der altweltlichen Cameliden
Beiträge zur ältesten Geschichte des zweihöckrigen Kamels^
Von Reinhard Walz, Wiesbaden
Die beiden Formen der Gattung der altweltlichen Camehden, das
zweihöckrige baktrische Kamel oder Trampeltier (Cam.elus bactrianus)
und das einhöckrige arabische Dromedar (Camelus dromedarius) gehören
in weiten Gebieten dreier Kontinente, in den Steppen, Wüsten und Ebe-
nen Asiens, Afrikas, Ost- und Südosteuropas, zu den wichtigsten Haus-
uiid Nutztieren. Ganze Völker, in erster Linie nomadisierende Stämme
und Gruppen, verdanken der Zucht einer der beiden Kamelarten oft¬
mals fast ihre gesamte wirtschafthche Existenz; zumindest wird ihre
ganze Lebensform entscheidend von ihrem Kamelbesitz her geprägt.
Ebenso wurde es diesen Völkerschaften sehr oft allein durch ihre Kamel¬
haltung ermöglicht, daß sie in wirksamer Weise in den Ablauf der Welt¬
geschichte eingreifen konnten.
Angesichts dieser Tatsachen ist es umso erstaunlicher, daß man noch
immer auf die größten Schwierigkeiten stößt, wenn man versuchen will,
die Geschichte der beiden Kamelformen zu rekonstruieren, um sie auf
ihrem Wege durch die Jahrhunderte zu begleiten. Das Gegenteil ist der
Fall bei einer Reihe von anderen Haus- und Wirtschaftstieren, ich denke
etwa an den Hund, das Rind und das Pferd, deren Abstammungsverhält¬
nisse und Geschichte in den letzten Jahrzehnten weitgehend aufgehellt
werden konnten, und über die eine stattliche Zahl wertvoller Unter¬
suchungen und Monographien vorliegen, mögen auch Einzelfragen noch
strittig sein'^. Die Behandlung der Geschichte der Cameliden und ihrer
1 Vortrag, gehalten am XII. Doutschon Orientalistentag 1952 in Bonn.
2 Die Literatur über die Stammes-, Rassen- und Domestikationsgeschichte
der wichtigsten Haus.säugetiere ist so stark angewachsen, besonders auf den
Spezialgebieten der Kynologie, Bovidologio und Hippologie, daß sie kaum
noch allseitig übersehbar ist. Zur ersten Orientierung vgl. die von mir in der
ZDMG 101 (1951), S. 31 Anm. 1 genannton haustiorkundlichen Bücher. —
Zur Ur- und Frühgeschichte des Pferdes vgl. vor allem Popplow, Pferd und
Wagen im AUen Orient, Diss. Berlin 1934; W. Amschlkr, Die ältesten Nach¬
richten über das Hauspferd in Europa und Asien in Forsch, u. Fortschr. 10
(1934), S. 298f.; F. Hanöar, Roß und Reiter im urgeschichtlichen Kaukasien in Jahrbuch f. prähistor. u. ethnograph. Kunst (Ipek) 1935; W. Amschler,
The oldest pedigree cliart in Journal of Heredity 26 (1935), S. 233—238;
Zucht wurde jedoch lange Zeit in ungebührlicher Weise vernachlässigt^, obwohl diese Arbeit doch für die Lösung einer Fülle von Fragen hinsicht¬
lich der kulturgeschichtlichen Entwicklung der Menschheit das stärkste
Interesse beanspruchen darf. Ihre Ergebnisse würden nicht nur die Haus¬
tierforschung, die zoologische Systematik, die Archäologie aller orien¬
talistischen Disziplinen, die Prähistorie, die Universalgeschichte, die
Ethnologie, die Gesellschaftswissenschaft und die Sprachforschung be¬
fruchten, sondern wären in gleicher Weise bedeutsam für eine ganze
Reihe von Einzelwissenschaften, von denen nur die Verkehrs- und Wirt-1
Schaftsgeographie, die regionale Völkerkunde, die Handels- und Trans- {
portgeschichte und die Soziologie des Nomadismus genannt seien.
Erst in den letzten Jahren ist das Kamelproblem ins Blickfeld derl
Wissenschaft getreten, und von den verschiedensten Seiten liegen Bei¬
träge vor, die es seiner Klärung näher zu bringen versuchen-. Uberblickt
O. Antonius, Zur Abstammung des Hauspferdes in Zeitschr. f. Züchtung,
Reihe B, Bd. 34 (1936); W. Amschler, Die ältesten Funde des Hauspferdes in Wiener Beiträge zur Kulturgeschichte und Linguistik IV, 1936, S. 497—516;
(J. Hermes, Das gezähmte Pferd im neolith. u. frühhronzezeitl. Europa? in
Anthropos 30 (1935), S. 803ff. u. 31 (1936) S. llöff.; dies.. Das gezähmte Pferd im Alten Orient?, ehenda 31 (1936), S. 364ff.; dies.. Der Zug des ge¬
zähmten Pferdes dureh Europa, ehenda 32 (1937), S. 105 ff. ; H. A. Potratz,
Das Pferd in der Frühzeit, Rostock 1938; Joseph Wiesner, Fahren und
Beiten in Alteuropa und im Alten Orient, Leipzig 1939 = Der Alte Orient,
Bd. 38, H. 2—4 (orwoiterto Neubearbeitung nach persönL Mitteilung des
Verf. in Vorbereitung) ; B. Lundholm, Abstammung und Domestikation des
Hauspferdes, Uppsala 1947; G. G. Simpson, Horses, New York 1951; auch
W. M. McGovERN, The Early Empires of Central Asia, Chapel Hil], 1939 u.
Matthias Hermanns, Die Nomaden von Tibet, Wien 1949, S. 161—201. —
Angekündigt ist oin Buch von Franz Hanöar über die Entstehung und
Frühentwicklung der Pferdezucht in den letzten drei Jahrtausenden v. Chr.
in dessen Abhandlung „Stand und historische Bedeutung der Pferdezucht
Mittelasiens im ersten Jtsd. v. Chr." in „Kultur und Sprache" = Wiener Beiträge zur Kulturgeschichte und Linguistik, Jg. IX, 1952, S. 466 Anm. 4. — Die Haustierforscher interessieren sich natürlich vor allem für die Erfor¬
schung der geschichtlichen Entwicklung der für den abendländischen Bereich
wichtigsten Wirtschaftstiere, da die Ergebnisse dieser Untersuchungen von
unmittelbarer Bedeutung sind für die Versuche der praktischen Tierzüch¬
tung. Von diesem Gesichtspunkt aus ist es verständlich, daß die Beschäfti¬
gung mit der Systematik, der Biologie und der Geschichte der Nutztiere der
europäischen und amerikanischen Landwirtschaft stets ein starkes Über¬
gewicht hat gegenüber der Bearbeitung der außereuropäischen Haustiere.
' Dazu vgl. Heinz Heck, Kamele in Das Tier und wir, Juli — Sept. 1941,
S. 16f.
2 Ich denke hier vor allem an die folgenden Arbeiten : G . Caton-Thompson^^H The Camel in Dynastie Egypt in Man 34 (1934), S. 21, No. 24; A. E. Robin¬
son, The Camel in Antiquity in Sudan Notes and Records, Vol. XIX, Part I
(1936), S. 47—69; E. Douglas van Buren, The Fauna of Ancient Meso-
man diese neueren Forschungen, dann ist man geneigt, mit vollem Recht
die Behauptung aufzustehen, daß heute die Auseinandersetzung über
die Problematik zur Geschichte der altweltlichen Cameliden geradezu in
der Luft liegt. Es ist zu hoffen, daß die nun endhch begonnene Debatte
nicht wieder abreißt und daß an ihrem Ende ein vorläufig abschUeßendes Resultat sich ergibt. Von einem endgültigen Ausgleich aller kontroversen
Meinungen und Standpunkte sind wir freilich noch weit entfernt. Doch
wäre schon viel erreicht, wenn wir wenigstens zu einer Sammlung und
ZusammensteUung des bis heute vorliegenden Materials, so weit es mit
unserem Problemkreis in Beziehung steht, kommen würden.
Wir werfen zunächst einen kurzen Bhck auf die wichtigsten Fragen,
die uns die Geschichte der Altweltkamelei stellt. Im Vordergrund steht
potamia aa represented in Art = Analecta Orientalia 18, Rom 1939, S. 361'.;
Adolf Staffe, Die Frage der Herkunft des Kamels in Afrika in Zeitachr. f.
Tierzüchtung u. Züchtungabiologie 46 (1940), S. 135—141; Heinz Heck,
Kamele in Daa Tier und wir, Juli—Sept. 1941; Joseph P. Free, Abraham's
Camels in Joumal of Near Eastern Studies 3 (1944), S. 187—193; Julian
Morgenstern, The Ark, the Ephod and the „Tent of Meeting", Cincinnati
1945, S. 103—106, Anm. 174; R. de Vaux in Revue Biblique 56 (1949),
S. 7 ff, ; H. Schiffers in Kosmos 45 (1949), S. 388—394; A. Pohl, Das Kamel in Mesopotamien mOrientalia,'^ . S. 19(1950), S.251—253;B. S. J. Isserlin, On some possible early occurences of tlie camel in Palestine in Pakstine Ex¬
ploration Quarterly 82 (1950), S. 50—53; Naquib George, The Camel in
Ancient Egypt in Tlie British Veterinary Journal, Vol. 106 (1950), No. 2,
S. 76—81; W. Schmidt, Zu den Anfängen der Herdentierzucht in Zeitschr. f.
Ethnologie 76 (1951), S. 28—30; R. Walz, Zum Problem des Zeitpunkts der
Domestikation der altweltl. Cameliden in ZDMG 101 (1951), S. 29—51 (vgl.
auch Anthropos 47 [1952], S. 1031); A. Pohl, Nochmals das Katnel in Meso¬
potamien in Orientalia, N. S. 21 (1952), H. 3, S. 373f.; Siegfried H. Horn, The Camel in the Near East during tlie 3rd and 2nd Millenia B. C, Vortrag, ge¬
halten am 1. April 1952 auf dem 162. Meeting der American Oriental Society in Cambridge/Mass, (erscheint im Journal of the American Oriental Society)', Henri Lhote, Le Cheval et le Chameau dans les peintures et gravures rupestres
du Sahara in Bull, de l'Inst. frauQ. d'Afr. noire XV, 1138—1228 (Herr Dr.
Lhote, Paris, hatte mir bereits am 23. 6. 1952 Teile seines Ms. zugeschickt). —
Eine Arbeit zum Camelidenproblem von Prof. F. E. Zeuner, London, Insti¬
tute of Ai-chaeology , sollte im März 1953 erscheinen ; frdl. Mitteilung von Herm
Doz. Dr. H. R. Roemer, Mainz, vom 20. 1. 53. — Vgl. auch die von mir in
ZDMG 101 (1951), S. 30 Anm. 1 genannten monographischen Kamelarbeiton.
