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i Die Jahreszeiten im Spiegel der altindischen Literatur* Von Claus Vogel, Marburg 1

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(1)

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Die Jahreszeiten

im Spiegel der altindischen Literatur*

Von Claus Vogel, Marburg

1. Einleitung. — 2. Vedische Literatur: Sarnhitäs. — 3. Vedische Literatur:

Brähmanas. — 4. Vedische Literatm*: Sütras. — 5. Epische und purä^iische

Literatur. — 6. Buddhistische Literatur. — 7. Medizinische Literatur, —

8. Zusammenfassung.

\

1. Schon in grauer Vorzeit, ehe die Indogermanen gelernt hatten,

Sonnenbahn und Mondumlauf zu beobachten und daraus ein Jahr von

zwölf Monaten zu entwickeln, war ihnen eine einfache Art der Zeit¬

einteilung geläufig*. Sie beruhte offenbar auf den khmatischen Bedin¬

gungen ihrer Urheimat (wo immer diese gelegen haben mag) und um¬

faßte jedenfalls nur eine Kälte- sowie eine Wärmeperiode, von denen

besonders die erstere zugleich bei der Altersbestimmung verwendet

wurde und sich in dieser Funktion bis in die klassischen Sprachen

erhalten hat; man denke etwa an das griechische x'.^apo? und ^ifxaipa

,, einjährige männhche" bzw. ,, weibliche Ziege" oder an das lateinische bimus <*bihimus und trimus <*trihimus ,,zwei-" bzw. ,, drei jährig", die mit ■/s,i[Laiv bzw. hiems ,, Winter" zusammenhängen. Im vedischen

Schrifttum der Inder lassen sich die Namen der beiden Perioden als

himä und sämä nachweisen, obwohl sie auch dort ihre Grundbedeutung

,, Winter" und ,, Sommer" bereits eingebüßt haben und nur noch ,,Jahr"

heißen (sämä daneben vereinzelt ,, Halbjahr" oder ,, Jahreszeit, Wet¬

ter"); über ihren ursprünglichen Sinn kann es jedoch keinen Zweifel

geben: hima ist im Sanskrit als Maskulinum ein häufiges Wort für

,, Kälte, Winter" und als Neutrum ein ebenso häufiges Wort für

,, Schnee", harn kommt im Jungawestischen mehrfach als ,, Sommer"

vor. Die frühindogermanische Zeiteinteilung wirkte übrigens bis in den

Atharvaveda hinein ; noch der Sänger des Liedes VIII 9 spricht bloß

von sechs kalten und sechs heißen Monaten, kennt aber schon den

Schaltmonat :

* Gastvortrag, gehalten am 3. Juli 1968 im Rahmen des interdisziplinären Seminars des Südasien-Instituts in Heidelberg.

* Vgl. Schbadeb, Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde' I S.

525fr.

(2)

17 ab sdd ähuh sitdn säd u mäsä usrjAn

rtum no brüta yatamö 'tiriktah /

„Sie nennen sechs kalte und sechs heiße Monate. Sagt uns die Jahres¬

zeit, die überschüssig!"

Als man im Zuge größerer Seßhaftigkeit dem Ackerbau mehr Auf¬

merksamkeit schenkte, kam dann drittens die Wachstums- und Reife¬

periode hinzu, die nach ihrer wichtigsten Phase von den Indern als

sardd bezeichnet wurde (wohl von der Wurzel srä, sri, sr ,, kochen, gar

werden, reifen")*. Das muß noch vor der Aufspaltung der arischen

Stämme in einen indischen und einen iranischen Zweig gewesen sein,

wie aus der Ubereinstimmung von altindisch sardd mit altiranisch

sarsd hervorgeht. Auch der Herbst diente den Ariern für Altersangaben ;

er trat bei den Indern sogar derart in den Vordergrund, daß im Veda

hundert Herbste öfter den Wunschtraum eines langen Lebens bilden

als hundert Winter. Am spätesten ist das Übergangsstadium zwischen

Winter und Sommer verselbständigt worden ; sein indischer Name va¬

santa, der sich von der Wurzel vas ,,hell werden" ableitet und also

eigenthch die Licht bringende Periode meint, begegnet im ganzen Rgve¬

da nur zweimal, und das in dem sehr jungen zehnten Liederkreis (90.6

u. 161.4). Die Gliederung des Jahres in eine Kälte-, eine Wärme- sowie

eine Wachstums- und Reifeperiode ergibt sich mithin als die in früh-

vedischer Zeit vorherrschende ; sie entspricht zugleich den Witterungs¬

verhältnissen der damaligen Siedlungsgebiete des Volkes im Pandsch¬

ab. Eine überraschende Bestätigung findet diese Annahme in den

sogenannten Tertialopfern {cäturmäsyä), die erstmals in der zum

Schwarzen Yajurveda gehörigen Taittiriya-Samhitä (I 6.10.3) er¬

wähnt und bis auf den heutigen Tag jeweils zu Anfang jener drei

Jahreszeiten Mitte November, Mitte März und Mitte Juli gefeiert

werden. Ob auch die drei Jahreszeiten, auf die eine Stelle des Sata¬

patha-Brähmana (XIV 1.1.28) anspielt, so aufzufassen sind, muß

oifenbleiben ; hier liegt es wohl näher, an die drei Wachstumsperioden

Frühhng, Regenzeit und Herbst zu denken, von denen an anderer

Stelle des gleichen Werkes (VII 2.4.26) die Rede ist.

2. Als die indischen Arier aus dem Pandschab nach Südosten weiter¬

zogen und ins eigentliche Hindustan vordrangen, trafen sie dort wie¬

der ein ganz andersgeartetes Khma an und stellten demgemäß auch

ihre Jahreseinteilung um. Statt der alten drei unterschieden sie nun

* Vgl. Nir. rv 25: iarac chrtä asyäm osadhayo bhavanti Ürriä äpa ili vä

„Herbst : in ihm reifen die Pflanzen oder brechen die Wasser (aus ihren Ufern) aus".

(3)

fünf Jahreszeiten: Frühhng (vasantd), Sommer {grlsma), Regenzeit

{var sah), Herbst ( sarati) und Winter {hemantd)^; davon dauerten die vier

ersten jeweils zwei Monate und die letzte vier Monate. Der für die Inder

typische Hang zum Systematisieren war aber anscheinend schon damals

so stark, daß sie es bald für notwendig hielten, auch den Winter auf

zwei Monate festzusetzen und als sechste Jahreszeit den Vorfrühling

{sisira) einzuschieben*. Allerdings bheb ihnen die Diskrepanz zwischen

Theorie und Wirklichkeit doch ziemlich lange bewußt: Bis in die

Brähmanas und Sütras hinein werden oft nur fünf Jahreszeiten ge¬

zählt, indem man Winter und Vorfrühling zu einer Einheit zusammen¬

faßt und mit dem Dual hemanta-sisirdu bezeichnet«; dieser Doppel¬

ausdruck begegnet noch in der 1148 n. Chr. vollendeten RäjataranginI

{IV 401) des kaschmirischen Historikers Kalhana. Manchmal werden

statt Winter und Vorfrühling auch Regenzeit und Herbst als varsä-

sarddau kombiniert*, oflFenbar weü sie die Jahresmitte bilden. Aus

derselben Vorhebe fürs Schematisieren, welcher der Vorfrühling seine

Existenz verdankt, erklärt sich nach Ansicht Zimmers' ferner die

Schaffung einer siebenten Jahreszeit, die keinen eigenen Namen trägt® ;

sie ist dem Schaltmonat vorbehalten, der erstmals im Rgveda (I 25.8)

als der, ,, welcher nachgeboren wird" {yd upajdyate), auftaucht und im

Bedarfsfall nach einem nicht näher bekannten Prinzip eingefügt wurde,

um die synodischen Monate mit den tatsächlichen Jahreszeiten und

3 Ohne Namensnennung: AV. VIII 9.15, XIII 1.18; Käth. IX 1, 16;

MaitrS. I 7.3; TS. V 1.10.3, 3.1.2, 4.12.2; ÖBr. I 3.5.10 sq., III 1.3.17, 1.4.20, 2.3.13, 9.4.11, IV 5.5.12, VI 1.2.18, 2.2.3, VIII 6.3.12, IX 1.1.26.

Mit Namensnennung: AV. VIII 2.22; Käth. IV 14, XIII 15; MaitrS. III 4.8,

14.1; TS.V6.10.1, 7.2.4; VS. XIII 54 sqq.; TBr. III 10.4.1, 11.10.4;

ÖBr. Villi. 1 sq., 5.2.14, XI2.7.32; ChUp.115.1; ÖänkhGr. IV 18.1;

MantrBr. II 1.11; PärGr. III 2.2.

* Ohne Namensnennung: Käth. IX 1, XX 3 sq.; MaitrS. 17.3; TS. V

1.5.2, 1.7.3, 1.9.1, 1.10.5, 2.6.1, 4.2.2, VI 1.1.8; ÖBr. I 7.2.21, II 1.1.13,

4.2.24, 6.1.4, III 4.3.17, IV 2.2.7, 5.5.12, V 2.1.4, VI 4.2.10, 7.1.18,

VII 3.1.35, IX 3.4.18, 4.3.8, XIII 1.5.6. Mit Namensnennung: AV. VI 55.2,

XII 1.36, XV 4.1 sg?.; Käth. VIII 6, XVII 10, XXXV 9, V bis 10.4; MaitrS.

II 8.12, III 11.12; TS. IV 4.11.1; VS. XIII 25 mit XIV 6, 15, 16, 27 und XV

57, XXI 23 sqq., XXIV 20; TBr. II 6.19; ÖBr. II 1.3.1, IV 3.1.14 sgg., VII

4.2.29 mit VIII 2.1.16, 3.2.5, 3.2.6, 4.2.14 und 7.1.5, XII 8.2.34; Äpär.

XX 20.6.

5 Käth. XXXIX 7, V bis 1.9, 11.1 sqq.; MaitrS. II 7.20; TS. I 6.2.3, IV

3.3.1 sg., VII 1.18.1 sq., 2.10.1 sq.; VS. X 10 sqq.; AitBr. I 1.14; ÖBr. V 4.1.3 sqq., X 4.5.2; ÄävGr. II 4.1.

6 ÖBr. VIII 3.2.7 sq., XIII 6.1.10 sq.

