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marsilius

kolleg Universität

Heidelberg Zukunft seit 1386

Projektgruppe EURAT

„Ethische und Rechtliche Aspekte der Ganzgenom sequenzierung des menschlichen Genoms“

Stellungnahme

EckpunktE für EinE

HEidElbErgEr praxiS dEr ganzgEnomSEquEnziErung

Heidelberg, november 2015

2. aktualisierte Auflage

(2)

Stellungnahme

EckpunktE für EinE HEidElbErgEr praxiS dEr ganzgEnomSEquEnziErung

(3)

2 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

Die Fortschritte der Lebenswissenschaften haben viele Errungenschaften der modernen Medizin ermöglicht. Bei der Suche nach besseren Mög- lichkeiten zur Behandlung von Krebserkrankungen gehört derzeit die Ganzgenomsequenzierung zu den besonders vielversprechenden Ansät- zen. Die bisherigen Erfahrungen sind ermutigend. Es ist anzunehmen, dass die Ganzgenomsequenzierung schon bald zum Standardrepertoire der Krebsdiagnostik gehören wird.

Mit dem zunehmenden Einsatz der Ganzgenomsequenzierung in der me- dizinischen Forschung und in der Krankenversorgung gewinnen auch die mit dieser Technologie verbundenen ethischen und recht lichen Aspekte an Bedeutung. Die Stellungnahme „Eckpunkte für eine Heidelberger Praxis der Ganzgenomsequenzierung“ greift diese Fragen auf und zeigt praktische Lösungen auf.

Die Empfehlungen sind das Ergebnis der inter-disziplinären und inter- institutionellen Zusammenarbeit am Wissenschaftsstandort Heidelberg im Rahmen des universitären Zukunftskonzepts in der Exzellenz- initiative. Das Forschungsprojekt „Ethische und rechtliche Aspekte der Total sequenzierung des menschlichen Genoms“ (EURAT) am Marsilius- Kolleg der Universität Heidelberg bot die Plattform und die notwendigen Ressourcen für intensive Diskussionen und fundierte Recherchen. So konnten Wissenschaftler/innen der Universität, des Universitätsklini- kums Heidelberg, des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Europäischen Molekularbiologie Labors (EMBL) sowie des Max-Planck-

Geleitwort zur

zweiten AuflAGe der

eurAt-StellunGnAhme

(4)

3 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) die normativen Herausforderungen der Ganzgenomsequenzierung erörtern und Lösungsansätze entwickeln. Ihre wissenschaftlichen und klinischen Expertisen aus den Disziplinen Humangenetik, Pathologie, Onkologie, Bioinformatik, Verfassungsrecht, Ethik und Gesundheitsökonomie bilden die Grundlage des interdisziplinären Austauschs und der daraus erwach- senen Stellungnahme.

Die Universität Heidelberg, ebenso wie das Deutsche Krebsforschungs- zentrum (DKFZ) und das Universitätsklinikum Heidelberg haben den in der Stellungnahme enthaltenen Forscherkodex für ihren jeweiligen Wirkungsbereich für verbindlich erklärt. Damit setzen sie bewusst ein Beispiel für eine verantwortungsbewusste Selbstregulierung der Wissen- schaft.

Die Stellungnahme fand weit über Heidelberg hinaus Beachtung. Auf- grund der hohen Nachfrage und der zahlreichen Rückmeldungen legt die Projektgruppe nun eine zweite, aktualisierte Auflage vor. Damit wird noch einmal betont, dass am Wissenschafts- und Medizinstandort Heidelberg wissenschaftlicher Fortschritt und gesellschaftliche Verantwortung als zwei Seiten einer Medaille gesehen und gelebt werden.

Heidelberg, im September 2015

prof. dr. bernhard Eitel

Rektor der Universität Heidelberg

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inhAltSverzeichniS

Geleitwort zur zweiten Auflage Vorwort zur zweiten Auflage Vorwort zur ersten Auflage Mitwirkende

Präambel

A. Kodex für Forscher, die an der Ganzgenom­

sequenzierung, insbesondere von Patienten­

Genomen, beteiligt sind, und seine Erläuterungen B. Patienteninformation und Einwilligungserklärung zur

„Versorgungsforschung zur Einsetzbarkeit genomweiter Analysen zur Abklärung von Krankheiten“

C. Patienteninformation, Einwilligungserklärung und Patientenauskunft zur „Genomsequenzierung in der Krebsforschung“

(1) Grundsätze der erarbeiteten Dokumente (2) Erläuterungen zu den erarbeiteten Dokumenten 2

6 10 14 16 18

38

50

64 66

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(2.1) Die kulturelle Veränderungskraft der Genomsequenzierung

(2.2) Normative Grundlagen

(2.3) Grenzen des klassischen Konzepts von Aufklärung, Einwilligung und Beratung (2.4) Umgang mit Zusatzbefunden

(2.5) Forschung an Nicht-Einwilligungsfähigen (2.6) Die Verantwortung von Forschern

in der Genomforschung

(2.7) Die ökonomische Dimension

(2.8) Schutz der genetischen Daten einer Person Orientierungspunkte für eine Datenschutz- Regelung

Anlagen zu den Orientierungspunkten für eine Datenschutz-Regelung

Literaturverzeichnis

Referenztexte des Forscherkodex Impressum

66

67 69

71 74 75

76 77 80

95

98 106 110

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6 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

Angesichts des schnellen Fortschritts der Sequenzierungstechno logie und der bioinformatischen Auswertung, die es erstmals ermöglichten ganze Genome einzelner Menschen in wenigen Tagen zu analysieren, hat sich die Projektgruppe EURAT in Heidelberg konstituiert, um die ethi- schen und rechtlichen Implikationen genomweiter Analysen zu antizipie- ren und praxisnahe Vorschläge für einen verantwortungsvollen Umgang mit den neuen technischen Möglichkeiten zu erarbeiten.

Die Ergebnisse der ersten Projektphase wurden in Form einer Stellung- nahme „Eckpunkte für eine Heidelberger Praxis der Ganzgenom- sequenzierung“ im Juni 2013 veröffentlicht. Die in deutscher und eng- lischer Sprache publizierten „Eckpunkte“ waren seitdem in gedruckter und elektronischer Form kostenfrei erhältlich. Da insbesondere die deut- sche Printversion schnell vergriffen war, erscheinen die „Eckpunkte“

jetzt in zweiter Auflage.

Wir wollen die Neuauflage nutzen, um die Geschichte des EURAT Pro- jektes fortzuschreiben und auf neue Entwicklungen in der ethischen und rechtlichen Diskussion hinzuweisen, die den Einsatz der „Next Generati- on Sequencing“ (NGS) Technologien begleiten. Damit wird deutlich, dass EURAT ein dynamisches Projekt ist, das wesentlich gekennzeichnet ist durch den kommunikativen Austausch zwischen den beteiligten Wissen- schaftlern und Institutionen und das gemeinsame Bemühen, die Ent-

vorwort zur

zweiten AuflAGe

(8)

7 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

wicklungen im dynamischen Feld der Genomforschung im Sinne einer guten wissenschaftlichen Praxis zu gestalten.

Aktuell sind an der Projektgruppe EURAT Mediziner, Naturwissen- schaftler, Bioinformatiker, Juristen und Ethiker aus der Ruprecht- Karls- Universität Heidelberg, dem Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, dem Deutschen Krebsforschungs- zentrum (DKFZ) und dem Europäischen Laboratorium für Molekular- biologie (EMBL) beteiligt. Die erste Projektphase wurde im Rahmen der Exzellenzinitiative durch das Marsilius-Kolleg der Universität Heidelberg finanziert, eine Anschlussfinanzierung wurde durch den Innovationsfond des Landes Baden-Württemberg ermöglicht.

Die Veröffentlichung der Stellungnahme und die Präsentation auf medizinischen wie ethischen Fachtagungen haben zur Diskussion, Per- zeption und kritischen Auseinandersetzung mit ethischen und recht- lichen Fragen der Genomsequenzierung sowohl in den öffentlichen Medien als auch in der akademischen Gemeinschaft beigetragen (siehe:

http://www.uni-heidelberg.de/totalsequenzierung).