— Zu Albrights Beiträgen zum Camelidenproblem s. u. S. 49 Anm. 1.
1 Die Erhellung der Abstammungsbeziehungen und der Geschichte der
Gattung Lama, der neuweltlichen Kamole (2 Wildarten : Guanaco und Vicuiia ;
2 Domestikationsformen: Llama und Pako oder Alpaca) ist eine Sonder¬
aufgabe, deren Klärung dringend erwünscht wäre, die jedoch im Rahmen
meiner Studien außer Betracht bleibt. Es liegt die Vermutung nahe, daß sich
Untersuchungen auf diesem Gebiet noch größere Schwierigkeiten entgegen¬
stellen werden als auf dem der altweltlichen Cameliden. Vgl. H. Heck, a. a. O., S. 19—27.
naturgemäß das Problem des Zeitpunktes und des Ausgangsgebietes der
Domestikation der altweltlichen Cameliden, also die möghchst exakte
Fixierung des Zeitraumes und des Ortes, in denen die beiden Kamel¬
formen der Alten Welt in den Hausstand übergeführt wurden. Schon
die Beantwortung dieses Problems läßt rein theoretisch mehrere Lö¬
sungsmöglichkeiten offen: Entweder könnte man der Meinung sein, daß
sowohl der Zweihöcker als auch der Einhöcker zu einer ganz bestimmten
Zeit und in einem Gebiet, das eng begrenzt werden muß, domestiziert
wurden, oder es ließ sich die Auffassung vertreten, daß sich die Haus-
tierwerdung jeweils beider Kamelarten zu verschiedenen Zeiten und in
Räumen, die miteinander nicht in Verbindung standen, vollzog. Sodann
ist der weitere Weg der Ausbreitung der Kamele von ihrem jeweiligen
Domestikationszentrum aus zu verfolgen. Sind diese Zentren jedoch
nicht anzugeben, dann ist zu fragen, wann und wo domestizierte Kamele
erstmals in Erscheinung traten. Weitere Sonderfragen fügen sich diesen
allgemeinen Problemen an: Die Frage, welchen Völkern oder Stämmen
die erste Zähmung und Züchtung zu danken ist, ferner das Problem der
Urheimat bzw. des Ursprungsgebietes der Cameliden überhaupt und die
gerade im Hinbhck auf das Domestikationsproblem nicht unwesentliche
Frage nach den Wildkamelen, die zu klären sucht, ob es noch Wildtiere
des ein- und zweihöckrigen Kamels gibt. Schließhch erheischen auch die
im engeren Sinne zoologisch-systematischen und haustierkundlichen
Probleme eine Beantwortung, etwa die der Verwandtschaft zwischen
Kamel und Dromedar und die Möglichkeiten ihrer Kreuzung oder die
Ergründung der Schwierigkeiten und Anforderungen, die Zähmung
und Domestizierung der Kamele steUen. Und endhch wird der gesamte
Fragenkomplex noch weiter kompliziert durch die Mannigfaltigkeit der
Anschauungen, die die Fachleute der verschiedensten Disziplinen ver¬
treten hinsichthch der ersten Einführung des Kamels in die von ihnen
speziell bearbeiteten Gebiete, sei es nun Nordafrika oder Ägypten,
Arabien oder Syrien, das Zweistromland oder Iran, Zentral- und Ost¬
asien oder Indien. Es besteht unter den SpeziaUsten, die die Geschichte
der genannten Räume bearbeiten, durchaus nicht immer eine einheit¬
liche Meinung darüber, von wo aus und wann das Kamel erstmals in die
erwähnten Landschaften eingeführt wurde, vielmehr gehen die Ausein¬
andersetzungen über diese Sonderfragen der Kamelgeschichte noch stän¬
dig weiter.
Vor allem ist es dem amerikanischen Archäologen und Semitisten William
Foxwell Albright zu danken, daß dio inzwischen nou aufgebrochenen
Diskussionen über alle diose Fragen in Gang kamen. Denn er war es, der das
Gespräch anregte und zugleich entscheidend beeinflußte und vorantrieb,
indem er die These aufstellte und mehrmals verteidigte, daß das einhöckrige
Kamel oder Dromedar erstmals um das Jahr 1100 v. Chr. als überraschend
neuer imd wirksamer Faktor in der altorientalischen Geschichte nachweisbar sei^. Und zwar findet er den ersten historisch einwandfrei beglaubigton Beleg
für den Eintritt des Einhöckers in die Geschichte in den Berichten jener
Gideon-Kapitol des alttestamentlichen Richterbuches, in denen bezeugt
wird, daß die Midianiter auf Dromedaren in das palästinische Kulturland
einbrechen^. Diese These schließt nicht aus, wie auch Albright wiederholt be¬
tonte', daß der Einhöcker vielleicht auch einige Jahrhunderte vor dem angege¬
benen Datum hin und wieder sporadisch gezähmt wurde, obwohl über diese
vereinzelten Domestikationsversuche keine klare Beweisführung möglich ist.
Dio Aufstellungen Albrights blieben nicht unwidersprochen ; eine Reihe
von Forschern, aufmerksam geworden auf das Problem, setzte sich dafür ein,
ein höheres Domestikationsalter für das Dromedar nachzuweisen. Ich nenne
hier vor allem die Arbeiten von J. P. Fbee, J. Mobgenstebn, R. de Vaux,
B. S. J. Isseblin, A. Pohl und S. H. Horn, die durch Zusammenstellung
von Materialien aus Ägypten, Syrien—Palästina oder Mesopotamien die
Thesen Albbights zu erschüttern versuchten^. Ich selbst habe dann an Hand
eines umfassenderen Materials, soweit es mir damals zugänglich war und das
Nordafrika und den gesamten Vorderen Orient einbezog, — in ständiger
Auseinandersetzung mit frühor vertretenen Auffassungen und den Publi¬
kationen der genannten Gelehrten — eine Überprüfung der ALBBioHTschen
Thesen vorgenommen und fand sie weitgehend bestätigt. Meine Unter¬
suchungen führten zu dem Ergebnis^, daß die Herausbildung des Dromedar-
nomadentums in die letzte Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends zu datieren ist. Ferner sprach ich die Überzeugung aus, daß dio Domestizie¬
rung des Einhöckers höchstwahrscheinlich im Zentrum der arabischen Halb¬
insel erfolgte und zwar durch arabische Stämme, die damit zu den Schöpfern
der Wirtschaftsform dos kriegerischen Kamelhirtentums wurden, mit der die
Geschichte des Beduinentums anhobt. Und schließlich versuchte ich nach¬
zuweisen, daß die midianitischen Kamel reiterschwärme der frühen palästi¬
nischen Eisenzeit von jenen soziologischen Wandlungen die erste Kunde
bringen, die wir quellenmäßig belogen können. Meine Arbeit behandelte je¬
doch nur das Dromedar, d. Ii. sie stellte die ältesten Belege zusammen, die
aus dem Alten Orient zur Geschichte dieses Tieres vorliegen. Aber bereits
1 Äußerungen Albbights zum Problem der Kameldomestikation : ifrowi the
Stone Age to Christianity, 1. Aufi. 1940, 2. orw. Aufl. Baltimore 1946, S. 107,
bos. S. 120f. u. S. 196 (dt. verb. Ausgabe Bern [u. München] 1949, S. 146,
bes S. 163 ff. u. S. 257, auch S. 285); Arclmeology and the Religion of Israel, 1. Aufi. 1942, 2. Aufl. Baltimore 1946, S. 96 ff. u. S. 132ff. ; Journal of Biblical
Literature 46 (1945), S. 287 f.; Journal of Near Eastern Studies 5 (1946),
S. 25 Anm. 14; The Archaeology of Palestine, 1949, S. 206 f.; Zur Zähmung
des Kamels in ZAW 62 (1950), S. 315; Joumal of the American Oriental
Society, Vol. 60, No. 3, S. 283 Anm. 1. ^ Richter 6—8.
3 W. F. Albbight, From the Stone Age to Christianity, 2. Aufl. Baltimore 1946, S. 120 (dt. Ausg. S. 164); debs, in der Zeitschr. f. d. alttestamentl. Wiss.
62 (1950), S. 315.
1 Die genauen Titel dieser Ärbeiten sind oben S. 46 Änm. 2 verzeichnet.
5 Meine Resultate wurden erstmals vor zwei Jahren auf dem XI. Dt.
Orientalistentag in Marburg vorgetragen und erschienen in ZDMO 101 (1951),
g_ 29 51. Sie sind für das Folgende zu vergleichen, wie auch die einleitenden
Bemerkungen dieses Vortrags dort schon in der damals gebotenen Kürze an¬
gedeutet sind.
4 ZDMG lOI/l
t
50 Reinhard Walz
vor zwei Jahren wies ich daraufhin, daß eine zusammenfassende Material -
sammlimg auch für die Geschichte des Zweihöckers dringendes Erfordernis
sei^. Inzwischen habe ioh selbst diese Aufgabe in Angriff genommen, und der
Schwerpunkt meiner jetzigen Darlegungen liegt in der Entfaltung und
Beschreibung derjenigen Stoffe und Daten, die bisher von mir über die Ge.
schichte des zweihöckrigen Kamels ermittelt werden konnten. Verglichen
mit der Fülle der Quellen über den Einhöcker sind jedoch die Zeugnisse und
Belege zum Domestikationsproblem des baktrischen Kamels viel spärlicher
so daß die Darstellung der Geschichte letzteren Tieres auf viel größere
Schwierigkeiten stößt.
Was nun diese Quellen hinsichtlich des erstmahgen Auftretens des
Zweihöckers betrifft, so ist selbstverständlich, daß auch hier in erster
Linie die Ergebnisse archäologischer Grabungen das entscheidende Wort
zu sprechen haben. Denn die meisten Ausgrabungen legen ja Knochen
von Wild- und Haustieren frei, und es ist heute üblich, dieses osteolo¬
gische Material Eachzoologen, die sich insbesondere mit der Systematik
und Geschichte der Haustiere beschäftigen, zur genauen Beschreibung
und Bestimmung zu überweisen. Damit ist die Gewähr gegeben, daß
eine sichere Identifizierung auch des kleinsten gefundenen Knochenrestes
mittels der neuesten Untersuchungsmethoden vorgenommen werden
kann. Leider ist jedoch die archäologische Ausbeute für das Zweihöcker,
problem noch immer sehr gering, was einmal mit der im Vergleich mit
dem Alten Orient nur mangelhaften Durchforschung jener Gebiete zu¬
sammenhängt, in denen die erste Domestikation des Kamels vermutet
werden muß, zum andern aber der materielle Besitz der ersten Kamel¬
halter und -Züchter, sollte es sich um nomadische Gruppen und Stämme
handeln, archäologisch nur in den seltensten Fällen überhaupt faßbar wird.
