastisch verringert. Aller‐

dings seien die Reformprozesse aufgrund von Fi‐

nanzierungsproblemen oftmals wenig stringent durchgeführt worden. Die Frage nach der akade‐

mischen Freiheit stellte sich für FELSCHOW ange‐

sichts gegenwärtiger Reformprozesse heute von neuem. Winfried SPEITKAMP drehte die Perspek‐

tive gleichsam um, indem er nach der Rolle von Universitäten für die Politik, nach der Interventi‐

on von Professoren in den Staat des frühen 19.

Jahrhundert fragte. Drei Gießener Exempla des professoralen Politikers, August Friedrich Wil‐

helm Crome, Karl Ludwig Wilhelm von Grolman und Heinrich Karl Jaup, stellte er unter drei Aspekten, dem Kampf zwischen Reform und Re‐

stauration, dem Diskurs über die Nation sowie

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der Wechselwirkung zwischen Wissenschaft und Politik vor. Trotz zum Teil heftiger Kritik an ihren politischen Positionen konnten sie ihre Doppelrol‐

le dabei vielfach aufrecht erhalten. Ihrer Selbst‐

wahrnehmung nach waren sie Wissenschaftler, die aufgrund ihres Fachwissens für die Politik als Ratgeber unentbehrlich waren.

Konkretisiert wurden die Wandlungsprozes‐

se, die die Universitäten seit dem 19. Jahrhundert prägten, in der dritten Sektion, die sich der Ent‐

wicklung einzelner wissenschaftlicher Disziplinen und Bildungsinhalte in Gießen widmete. Neill BUSSE stellte dar, dass das Wirken Justus Liebigs, des Namenspatrons der heutigen Universität, ent‐

gegen älterer Forschungsmeinungen, die Liebig allein als Exponenten innovativer Wissenschaft‐

lichkeit und einer modernen auf dem Leistungs‐

prinzip basierenden Gesellschaftsordnung sahen, von einer Parallelität von Traditionellem und Neuem geprägt war. Zwar habe sich Liebig im Hinblick auf Methode und Forschung sowie in sei‐

ner Förderung wissenschaftlicher Qualifizierung durchaus progressiv gezeigt, in sozialer Hinsicht sei er jedoch noch stark traditionellen Mustern verpflichtet gewesen, wie BUSSE an Liebigs Mitar‐

beitern nachweisen konnte, die zum großen Teil einen stark regionalen Bezug aufwiesen, zumeist gehobenen Gesellschaftsschichten entstammten und sich zudem mittels Heiraten nicht nur mit Liebigs eigener Familie, sondern auch – ganz im Sinne der frühneuzeitlichen Familienuniversität – mit eingesessenen Professorenfamilien Gießens verbanden. Unter dem Stichwort „Fachspezialisie‐

rung“ gab Athina LEXUTT einen engagierten Überblick über die Entwicklung der Theologie im 19. Jahrhundert. Im Zuge der Aufklärung hatte diese ihre Stellung als Leitdisziplin verloren und wurde als Wissenschaft zunehmend in Frage ge‐

stellt. Gerade dieser Legitimationsdruck erwies sich für die Entwicklung der Theologie – oder bes‐

ser der „Theologien“ – als fruchtbar. Eine Vielfalt unterschiedlicher Lehrmeinungen und For‐

schungsperspektiven entwickelte sich, die für die Theologie noch heute von großer Bedeutung sind.

Der Kampf um wissenschaftliche Anerkennung und die Gestaltung des Fachs für die Zukunft sei auch – so LEXUTT – für die Gegenwart der theolo‐

gischen Disziplin zentral. Die Professionalisierung der Lehrerbildung als einer besonderen Stärke der Gießener Universität beschrieb Vadim OS‐

WALT. Die Trennung von Gymnasial- und Hoch‐

schullehrerausbildung, von Fachwissenschaft und Fachdidaktik sowie die zweiphasige Lehrerausbil‐

dung konnte sich erst allmählich seit dem 19.

Jahrhundert entwickeln. In den gegenwärtigen Modellen zum Lehramtsstudium, die ihren Schwerpunkt oft auf didaktische Ausbildung leg‐

ten, vermisste OSWALT das für eine qualitätsvolle Lehrerbildung zentrale Gleichgewicht von Didak‐

tik und Wissenschaft.