Wir nutzen die Gelegenheit, um Verbesserungsvorschläge aufzu- greifen und lassen sie in die aktuelle Neuauflage einfließen. Wichtige Änderungen in der jetzigen Auflage betreffen insbesondere den Titel des Forscherkodexes. Legte der bisherige Titel „Kodex für nicht-ärzt- liche Wissen schaftler […]“ nahe, dass Mediziner im Forschungs kontext nicht angesprochen werden, wird einem solchen Missverständnis durch den geänderten Titel „Kodex für Forscher [… ]“ vorgebeugt. Der Kodex bezieht sich auch auf Mediziner, die abseits der Patientenbe- handlung als Forscher tätig sind und daher nicht in einem ärztlichen Behandlungs verhältnis mit dem Patienten stehen, dessen Genom im Forschungs kontext analysiert wird. Ebenfalls erklärungsbedürftig ist die Verwendung des Begriffs „Befund“ für Ergebnisse im Forschungs- kontext (z.B. in der Diskussion um Zusatzbefunde), da Befunde übli- cherweise ein zertifiziertes Verfahren voraussetzen, hier aber auch Un- tersuchungsergebnisse ohne Validierung gemeint sind. Im Deutschen bietet sich hier die Unter scheidung zwischen (Forschungs-)Ergebnis und (vali diertem) Befund an. Da jedoch der Kodex an die englische Diskussion anknüpft, in der allein der Begriff „finding“ verwendet wird, haben wir am Begriff „Befund“ festgehalten, aber anhand einer Fuß- note erläutert, dass damit auch Ergebnisse aus der Forschung und Prä- diagnostik gemeint sind.

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8 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

In der „Einwilligungserklärung“ von Patienten zur „Einsetzbarkeit genom- weiter Analysen zur Abklärung von Krankheiten“ haben wir die Passagen, die keine eigentliche Wahloption beinhalten, als reine Einverständnis- erklärung umformuliert.

Die „Patienteninformation und Einwilligungserklärung und Patienten- auskunft zur ‚Genomsequenzierung in der Krebsforschung‘“ wird in einem Forschungsprojekt am Nationalen Centrum für Tumorerkrankun- gen gerade weiterentwickelt. Hierzu wurden Fokusgruppen mit Patienten durchgeführt, um deren Aufklärungs- und Rückmeldepräferenzen zu be- rücksichtigen und die Lesbarkeit und Verständlichkeit zu verbessern. Ziel des Projektes ist es, ein Verfahren zu etablieren, das die Patienten gut informiert und bei der Entscheidung zur Teilnahme an Sequenzierungs- studien unterstützt.

Mit Blick auf das ursprüngliche Anliegen, die Heidelberger Praxis der Genomsequenzierung lokal und kontextsensitiv zu gestalten, wurde der Kodex am 28.01.2014 mittels Senatsbeschluss an der Univer- sität Heidel berg angenommen und gilt nun für alle Forscher der Uni- versität Heidelberg auf dem Feld der Genomsequenzierung. Darüber hinaus wurde der Kodex am 19.12.2013 durch ein Rundschreiben des DKFZ-Vorstands an alle aktuellen Mitarbeiter und bei neuen Mitarbei- tern durch eine zu leistende Unterschrift den anderen Handlungsricht- linien zur guten wissenschaftlichen Praxis gleichgestellt. Durch die ar- beitsrechtliche Einbindung trägt der Kodex zur Handlungssicherheit der Mitarbeiter bei. Jedoch wird er seine Funktion nur dann im vollen Um- fang erfüllen, wenn die Mitarbeiter in Fortbildungen darüber unterrichtet werden und die Möglichkeit zum Diskurs gewährleistet wird, wofür die Institutionen die notwendigen Ressourcen bereitstellen müssten. Aus den bisher eingegangenen Anfragen und Rückmeldungen von anderen Universitäten und Forschungsinstitutionen wissen wir darüber hinaus, dass die Dokumente unserer Stellungnahme zur weiteren Orientierung für eigene Lösungen dienen.

Als Plattform für ethisch und rechtlich relevante Themen hat EURAT im Bereich von NGS weitere Entwicklungen angestoßen – etwa mit Blick auf den Datenschutz und die Rückmeldung von Zusatzbefunden.

Der Themenkomplex Datenschutz in der Genomforschung wurde bereits in der Erstauflage der „Eckpunkte“ beachtet und es wurden generische Lösungsvorschläge für die wichtigsten ethischen Fragen vorgestellt.

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9 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

Mittlerweile hat eine Projektgruppe am DKFZ ein spezielles Rahmen- datenschutzkonzept zum Umgang mit personenbezogenen Daten spezi- ell für jene Forschungsprojekte mit genomischen Daten entwickelt, wobei auch EURAT beratend tätig war. Damit stellt sich das DKFZ seiner Verant- wortung, langfristig und nachhaltig Forschung mit personenbezogenen Daten im onkologischen Umfeld zu ermöglichen und gleichzeitig die Ver- traulichkeit dieser Daten zu gewährleisten sowie die Rechte und Interes- sen der Datenspender zu schützen. Das Rahmendatenschutzkonzept gilt institutsintern und es wird im letzten Kapitel zum Datenschutz erläutert.

Ein zweites Thema, das die EURAT-Gruppe von Beginn an beschäf- tigt hat, ist der verantwortungsvolle Umgang mit genetischen Zusatz- befunden. Bei der Erstauflage der „Eckpunkte“ gingen wir davon aus, dass die Zahl der Zusatzbefunde mit der Zunahme der genomischen Daten und Forschungsprojekte ansteigen würde. Dies ist bislang nicht geschehen und offensichtlich methodisch bedingt, da die zur Bewälti- gung der Daten sätze notwendigen Filter Zusatzbefunde ausschließen.

Dagegen treten z.B. in der Krebsforschung durchaus Forschungsbe- funde mit Gesundheitsrelevanz auf und werden gemäß der Vorgaben der Eckpunkte dem Patienten mitgeteilt. Sowohl der Forscherkodex wie die Patientenauf klärung tragen dazu bei, dass eine solche Rückmeldung vorbereitet und wahrgenommen wird.

Die Aktualisierung der „Eckpunkte“ führt damit die ethische und recht- liche Debatte zur Genomsequenzierung und die Möglichkeit der Selbst- regulierung innerhalb der Forschungsinstitutionen fort.

pd dr. dr. Eva Winkler (Projektsprecherin)

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10 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

Die Verbesserung der Techniken zur Analyse menschlicher Erbinforma- tionen ermöglicht es heute, ganze Genome einzelner Menschen in sehr viel kürzerer Zeit zu analysieren als beim Abschluss des Human-Genom- forschungsprojekts im Jahr 2003 (Collins et al. 2003, Levy et al. 2007).

Heute steht ein hochdifferenziertes System von computerbasierten Ana- lysemethoden zur Verfügung, mit denen die genetische Information in großer Breite und Tiefe in wenigen Tagen analysiert werden kann. Die Weiterentwicklung und Verbesserung dieser Analysemethoden, die sich unter den Begriffen „Totalsequenzierung“, „Genomsequenzierung“ und

„Gesamtgenomsequenzierung“ oder „next generation sequencing of genomes“ zusammenfassen lassen, war und ist ein wichtiger Ansatz der Genom forschung.

Die Entwicklung der Sequenziertechnologien (sog. Hochdurchsatzver fahren) hat inzwischen einen Stand erreicht, der es ermöglicht, sie verstärkt in der medizinischen Grundlagenforschung und im klinischen Alltag einzu setzen.

Genetische Merkmale und Ursachen von Krankheiten können nun früh er- kannt werden, um Präventions- oder Therapiemöglich keiten zu verbessern.

Das „clinical genome sequencing“ wird in Heidelberger Universitäts- kliniken und Forschungseinrichtungen verstärkt als neue Diagnosemög- lichkeit erprobt. So wurde etwa für das Deutsche Krebsforschungszen- trum (DKFZ) das Ziel formuliert, in naher Zukunft die Tumoren aller am

vorwort zur

erSten AuflAGe

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11 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) behandelten Patien- ten zu sequenzieren (Wiestler 2012). In diesem Zusammenhang wurde 2011 das „DKFZ Heidelberg Center for Personalized Oncology“ (DKFZ- HIPO) geschaffen (biopro 2013). In der Patientenversorgung tragen die aus genetischen Analysen gewonnenen Informationen schon jetzt dazu bei, den Einsatz von Chemotherapeutika patientenspezifischer zu planen.

Unter den Programmformeln „personalisierte Medizin“ oder „stratifizierte Medizin“ wird diese Entwicklung vorangetrieben (PHG Foundation 2011, 45ff., Deutscher Ethikrat 2012). Am Institut für Humangenetik wird die Total sequenzierung zur Diagnose seltener Erkrankungen eingesetzt, und in der Pädiatrie sind ebenfalls die Genome von ersten Kindern mit Hirn- tumoren sequenziert worden, zum Teil mit einem direkten Einfluss auf Behandlungsentscheidungen (Lichter 2012).

