DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
KURZBERICHTE
Bern würden, wie und mit wem sie ihre Vorstellungen politisch durchzusetzen gedenken. Das ist mit dem derzeitigen Koalitions- partner wohl schon schwierig ge- nug.
Es wäre mit der SPD, die in diesen Tagen einen gesundheitspoliti- schen Leitantrag vorlegte, der li- beralen Vorstellungen konträr ent- gegenläuft, unmöglich. Das zeigt allein schon die Reaktion von An- ke Fuchs auf die Stuttgarter SPD- Tagung. Folgt man Frau Fuchs, dann ist die FDP auf dem Weg in die den finanziellen Wirtschaftsli- beralismus. Sollte sich die FDP nicht zur Neuauflage der Koalition entschließen, dann kann der Wäh- ler die schönen Vorstellungen über das Gesundheitswesen ge- trost vergessen.
Genau an dem Tag, an dem Misch- nick und Adam-Schwaetzer in Stuttgart die Gesundheitspolitik ihrer Partei vorstellten, berichtete die Presse von widersprüchlichen Positionen im FDP-Parteivorstand in Sachen Koalitionsaussage. Zu jenem Kreis nordrhein-westfäli- scher FDP-Politiker, die sich zur Zeit noch nicht festlegen wollen, gehörte, so die Presse, auch Frau Adam-Schwaetzer. NJ
—ZITAT
Prioritäten setzen
„Wir müssen Prioritäten setzen und auch bereit sein, das Leistungsspek- trum daraufhin immer wie- der zu durchforsten. Die in der nächsten Legislaturpe- riode anstehenden Struk- turreformen in wesent- lichen Bereichen der sozia- len Sicherung sollten kon- sequent genutzt werden, um generell das System der sozialen Sicherheit auf die künftigen Entwicklun- gen hin zu orientieren."
Wolfgang Mischnick
Erweiterte Verwendungs-
möglichkeiten für die Versicherungsnummer
Künftig soll die bereits seit 1967 in der gesetzlichen Rentenversiche- rung geltende Versicherungsnum- mer auch für den Bereich der Bun- desanstalt für Arbeit (BA) gelten.
Dies sieht der Entwurf eines „Ge- setzes zur Regelung der Verwen- dung der Versicherungsnummer"
vor. Die Novelle soll der Entschei- dung des Bundesverfassungsge- richts zum Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983 Rechnung tragen, nach der ein allgemeines Personenkennzeichen mit dem Grundgesetz unvereinbar ist.
Den gleichen verfassungsrecht- lichen Auflagen unterliegt auch ein „Substitut", das, wie ein allge- meines Personenkennzeichen, es erlaubt, alle personenbezogenen Daten zu einem „Gesamtbild" zu erfassen. Andererseits soll die er- weiterte Verwendungsmöglichkeit der Versicherungsnummer die ge- wachsenen Aufgaben der Arbeits- verwaltung bewältigen helfen.
Der Entwurf enthält keine Vor- schriften über die Vergabe der Versicherungsnummer. Er beläßt es vielmehr beim geltenden Recht, wonach nur die Träger der Ren- tenversicherung diese Nummer ausgeben dürfen. Dem Entwurf zufolge soll das Vierte Buch des Sozialgesetzbuches (SGB) er- gänzt und geändert werden, in- dem im Artikel 1 namentlich auch die Verwendung bei der Bundes- anstalt für Arbeit vorgesehen und die Zulässigkeit und Abgabe der Versicherungsnummer geregelt werden soll. Danach dürfen die Sozialleistungsträger, ihre Ver- bände, ihre Arbeitsgemeinschaft, die Bundesanstalt für Arbeit, die Deutsche Bundespost (soweit die- se mit der Berechnung oder Aus- zahlung von Sozialleistungen be- traut worden ist) und die Künstler- sozialkasse die Versicherungs-
nummer nur dann erheben, spei- chern oder verwenden, wenn dies zur personenbezogenen Zuord- nung der Daten im Rahmen der Er- füllung einer gesetzlichen Aufga- ben erforderlich ist.