Denn in der Nomadenkultur, zumal in frühgeschichtlicher Zeit, wurden ja
im Zusammenhang mit der Tierzähmung oder als ihr Produkt meist nur (
organische Stoffe (Leder, Wolle, Pelz, Haar, Horn, Holz) verarbeitet, die ]
heute im Boden längst zerfallen sind^. Aus diesem Grunde ist die Arbeit]
1 ZDMO 101 (1951), S. 51 Anm. 3.
2 Vgl. dazu — im Hinblick auf die Geschichte der Pferdezucht, die mit
denselben Schwierigkeiten zu rechnen hat — Johann Alb. Potratz, Dar
Pferdetext aus dem Keilschrift-Archiv von Bogazköy, Leipzig, Phil. -Diss. 1938, S. 25f. u. 56f. Auch F. Flor in Wiener Beitr. zur Kulturgesch. u. Linguistik I,
1930, S. 219, macht im Blick auf die Archäologie Sibiriens und Rußlands
darauf aufmerksam, daß „der Dünensand fast sämtliche osteologischen
Belege für die mutmaßliche Anwesenheit von Haustieren zerstörte", u,
ebenso O. Menghin, Weltgeschichte der Steinzeit, Wien 1931, S. 316 u. 326,
wobei jedoch hinsichtlich der Behauptung Flors entschieden festgestellt
werden muß, daß nicht der Dünensand notwendig die osteolog. Belege zer¬
stört, sondern die starke Erosion in Innerasien, die den Sand vorblasen und damit die Kulturschichten freigelegt hat, was in den meisten Fällen zur Zer¬
störung der Knochenreste führte. Erst seit der Metallzeit sind Geräte, die für die Domestikation gebraucht werden, archäologisch allgemein nachweisbar.
Ik
an unserem Fragenkomplex sehr erschwert, und wir sind weitgehend auf
die literarischen Nachrichten — historische oder rehgiöse Texte — der
Hochkulturvölker, die das vermuthche Domestikationszentrum umgren¬
zen, angewiesen und haben zu fragen, wann in den schrifthchen Zeug¬
nissen der Randvölker der Nomaden das Kamel erstmals auftaucht.
Textliche Dokumente, vor allem historischer Art, bilden also unsere
zweite wichtige Quelle. Dazu kommen dann im günstigsten Falle noch
inschrifthche Materialien und Belege aus dem Bereich der künstlerischen
Produktion. — Eingeklammert werden muß für diesen Teil meiner
Arbeit aUerdings die Linguistik, die ich noch heranzuziehen in der Lage
war, solange sich meine Untersuchungen innerhalb des semitischen
Sprachraumes bewegten. Jedoch wage ich es nicht, über die Etymologie
und die Herkunft der Kamelbezeichnungen in den zentral- und ostasi¬
atischen Sprachen ein fachkundiges UrteU abzugeben.
Um wenigstens einen kleinen Eindruck davon zu geben, wie groß die Rat¬
losigkeit ist, die in der Darstellung der Geschichte des Zweihöckers noch
immer herrscht und wie weit die Auffassungen in dieser Hinsicht auseinander¬
gehen, selbst wenn man diese Geschichte nur in ganz großen Umrißlinien
nachzuzeichnen .sucht, stelle ich die Theorien nebeneinander, die in den drei
letzten größeren Lehrbüchern zur Haustiergeschichte vorgetragen werden :
Zunächst Otto Antonius in den „Grundzügen einer Stammesgeschichte der
Haustiere"^. Er weist darauf hin, daß das zweihöckrige Kamel domestiziert
im Zweistromland erst kurz vor 1000 v. Chr. nachweisbar sei. Damit ist
sichergesteUt, daß das baktrische Kamel im letzten Jahrtausend v. Chr.
bereits Haustier war. Besonders geschätzt war es bei den Iraniern. Waim
diese es übernommen oder selbst domestiziert haben, wissen wir nicht. Das
war aber vielleicht nicht vor der Abwanderung der arischen Inder der Fall,
denn diese bringen es nicht mit nach Indien. Demzufolge ist das Bekannt¬
werden des Tieres bzw. seine Domestikation in Iran nach 1500 v. Chr. an¬
zusetzen. Aber es läßt sich eben noch nicht feststellen, ob die Iranier es im
eigenen Lande in den Haustierstand übergeführt haben oder ob es von
Norden her als zahmes Tier eingeführt wurde. JedenfaUs spricht gegen die
Übernahme des Kamels von Turkvölkern die in den beiden Sprachgruppen,
der türkischen und der indogermanischen, verschiedene Bezeichnung des
Tieres. Nach Antonius ist also die Domestikation der zweihöckrigen Kamel¬
form weder räumlich noch zeitlich genauer festzusetzen. — Zwei Jahre
später schreibt dann F. P. Stegmann von Pritzwald in seiner „Rassen-
gcschichte der WirtscJiaftstiere"^: Das Trampeltier scheint wesentlich später
als das Dromedar Haustier geworden zu sein. In assyrischen Reliefs tritt es
erst im 9. Jahrhundert v. Chr. auf. Erstmals nachweisbar ist es in Meso¬
potamien inschriftlich um 1000 v. Chr. Aller Wahrscheinlichkeit nach aber
ist das baktrische Kamel von europäischen Völkern domestiziert, die über
den Kaukasus nach Asien vordringend im Kampf mit semitischen Völkern
' Otto Antonius, Grundzüge einer Stammesgeschichte der Haustiere, Jena
1922, S. 311—312. 2 Y. P. Stegmann von Pritzwald, Die Rassen¬
geschichte der WirtscJiaftstiere und ihre Bedeutung für die Geschichte der
Menschheit, Jena 1924, S. 259—267, auch S. 317ff.
4 *
das Dromedar kennenlernten. Als sie dann, sich langsam über das iranisch©
Hochland vorschiebend, das Land um den Aralsee weiter ostwärts in Besitz
nahmen, zähmten sie auch das dortige Wildkamel. Von den Massageten
erhielten dann die Ostmongolen das Hauskamel. Sie erkannten seine große
Bedeutung und führten es dann auf ihren Angriffszügen gegen Westasien und
Europa mit. Der Zweihöcker ist somit die Leitrasse der Ostmongolen. Nach
Stegmann von Pritzwald gelangte also die Kenntnis von der Nutzbarkeit
des einhöckrigen Kamels als Reittier von „Ariern" und Hethitern zu den
Persern und Massageten und veranlaßte die Zähmung des Trampeltieres bei
den aus Europa zugewanderten Steppenvölkern nördlich des iranischen
Hochlandes. — Wiederum zwei Jahre später führt dann Max Hilzheimer
in seiner „Natürlichen Rassengeschichte der Haussäugetiere"^ aus: Man könnte rein historisch das Trampeltier als Zuchtform des Dromedars ansehen, welche
bei ihrem Vorrücken nach Norden größer und schwerer geworden sei und
bei der infolge der Domestikation die beiden Höckeranlagen sich nicht mehr
vereinigten, sondern getrennt blieben. Ihre heutigen zentralasiatischen Wohn¬
plätze aber hätte sie erst in verhältnismäßig später Zeit erreicht. So würde es sich dann erklären, daß die zu den verschiedensten Zeiten aus Zentralasien
nach Europa vorbrechenden Wandorvölker, die Hunnen, Awaren, Bulgaren,
Mongolen, niemals im Besitze von Kamelen erschienen sind. Im Zweistrom¬
land finden sich Trampeltiere zuerst zur Zeit Tiglat-Pilesers I. erwähnt, so daß man wohl annehmen könnte, in dieser Zeit habe sich hier das Trampeltier
aus dem Dromedar entwickelt. Selbstverständlich kann man auch ebensogut
annehmen, daß das Trampeltier damals von Norden eingeführt sei. —
Diese Beispiele mögen genügen. Ich verzichte auf eine Korrektur der
mannigfachen sachlichen Fehler, auch der Geschichtskonstruktionen, die
hinter den referierten Auffassungen stehen. Denn die Zitate sollen nur die
ganze Unsicherheit der genannten Autoren verdeutlichen, die sich an das
ihnen nur mangelhaft bekannte Material zur Geschichte des Zweihöckers
klammern und es dazu benutzen, um daraus einige Hypothesen abzuleiten,
dio weithin im luftleeren Raum hängen und nur als tastende Versuche zur
Lösung des Kamelrätsels gewertet werden können. Und es ist überflüssig zu
betonen, daß sich die Theorien noch reichlich vervielfältigen ließen, wenn
man die gesamte haustierkundliche und kulturhistorische Literatur, die auf
unser Thema eingeht, heranzieht. Der Überblick zeigt zugleich die Not¬
wendigkeit, nun endlich das Stadium der Hypothesenbildung zu überwinden,
um aUein das wirklich tragfähige Material sprechen zu lassen. Sollte sich
jedoch ergeben, daß sich zum jetzigen Zeitpunkt die vorhandenen Daten
noch nioht zu einem abgerundeten Gesamtbild zusammenschließen, dann
sollte man das offen zugeben und auf alle weiteren Konstruktionen ent¬
schlossen verzichten.
Das Entstehungsgebiet und die Urheimat der Camelidae^ sind
eindeutig im westhchen Nordamerika zu lokalisieren. Das beweisen die
1 Max Hilzheimer, Natürliche Rassengeschichte der Hamsäugetiere, Berlin u. Leipzig 1926, S. 217—219.
^ Zur folgenden Frage des Ursprungs und der Stamme.sgesohichto der
Cameliden, die hier nur in ganz groben Umrissen angedeutet werden kann,
vgl. Max Weber-Othenio Abel, Die Säugetiere, 2. Aufl., Bd. 2, Jena 1928,
S. 555—562 u. W. D. Matthew, Art. „Tylopoda" in der Encyclopaedia
Britannica, 16. Aufl., Vol. 22, Chicago-London-Toronto 1948, S. 641 f., aber
zahlreichen FossUfunde aus diesem Räume, die es ermöghchen, eine
lückenlose Stammtafel der Camelidenfamilie zu entwerfen, an der die
emzelnen Entwicklungsstufen einwandfrei abgelesen werden können.
Die Ergebnisse der Paläontologie steUen an die Spitze der Ahnenreihe
der Kamele als ältesten Vertreter den Protylopus, der bis ins alttertiäre
Obereozän zurückverfolgt werden kann ; er besaß die Größe eines Feld¬
hasen. Die nächste Stufe repräsentiert dann im Oligozän, also ebenfalls
noch ins Alttertiär gehörend, Poebrotherium, das schon Schafgröße er¬
reichte. Im mittleren Miozän folgt Protolabis, im Obermiozän und Plio¬
zän Procamelus, der bereits eine Anzahl wohldifferenzierter Arten her¬
vorbringt. Protolabis und Procamelus müssen als direkte Ahnen der alt-
und neuwcltlichen Cameliden, also der Gattungen Kamel und Lama,
angesehen werden. Die Aufspaltung des Kamelstammes in diese Gat¬
tungen erfolgte im Miozän; im Pliozän wandern sie nach Asien bzw.
