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Editorial: Frühe Bildung als Herausforderung psychologischer Forschung

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Academic year: 2022

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Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2016, 63, 1 –2 DOI 10.2378/peu2016.art01d

© Ernst Reinhardt Verlag München Basel

Editorial

Zu Beginn des Jahres 2016 möchte ich für einen Forschungsbereich sensibilisieren, der zunehmend an Bedeutung gewinnt und der Pädagogischen und Entwicklungspsychologie ein breites Betätigungsfeld eröffnet, das nur interdisziplinär in Kooperation mit Vertretern anderer Disziplinen (Frühpädagogik, Fachdi- daktik, Bildungsökonomie, Neuropsychologie und Soziologie) zu erschließen ist. Ich meine den frühkindlichen Bereich, den ich hier auf die Phase der ersten sechs Lebensjahre vor Schul eintritt beziehen möchte. Vor al lem die US-amerikanische Forschung zeigt, dass Dis- paritäten im kognitiven und sozialen Leis- tungsstand bereits vorschulisch (in Familien und Kindertageseinrichtungen) auftreten. So konnte unter anderem in der US-amerikani- schen Early Childhood Longitudinal Study – Birth Cohort (ECLS-B) eindrucksvoll nachgewiesen werden, dass schon mit neun Monaten signi- fikante Unterschiede zwischen Kleinkin dern in Abhängigkeit vom familiären Hintergrund auf- traten, die im Alter von zwei Jahren noch deut- lich zugenommen hatten. Ähnliche Befunde ergaben sich in der in Großbritannien durch- geführten Millenium Cohort Study. Hinsichtlich der Ursachen hierfür besteht Einigkeit, dass es jenseits relevanter Kindmerkmale differenzielle formale und non-formale Entwicklungsum- welten sind, die Unterschiede in den ersten sechs Lebensjahren erzeugen. Diese starke Ab- hängigkeit der kognitiven, emo tionalen und sozialen Entwicklung von den durch die Ent- wicklungsumwelt bereit gestellten Opportuni- tätsstrukturen ist breit dokumentiert und von Bronfenbrenner in seiner ökologischen Sys- temtheorie und seinem bioökologischen Ent-

wicklungsmodell theoretisch fundiert. Grund- annahme ist hier, dass Individuen in vielfälti- gen Situationen (ökologischen Kontexten) in- teragieren, die ihre Entwicklung beeinflussen.

Besonders große Bedeutung kommt dabei in den ersten Lebensjahren den Mikro systemen Familie und Bildungsinstitutionen zu, in de- nen die Kinder ihre meiste Zeit verbringen, sowie der Interaktion zwischen diesen Syste- men (Mesosystem). Moderiert und mediiert werden diese Effekte durch Rahmenbedingun- gen (z. B. zahlenmäßiges Verhältnis von Er- zieherinnen bzw. Erziehern zu Kindern in Kin- dergärten), Voraussetzungen der Kinder (z. B.

Entwicklungsstatus) sowie die Kenntnisse, die Eltern und Erzieherinnen bzw. Erzieher über gelingende Interaktionsprozesse mit Kindern haben. Basierend auf diesen Annahmen haben sich in den USA bereits vor vielen Jahren Pro- gramme durchgesetzt (u. a. Folgeprogramme des HighScope Perry Preschool Project), die im Kin- dergartenbereich zur Förderung der kognitiven und sozioemotionalen Entwicklung ansetzen und die neben dem Erziehungsauftrag auch den Bildungsauftrag des Kindergartens beto- nen. Aus den amerikanischen Untersuchungen wissen wir auch relativ genau, unter welchen Bedingungen Interventionsprogramme wirk- sam sind:

– Zeitintensivere und früh einsetzende Maß- nahmen (in den ersten 3 Lebensjahren) sind in der Regel erfolgreicher.

– Generell sind solche Programme am erfolg- reichsten, in denen Maßnahmen in Familien (Home-based Interventions) mit Maßnahmen in entsprechenden Bildungs- bzw. Erzie-

Frühe Bildung als Herausforderung psychologischer Forschung

Olaf Köller

Geschäftsführender Herausgeber

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hungseinrichtungen (Center-based Interven- tions) gekoppelt werden (z. B. Perry Preschool Program).

– Der Programmerfolg hängt sehr stark vom Umfang und der Güte des Trainings der Caregivers (Eltern und/oder Erzieher) ab.