Beim derzeitigen Stand des Wissens ist kein abschließendes Urteil darüber möglich, ob und in welcher Breite die Genomsequenzierung zu einem Routineinstrument der klinischen Diagnostik werden wird (Varmus 2010, Evans et al. 2011, Green et al. 2011, 206). Sicher ist jedoch: Ärzte, die diese Diagnosemöglichkeit verstärkt nutzen möchten, werden sich mit den ethischen, rechtlichen und ökonomischen Chancen und Herausforderung- en auseinandersetzen, und Patienten, die sich in Heidelberg behandeln lassen, werden sich zunehmend im Rahmen der Patientenaufklärung mit diesen neuen genombasierten Diagnosemöglichkeiten und den damit ver- bundenen Chancen und Risiken befassen müssen.

Der Entwicklungsschub in Grundlagenforschung und medizinischer Anwendung der Genomsequenzierung bildete den Ausgangsimpuls für die Bildung einer interdisziplinären Arbeitsgruppe aus Medizinern, Naturwis- senschaftlern, Bioinformatikern, Juristen, Ethikern und Wirtschaftswissen- schaftlern in Heidelberg im Jahr 2011. In ihr arbeiten Wissenschaftler aus der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, dem Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, dem Deutschen Krebs- forschungszentrum (DKFZ), dem Europäischen Laboratorium für Moleku- larbiologie (EMBL) und der Leibniz Universität Hannover zusammen.

Das im Rahmen der Exzellenzinitiative durch das Marsilius-Kolleg der Uni- versität Heidelberg finanzierte Projekt (EURAT) setzte sich zum Ziel, am Standort Heidelberg die rechtlichen, ethischen und ökonomischen Dimen- sionen der Genomsequenzierung im klinischen Einsatz zu analysieren und praxisnahe Vorschläge für den Umgang mit den neuen technischen Mög- lichkeiten zu erarbeiten.

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12 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

Die Arbeit der Projektgruppe hat zwei unterschiedliche Arten von Ergebnissen. Das sichtbare Ergebnis sind die gemeinsam erarbeiteten Dokumente: ein Kodex für nichtärztliche Wissenschaftler und seine Erläuterungen sowie zwei Mustertexte für Patienteninformationen und Ein- willigungserklärungen. Das zweite Ergebnis ist weniger sichtbar. EURAT hat in den beteiligten Einrichtungen Kommunikationsprozesse über die normativen Probleme initiiert. Damit sind Voraussetzungen geschaffen worden, in der Praxis vor Ort „verantwortliches“ und „treuhänderisches Handeln“ zu stärken.

Die Analysen und Kommunikationsprozesse im Rahmen des Heidelberger EURAT-Projekts sind an der Leitidee ausgerichtet, „verantwortliches Han- deln zu veranlassen“ und „treuhänderisches Handeln“ (Kirchhof 2002, 29) bei den Akteuren vor Ort zu stärken, die die Genomsequenzierung an der Schnittstelle von Grundlagenforschung und Einsatz in der Patienten- versorgung vorantreiben. Ins Zentrum gerückt wird damit die Fähigkeit zur Selbstregulierung von Medizinern und Forschern und nicht die Regulie- rung durch weitere staatliche Vorgaben.

prof. dr. klaus tanner (Projektsprecher 2011 – 2013)

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(15)

14 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

mitwirkende

Projektgruppe

prof. dr. claus r. bartram Humangenetik

Universitätsklinikum Heidelberg prof. dr. roland Eils Bioinformatik

Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) Universität Heidelberg

prof. dr. christof von kalle Onkologie

Nationales Centrum für Tumorerkrankungen

Heidelberg (NCT), Deutsches Krebsforschungs zentrum (DKFZ)

prof. dr. Hanno glimm Onkologie

Nationales Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg (NCT), Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) prof. dr. dres. h.c. Verfassungsrecht

paul kirchhof, Universität Heidelberg bundes verfas sungsrichter a.d.

dr. Jan korbel Bioinformatik, Genomsequenzierung

European Molecular Biology Laboratory (EMBL) prof. dr. andreas E. kulozik, Onkologie

phd Universitätsklinikum Heidelberg

prof. dr. peter lichter Tumorgenetik, Genomsequenzierung Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) prof. dr. peter Schirmacher Pathologie, Biobanking

Universitätsklinikum Heidelberg prof. dr. J.-matthias graf Gesundheitsökonomie

von der Schulenburg Universität Hannover prof. dr. klaus tanner Theologie, Ethik

Universität Heidelberg prof. dr. Stefan Wiemann Genomsequenzierung

Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) prof. dr. dr. Eva Winkler Onkologie, Ethik

Nationales Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg (NCT), Universitätsklinikum Heidelberg prof. dr. dr. h.c. Verfassungsrecht und Völkerrecht

rüdiger Wolfrum Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Universität Heidelberg

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15 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

Wissenschaftliche Gesamtkoordination

dr. grit Schwarzkopf Ethik (2010-2013)

Konzeption der ersten Auflage Universität Heidelberg

dr. christoph Schickhardt Ethik (2013-2014)

Nationales Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg (NCT),

Universitätsklinikum Heidelberg Sebastian Schuol, m.a. Ethik (2014-)

Nationales Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg (NCT),

Universitätsklinikum Heidelberg

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

dr. martin frank Gesundheitsökonomie (2011-2013) Universität Hannover

gösta gantner, m.a. Ethik (2011-2013) Universität Heidelberg

dr. fruzsina molnár-gábor Rechtswissenschaften (2011-2013) Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht dr. anne prenzler Gesundheitsökonomie (2011-2013)

Universität Hannover

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16 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

PräAmbel

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17 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

· In der Verantwortung des Wissenschaftlers, neue Erkenntnisse zur Hei- lung von Patienten zu suchen,

· in der Verpflichtung des Arztes, seinen Patienten nach neuestem Stand von Wissenschaft und Technik zu behandeln und an dessen Erneue- rung mitzuwirken,

· in der Notwendigkeit, persönliche Daten des Patienten für die Behand- lung und Forschung zu kennen, diese Kenntnis schonend zu nutzen und gegen das Mitwissen Unberechtigter abzuschirmen,

· im Bemühen um internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit, die nur im Geltungsbereich unterschiedlicher Rechtsordnungen möglich ist,

· in der Erfahrung, dass das herkömmliche Medizinrecht mit seinen Maß- stäben für Diagnose, Aufklärung, Einwilligung, Behandlung lege artis und Dokumentation die Erfordernisse der Ganzgenomsequenzierung nicht angemessen berücksichtigt,

· im Bewusstsein, dass das Medizinrecht nur für den Arzt und nicht auch für den Forscher und deren Mitarbeiter gilt,

· in der Absicht, die Verantwortung für die Entwicklung dieses neuen Rechts in den Kliniken und Forschungseinrichtungen wahrzunehmen und insoweit den einzelnen Arzt und Forscher zu entlasten,

beschließt die EURAT-Gruppe folgende Dokumente:

A. kodex für forscher, die an der Ganzgenomsequenzierung, insbesondere von Patienten-Genomen, beteiligt sind, und seine erläuterungen b. Patienteninformation und einwilligungserklärung zur „versorgungs-

forschung zur einsetzbarkeit genomweiter Analysen zur Abklärung von krankheiten“

c. Patienteninformation, einwilligungserklärung und Patientenauskunft zur „Genomsequenzierung in der krebsforschung“

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18 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

1. achtung der person und Selbst bestimmung des patienten

2. Schadensvermeidung und Sorgfalt gegenüber dem patienten

3. nichtdiskriminierung

4. Schutz der privatsphäre und vertrauensvoller umgang mit personenbezogenen daten

kodex

erster teil: ethische Grundsätze

Der Patient ist als Person zu achten. Wissenschaftler anerkennen den Patienten als Person,

· wenn sie den in der Einwilligungserklärung bekundeten Willen zum Umgang mit seinen Daten und Proben achten,

· wenn sie den Schutz der personenbezogenen Daten und Proben gewährleisten und

· wenn sie sorgfältig mit seinen medizinisch erheblichen For- schungsergebnissen umgehen.

Personen, die nicht in der Lage sind, sich frei und selbstständig zu entscheiden (nicht-einwilligungsfähige Personen), unterliegen einem besonderen Schutz.

