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Predigt bei der Gedenkmesse für Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt verstorben sind

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Klagen und Segnen

Predigt von Bischof Manfred Scheuer

Gedenkmesse für Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt verstorben sind

9. Dezember 2007

Der Tod eines Kindes in der Schwangerschaft oder kurz vor, während oder nach der Geburt, stürzt Familien, Mütter, Väter, Geschwister und Großeltern, in große Traurigkeit. Sie haben das Kind zwar nicht kennen gelernt, aber doch so sehr geliebt, als hätten Sie ihr ganzes Leben mit ihm verbracht. Auch wenn es nur eine kurze Zeit war, das Kind wird für immer zur Familie gehören, es ist ein Teil Ihres Lebens, es hat einen Platz im Herzen. Mit dem Baby gehen Hoffnungen, Wünsche, Sehnsüchte, Erwartungen, die mit einem Kind verbunden sind, verloren. – Die anderen stehen oft ziemlich daneben. Manchmal können sie mit der Trauer nicht umgehen, können das gar nicht verstehen, sich nicht hinein fühlen oder die Trauer ernst nehmen. Das Verhalten ist nicht selten verletzend und kränkend, vielleicht durch die Routine, mit der manche an den Tod herangehen. Dazu gehören auch die Sprachlosigkeit oder billige Erklärungen, sinnlose, verletzende Trösteleien, vielleicht stümperhafte Versuche, etwas Positives aus dem Schmerz heraus zu saugen, gute Ratschläge, förmliche Schreiben ohne ein persönliches Wort, Beschwichtigungen.

Klagen

Trauern ist individuell. Sicher können Rituale gut sein, um den Tränen Raum zu geben, der Erinnerung eine Form, dem Kind im Gedächtnis einen Platz zu geben.

Rituale wischen aber die Tränen nicht ab, sie betäuben nicht den Schmerz. Sie verdrängen Gefühle der Wut, der Ohnmacht nicht, sie lösen Vorwürfe gegen das Leben, gegen das Schicksal, gegen Gott nicht auf. Der Vorwurf an Gott, er habe den Menschen mit dem Leid überfordert: „Dies ist mein erstes und letztes Wort: Es wäre besser gewesen, die Erde hätte Adam nicht hervorgebracht.“ (4 Esra 7,116) Ja, es gibt keinen vernünftigen Grund, um die Träne eines Kindes zu rechtfertigen. Jede Vorstellung von einem Preis, den eben anderes Leben kostet, ist absurd. Die Vorstellung von einem riesigen Betrieb, der bloß eine einzige Träne eines einzigen

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Kindes kostet, ist zurück zu weisen, ebenso jeder Ausgleich und jede Kompensation für das Leid.

Ihr dürft und ihr sollt klagen, wie es auch Hiob getan hat, dem seine Familie weg gestorben ist. „Hiob! Hiob! O Hiob! Hast du wirklich nichts andres gesprochen als diese schönen Worte: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobet? Hast du nicht mehr gesagt? ... nicht mehr und nicht weniger, ebenso wie man Prosit sagt zu dem Niesenden! Nein, du ... hast die Menschen nicht betrogen, und als alles barst, da wardst du des Leidenden Mund und des Zerknirschten Stimme und des Geängstigten Schrei, und eine Linderung allen, die in Qualen verstummten, ein getreuer Zeuge von aller der Not und Zerrissenheit, die in einem Herzen wohnen kann, ein untrüglicher Fürsprech, der es wagte ‚in der Bitterkeit seiner Seele’ Klage zu erheben und zu streiten wider Gott.“[1]

Wäre es besser gewesen, wenn es das Kind gar nie gegeben hätte? Ich glaube nicht, dass das euer Denken und Fühlen ist. Das Kind will nicht, dass man sich in Gedanken vorstellt, es hätte gar nie existiert. Diese Vorstellung wäre nicht von der Liebe bestimmt. Zu dieser Solidarität mit dem Kind gehört die Annahme der Existenz des Kindes und die Annahme aller Tränen und der unzählbaren Schrecken jenseits der Tränen annehmen, die Annahme, dass die Kinder gewesen sind, ganz einfach, weil sie sind.[2] „Jedes Leben ist in der Tat ein Geschenk, egal wie kurz, egal wie zerbrechlich. Jedes Leben ist ein Geschenk, welches für immer in unseren Herzen und ganz gewiss in der Liebe Gottes weiterleben wird.“