Südamerika ab, womit die diskontinuierliche Verbreitung der Cameliden
verständlich wird. Die nordamerikanischen Arten erlöschen bereits im
DUuvium. Die älteste asiatische Kamelform ist Camelus sivalensis, nach¬
gewiesen bei den Überresten der unterpliozänen Fauna der Siwalikhügel
Vorderindiens nahe dem Himalaya. Ob diese Form bereits zum Haupt¬
stamm des Zweihöckers gerechnet werden kann, oder ob sie Bindeghed
ist zwischen Procamelus und den beiden Zweigen Trampeltier und Dro¬
medar, ist fraghch^. Unzweifelhaft ist jedoch, daß dann im Pleistozän
Kamele, die dem rezenten Zweihöcker nahestehen, schon in weiträumiger
Verbreitung in Eurasien gelebt haben. Ihr Lebensraum reicht vom
Merycotherium Sibiriens- im Nordosten über Paracamelus von Chou-
K'ou-tien in Nordchina*, der zur gleichen Zeit wie der Sinanthropus
auch Ivo Droandi, II Cammello, Firenze 1936, S. 17—25, wo die paläonto¬
logischen Funde mit Angabe der Erstpublikation zusammengestellt sind;
A. E. Robinson, The Camel in Antiquity in Sudan Notes and Records,
Vol. XIX (1936), Part. I, S. 49f. (mit Literatur) u. Ernst Mabcus, Tier¬
geographie in Handbuch der geograph. Wissenschaft, 1. Bd., 2. Teil, Potsdam 1933—37, S. 153.
1 Als Beispiele für die divergierenden Auffassungen über die Form C. siva¬
lensis nenne ioh nur: J. U. Dueest in Explorations in Turkestan, Vol. II,
Washington 1908, S. 384; O. Antonius, a. a. O., S. 305 f.; A. E. Robinson, a. a. O., S. 50 u. W. D. Matthew, a. a. O., S. 642 (Bindeglied zwischen den Einwanderern und den beiden rezenten Arten) ; M. Wilckens — J. U. Dueest,
Grundziige der Naturgesch. der Haustiere, 2. Aufl., Leipzig 1905, S. 164;
I. Dboandi, a. a. O., S. 17 f. (zum Hauptstamm des Trampeltiers gehörig);
Max Hilzheimeb in Zoolog. Annalen, Bd. 5 (1913), S. 250; dees, in Bbehms
Tierleben, 4. Aufl., Bd. 13, Lpz. u. Wien 1916, S. 48 (dem Dromedar näher¬
stehend); Webeb-Abel, a. a. 0., S. 560 (ausgestorbener Seitenzweig der
Cameliden). ^ A. E. Robinson, a. a. O., u. I. Deoandi, a. a. O., S. 17.
ä Darüber zuletzt Ed. H. Schäfer in Sinologica, Vol. 2 (1950), S. 173, mit weiterer Literatur.
lebte, und über die Kamelfossilien aus einer jungpaläolithischen Schicht
von Sjara Osso Gol in der Ordossteppei bis zu Camelus KnoblocM bei
Sarepta an der unteren Wolga^ und C. alutensis bei Bukarest in Rumä¬
nien^ im Südwesten.
Somit sind also Fragmente von Kamelen, die als unmittelbare Ahnen
oder doch als sehr nahestehende Verwandte* der heutigen zweihöckrigen
Kamelart angesprochen werden müssen, bereits im Diluvium über ein
Gebiet verstreut, das sich mit der heutigen Verbreitungszone des
Zweihöckers im allgemeinen deckt, die sich ja ebenfalls von Südost¬
sibirien und der Mandschurei über Nordchina, die Mongolei nördlich
an Tibet vorbei durch Chines.- und Russ. Turkestan, Afghanistan, Nord-
pcrsien, die turanischen und kirgisischen Steppen und die Kaspische
Senke bis nach Kleinasien, zur Krim und in die pontischen Steppen Süd¬
rußlands erstreckt^, also meist zwischen dem 40. und 50. Breitengrad
durch Ost- und Mittelasien läuft*. Nur in den transbaikalischen Steppen
1 A. E. Robinson, a. a. O., u. Ed. H. Schäfer, a. a. O.
2 A. Nehbing, Über einen fossilen KamelscMdel (C. Knohl.) von Sarepta
an der Wolga in den Sitzungsberichten der Gesellschaft naturforsch. Freunde zu Berlin, 1901, S. 137—144; debs.. Ein fossiles Kamel aus Südrußland, nebst Bemerkungen über die Heimat der Kamele in Globus, 80. Bd. (1901), S. 188f.
ä Dazu vgl. Gb. Stefanescu, Le chameau fossile de Roumanie in Anuarulu Museului de Geologia si de Palaeontologia 1894, Bucuresci 1895; debs., Camila fossila disc Rumania, ebenda 1896; zu C. Knohl. u. C. alut. vgl. auch A. Neh¬
bing, Fossile. Kamele aus Rumänien und der pleistozänen Steppenzeit Mittel¬
europas in Globus, 79. Bd. (1901), S. 264—267; Wilh. Leche in Sven Hedin, Scientific Results of a Journey in Central Asia 1899—1902, Vol. XI, Part I :
„Zoologie", Stockholm 1904, S. 59—61; O. Antonius, a. a. O., S. 306. — Die
Streitfrage, of C. Knobl. mit dem Trampeltier näher verwandt ist (so Neh-
Emo u. Antonius), während C. alut. stärker nach dem Formkreis des
Dromedars hinneigt (so Hilzheimer u. Antonius), ist nicht klar zu ent¬
scheiden, zumal beide Fossilformen auoh Züge mit dem rezenten Wildkamel
gemeinsam haben (Leche, a. a. O., S. 59f.). — Auoh aus dem Pleistozän
Transkaukasiens haben wir nun Kamelfossilien, s. u. S. 78 Anm. 3.
* Nach Hilzheimeb, Natürl. Rassengesch. d. Haussäugetiere, Berlin u. Lpz.
1926, S. 216, muß es offen bleiben, ob eine der diluvialen Arten dieunmittel-
bare Stammquelle der zahmen Kamele geworden ist; Ed. H. Schafee hin¬
gegen hält sie für nahe Verwandte der heutigen wilden und domestizierten Zweihöcker, a. a. O., S. 166.
5 Zur heutigen Verbreitung des Zweihöckers vgl. bes. ausführlich Carl
Rittee, Die geographische Verbreitung des Kamels in der Alten Welt in Die
Erdkunde, Teil XIII, Bd. VIII, 1. Abt., 2. Ausg., Berl. 1847, S. 653—696 und
Otto Lehmann, Das Kamel, seine geogr. Verbreitung u. die Bedingungen
seines Vorkommes in Zeitschr. f. wissenschaftl. Geographie VIII (1891),
S. 138—141 mit der Übersichtskarte Taf. 5 hinter S. 210; auch die Ver¬
breitungskarte bei H. Schiffees, Kamele in Kosmos 45 (1949) S. 390; ferner :
Ed. H. Schafee. a. a. 0„ S. 166.
« O. Lehmann, a. a. 0., S. 139f.
züchten die Burjaten die nördlichsten Kamele bis zum 56. Breitengrad^ ;
über den 60. Grad kommt es also nicht hinaus^. Deshalb ist es fraghch,
ob die neuerdings in Jakutien eingeführte Kamelzucht* auf die Dauer zu
halten ist.
Denn der Verbreitung des Trampeltieres werden ganz bestimmte
Grenzen gesetzt durch drei Faktoren*, die für seine Biologie von ent¬
scheidender Bedeutung sind : Einmal durch die zur Verfügung stehenden
Futterpflanzen ; das Kamel ist abhängig von den Salzpflanzen der Step¬
pen und Wüstensteppen^. Sodann ist die Temperatur von ausschlag¬
gebender Bedeutung ; das Tier verträgt keine gleichmäßig warme Tempe¬
ratur, hingegen wird es durch große klimatische Schwankungen nicht
beeinträchtigt : schärfste Kälte und größte Hitze vermag es in gleicher
Weise auszuhalten®. Im Winter wird es durch dichtes und zottiges Winter¬
haar von tief brauner Färbung' und eine langhaarige Mähne an der Unter¬
seite des Halses vor dem Kälteeinfluß geschützt*; im Sommer jedoch
wirft es diese Behaarung ab, so daß es fast nackt erscheint^. Der dritte
und wichtigste Faktor jedoch, der die Lebensfähigkeit des Zweihöckers
bestimmt, ist die absolute Luftfeuchtigkeit ; wo der in der Luft enthaltene
Wasserdampf im Monatsmittel eine Spannkraft von mehr als 11—^12 mm
erreicht, kann kein Kamel mehr existieren^**. Da nun die Lufttrockenheit im Winter und Frühjahr in Zentralasien besonders groß ist, ist der Winter
1 C. Ritter, a. a. O., S. 662f.; O. Lehmann, a. a. O., S. 132 u. 139; auch Ed. Hahn, Die Haustiere und ihre Beziehungen zur Wirtschaft des Menschen,
Lpz. 1896, S. 235; M. Hilzheimer in Brehms Tierleben, 4. Aufl., 13. Bd.,
Lpz. u. Wien 1916, S. 57 f.
2 C. Ritter, a. a. O., S. 667; Einführungsversuche über den 60. Grad
mißlangen.
' H. Anger, Nordasien. A. Sibirien in Handb. d. geogr. Wiss., 5. Bd.,
Potsdam 1937, S. 196: Kamele als Transporttiere in Jakutien. — Schon
früher scheiterten russische Einführungsversuche im Gebiet zwischen Jakutsk und Ochotsk, vgl. Ed. Hahn, a. a. O. S. 235 (mit Lit.).
^ O. Lehmann, a. a. O., S. llOff. u. M. Hilzheimer, a. a. O., S. 48 f.
5 O. Lehmann, a. a. O., S. 110—114; Ernst Marcus, Tiergeographie in
Handb. der geogr. Wiss., 1. Bd., 2. TeU, Potsdam 1937—37, S. 84.
6 O. Lehmann, a. a. O., S. 116ff.; Heinz Heck, Kamele in Das Tier und
wir, Juli—Sept. 1941, S. 15.