Genomweite Analysen sind nur nach sorgfältiger Abwägung von möglichen Risiken und Nutzen durchzuführen. Der potentielle Schaden für in die Forschung involvierte Personen ist zu mini- mieren. Personenbezogene Forschungsresultate mit medizini- scher Relevanz sollen sorgfältig und zum Wohle des Patienten behandelt werden. Der Wissenschaftler muss die ihm zur Verfü- gung gestellten Proben und personenbezogenen Daten vor Miss- brauch bewahren.

Der Schutz vor Diskriminierung verlangt die gleichberechtigte Achtung aller Personen, deren Genom(-Daten) in der Forschung verwendet werden. Jede Person muss in ihren Bedürfnissen und Interessen unparteiisch respektiert, vor Schaden geschützt und sorgfältig behandelt werden.

Der Schutz der Privatsphäre des Patienten ist zu gewährleis- ten. Hierzu sind ein vertraulicher Umgang mit den Daten und die Verschwiegenheit gegenüber unberechtigten Dritten uner-

1 Anwendungsbereich: Sequenzierung von Genom, Transkriptom, Methylom und Teilberei- chen davon.

A. kodex für forscher, die an der Ganzgenomsequenzierung

1

,

insbesondere von Patienten-Genomen, beteiligt sind, und

seine erläuterungen

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19 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

lässlich. Oftmals müssen Daten verschiedener Art in breitem Umfang gespeichert, kombiniert, zugänglich gemacht oder aus- getauscht werden, um die wissenschaftlichen Ziele erreichen zu können. Alle Wissenschaftler haben die Datenschutzvor- gaben strikt zu befolgen, wie sie im jeweiligen Forschungspro- jekt oder Institut und in Einklang mit dem Recht gelten. Alle beteiligten Wissenschaftler sind gehalten, Verstöße gegen die bestehenden Regularien zu melden und auf die stetige Verbes- serung des Datenschutzes (Anpassung an neue Gegebenheiten) hinzuwirken.

Das menschliche Genom in seinem natürlichen Zustand darf keinen finanziellen Gewinn eintragen.

Zur guten wissenschaftlichen Praxis zählt die Redlichkeit (Profes- sionalität, Ehrlichkeit, Transparenz) beim Umgang mit Proben, Daten und Forschungsergebnissen. Sie wird verfehlt durch wis- senschaftliche Unredlichkeit (Täuschung, Plagiieren, unberech- tigte Verwendung fremder Erkenntnisse). Bei der Forschung mit Patientengenomen kommt den Daten besonderer Schutz zu, weil sie möglicherweise auch medizinisch erhebliches Wissen über den betroffenen Patienten erschließt, das seinem Wohl direkt zuträglich sein kann.

Genomforschung dient dem Wohl der Menschheit. Ihr gesell- schaftlicher Nutzen liegt sowohl im besseren Verständnis der biologischen Grundlagen als auch in der klinischen Anwendung.

Die breite Teilhabe an wissenschaftlichen Ergebnissen, auch der Öffentlichkeit, ist zu gewährleisten.

Forschung am menschlichen Genom ist dem Schutz künftiger Generationen verpflichtet, da es die biologische Einheit und Vielfalt aller Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft reprä- sentiert.

5. unentgeltlichkeit

6. gute wissen- schaftl iche praxis

7. gesellschaftlicher nutzen

8. Schutz künftiger generationen

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20 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

Schlussbemerkung

i. geltungsbereich der richtlinien ii. adressaten

1. der einzelne forscher

2. leitungsgremien der betroffenen institutionen

iii. rechtliche Verantwortlichkeit

Die folgenden Richtlinien sollen eine gute Forschung auf der Basis dieser Grundsätze ermöglichen und dienen zugleich dem Schutz der Patienten und der Forscher.

zweiter teil: richtlinien

Die Richtlinien gelten für Forscher, die an der Auswertung und Erforschung von Patientengenomen beteiligt sind.

Dieser Kodex gilt für jeden einzelnen Forscher im definierten Geltungsbereich sowie für die Leitungsgremien der betroffenen Institutionen.

Dem einzelnen Forscher kommt eine berufsspezifische Hand- lungsverantwortung aufgrund seiner Forschung mit und an Patienten genomen und aufgrund seines humangenetischen Wis- sens zu.

Den Leitungsgremien kommt eine Organisationsverantwortung zu.

Für die Einhaltung der geltenden rechtlichen Regelungen ist jeder Wissenschaftler selbst verantwortlich. Er hat sich über die für ihn geltenden rechtlichen Regelungen zu vergewissern und für ihre Einhaltung in seinem Zuständigkeitsbereich Sorge zu tragen. Die Projektleiter, die Abteilungsleiter und die Institutionsleiter tragen zugleich – insbesondere im Rahmen der rechtlich gebotenen Auf- sichtspflicht – Verantwortung für die Verhältnisse in der ganzen Einheit, die ihnen untersteht.

Die Rechte und Pflichten des Wissenschaftlers sollen durch diesen Kodex im Wege der Selbstregulierung bekräftigt und im

(22)

21 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

Kontext der Ganzgenomsequenzierung von Patienten-Genomen präzisiert werden, um sowohl den Patienten als auch den For- scher zu schützen.

Mögliche Risiken sind vor der Durchführung des Forschungs- vorhabens abzuschätzen. Risiken – insbesondere die Gefahr des Missbrauchs der Forschungsergebnisse und personenbezogener Daten und Proben – sind zu minimieren. Unvermeidliche, aber verantwortbare Risiken sollen dokumentiert und dem Patienten vor der Einwilligung mitgeteilt werden.

Forscher haben sich zu vergewissern, dass für die Sequenzierung und Analyse eines jeden Genoms eine Einwilligungserklärung des Patienten und ein Votum der zuständigen Ethik-Kommis- sion vorliegt.

Proben dürfen auch über die Dauer des Forschungsprojekts hinaus in pseudonymisierter Form aufbewahrt werden, wenn der Patient in ihre Verwendung in weiteren Forschungsprojekten eingewilligt hat. Andernfalls sind sie nach Abschluss des Forschungs projekts zu vernichten.

Daten dürfen nur für die durch die Einwilligung des Patienten genehmigten Vorhaben verwendet werden. Ihre Verwendung unter liegt den folgenden Vorgaben zum Datenschutz.

Forschung mit unverschlüsselten patientenbezogenen Daten- sätzen muss ausgeschlossen werden. Die Sequenzdaten sind kodiert zu speichern. Die Pseudonymisierung stellt den best- möglichen Schutz vor unbefugter Re-Identifizierung dar, wenn medizinisch erhebliche Ergebnisse unter Umständen dem behandelnden Arzt des Patienten mitgeteilt werden sollen ( siehe Nr. 7).

iV. Einzelne richtlinien 1. risiken

2. Einwilligungserklärung und Ethik-Votum

3. proben

4. daten

a) Daten-Gewinnung und Verwendung

b) Datensicherheit

(23)

22 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

c) Weiterleitung und Zugriff auf Datenbanken

Werden weitere Patientendaten und klinische Daten an den Forscher überstellt, so müssen sie ebenfalls pseudonymisiert werden.

Dem Treuhänder (Keyholder) ist untersagt, die für eine Re-Iden- tifizierung nötigen Codes an unberechtigte Dritte weiterzugeben.

Den Zugriff auf die Daten und ihre Verwendung regeln die geltenden Datenschutzgesetze.

Wissenschaftler sind zur Geheimhaltung verpflichtet. Eine Wei- tergabe von Daten an unberechtigte Dritte (Versicherungen, Arbeit geber) ist verboten. Bei Anfragen von Verwandten ist auf den zuständigen Arzt zu verweisen.

Grundsätzlich stellt sich die Frage der Zeugnisverweigerung ge- genüber Strafverfolgungsbehörden nicht, da der Forscher nur mit pseudonymisierten Daten arbeitet und deshalb keine Auskunft über die Identität geben kann. In allen anderen Fällen muss ge- prüft werden, ob sich das Zeugnis verweigerungsrecht des behan- delnden Arztes ausnahmsweise auch auf den Forscher erstreckt.

Im Übrigen haben die Regelungen des Gendiagnostikgesetzes über die Ergänzung und Konkretisierung der ärztlichen Schwei- gepflicht bei der Mitteilung der Ergebnisse genetischer Untersu- chungen und Analysen Vorrang.