Raum geben

Ihr habt den verstorbenen Kindern Raum gegeben und ihr gebt ihnen Raum, Lebensraum im Mutterleib als die ursprüngliche Form des Raumes, Zeit und Raum beim Abschied, in Form von Zeichen wie Fotos, wie die Abdrucke von Händen und Füßen. - Da gehöre ich nicht dazu! Da bin ich in die Enge getrieben und ins Eck gestellt! Vermutlich haben die meisten schon einmal die Erfahrung gemacht, fehl am Platz zu sein, weil ihnen vermittelt wurde: du bist hier fremd; du verstehst nichts; du bist anders. Immer öfter höre ich auf die Frage, wer zur Familie gehört, auch die Namen von verstorbenen Kinder, oder auf die Frage, wie viele Kinder und

[ 1] Sören Kierkegaard, Die Wiederholung, (Gesammelte Werke 5. und 6. Abt. III) 231-233.

[ 2] Cahier 2,223; Schwerkraft und Gnade 115.

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Geschwister jemand hat, auch den Zusatz: davon sind jene, die mit Namen genannt werden, schon verstorben.

Den verstorbenen Kindern Raum und Zeit geben, dazu gehört auch, dass sie einen Namen haben. Sie sind nicht Glied einer Statistik, kein Kind ist wiederholbar und ersetzbar, keines ist eine Nummer oder ein Serienprodukt, ein Zahnrad, keine Maschine, kein Computer. Jedes Kind ist einzigartig auf der Welt,, auch und gerade die vor, während und nach der Geburt verstorbenen Kinder, haben eine einzigartige Würde und einen unendlichen Wert. Die Kinder haben bei Ihnen, den Eltern, Geschwistern und Großeltern einen Namen, sie haben bei Gott einen Namen: Gott hat sich jedes einzeln ausgedacht als Wunder. Sie sind nicht Gottes vergessene Kinder, die ihm gleichgültig wären. „Jetzt aber - so spricht der Herr, der dich geschaf - fen hat, Jakob, und der dich geformt hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir.“ Und Euch sagt er zu: „Wenn du durchs Wasser schreitest, bin ich bei dir, wenn durch Ströme, dann reißen sie dich nicht fort... Denn ich, der Herr, bin dein Gott, ich, der heilige Israels, bin dein Retter... Weil du in meinen Augen teuer und wertvoll bist und weil ich dich liebe, gebe ich für dich ganze Länder und für dein Leben ganze Völker. Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir.“ (Jes 43,1-5)

Segnen und Hoffen

Segnen, d.h. die Hand auf etwas legen und sagen: du gehörst trotz allem Gott. … Wir haben Gottes Segen empfangen in Glück und im Leiden. Wer aber selbst gesegnet wurde, der kann nicht mehr anders als diesen Segen weitergeben, ja er muss dort, wo er ist, ein Segen sein. Nur aus dem Unmöglichen kann die Welt erneuert werden; dieses Unmögliche ist der Segen Gottes.“[3]

Segnen und Hoffen: „Wenn niemand mir zuhört, hört mir Gott immer noch zu. Wenn ich zu niemand mehr reden, niemanden mehr anrufen kann – zu Gott kann ich immer reden. Wenn niemand mehr mir helfen kann – wo es sich um eine Not oder eine Erwartung handelt, die menschliches Hoffen Können überschreitet - : Er kann mir helfen.“ So der Papst in seiner neuen Enzyklika. Zion sagt: Der Herr hat mich verlassen, Gott hat mich vergessen. Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn. Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich

[ 3] Dietrich Bonhoeffer, Gesammelte Schriften 4, 595f.

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vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände.“ (Jes 49,14-16)

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