' Altindisches Leben S. 374.

8 AV. VI 61.2, VIII 9.18; ÖBr. VI 6.1.14, VII 3.2.9, IX 1.1.26, 1.2.31, 2.3.45, 3.1.19, 5.2.8, X 2.4.5.

(4)

Mondphasen in Einklang zu bringen*. Unter Umständen handelt es

sich bei der Siebenzahl aber auch nur, wie Roth*" meint, um einen

,, Ausdruck der unbestimmten Vielheit für Jahresabschnitte über¬

haupt". Sicher nichts weiter als Zahlenspielerei dürfte schließlich die

Annahme von 12, 24 oder gar 366 Jahreszeiten sein, bei der einfach die

Monate, Halbmonate bzw. Tage des Sonnenjahrs als solche ange¬

sprochen werden**. Im übrigen haben die Inder für einige der hier ge¬

nannten Ansätze jeweils den Namen eines altehrwürdigen Autors be¬

reit ; so heißt es in Somäkaras Kommentar zu einer Stelle des Jyotisa-

Vedänga (Vers 10)**:

tathä Gargah / traya flava ity äha Krsrjätreyäh / sad Gargah / rtavo

dvädaseti Näradah / caturvimsatir iti Bhägurih / trir},i satäni

sasatsastlnity äha Kraustuhih / na sarve hy ete matä rtava rsibhir iti jj

,, Garga (berichtet) folgendermaßen: Krsnätreya spricht von drei

Jahreszeiten, Garga von sechs, Närada von zwölf Jahreszeiten, Bhäguri

von vierundzwanzig, Krau^tuki spricht von dreihundertundsechsund- sechzig ; nicht alle diese sind freilich von den Sehern für Jahreszeiten gehalten worden".

Der Vollständigkeit halber sei noch kurz auf das vieldiskutierte

Dirghatamaslied ^V. I 164 eingegangen — eine Sammlung sogenann¬

ter Brahmodyas, in der die Wunder der Natur und des Menschenlebens

sowie allerlei Spekulationen über die Zeit und die Dichtersprache in

Allegorien und Rätselfragen gekleidet werden. Gleich die zweite Stro¬

phe dieses Liedes lautet :

» Nach AV. XIII 3.8 zählt der Schaltmonat dreißig, nach ÖBr. IX 1.1.43

u. IX 3.3.18 fünfunddreißig und nach ÖBr. X 5.4.5 sechsunddreißig Tage.

Das führt auf eine Schaltperiode von fünf bzw. seohs Jahren, insofem als der

Unterschied zwischen dem in vedischer Zeit übhchen 360tägigen Opferjahr

und dem 366tägigen Sonnenjahr nach fünf Jahren dreißig und nach sechs

Jahren sechsunddreißig Tage beträgt ; und in der Tat läßt sich im vedisohen

Schrifttum sowohl ein fünf- als auch ein sechsjähriger Zyklus nachweisen. —

Die späteren Chronologen (vom Autor des Jyotisa-Vedänga an) gehen da¬

gegen nicht mehr vom 360tägigen Opferjahr, sondern vom 354tägigen Mond¬

jahr aus und müssen dementsprechend alle fünf Jahre zwei 30tägige Schalt¬

monate einschieben : einon in der Mitte und einen am Ende des Lustrums. Vgl.

Webeb, Die vedischen Nachrichten von den naxatra {Mondstationen) II S. 298

u. S. 336f.; Über den Vedakalender, Namens Jyotisham, S. 23f., S. 44f. u.

S. 95 ff.

*» PWI 1053.

** Von ,, zwölf göttlichen Jahreszeiten" 'ijdevd dvädaSartdväh) spricht AV.

XI 6.22.

*2 Text nach Webeb, Üher den Vedakalender, Namens Jyotisham, S. 12

Anm. 2.

(5)

saptd yunjanti rdtham ikacakram

iko dsvo vahati saptdnämä /

trindhhi cakram ajdram anarvdrn

ydtremd visvä bhüvanadhi tasthüh //

„Sieben schirren den einrädrigen Wagen an; ein siebennamiges Pferd

zieht (ihn). Dreinabig, nicht alternd, unaufhaltsam (ist) das Rad,

worauf alle diese Wesen stehen".

Obwohl eine Aufschlüsselung der einzelnen Allegorien und Rätsel¬

fragen meist nicht erfolgt und ihre Deutung deshalb oft umstritten ist,

so gehen doch alle Interpreten darin einig, daß hier vom Sonnenwagen

als dem Sinnbüd der Zeit die Rede ist, dessen Rad mit seinen drei

Nabenstücken das Jahr mit seinen drei Jahreszeiten verkörpert. Die

drei Jahreszeiten wiederum werden von Yäska (Nir. IV 27) ausdrück¬

lich als Sommer, Regenzeit und Winter bestimmt, sind also offenbar

mit der arischen Wärme-, Wachstums- und Kälteperiode identisch*'.

— In den Versen 11 bis 15 kommt dann der Sänger noch einmal,

und zwar etwas ausführhcher, auf das Rad zurück :

11 dvddasäram nahi täj jdräya

värvarti cakrdm päri dydm rtäsya /

ä putrd agne mithundso dtra

saptd satäni vimsatis ca tasthüh jj

„Das zwölfspeichige Rad der Wahrheit — nicht (ist) ja dasselbe dem

Alter (unterworfen) — dreht sich immer wieder um den Himmel;

darauf, o Agni, stehen paarweise die siebenhundertzwanzig Söhne".

Auch hier kann es keinen Zweifel geben : Die Wahrheit ist der regel¬

mäßige Ablauf der Zeit**, das Rad der Kreislauf des Jahres ; die zwölf

Speichen sind die zwölf Monate, die 720 Söhne die 720 Tage und

Nächte (die damals noch getrennt gezählt wurden). — Weiter heißt es:

12ab pdncapädarn pitdrarn dv&dasäkftirn

divä ähuh päre ärdhe purisinxim j

,,Den fünffüßigen (und) zwölfgestaltigen Vater nennen sie den Ur¬

quelligen in der oberen Hälfte des Himmels".

Der Vater ist das Jahr in der Form des Allvaters ; seine fünf Füße

sind die fünf Jahreszeiten (wobei nach Säyana Winter und Vorfrühhng

*3 Nacb Säyaiia, dem Zimmeb (Altindisches Lehen S. 374) sich anschließt, handelt die folgende Strophe, die sich um die Siebenzahl dreht, ebenfalls vom Sonnenwagen; ein Bezug auf das Jahr und seine Teile ist in ihr jedoch nicht gegeben. Vgl. Lüders, Varuna II S. 528 u. S. 690.

** Vgl. Lüdebs, Varuna II S. 571.

(6)

eine Einheit bilden), seine zwölf Gestalten die zwölf , Monate. — Der

Sänger fährt fort :

13 ab päncäre cakri parivdrtamäne

tasminn d tasthur bhüvanäni viivä /

,,Auf dem sich im Kreise drehenden fünfspeichigen Rade, — auf ihm

stehen alle Wesen".

Wie schon Säyana richtig erkannt hat, sind mit dem Rad wieder der

Kreislauf des Jahres und mit den fünf Speichen die fünf Jahreszeiten

gemeint. — Endlich sagt der Dichter:

löab säkarnjdnärn saptdtham ähur ekajärn

sdl id yamä rsayo devajd iti /

„Unter den Zugleichgeborenen nennen sie den siebenten einen Einling,

nur sechs (sind) ZwilUnge; gottgeborene Seher heißen sie". — Vgl.

AV. X 8.5.

Die Zugleichgeborenen sind die Jahreszeiten, von denen die siebente

nur aus einem Monat (dem Schaltmonat) besteht, während die anderen

sechs jeweüs zwei Monate umfassen. — In einem offenkundigen Nach¬

trag zu diesen Strophen greift dann der Autor am Schluß des Hymnus

das Thema ein drittes und letztes Mal auf, indem er fragt :

48 dvädasa pradhdyas cakräm äkam

trir},i ndbhyäni kä u täc ciketa / täsmin säkdrn tri iatä nä sankävo 'rpitdh sastir nd caläcaläsah //

,, Zwölf Felgenbretter, ein Rad, drei Nabenstücke: wer versteht das?

Daran (sind) zusammen dreihundertsechzig wie unbewegliche Stifte

befestigt". — Vgl. AV. X 8.4.

Jetzt ist das Jahr als speichenloses Vollrad gedacht, dessen zwölf

Felgenbretter die zwölf Monate und dessen drei Nabenstücke wie in Vers

2 die drei Jahreszeiten Sommer, Regenzeit und Winter repräsentieren**,

während die 360 Tage mit festeingeschlagenen Stiften verghchen werden.

— Man sieht, die Vorstellung von drei, fünf, sechs und sieben Jahres¬

zeiten — einerlei, ob auf natürlichen Gegebenheiten oder auf numerischen

Erwägungen beruhend — war noch bzw. schon bei der Komposition der

vedischen Hymnen zumindest so geläufig, daß sie zum Gegenstand eines

für Priester bestimmten Rätselliedes gemacht werden konnte.

Im Vorangehenden kamen schon des öfteren die zwölf Monate sowie

der Schaltmonat zm: Sprache, und zwar gerade auch im Zusammenhang

mit sehr frühen Belegstellen, nämUch solchen aus dem Rg- und dem

*" Zu pradhi ,, Felgenbrett" und näbhya „Nabenstück" siehe Pischbl- Gbldneb, Vedische Studien II S. llf.

(7)

Atharvaveda. Um so überraschender ist daher die Tatsache, daß sich

weder hier noch dort auch nur zaghafte Ansätze zu einer Namengebung

nachweisen lassen. Andererseits finden sich im jüngsten der vier Veden,

dem Yajurveda, gleich drei vollentwickelte Nomenklaturen, die der Ein¬

fachheit halber nebst Übersetzung und Quellenangabe auf den Tafeln I

bis III mitgeteüt sind. Den konkreten Anlaß der Namennennung büden

in allen Fällen die Direktiven für besthnmte Opfer oder Opferstadien wie

den Väjapeya, die Vasordhärä, den Agnistoma, das Agnicayana und den

Aävamedha, die in irgendeiner Form mit den einzelnen Monaten zu tun

haben**. Für Datierungszwecke, so scheint es, sind die Termini dagegen

nicht benutzt worden. Auch wenn sich ihre Bedeutung mit mehr oder

weniger großer Leichtigkeit auf den Charakter der jeweüigen Jahreszeit

zurückführen läßt, sehen sie nach Webeb ,,eher wie für das Ritual ge¬

machte Abstraktionen als wie aus dem Leben gegriffene Namen" aus*'.

