ohnnebenkosten sind solche Ko- sten der Betriebe, die zusätzlich zum Lohn vom Arbeitgeber auf- gebracht werden müssen. Deshalb zählt die Hälfte der Sozialbeiträge nicht zu den Lohnnebenkosten. Das betrifft die gesetzliche Renten-, Kran- ken-, Arbeitslosen- und Pflegeversi- cherung. Denn die Hälfte der Sozial- beiträge zahlt der Arbeitnehmer von seinem Lohn. Das heißt: Von den rund 40 Prozent Sozialabgaben, die auf Basis des Lohnes oder Gehaltes erhoben werden, rechnen nur 20 Pro- zent zu den Lohnnebenkosten. Sie be- lasten die Arbeitgeber zusätzlich zum Lohn. 20 Prozent bringen die Arbeit- nehmer von ihrem Lohn auf. Das ist betriebswirtschaftliches Basiswissen.
Die von den Ar- beitgebern aufge- brachten Sozialab- gaben machen nur ein Viertel der ge- samten Lohnne- benkosten aus.
Dieser Aufwand vervierfacht sich durch weitere Aus- gaben auf rund 80 Prozent zusätzlicher Aufwendungen zum Lohn. Das sind im we- sentlichen solche für ar- beitsfreie Tage, Gratifika- tionen, Weihnachtsgeld, be- triebliche Altersversorgung, Unfall- versicherung, Vermögensbildung und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Den Tarifvertragsparteien – Arbeit- gebern und Gewerkschaften – sind diese Fakten vertraut. Ebenso wissen Gewerkschaften und Arbeitgeber, daß sie – und im wesentlichen sie al- lein – für die Höhe der gesam- ten Lohnnebenkosten verantwortlich sind, auch für die Höhe der Sozialver- sicherungsbeiträge.
Die Mittäterschaft der jeweiligen Regierungen in Form von Zweckent- fremdungen der Mittel aus Sozialkas- sen für Ausgaben, die aus Steuermit- teln zu decken wären, rechtfertigt die Feststellung: „Die Regierung raubt zusammen mit Arbeitgebern und Ge- werkschaften die Sozialkassen aus, und die Opposition steht Schmiere.“
Beleg: Im Jahr 1995 wurde ein Zehn- tel aller Sozialbeiträge für die Finan-
zierung sogenannter Frühberentun- gen ver(sch)wendet. Die Summe von 70 Milliarden DM belief sich fast ge- nau auf den Betrag der kassenärztli- chen Gesamtvergütung zuzüglich der GKV-Ausgaben für Arzneimittel aus Apotheken.
Die staatliche Sanktionierung die- ses Versicherungsbetruges hebt nur die Strafbarkeit, nicht aber das Sträf- liche des Handelns auf.
Nur ein einziges Mal haben die Ar- beitgeber mit Hilfe der Regierung Hel- mut Kohl versucht, jene drei Viertel der Lohnnebenkosten zu senken, die keine
Sozialabgaben sind. Es war der Angriff auf die Lohnfortzahlung im Krank- heitsfall in Kombination mit der Redu- zierung von Urlaubsansprüchen. Das Ergebnis wurde zu einer Farce.
etzt haben sich die Beteiligten nur mehr auf die Senkung der Sozial- versicherungsbeiträge kapriziert:
die Regierung, jetzige Opposition, die Sozialbeiträge für fremde Zwecke ent- wendet hat; die Arbeitgeber, die sich an Frühberentungen bereichert haben und bereichern; die Gewerkschaften, die den Versicherungsbetrug im Rah- men der Frühberentungen nicht nur geduldet, sondern begünstigt haben;
die einstige Opposition und heutige Regierung, der das Unrecht recht war.
Plötzlich wurden Lohnnebenko- sten und Sozialbeiträge sprachlich in-
haltsgleich; die Begriffe wurden Syn- onyma. Es bleibe dahingestellt, wer für diesen Etikettenschwindel einzu- stehen hat.
leichzeitig wurde Falschmünze- rei betrieben, denn plötzlich gal- ten sämtliche Sozialbeiträge als Lohnnebenkosten, auch die der Ar- beitnehmer, obgleich deren Beiträge doch Lohnabzüge waren und keine zusätzlich zum Lohn aufzubringenden Kosten. Gestreut wurde außerdem, daß nur in Deutschland exorbitan- te Lohnnebenkosten vorlägen. Ver- schwiegen wurde, daß in Italien mit 103 Prozent, in Österreich mit 98 Pro- zent, in Frankreich mit 93 Pro- zent deutlich höhere (in Spa- nien mit 82 Prozent etwa gleich hohe Lohnneben- kosten) zusätzlich zum
Lohn anfallen.
Dieser Prozeß des staatlich sank- tionierten Versi- cherungsbetruges, des Etiketten- schwindels, der Falschmünzerei, der Vertuschung in Verbindung mit Dra- matisierung der deut- schen Verhältnisse ist das Werk der Lobby.
Dieses Werk wird abge- rundet durch Brunnenvergiftung in Form der Diskriminierung des na- hezu einzigartigen deutschen Sozial- leistungssystems, das die optimale Be- kämpfung von Krankheiten bezahl- bar macht und sozialen Frieden si- chert. Die Diffamierung wirklicher Errungenschaften im Vergleich zum indiskutablen Weltstandard findet den Segen bei den amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlern, den so- genannten Chicago-Boys. Sie favori- sieren den Darwinismus in Form der Befreiung des Kapitals von jeglicher sozialen Belastung und Verantwor- tung. Alles andere betrachten sie als Kommunismus.
Leider trifft noch immer zu, was Gottfried Benn, Arzt und Autor, be- reits im Jahr 1928 diagnostizierte:
„… , die einen sind von rechts dumm, die andern sind von links dumm, …“
Dr. med. Manfred Budde A-1108 (24) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 17, 30. April 1999
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