Patientenbezogene Datensätze dürfen nur verschlüsselt an ( lokale, nationale oder internationale) Datenbanken weiter gegeben wer- den. Werden pseudonymisierte Datensätze, die eine Re-Iden- tifizierung des Patienten zulassen, in Forschungsdatenbanken eingespeist, muss der Zugriff transparent, einheitlich und unter Beachtung der geltenden Datenschutzbestimmungen geregelt werden. Öffentliche Datenbanken ohne Zugriffsbeschränkung dürfen Daten des einzelnen Patienten, die eine Re-Identifizie-

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23 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

rung über Genomsequenzierung nach dem jeweiligen Stand der Technik ermöglichen, nicht enthalten.

Zur Sicherung einer guten wissenschaftlichen Praxis sind die Primär daten und Forschungsergebnisse (auch Zwischenergeb- nisse) sicher in den Institutionen, in denen sie entstanden sind, aufzubewahren.

Um eine Teilhabe zum Wohle aller zu gewährleisten, sollten For- schungsergebnisse einer breiten Öffentlichkeit in angemessener Weise zugänglich gemacht werden.

Ergebnisse aus genomweiten Analysen können zu der Einsicht führen, dass ohne dieses Wissen dem entsprechenden Patienten ein Schaden zugefügt oder sein Leid vergrößert werden würde. In diesem Fall kann eine Intervention des Wissenschaftlers geboten sein: Wenn dieses Wissen personenbezogen ist, sollte es der zuständigen Stelle oder dem behandelnden Arzt des betroffenen Patienten mitgeteilt werden, sofern die Einwilligungserklärung dies nicht ausschließt.

Die Rückmeldung von für die Gesundheit möglicherweise erheblichen Befunden2 erfolgt immer über den behandelnden Arzt. Er allein hat zu entscheiden, ob er diese Ergebnisse durch ein Routine diagnostiklabor validieren und womöglich an den Patienten weiter geben wird.

Bei Rücknahme der Zustimmung sind die Daten und Proben unverzüglich zu löschen. Um einem möglichen Widerruf des Patienten entsprechend Folge leisten zu können, muss doku- mentiert werden, wohin die den Betroffenen bezüglichen Daten und Gewebeproben übermittelt worden sind. Bei anonymisier- ten Daten und Gewebeproben und solchen, die bereits verar- beitet oder in verschlüsselter Form weitergegeben worden sind,

d) Dokumentation der Ergebnisse und Publikation

5. forschungsbefunde

6. rücktrittsrecht des patienten von einer Studie

2 Der Begriff „Befund“ wird im Folgenden nicht im Sinne des Gendiagnostikgesetzes verwen- det, sondern erfasst auch die Prädiagnostik. D.h. wir verstehen unter „Befund“ nicht nur vali- dierte Ergebnisse, sondern auch Forschungsergebnisse, die noch der Validierung bedürfen.

(25)

24 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

7. Verbindlichkeit

8. umsetzung a) Umsetzung des Kodex und

Kontrolle der Einhaltung

b) Aktualisierung des Kodex

wirken der verantwortliche Arzt und der Forscher in Verhand- lungen mit Kooperationspartnern darauf hin, dass den Daten und Gewebeproben ein vergleichbarer Schutz wie in Heidelberg gewährt wird.

Die aufgeführten Grundsätze und Richtlinien sind für alle For- scher, die an der Ganzgenomsequenzierung insbesondere von Patienten-Genomen beteiligt sind, verbindlich. Der einzelne Wissenschaftler ist im Rahmen seiner Forschungsfreiheit für die Befolgung der Rechtsvorschriften und des vorliegenden Kodex verantwortlich. Die Projektleiter, die Abteilungsleiter und die Ins- titutsleiter tragen zugleich – insbesondere im Rahmen der recht- lich gebotenen Aufsichtspflicht – für die Beachtung dieses Kodex in der Einheit, die ihnen untersteht, die Verantwortung.

Die Wissenschaftler sollen primär die für das jeweilige Projekt zuständigen Wissenschaftler – sofern im Einzelfall erforderlich, auch den Leiter der Forschungsabteilung sowie in besonderen Fällen die Institutsleiter – sowohl auf Rechtsverstöße als auch auf ethische Bedenken hinweisen, ohne dass ihnen dadurch Nach- teile entstehen dürfen.

Die Leiter des jeweiligen Forschungsinstituts müssen den Kodex arbeitsrechtlich einbinden. Sie haben durch regelmäßige Schu- lungen des Personals dafür Sorge zu tragen, dass die Forscher ihre wissenschaftliche Praxis nach dem Kodex richten. Außer- dem haben sie darauf hinzuwirken, dass die Nutzung der weiter- gegebenen Daten und Gewebeproben ähnlichen Maßstäben und Richtlinien genügt, wie sie im Kodex formuliert worden sind.

Die Leitungsgremien haben dafür Sorge zu tragen, dass der Kodex regelmäßig überprüft wird, um ihn neuen Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung, der Bioinformatik, der ethischen und recht- lichen Entwicklung kontinuierlich anzupassen und zu verbessern.

(26)

25 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

Dieser Kodex wurde

· unter nachdrücklichem Hinweis auf die Allgemeine Erklä- rung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 sowie auf die beiden Internationalen Pakte der Vereinten Natio- nen vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politi- sche Rechte und über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte;

· in Hinblick auf die Konvention zum Schutze der Men- schenrechte und Grundfreiheiten des Europarates vom 4.

November 1950 und die am 7. Dezember 2000 verkündete Charta der Grundrechte der Europäischen Union;

· in Anbetracht internationaler und regionaler Übereinkünf- te im Bereich der Bioethik, einschließlich des 1997 ange- nommenen und 1999 in Kraft getretenen Übereinkommens des Europarates zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde in Hinblick auf die Anwendung von Biolo- gie und Medizin sowie seine Zusatzprotokolle, der am 11.

November 1997 von der Generalkonferenz der UNESCO angenommenen Allgemeinen Erklärung über das menschli- che Genom und Menschenrechte sowie der am 16. Okto- ber 2003 angenommenen Internationalen Erklärung über humangenetische Daten und der am 19. Oktober 2005 angenommenen Allgemeinen Erklärung über Bioethik und Menschenrechte, der Empfehlung der UNESCO vom 20.

November 1974 zur Stellung der wissenschaftlichen For- scher und der Erklärung der UN-Generalversammlung vom 10. Oktober 1975 zur Nutzung des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts im Interesse des Friedens und dem Wohl der Menschheit, wie auch der 1964 angenom- menen und zuletzt 2008 geänderten Erklärung des Welt- ärztebundes von Helsinki über ethische Grundsätze für die

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medizinische Forschung am Menschen und der 1982 ange- nommenen und 1993 und 2002 geänderten Internationalen ethischen Leitlinien für die biomedizinische Forschung am Menschen des Rates für internationale Organisationen der medizinischen Wissenschaften;

· ferner in Anbetracht internationaler und nationaler Ver- haltensregeln und Leitlinien, wie etwa der Richtlinien des Internationalen Krebs Genom Konsortiums, der Denkschrift Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1998 und der Hinweise und Re- geln der Max-Planck-Gesellschaft zum verantwortlichen Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken 2010

von der EURAT-Projektgruppe verabschiedet.

26 ethische und rechtliche Aspekte der totalsequenzierung des menschlichen Genoms (eurAt)

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27 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

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28 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

1. Wozu forscherkodex?

2. geltungsbereich und adressat

erläuterungen zum kodex

In den letzten Jahren ist – bedingt durch komplexer gewordene Forschungsmethoden und -ergebnisse – verstärkt daran erinnert worden, dass die Praxis wissenschaftlichen Arbeitens durch ethi- sche Grundsätze geleitet werden soll. Diese Forderung wird durch die von der Wissenschaft autonom entwickelten Kodices der gu- ten wissenschaftlichen Praxis konkretisiert. Hinzu tritt die Pflicht der Wissenschaft, der Gesellschaft über die Methoden ihrer For- schung, ihre Ziele, ihre Ergebnisse sowie die damit verbunden Risiken zu berichten. Für alle Forschung am Menschen gibt es darüber hinaus eine Verpflichtung gegenüber den Patienten oder Personen, die untersucht werden. Diese Verpflichtung besteht auch gegenüber den Personen, mit denen Wissenschaftler nicht unmittelbar in Verbindung stehen. Ein Äquivalent zu der Ver- pflichtung von Ärzten gegenüber Patienten könnte für diese Wis- senschaftler eine dem hippokratischen Eid vergleichbare Selbst- verpflichtung sein.