Das güt zumindest für die erste und zweite Liste. Bei der dritten Liste

hegen die Dinge insofern anders, als diese Termini von der späteren Zeit

als vedische Monatsbezeichnungen anerkannt wurden*® und nicht bloß in

die einheimischen Wörterbücher**, sondern teüweise auch in die wissen¬

schafthche und rehgiöse Literatur der Hindus*" eingingen; sie begegnen

vereinzelt sogar noch im epischen und klassischen Schrifttum (letzteres

zweifellos unter dem Einfluß der Lexikographen), und zwar sowohl in

ihrer ursprünghchen Funktion** wie als fartes 'pro toto im Sinne der über¬

geordneten Jahreszeiten**.

*' Vgl. dazu im einzelnen Weber, Die vedischen Nachricliten von den

naxatra {Mondstationen) II S. 349 ff.

1' Ebd. S. 350.

18 Pän. IV 4.128 mit Schob

1* Ak. I 1.3.14 sqq.; Abhidhänar. I 114; Abhidhänac. 152 sqq.; Hern. An.

s.w.; Nänärthar. s.w.; Anekärtbat. s.w.; Med. s.w.; Trik. III 3 s.w.;

Nänärtham. s.w.; Koäak. 1068 sqq.

2» Susr. 16.6; Var. BrS. XLVI 85 (nur madhu-mädhava). — BhP. XII

11.33 sqq. ; MärkP. CXIV 27 (nur mädhava) ; NärPancar. I 10.46 (nur madhu-

mädhava). Weitere Puräna-Belege bei Kirfel, Die Kosmographie der Inder

S. 130 und Das Puräna vom Weltgebäude (Bhuvanavinyäsa) S. 63, S. 217,

S. 242ff. u. S. 246.

21 madhu: Ragh. XI 7; Rtus. VI 24; Kathäs. X 87. — mädhava: MBh. III

137.1; R. IV 49*, VI 46.24; Ragh. XI 7. — sukra: MBh. I 138.1, VIII 57.57;

R. VII 15.16. — suei: MBh. I 138.1, VIII 57.57; Räjat. V 448. — nabJias:

Megh. 4; Ragh. XII 29, XVII 41, XVIII 6; ^ivabh. XXVI 57; Nai?. IX 84.

— nabhasya: Hariv. 8781; Ragh. IX 54, XII 29, XVII 41; Nai?. IX 84. —

isa: äiä. VI 49. — ürja: Öiä. VI 50. — sahas: Öiä. VI 57, XVI 47; Rämac. IV

83. — sahasya: Räjat. VII 677; Kum. V 26; Ragh. XIV 84; Rämac. IV 84. —

tapas: Öiä. VI 63.

madhu: Säh. 25 Schol.; Mälav. 77; Ind. Spr. 2986, 3964, 4680, 4682,

5783, 6872; Kum. III 10, 30, IV 24, 25; Ragh. IX 24, 26; Öiä. VI 20; Kathäs.

(8)

3. Mögen also immerhin die Termini der dritten Liste in vedischer Zeit

wirkhch einmal praktische Anwendung erfahren haben (in Datumsan¬

gaben lassen sie sich, wie gesagt, nicht belegen), sehr lange kann das unter

keinen Umständen der Fall gewesen sein. Denn schon in den Brähmanas,

die sich unmittelbar an die Samhitäs anschheßen und aus theologischer

Sicht über Hergang, Sinn und Zweck der einzelnen Opfer handeln, bahnt

sich eine ganz andere Nomenklatur an, die von den sogenannten Mond¬

häusern (naksatra) ausgeht, mit denen der Vollmond während eines Jah¬

res in Konjunktion zu stehen kommt. Hierzu muß man wissen, daß die

Inder mit Sicherheit seit dem Schwarzen Yajurveda den siderischen

Mondumlauf von ungefähr 27 Tagen durch eine entsprechende Zahl von

Sternbildern (eben jenen Mondhäusern) kennzeichnen**, die sämthch

nicht weit von der Ekhptik liegen und so eine Art lunaren Zodiakus bU¬

den. Da im übrigen der siderische Monat nicht genau 27 Tage umfaßt,

sondern knapp einen Dritteltag mehr (nämhch 7 Stunden, 43 Minuten

und 11,5 Sekunden), wurde von der Brähmana-Periode an zum Aus¬

gleich noch ein weiteres Mondhaus (der Abhijit zwischen Asädhä und

Sronä) hinzugefügt**, das jedoch nie zu voller Anerkennung gelangte**.

Tafel IV nennt zunächst in Spalte 1 a die zwölf interessierenden Mond¬

häuser auf Sanskrit, sodann in Spalte 1 b deren Hauptsterne nach unseren

Himmelskarten und dahinter in Spalte 2 die von den Mondhausnamen

abgeleiteten neuen Monatsbezeichnungen auf der Grundlage des — soweit

ich sehe — einzigen in den Brähmanas anzutreffenden Namenkatalogs**.

Daß diese Nomenklatur tatsächlich alt ist, dafür bürgt neben generellen

Abweichungen gegenüber jüngeren Listen vor allem der Ausdruck ironä-

sravistha, insofern als das Mondhaus sroriä später durchweg sravariü und

der zugehörige Monat demgemäß srävana heißt*'. Als Jahresanfang gilt,

wie die Metapher ,,Mund des Jahres" (mukham sarnvatsarasya SähkhBr.

IV 4) beweist, die Vollmondnacht des Phälguna*®; da nun andererseits

der Frühhng in ähnlicher Weise als „Mund" (mukha PancavBr. XXI

IV 29. Vgl. Var. BrS. III 23, XIX 18. — mädhava: R. I 63.5; Mälav. 40, 84;

Kum. III 23, IV 28. Vgl. Car. 17.46; NärPancar. 17.29 (lies mädhave

sumanoharam statt mädhavesu manoharam). — äuci: Ind. Spr. ^6872; Kum. V

20; Ragh. III 3; Rtus. I 2, 3; Öiä. 1 58, VI 22. Vgl. BhP. IV 25.44. — nabhasya und sahasya: Vgl. Car. I 7.46.

" Die frühesten Aufzählungen finden sich Käth. XXXIX 13, MaitrS. II

13.20 und TS. IV 4.10.

24 Vgl. TBr. I 5.2.3.

2ä Die Gründe dafür nennt Webeb, Die vedischen Nachrichten von den

naxatra {Mondstationen) II S. 288 Anm. 1.,

26 JaimBr. III 386.

2' Daher die Variante kravanä&ravistha im kritischen Apparat.

28 So schon TS. VII 4.8.1. Siehe ferner ÖänkhBr. V 1, PaficavBr. V 9.8,

ÖBr. VI 2.2.18 u. TBr. I 1.2.8.

(9)

15.2 u. TBr.I 1.2.6), „Tor" (dvdra ÖBr. I 6.1.19) oder „Kopf" (siras SBr. X 4.5.2 u. TÄr. IV 19.1) der Jahreszeiten bzw. des Jahres vorgestellt

wird, so resultiert daraus mit zwingender Notwendigkeit die in Spalte 3

vorgenommene jahreszeithche Zuordnung der Monate.

4. In der auf die Brähmana-Periode folgenden Sütra-Periode, deren

Texte die oft sehr ausführlichen, unübersichtlichen und durch allerlei

Einschübe auseinandergerissenen Regeln des Opferrituals zur rascheren

Orientierung der Priester leitfadenmäßig zusammenstellen, erfährt das

gerade erst geschaffene System einige bedeutende Veränderungen und

erlangt dadurch bis auf zwei geringfügige Nuancen seine noch heute

gebräuchliche Gestalt. Tafel V gibt zunächst wieder in Spalte 1 a die

Namen der betreffenden Mondhäuser, in Spalte 1 b die Äquivalente ihrer

Hauptsterne auf den jetzigen Himmelskarten, in Spalte 2 die Namen der

entsprechenden Monate und in Spalte 3 deren Subsumierung unter die

sechs Jahreszeiten. Die auffälligste Neuerung ist zweifellos der Jahres¬

beginn mit dem Caitra statt mit dem Phälguna. Sie beruht jedoch nicht

etwa auf einer tatsächlichen Verschiebung des Frühhngsanfangs um einen

Monat, sondern erklärt sich vielmehr aus dem spezifischen Charakter des

vedischen Opferjahres — eines kombinierten Mond- und Sonnenjahres,

das zu 360 Tagen gerechnet wurde. Hätten die Inder damals ein reines

Mondjahr besessen, so wären nacheinander alle Monate an dessen Spitze

getreten; allein durch die gelegenthche Einfügung eines Schaltmonats

waren diesen Schwankungen gewisse Grenzen gezogen. Der Übergang vom

einen zum anderen Jahresbeginn läßt sich sehr schön am Beispiel der

bereits vorhin erwähnten Tertialopfer veranschaulichen, von denen das

erste — das als Vaiävadeva bekannte Frühhngsfest — naoh den älteren

Bestimmungen durchweg an die Vollmondnacht des Phälguna gebunden

ist**, während die jüngeren Bestimmungen seine Feier auch für die Voll¬

mondnacht des Caitra erlauben**; ein Autor fügt dem als zweite Alter¬

native sogar noch die Vollmondnacht des Vaiääkha hinzu**, was eine

scheinbare Rückverlegung des Jahresanfangs um einen weiteren Monat

voraussetzt**. — Einen kaum weniger ins Auge stechenden Unterschied

"ÖänkhBr. V 1, ÖBr. II 6.3.13, ÖäAkhÖr. XV 12.8, Läty. VIII 8.43,

KätyÖr. V 1.1, XV 1.17.

ÖäAkhÖr. III 13.2, ÄpÖr. VIII 1.2.

