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Seite eins
Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 8, 20. Februar 1998 (1)
Satire
Marktwirtschaft pur
Pflegeversicherung
Hickhack
W
enn die Werbung und PR- Aktionen wie eine Flut- welle über uns rollen, soll- ten auch Ärzte nicht kleckern, son- dern klotzen. Ein Blick über den„großen Teich“ hilft: In den USA geben Ärzte eigene Praxiszeitschrif- ten heraus oder lassen Interessen- ten beim Operieren zuschauen, da- mit sie die Künste des „Meisters“
aus erster Hand erleben können.
Ungeahnte Möglichkeiten!
Das fängt bereits beim Praxisschild an: Da sollte nicht nur das Übliche draufstehen, sondern auch der pra- xiseigene Slogan („Bei mir liegen
Sie richtig!“). Infoprospekte, An- zeigen, Kino- und Hörfunkspots, Bandenwerbung – das sind die tra- ditionellen, etwas ausgetretenen Werbepfade. Marketingorientierte Ärzte gehen ins private Fernsehen, zu Bärbel Schäfer („So heilte ich prominente Mitbürger“) oder Jür- gen Fliege („Meine Patienten mucken auf, was tun?“) oder lan- cieren ihre Praxis in den beliebten Ärzte-Soaps (Product Placement).
Ganz schick ist es, ein Buch zum Thema zu veröffentlichen, um es bei TV-Talkshows zu präsentie- ren. Der clevere Arzt macht nicht
nur PR und Werbung, sondern Kultur-, Sport-, Öko- und Sozio- Sponsoring. Er unterstützt das ört- liche Theater, den lokalen Jogger- Club, das grüne Unternehmen
„Wir bremsen auch für Frösche“
und die Aktion „Frauen schlagen zurück“. Selbstverständlich gibt es Vorschriften. Doch der Arzt er- fährt gerade jetzt die knallharte Marktwirtschaft am eigenen Leib.
Er kennt auch deren rücksichtslo- se Regel: Entscheidend bleibt, ob der gestiegene Ertrag höher ist als die fälligen Bußgelder . . . Berufs- ethos? Bernd Ellermann
D
ie Pflegeversicherung steht auf sicherem finanziellen Fundament.“ Das beteuer- te Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU), als er im Dezember 1997 den ersten Bericht über die Erfahrungen mit der gesetzlichen Pflegeversicherung vorstellte. Da- mals erklärte Blüm, es kämen we- der eine Senkung des Beitragssat- zes noch eine Verbesserung der Leistungen in Betracht.Das will nicht jeder schlucken.
Die FDP hat sich vehement für ei- ne Senkung des Beitragssatzes (zur Zeit 1,7 Prozent) ausgesprochen.
Bis Ende 1997 beliefen sich die Rücklagen auf knapp neun Milliar- den DM. Ende 1998 werden es nach Hochrechnungen der FDP rund elf Milliarden DM sein. Gin- ge es nach ihrem Willen, würde der Beitragssatz auf 1,5 Prozent ge- senkt, womit auch die Lohn- nebenkosten angeblich jährlich um rund 3,6 Milliarden DM verringert werden könnten. So ließen sich neue Arbeitsplätze schaffen.
Nicht alle in der CDU-Spitze sind solchen Ideen abgeneigt. Bun- deskanzler Helmut Kohl und Ge- neralsekretär Peter Hintze wand- ten sich aber sowohl gegen eine Senkung des Beitragssatzes als auch gegen eine Erhöhung. Ei- ne Verbesserung der Leistungen könnten sich SPD und Bündnis- grüne vorstellen, die eine entspre- chende Initiative im Bundestag erwägen. Diesen Hickhack ver- größerten Presseberichte über ein offiziell noch unveröffentlichtes Gutachten für den Bundestag. Des- sen Autoren gehen angeblich da- von aus, daß die Beitragssätze dem- nächst erhöht werden müssen. Wer argumentiert am plausibelsten?
Mitte vergangener Woche lag das Gutachten im Auftrag der Bundestags-Enquêtekommission
„Demographischer Wandel“ noch nicht vor. Welche Szenarien sie auch durchspielen – man darf ver- muten, daß die Gutachter am plau- sibelsten argumentieren. Sie stecken nicht im Wahlkampf. Alle
anderen Äußerungen sind hinge- gen mit Vorsicht zu betrachten.
Die Liberalen argumentieren mit Blick auf die gewünschte Senkung der Lohnnebenkosten.
Selbst wer zustimmt, daß einmal ein Anfang gemacht werden müsse – es gäbe wirkungsvollere Einstie- ge als die Senkung des Pflegever- sicherungsbeitrags. Teile der CDU fürchten offenbar, daß ältere Wähler durch derartige Korrektu- ren verschreckt werden. SPD und Bündnisgrüne locken dagegen noch mit Verbesserungen, was im- mer wählerwirksam erscheint.
Auf der Strecke bleibt die Dis- kussion dessen, was einem unvor- eingenommenen Beobachter lo- gisch erschiene: eine Senkung der Beiträge 1998 und eine Über- prüfung der Beitragssatzhöhe am Ende des Jahres. Doch weil heute keiner dafür verantwortlich sein möchte, daß Sozialversicherungs- beiträge bei Bedarf erhöht werden müssen, werden sie lieber erst gar nicht gesenkt. Sabine Rieser