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«Schaut nicht weg, wenn ihr Zeugen einer Ungerechtigkeit werdet»

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Academic year: 2022

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Interview mit FriedensFrau Ruth Weiss

«Schaut nicht weg, wenn ihr Zeugen einer Ungerechtigkeit werdet»

Ruth Weiss wurde 2005 als eine von 1000 Friedens- Frauen für den Friedensnobelpreis nominiert. Sie hat ihr Leben dem Frieden und der Toleranz gewidmet: als Journalistin und Anti-Apartheid-Aktivistin in Südafrika und als Rednerin und Autorin im Kampf gegen den An- tisemitismus und jegliche Form von Intoleranz und Hetze gegen eine Glaubensgemeinschaft. Anlässlich ihres 95. Geburtstages im Juli 2019 fragten wir sie, welche Lehren sie aus ihrem vollen Leben für die Friedensförde- rung zieht.

Als Kind floh Ruth Weiss vor der nationalsozialistischen Unterdrückung der Juden und Jüdin- nen im Vorkriegsdeutschland und liess sich in Südafrika nieder. Dort kämpfte sie als Journa- listin gegen die Apartheid und wurde zur Persona non grata erklärt. In Harare war sie Mitbe- gründerin des Zimbabwe Institute for Southern Africa, das einen bedeutenden Beitrag dazu leistete, den Weg zum Ende der Apartheid zu ebnen. 2005 wurde sie als eine von 1000 Frauen für den Friedensnobelpreis nominiert.

Bevor wir mit dem Interview beginnen, wünschen wir Ihnen ein herzliches «Happy Birthday»! FriedensFrauen Weltweit wünscht Ihnen an diesem besonderen Tag alles Gute. Sie haben das beeindruckende Alter von 95 Jahren erreicht. Haben Sie einen Ratschlag für diejenigen, die nach einer solchen Langlebigkeit streben?

Nicht wirklich - ausser zu sagen, nicht von der eigenen Gesundheit besessen zu sein. Ich habe noch nie nach Langlebigkeit «gestrebt», ich bin dankbar für jeden Tag, den ich noch geniessen darf. Es widerstrebt mir, es zu sagen, aber ich habe nie Alkohol geraucht oder ge- trunken. Ich weiss aber, das ist eine persönliche Entscheidung.

Ihre Biographie ist so bemerkenswert wie Ihr hohes Alter. Können Sie aus all den Er- fahrungen, die Sie im Laufe Ihres langen und aktiven Lebens gemacht haben, auf ei- nen entscheidenden Moment oder eine Erfahrung verweisen, die sie zur FriedensFrau gemacht hat?

Frieden ist das Schlüsselwort. Ich verabscheue Gewalt jeder Art, sogar einen lautstarken Streit. Und nein, es gibt keinen entscheidenden Moment, auf den ich zeigen und sagen kann:

Das ist der Zeitpunkt, an dem ich mich entschieden habe, gegen alles zu sprechen/schrei- ben/agieren, was ich für bösartig halte. Wie zum Beispiel Vorurteile, welche Intoleranz,

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Rassismus, Sexismus und natürlich Antisemitismus oder irgendein «Anti-Religionsgefühl»

bergen.

Mein Engagement, solche Ansichten abzulehnen, ist vor allem aufgrund meiner Erfahrungen als Kind in Nazideutschland entstanden. Ich sage immer, dass ich dadurch die Kindheit zu früh hinter mir gelassen habe. Ich erlebte die Angst der Erwachsenen um mich herum und erinnere mich an den Schrecken, als ich vom Holocaust erfuhr.

Sie flohen 1936 nach Südafrika. 1948 wurde die Apartheid zum staatlich festgelegten System der Rassentrennung.

In Südafrika wurde ich sofort wieder mit Ungerechtigkeit, Vorurteilen und Ängsten konfron- tiert, dieses Mal gegen die Mehrheit der Bevölkerung, was unglaublich erschien. Ich hatte das Glück, unter den Emigrant*innen, Menschen anzutreffen, die meine Reaktion auf dieses System, in dem wir uns befanden, teilten.

Als Sie von 1982-1992 in Harare lebten, waren Sie Teil des Gründerteams des Zim- babwe Institute for Southern Africa (ZISA), das Treffen zwischen Afrikaaner*innen und Delegationen der Anti-Apartheid-Bewegung organisierte.

Wir organisierten Treffen zwischen weissen und schwarzen Südafrikaner*innen, zwischen englischsprachigen und Afrikaans sprechenden Südafrikaner*innen und mit Vertreterinnen und Vertretern aller südafrikanischen Befreiungsparteien. Die Sitzungen fanden keineswegs immer mit Delegationen statt. Je nachdem welchen Auftrag ZISA hatte, organisierten wir Konferenzen, Workshops, zum Beispiel zwischen Anwält*innen oder Ökonom*innen, sowie Treffen zwischen Einzelpersonen.