Die Richtlinien gelten für Forscher, die an der Auswertung und Erforschung von Patientengenomen beteiligt sind. Während Wissenschaftler, die in der Diagnostik mit der Auswertung von Patientengenomen betraut sind, in ihrem Handeln stärker an den ärztlichen Rechte- und Pflichten kanon gebunden sind, gilt für Forscher auch in lebenswissenschaftlichen Forschungsprojekten und in der „Vordiagnostik“ kein ähnlicher Kodex. Die Rechte und Pflichten sollen in dem Kodex bestimmt werden.

Ein Forscher, der in Forschungsprojekten die Ganzgenomsequen- zierung von menschlichen Genomen betreibt, verfügt oftmals über breite humangenetische Kenntnisse und ist damit als Experte in dieser Frage der großen Mehrheit der Mediziner überlegen. Bei genomweiten Analysen kann medizinisch erhebliches Wissen entstehen, da er die medizinische Bedeutung häufig sehr gut

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29 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

überblickt. Es wäre möglich, dieses Wissen an den behandelnden Arzt weiterzuleiten, so dass dieser eine genetische Beratung ein- leiten oder vorschlagen kann.

Der Forscher, der gegenwärtig daran mitarbeitet, die Ganzge- nomsequenzierung zu einem diagnostischen Werkzeug in der Klinik zu machen, befindet sich in einer dem Arzt vergleichba- ren Informations-/Wissenslage. Er verfügt über eine „Vordiag- nostik“, die bei positiver Befundung durch zertifizierte diagnos- tische Verfahren validiert werden muss. Der human genetisch oder onkologisch gebildete Naturwissenschaftler kann Risi- ko-Befunde in einer Sichtweise einschätzen, die den behan- delnden Ärzten oft so nicht möglich ist.

Das Ganzgenom wird in stark arbeitsteiligen Prozessen sequen- ziert; an einer Sequenzierung sind zumeist unterschiedliche Ins- titute aus Klinik und Forschung beteiligt.

Gehen wir von einem heutigen Normalfall aus, d.i. die Anwendung der Genom- sequenzierung in einer klinischen Studie. Bei dem kleinen Jürgen, der im Hei- delberger Uniklinikum behandelt wird, wird ein Hirntumor festgestellt, dessen genetische Ursachen bislang unklar sind. Zeitgleich läuft eine klinische Studie – durch Ethik-Votum legitimiert –, um ein besseres Verständnis dieser Hirntumore zu erlangen. Der behandelnde Arzt weiß davon und informiert Jürgens Eltern über diese Studie. Die Eltern willigen nach Aufklärung in eine Genomsequen- zierung ein. Daraufhin wird Tumorgewebe entnommen und Jürgens Blut sowie das Blut der Eltern abgenommen. Zusätzlich werden Krankenakten der Eltern und von Jürgen aufbereitet, um diese Daten mit den Proben an die Forscher zu senden. Die Ganzgenomsequenzierung wird, weil dort die entsprechende Infra- struktur vorhanden ist, am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) durch- geführt. Zusätzlich werden die Proben in der Gewebebank, betreut durch das Pathologische Institut der Uniklinik Heidelberg, in pseudonymisierter Form ein- gelagert. Die Einwilligung umfasste auch die Zustimmung, dass das Material von Jürgen für weitere Forschungen zu kindlichen Hirntumoren verwendet werden

3. problembeschreibung

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4. forschungsbefunde und informierte Einwilligung

kann. Das sequenzierte Genom aus Blut und Tumorzellen wird durch Moleku- larbiologen und Bioinformatiker am DKFZ in Zusammenarbeit mit Experten aus dem European Molecular Biology Laboratory (EMBL) ausgewertet. Weil die vor- liegende Studie nicht auf Heidelberg begrenzt, sondern Teil eines internationalen Forschungsprojekts ist, werden die erhobenen Daten der Genomsequenzierung zumindest in Auszügen gemeinsam oder getrennt mit weiteren, nicht-geneti- schen Patientendaten pseudonymisiert in internationale Datenbanken einge- geben. Damit relevante Ergebnisse an Jürgens Eltern zurückgeleitet werden können, ist die Kontaktaufnahme zum behandelnden Arzt gewährleistet.

Diese Komplexität der Arbeitsabläufe darf nicht dazu führen, dass die je spezifischen Pflichten und Zuständigkeiten beim Umgang mit Patientenproben und -daten den einzelnen Akteuren nicht mehr deutlich genug zugeordnet werden können. Im Kontext der Ganzgenomsequenzierung ist auffällig, wie stark der Anteil an Forschern sein muss, um die Gewebe proben in DNA-Sequenzen umwandeln und auswerten zu können. Deswegen stellt sich pri- mär die Frage, welchen Pflichten Forscher unterliegen. Die klare Benennung der einzelnen Zuständigkeiten und Richtlinien in- nerhalb der komplexen Handlungskette der Ganzgenomsequen- zierung dient dem Forscher und dem Patienten gleichermaßen.

(Siehe Abbildung Seite 31)

Im Falle des kleinen Jürgen kommt es bei der Auswertung der Sequenzdaten im EMBL und am DKFZ zu einem Befund im Kontext der onkologischen Fragestellung von wahrscheinlich hoher klinischer Bedeutung. Die beteiligten Molekularbiologen (und Bioinformatiker) erkennen in dem Befund eine für den Patienten riskante Lage, weil – und das wissen sie aufgrund der vorliegenden klinischen Informationen über den Jungen – seine aktuelle Therapie keine Wirkung entfalten kann: Die gefundene Genmutation verhindert die Wirkung der verabreichten Medikamente – womöglich könnten sie dem Jungen sogar größeren Schaden zufügen. Die Forscher entschei- den, diesen Befund an den behandelnden Arzt des Patienten zu melden. Er muss entscheiden, ob er diesen Forschungsbefund durch ein akkreditiertes Labor validie- ren lässt und die nötigen Schritte zur Änderung der Patienten-Therapie einleitet.

30 ethische und rechtliche Aspekte der totalsequenzierung des menschlichen Genoms (eurAt)

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farblegende Datenbanken außerhalb Heidelbergs Forschungsdatenbanken in Heidelberg Außerklinischer Bereich Klinischer Bereich Patient klinischer bereich kliniken klinische Versor- gungsdatenbankenklinische forschungs- datenbanken forschungsdaten- banken Heidelberg forschungsdaten- banken - der Kooperationspart- ner in Deutschland - internationaler Koope-

rationspartner - Wissenschaftlicher Zeitschriften Öffentlich zugängli- che datenbanken

BioQuant DKFZ

Humangenetik

patient

molekularbiologie bioinformatik

analyse genetischer datengenomanalyse

Gewinnung genetischer Daten

Patientenversorgung Klinische F

orschung

Außerklinischer bereich

· Heidelberg: BioQuant, DKFZ, EMBL, · nationale und internationale K

ooperationspartner EMBL Beispielhafte Darstellung der Akteure einer Genomsequenzierung

(33)

32 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

5. datenschutz und risikoabschätzung

Forscher, so zeigt dieser Fall, können in Situationen geraten, in denen sie über exklusives, medizinisch erhebliches Wissen verfügen, das aus ihrer Forschung resultiert und das womöglich auch nur sie interpretieren können. Zu den Forschungsbefunden bei genomweiten Analysen zählen sowohl Befunde im Rahmen des Forschungsauftrags als auch Zusatzbefunde. Im obigen Fall handelt es sich um einen Befund im Rahmen des Forschungsauf- trags, der bei einer fokussierten genetischen Analyse des Gewebes wahrscheinlich nicht entdeckt worden wäre. Allerdings kommt es bei der Auswertung der Sequenzdaten regelmäßig zu zusätzlichen, nicht-intendierten Befunden, die außerhalb der eigentlichen Frage- stellung liegen und die mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Wissen darstellen, das für den betroffenen Patienten medizinisch erheblich sein könnte. Wissenschaftler dürfen mit medizinisch erheblichen Forschungsresultaten – seien es intendierte Befunde oder seien es Zusatzbefunde – bei jeder Genomsequenzierung rechnen.

Der Wissenschaftler unterliegt einer Sorgfaltspflicht, Befunde sowie Zusatzbefunde, deren Bedeutung für den Patienten er erkennt, an den behandelnden Arzt zu melden, sofern die Ein- willigungserklärung die Rückmeldung nicht ausschließt. Zur aktiven Suche nach Befunden außerhalb des Forschungsauftrags (Zusatzbefunde) ist er nicht verpflichtet.