31 Yäjfiikadeva zu KätyÖr. p. 430.1—2.

*" So jedenfalls Weber, Die vedischen Nachrichten von den naxatra {Mond¬

stationen) II S. 329f. Anders hingegen Jacobi, Kleine Schriften I S. 258fif.,

der für die vedische Periode drei gleichberechtigte Zeitrechnungen annimmt :

ein mit dem Sommersolstitium in Uttara-Phalguni und dem Vollmond

in Pürva-Bhadrapadä einsetzendes Varsä-.Iahr, ein mit dem Wintersol-

stitium in Pürva-Bhadrapadä und dem Vollmond in Uttara-Phalguni ein-

(10)

stellt die Namenfolge von Vaiääkha bis Prausthapada dar, wo gegenüber

der vierten Liste zwischen Vaiääkha und Äsädha der Jyaistha eingescho¬

ben und dafür zwischen Srävana (bzw. Sronääravi§tha) und Prausthapada

der Sätabhisaja fortgelassen ist. Hier liegt oflFenbar eine nachträghche

Korrektur vor; denn die wegen der Ungenauigkeit des ganzen Mondhaus¬

systems nach einiger Zeit trotz der Schaltmonate zwangsläufig eintreten¬

de Diskrepanz zwischen der theoretischen und der wirklichen Position

des Vollmonds konnte ja auch den priesterlichen Sternguckern auf die

Dauer nicht verborgen bleiben, und die späteren indischen Astronomen

wiesen deshalb, um aus dem Dilemma herauszukommen, jedem Vollmond

einfach zwei oder drei Mondhäuser zu, von denen aber immer nur ein und

dasselbe den Monatsnamen abgab, also bisweilen prägnant verwendet

wurde**. Im übrigen müßte ein Fachmann mit einschlägigen Neigungen

sehr wohl imstande sein, aufgrund der vorliegenden Daten zu berechnen,

wann im ersten vorchristlichen Jahrtausend die beiden Nomenklaturen

der Tafeln IV und V den realen Gegebenheiten entsprachen ; das Resultat

wäre für die noch völhg dunkle absolute Chronologie der vedischen

Literatur von nicht zu überschätzender Wichtigkeit.

Die Sütras oder — genauer gesagt — die mit dem hohen Ritual (kcdpa)

befaßten Kalpasütras, die — wie wir gesehen haben — in der Geschichte

des indischen Kalenders insofern eine wesentliche Rolle spielen, als sich

dort erstmals die noch heute übliche Einteilung des Jahres in sechs

Jahreszeiten und zwölf Monate mit dem Frühhng bzw. dem Caitra an der

Spitze nachweisen läßt: diese Sütras gehören ihrerseits zu einem sehr

viel umfangreicheren Schrifttum, das im Rahmen der vedischen Hilfs¬

wissenschaften (vedänga) entstanden und außer dem Ritual auch der

Phonetik, Grammatik, Etymologie, Metrik und Astronomie gewidmet

ist. Von den Texten der letztgenannten Kategorie, von denen man am

ehesten weitere Aufschlüsse erhoffen könnte, hat sich leider bloß ein einzi¬

ges und dazu — wie sohon die Hinwendung vom älteren Prosastil der

Sütras zum jüngeren Versstil der Sästras deuthch macht — recht spätes

Werk erhalten: das in zwei Rezensionen (einer rg- und einer yajurve-

setzendes Himä-Jahr, sowie ein mit dem Herbstäquinoktium in Müla und dem

Vollmond in Mrgaäiras einsetzendes Öarad-Jahr. Demnach wären in den frag¬

lichen Ritualvorschriften die Alternativen Phälgima, Caitra und Vaiääkha

bloß analoge Tertialbeginne des Himä-, Öarad- bzw. Varsä-Jahres und hätten mit dem Frühlingsanfang gar nichts zu tun. Damit aber die für seine Annah¬

me erforderlichen Sonnen- und Mondpositionen überhaupt zustande kommen,

muß Jacobi bis in die Mitte des fünften vorchristlichen Jahrtausends

zurückgehen: ein Alter, das außer indischen Chauvinisten heute niemand

mehr dem Veda oder dem in ihm enthaltenen Gedankengut zubilligt.

'3 Kälaninj. p. 66.8—20. Vgl. Weber, Die vedischen Nachrichten von den

naxatra (Mondstationen) II S. 348 Anm. 1.

(11)

dischen Rezension) auf uns gekommene Jyoti§a-Vedähga eines gewissen

Lagata oder Lagadha, das in 36 bzw. 43 Strophen hauptsächhch die Po¬

sitionen von Mond und Sonne an den Solstitien sowie der Neu-und Voll¬

monde ün lunaren Zodiakus nebst den Regeln zu ihrer Berechnung angibt

und dessen Schwierigkeiten dank den vereinten Bemühungen mehrerer

hervorragender Gelehrter (Webeb, Thibaut, Shamasastby) jetzt grö߬

tenteils als ausgeräumt gelten dürfen. Der schmale Band, vielleicht

zwischen 400 und 200 v.Chr. geschrieben, verdient hier deshalb besondere Beachtung, weil er die auf den Witterungsverhältnissen beruhende ,, meteo¬

rologische" Monatsnomenklatur der vedischen Periode Seite an Seite mit

der auf den Mondhausnamen basierenden ,, astronomischen" Monatster¬

minologie der Sütra-Periode gebraucht, wobei der Mägha mit dem Tapa

identifiziert wird (Str. 6), und weil er den fünfjährigen Zyklus jeweüs mit

dem Mägha — also dem Vorfrühhng — anfangen und mit dem Pausa —

also dem Winter — enden läßt (Str. 5): ein ganz unorthodoxes Verfahren,

das sonst nur noch bei einigen medizinischen Autoren begegnet, worüber

nachher.

6. Mit den Texten der einzelnen Vedähga-Disziphnen sind die Quellen

der vedischen Epoche, die uns für die Darstellung des indischen Jahres¬

zeiten- und Monatswesens ein sehr reichhaltiges Material beschert haben,

erschöpft. Die Werke der sich in den Literaturgeschichten anschheßenden

epischen Epoche, die sich ungefähr auf den Zeitraum zwischen dem vier¬

ten vorchristlichen und dem vierten nachchristhchen Jahrhundert er¬

streckt, sind demgegenüber für unser Thema weit weniger ergiebig, vor

allem was direkte Aussagen betrifft. So sieht etwa der Priester Vipula

MBh. XIII 42.25 beim Meditieren sechs Männer, die mit goldenen und

sübernen Würfeln spielen und die nach XIII 43.5 die Jahreszeiten re¬

präsentieren sollen. Oder der blinde Weise Upamanyu spricht, als er

MBh. I 3.60 sqq. ,,mit rgvedischen Worten" (vägbhir rgbhih) die beiden

Aivins oder Götterärzte preist, unter offensichtlicher Anlehnung an

das vorhin vorgeführte Rätselhed RV. I 164 von einem Rad, dem Zeiten¬

rad, das entweder eine Nabe und 720 Speichen (Str. 64) oder zwölf Spei¬

chen, sechs Nabenstücke und eine Achse (Str. 65) habe**. Oder der Gott

Krsna nennt sich MBh. VI 32.35 (r^ Bhag. X 35) den Märgaäirsa unter

den Monaten und die ,, Blumenerfüllte" (kusumäkara) unter den Jahres¬

zeiten, was in dieser Form nichts anderes heißen kann als daß der Märga-

äirsa der erste Monat und der Frühling die beste Jahreszeit ist. Immerhin

finden sich aber hie und da auch substantiellere Angaben. Nach MBh. III

** Nach MBh. III 133.21—22 hat das Zeitenrad dagegen sechs Naben¬

stücke (Jahreszeiten), zwölf Achsenteile bzw. Felgenbretter (Monate), 24 Ab¬

schnitte (Halbmonate) und 360 Speichen (Tago).

(12)

134.12 bilden sechs Jahreszeiten das Zeitenrad; nach MBh. XIV 44.2 ist

der Vorfrühhng die erste Jahreszeit, was zu Jyot. 5 stimmt ; nach R. IV

25.12 markiert der Srävana den Beginn der viermonatigen Regenperiode.

Endhch kommen im Mahäbhärata sogar zwei vollständige Monatshsten

vor, beide mit dem Märgasirsa, also dem ersten Wintermonat, an der

Spitze: Die eine (MBh. XIII 109.17 sqq.) folgt im großen und ganzen

der Nomenklatur der Sütras, nm- hat sie für Phälguna und Jyaistha die

seltenen Synonyme Bhagadaiva und Jyesthämüla ; die andere (MBh. XIII

App. 1 12) übernimmt zwar ebenfalls im wesentlichen die Nomenklatm der

Sütras, ersetzt aber die älteren Namen Prausthapada und Äävayuja dmch

die jüngeren Namen Bhädrapadä und Äsvina und entspricht damit genau

der heute gültigen Terminologie.

Mit der epischen Dichtung nahe verwandt und deshalb zweckmäßiger¬

weise im Anschluß an sie zu behandeln sind die Pmänas, die für die späte¬

re indische Religion — den Hinduismus — etwa dasselbe bedeuten wie

die Veden für den alten Brahmanismus. Hier bietet die Kosmographie,

die zu den Standardthemen dieses Genre zählt, reichlich Gelegenheit,

auch Probleme chronologischer Natm zu erörtern (Tafel VI)**. Von

Interesse sind dabei nicht so sehr die durchweg gleichlautenden Kataloge

der Jahreszeiten und Monate (Spalte 1 u. 3), die in der Regel mit dem

Frühhng bzw. dem Caitra beginnen und oft neben den jüngeren astro¬

nomischen noch die älteren meteorologischen Monatsbezeichnungen er¬

wähnen, als vielmehr die sonstigen Feststellungen, die in diesem Zu¬

sammenhang getroffen werden. So soll zum Beispiel die Sonne in den

verschiedenen Jahreszeiten verschieden gefärbt sein (Spalte 2): im

Frühhng affenbraun, im Sommer goldgelb, in der Regenzeit weiß, im

Herbst weißgelb, im Winter kupferrot und im Vorfrühhng blutrot — eine

Erscheinung, die ja im Prinzip auch uns geläufig ist und wohl auf jahres-

zeithchen Schwankungen in der Lichtdmchlässigkeit der Atmosphäre

beruht. Die periodische Zu- und Abnahme der mittleren Monatstempe-

ratmen erklärt man sich ebenfalls ganz richtig aus der unterschiedhchen

Intensität der Sonneneinwirkung : Nach dem Brahma-Puräna (Spalte 4a)

entsendet der Sonnengott im Pausa 900 Strahlen ; in den Monaten Mägha

bis Jyaistha erhöht sich deren Zahl jeweils um 100, erreicht im Äsädha

das Maximum von 1500 Strahlen und verringert sich in den Monaten

Srävana bis Märgaäir?a wieder jeweils um 100***. Nach dem Brahmända-,

*' Belege bei Kibfel, Die Kosmographie der Inder S. 130ff. sowie Das

Puräna vom Weltgebäude (Bhuvanavinyäsa) S. 242£f. u. S. 266 [Jahreszeiten, Monate), S. 267 [Sonnenfarbe, SonnenemstraTilung], S. 56 u. S. 236 [Zeitenrad].