ZISA wird zugeschrieben, dass sie eine Schlüsselrolle dabei spielte, das Ende der Apartheid herbeizuführen.

Ich bin mir nicht sicher, ob ZISA eine Schlüsselrolle bei der Beendigung der Apartheid ge- spielt hat, aber ja, ich denke, es war wichtig, dass das Institut Menschen zusammenbrachte, die gelernt hatten, sich gegenseitig zu hassen. Auf diese Weise wurde das gegenseitige Ver- ständnis gefördert und Freundschaften konnten über die Grenzen hinweg geknüpft werden.

Welche Rolle spielten Frauen bei diesen von ZISA organisierten Treffen?

Eine der wichtigsten Konferenzen, die ZISA organisierte, brachte 50 Mitglieder der Frauen- liga des African National Congress, des ANC, und eine Delegation, die mehrheitlich aus Afri- kaaner-Frauen bestand, zusammen. Diese Delegation wurde von IDASA [Institute for De- mocratic Alternatives in South Africa, ein progressives Think-Tank] organisiert. Die Frauen- liga der simbabwischen politischen Organisation Zanu PF war ebenfalls eingeladen. Die

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Konferenz wurde von Sally Mugabe, der ersten Frau von Robert Mugabe, eröffnet. Übrigens, als sie ankam, sagte sie: "Ruth, ich habe meine Rede nicht bekommen!" Ich dachte, sie hätte sie mitgebracht. Also musste ich die Rede in rasender Eile schreiben, aber es ging dann al- les gut.

Es war der einzige ZISA-Anlass, bei dem ich Teilnehmerin war. Die Reaktionen der weissen Frauen haben mich tief bewegt. Keine von ihnen hatte jemals Kontakt auf Augenhöhe mit schwarzen Frauen gehabt. Für viele von ihnen war es ein grosser Schock. In der Damentoi- lette begegnete ich einer Frau, die weinte. Als ich fragte, was los sei, sagte sie: "Ich wusste nicht... wir wussten nie... solch wunderbare Frauen. Welch vergeudete Jahre...."

Als Journalistin und Aktivistin im südlichen Afrika haben Sie Robert Mugabe und Nel- son Mandela getroffen. Mugabe, der 1980 Präsident des neuen unabhängigen Simbab- wes wurde, war der Hoffnungsträger für Frieden und Demokratie, führte später aber ein autoritäres und repressives Regime. Nelson Mandela, dem Sie mehrmals begegnet sind, wird noch heute als Symbol des Anti-Apartheidkampfes und der Versöhnung nach der Apartheid verehrt. Welche Lehren für die Friedensförderung können aus die- sen unterschiedlichen Biografien gezogen werden?

Beide Männer wurden rassistisch begründeten Demütigungen ausgesetzt. Aufgrund ihrer un- terschiedlichen Temperamente und Hintergründe, reagierten sie jedoch anders darauf. Nel- son Mandela wuchs als Mitglied einer königlichen Familie auf, mit einem klaren Führungsbe- wusstsein. Nach seiner Ankunft in Johannesburg, wo er sofort in die Leitung des ANC ein- trat, stieg er zu einer anderen Art von Führung auf. Er hatte ein grosses Selbstvertrauen und zweifelte kaum an seinem Selbstverständnis, für eine Führungsrolle geboren zu sein. Seine Rolle als Vorbild für andere, die er während seiner Gefangenschaft und nach seiner Freilas- sung spielte, wurde ihm daher schon früh in seinem Leben auferlegt. Seine Sorge galt dem Wohlergehen der Menschen, um derentwillen war er bereit, mit dem Feind Kompromisse ein- zugehen.

Und Robert Mugabe?

Robert Mugabes Hintergrund war völlig anders. Sein nicht-simbabwischer Vater hatte die Fa- milie verlassen, seine Mutter war gezwungen, sich zum Schutz einem anderen Mann zuzu- wenden. Robert übernahm den Nachnamen dieses Mannes, Mugabe. Er war ein Einzelgän- ger, der sich seinem Studium und seiner Karriere widmete. Er scheute die Politik, sogar an der University of Fort Hare in Südafrika [die ab 1916 schwarzen Student*innen eine höhere Ausbildung ermöglichte]. Erst als er aus Ghana, wo er unterrichtet hatte, zurückkehrte, er- zielte er mit einer Rede an einer grossen Kundgebung einen Erfolg. Die simbabwischen Un- abhängigkeitsführer baten ihn zu bleiben. Im Gegensatz zu Mandela, hatte Mugabe begon- nen, alle Weissen zu hassen. Er fokussierte nur auf seine eigenen Interessen und nicht auf die der Menschen. In den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit Simbabwes im Jahr 1980,

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sicherte er sich seine Führungsposition, indem er Rivalen ausschaltete. Er tolerierte nieman- den neben sich. Mandela hatte dieses Problem nicht, weder aufgrund seines Temperaments noch aus seinen Erfahrung heraus: er war der Anführer. Er konnte 1999 als Präsident zu- rücktreten und weiterhin die Nummer 1 sein.

