Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Psyche und Psychotherapie
Jenny Rosendahl
„Es ist ernst!“
TV-Ansprache
Bundeskanzlerin
Angela Merkel
18. März 2020
Waren wir darauf vorbereitet?
Waren wir darauf vorbereitet?
„Wenn wir aus den Lektionen von 1918 lernen, könnte uns das dabei helfen,
dieselben Fehler nicht noch einmal zu machen.“
Stephen S. Morse (Epidemiologe)
Waren wir darauf vorbereitet?
Risikoanalyse „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ .
Auswirkungen auf die Psyche 1
„Das solle man doch mal testen…“
Pressekonferenz
US-Präsident
Donald Trump
24. April 2020
Auswirkungen durch das Virus
Auswirkungen durch
Präventionsmaßnahmen
Epidemiologie psychischer Probleme im Kontext von COVID-19
Strauß et al. (2021)
…für klinische relevante PTBS- Symptome (Aus Yuan et al. 2021) PTBS
35 [26-45]
17
25 [21-28]
47
13 [2-25]
4
20 [15-25]
29
1/5 bis 1/3 der Allgemeinbevölkerung Etwa die Hälfte aller Covid-19-Erkrankten
Etwa jeder 3.-4. Beschäftige im Gesundheitswesen
!
39.984 Teilnehmende aus Großbritannien Mindestalter 16 Jahre, 58% Frauen
UK Household Longitudinal Study Panel Klinisch bedeutsame
psychische Belastung
2016-17
18%
33.540 Teilnehmende in Großbritannien Mindestalter 16 Jahre, 58% Frauen UK Household Longitudinal Study Panel
Klinisch bedeutsame psychische Belastung
2017-18 2018-19
19%
17.452 Teilnehmende in Großbritannien Mindestalter 16 Jahre, 58% Frauen UK Household Longitudinal Study Panel
Klinisch bedeutsame psychische Belastung
April 2020
27%
19.763 Teilnehmende aus Großbritannien Mindestalter 16 Jahre, 58% Frauen
UK Household Longitudinal Study Panel 39,3%
37,5%
12,0%
4,1%
7,0%
19.763 Teilnehmende aus Großbritannien Mindestalter 16 Jahre, 58% Frauen
UK Household Longitudinal Study Panel
National Panel Study of Coronavirus Pandemic (NPSC-19)
3.338 US-Haushalte
Zeitraum März/April 2020
1.288 Familien
Kinder und Jugendliche: 7 - 17 Jahre Welle 1: 05/2020 – 06/2020
Welle 2: 12/2020 – 01/2021
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70%
Symptome generalisierter Angst Depressivitätssymptome Magenschmerzen Kopfschmerzen Schlafprobleme Niedergeschlagenheit Reizbarkeit
Anteil der Kinder und Jugendlichen
mit psychischen und psychosomatischen Beschwerden
Vor der Pandemie 1. Welle (Mai/Juni 2020) 2. Welle (Dez 2020/Jan 2021)
Prädiktoren für psychische / psychosomatische Beschwerden
»
Männliches Geschlecht
»
Jüngeres Alter
»
Geringere elterliche Bildung
»
Migrationshintergrund
»
Alleinerziehende Mutter/Vater
»
Kleinerer Wohnraum
»
Familiäre Konflikte
»
Schlechtere elterliche psychische Gesundheit
»
Stärkere elterliche Belastung durch die Pandemie
PSYCHISCH BELASTET
71 %
83%
0 10 20 30 40 50 60 70 80 normal
mild moderat schwer
PHQ-9, Depressivitätssymptome
Quarantäne keine Quarantäne
0 10 20 30 40 50 60 70 80
normal mild moderat schwer
GAD-7, Angstsymptome
Quarantäne keine Quarantäne
0 10 20 30 40 50 60 70 80
keine subklinisch moderat schwer
ISI, Schlafstörungssymptome
Quarantäne keine Quarantäne
0 10 20 30 40 50 60 70 80
nein ja
ASDS, Akute Belastungsreaktionssymptome
Quarantäne keine Quarantäne
56.679 Teilnehmende aus China Mittleres Alter 36 Jahre, 52% Frauen 29% mit Quarantäneerfahrung
Zeitraum: 28.02.-11.03.2020
% %
% %
Online-Befragung von Heimleitungen und Pflegepersonal
Zeitraum: 11/2020-02/2021
Online-Befragung von Pflegepersonal in
deutschen Alten- und Pflegeheimen (n=811)
Zeitraum: 11/2020-02/2021
50% arbeiteten mehr Schichten und auch mehr Stunden pro Schicht
50% arbeiteten ohne ausreichende Schutzkleidung
86 Studien mit 75.991 Beschäftigten im Gesundheitswesen mit Virus-Exposition (61 Studien zu Covid-19)
Angst vor Übertragung des Virus auf die eigene Familie
60%
Sorgen um die eigene Gesundheit
46%
Schlafprobleme
40%
Burnout
32%
Angstsymptome
25%
Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung
25%
Depressionssymptome
26%
Inzidenz der Diagnose einer psychischen Störung 14 bis 90 Tage nach COVID-19
18,1%
Erstdiagnosen
5,8%
Datengrundlage: TriNetX Analytics Network, USA Elektronische Krankenakten von 69,8 Mio Patienten
Virus gelangt ins Gehirn und hat direkte neurologische Folgen
Diagnose kann Angst vor dem Tod oder anderen schwerwiegenden Folgen auslösen
Selbstisolierung aufgrund der Diagnose kann durch soziale Einschränkungen (Beruf,
Sozialkontakte) zu erhöhtem Stress führen