' Hilzheimer, a. a. O., S. 57; allgemein bedingt die Domestikation eine
starke Veränderung der Haarfarbe, jedoch die Zweihöcker haben vorwiegend
ihre Wildfarbe mit einigen unwesentlichen Schattierungen dmch Dimkelimg
oder Aufhellung erhalten, F. P. Stegmann von Pritzwald, a. a. O., S. 20ff.
u. S. 262; O. Antonius, a. a. O., S. 73.
8 O. Lehmann, a. a. O., S. 104 u. 132; H. Heck, a. a. 0., S. 15; Konead Bouterwek, Asien als Erdteil in Handb. der geogr. Wiss., 5. Bd., 1937, S. 83.
" Lehmann, a. a. O., S. 104 u. 121; Heck, a. a. O., S. 15.
"Lehmann, a.a.O., S. 121 ff., bes. S. 123 u. 133; E. Marcus, o. a. 0., S. 84;
Heck, a. a. O., S. 14; Schiffers, a. a. 0., 8. 390.
die eigentHclie Arbeitszeit des Zweihöckers; dann ziehen die großen
Karawanen von Peking und Kaigan über che Wüste Gobi nach Kiachta*.
Der Zweihöcker trägt 220—270 kg täglich 30—40 km, ein Reiter mit
120 kg Gepäck kann am Tage im Trab sogar 80—100 km zurücklegen-.
Nur alle ö —8 Tage muß das Kamel getränkt werden und braucht es
einen Ruhetag*. Den genannten Weg über die Gobi legt es sogar in un¬
unterbrochenem Marsche in einem Monat zurück; erst dann wird dem
Tier eine Pause von 1—2 Wochen gegönnt, um es für den Rückweg zu
kräftigen*. Daß das Kamel Gebirge bis zu 4000 m Höhe erklimmt, ist
keine Seltenheit^. AUe diese Leistungen vollbringt es jedoch nur in der
6—7 Monate währenden winterlichen Transpoi-tzeit® ; im Sommer hin¬
gegen läßt man es frei in den Steppen weiden'; dann füllen sich die Hök-
ker wieder mit Fett, und von dieser natürlichen Fettreserve kann dann
das Tier zehren, wenn auf seinen Reisen Hungerperioden eintreten*.
Diese kurzen Bemerkungen zur Biologie des Zweihöckers dürften
genügen, um verständhch zu machen, daß das baktrische Kamel als das
Lasttier par exceUence im Dienste des Karawanenverkehrs für den inner¬
asiatischen Handel und Warenaustausch unentbehrhch ist^. Zudem lie¬
fert es dem Haushalt der türkischen und mongolischen Nomadenvölker
Müch,Fleisch und WoUe, die zu Filz verarbeitet wird, aus dem Kleidung,
Zelttücher und Decken gefertigt werden.Eine geschichtlich bedeutsame
RoUe im eigentlichen Sinne hat jedoch das Kamel im Gegensatz zum
Dromedar nie gespielt**, weil seine Züchter gleichzeitig über eine ausge-
1 Lehmann, o. a. O., S. 131; Heck, a. a. O., S. 10.
" Hilzheimer, a. a. 0., S. 59; Heck, a. a. O.
3 Hilzheimer, a. a.O.; Heck, a. a.O. * Hilzheimer, u. Heck, a. a. O.
5 Lehmann, a. a. O., S. 116; Hilzheimer, o. a. O., S. 60.
' Hilzheimer, a. a. 0., S. 59; Heck, a. a. O., S. 10.
' Lehmann, a. a. O., S. 105; nach der Winterarbeit folgt eine Erholungs¬
zeit von mehreren Monaten.
* So Siegfried Passarge, Geogr. Völkerkunde, Bd. 5: Asien, Frankfurt
1938, S. 70. Der Höcker als Fettsammelstelle und Nahrungsreservoir, das
seine Größe im Jahreslauf wechselt: Hilzheimer, a. a. O., S. 58; ders.,
Natürl. Rassengeschichte der Haussäugetiere, 1926, S. 162 u. 217, ebenso
Stegmann von Pritzwald, a. a. O., S. 20 u. W. Schmidt, Zeitschr. f. Ethno¬
logie 76 (1951), S. 29.
* Hugo Hassinger, Verkehrsgeogra/phie in Handb. d. geogr. Wiss., 1. Bd., 2. Teil, Potsdam 1933—37, S. 463; O. Lehmann, a. a. 0., S. 104; Stegmann V. Pritzwald, a. a. O., S. 263.
1" O. Lehmann, a. a. O., S. 107 ff.; Stegmann von Pritzwald, a. a. O., S. 266; H. Hassinger, Wirtschaftsgeographie, a. a. O., S. 327.
11 Ed. Hahn, Die Hirtenvölker in Asien und Afrika in Geogr. Zeitschr. 19
(1913), S. 376: ders. in Max Eberts Reallexikon der Vorgeschichte, s. v.
„Kamer, Bd. VI (1926), S. 196 u. 197. — Zum Folgenden vgl. Peter Bensch,
Die Entwicklung des Nomadentums in Afrika, Phil. -Diss. Göttingen 1949
zeichnete Pferdehaltung verfügen, die sie für ihre großräumigen mili¬
tärischen Aktionen einsetzen. Denn an Schnelhgkeit ist der — ver¬
glichen mit dem Einhöcker viel schwerfälhgere und plumper und an
Gestalt größere und massigere* — Zweihöcker dem Pferd erhebhch unter¬
legen, sodaß er nie ausgesprochenes Reittier wurde^. Auch durch diese
Tatsache wird die im Blick auf das Kamel dürftige historische Überlie¬
ferung mitbedingt sein, zumal es dazu noch in Gebieten lebte, die weit
ab von den Zentren weltgeschichtlich entscheidenden Geschehens lagen.
Kurzum, der Überbhck über die Funde fossiler Kamelreste, und zwar
solcher Fragmente, die mit ziemlicher Sicherheit als zu Kamelarten
gehörig angesprochen werden konnten, die mit dem rezenten Trampeltier
m mehr oder weniger loser verwandtschaftlicher Beziehung stehen, hat
gezeigt, daß bereits im Pleistozän die Vorfahren des Zweihöckers in den¬
selben Räumen beheimatet waren, die auch heute noch das Verbreitungs¬
gebiet des Kamels bezeichnen*. Diese Tatsache kann uns jedoch in keiner
Weise weiterhelfen, wenn wir nach dem Domestikationszeitpunkt des
Kamels fragen, denn einmal fehlen uns die Zwischenglieder, die allein
exakt beweisen könnten, daß die heutige Zweihöckerform von diesen
fossilen Kamelen abstammt, zum andern ist zu bedenken, daß die heute
domestizierte Kamelart in eine Reihe von Rassen zerfällt*, für die nicht
auszumachen ist, welche sich früher imd welche sich später herausge¬
bildet haben und ob überhaupt eine gemeinsame Ursprungsform für alle
gezähmten Rassen anzunehmen ist. Die ausgedehnte Verbreitungszone
(Masch.-Sehr.), S. 26: Das Trampeltier ist dem Dromedar imd Pferd als Reit¬
tier unterlegen und wird deshalb zum Reiten wenig benutzt ; sein Verbrei¬
tungsgebiet ist nicht so beschaffen, daß die Erschließung weiter Räume ohne seine Hilfe beinahe unmöglich ist ; sein Zuchtgebiet deckt sich mit dem Zen¬
trum der Pferdezucht, das zu ersetzen es von Anfang an keine Aussicht hatte.
* Vgl. z. B. M. Hilzheimeb in Bbehms Tierkben, 4. Aufl., 13. Bd., Lpz.
u. Wien 1916, S. 57.
2 C. Rittee a. a. O., S. 667; O. Lehmann, a. a. O., 8. 106; W. Schmidt, a. a. O., 8. 29.
3 Ebenso Ed. H. Schafee in Sinologica, Vol. 2 (1950), S. 167 u. 173.
* M. Wilcken ■— J. U. Dueest, Grundzüge der Naturgeschichte der Haus¬
tiere, 2. Aufl., Lpz. 1905, S. 167; eine Aufzählung der verschiedenen Zwei¬
höckerrassen bei E. Plassio, II cammello, Milano 1912, S. 149—153, über¬
nommen von Ivo Dboandi, a. a. O., S. 350—354; Lehmann, a. a. O., S. 104,
nennt verschiedene Lokalschläge, die er nach dem Aussehen unterscheidet
und betont zugleich, daß es nicht so viele Kamel- wie Dromedarrassen gibt,
weil die Kamelzucht nur ein starkes, ausdauerndes Tier zum Lastentragen
will, während Dromedare für die verschiedensten Verwendungszwecke ge¬
züchtet werden, die beim Trampeltier entfallen. Eurasische Trampeltier-
Lokalformen erwähnen auoh F. P. Stegmann von Peitzwald, a. a. O-,
S. 259, u. Heney H. Howobth, History of tlie Mongols, Part IV, London
1927, S. 64.
läßt durchaus die Möglichkeit offen, daß in den jeweiligen Landschaften
lokale Sonderfornien von Wildkanielen entstanden, die dann zu ganz
verschiedenen Zeiten und unabhängig voneinander in den Hausstand,
übergeführt wurden*.
Verfehlt ist auch der Versuch — darauf sei im Vorübergehen verwiesen
der Lösimg des Domestikationsproblems näher zu kommen durch die Be¬
hauptung der Arteinheit von Kamel und Dromedar, d. h. durch die Annahme, beide Formen seien nur die nördliche bzw. südliche Variante einer einzigen
Art und die Zähmung einer dieser Spielarten habe die Haustierwerdung der
anderen unmittelbar ausgelöst. So hat man wiederholt geglaubt, das Drome¬
dar als Zuchtform des Zweihöckers verstehen zu können, und besonders
Ed. Hahn verfocht diese Auffassung leidenschaftlich^. Andererseits zieht
— wie wir sahen' — M. Hilzheimer die These in Erwägung, die behauptet,
das Trampeltier habe sich aus dem immer weiter nach Norden vorgedrungenen Dromedar entwickelt und sei vielleicht als dessen Zuchtvariante aufzufassen*.