36a Nur teilweise stimmen dazu die Angaben des Lexikographen Vyädi,

sofem die einschlägige Stelle bei Hemacandra (Tikä zu Abhidhänac. II 9)

richtig überhefert ist.

23 ZDMG 121/2

(13)

Kürma- und Linga-Puräna (Spalte 4b), die eine Vermehrung bzw. Ver¬

minderung um 1000 Strahlen pro Monat ansetzen, ist hingegen der

Mägha mit 5000 Strahlen der kälteste und der Srävana mit 11000 Strah¬

len der heißeste Monat. Die Differenz zwischen den Monatsangaben des

Brahma-Puräna einerseits und denen des Brahmända-, Kürma- und

Linga-Puräna andererseits ist natürlich nur scheinbar ; ihr liegt in Wirk¬

hchkeit dieselbe Namenverschiebung zugrunde, die wir schon beim Über¬

gang von der Brähmana- zur Sütra-Epoche beobachtet haben. Endlich

sei an dieser Stelle noch auf die — hterarhistorisch allerdings nicht

hierhergehörige — Nachricht des KautiÜya-Arthasästra (Spalte 5) hin¬

gewiesen, daß der Mittagsschatten eines zwölf Fingerbreit hohen Gno¬

mons im Äsädha gleich Null ist und in der Zeit von Srävana bis Pau^a

monathch um zwei Fingerbreit anwächst, während er in der Zeit von

Mägha bis Jyaistha monatlich wieder um zwei Fingerbreit kürzer wird'«.

Das trifft selbstverständhch strenggenommen nur auf die Gegend un¬

mittelbar am Wendekreis des Krebses zu, der durch Malwa, Büiar und

Bengalen geht. Auch das inzwischen bereits aus dem Rgveda und dem

Mahäbhärata bekannte Zeitenrad kommt in den Puränas zur Sprache.

Es hat nach den dort gegebenen Beschreibungen im allgemeinen drei

Nabenstücke, fünf Speichen und sechs Felgenbretter, worunter das Ma¬

tsya-Puräna die drei Tageszeiten (Morgen, Mittag, Abend), die fünf Lu¬

strumsjahre (Samvatsara, Parivatsara, Id[ä]vatsara, Anuvatsara, [Ud]-

vatsara) und die sechs Jahreszeiten (Frühhng, Sommer, Regenzeit,

Herbst, Winter, Vorfrühhng) versteht*'. Daneben wird für die Speichen

gelegentlich die Zahl 13 oder 12 genannt, was sich dann auf die Monate

mit oder ohne den Schaltmonat bezieht*®.

t . [ ■ 6. Als wichtigstes Novum der epischen Ära, für das wir ein mittelbares

und zwei unmittelbare Zeugnisse beibringen konnten, bleibt der Jahres¬

anfang mit dem Märgaäirsa festzuhalten. Das leitet uns ganz automatisch

zu dem in seinem Kern etwa gleichaltrigen umfänglichen Schrifttum der

Buddhisten über, von denen Yaäomitra** erklärt, sie hätten durchweg

den Winter als erste Jahreszeit betrachtet. Dazu würde zunächst sehr

*« Kaut.II 20.41 sq. Vgl. Jacobi, Kkine Schriften II S. 892fr. — 1 Finger¬

breit (angula) ~ 3/4" oder 1,9 cm.

" MatsyaP. CXXV 43: ahas trinäbhih süryasya tv ekacakrasya vai smrtam j

aräh samvatsaräh paüca nemyah sad rtavah smrtah // So ÖKDr. II 109c; die

einzige mir zugängliche Ausgabe von PaScänana Tarkabatna (Calcutta:

Vangaväsi Steam Machine Pr. 1890) liest dagegen: ahar näbhis tu süryasya

ekacakrasya vai smrtah j aräh [im Druck arät] sarnvatsaräs tasya nemyah sad

rtavah smrtäh ff ' ' BhP. III 21.18 u. V 21.13.

3' AbhKVy. fol. 241 b. Vgl. Bubnouf, Inirodiiction ä l'histoire du Buddhis¬

me indien^ S. 507.

(14)

gut passen, daß sowohl der Lexikograph Amarasimha*" wie der Medi¬

ziner Vägbhata**, die beide selbst Buddhisten waren oder wenigstens

stark unter deren Einfluß standen, den Märgasirsa bzw. den Winter zum

Jahresanfang machten. Doch hat bereits W^ebbr** einschränkend darauf

hingewiesen, daß dies nvrr von den Mahäyäna-Buddhisten gelte, während

die Hinayäna-Buddhisten das Jahr entweder wie die Hindus mit dem

Caitra**, also dem Frühling, oder mit dem Srävana**, also der Regenzeit,

begonnen hätten. Der zuletzt erwähnte Ansatz, der sich implizite aus

mehreren frühen Texten ergibt**, wäre für die Buddhisten gleich wel¬

cher Schule an sich der natürlichste, da die Bettelmönche bei Einbruch

des Sommermonsuns ihr relativ freizügiges Wanderleben für einige

Monate mit dem weit strengeren Klosterleben vertauschen mußten, das

von Andachten, Predigten und Studien erfüllt war**. Mittlerweile wissen

*° Ak. I 1.3.14 sqq. Ebenso Hemacandra im Abhidhänac. 152 sqq.

** Astängas. I 4 ~ I p. 24a 11 sqq. Wenn es an der Parallelstelle AstäAg. I

3.1 statt dessen heißt: mäsair dvisamkhyair mäghädyaih kramät sad rtavah

smrtäh „die Monate zu (je) zwei gereclmet (und) mit Mägha beginnend,

(werden) der Reihe naoh sechs Jahreszeiten genannt", so ist dies nur scheinbar

ein Widerspruch; da hier nämlich im Tibetischen dgun-zla ra-ba steht, was

Sanskrit märgaiirsa übersetzt (Mvy. 8270), muß man annehmen, daß der

Text ursprünglich märgädyaih las und daß das jetzige mäghädyaih eine spätere redaktionelle Angleichung an Suär. 16.6 bildet. Die zweite Hälfte des Verses, die eine mit dem Vorfrühling anfangende Aufzählung der sechs Jahreszeiten bietet, ist ohnehin interpoliert, weil sie sowohl im Tibetisohen wie in der

Kottayam-Ausgabe fehlt. Zu märga als Kurzform von märgaiirsa siehe außer

den zahlreichen Lexikographenbelegen namentlich Räjat. VII 723. (Unsere

Bemerkungen ad locum sind entsprechend zu ergänzen.)

42 Bie vedischen Nachrichten von den naxatra (Mondstationen) II S. 333 f.

" Abb. 79.

4* DN. I p. 47.5—6. Eine Monatsliste mit dem Örävana an der Spitze

findet sich auch AVPariä. LV 1.5 sqq. u. Kaut. H 20.55 sqq.

4' Sofern die Wendung komudi cätumäsini (Vin. I pp. 155.32, 176.16,

177.23—24, 27—28, 30, 33, 178.8; DN. I p. 47.5—6; MN. III pp. 79.20,

22, 80.2—3) tatsächlich soviel heißt wie ,,der Vollmondtag des Komuda

[~ Kattika], der den vierten Monat (des Jahres) bildet", wie Bubnouf (SP. II p. 449), Rhys Davids (DN. I p. 65 sq.) und Chalmebs (MN. II p. 200)

annehmen. Nach Fbankb (DN. p. 48) bedeutet der Ausdruck hingegen ,, Voll¬

mond des Monats Kattika, der das Ende des (betreffenden) Jahres-Drittels bezeiclmet"; ähnlich Rhys Davids-Oldbnbbbg, Vin. I p. 324^, und Hoeneb, Vm. IV p. 205=.

46 Übrigens durften auoh die Hindu- und Jaina-Asketen während der

Regenzeit ihre Wanderungen nicht fortsetzen. Als Grund für diese allgemein¬

indische Vorschrift wird übereinstimmend angeführt, daß das duroh die

profusen Niederschläge zu üppiger Fülle erwachte Tier- und Pflanzenleben

keinen Schaden nehmen soll; denn ein Verstoß gegen das Gebot des ,,Nioht-

verletzens" (ahirnsä) würde dem Sinn der Askese zuwiderlaufen und ihren Erfolg in Frage stellen. Vgl. Jolly, Recht und Sitte S. 151, und Schubeing, Die Lehre der Jainas S. 165f.

23«

(15)

wir nun, daß auch unter den Mahäyäna-Buddhisten offenbar keine Ein¬

mütigkeit über die Anordnung, ja nicht einmal über die Zahl, der Jahres¬

zeiten herrschte. Oft schwanken bei ihnen die einschlägigen Daten von

Werk zu Werk und — weil viele Schriften im Zuge einer allmählichen Aus¬

breitung der buddhistischen Lehre über die Grenzen Indiens hinaus in

andere asiatische Sprachen (vornehmhch ins Tibetische, Mongohsche und

Chinesische) übertragen wurden — sogar von Version zu Version. Dafür

waren ohne Zweifel die jeweils im Heimatland des Autors oder Dolmetschs

gültigen klimatischen Bedingungen, wissenschafthchen Erkenntnisse und

sonstigen Gepflogenheiten verantworthch.

Ein Musterbeispiel für die Mannigfaltigkeit der Anschauungen im.