– In Center-based Interventions wird der Erfolg durch die Größe der trainierten Gruppe (group size) und den Erzieherinnen-Kind- Schlüssel (Child-to-staff ratio) moderiert.

– Einzelmaßnahmen haben oft sehr kleine Effekte.

– Größere Effekte der Maßnahmen treten vor allem bei entwicklungsverzögerten Kindern auf.

– Die Effekte der Programme nehmen häufig im Follow-up-Zeitraum ab. Dementspre- chend sind langanhaltende Programme er- folgreicher.

In Deutschland fehlt es leider weitgehend an vergleichbaren empirischen Arbeiten, die syste- matisch die längerfristigen Effekte der vorschu- lischen Förderung auf kognitive, motorische, emotionale und soziale Merkmale von sozial und kulturell benachteiligten Kindern und Jugendlichen untersuchen. Zu den kognitiven Merkmalen zählen neben den kognitiven Grundfähigkeiten auch sprachliche, mathemati- sche und naturwissenschaftliche Kompetenzen.

Für die Psychologie ergibt sich hier somit die Chance, viel systematischer Ansätze zur frühen Förderung zu erproben und diese in ihrer lang- fristigen Wirksamkeit zu erforschen. In diesem Zusammenhang bieten sich wenigstens vier Themenfelder an, für die ich werben möchte:

(a) Theorienentwicklung im Bereich domänen- spezifischer (mathematischer, naturwissen- schaftlicher, sprachlicher) Vorläuferfähigkeiten, die Voraussetzungen erfolgreichen schulischen Lernens sind, (b) Identifikation häuslicher (fa- milialer) Faktoren, die die kindliche Entwick- lung beeinflussen, (c) institutionelle Faktoren, die die kindliche Entwicklung beeinflussen, und schließlich (d) professionelle Kompetenzen und die Professionalisierung des Fachpersonals in Betreuungseinrichtungen.

Zum Schluss etwas in eigener Sache Die Psychologie in Erziehung und Unterricht (PEU) hat nach wie vor sehr viele Einreichun- gen, die angesichts des begrenzten Volumens der Hefte und des Einstreuens von Themenhef- ten ein strenges Begutachtungssystem zur Folge haben. Im abgelaufenen Jahr 2015 war die Zahl der Einreichungen wieder so hoch, dass wir viele durchaus gute Manuskripte ablehnen mussten und aktuell bei einer Annahmequote von unter 40 % liegen. Die Zahl der Manuskrip- te, die in der ersten Begutachtungsrunde akzep- tiert werden, ist sehr gering (unter 20 %) und signalisiert die hohen Qualitätsstandards, die wir an Beiträge anlegen.

Hinsichtlich der Sichtbarkeit der PEU-Bei- träge können wir erfreulicherweise feststellen, dass der Impact-Factor im Journal Citation Re- port, der sich aktuell auf Zitationen im Jahre 2014 bezieht, gestiegen ist. Mit einem aktuellen Wert von 0,488 liegt die Zeitschrift kaum hin- ter der Zeitschrift für Pädagogische Psychologie (0,585) und der Zeitschrift für Entwicklungspsy- chologie und Pädagogische Psychologie (0,710).

Gleichzeitig erreicht die PEU einen höheren Im- pact als die Zeitschrift für Erziehungswissenschaft (0,299) und die Zeitschrift für Pädagogogik (0,295). Der Wert für die PEU belegt, dass die Scientific Community unsere Artikel nicht nur liest, sondern es auch für Wert erachtet sie zu zitieren.

Für das neue Jahr möchte ich auch einen Wech- sel in der Herausgeberschaft verkünden. Gott- fried Spangler (Universität Erlangen-Nürnberg) verlässt nach mehreren Jahren erfolgreicher Mitarbeit das Herausgeberteam. Gottfried Spangler hatte auch über mehrere Jahre die Geschäftsführung der PEU, wofür ich ihm herzlich danke. Seine Nachfolge wird Henrik Saalbach (Universität Leipzig) antreten. Mit ihm gewinnt das PEU-Team einen Herausgeber, dessen Forschungsaktivitäten im Schnittbereich von Pädagogischer und Entwicklungspsycho- logie liegen und der mit seiner Expertise eben- so wie sein Vorgänger für eine hohe Qualität der Artikel sorgen wird.

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