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Einleitung

Ostgalizien ist ein ukrainisches Gebiet von der Größe des jetzigen Bundeslandes Nie- dersachsen oder halb Ungarns, das sich südöstlich an das heutige Polen anschließt. Im sowjetischen und ukrainischen Sprachgebrauch wird Ostgalizien als Teil der West- ukraine bzw. als Halycyna geführt, die Bezeichnung unter polnischer Herrschaft war Ostkleinpolen1. Diese Region befand sich nach dem Ersten Weltkrieg unter polnischer Herrschaft und wurde im September 1939 im Gefolge des Hitler-Stalin-Paktes von der Sowjetunion besetzt und annektiert. Heute ist sie Teil der Ukraine.

Beim deutschen Einmarsch am 22. Juni 1941 lebten in Ostgalizien etwa 540 000 Juden, also mehr als im Deutschland des Jahres 1933. Wie kam es, daß d i e s e - m i t Ausnahme des Distrikts Warschau - größte regionale jüdische Konzentration in Europa innerhalb von drei Jahren nahezu völlig ausgelöscht wurde? Während des deutschen Einmarsches ope- rierten die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in Ostgali- zien. Diese ermordeten die Männer aus der sogenannten jüdischen Intelligenz-Schicht.

Die anschließend errichtete Zivilverwaltung schränkte alle Lebensbereiche der Juden drastisch ein, wenn auch eine Gettoisierung zunächst weitgehend scheiterte. Im Herbst 1941 begannen Massenerschießungen an der gesamten jüdischen Bevölkerung, d. h. auch an Frauen und Kindern. Die eigentliche „Endlösung" in Galizien setzte jedoch erst mit den Deportationen in das Vernichtungslager Belzec im Frühjahr/Sommer 1942 ein. In mehreren Wellen wurden über 200 000 Menschen aus Ostgalizien nach Belzec deportiert und dort ermordet. Gleichzeitig bildete die Verwaltung Gettos, die schrittweise im Zuge der Ermordung ihrer Insassen verkleinert wurden. Im Jahre 1943 wurden die Gettos aufgelöst und die Juden im weiteren fast ausschließlich in Erschießungsaktionen umge- bracht. Im Juni/Juli 1943 schließlich erlitten auch die Häftlinge der zahllosen Zwangsar- beitslager für Juden dasselbe Schicksal. N u r wenige kriegswichtige Lager blieben erhal- ten. Währenddessen machten die deutsche und die ihr unterstellte ukrainische Polizei Jagd auf versteckte Juden. Die Rote Armee traf im Frühjahr und Sommer 1944 kaum

mehr Uberlebende an.

In der „Endlösung der Judenfrage" nehmen die Vorgänge in Ostgalizien eine spezifi- sche Stellung ein. Etwa jedes elfte Opfer des Völkermordes lebte vorher in Ostgalizien.

Gliedert man das gesamte Geschehen der „Endlösung" geographisch auf, so kristallisie- ren sich drei große Komplexe heraus: die Ermordung 1. der Juden in der Sowjetunion durch Massenerschießungen und mittels Gaswagen, 2. der polnischen Juden in den klei- neren Vernichtungslagern, und 3. der Juden anderer besetzter oder mit Deutschland ver- bündeter Staaten vornehmlich in Auschwitz. Das Reichsgebiet und Serbien können als Ausnahmefälle gelten, die nicht direkt in diese drei Zusammenhänge gehören2. In Ostga- lizien wurde z.T wie in der Sowjetunion, z.T. wie im seit 1939 deutsch besetzten Polen verfahren. Eine vergleichbare Zwischenposition nahm nur noch der Bezirk Bialystok

1 Im folgenden beschränkt sich die Bezeichnung Ostgalizien auf das Gebiet des Distrikts Galizien des Generalgouvernements 1941-1944. Ostkleinpolen umfaßte noch weitere Gebiete im Westen der Wojewodschaft Lemberg, ähnlich wie Halycyna.

