ger Pause entstand plötzlich wieder Interesse an einer Prä- sentation seiner Sammlung
„Die Geburt des Menschenbil- des – Die Kopffüßler“. Die Sammlung umfasst gut drei- hundert Bilder und Objekte, angefangen bei präkolum- bianischen Terrakotten über afrikanische und ozeanische Kunst bis zu Kunst und Wer- bung der Gegenwart. Ausge- hend von Kinderzeichnungen und den Zeichnungen psychia- trischer beziehungsweise neu- rologischer Patienten, „bele- gen die Bilder und Objekte das in uns angelegte Bildthema des Kopffüßlers als den re- duziertesten Versuch, einen ganzen Menschen darzustel- len“, so Kraft. Der Titel der Ausstellung lautete folgerich- tig: Die Geburt des Men- schenbildes. Mehrere Museen zeigten die Ausstellung, ein neuer Katalog wurde ge- druckt. Auf diese Weise konn- te auch das Projekt „Kunst auf Rezept“ einigen Museen näher gebracht werden. Den Künstlern, die Kraft zur Mit- wirkung einlud, konnte er nun von den bisherigen Rückläu- fen als auch von den Aussich- ten auf eine beziehungsweise mehrere Ausstellungen be- richten. Was mit dem engsten Freundeskreis begonnen hat- te, weitete sich aus auf Künst- ler, die Kraft persönlich kann- te, und schließlich auch auf Künstler, deren Werke er schätzte, ohne sie persönlich zu kennen. Schließlich bewar- ben sich erste Künstler um Teilnahme, einige wurden auch vorgeschlagen. Was eher zö- gerlich begonnen hatte, ent- wickelte sich nach und nach zu einem umfangreichen Projekt, das eine „unerwartete Eigen- dynamik“ entfaltete.
Kraft weist darauf hin, dass Medizin und Kunst auf eine lange gemeinsame Tradition zurückblicken können. Wo medizinisches Handeln ge- fragt war, sei immer auch zur
künstlerischen Darstellung ge- griffen worden. Die gemein- same Wurzel medizinischer, religiöser und künstlerischer Vorgehens- und Gestaltungs- weisen lasse sich bereits im Schamanismus erblicken. Als Schnitzer seiner Masken und Gestalter seiner Kleidung sei der Schamane künstlerisch tätig, als Tänzer und Trommler ziehe er seine Zuschauer wie ein moderner Schauspieler in seinen Bann. Durch seine Ar- beit habe er heilend auf seine Zuschauer einwirken können, die sich mit ihm und seinen Geisterkämpfen identifizier- ten. Diese uralte Vorgehens- weise des Heilens durch eine
schamanische Performance lasse sich bis auf den heutigen Tag nachweisen. So folge auch die griechische Tragödie die- sem Heilungsmodell. „In einer mehr statischen und religiös
eingebundenen Form findet sich dieses Gedankengut in den mittelalterlichen und früh- neuzeitlichen Krankenzimmer- und Krankenhausaltären. In ihren Bildprogrammen, die oft eine komplette Geschichte er- zählen oder einen Aspekt pars pro toto hervorheben, sollten die Kranken (schuldhafte) Ur- sachen, Konflikte und Kämpfe, schließlich Heilung/Erlösung bildhaft eindringlich vor Au- gen geführt bekommen.“ Heut- zutage sei es nur schwer nach- zuvollziehen, welche überwäl- tigende Wirkung zum Beispiel der Isenheimer Altar von Mat- thias Grünewald ausgeübt ha- ben müsse.
Anfang des 20. Jahrhun- derts hätten sich Kunst und Medizin auf eine ganz neue Weise gegenseitig beeinflusst.
Durch Hans Prinzhorns „Bild- nerei der Geisteskranken“ sei
die wundersame Bildwelt vie- ler psychiatrischer Patienten einer breiten Öffentlichkeit be- kannt geworden. Durch Max Ernst sei das Buch in den Kreis der französischen Surrealisten gelangt. Auch Künstler wie Paul Klee und Alfred Kubin waren begeistert von diesen Werken. Im 20. Jahrhundert gewann neben der Darstellung des Leids auch der Einfluss positiver, lebensbejahender Aspekte an Bedeutung. Dies schlägt sich auch in der Gestal- tung der Rezepte nieder.
Kraft sieht in der Gesamt- heit der künstlerischen Ant- worten eine Allegorie. Das Re- zept mit seiner umfangreichen Vorstrukturierung und mit sei- ner nur geringen Papierqua- lität könne wie eine Krankheit aufgefasst werden.
Weit mehr als zweihundert Rezepte wurden, so das „vor- läufige Endergebnis“, von 162 Künstlerinnen und Künstlern gestaltet. Sie bearbeiteten teil- weise nur das für Verschrei- bungen vorgesehene Feld, teil- weise auch das ganze Rezept.
Andere haben sogar das Medi- um gewechselt. So entstanden neben den erwarteten Zeich- nungen und Gemälden auch Objekte, Skulpturen, Großfo- tos und ein Video. Krafts Fazit:
„Über zumindest einen Thera- pieerfolg ist tatsächlich zu be- richten: War ich anfänglich äußerst skeptisch, ob und war- um Künstler auf meine Anfra- ge reagieren sollten, so wurde ich durch die Anzahl, Qualität und vor allem auch durch die formale und inhaltliche Breite der künstlerischen Antworten eines Besseren belehrt. So fand eine Therapie der schön- sten Art statt: die des Zweif- lers und Zögernden zu einem begeisterten Vorantreiber des Projekts.“
Das Ergebnis wird zurzeit in einer Ausstellungstournee durch mehrere deutsche Museen dokumentiert.
Gisela Klinkhammer V A R I A
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 39½½½½28. September 2001 AA2523
Ausstellungstournee:Museum der Stadt Ratingen (7. Oktober bis 16. November). Voraussichtlich: Her- forder Kunstverein im Daniel-Pöppelmann-Haus, Herford (9. Februar bis 30. März 2002), Städtische Galerie Sohle 1, Bergkamen (Ende April bis Mitte Ju-
ni 2002), Städtisches Museum Zwickau (30. Juni bis voraussichtlich Mitte August 2002), Ausstellungsfo- rum Oranienstraße des Siegerlandmuseums, Siegen (1. September bis 27. Oktober 2002), Städtisches Museum Gütersloh (Frühjahr 2003), Kunsthalle Er-
furt (23. März bis 4. Mai 2003). Der Katalog (circa 200 Abbildungen, vierfarbig, 384 Seiten, Vertrieb:
Vice Versa Berlin) ist im Buchhandel erhältlich.
Informationen:Dr. med. Hartmut Kraft, An der Ronne 196, 50859 Köln, Telefon: 0 22 34/7 05 82.
Heinz Mack: Tusche, Acryl und mehrfarbige Pastell- kreiden auf vergrößerter Kopie eines Rezepts (H 42,5 cm x B 30 cm). Zweifach gefaltet, signiert und datiert 20. 12. 98. Unten rechts ist eine Visitenkarte mit Grüßen und Unterschrift angeheftet.