Für Untersuchungen, die gesund- heitliche Schäden beim Versicher- ten vorbeugen oder diese behe- ben sollen, und für entsprechende Dateien gilt dies nur, soweit die Versicherungsnummer zur perso- nenbezogenen Zuordnung der Da- ten bei langfristigen Beobachtun- gen erforderlich ist. Auch darf die Versicherungsnummer nur dann benutzt werden, wenn andernfalls der Aufbau eines besonderen Ord- nungsmerkmals mit erheblichem organisatorischem und finanziel- lem Aufwand verbunden wäre.
Nach § 18 f des Entwurfs darf die Nummer nur bei langfristigen Ge- sundheitsbeobachtungen der Ver- sicherten verwendet werden oder, falls die Träger nicht darauf zu- rückgreifen können, eigene Num- mern einzuführen und aufzubauen und Richtigkeitskontrollen durch- führen müßten.
Im einzelnen wird auf die Verwen- dung der Versicherungsnummer je nach Sozialleistungszweig auf folgendes hingewiesen:
Die Rentenversicherungsträ- ger (Landesversicherungsanstal- ten, Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) benutzen die Nummer als Aktenzeichen für die EDV-mäßige Bearbeitung aller Vorgänge von der Erstmeldung bis zur Leistungsgewährung.
I> In der gesetzlichen Unfallversi- cherung wird die Nummer, ge- stützt auf § 1550 RVO, bei der Un- fallanzeige verwandt. Das gleiche gilt für die Meldung von Berufs- krankheiten. Die Verwendung der Nummer ist auch dadurch legiti- miert, daß Unfallrentenzahlungen regelmäßig der Rentenversiche- rungsanstalt gemeldet werden müssen (§ 1522 RVO).
I> Die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung sind gemäß
§ 319 Absatz 4 RVO legitimiert, 2140 (20) Heft 31/32 vom 1. August 1986 83. Jahrgang Ausgabe A
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ebenfalls die Versicherungsnum- mer zu führen. Sie verwenden die Nummer vornehmlich im gemein- samen Meldeverfahren und beim Einzug des Gesamtsozialversiche- rungsbeitrages. Die Speicherung der Nummer in den Mitgliederbe- ständen der GKV ist laut Entwurf
„zwingend erforderlich".
Die Bundesanstalt für Arbeit (BA) in Nürnberg speichert die Meldedaten in der Versichertenda- tei unter Einschluß der Versicher- tennummer. Diese ist bedeutsam für die Meldung von Ausfallzeiten für Empfänger von Arbeitslosen- geld, von Arbeitslosenhilfe oder Unterhaltsgeld sowie für die Kran- kenversicherung der genannten Leistungsempfänger. HC
Spruch
der Schiedsstelle:
Kein Hoheitsakt
Die Rechts- und Regelungskom- petenzen der auf Landesebene aufgrund des Krankenhausneu- ordnungsgesetzes (§§ 18, 18 a KHG) und entsprechend neuen Schiedsstellenverordnungen der Länder zu errichtenden Schieds- stellen zur Schlichtung von Pfle- gesatzstreitigkeiten sind begrenzt.
In einem Rechtsgutachten im Auf- trag der Deutschen Krankenhaus- gesellschaft (DKG), Düsseldorf kommt der Bonner Verwaltungs- rechtler Prof. Dr. jur. Konrad Re- deker zu dem Ergebnis, daß die Schiedsstelle zwar keinen Ho- heitsakt erläßt, aber an der Ent- scheidung eines Hoheitsaktes mit- wirkt. Sie ist nur mittelbar an der Pflegesatzfestsetzung durch die genehmigende Landesbehörde beteiligt. Schiedsstellen bei Pfle- gesatzstreitigkeiten nehmen laut Redeker-Gutachten nicht nur öf- fentlich-rechtliche Aufgaben wahr. Sie wirken an hoheitlichen Entscheidungen intern maßgeb- lich mit.
Bislang gingen die meisten Kran- kenkassen und Krankenhausträ-
ger davon aus, daß die Schieds- stellen mit entscheidungsbefugt seien. Die Genehmigung durch die Landesgenehmigungsbehörden — so sieht das Gesetz den Verwal- tungsweg vor — sei lediglich eine
Formsache. Die Genehmigungs- behörden überprüften nur noch die rechtliche und formale Rich- tigkeit, hätten aber keine Prü- fungsbefugnis hinsichtlich der materiell-inhaltlichen Vereinba- rungen durch die Vertragspartner.