2 Vgl. dazu S. 175.

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ein, wo Juden ebenfalls in großem Ausmaß erschossen bzw. in die Vernichtungslager der

„Aktion Reinhard" deportiert wurden. Was die Vorgeschichte und das Verhalten der christlichen Bevölkerung gegenüber den Juden angeht, so verliefen die Entwicklungen in den 1939/40 von Stalin annektierten Gebieten Ostpolens und des Baltikums ähnlich.

Die Einzelvorgänge der „Endlösung" in Ostgalizien, die Unterdrückungsmaßnahmen, Erschießungen und Deportationen können als repräsentativ für den gesamten national- sozialistischen Judenmord auf polnischem und sowjetischem Gebiet gelten.

Forschungsstand

Trotz des immensen Anteils der ostgalizischen Juden an den Opfern nationalsozialisti- scher Verfolgung hat die Geschichtsforschung ihrem Schicksal bisher nahezu keine Auf- merksamkeit geschenkt. Dies mag zum Teil an der räumlichen Entfernung dieses Ge- biets liegen, zum Teil aber auch daran, daß Ostgalizien seit dem Krieg ein Teil der West- ukraine und somit der UdSSR war3.

Schon unmittelbar nach Kriegsende versuchten jüdische Überlebende und Heimkeh- rer aus der Sowjetunion, die Geschichte der Judenverfolgung in Ostgalizien zu rekon- struieren. Leider blieben diese beachtlichen - meist jiddischen - Veröffentlichungen im Westen unbekannt, obwohl sie teilweise auf deutschem Boden - in DP-Camps - publi- ziert worden waren4. Danach erschienen lange Zeit nur noch Gedenkbücher für einzelne jüdische Gemeinden, aber keine zusammenfassenden Studien mehr.

Die Beiträge der Forschung seit den sechziger Jahren lassen sich grob nach ihren Her- kunftsländern gruppieren. Hervorzuheben sind zunächst polnische Untersuchungen, die fast ausschließlich von jüdischen Historikern verfaßt wurden5. An erster Stelle sind zwei Aufsätze Tatiana Berensteins aus den fünfziger und sechziger Jahren zu nennen6, die bisher einzigen Untersuchungen, die sich mit dem Judenmord und den Zwangsar- beitslagern für Juden im Distrikt Galizien beschäftigen. Fast ausschließlich aus den Zeu- genaussagen jüdischer Uberlebender gearbeitet, konnte Berenstein die grundlegenden Vorgänge in Ostgalizien rekonstruieren. Ihre Ergebnisse werden in der vorliegenden Arbeit weitgehend bestätigt. Dies gilt auch für die bis heute allein dastehende Gesamt- darstellung zur Ermordung der polnischen Juden von Artur Eisenbach aus dem Jahre 19617. Inzwischen hat sich die allgemeine polnische Zeitgeschichtsforschung den ehe- maligen polnischen Ostgebieten zugewandt, ein Ergebnis ist die Gesamtdarstellung der Besatzungszeit in Ostgalizien von Wlodzimierz Bonusiak8. Zwar hatte er nur sehr be- grenzten Zugang zu den ukrainischen Archiven, zeichnete aber ein prägnantes Bild der

3 Die bisher beste Literaturübersicht zur Geschichte Ostgaliziens gibt Paul Robert Magocsi: Gali- cia: A Historical Survey and Bibliographical Guide, Toronto u. a. 1983, bes. S. 205-216, 242-244.

4 Filip Friedman: Zaglada Zydow lwowskich, Lodz 1945, erweiterte 2. Aufl. München 1947; ders., Umkum; L. Wielitschker: Lagern in Mizrech-Galicie, in: Fun lectn churbn H. 6, 1947, S. 17-31.

5 Kritik an nichtjüdischen polnischen Historikern übt in diesem Zusammenhang: Lucjan Dobros- zycki: Polska historiografia nad temat Zaglady, in: Holocaust ζ perspektywy potwiecza, S. 177- 187.

6 Tatiana Berenstein: Di farnichtung fun jidische jeschuwim in Distrikt Galizien, in: Bieter far Ge- szichte 6 (1953), H. 3, S. 45-153; überarbeitete Fassung: dies., Eksterminacja; dies., Praca.