Am jüngsten Treffen des internationalen Vorstands von PeaceWomen Across the Globe diskutierten die Mitglieder die Definition der "feministischen Friedensarbeit".

Wie würden Sie den Begriff definieren?

Ich würde sagen, dass es "Frieden durch Handeln" ist, beginnend mit der Rolle der Frauen innerhalb der Familie und mit „Grassroots“-Projekten, also Projekte an der Basis, statt sich auf die grossen politischen Lösungen zu konzentrieren.

Welche Bedeutung hat sie heute?

Dieselbe wie früher. Feministische FriedensFrauen erziehen gesunde Kinder, die lernen, sich um andere und um sich selbst zu kümmern, die nach persönlicher Erfüllung innerhalb der gegebenen Möglichkeiten suchen und so Neid oder Gier vermeiden, was zu Gewalt führt.

Sie setzen sich als Autorin und Rednerin gegen Rassismus und für Toleranz ein. Wie bringt man Menschen Toleranz und Respekt auf eine Weise bei, die zu einer bedeu- tungsvollen und nachhaltigen Veränderung führt?

Indem man zeigt, wie befriedigend es ist, wenn Toleranz und Respekt angeboten oder ge- währt werden. Dr. Frederick van Zyl Slabbert, Gründer von IDASA, bewies dies. Er war An- führer der offiziellen Opposition im Parlament, trat aber 1986 zurück. IDASA wurde ein Jahr später gegründet. Als Leiter initiierte er den Dialog zwischen schwarzen und weissen Südaf- rikaner*innen und mit dem damals verbotenen ANC. Er war der erste, der ein Treffen auf Au- genhöhe zwischen Mitgliedern der Anti-Apartheid-Bewegung und führenden, mehrheitlich Af- rikaans sprechenden Politikern, Akademiker*innen und Geschäftsleuten in Dakar, Senegal, organisierte. Jede Gruppe, jede und jeder Delegierte war bereit, sich den Standpunkt des an- deren anzuhören. Jede Seite gewährte der anderen Toleranz und Respekt. Das war auch bei den Treffen bei ZISA der Fall, die aus den von IDASA organisierten Begegnungen ent- standen sind.

Haben Frauen an der Dakar-Konferenz teilgenommen?

Barbara Masekela, die viele Jahre später Südafrikas Botschafterin in den USA wurde, sagte mir, dass sie während des Dakar-Treffens lebenslange Freundschaften geschlossen habe.

Sie sagte mir auch, dass es in der 22-köpfigen ANC-Delegation eine grosse Anzahl von Frauen gab, aber nicht mehr als ein oder zwei in der 61-köpfigen IDASA-Delegation, von de- nen etwa die Hälfte aus Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, Journalist*innen, Schriftstel- ler*innen und Regisseur*innen bestand. Dieser Mangel an Frauen in der IDASA-Delegation blieb nicht unbeachtet.

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Sie sprechen seit einigen Jahren mit jungen Menschen. Wie haben sich die Fragen, die junge Menschen Ihnen stellen, im Laufe der Jahre verändert?

Sie ändern sich je nach der allgemeinen Stimmungslage. Ich erinnere mich an feindselige Fragen über Israel. In jüngster Zeit war dies kein Thema, obwohl der Boykott gegen Israel in der Öffentlichkeit ein Thema ist. Stattdessen werde ich nach der deutschen Rechtspartei AfD [Alternative für Deutschland] gefragt und wie ich mich als Jüdin in Deutschland fühle. Oft fra- gen Lehrer*innen, welchen Rat ich jungen Menschen geben würde. Meine Antwort ist immer die gleiche: Schaut nicht weg, wenn ihr Zeugen einer Ungerechtigkeit werdet. Steht auf, wenn ihr denkt, dass etwas nicht richtig ist. Übrigens wurde ich jüngst bei einer Rede gefragt, was ich zu Hitler gesagt hätte, wenn ich ihn damals getroffen hätte. Mir fiel nichts Kluges ein, also sagte ich: «Nun, ich war 12 als ich Deutschland verliess, also hätte ich als 12-Jährige gesagt: "Was machst du in diesem Land, in dem ich geboren wurde, aber aus dem du nicht kommst?"»

Für welche Ihrer vielen Leistungen möchten Sie in Erinnerung bleiben?

Dass ich Menschen zuhöre, weil sie mir wichtig sind.

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