Der folgende Tag stand ganz im Zeichen kul‐

turwissenschaftlicher Annäherungen an die Uni‐

versitätsgeschichte: Im Mittelpunkt der einzelnen Sektionen standen professorale und studentische Lebenswelten sowie universitäre Erinnerungskul‐

turen.

Den frühneuzeitlichen Professor nahm die vierte Sektion in den Blick. So trat Detlef DÖRING zur Ehrenrettung dieses Typus an, der in der älte‐

ren Forschung zumeist plakativ als „Schulmann“

abqualifiziert worden ist, der überkommenes Wissen hütete, während moderne Forschung au‐

ßerhalb der Universitäten erfolgte. DÖRING for‐

derte eine Differenzierung dieses Bildes: Die häu‐

fige „Vererbung“ von Professorenrängen im Rah‐

men sogenannter Familienuniversitäten etwa habe keineswegs zwingend im Gegensatz zum Leistungsprinzip gestanden. Trotz geringer Mobi‐

lität vieler Professoren habe doch die Peregrinatio academica der Studierenden sowie die internatio‐

nale Korrespondenz der Professoren untereinan‐

der – laut DÖRING der „Blutkreislauf der Respu‐

blica academica“ – zu einem regen wissenschaftli‐

chen Austausch geführt. Jede noch so geniale Ent‐

deckung sei immer auch in der wissenschaftli‐

chen Gesellschaft der Zeit zu verorten und auf die Akzeptanz und Rezeption durch bestehende Wis‐

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sensinstitutionen angewiesen gewesen. Sowohl im geisteswissenschaftlichen wie im naturwissen‐

schaftlichen Bereich seien innerhalb der Universi‐

täten bedeutsame und innovative Forschungsleis‐

tungen erbracht worden. Ausgerüstet mit den the‐

oretischen Instrumentarien des Bourdieuschen Habitus-Konzeptes und der Kantorowizcschen Zwei-Körper analysierte Marian FÜSSEL die Ver‐

haltensmuster von Professoren in der Frühen Neuzeit. Anekdotenreich verdeutlichte er etwa am Beispiel des Hauses, das zunächst zugleich als Wohn-, Arbeits-, und Lehrstätte gedient hatte, die zunehmende Trennung von öffentlicher und pri‐

vater Sphäre, die im Habitus der Professoren häu‐

fig keinen Niederschlag fand, was dann zwangs‐

läufig den Eindruck von Skurilität erwecken musste. Die Fortführung eines Habitus auch unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen be‐

zeichnete FÜSSEL mit dem Begriff des Don-Quijo‐

te-Effekt. Dabei seien zwei Körper auszumachen:

Die Logik eines spezifischen, überzeitlichen pro‐

fessoralen Habitus, der nicht zuletzt die soziale Distinktion des Professorenstandes zum Ausdruck gebracht habe, sei von der individuellen, sterbli‐

chen Person des Professors zu trennen. In einer gendergeschichtlich ausgerichteten Perspektive stellte Heide WUNDER die wenig beachtete Le‐

benswelt der weiblichen Angehörigen des früh‐

neuzeitlichen Akademikers vor. Anhand der Aus‐

wertung von Leichenpredigten zeigte sie exem‐

plarisch, dass der Gattin eines Professors große Bedeutung zum einen in der Vermittlung famili‐

ärer Netzwerke, zum anderen durch das Einbrin‐

gen ihrer Mitgift und ihr Wirken im Haushalt im ökonomischen Bereich zugekommen sei. Eine Asymmetrie der Beziehungen zwischen den Ehe‐

partnern lasse sich rechtlich, nicht jedoch in der Lebenspraxis ausmachen.

Den professoralen Lebenswelten wurden in der fünften Sektion die der Studenten gegenüber‐

gestellt. Fokussierend auf studentische Devianz regte Barbara KRUG-RICHTER einen kulturge‐

schichtlichen Blick auf das frühneuzeitliche Stu‐

dentenleben im europäischen Raum an. Die de‐

monstrativen Verstöße gegen bestehende Ordnun‐

gen seien Teil einer an soldatischen Leitbildern ausgerichteten „Jungmännerkultur“ gewesen, die vornehmlich der Konstituierung eines Studenten‐

standes und der Distinktion gegenüber anderen Gesellschaftsgruppen dienten. Einen bis heute zentralen Aspekt studentischen Lebens, die Studi‐

enfinanzierung, nahm Matthias ASCHE in den Blick, indem er die Vielfältigkeit des frühneuzeitli‐

chen Stipendienwesens aufzeigte. Aufbauend auf älteren, punktuellen Formen der Förderung habe sich seit der Reformation besonders in protestan‐

tischen Territorien auf der Basis säkularisierten Kirchengutes und vor dem Hintergrund neuer, auch kirchlicher Kompetenzen des protestanti‐

schen Fürsten ein stringentes landesherrliches Stipendienwesen entwickelt. Daneben gab es stets auch Studienförderungen anderer Provenienz:

Während das landesherrliche Stipendium vor al‐

lem eine dynamische Wirkung im Sinne einer Er‐

höhung der sozialen Mobilität entfalten konnte, förderte etwa das Auslandsstipendium die regio‐

nale Mobilität von Studierenden, während das Fa‐

milienstipendium sich vornehmlich als ein Instru‐

ment der Beharrung erwies. Klaus RIES stellte in einer vergleichenden Betrachtung der Studenten‐

proteste um 1800 in Gießen und Jena die Frage, warum die „Politisierung“ der Studentenschaft in Gießen eine sehr viel radikalere Ausprägung er‐

fahren habe als zu gleicher Zeit in Jena. Die Be‐

gründung hierfür sah er in der gegensätzlichen politischen Haltung der Landesfürsten in Kassel bzw. in Weimar. Hatte der Hessen-Darmstädter durch seine „rheinbundabsolutistische Zentrali‐

sierungspolitik“ weite Teile der intellektuellen Be‐

völkerungsschichten gegen sich aufgebracht, so führte die liberale Reformpolitik in Sachsen-Wei‐

mar zu einem grundsätzlich harmonischen und konsensuellen Verhältnis von Staat und Gesell‐

schaft.

Mit der Reflexion universitärer Erinnerungs‐

kulturen nahm die sechste und letzte Sektion einen Gießener Forschungsschwerpunkt auf. Da‐

bei beschränkte sich auch diese Sektion keines‐

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wegs allein auf die Gießener Jubilarin: Joachim BAUER erörterte die Verschränkung verschiede‐

ner Erinnerungskulturen am Beispiel der Jenaer Salana, ohne es zu versäumen, Parallelen etwa zu Gießen und Marburg aufzuzeigen. Der konfessio‐

nell ausgerichtete Gründungsmythos der Jenaer Hochschule als der Nachfolgerin des im Schmal‐

kaldischen Krieg verlorenen Wittenbergs und als Hort wahren Luthertums verband sich im 19.

Jahrhundert mit einer nationalen Ausrichtung des Mythos, für den vor allem auch die Wartburg zen‐

trales Symbol der Nation wurde. Passend zum äu‐

ßeren Rahmen der Tagung stellte Bauer zudem Professorengalerien als Beispiele universitärer Erinnerung vor. Die Gießener Erinnerungskultur beleuchtete Carsten LIND, indem er die Feierlich‐

keiten zu den Universitätsjubiläen von 1707 bis zur Gegenwart auf das ihnen zugrunde liegende Zeichensystem hinterfragte. Orientierten sich die Jubiläen 1707 und 1907 noch sehr stark an Rang‐

ordnungen und Hierarchien der Beteiligten und wurde hier besonders die enge Beziehung von Universität und Landesobrigkeit unterstrichen bzw. bis 1957 auch durch Beteiligung anderer Universitäten die „corporate identity“ des Hoch‐

schulsystems insgesamt herausgestellt, so fehlten derartige Elemente der symbolischen Repräsenta‐

tion bei den Feierlichkeiten 2007. Der Legitimi‐

tätsdruck, sich als moderne Massenuniversität, als „nützliche Staatsanstalt“ zu erweisen, habe – so stellte LIND nicht ohne eine Spur Ironie fest – dazu geführt, dass die Universität ihre korporati‐

ve Bindungskraft eingebüßt habe. Signifikant machte dieser Beitrag am Ende der Tagung noch einmal deutlich, dass in ihrem Zentrum weniger das Feiern der eigenen Vergangenheit stand als vielmehr die Reflexion der eigenen Geschichte in Verbindung mit einer kritischen Hinterfragung der gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklun‐

gen: Standortbestimmung statt Jubel.