7 Eisenbach.

8 Bonusiak, Malopolska.

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Besatzung aus polnischer Sicht. Im Hinblick auf die Judenverfolgung stützte sich Bonu- siak nahezu ausschließlich auf die Vorarbeiten Berensteins. Neben Bonusiaks Uber- blickswerk erschienen in Polen eine Fülle von Detailstudien zur deutschen Besatzung.

Der Schwerpunkt der polnischen Forschung lag schon früh beim Thema deutsch-ukrai- nische Zusammenarbeit9. O b w o h l diese Arbeiten z.T. sehr materialreich sind, leiden sie doch stark unter der - politisch bedingten - Polemik gegen den ukrainischen Nationalis- mus. Dies gilt insbesondere für die zahlreichen Werke des als „Ukrainerfresser" (Si- wicki) verschrieenen Edward Prus10, der 1995 eine Darstellung - eigentlich Material- sammlung - über das Verhalten ukrainischer Nationalisten gegenüber den Juden im Zweiten Weltkrieg veröffentlicht hat11. Neuere, ausgewogenere Arbeiten betreffen die polnisch-ukrainischen Beziehungen, die Morde an den Lemberger Professoren im Juli 1941, die Geschichte der polnischen Kirche und der polnischen Untergrundbewegung in Ostpolen12. Letztere Untersuchungen sind in erster Linie aus Aktenbeständen gearbei- tet, die in Polen und der Bundesrepublik Deutschland lagern. Sie enthalten nur einge- schränkt Informationen zur Judenverfolgung. Ein Manuskript über den Mord an den Lemberger Juden von Pawel Lisiewicz, einem Zeitzeugen, der hin und wieder in polni- schen Zeitungen über dieses Thema schreibt, ist bis jetzt noch nicht veröffentlicht13. Frank Golczewski hat als erster westlicher Historiker überhaupt die polnische For- schung gründlich verarbeitet14.

Die Geschichtswissenschaft in der ehemaligen Sowjetunion verhielt sich bisher äu- ßerst distanziert zum Thema „nationalsozialistischer Judenmord". Spätestens seit 1948 wurde die Verfolgung der Juden unter die der „Sowjetbürger" subsumiert15. Obwohl vereinzelt Dokumentationen und kleinere Untersuchungen zu den nationalsozialisti- schen Gewaltverbrechen in der Ukraine veröffentlicht wurden16, blieb die eingehende Darstellung der Judenverfolgung der Publizistik, den Schriftstellern und der jiddisch- sprachigen Zeitschrift „Sowjetisch Heimland" überlassen. Dabei ist insbesondere auf die

9 Torzecki, Kwestia; Antoni B. Szczesniak/Wieslaw Z. Szota: Droga do n i k j d , Warszawa 1973.

10 Edward Prus: Ζ dziejow wspolpracy nacjonalistow ukrainskich ζ Niemcami w okresie II wojny swiatowej i okupacji, Katowice 1985; ders., Atamania; ders., Banderowey; ders., Herosi; ders., UPA; ders., Wladyka. Zur Kritik vgl. Daskevyü, S. 110 ff.

11 Prus, Holocaust.

12 Torzecki, Polacy; ders., Rolle (der aber den Judenmord weitgehend ausklammert); Albert, Kazö;

Bonusiak, Kto zabit; Zielmski; W^gierski, W lwowskiej Armii; Pempel. Schon 1983 begann die öffentliche Diskussion um den polnischen Widerstand im besetzten Ostgalizien, vgl. Zycie Lite- rackie 33 (1983), H . 17 ff.

13 Mitteilung von Iosif Hel'ston, L'viv.

14 Golczewski, Polen.

15 Vgl. Yitzhak Arad: The Holocaust in Soviet Historiography, in: Gutman/Greif, S. 187-214; Yigal Zafoni: Bibliography on the Holocaust for those regions of the Soviet Union occupied by Ger- man forces f r o m June 1941, in: Journal of the Academic Proceedings of Soviet Jewry 1 (1986), S. 82-103, hier S. 90-93.