Rahmen ein und desselben Werkes ist das jedem Buddhologen wohl¬

vertraute Goldglanz-Sütra, dessen von Nobel*' eingehend untersuchtes

XVI. Kapitel in den Versen 5 bis 10 über die Gliederung des Jahres

handelt. Dieses Sütra wurde — teilweise mehrmals — ins Sogdische,

Khotanesische, Uigürische, Tibetische, Kalmückische, Mongolische, Man¬

dschurische, Chinesische und Japanische übersetzt. Alle außerindischen

Versionen (soweit sie erhalten bzw. mir erreichbar sind) stunmen fürs

erste an der nämlichen Stelle mit dem Sanskrit darin überein, daß das

Jahr aus zwölf Monaten besteht, die entweder zu je drei Monaten oder

zu je zwei Monaten zusammengefaßt werden; nach dem Urtext heißen

dabei nur die Zweimonatsgruppen ,, Jahreszeiten" (rtu), während die

Dreimonatsgruppen, die Dharmak^ema*® als die ursprünglichen bezeich¬

net, ,, Zeitabschnitte" (parvan^^) genannt werden. Was jedoch die Namen¬

gebung für die einzelnen Jahreszeiten bzw. Zeitabschnitte anlangt, so

weichen — wie die Ubersicht auf Tafel Vila zeigt — sämtliche Versionen

gleichlautend vom Original ab; außerdem nehmen drei Versionen eine

Änderung in der Reihenfolge vor. Diese Differenzen nun sind für uns von

großem Interesse. Die Sanskritvorlage (Spalte 1) eröffnet den Turnus mit

der Regenzeit, an die sich Herbst und Winter fügen, und beschließt den¬

selben mit dem Sommer. Lediglich Herbst und Winter fallen aber in sub¬

tropischen und gemäßigten Breiten zusammen. Die Regenzeit, die in Zen¬

tral- und Nordindien etwa von Mitte Juni bis Mitte September dauert, ist

dagegen jenseits der Gebirgskette des Himalaja unbekannt ; dort herrscht

(wie in Europa) unterdessen Sommer. Der zentral- und nordindische Som¬

mer wiederum, also die Spanne von Mitte März bis Mitte Juni, entspricht

genau dem zentral- und ostasiatischen Frühhng. Im Einklang hiermit

*' JAOS Suppl. 11.

48 T. I. XVI, No. 663, p. 352a4: — — 2^: ^ san san pen sM „zu je

drei (ist) die ursprüngliche Zusammenfassung".

4' Aus dem thsigs der ersten imd zweiten tibetischen Version rekonstruiert;

die Sanskrithandschrift ist hier unleserlich.

(16)

figuriert deshalb in allen von mir eingesehenen (und analog wohl auch

in den übrigen) Versionen statt der Regenzeit der Sommer und statt des

Sommers der Frühhng. Der Chinese I-ching (Spalte 7) hat sich darüber

hinaus insofern noch weiter dem heimathchen Usus angepaßt, als er den

Frühhng an den Anfang und den Winter an den Schluß stellte, was seine

uigurischen, tibetischen (und vermutlich auch mongolischen) Übersetzer

nachvollzogen. Für Dharmaksema (Spalte 5), der ja von Hause Inder

war, ergab sich eine solche Notwendigkeit nicht; ebensowenig für Pao-

kuei (Spalte 6), der einfach Dharmaksemas Fassung seiner Sammel version

einverleibte. I-ching ist nebenbei auch der einzige, der — ob auf der

Basis eines umfangreicheren Sanskrittextes oder aus eigener Machtvoll¬

kommenheit, muß ofFenbleiben — die sechs Zweimonatsgruppen nament¬

lich aufführt (Tafel Vllb), und zwar in einer Weise, die unschwer die

übUche indische Terminologie erkennen läßt.

Im Nan-hai chi-kuei nei-fa-chuan, in dem er seine während der Jahre

671 bis 695 n.Chr. unternommene Pilgerreise von Nordchina über Suma¬

tra nach Zentrahndien und zurück schildert, weiß I-ching noch von einer

anderen Einteüung des Jahres in fünf Abschnitte zu berichten, die nur im

Vinaya-Pitaka (der Regelsammlung zur Ordensdisziphn) als eine Anord¬

nung des Buddha begegne*". Bei dieser Einteilung, die — wie er sich aus¬

drückt — einen ,, mystischen Sinn" (^ ,g; mi i) habe, sind die einzelnen

Jahreszeiten von unterschiedhcher Länge (Tafel Villa). Der Winter, mit

dem die Aufzählung — Yaäomitras Aussage gemäß — anhebt, währt vier

Monate: vom 16. 9. bis 15. 1. des chinesischen Kalenders, was der Periode

vom 16. November bis 15. März entspricht**. Darauf folgt der Frühhng,

der die gleiche Dauer hat und mit dem 15. 5., also dem 15. Juli, zu Ende

geht. Die sich daran anschließende Regenzeit umfaßt bloß einen Monat,

nämhch die Spanne vom 16. 5. bis 15. 6. bzw. vom 16. Juli bis 15. August.

Der vierte Abschnitt, der als ,, letzte Zeit" (^ B^f chung shih) bezeichnet

wird und aus einem einzigen Tag besteht, fällt auf den 16. 6. oder 16. Au¬

gust. Den Abschluß büdet die sogenannte ,, lange Zeit" (Ja ^ch'ang

shih), die sich auf die verbleibenden drei Monate vom 17. 6. bis 15. 9. bzw.

vom 17. August bis 15. November erstreckt. Man hat mit diesem Bericht

bisher nicht viel anzufangen gewußt und die eintägige ,, letzte Zeit" ge¬

legenthch als Schalttag verstanden. Es läßt sich jedoch unschwer ersehen,

daß ihm die mittlerweüe aus mehreren Vinaya-Texten** bekanntgewor-

" Kap. 19 ~ T. I. LIV, No. 2125, p. 219c 18—26; Takakusu S. lOlf.

Vgl. Nobel, a.a.O. S. 19f.

'* Die Entsprechungen ergeben sich implizite aus dem Ta-T'ang hsi-yü-

chi; s.u. (Anm. 55).

62 Bhik. fol. 22a2— 3; G.MSS. III 3 p. 124.2—6; UJ. p. 19.9—14. Vgl.

Mvy. 8668 u. 9282—9286. Der gleiche Sachverhalt flndet sich B. Zamb. p.

260/261 auch auf khotanesisch dargestellt.

(17)

dene Gliederung des Jahres in fünf „Perioden" (samaya oder sämayika) zu¬

grunde liegt, die genau die angegebene Reihenfolge und Länge besitzen

und allein in ihrer Nomenklatur abweichen (Tafel VIII b) : Die erste —

von Märgasirsa bis Phälguna — heißt Winterperiode, die zweite — von

Caitra bis Äsädha — Sommerperiode, die dritte — der Srävana — Regen¬

periode, die vierte — der 1. Bhädrapadä — ,, Kurzregenperiode" (mita-

värsika s.) und die fünfte — vom 2. Bhädrapadä bis Kärttika — ,, Lang¬

regenperiode" (dirghavärsika s.). Die Namenunterschiede sind leicht zu

erklären: Für den Sommer hat I-ching wieder — wie schon in seiner

Übersetzung des Goldglanz-Sütra — den Frühhng substituiert; im Falle

der einzelnen Regenzeiten konnte er dagegen aus inhaltlichen Gründen

nicht so vorgehen und hat deshalb die ursprünglichen Namen — wenn

auch teüweise unter mißverständlicher Kürzung — übernommen, wobei

er das hybride mrtavärsika s., das häufig an Stelle des korrekten mitavär- sika s. vorkommt**, als „letzte (Regen)zeit" fehhnterpretierte. Auffälhg an dieser Periodisierung ist einerseits der späte Ansatz der Regenzeit, der

auf den hohen Norden des Subkontinents als Ursprungsland hindeutet,

und andererseits die Dreiteüung derselben, die religiöse Ursachen haben

muß, da sich klimatisch nur eine Düferenzierung nach dem sehr nassen

vordringenden und dem weniger nassen abziehenden Monsun rechtferti¬

gen läßt.

Nachdem I-ching das dem Buddha zugeschriebene Fünfersystem abge¬

handelt hat, fährt er fort: ,, Entsprechend den lokalen Gepfiogenheiten gibt es entweder drei Jahreszeiten, vier Jahreszeiten (oder) sechs Jahres¬

zeiten, wie andernorts dargelegt"**. Diesen Verweis bezieht der japanische

Gelehrte Käsyapa Ji-un, der 1758 einen Kommentar zum vorliegenden

Werk anfertigte, wohl mit Recht auf Hsüan-tsangs Reisebericht. Hsüan-

tsang, 602 in der nordchinesischen Provinz Honan geboren und 622 zum

Mönch geweiht, war schon einige Dezennien vor I-ching auf dem Land¬

weg durch Zentralasien und Afghanistan gen Indien gezogen, wobei er bis

weit in den Süden — vielleicht sogar bis Ceylon — gelangte, und hatte

nach seiner Heimkehr die zahlreichen Erlebnisse und Beobachtungen

seiner sechzehnjährigen Wanderschaft (von 629 bis 645) schriftlich fixiert.

Die fraghchen Angaben über die Jahreszeiten finden sich zu Anfang von

Buch II seines Ta-T'ang hsi-joi-chi**. Die erste dort mitgeteüte Liste

(Tafel IXa) nennt die altbekannte Sechserreihe Frühling, Sommer,

" So G.MSS. III 3 p. 124.3 u. 5, UJ. p. 19.10 u. 13, sowie als Variante

Mvy. 9285. Das Tibetische hat hier für mrta jeweüs richtig thun-nu

,,kurz".

" Ibid. p. 219c26— 27 ■.^iUiS^o^VF-^^^B Bt >^ Hto l^M^

jo-i fang su, huo tso san shih ssü shih liu shih, ju yü ch'u shuo.

" T.I. LI, No. 2087, pp. 875c25—876al3; BealI S. 71f.

(18)

Regenzeit, Herbst, Winter und Vorfrühhng in chinesischer Paraphrase**

nebst den betreffenden Daten, die gegenüber unserer Monatsnumerierung jeweils um -2 differieren. Die zweite Liste (Tafel IXb), die ausdrückhch als buddhistisch bezeichnet wird, unterscheidet nur eine heiße, eine nasse

und eine kalte Periode-(dem gimha, vassa und hemanta des Pali-Kanons

entsprechend), die umgerechnet vom 16. März bis 15. Juli, 16. Juli bis

15. November bzw. 16. November bis 15. März dauern; sie macht wegen

ihrer Undifferenziertheit einen ziemlich altertümhchen Eindruck und

khngt auch in einer Formel des Sarvästiväda-Prätimoksa-Sütra noch an,

allerdings bloß in deren chinesischer Version, wo es heißt: „Wenn der

dritte Monat (der Regenzeit) vergangen, der achte Monat (des Jahres)

noch nicht gekommen und die Regenzeit noch nicht zu Ende ist. .