Redeker bezeichnet die Bestim- mungen über die neu zu etablie- renden Schiedsstellen gemäß
§§ 18 und 18 a des Krankenhaus- neuordnungsgesetzes in der Fas- sung vom 20. Dezember 1984 als eine „in der Formulierung verun- glückte gesetzliche Regelung".
Diese ließen eindeutige Voraus- sagen nicht zu, wie die Gerichte den Rechtsschutz entschieden.
Die Auseinandersetzungen um die Aufnahme in den Krankenhausbe- darfsplanung (§ 8 KHG) hätten ver- deutlicht, zu welch unterschied- lichen Interpretationen Gerichte fähig seien und sein müßten, wenn der Gesetzgeber sie vor zweideuti- ge und unklare Regelungen stelle.
Redeker weist darauf hin, daß Ver- waltungsakte mit Außenwirkung allein die Genehmigungsentschei- dungen seien. Die Schiedsstelle bereite diese Entscheidung ledig- lich vor. Prozessuale Auseinander- setzungen seien deshalb aus- schließlich zwischen den Ver- tragsparteien Krankenhaus und Krankenkassen sowie den Geneh- migungsbehörden zulässig. Es sei dann aber immer noch zu klären, welche Stellung überhaupt die Schiedsstelle und ihre Festset- zung habe. Die Genehmigung nach § 18 Absatz 5 KHG ergeht als ein mehrstufiger Verwaltungsakt.
Im übrigen merkt Redeker an, daß die mißliche Situation beim Auf- bau, der Konstruktion und Gestal- tung des Schiedsstellenverfahrens wohl durch den politischen Kom- promißcharakter der gesetzlichen Regelung überhaupt zu erklären sei. Parallelen im vorhandenen Recht hierfür gebe es kaum. HC
Lohnfortzahlung:
Struktureffekte wurden festgestellt
Eine empirische Analyse der Kran- kenstandsentwicklung seit Einfüh- rung der (arbeitsrechtlichen) Brut- tolohnfortzahlung für gewerbliche Arbeitnehmer (Lohnfortzahlungs- gesetz von 1970) von der Bera- tungsgesellschaft für angewandte Systemforschung (BASYS) mbH, Augsburg, läßt nicht den vielfach zu hörenden Schluß zu, allein der abgeschwächte Kontrollmecha- nismus durch den vertrauensärzt- lichen Dienst und der Wegfall des letzten noch bestehenden Karenz- tages hätten zu einem dauerhaften Anstieg des betrieblichen Kran- kenstandes geführt. Als Maßnah- me zur Senkung der Lohnfortzah- lungskosten (1985: rund 44 Milliar- den DM) sei eine Neuauflage der gesetzlichen Karenztageregelung wie vor 1970 „denkbar ungün- stig", kommentiert die im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums erarbeitete Grundsatzstudie.
Dagegen haben die Augsburger Sozialökonomen einen wesent- lichen „Struktureffekt" feststellen können: Der Anteil der kurzen Ar- beitsunfähigkeitsfälle hat seit dem Jahre 1970 merklich zugenom- men, dagegen hat der Anteil der längerwährenden Arbeitsunfähig- keitsfälle entsprechend abgenom- men. Dieser Wandel bei den Ar- beitsunfähigkeiten wird auf die re- duzierte VäD-Kontrollfunktion zu- rückgeführt.
Die BASYS-Studie vermutet, die Langzeit-AU-Fälle könnten da- durch begründet sein, daß die Effi- zienz des vertrauensärztlichen Dienstes im Hinblick auf die Ver- rentungs- und Rehabilitations- maßnahmen nachhaltig verbessert werden konnte. Der Augsburger Report verweist auf unterneh- mensinterne Unterlagen, bei de- nen der Krankenstand nach 1970 konstant blieb oder sogar zurück- ging, obwohl die neue Karenzta- geregelung griff. HC Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 31/32 vom 1. August 1986 (21) 2141