16 Borot'ba trudjasiych; L'vivsiyna u Velikij Vitiyznjanij vijni; Denisov/Changuli; T.S. Persina: Fa- sistskij genocid na Ukraine 1941-1944, Kiev 1985.

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Veröffentlichungen von Vladimir Beljaev und Julian Sul'mejster zu verweisen17. Ledig- lich eine der zahlreichen Darstellungen des kommunistischen Widerstands in der West- ukraine enthält ein kleines Kapitel über die Judenverfolgung18. Eine besondere Litera- turgattung, die für unseren Zusammenhang von Bedeutung ist, sind die polemischen Broschüren gegen den ukrainischen Nationalismus. Obwohl meist plump propagandi- stisch angelegt und die Zusammenhänge verfälschend, beschreiben sie eine Fülle von Einzelfällen der Beteiligung von Ukrainern an nationalsozialistischen Verbrechen19. In den letzten Jahren hat sich hier allerdings einiges geändert, zuerst durch die Umwälzun- gen in der sowjetischen Historiographie, dann infolge der ukrainischen Unabhängigkeit.

Die Verfolgung der ukrainischen Juden unter deutscher Herrschaft ist zu einem Thema geworden; mehrere Kongresse und Aufsätze zeugen davon20. Besonders ist eine Bro- schüre des Lemberger Historikers Jakov Chonigsman zu nennen, die jedoch im Detail ziemlich viele Fehler aufweist21. Der historiographische Ertrag der ukrainischen Publi- kationen ist momentan jedoch noch gering, hier besteht Nachholbedarf gegenüber pol- nischen und westlichen Veröffentlichungen.

Die sowjetukrainische Geschichtswissenschaft hat seit Jahrzehnten ein exilukraini- sches Pendant, das die Entstellungen kommunistischer Geschichtspropaganda zu korri- gieren versucht. Die deutsche Besatzungszeit nimmt hier eine herausragende Rolle ein, da sie mit der Ausrufung einer unabhängigen Ukraine am 30. Juni 1941 begann. Diese Bestrebungen wurden von deutscher Seite aber alsbald unterdrückt. Eine Fülle von Exil- Forschungen zu den Ukrainern und ihrer Nationalbewegung unter deutscher Besatzung liegt vor, die Judenverfolgung und noch mehr den ukrainischen Anteil daran klammern sie jedoch fast vollständig aus22. Als Beispiel sei hier die repräsentative Enzyklopädie der Exilukrainer von 1963 zitiert:

„Consequently, in the middle of 1943 Galicia was the only relatively peaceful island in the great ex- panse of Eastern Europe conquered by the Germans, and the only place where conditions were close to normal."23

In dieser Passage wird völlig unterschlagen, daß bis zu diesem Zeitpunkt fast eine halbe Million Juden ermordet worden waren und die Auflösung der Zwangsarbeitslager durch

17 Vladimir Beljaev: Izbrannye proizvedenija ν dvuch tomach, Moskva 1979; vgl. E. Brand: The So- viet Writer V. Bielayev and his Works on the Holocaust in the Lvov District, in: Yad Vashem Bul- letin, H. 13, 1963, S. 63-65. Julian A. Sul'mejster: Peski gorjat, L'vov 1977; ders.: Cena svobody.

Roman, L'vov 1981; ders.: Rasplata. Roman, L'vov 1987; vgl. ders.: Gitlerizm ν istorii evreev, Kiev 1990. Zu verweisen ist auch auf die Broschürenreihe Post imeni Jaroslava Haiana (L'viv), in der auch Sul'mejster publizierte.

18 Varjahina/Vakulenko, Narodna hvardija, S. 27-31.

19 Olexander Butsko: This Can't be Forgiven, Kiev 1988; Rezai/Tsurkan; Their True Face, Kiev 1974; Ukrainian people accuse..., L'viv 1987 usw.