Eine Rückmeldung von Zusatzbefunden sollte bereits in der Einwilligungserklärung und anhand einer adäquaten Aufklärung durch den Arzt – unter Beachtung des Rechts auf Nichtwissen – optional geregelt werden.

Größte Sorgfalt muss dem Umgang mit personenbezogenen Daten zukommen, um den weitreichenden Informationseingriff rechtfertigen zu können, der mit der Sequenzierung und Auswer- tung von Patientengenomen einhergeht. Zu personenbezogenen Daten zählen klinische Daten, Patientendaten und humangene-

(34)

33 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

tische Daten, die Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse bestimmter oder bestimmbarer Patienten oder Pro- banden erlauben.

Es ergibt wenig Sinn, sich in Horrorszenarien zu verlieren.

Dennoch sollten Risiken berücksichtigt werden, die mit der Spei- cherung, Weitergabe und Nutzung von genetischen Daten ver- bunden sind. Generell besteht bei Genom-Daten die Gefahr der Re-Identifizierung, denn jedes Genom ist einzigartig und deswe- gen einer Person zuzuordnen. Das Risiko einer Re-Identifizierung steigt, wenn gemeinsam mit den Genom-Daten weitere perso- nenbezogene Daten (z.B. Alter, Geschlecht, Herkunftsland etc.) erfasst und wenn diese Daten in teils öffentliche (Forschungs-) Datenbanken eingespeist werden. Hier stellt sich dann das Pro- blem des sog. „Dual-Use“, in diesem Falle eines Missbrauchs von persönlichen Daten durch andere.

Generell sollten Forschungsvorhaben einer Risikoabschätzung unterliegen. Forschung ist vor allem dann ethisch vertretbar, wenn sich Nutzen und Risiken der Resultate zugunsten des Vor- habens abwägen lassen. Dabei kommt den Ethik-Kommissionen in Klinik und Forschungsgemeinschaften eine zentrale Rolle zu, denn die von den Forschern vorgenommene Folgen abschätzung kann durch unabhängige Gremien verbessert werden. In der Grundlagenforschung, zu der auch die Genomforschung zählt, gestaltet sich die Abschätzung von Risiken und Nutzen als besonders schwierig, weil Resultate oft nicht oder nur undeut- lich antizipiert werden können. Diese Tatsache entbindet aber die beteiligten Forscher nicht vor der Verpflichtung, sehr wahr- scheinliche Risiken nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft zu eruieren und möglichst zu vermeiden.

Der Schutz der Daten ist in der Genomforschung ein zentrales Handlungsfeld. Der Datenschutz wird herausgefordert, weil

(35)

34 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

6. zeugnisverweigerungs - recht der forscher?

zumindest das Prinzip der Datensparsamkeit (§3a BDSG) dort nicht greifen kann, wo genomweite Datensätze herangezogen werden müssen, um etwa Krankheiten besser verstehen zu können, die mit mehreren Genen assoziiert sind. Umso wich- tiger wird ein ausgereiftes und institutionalisiertes Datenschutz- konzept, das Forschung im Interesse der öffentlichen Gesundheit fördert und Missbrauch verhindert.

Zweck des Zeugnisverweigerungsrechts ist der Schutz des Ver- trauensverhältnisses zwischen den Angehörigen bestimmter Berufe und denen, die deren Hilfe und Fachwissen in Anspruch nehmen. So sind gemäß § 53 I Nr. 3 StPO Ärzte, Zahnärzte und Apotheker berechtigt, vor Gericht oder anderen staatlichen Stellen über alles, was aus Anlass einer medizinischen Unter- suchung oder Behandlung anvertraut wurde oder bekannt geworden ist, die Auskunft zu verweigern. Die Berechtigten sind im Gesetz abschließend aufgezählt, eine Ausweitung der Vor- schrift auf andere Berufsgruppen durch analoge Anwendung wird nach herrschender Meinung als unzulässig angesehen. Das Zeugnisverweigerungsrecht wird allerdings durch § 53 a StPO auf die Gehilfen der berechtigten Personen ausgedehnt.

Da Forscher nicht unter den Berechtigtenkreis des § 53 StPO fallen, muss je nach Fall geprüft werden, ob Sie als Hilfsperso- nal des behandelnden Arztes angesehen werden können und dadurch gemäß § 53 a StPO berechtigt sind, die Auskunft zu verweigern. Die Einstufung als Hilfspersonal hängt nicht von ei- ner arbeitsrechtlichen Beziehung ab, sondern ausschließlich von der tatsächlichen Einbindung in die berufs mäßige Tätigkeit. Zwar arbeitet der Forscher bei der Sequenzierung von Patienten-Ge- nomen im Auftrag des behandelnden Arztes, seine Tätigkeit ist jedoch keineswegs eine untergeordnete. Sie ist es insbesondere dann nicht, wenn er außer halb des Auftrags liegende, zusätzli- che Befunde identifiziert und zurückmeldet. Zudem ist es für die

(36)

35 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

Qualifizierung des Berufshelfers maßgeblich, ob dieser aufgrund seiner Unterstützung in das Vertrauensverhältnis zwischen Hauptgeheimnisträger (Arzt) und demjenigen, der die ärztlichen Dienste in Anspruch nimmt, hier also der Patient, miteinbezogen ist. Dies trifft bei einer Genomsequenzierung in Bezug auf die Forscher grundsätzlich nicht zu.

Somit ist kein vollständiger Schutz des Wissenschaftlers vor der Erzwingung des Zeugnisses nach § 70 StPO durch §§ 53 und 53 a StPO gewährleistet. Um dies zu erreichen, wäre eine Er- gänzung des Kreises der Zeugnisverweigerungsberechtigten im StPO durch den Gesetzgeber überlegenswert. Eine Ergänzung würde durchaus in die Geschichte des Paragraphs passen, die immer wieder von Änderungen und Ergänzungen geprägt war und deswegen auch keine abschließende Struktur aufzeigt.

Ziel der genetischen Forschung ist es, verallgemeinerbare Erkenntnisse über die Bestätigung oder Widerlegung mutmaß- licher genomischer Kausalabläufe bei den Ursachen, in der Entstehung und im Ablauf der Krankheiten zu gewinnen. Im Rahmen dieser Bestrebung können bedeutende, früher noch nicht entwickelte Ideen und Erfindungen formuliert und eta- bliert werden. Diese müssen auch im Anwendungsfeld des vorliegenden Forscher kodex gewerblich geschützt werden kön- nen.

Das menschliche Genom in seinem natürlichen Zustand darf allerdings keinen finanziellen Gewinn eintragen. In Anlehnung an Artikel 4 der Allgemeinen Erklärung über das menschliche Genom und Menschenrechte der UNESCO müssen solche Ver- suche jederzeit untersagt bleiben. Das aus dem menschlichen Genom entschlüsselte Wissen soll nicht nur möglichst weit verbreitet werden, um seine Monopolisierung zu verhindern, sondern auch für weitere Forschung frei anzuwenden sein.

7. patentierung

(37)

8. Schluss Um die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung und die Unterstüt- zung durch die öffentliche Hand zu gewährleisten, ist eine Kultur des Vertrauens unumgänglich. Eine aktive Unterstützung und Akzeptanz kann nur gelingen, wenn das nötige Vertrauen durch adäquaten Schutz der persönlichen Genomdaten in Forschung und Medizin gewährleistet wird. Der gesellschaftliche Nutzen der Ganzgenomsequenzierung lässt sich nur erhöhen durch maxi- male Eindämmung der potentiellen Risiken für die Privatsphäre der Individuen: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Privatheit und medizinisch-wissenschaftlichem Fortschritt.

36 ethische und rechtliche Aspekte der totalsequenzierung des menschlichen Genoms (eurAt)

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(39)

38 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

Patienteninformation

Sehr geehrte Patientin, sehr geehrter Patient,

Sie haben eine seltene krankheit, deren ursache bisher nicht geklärt ist. es besteht der begründete verdacht, dass diese erkrankung durch eine veränderung im erbgut hervorgerufen wird und damit genetisch bedingt ist.