Gewiß würde uns diese Hypothese insofern weiterhelfen, als uns mit ihr ein
Fixpunkt zur Bestimmung des Domestikation.salters des Kamels gegeben
würde. Denn ließe sich ihr Wahrheitsgehalt erweisen, dann wäre natürlich
auf jeden Fall die Domestikation des Zweihöckers später als die des Drome¬
dars erfolgt. Mit der Ermittlung des Domestikationszeitpunktes des Ein¬
höckers hätten wir also zugleich den Ausgangspunkt für die nähere Unter¬
suchung der Frage der Entstehung der Kamelzucht. Zur Stützung der Be¬
hauptung der Arteinheit von Kamel und Dromedar hat man die Feststellung
herangezogen, daß beim Dromedarembryo Ansätze zur Ausbildung zweier
Höcker wahrnehmbar seien'. Weiterhin beruft man sich auf die Tatsache
der Möglichkeit der Kreuzung zwischen Kamel und Dromedar. Denn im
Überschneidungsraum der Zuchtgebiete beider Kamelformen, also in Klein-
1 Diese wichtige Erkenntnis streift schon Stegmann von Pritzwald,
wenn er a. a. O., S. 259 u. 262 vermutet, daß sich von den verschiedenen
ursprünglichen Lokalformen des Zweihöckers eine als Wildform erhielt, von
der aber nicht das heutige domestizierte Kamel abzuleiten sei, das vielmehr
auf eine andere — heute ausgestorbene — turkestanische Wildform zurück¬
gehe (S. 265). — Für fast alle Haustiere gibt es mehrere Domestikations¬
zentren, Wilh. Brandenstein in Wiener Beitr. zur Kulturgesch. u. Linguistik IV (1936), S. 276 Anm. 14.
2 Ed. Hahn, Die Haustiere und ihre Beziehungen zur Wirtschaft des Men-
scÄen, Lpz. 1896, S. 220ff. ; ders. inGeogr. Zeitschr. 19(1913), S. 372; ders. in
Beallexikon d. Vorgesch., Bd. VI, (1926), S. 196. — Der Einfluß Hahns ist
bis heute spürbar, werden doch seine irrigen Aufstellungen noch immer
tradiert und diskutiert in den meisten Publikationen zur Kamelkunde 3 S. o. S. 52.
* M. Hilzheimer, Natürl. Rassengesch. d. Haussäugetiere, Bln. u. Lpz.
1926, S. 216ff. — In früheren Arbeiten tritt Hilzheimer klar für die artliche
Trennung zwischen Ein- und Zweihöcker ein: Überblick über die Gesch. der
Haustierforschung in Zoolog. Annalen V (1913), S. 248—251; Kamelfragen in
Naturwiss. Wochenschrift, N. F., 15. Bd. (1916), S. 461, u. in Brehms Tier- leben, 4. Aufl., 13. Bd., Lpz. u. Wien 1916, S. 47f.
s Luigi Lombardini, Sui cammelli, Ricerche, Pisa 1879; darüber referieren
ausführlich die Arbeiten von Hilzheimer und Antonius.
asicn, in Südrußland, am Asowschen Meer, in der Kaspi-Senke, bei Kirgisen
und einigen unabhängigen tatarischen Stämmen, ostwärts bis in die Kal¬
mückensteppen, ferner in Nordsyrien, Nordpersien und Nordindien^ sind
Kreuzungen üblich, imd neuerdings konnte die unbeschränkte Fruchtbarkeit
der Mischlinge untereinander sicher nachgewiesen werden^. Jedoch beide
genannten Kriterien, embryonale Zweihöckrigkeit des Dromedars und un¬
begrenzte Fortpflanzung der Kamel-Dromedarbastarde, reichen nicht aus
— so belehrt uns die moderne zoologische Systematik —, um den geringsten
Zweifel an der Artverschiedenheit beider Kamelformen aufkommen zu
lassen'. Ein- und Zweihöcker sind zwei getrennte Arten irmerhalb der
Camelidenfamilie'' ; alle Hypothesen und Aufstellungen, die diese Erkenntnis
ignorieren, führen in die Irre. Somit entfällt auch dieser Ansatzpunkt zur
Lösung des Kamelproblems, so verlockend es auoh wäre, von ihm aus weiter
vorzustoßen, um Ordnung in die historischen Belege zu bringen.
Es bleibt uns also kein anderer Weg, als die vorhandenen Zeugnisse
zusammenstellen, um an Hand dieses Materials zu prüfen, ob heute
bereits die älteste Geschichte des domestizierten Zweihöckers zumindest
in den Grundzügen aufgehellt werden kann. Eine derartige Zusammen¬
fassung des bis jetzt erreichbaren Materials für das Kamel gab es bisher
nicht. Es versteht sich von selbst, daß ich im Rahmen dieses gedrängten
Überblicks nicht alle Zeugnisse ausbreiten kann, sondern daß ich mich
darauf beschränken muß, das Hauptgewicht auf die jeweils ältesten
Belege aus den Ländern des Verbreitungsgebietes des Zweihöckers zu
legen.
Zunächst die Nachrichten aus dem Fernen Osten. Hinsichtlich Chinas
sind wir in der glücklichen Lage, daß erst kürzlich Edward H. Schafeu
in einer Spezialstudie alle Kamelerwähnungen der chinesischen QueUen
von den Anfängen bis zur Mongolen-Dynastie einschließlich (1368 n.
^ Zum gemeinsamen Gebiet beider Kamelformen vgl. Stegmann von
Pritzwald, a. a. O., S. 263 u. 266., Ed. H. Schafer, a. a. O., S. 165f., und die oben S. 54 Anm. 5 zitierten Verbreitungskarten und Literaturnachweise.
2 Viktor Nik. Kolpakow, Über Kamelkreuzungen in Berliner Tierärztl.
Woehenschr. 51 (1935), S. 617—622. Breite Darstellung der Bastardformen,
die in Kasakstan u. Turkistan gezüchtet werden. K. tritt für die Artver-
sohiedenheit der beiden Kameltypen ein ( S. 621). Über die durch Kreuzungen
bedingten vielen Kamel-Varietäten in der „Bucharei" vgl. auch schon
C. Ritter, a. a. O., S. 356 u. O. Lehmann, a. a. O., S. lOlf.
'Vgl. meine Bemerkungen in 101 (1951), S. 31 Anm. 1.
* O. Antonius, o. a. O., S. 308—310 (mit breiter Diskussion aUer Auf¬
fassungen) ; Stegmann v. Pritzwald, a. a. 0., S. 257 f. ; A. E. Robinson, o. a. O., S. 48; H. Heck, a. a. O., S. 14f. ; auch W. Schmidt inZ. f. Ethnologie
76 (1951), S. 29f. scheint — ohne sich klar entscheiden zu können — doch
mehr der Ansicht zuzuneigen, die die Artversohiedenheit vertritt, hingegen läßt Kaj Bibket-Smith, üeach. d. Kultur, Eine allgem. Ethnologie, Original¬
ausgabe 1941/42, dt. Ausgabe, 2. Aufl., Zürich 1948, S. 171, das Problem
offen.
/
Chr.) gesammelt hat*. Seine Arbeit ist geeignet, viele irrtümliche Auf¬
fassungen über das erste Bekanntwerden des Zweihöckers in China- zu be¬
seitigen. Bemerkenswert ist schon, daß die chinesische Sprache kein
originales chinesisches Wort für „Kamel" besitzt. Die Kamelbezeicli-
nungen der Chinesen, i'o-t'o und lo-t'o, letzteres Wort aber nicht in den
ältesten Texten begegnend, scheinen zentralasiatischen Dialekten ent¬
lehnt zu sein. Schafer referiert die aufgestellten Thesen und Etymolo¬
gien, ohne sich jedoch selbst einer Deutung voll anschließen zu können*.
Gewiß zeigen die erwähnten Kamelfossilien*, daß der Zweihöcker seit
den ältesten Zeiten im chinesischen Räume nicht unbekannt war, und
sicher hat er sich auch an den Nord- und Westgrenzen Chinas bis hin¬
unter in die historische Zeit kontinuierhch gehalten^. Erstmals jedoch
begegnet das Kamel als Haustier in den historischen Quellen Chinas
gegen das Ende der Chou-Periode in den letzten Jahrzehnten des
4. Jahrhunderts und im 3. Jahrhundert v. Chr., und zwar in deutlichem
Zusammenhang mit den nördlichen Randvölkern, also in den Puffer¬
staaten des Nordens, die Zentralchina scheiden von den mongolischen
und mandschurischen Steppen*. Wann die nördhchen Nachbarn Chinas
selbst das Kamel domestizierten, ist damit in keiner Weise geklärt.
Schäfer glaubt auch in Texten, die er noch der Chou-Zeit zuschreibt,
Andeutungen ermitteln zu können, die beweisen, daß man bereits damals
in China etwas wußte von der Existenz von Kamelen im fernen Westen,
* Edward H. Schafer, The Camel in China down to the Mongol Dynasty
in Sinologica, Zeitschr. f. chines. Kultur u. Wiss., Vol. 2 (1950), S. 165—194
u. S. 263—290. — Ich danke den Herren Professoren Wolfram Eberhard,
Berkeley, und Ed. Ebkes, Leipzig, daß sie mich zuerst auf diese Unter¬
suchung aufmerksam machten. — Vgl. auch die Materialsammlung über das
Kamel in China bei Wolfbam Ebebhabd, Lokalkulturen im alten China,
1. Teil: Die Lokalkulturen des Nordens und Westens = T'oung Pao, SuppU¬
ment au Vol. XXXVII, Leiden 1942, S. 267—268 u. dazu einige weitere An¬
gaben von G. Uchida in Toyoshi Kenkyü 5, No. 3, S. 199 (in Japanisch),
worauf mich ebenfalls Herr Prof. Ebebhabd hinwies, wie auch auf einen
Bronzezylinder aus Lo-lang (etwa 1. Jahrhundert n. Chr.), bei L. Sickman, Early Chinese Art = Oriental Art, Series 0, Sect. 2, pl. 129.
2 Aus der FüUe der Belege nur ein Beispiel: O. Lehmann schreibt a. a. O., 5. 100, daß in Nordchina „seit undenklichen Zeiten" Kamelzucht betrieben wurde.
ä Ed. H. Schäfeb a. a. O., S. 169—173 (mit weiterer Literatur) ; vgl. auch
W. Ebebhaed, a. a. O., S. 268, der hinweist, daß das chinesische Wort für
Kamel türkischer Herkunft sein soll.
* S. o. S. 53 f. 5 Ed. H. Schafee, a. a. O., S. 173 f.
« Schafee, a. a. O., S. 174, mit Angabe der chinesischen Quellenzeugnisse;
C. Ritteb, a. a. O., S. 670 vertritt bereits die Auffassung, daß die Chinesen
das Kamel aus dem Norden von den Mongolen oder von Turkstämmon aus
dem Süden erhielten. — Vgl. auch W. Ebebhaed, a. a. O., S. 267 u. 274:
Kamel ist wohl der Vermittlung der Nordvölker zuzuschreiben.
Ul den Öden von Chines.-Turkestani. Allgemein bekannt ist dann das
Kamel bereits in Nordchina im 2. Jahrhundert v. Chr., in der Zeit der
frühen Han-Dynastie (206—8 v. Chr.)^. Die Expansionszüge unter Kaiser
Han Wu ti (141—86 v. Chr.) werden mit Hilfe von Kamelen von Kansu
aus in die „Westländer" durch Ostturkestan bis nach Ferghana vorgetra¬
gen*. Für die Chinesen in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten ist
das Kamel vor allem charakteristisch für die Hsiung-nu*. Unter ihren
Geschenksendungen an den chinesischen Kaiserhof und in den chinesi¬
schen Listen des den Hsiung-nu abgejagten Beutematerials werden
mehrmals Kamele erwähnt^. Aber auch das Dromedar kam — wenn auch
* Schäfer, a. a. O., S. 175f.