20 Kruglow (der Historiker arbeitet in Charkiv); Alec Nove: Kiev Conference on Ukrainian-Jewish Relations, in: Soviet Jewish Affairs 21 (1991), H.2, S. 71-72; Μ. V. KovaP: Nacysts'kyj henocyd siodo evre'iv ta ukra'fns'ke naselennja (1941-1944 rr.), in: U l 2 1992, H.2, S. 25-32; Myrs'kyj/Ra- bynovyi; Jozef Marszalek: Mi?dzynarodowa Konferencja Naukowa we Lwowie. Holocaust Zy- dow w dystrykcie Galicja, in: Dzieje Najnowsze 26 (1994), Η. 1, S. 193-194.

21 Chonigsman.

22 Vgl. aus israelischer Sicht: Spector, Attitude.

23 Ukraine. A Concise Encyclopedia. Band 1, [Toronto] 1963, S. 889. Ausgewogener: Encyclopedia of Ukraine.

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Massenmorde im Gange war. Als Opfer der Verbrechen erscheinen fast ausschließlich nichtjüdische Ukrainer. Diese Tendenz ist leider auch Veröffentlichungen neueren Da- tums wie dem wichtigen Buch von Volodymyr Kosyk zu eigen24, allerdings nicht ganz so einseitig. Die Beiträge, die sich mit dem ukrainisch-jüdischen Verhältnis unter deut- scher Besatzung beschäftigen, erschöpfen sich in der pauschalen Abwehr aller Kollabo- rations-Vorwürfe25. Ganze sechs - inhaltlich fehlerhafte - Seiten widmet ein ehemaliger Beamter der ukrainischen Verwaltung dem Schicksal der Juden in seiner Darstellung der deutschen Besatzung in der Oblast' Stanislau26. Eine Ausnahme stellen die Bücher des Exilukrainers Michael Hanusiak zur ukrainischen Kollaboration dar, die sich zum Teil auf (an sich damals unzugängliche) sowjetische Archive stützen, jedoch das Strickmuster alter sowjetischer Veröffentlichungen zeigen27.

Die israelische Historiographie zum nationalsozialistischen Judenmord, hier vor al- lem von der Forschungs- und Gedenkstätte Yad Vashem getragen, hat ein grundlegendes Lexikon der jüdischen Gemeinden in Ostgalizien hervorgebracht. Dies ist zugleich die umfangreichste Veröffentlichung zur Geschichte der ostgalizischen Juden unter natio- nalsozialistischer Herrschaft. In deutschen Bibliotheken befindet sich leider kein einzi- ges Exemplar. Die einschlägigen Teile des Lexikons sowie weitere Einzelbeiträge zum ukrainisch-jüdischen Verhältnis, zu den sogenannten Judenräten und zur Jüdischen Gettopolizei stammen fast durchweg von Aharon Weiss28. Von Yad Vashem wurde auch eine Regionalstudie über Wolhynien, das nördlich an Ostgalizien angrenzt und ebenfalls zur Westukraine gehört, publiziert29. In Jerusalem fand 1993 eine internationale Konfe- renz zur neueren Geschichte der ukrainischen Juden statt, deren Beiträge bisher noch nicht publiziert worden sind30. Mangels einschlägiger Sprachkenntnisse kann hier aber kein definitiver Überblick über die hebräisch-sprachige Forschung gegeben werden.

Im Westen stammen die meisten Beiträge zur Problematik aus der amerikanisch-jüdi- schen Forschung. Grundlegend sind zwei Aufsätze von Philip Friedman, zum Schicksal der Lemberger Juden und zum ukrainisch-jüdischen Verhältnis31. Raul Hilbergs monu-

24 Wolodymyr Kosyk: L'Allemagne national-socialiste et l'Ukraine. Paris 1986 (engl. The Third Reich and Ukraine, New York 1993), im folgenden zitiert nach der leicht ergänzten ukrainischen Ausgabe: Kosyk, Ukrai'na; in seinem Dokumentenanhang hat Kosyk antisemitische Passagen weggekürzt.

25 Yaroslav Bilinsky: Methodological Problems and Philosophical Issues in the Study of Jewish- Ukrainian Relations During the Second World War, in: Potichnyj/Aster, S. 373-407. Der Band von Boshyk entstand im Zusammenhang mit der Debatte um die Verfolgung von NS-Verbrechen in Kanada.

