A222 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 6⏐⏐6. Februar 2009
A K T U E L L
NS-GESCHICHTE
Ausstellung in Berlin eröffnet
Die Ausstellung „Totgeschwie- gen, 1933–1945. Zur Geschich- te der Wittenauer Heilstätten“
ist Ende Januar auf dem Vivan- tesgelände in Berlin-Reinicken- dorf eröffnet worden. Sie zeigt die Geschichte des psychiatri- schen Krankenhauses, das 1957 in Karl-Bonhoeffer-Nervenkli- nik umbenannt wurde, in der NS-Zeit. Mit einer Spende von 220 000 Euro der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin konnte die Ausstellung, die zuvor von 1988 bis 2002 zu sehen war, aufwendig res- tauriert und aktualisiert werden.
In vier Ausstellungsräumen und einem Videoaufführungsraum wer- den die Ergebnisse der umfassenden Recherchen der Arbeitsgruppe zur Erforschung der Klinik gezeigt. Die Dokumentationen bringen Licht in ein dunkles Kapitel der Klinik. Prof.
Dr. med. Peter Bräuning, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psycho- therapie und Psychosomatik am Vi-
vantes-Humboldt-Klinikum: „Wir haben uns in Deutschland sehr schwer getan, die NS-Geschichte aufzuarbeiten. Das, was die Ausstel- lung zeigt, ist ein lange verdrängtes Thema.“
Das Wissen um die Verbrechen, die von Ärzten und dem Pflege- personal in der NS-Zeit in den Wit- tenauer Heilstätten begangen wur- den, wird durch digital und medial aufgearbeitetes Archivmaterial zu- gänglich gemacht. Fotos und Expo- nate wie alte Einrichtungsgegen- stände oder historische Schrift-
stücke dokumentieren die Eu- thanasie der NS-Zeit und die Geschichte der Berliner Psy- chiatrie von 1933 bis 1945.
Zahlreiche Einzelschicksale ge- ben Aufschluss über medizini- sche Experimente an Behin- derten, Zwangssterilisationen, die Ermordung von Patienten vor Ort sowie die Deporta- tionen in die Tötungsanstalt Obrawalde bei Meseritz.
Die Mahn- und Gedenkstät- te im Haus 10 (Vivantes-Netz- werk für Gesundheit GmbH, Oranienburger Straße 285, 13437 Berlin) ist montags bis freitags von zehn bis 13 Uhr geöffnet. Weitere Informationen im Internet unter:
www.totgeschwiegen.org. UH
Der Medizintechnik-Branchenver- band Spectaris, Berlin, hat den Re- ferentenentwurf zu neuen medizin- produktrechtlichen Vorschriften kri- tisiert. Der Verband wendet sich in seiner Stellungnahme vor allem ge-
gen die geplante Angleichung der klinischen Prüfungen für Medizin- produkte und Arzneimittel.
Die Anpassung des Medizinpro- duktegesetzes sieht als allgemeine Voraussetzung für klinische Prüfun-
gen ein doppeltes Genehmigungs- verfahren durch die Ethikkommissi- on und das Bundesamt für Arznei- mittel und Medizinprodukte vor.
Spectaris befürchtet einen zusätzli- chen bürokratischen Aufwand und höhere Kosten. Nach Auf- fassung des Verbands be- stehen erhebliche Unter- schiede zwischen beiden Produktarten.
Die Risiken einer klini- schen Prüfung bei Medi- zinprodukten sei wesent- lich geringer einzuschät- zen als bei Arzneimitteln, da bei Letzteren nicht er- wartete Nebenwirkungen möglich seien. Medizinprodukte würden in der Regel ausschließlich von medizinischem Personal ange- wendet. Die Sicherheit eines Medi- zinprodukts sei zudem fast vollstän- dig im Labor feststellbar. KBr MEDIZINPRODUKTE-GESETZ
Verband befürchtet Kostensteigerung
NEUE BUNDESLÄNDER
Großer Unmut über Sozialreformen
20 Jahre nach dem Fall der Mauer sieht sich eine Mehrheit der Ostdeut- schen als Verlierer der Sozialreform- politik. Nur vier Prozent bewerten die Ergebnisse der bisher durchge- führten Reformen positiv. Das geht aus dem Sozialreport 2008 hervor, den das Sozialwissenschaftliche For- schungszentrum Berlin-Brandenburg im Auftrag des Wohlfahrtsverbands Volkssolidarität erarbeitet hat.
Die repräsentative Befragung von rund 3 000 Bürgern aus den neuen Ländern zeigt, dass der Erhalt der so- zialen Sicherungssysteme als wich- tig angesehen wird. Die Befragten sprachen sich nicht für mehr Sozial- leistungen, sondern für einen glei- chen Zugang zur Gesundheitsversor- gung aus. Die Privatisierung inner- halb der sozialen Sicherungssysteme müsse gestoppt werden, fasste Dr.
Bernd Niederland, Bundesgeschäfts- führer der Volkssolidarität, den Sozi- alreport zusammen. 73 Prozent der Befragten befürchten, wegen sinken- der Realeinkommen sozial abzustei- gen; 82 Prozent machen sich Sorgen um ihre finanzielle Absicherung im Alter. Nur 22 Prozent gaben an, sich als „richtige Bundesbürger“ zu ver- stehen. Elf Prozent möchten die
DDR wiederhaben. MM
Die klinische Prüfung von Medizinproduk- ten soll der von Arzneimitteln angeglichen werden.
Foto:Vivantes
Foto:Barbara Krobath