Andererseits war auch den Jainas — den Anhängern des von Buddhas

Widersacher Mahävira gestifteten und in sehr vielen Punkten mit dem

Buddhismus verwandten Jinismus — die Gliederung des Jahres in eine

Regenzeit sowie eine regenlose Zeit von je vier Monaten Winter und Som¬

mer wohlvertraut*^ ; und auch in den Lebensregeln für die hinduistischen

Heihgen, die wie die buddhistischen und jinistischen Mönche durch das

Ahimsä-Gebot angehalten waren, ihre Pilgerschaft während der Regen¬

zeit zu unterbrechen, kehrt diese Einteilung (und insbesondere die An¬

nahme einer viermonatigen Regenperiode) wieder**. Am interessantesten ist schheßlich die dritte Liste (Tafel X), die der Verfasser wohl ebenfalls

als buddhistisch verstanden wissen will; sie enthält, mit dem Caitra

beginnend, die gewöhnlichen sanskritischen Monatsnamen in chine¬

sischer Transkription, verbindet dieselben aber zu vier Dreiergruppen,

die wie bei uns Frühhng, Sommer, Herbst und Winter genannt werden

und auch zeitlich ungefähr mit unseren Jahreszeiten zusammenfallen.

In einem späteren Passus seines Werkes spricht I-ching anläßlich der

theoretischen Grundlagen der indischen Medizin ganz beiläufig scheinbar

6° In der Diskussion über diesen Vortrag machte Herr Dr. Kamil Zvelebil

(Prag) darauf aufmerksam, daß die von Hsüan-tsang für den Frühling und

Sommer gewählten Ausdrücke ^ chien je ,, zunehmende Hitze" bzw.

$h sheng je ,, volle Hitze" an die entsprechenden Tamilnamen ilavenil

„junge Hitze" und mutuvenil ,, reife Hitze" ermnern. Da Hsüan-tsang in Südindien gewesen ist, wäre eine Beeinflussung seiner Terminologie durch das

Tamü oder eine andere drawidische Sprache durchaus denkbar.

" Naihsargika-pätayantika-dharma 26 ~ T.I. XXIII, No. 1435, p.

57b 1—5: H ^ iilo ^ S A j'j o "^^ ^a-n yüeh huo, wei chih pa yüeh,

wei man sui. Vgl. Rosen, Der Vinayavibhanga zum Bhik^uprätimoksa der

Sarvästivädins S. 118.

** Vgl. Schubbino, Die Lehre der Jainas S. 165.

6» ÄrunUp. 3; KathairUp. 1; Yatidh. p. 99 et passim. Vgl. Spbockhoff,

Numen XI S. 138.

(19)

von acht „Jahreszeiten" (fj] chieh), die im Streit oder Wettstreit mitein¬

ander lägen*", was immer das heißen mag. Der Klarheit halber sei hier

festgehalten, daß es sich dabei in Wirklichkeit — wie Nobel** dargetan

hat — um ,, Zeiteinschnitte" handelt; gemeint sind nämlich die Anfänge

der vier Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter, die zwei

Tag- und Nachtgleichen sowie die beiden Sonnenwenden.

Aus dem bisher Gesagten dürfte bereits zm* Genüge hervorgegangen

sein, daß die Buddhisten im Unterschied zu den Hindus dahin tendierten,

statt der landesübhchen sechs nur vier Jahreszeiten anzunehmen. Mit

Hilfe des Goldglanz-Sütra konnte ferner gezeigt werden, welche Verände¬

rungen deren Nomenklatur und Arrangement bei der Übertragung in

andere Idiome erhtt. Das so gewonnene Büd wäre aber sehr unvollständig,

wenn nicht mindestens noch kurz die generelle Terminologie zur Spraehe

käme, deren sich die indo-tibetischen Übersetzungskommissionen für die

Jahreszeiten und Monate bedienten. Seit dem Eindringen des Buddhis¬

mus nach Tibet während der zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts

waren dort in immer stärkerem Maße die heüigen Bücher der neuen

Rehgion verdolmetscht worden. Das hatte, weü das Tibetische damals

noch recht wenig entwickelt war und jeder Gelehrte mit den theologischen

und sonstigen Fachausdrücken nach eigenem Gutdünken verfiün, rasch

eine heülose Verwirrung der Begriffe gestiftet und schheßlich den König

Sad-na-legs (798—817) veranlaßt, ein aus fünf indischen Pandits und

sechs einheimischen Lamas bestehendes Komitee zu berufen, das die bis

dahin geleistete Arbeit koordinieren und allseits verbindhche Richthnien für die Zukunft aufstellen sollte. Ein Ergebnis der vereinten Bemühungen

dieses Gremiums, das seinen Auftrag unter Sad-na-legs' Sohn und Nach¬

folger Ral-pa-can (817—836) zum Abschluß brachte, ist die Mahävyut¬

patti: ein nach Sachgebieten geghedertes buddhistisches Speziallexikon,

das weit über 9000 sanskritisch-tibetische Namen-, Wort- und Satz¬

gleichungen bietet und noch heute zum Handapparat jedes Buddhologen

zählt. In ihm ist Paragraph 253 dem chronologischen Vokabular gewid¬

met, zu dem natürhch auch die Namen der Jahreszeiten und Monate

gehören. Die einschlägigen Angaben sind auf Tafel XI tabellarisch er¬

faßt. Was zunächst die Benennungen der Jahreszeiten (Spalte 2 a und 4 b)

betrifft**, so macht sich hier eine ganz ähnliche Bedeutungsverschiebung

wie beim Goldglanz-Sütra bemerkbar: Für Skr. grisma „Sommer" und

varsä „Regenzeit" werden von den Tibetern so-ga / sos-ka und dbyar

verwendet, die in der autochthonen Literatur sonst nur als ,, Frühhng"

bzw. ,, Sommer" begegnen, eben weü der indische Sommer mit dem

«° Kap. 28 ~ ibid. p. 224a 9: A fji ^ ^ chieh chiao ching.

" A.a.O. S. 20.

•2 Mvy. 8252—8258.

(20)

tibetischen Frühling und die indische Regenzeit mit dem tibetischen Som¬

mer zusammenfallen ; beiden Wörtern ist also für den vorhegenden Zweck

einfach ein neuer Sinn zudiktiert worden, was desto mehr überrascht, als

man ja ohne Not anstatt so-ga / sos-ka hätte dbyar und anstatt dbyar

hätte char-bai dus oder char -dus sagen können. Eine vom philologischen

Standpunkt aus glückhchere Wahl traf man bei der Wiedergabe von Skr.

sisira ,, Vorfrühhng" durch dgun-smad, d.i. ,, unterer, hinterer, letzter

Teil des Winters". — Bei den Bezeichnungen für die Monate** (Spalte 2b

und 4 a) sticht sofort ins Auge, daß die tibetischen Pendants gegenüber

dem Sanskrit erweitert sind. Die Inder hatten, wie erinnerhch, von der

Brähmana-Periode an die Monate nach den Mondhäusern benannt.

Diese astronomischen Termini erscheinen jedoch im Tibetischen als Art¬

namen erst an zweiter Stelle; vorweg gehen die Gattungsnamen, die

jeden Monat einer bestimmten Jahreszeit und in deren Rahmen einem

bestimmten Platz zuordnen. Anstatt schhcht vom Phälguna spricht

man also z. B. vom ersten Frühhngsmonat Phälguna, was im übrigen auch

insofern Beachtung verdient, als ja die Inder bekannthch seit der Sütra-

Periode den Caitra als ersten Frühhngsmonat betrachteten. Den Gat¬

tungsnamen liegt nun aber nicht, wie man hätte erwarten sollen, die

indische Einteüung in sechs Jahreszeiten, sondern frappanterweise die

landläufige Einteüung in vier Jahreszeiten zugrunde, so daß der nach

indischer Auffassung schon zum Sommer rechnende Vaiääkha noch als

Frühhngsmonat figtuiert, die beiden Regenmonate Äsädha und Srävana

nun den zweiten und dritten Sommermonat büden, der erste Wintermo¬

nat Kärttika noch dem Herbst zugeschlagen wird und die beiden Vor-

frühhngsmonate Pausa und Mägha jetzt den mittleren und letzten

Wintermonat ausmachen. Die unmittelbar vorher für Skr. grisma und

sisira eingeführten Äquivalente so-ga j sos-ka und dgun-smad bleiben

völhg unberücksichtigt, und die wülkürüche Gleichsetzung von varsä mit

dbyar wird stülschweigend wieder aufgegeben. Der ureigens für den

lamaistischen Kanon entworfene Kalender erweist sich mithin als eine

ganz seltsame Kreuzung zwischen dem indischen und dem tibetischen

Jahreszeitensystem.

7. Nach diesem Abstecher an die Peripherie der indischen Literatm*, zu

dem uns der panasiatische Charakter des späteren Buddhismus genötigt

hatte, müssen wir noch einmal zum Zentrum zurückkehren. Wie die

Kenntnis der Jahreszeiten für den Priester bei der Fixierung der Opfer

wesenthch war, so spielte sie für den Arzt bei der Behandlung der Krank¬

heiten eine wichtige Rolle. Denn einerseits waren nach der herrschenden Physio-Pathologie, die in vieler Hinsicht der griechischen Humorallehre

«* Mvy. 8261—8272.

(21)

sehr ähnhch und mit hoher Wahrscheinhchkeit sogar von ihr beeinflußt

ist, die Veränderungen der drei Säfte Wind, Schleim und Galle in erster

Linie an die Jahreszeiten gebunden. Andererseits standen die Geschmacks¬

arten und die mit ihnen verknüpften Geschmackseigenschaften der einzel¬

nen Nahrungs- und Heilmittel, die denjenigen der zu bekämpfenden Säfte

entgegengesetzt sein mußten, zu den Jahreszeiten in enger Beziehung.