Zum Abschluss schlug Eckhart G. FRANZ noch einmal den Bogen zum Beginn der Tagung, indem er ausgehend von der Gründung der Ludoviciana deren wechselvolle und durchaus mit Brüchen

versehene Geschichte als hessische Landesuniver‐

sität bis in die Nachkriegszeit vor seinen Zuhö‐

rern ausbreitete.

Ganz im Einklang mit dem Anspruch der Jubi‐

läumstagung, auch gegenwärtige und zukünftige Tendenzen in der Bildungslandschaft zu themati‐

sieren, stand der öffentliche Abendvortrag, zu dem die Veranstalter nach einem kleinen Emp‐

fang und einer Ansprache des Präsidenten der Justus-Liebig-Universität, Stefan Hormuth, luden:

Peter STROHSCHNEIDER, der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, informierte seine Zuhörer über „die zukünftige Entwicklung des föderalen Hochschulsystems“. Ausgehend von der These ei‐

ner gegenwärtigen strukturellen Überforderung des Hochschulsystems, wies er darauf hin, dass eine weitere Expansion in seinen Augen nicht ohne einen grundlegenden Strukturwandel zu leisten sei. Neben der Rolle und Funktion des Wis‐

senschaftsrats als Bindeglied zwischen Politik und Wissenschaft fasste er die Ergebnisse der Födera‐

lismusreform in Bezug auf die Hochschulpolitik und die Auswirkungen des Wegfalls des Hoch‐

schulrahmengesetzes zusammen. Dabei wies er auch auf die Risiken, die – etwa im Blick auf die Universitäten finanzschwacher Länder – mit der fast ausschließlichen Kompetenz der Länder in Hochschulfragen verbunden seien. Den Hoch‐

schulen komme in verstärktem Maße die Rolle von Akteuren im Sinne von Entscheidungsträgern zu. Ihre künftigen Aufgaben führte STROH‐

SCHNEIDER an den Stichworten „Differenzie‐

rung“, „Kooperation“ und „Lehre“ aus. Vor allem sprach er sich für eine „Entschleunigung“ der Re‐

formprozesse sowie für ein stärkeres Zusammen‐

wirken von universitären und außeruniversitä‐

ren Forschungseinrichtungen aus.

Das ambitionierte dichte Programm der Ta‐

gung in Verbindung mit der herrschenden drü‐

ckenden Hitze verlangte den Teilnehmern zwar nicht wenig Disziplin ab, sie können jedoch in summa auf eine gelungene Veranstaltung zurück‐

blicken, die ein breites Spektrum universitätsge‐

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schichtlich orientierter Fragestellungen aufwarf und gerade aus diesem Grunde wichtige Anregun‐

gen für perspektivische und methodische Erweite‐

rungen der Universitätsgeschichtsforschung ins‐

gesamt bot. Die institutions-, wissenschafts-, kul‐

tur-, gender- und sozialgeschichtlichen Zugänge haben die Vielfältigkeit dieses Fachs auf markante Weise verdeutlicht. Dazu haben besonders auch die jüngeren Referenten beigetragen, die sich ne‐

ben prominenten Vertretern der Universitätsge‐

schichte durchaus behaupten konnten und die das Innovationspotenzial und die Zukunftsfähig‐

keit dieses Fachs auf überzeugende Weise veran‐

schaulichten. Das Spannungsverhältnis von Parti‐

kularität und Universalität, das die einzelnen Sek‐

tionen prägte, sowie der weite zeitliche und the‐

matische Rahmen, in dem die Beiträge angesiedelt waren, trugen dazu bei, ein komplexes Bild der frühneuzeitlichen Universität und ihrer Entwick‐

lung hin zu einer modernen Lehr- und For‐

schungseinrichtung entstehen zu lassen. Dass da‐

bei der Aktualitätsbezug einen breiten Raum ein‐

nahm und auch gegenwärtige und künftige Ent‐

wicklungen im Hochschulwesen aus historischer Perspektive kritisch hinterfragt wurden, gehörte zu den besonderen Stärken der Tagung.

Eine Veröffentlichung der Beiträge ist geplant.

If there is additional discussion of this review, you may access it through the network, at http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/

Citation: Kerstin Weiand. Review of Universalität in der Provinz – die vormoderne Landesuniversität Gießen zwischen korporativer Autonomie, staatlicher Abhängigkeit und gelehrten Lebenswelten. H-Soz- u-Kult, H-Net Reviews. July, 2007.

URL: https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=28135

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