Sie oder ihr Arzt haben sich an das institut für humangenetik mit dem wunsch nach Abklärung ihrer krankheitsursache gewandt. bisherige konventionelle und leitliniengerechte untersuchungen, auch genetische untersuchungen, haben nicht zum nachweis einer ursache geführt. wir möchten ihnen im folgenden informationen zu einer weitergehenden untersuchungsmöglichkeit geben, die im rahmen einer Stu- die stattfindet.

wir bitten Sie, diese information aufmerksam zu lesen, und möchten Sie ermutigen, alle fragen mit der verantwortlichen ärztin/dem verantwortlichen Arzt zu besprechen. Sie können fragen stellen zum ziel der untersuchung, zum Ablauf der untersuchung, zu möglichen risiken und nutzen der unter- suchung, zu ihren rechten als Patient. wenn wir alle ihre fragen beantwortet haben, entscheiden Sie, ob Sie an der untersuchung teilnehmen wollen oder nicht.

b. Patienteninformation und einwilligungserklärung zur

„versorgungsforschung

3

zur einsetzbarkeit genomweiter Analysen zur Abklärung von krankheiten“

3 Versorgungsforschung ist definiert als „Beobachtung, Analyse, Prognose, Bewertung, Weiterentwicklung und Evaluation der Routineversorgung“. Als „Routine“ können die genomweiten Analysen noch nicht begriffen werden, die Forschung soll den Einsatz genomweiter Analysen in der Diagnostik vorbereiten. (Deutsche Forschungsgemeinschaft, Versorgungsforschung in Deutschland: Stand – Perspektiven – Förderung, 2010, S. 23)

(40)

39 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

wenn Sie sich für die teilnahme an der Studie entscheiden, benötigen wir ihre schriftliche einwilligung auf dem beige- fügten formular (einwilligungserklärung).

die teilnahme an dieser Studie ist freiwillig. Auch wenn Sie an dieser Studie nicht teilnehmen wollen, entstehen ihnen keine nachteile für ihre behandlung. Sie werden weiterhin mit der bestmöglichen medizinischen versorgung betreut.

Die Untersuchung anhand einer Blutprobe, die Ihnen im Rah- men dieser Studie angeboten wird, dient dazu, die Ursache der von Ihnen angegebenen Beschwerden zu finden. Zudem besteht die Möglichkeit, dass das Risiko zur Erkrankung für weitere Familienmitglieder festgestellt wird.

Bisherige genetische Untersuchungen waren darauf gerichtet, entweder einzelne Abschnitte des Erbguts (einzelne Gene) zu untersuchen oder aber das ganze Erbgut (das Genom) auf relativ grobe Veränderungen hin zu analysieren (z.B. Chromo- somenstörungen). Die neue Untersuchung, die jetzt zum Ein- satz kommt, unterscheidet sich hiervon grundsätzlich: Es han- delt sich um genomweite Analysen. Hierbei werden alle bisher bekannten, informationsenthaltenden Abschnitte des Erbguts untersucht. Die neuen genomweiten Analysen sind aktuell die weitestreichende Möglichkeit, eine genetisch bedingte Krankheit abzuklären. Sie haben damit gegenüber konventionellen Einzel- genanalysen eine deutlich verbesserte Wahrscheinlichkeit, die genetischen Ursache Ihrer Beschwerden besser zu verstehen. Die Technik befindet sich in der Entwicklung. In Zukunft können sich neue Untersuchungsmethoden ergeben.

Mit den genomweiten Analysen suchen wir gezielt nach möglicher weise genetischen Ursachen Ihrer Krankheit. Es kann sein, dass wir dabei auch auf Befunde stoßen, die mit der

1. Worum handelt es sich bei dieser Studie?

ziel der untersuchung

methode der untersuchung

(41)

40 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

Abklärung Ihrer Krankheitsursache nichts zu tun haben (sog.

Zusatzbefunde). Auf den Umgang mit Zusatzbefunden wird unter Punkt 6 näher eingegangen.

Die Diagnostische Studie wird geleitet von:

...

{Name, Institution mit Adresse, Verantwortungsbereich}

Der verantwortliche Arzt, der Sie im Rahmen dieser Studie betreuen wird und mit dem Sie diese Information und Einwil- ligungserklärung besprochen haben, steht Ihnen auch zukünftig als Ansprechpartner zur Verfügung:

...

{Name, Klinik, Telefon, E-Mail, Station, Stempel, Unterschrift}

Diese Diagnostische Studie wurde durch die Ethik-Kommission Heidelberg ... {Nr.} zustimmend bewertet.

Sofern noch keine DNA-Probe von Ihnen vorliegt, bitten wir Sie um eine Blutprobe von ca. 10 ml für die genetische Analyse.

Wir sind auf der Suche nach einer bisher nicht bekannten Gen- veränderung. Zur Interpretation der Ergebnisse ist es oft auch wichtig, über eine Blutprobe Ihrer Eltern oder eventuell anderer Familienmitglieder zu verfügen. In diesem Fall ist es erforderlich, dass diese separat ihr Einverständnis geben.

Über die gewonnenen genetischen Befunde werden Sie nach Abschluss der Untersuchung von Ihrem Arzt

...

{Name siehe Punkt 2}

2. Wer führt die Studie durch?

3. Wie verläuft ihre teilnahme an der Studie?

(42)

41 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

mündlich und schriftlich informiert und über das weitere Vor- gehen beraten.

Im Rahmen dieser Studie werden Ihre Blut- und DNA-Proben ausschließlich für die beschriebene genomweite Analyse ver- wendet.

Ihre Blut- und DNA-Proben werden vor und nach der geneti- schen Analyse im Molekulargenetischen Labor des Instituts für Humangenetik verschlüsselt und getrennt von Ihren Patienten- daten entsprechend dem Stand der Technik bis auf Widerruf gelagert. Auf Ihre Gewebeproben haben nur autorisierte Mitar- beiter der Studie Zugriff.

Um Ihre Gewebeproben zu verschlüsseln, werden sie im Institut für Humangenetik statt mit Ihrem Namen mit einem „Pseudo- nym“ versehen. Das Pseudonym ist eine zufällige Kombination aus Buchstaben und Zahlen und wird mit einem Computer- programm einem Patienten zugeordnet. Nur mit Hilfe eines digitalen Schlüssels (De-Pseudonymisierungsschlüssel), kann herausgefunden werden, welche Gewebe probe zu welchem Pa- tienten gehört. Der De-Pseudonymisierungsschlüssel wird nicht an Dritte weitergegeben.

Verantwortlich für diese Programme und damit für die Ent- schlüsselung Ihrer Gewebeproben sind der unter Punkt 2 genannte Arzt

...

{Name}

sowie seine drei Stellvertreter

... ... ...

{3 Namen, Institut}

4. Was geschieht mit dem entnommenen gewebe?

(43)

42 Ethische und rechtliche Aspekte der Ganzgenomsequenzierung des menschlichen Genoms (EURAT)

Die im Rahmen dieser Studie gewonnenen DNA-Proben werden bis zu 30 Jahre oder bis auf Widerruf aufbewahrt.

Durch die neue Untersuchungsmethode entsteht eine große Datenfülle. Für die anfallenden Daten müssen Methoden der Interpretation entwickelt werden.

Wir können in diesen Untersuchungen auf verschiedene Befunde stoßen:

a) auf Befunde, die mit Ihrer Krankheit in Zusammenhang stehen, und

b) auf Befunde, die mit anderen Krankheiten in Zusammenhang stehen.

Wir werden Ihnen alle Befunde mitteilen, die sicher die Ursache Ihrer Krankheit betreffen. Befunde, die nach dem derzeitigen Stand des Wissens möglicherweise krankheitsverursachend sind, werden Ihnen ebenfalls mitgeteilt.

Es ist möglich, dass wir Befunde entdecken, die nicht mit Ihrer Krankheit in Zusammenhang stehen, sondern mit anderen, vererbbaren Eigenschaften. Es handelt sich dabei um Befunde, die eine mehr oder weniger starke Veranlagung für andere Krank- heiten aufzeigen. Für einige Veranlagungen gibt es Vorsorgepro- gramme und Behandlungsmöglichkeiten, für andere aber nicht.

Ein Zusatzbefund kann auch eine Überträgerschaft für Krank- heiten erkennen lassen, die nicht für Sie selber, wohl aber für Ihre Nachkommen von Bedeutung ist. Wir werden nicht aktiv nach Zusatzbefunden suchen, und eine Verpflichtung zu ihrer Erhebung besteht nicht.

Soweit Sie dies wünschen, werden wir Ihnen auch Zusatzbefunde zu Krankheiten mitteilen, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf- treten und für die es nach dem derzeitigen Stand des medizi- 5. Was geschieht mit

den befunden?

a) Befunde zu Ihrer Krankheit

b) Befunde zu anderen Krankheiten (Zusatzbefunde)

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