Endhch galt es zu bestimmen, wann die verschiedenen Heilkräuter jeweils

ihre nachhaltigste Wirkung entfalteten. Alle großen Werke des Ayurveda

— d.i. des Wissens vom langen Leben, wie die Medizin bei den Indern

heißt — gehen deshalb im Rahmen der theoretischen Grundlagen auf die

Jahreszeiten ein. Am detailliertesten äußert sich die vermutlich zwischen

dem zweiten und siebenten Jahrhundert geschriebene Susruta-Samhitä,

die gleich zwei vollentwickelte Kaiendarien mitteüt**. Davon beginnt

das eine Kalendarium (Tafel XII a) in Einklang mit dem vorhin erwähn¬

ten Jyotisa-Vedänga sein Jahr mit dem Vorfrühling und belegt die Monate

mit den meteorologischen Namen der Samhitä-Ära, wobei der Tapas mit

dem Mägha identifiziert wird; sonst bietet es keinerlei Überraschungen.

Nicht so jedoch das andere Kalendarium (Tafel Xllb), das sich zwar an

die übhchen astronomischen Monatsbezeichnungen hält, aber mit der

Regenzeit anfängt**, den Vorfrühhng ausläßt und statt dessen nach

dem Sommer eine Frühregenzeit [frävrs) einschiebt, so daß die zwei

Regenperioden zusammen die Zeit von Mitte Juni bis Mitte Oktober um¬

spannen. Das weist auf Zentrahndien als Ursprungsland, und in der Tat

sagt schon der im 11. oder 12. Jh. lebende Kommentator Cakrapänidatta,

ohne sich dem selbst anzuschließen, daß die genannten Systeme nach

Kääyapa für die Gebiete nördlich bzw. südlich des Ganges gälten, weil es

«* I 6.6 u. 10.

•* Ein mit dem Regenmonat Bhädrapadä einsetzendes Jahr soll nach al-

Birüni, dem berühmten persisch-arabischen Indienkenner um die Millen¬

niumswende, auoh in der Nachbarschaft Kaschmirs verwendet worden sein.

Vgl. Ta'rih al-Hind, Kap. 49: in Sachaus Text S. 206, in seiner Übersetzung II S. 8. — al-Birüni nennt noch einige weitere Jahresanfänge, die er ebenfalls nach Hörensagen lokalisiert, ohne daß es vorerst möglich ist, seine Orts- und Ländernamen alle zu identifizieren: ,,A11 the people who inhabit the country

between Bardari and Marigala [d.i. Taxila] begin the year with the month

Kärttika . . . The people living in the country Nirahara, behind Marigala, as far as the utmost frontiers of Täkeshar and Lohävar, begin the year with the

month Märgaäirsha . . . The people of Lanbagä, i.e. Lamghän, follow their

example. I have been told by people of Multän that this system is peculiar to the people of Sindh and Kanoj, and that they used to begin the year with the new moon of Märgaäirsha, but that the people of Multän only a few years ago

had given up this system, and had adopted the system of the people of

Kashmir, and followed their example in beginning the year with the new moon of Caitra". Ebd. S. 8f.

(22)

im Norden länger kalt sei und im Süden länger regne, weshalb man — so

können wir erläuternd hinzufügen — dort zwei Frühjahre und hier zwei

Regenzeiten annahm. Aueh der etwa dem 12. Jh. angehörende Scholiast

Dalhana kennt diese Theorie, die sich im 16. Jh. der noch jetzt hoch¬

geschätzte Bhävamisra uneingeschränkt zu eigen machte**. Jedenfalls hat

sie mehr für sich als die von Hoebnle*' vorgeschlagene und von Jolly**

übernommene These, der zufolge wir es mit einem bürgerhchen und einem

medizinischen Jahr zu tun hätten ; denn beide Gelehrte bleiben uns eine

Erklärung dafür schuldig, warum dann gerade die Ayruvedins durchweg

nach dem sogenannten bürgerlichen Jahr rechnen. Wäre Hoebnles

Deutung richtig, so würde man zudem erwarten, daß die betreffenden

Autoren, wenn sie den angeblichen Arztekalender schon nicht verwenden,

ihn mindestens nach Art der Susruta-Samhitä gebührend erwähnen.

Eben das ist aber in klassischer Zeit sonst nirgends geschehen; sowohl

Caraka als auch Vägbhata hüllt sich in Schweigen. Erst bei Särügadhara**

und Bhävarniära'" taucht er in leicht abgewandelter Form wieder auf

(Tafel XII c) : mit dem Sommer an der Spitze und mit den aus der griechi¬

schen Astronomie entlehnten Tierkreiszeichen statt der nach den Mond¬

häusern benannten Monate als Äquivalenten. Hinzu kommt, daß die frag¬

liche Jahreseinteüung auch in nichtmedizinischen Quellen begegnet; so

lehren etwa die Jainas, daß sich das Pflanzenwachstum in der Reihenfolge

Frühregenzeit-Regenzeit-Herbst-Winter-Frühhng-Sommer verringere'*.

Wie unter solchen Umständen wohl schwerhch noch von einem „medi¬

zinischen Jahr" die Rede sein kann, so läßt sich auch der Ausdruck

,,bürgerhches Jahr" kaum aufrechterhalten; denn alle Gewährsmänner

gehen darin konform, daß Vorfrühhng, Frühling und Sommer mit dem

,, nördlichen Kurs" der Sonne (in Richtung auf den Wendekreis des Kreb¬

ses) und Regenzeit, Herbst und Winter mit dem ,, südlichen Kurs" der

Sonne (in Richtung auf den Wendekreis des Steinbocks) zusammen¬

fallen'*. Es handelt sich also ganz im Gegenteil um ein astronomisches

Jahr, und das ist auch der Grund, weshalb es mit dem Vorfrühhng und

nicht — wie das eigentliche bürgerliche Jahr — mit dem Frühhng anhebt.

Im übrigen pflegen die ärztlichen Schriftsteller ihre diätetischen Regeln für die einzelnen Jahreszeiten meist in der Reihenfolge Winter-Vorfrüh-

8« Bhpr. I 4.321.

" Suär. S. 35 Anm. Wieso Hoebnle entgegen Suärutas Aussage das soge¬

nannte ,, medizinische" Jahr mit dem Frühhng eüisetzen läßt, bleibt uner¬

findlich.

88 Medicin S. 38.

«» ÖärngS. I 2.24—26.

'» Bhpr. I 4.318—319.

'* Vgl. Schubbing, Die Lehre der Jainas S. 135.

'2 Car. I 6.4; Suär. I 6.7; A§täng. I 3.2 u. 4—5; Bhpr. I 4.322.

(23)

ling-Frühling-Soniiner-Regenzeit-Herbst zu ordnen"; wenn man schon

unbedingt von einem medizinischen Jahr sprechen will, so wäre hier dazu

der passende Ort.

8. Faßt man die Uterarischen Nachrichten über die Anzahl und Anord¬

nung der indischen Jahreszeiten zusammen, so ergibt sich folgendes BUd :

In frühvedischer Zeit, als die arischen Stämme noch im äußersten

Nordwesten des Subkontinents — dem Pandschab — siedelten, kannten

sie nur drei Jahreszeiten : eine Kälte- , eine Wärme- sowie eine Wachstums¬

und Reifeperiode.

Nachdem die Einwanderer dann zur hoch- und spätvedischen Zeit ins

eigentUche Hindustan vorgestoßen waren, unterschieden sie zunächst

fünf Jahreszeiten: Frühhng, Sommer, Regenzeit, Herbst und Winter;

davon währten die vier ersten jeweüs zwei und die letzte vier Monate.

Um aber auch den Winter auf zwei Monate begrenzen zu können, wm-de

schon bald als sechste Jahreszeit noch der Vorfrühhng hinzugefügt. An

dieser Jahresghederung, die in den heihgen Büchern des Brahmanismus

und Hinduismus verankert ist, hat sich grundsätzhch bis auf den heutigen

Tag nichts geändert, obwohl sie klimatisch bloß für den Norden des Lan¬

des zutrifft. Ein deuthch auf Mittehndien zugeschnittenes Kalendarium,

das den Vorfrühling ausläßt und dafür eine Frühregenzeit einschiebt, ist

ledigUch bei einigen Ärzten und bei den Jainas überliefert. Auch die Ent¬

stehung der noch jetzt giütigen Monatsnamen reicht in die spätvedische

Zeit zmück.

Weniger orthodox als in der Frage der Jahreseinteüung dagegen zeigte

man sich in der Frage des Jahresanfangs : Neben dem Frühhng erscheinen

gelegentlich auch andere Jahreszeiten an erster Stelle'*. In diesem Zu¬

sammenhang sei abschheßend noch auf den Rtusamhära hingewiesen, ein

häufig — aber wohl zu Umecht — dem Kähdäsa beigelegtes Kunstge¬

dicht der klassischen Ära, das in sechs Gesängen die sechs Jahreszeiten in

farbenprächtigen Büdern beschreibt und deren Reigen mit dem Sommer

eröffnet'*.

'3 Car. I 6.9—48; Suir. I 6.22—36; Astäng. I 3.7—55; Siddhay. LXXXI

41—59; Cikitsäs. LXXVIII 18—39. Anders Bhpr. 1 4.336—348, wo die Speise¬

vorschriften in der Reihenfolge Regenzeit-Herbst-Winter-Vorfrühling-Früh¬

ling-Sommer aufgeführt werden.

'* Einen Überblick über die Jahresanfänge der wichtigsten Ären, die sich

indirekt mit Sicherheit aus der Umrechnung von indischen Daten in emopä¬

ische Daten ableiten lassen und die der Vollständigkeit halber in unserer Darstellung nioht fehlen sollen, gibt Tafel XIII.

" Das Rtuvarnana des Durlabha, eine Nachahmung des Rtusarnhära, die

KuNJUNNi Raja (ALB XXXIII S. 305ff.) unlängst nach einem auf den

10. Januar 1569 datierten Codex unicus der Anup Sanskrit Library in

Bikaner herausgegeben hat, beginnt demgegenüber mit dem Herbst.

(24)

Die einheitliche Jahresgliederung, die sich üher 2500 Jahre erhalten

hat, wurde nur von den Buddhisten durchbrochen. Diese fühlten sich ver-

ständhcherweise nicht an die Lehren des Veda gebunden und neigten im

allgemeinen dazu, bloß vier Jahreszeiten anzunehmen : Regenzeit, Herbst,

Winter und Sommer. Irgendein mehr oder weniger fester Jahresbeginn,

wie er bei den Hindus mit dem Frühhng eruiert werden konnte, war

ihnen offenbar gänzhch fremd.

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Abbildung

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