^ Schafer, a. a. O., passim; aber ebenso schon C. Ritter, a. a. 0., S. 665, der auch bereits die beiden chinesischen Kamelbezeichnungen notiert.
' Schafer, a. a. O., S. 176; W. Eberhard, a. a. O., S. 267. — Die chine¬
sische Westexpansion unter Kaiser Wu ti führt zur Unterwerfung der
kleineren Staaten im Tarimbecken und einiger west turkestanischer Staaten.
Sie bringt China erstmals in nähere Berührung mit Zentralasien. Vgl. dazu
W. Ebebhabd, Chinas Geschichte, Bern 1948, S. 102—105. — Zum Kamel¬
bestand der „Westländer" vgl. J. J. M. de Gboot, Chines. Urkunden zur-
Gesch. Asiens, 2. Teil, hg. v. O. Franke: Die Westlande Chinas in vorchrist licher Zeit, Bln. u. Lpz. 1926, S. 38, 55, 64, 95, 105.
* Schäfer, a. a. O., S. 177 f.; W. Eberhard, Lokalkulturen im alten
China I, Leiden 1942, S. 267, mit Hinweis auf die Kamelkämpfe der Hsiung-
nu (dazu bereits Wilh. Tomaschek in den Sitz. Ber. Kaiserl. Akad. d. Wiss.
Wien, Phil.-hist. Kl. 116 [1888], S. 761); nach einem frdl. Hinweis von Herrn
Prof. Eberhard sind Kamelkämpfe auoh auf der Jenisseri-Insohrift von
Kara-yüs dargestellt: H. N. Orkun, Eski Türk Yazitlari, Vol. 3, p. 195 (in
Türkisch). — Vor Ebebhabd und Schafee schrieb schon Feanz Altheim,
Die Krise der Alten Welt I, Bln. 1943, S. 71: „Kurz nachdem dio Chinesen
von den Hunnen das Reiten übernommen hatten, lernten sie von demselben
Volk das Kamel kennen (nach E. Ebkes, T'oung Pao 36, S. 03)". — Daß die
späteren Hunnen nioht einfach zu identifizieren sind mit den Hsiung-nu,
sondern daß sich nur ,,die ausschlaggebende Komponente der Hunnen in den
Verband des Hsiung-nu-Reiches zurückführen läßt", hat Karl Jettmar
von der Archäologie her wahrscheinlich gemacht. Vgl. seine gründliche und
überzeugende Behandlung des Themas unter dem Titel : Hunnen und Hsiung-
nu — ein archäolog. Problem in Archiv f. Völkerkunde, Bd. VI/VII (1951/52),
S. 166—180. — Das Kamel war nur für die Chinesen Charaktertier der
Hsiung-nu ; deren wichtigstes Haustier war das Rind ( W. Ebebhabd, a. a. O.,
S. 143). — Zu den Hsiung-nu-Völkern und ihrem Viehbestand vgl. auoh
E. H. Pabker, a Thousand Years of the Tartars, 2. ed., London 1924, S. 4;
W. M. McGovEEN, Tlie Early Empires of Central Asia, Chapel Hill 1939,
S. 104; W. Ebebhaed, Kultur und Siedlung der Randvölker Chinas = T'oung
Pao, Suppl. au Vol. XXXVI, Leiden 1942, S. 47f. — „Sack-Kamele"
begegnen schon in den ältesten Hsiung-nu-Nachrichten der Chinesen, vgl.
J. J. M. de Gboot : Chines. Urkunden zur Gesch. Asiens, 1. Teil : Die Hunnen der vorchristl. Zeit, Bln. u. Lpz. 1921, S. 2.
' Schafer, a. a. O., S. 178; vgl. auch J. J. M. de Groot, a. a. O., S. 77, 197, 199.
ganz vereinzelt mit Tributgesandtschaften aus dem Westen — an den
chinesischen Hof und ist mindestens seit der Han-Zeit den Chinesen
bekannt.* Mit der gleichen Epoche beginnen auch die künstlerischen
Darstellungen des Zweihöckers in China^. M. J. Rostovtzeff publizierte
Han-Kleinplastilv, Bronze-Amulette, abhängig vom zentralasiatischen TierstiP. Nicht später als 100 n. Chr. ist eine Goldplakette im ,,sarmati- schen" Stil aus West-Sibirien, die das Kamel zeigt*. Darstellungen aus
Zentralasien^, der Mongolei, der Ordossteppe, Felsbilder aus dem Altai-
Gebiet lasse ich beiseite, da sie bisher nicht exakt zu datieren sind*. —
Wie mir Herr Dr. Jettmar, Wien, mitteilte, haben wir aus der Andro-
novo-Periode im Minussinskgebiet und in Westsibirien keinen Beleg für
die Zucht eines Cameliden, also für die Zeit zwischen dem 16. und 12.
Jahrhundert v. Chr. Erst Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. kennen wir
aus der Karasuk-Periode im Minussinsk-Gebiet Kamelknochen in einem
* Schäfer, a. a. O., S. 285f.; erstmals genau datierbar ist das 452 n. Chr.
nach China geschickte schwarze Dromedar. C. Ritter, der a. a. O. S. 674
behauptet, 1025 n. Chr. sei erstmals ein Einhöcker mit einem Tribut nach
China gekommen, ist deshalb zu korrigieren. Die er.sten Nachrichten über das
Dromedar brachte Chang K'ien im Jahre 125 v. Chr. mit von seiner Reise
zu den Yüe-chi in Westturkestän, E. Bretschneider, Mediaeval Researches,
Vol. I, London 1888, S. 150 Anm. 404. — Über den großen chinesischen
Pionier u. Entdecker Mittelasiens Chang K'ien und seine Expeditionen
vgl. auch J. J. M. de Groot, Chines. Urkunden II, Die Westlande Chinas in
vorchristl. Zeit, 1926, S. 14ff.; Franz Altheim, Weltgesch. Asiens im griech.
Zeitalter I, Halle 1947, S. 346 f.
2 Schäfer, a. a. O., S. 274ff., rait vielen Nachweisen (u. entsprechenden
Literaturangaben) aus allen Sektoren der Kunst; ferner W. Eberhard,
Lokalkulturen im alten China I, 1942, S. 267f. (mit Lit.). Auch A. E. Robin¬
son, a. a. O., S. 51 (Bronze-Kamelstatuette aus der Han-Zeit).
' Michael J. Rostovtzeff, The Animal Style in South Russia and China,
Princeton 1929 ( = Princeton Monographs in Art and Archaeology), XIV
S. 100 u. Taf. XXXII, 4 u. 6; F. Altheim, Die Krise der Alten Welt, I, Bln.
1943, S. 72; Ed. H. Schafer, a. a. O., S. 280. — Auf die breite Diskussion
der Problematik der Herkunft und Verwandtschaft der verschiedenen asi¬
atischen „Tierstile" kann ich hier nicht eingehen.
* M. J. Rostovtzeff, o. a. 0., S. 51—54 u. Taf. XVII, 2; auch Schäfeb, a. a. O., S. 168.
6 M. J. Rostovtzeff, a. a. O., S. 88 u. Taf. XXVIII, 4 („sarmatische"
Bronzeplakette); Schafer, a. a. O., S. 280 u. Altheim, a. a. O., S. 71f. (mit Lit.) u. Taf. 56.
* Näheres darüber bei Schafer, a. a. O. (mit Lit. u. weiteren Zeugnissen aus dem 1. Jtsd. n. Chr.). — O. Lehmann, o. a. O., S. 100, weist hin auf eine
Felszeichnung am rechten Jenissei-Ufer, 7*/2 km von Minussinsk, die einen
Nomadenzug mit Kamelen zeigt und deren Deutung imd Datierung unsicher
ist. Von nicht näher datierten Felsbildern mit Tierdarstellungen, darunter
auch Kamelen, in Bischichtich Chaja am Oberlauf des Jenissei in Tuwa
berichtet femer O. Mänchen-Helfen, Reise ins asiat. Tuwa, Bln. 1931,
Zusammenhang, in dem nur Haustierknochen auftauchen. Die Karasuk-
Kultur um Minussinsk stellt eine südliche Episode dar, deren Träger viel¬
leicht aus dem Ordos-Gebiet, jedenfalls aus der Mongolei kamen*.
In Indien glaubte man das Kamel schon in den tiefsten Schichten
von Mohenjo-Daro (Prov. Sind), also in der vorarischen Indus-Kultur
des 4./3. Jahrtausends v. Chr. nachweisen zu können. Man fand einen
einzigen Knochen, den man als Fragment eines domestizierten Camelus
dromedarius ansprechen zu können meinte^. Es hat sich jedoch heraus-
S. 55 (zit. nach M. Hermanns, Die Nomaden von Tihet, Wien 1949, S. 112).
Kameldarstellungen, ebenfalls vom oberen Jenissei, und zwar aus der„Bronze- zeit", notiert M. A. Czaplicka, Tlie Turks of Central Asia in History and at tlie Present Day, Oxford 1918, S. 106, nach N. N. Kosmin, Chern = Sibirskiya
Zapiski, Aug. 1916, No. 3, S. 98. (russ.) — Felsbüder aus 3 Perioden in
Zentralasien, die jedoch nicht näher zu datieren sind, und die er als Dar¬
stellungen von Wildkamelen auffassen möchte, erwähnt auch — ohne weitere
Angaben und Belege — A. E. Robinson, o. a. O., S. 49.
^ Briefl. Mitteilung von Herrn Dr. Kabl Jettmar v. 20/VII. 52, wobei zu
beachten ist, daß die hier gegebene Datierung der Andronovo-Kultur für
die östliche Sonderform dieser Kultur im Minussinsk-Becken gilt; die An¬
dronovo-Kultur reicht im Westen bis um 900 v. Chr. hinunter. Zu den
Funden aus der Karasukzeit vgl. S. V. Kiselev, Drevnjaja istorija Juznoj
Sihiri, Moskau 1951, S. 141 f.: Camelidenknochen bei Il'inskaja gora ge¬
funden; weiterer fraglicher Fund von Camelidonresten bei Georgijevskaja.