Datengrundlage: TriNetX Analytics Network, USA Elektronische Krankenakten von 81 Mio Patienten 273.618 Covid-Patienten
Mittleres Alter: 46 Jahre, 56% Frauen
37%
15%
4%
6%
ICD-10-Diagnosen
Brust-/Rachenschmerzen abnormale Atmung
abdominale Symptome Fatigue Angst/Depression
andere Schmerzen Kopfschmerzen kognitive Symptome
Muskelschmerzen mind. 1 Long-Covid-Symptom
Inzidenz [%]
nur 1-90 Tage nur 90-180 Tage 1-90 und 90-180 Tage
Brust-/Rachenschmerzen abnormale Atmung abdominale Symptome Fatigue
Angst/Depression
andere Schmerzen Kopfschmerzen kognitive Symptome Muskelschmerzen
Brust-/Rachenschmerzen abnormale Atmung abdominale Symptome Fatigue Angst/Depression andere Schmerzen Kopfschmerzen kognitive Symptome Muskelschmerzen Gleichzeitiges Auftreten [%]
Symptome auch nach 90 Tagen
Gesehen in Lübeck, 3.10.2021
Auswirkungen auf die
Psychotherapie 2
Psychotherapie in Zeiten der Pandemie
Online-Befragung von der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV) 4.466 Psychologische Psychotherapeut*innen und Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeut*innen Zeitraum: 3.-7.4.2020
Psychotherapie in Zeiten der Pandemie
Höhere Vertrautheit mit dem Arzt Ärztliche Empathie
während der Konsultation (Patienteneinschätzung )
MNS Kein MNS
Geringe Vertrautheit mit dem Arzt
MNS Kein MNS
N = 1.030
www.krankenkassenzentrale.de/liste/videosprechstunden
Online- und videobasierte Psychotherapie
Besonderheiten „Camera-to-camera“-Kontakt
» Technische Voraussetzungen nötig (PC/Laptop, Mikrophon/Headset, …)
» Patient*in muss selbst für angemessene Rahmenbedingungen sorgen
» eingeschränkte Übermittlung non-verbaler Signale
» Übertragungsverzögerungen möglich
» Verunsicherung einiger Patient*innen vom Video der eigenen Person
» direkter Augenkontakt ist nicht möglich
» Arbeitsblätter und Schaubilder können nicht so leicht geteilt werden
» Störungen (z.B. ungewollter Abbruch der Verbindung) möglich
https://psychologische-coronahilfe.de/beitrag/empfehlungen-fuer-videobasierte-psychotherapie/
Online-Befragung von der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) 3.434 Psychologische Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen
Zeitraum: 15.6.-15.8.2020
»Psychotherapie per Video wirkt ähnlich gut wie Therapie vor Ort«
Wirksamkeit
Videobasierte vs. Vor-Ort-Psychotherapie
»
Direkter Vergleich: Effektstärke g = -0.01
»
Frauen profitierten eher von videobasierten Angeboten (g = -0.32), Männer eher vom Vor-Ort-Setting (g = 0.16)
Zuverlässigkeit (Reliabilität)
Videobasierte vs. Vor-Ort-Diagnostik
»
Direkter Vergleich: Effektstärke g = 0.07
3 von 4 Psychotherapeut*innen schätzen die Wirksamkeit von psychotherapeutischen Videositzungen im Vergleich zum
persönlichen Kontakt als schlechter ein
Erfahrungen der Therapeut*innen
Gründe gegen den Einsatz von Videositzungen
» Therapeutische Gründe (65%)
» fehlende Möglichkeit der psychotherapeutischen Akutbehandlung (34 %)
» schlechte Internetverbindung (22 % PT/19% Pat.)
» fehlende technische Ausstattung (13 %/21%)
» Mangel an Computerkenntnissen (14 %/17%)
» Ablehnung der Patienten (20%)
» fehlender Schutzraum im Umfeld und das Eindringen in die Privatsphäre der Pat. (16 %)
» 57% der Psychotherapeut*innen würden Videobehandlungen auch nach der Pandemie durchführen, 19% lehnen das ab.
Online-Befragung von der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV) 4.466 Psychologische Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen
Zeitraum: 3.-7.4.2020
Online-Befragung von der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV) 4.693 in der ambulanten Versorgung tätige Psychotherapeut*innen
Zeitraum: 22.1.-7.2.2021
Literatur
Deutscher Bundestag (2013). Bericht zur Risikoanalyse Bevölkerungsschutz 2012.
https://dserver.bundestag.de/btd/17/120/1712051.pdf
Strauß et al. (2021). Folgen der COVID-19-Pandemie für die psychische Gesundheit und Konsequenzen für die Psychotherapie – Teil 1 einer (vorläufigen) Übersicht.
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619. https://doi.org/10.1016/S2215-0366(21)00151-6
Davis et al. (2020). Distance Learning and Parental Mental Health During COVID- 19. Educational Researcher, 50(1), 61-64.
https://doi.org/10.3102%2F0013189X20978806
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https://tinyurl.com/74lj8fzr