Weil die Träger der Karasukkultur [1200—700 v. Chr.] aus dem Osten
kommen, schreibt Dr. Jettmar : „Damit könnte man natürlich das Auftreten
eines Cameliden erklären, der in den älteren Phasen, die eine lokale und
westliche Genese besitzen, fehlt. ... Es ist wahrscheinlich, daß die in der
Karasukzeit begonnene Domestikation weiterlief. Da die Tastykkultur [100
V. Chr. —400 n. Chr.] durch das Eindringen von Zuwanderern aus der Mongo¬
lei, vielleicht Hunnen, entstanden ist imd in ihrem ganzen Gepräge den be¬
kannten hunnischen Nekropolen Transbaikaliens sehr nahe steht, so ist es
wahrscheinlich, daß darin das Kamel eine ähnlich wichtige Rolle einnahm
wie bei den Hunnen selbst. Vielleicht noch aus der Tastykzeit, jedenfalls aber aus der unmittelbar anschließenden Periode stammen ja auch die berühmten
Felszeichnungen von Suljek, Pisannaja-Gorä, Bildgruppe I, die bei Appel-
grben-Kivalo publiziert sind." Vgl. Hjalmar Appelgreen-Kivalo [Hg.],
Alt-Altaische Kunstdenkmäler, Helsingfors 1931, Abb. 77, 84 u. 88 (u. dazu
S. 4—7 u. S. 47), vermutlich dem 1. Jtsd. n. Chr. angehörend. (Zweihöcker
vor zweirädr. Karren [Wohnwagen ?]; Kamel-Kampfszenen ; gesatteltes
Kamel). — Vgl. auch die Abb. 73, 117, 180 (dazu S. 16) u. 212 (dazu S. 17). —
Die Ähnlichkeit der Kameldarstellungen mit nordafrikan. Felsbildzeich¬
nungen ist erstaunlich. — M. Hermanns a. a. 0., S. 289, gibt fälschlich an,
daß bereits in der Äfanasjevo-Kultur des Minussinskbeckens (oa. 2000 bis
1600 V. Chr.) das Trampeltier nachweisbar sei. Vgl. die Aufzählimg des bisher
in einem einzigen Gräberfeld gefundenen Haustierknochenmaterials bei K.
Jettmar, Über die Anfänge der Kentierzucht in Anthropos, Bd. 47 (1952),
S. 760, die Kamelreste nicht erwähnt.
2 John Marshall, Mohenjo-Daro and tlic Indus Civilization, Vol. I,
London 1931, S. V, 27 u. Vol. II, London 1931, S. 660, wo R. B. Seymour
gestellt, daß es sieh um eine Pehlinterpretation handelte und daß sowohl
das Pferd als auch das Kamel in der indischen Frühltultur als Haus- und
als Wildtiere fehlen*. Sie begegnen demnach auch nicht auf den zahl¬
reichen Siegeln mit Tierdarstellungen, von denen allein über 100 das Rind
abbilden^ oder unter den Tier-Tonmodellen aus dieser Zeit. Überhaupt ist
aus Indien wenig bekannt über das domestizierte Kamel vor dem 1. vor-
christhchen Jahrtausend*. Jedenfalls brachten die in mehreren Wellen um
die Wende zum 2. Jahrtausend und in der ersten Hälfte des 2. Jahr¬
tausends* einwandernden arischen Altinder das Tier nicht aus dem Nor¬
den mit, denn im Rgveda wird es nicht genannt, seine Erwähnung in der
späteren vedischen Literatur ist umstritten'^. Das Kamel tritt erstmals
einwandfrei bezeugt am Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. in der Normen-
Sewell und B. S. Guha den Fund besprechen und als Fragment eines
C. dromedarius ( ?) be.stimmen (vgl. auch die Übersichten S. 667 u. 668).
Anch V. Gordon Childe, L'Orient prdhistorique, Paris 1935, S. 193, hat
den Kamelrest notiert ; vgl. auch die völlige Neubearbeitung dieses Werkes
unter dem Titel New Light on the Most Ancient East, 4. Aufl. London 1952
S. 176.
1 Vgl. W. Amschler in Anthropos 29, H. 5/6 (1934), S. 873.
2 Heinz F. Friederichs, Zur Kenntnis der frühgeschichtl. Tierwelt Süd¬
westasiens, Lpz. 1936 ( = Alter Orient 32, H. 3/4), S. 7.
3 So A. E. RoBLNsoN, a. a. O., S. 51. — Vgl. auch Bebthold Klatt, Haus¬
tier und Mensch, Hamburg 1948, S. 24: Über die Haustiere des vorarischen
Indiens sind wir so gut wie gar nicht unterrichtet. — Die Mitteilungen von
G. Cauvet, Le chameau. Vol. II, Paris 1926, S. 53ff., daß das Kamel in den
Gesetzen des Manu (1300 v. Chr. redigiert, aber viel älter), als unreines Tier
genannt und den Brahmanen verboten sei, sind ins Reich der Fabel zu ver¬
weisen, wie auch die Notiz bei Wilcken-Düebst, Orundzüge d. Naturgesch.
d. Haustiere, 2. Aufl., Lpz. 1905, S. 165: „In Indien nimmt das Manava-
Dharma-Sastra, die Gesetze des Manu, mehrfach Bezug auf das Kamel, das
schon sehr früh als Reittier der Brahmanen erscheint".
* Die Diskussion der verschiedenen Theorien über den Zeitpunkt der indo-
arischen Einwanderungen nach Indien, die noch immer um 2 Jtsd. diver¬
gieren (Heinr. Lüders : 2750 v. Chr. ; G. Hüsing : um 500 v. Chr.), und über
die damit eng zusammenhängenden Probleme der Chronologie des Rgveda,
kann in diesem Rahmen nicht meine Aufgabe sein, zumal ja diese Debatte
zurückweist auf die weiteren Fragenkomplexe der Einwanderungswege
der alten Inder und letztlich der Urheimat der Indogermanen. Ich nenne niu
die Zusammenstellung der Auffassungen bei Nehring in Wiener Beitr. zur
Kulturgesch. u. Linguistik, Jg. IV (1936), S. 35 und die bei Chr. M. Schröder, Basse und Religion, Mü. 1937, S. 93f. Anm. 4 zitierte ältere Literatur. Zmn
gegenwärtigen Stand des Problems vgl. z. B. Wilh. Koppees, Der Urmensch
und sein Weltbild, Wien [1949], S. 155 u. dazu S. 256 Anm. 192 (mit Lit.) u.
Feitz Taegee, Das Altertum, 4. Aufl., Stuttg. 1950, S. 82 (u. 243: Kultureller
Hochstand der Altinder im Zeitalter der Veden bereits um die Wende zum
1. Jtsd. V. Chr.).
' Heinbich Zimmer, Altindisches Leben, Die Kultur der vedischen Arier,
nach dem Samhitä dargestellt, Bln. 1879, S. 76; ebenso Otto Keller, Thiere
sammhmg des Kautalya, des Kanzlers des Kaisers Candragupta (321—297
V. Chr.), also zu Beginn des Großreiches der Maurya von Pätaliputra in
Erscheinung, wobei unsicher bleibt, ob es sich um Ein- oder Zweihöcker
dreht*. Doch kann und wird nur vereinzeltes Vorkommen gemeint sein'^,
denn allgemein ist das Tier erst seit der muslimischen Eroberung (711 n.
Chr.)3; besonders der Großmogul Akbar d. Große (1556—1605 n. Chr.)
machte sich um die nordindische Kamelzucht verdient*. Es handelt sich
dabei durchweg um das Dromedar ; Trampeltiere blieben stets selten^, und
zwar aus klimatischen Gründen, die es auch bedingen, daß heute noch die
Einhöckerzucht nur im Nordwesten, im Indusgebiet, im Punjab, im
Sind, Rajputana mit Jodhpur als Zentrum, östlich bis Delhi und Agra
und im Süden bis an den Rand der Zentralprovinzen lohnt*. In Bengalen
des class. Alterthums, Innsbruck 1887, S. 24, Gossen in Pattlys Realency¬
clopädie der class. Altertumswiss., Neue Bearb., 20. Halbbd., Stuttg. 1919,
s. V. „Kamel", S. 1827 und M. Hilzheimer in Zoolog. Annalen V (1913),
S. 250. — Die Altinder kannten ursprünglich nur Pferd, Rind, Schaf u. Ziege,
zu denen schon in der vedischen Zeit Hund u. Esel hinzukamen. Nach
Atharvaveda 3, 10, 6 gibt es 7 grämyäh pa^avah; hierbei wird nach Zimmer,
a. a. 0., das Maultier oder das Kamel mitgerechnet sein. — Auch nach
O. Antonius, a. a. O., S. 312 führten die einwandernden Indoarier das Kamel
noch nicht mit. — Nicht belegbar ist die Notiz bei Cauvet, a. a. O., S. 55,
daß in einer rigvedischen Indra-Hymne 12 000 Kamele erwähnt sein sollen,
wie auch O. Lehmann, a. a. O., S. 100, keinen Beleg gibt für seine Behaup¬
tung :,, Schon in der frühen vedischen Literatur ist das Kamel bei den Indern bekannt."
* Vgl. Bernhard Breloer, Staatsverwaltung im alten Indien = Kautallya- Stildien III, Bd. 1: Finanzverwaltung u. Wirtschaftsführung, Lpz. 1934, S. 509, 515, 520, 530. In den dort genannten Listen bedeutet kharostra nach S. 574f.
Esel und Kamel; S. 173 werden Dromedare genannt. (Den Hinweis auf
Bbeloer verdanke ich Herrn Prof. Dr. W. Eberhard, Berkeley.) — Nach
Cauvet, a. a. O., S. 55, sollen auch im Rämäyana des Välmiki (nach W. Ru-
bkn, ZDMG 100 [1950], S. 351 etwa nach 300 v. Chr. gedichtet) ebenfalls
Kamele erwähnt werden.
2 Es ist verständlich, daß mit den baktrischen u. partischen Herrschaften
und später mit den Einfällen der Hephtaliten od. Weißen Himnen (seit
455 n. Chr.) auoh das Kamel beider Formen nach Nordwestindien kam.
Cauvet, a. a. O., S. 15, erwähnt eine nicht näher belegte Nachricht des
Arrianos (95—175 n. Chr.), daß im Punjab Kamele gezüchtet wurden.
' So z. B. O. Lehmann, a. a. O., S. 95. — Nun verstärken die afghanischen,
mongolischen u. türkischen Herren zweifellos die Kamelhaltung; vgl. auch
C. Ritter, S. 643 f. und 657, der hinweist auf die Einfuhr baktrischer Kamele nach Indien mit den Mongolen.
* Ausführlicheres darüber bei C. Ritter, a. a. 0., S. 644ff. ; auch O. Leh¬
mann, S. 103.
' Das Dromedar als Tier der Ebene wird zum Kurier- und Postdienst ein¬
gesetzt, während das Trampeltier als Lasttier im Gebirge Verwendung findet,
Lehmann, S. 95 u. 137 f.
' In Nordwestindien gedieh das Kamel deshalb, weil das Gebiet trotz
5 ZDMG 104/1