26 Jasan. Etwas ausgewogener: Pan'kivs'kyj, Roky.

27 Hanusiak, Lest We Forget; überschneidet sich mit ders., Ukrainischer Nationalismus. Hanusiak ist vermutlich ein Pseudonym.

28 Pinkas Hakehillot. Dem Buch liegt ein inkonsequenter Ostgalizien-Begriff zugrunde, da es im Westen zwar nur die sowjetisch besetzten Teile der Wojewodschaft Lwow umfaßt, im Norden aber auch Gebiete, die später zum Distrikt Lublin gehörten; Aharon Weiss: Ha'mishtara ha'ye- hudit be'general gouvernement u'ba'shlezia ilit bi'tekufat ha'shoa, Yerushalayim 1973; ders., Leadership; ders., Relations; ders., Holocaust.

29 Spector, Holocaust. Im Gegensatz zur vorliegenden Studie, die sich auf die Besatzungspolitik und die Täter der Judenverfolgung konzentriert, beschäftigt sich Spector vor allem mit dem jüdi- schen Leben unter deutscher Besatzung und stützt sich weitgehend auf Gedenkbücher.

30 Vgl. Dymerskaya-Tsigelman.

31 Friedman, Relations; ders., Destruction.

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mentale Gesamtdarstellung des Judenmordes u n d die neue Synthese von Leni Yahil streifen die Vorgänge in Ostgalizien des öfteren3 2. Die Veröffentlichungen von Friedman u n d Hilberg w u r d e n mehrfach überarbeitet. Vor der Veröffentlichung steht eine ameri- kanische Dissertation zur Sozialpsychologie der Täter, die Hinweise zu Ostgalizien ent- hält».

In Deutschland hat sich die Historiographie erst nach mehr als vier Jahrzehnten dem Schicksal der ostgalizischen Juden zugewandt. Zunächst waren es Schriftsteller wie Wolfgang Koeppen oder Heinrich Boll, die sich mit Einzelschicksalen in Ostgalizien be- schäftigten34. Seit den achtziger Jahren w u r d e n Teilaspekte der Judenverfolgung in O s t - galizien in anderen Zusammenhängen analysiert, so die Tätigkeit der sogenannten Ein- satzgruppen u n d die Judenverfolgung im Generalgouvernement3 5. Besonders die Studie von Hans-Heinrich Wilhelm zur Geschichte der Einsatzgruppe Α ist als bahnbrechend f ü r die „Täterforschung" bezüglich Osteuropa anzusehen. Das umstrittene Buch von G ö t z Aly und Susanne H e i m über die Gesamtplanung der nationalsozialistischen Poli- tik in Osteuropa enthält ein Kapitel z u m J u d e n m o r d in Ostgalizien; es ist aber wegen seiner empirischen Mängel u n d überzogenen Thesen äußerst problematisch3 6. D e r erste deutschsprachige wissenschaftliche Beitrag z u m J u d e n m o r d in Ostgalizien erschien erst 1993, der A u t o r Thomas Held arbeitet an der Universität Basel37. Er stützt sich auf einen Großteil der bisherigen Literatur und gibt einen soliden Überblick über das Schicksal der Lemberger Juden unter deutscher Herrschaft. Publikationen außerhalb der Ge- schichtswissenschaft haben die österreichische Journalistin Elisabeth Freundlich (über das Massaker in Stanislau 1941) sowie die Staatsanwälte Barbara Just-Dahlmann (über das Schicksal eines Juden in Zloczow) und Bernd Schmalhausen (über Berthold Beitz' Rettungsaktionen f ü r die Juden in Boryslaw) verfaßt3 8.

In Bearbeitung ist eine Gesamtdarstellung der Judenverfolgung mit Schwerpunkt auf Polen von Christopher R. Browning. Eine Untersuchung von T h o m a s Sandkühler zur Judenverfolgung in Ostgalizien w u r d e ebenfalls 1994 an der Universität Bielefeld fertig- gestellt; ihr Schwerpunkt liegt auf den Rettungsaktionen von Berthold Beitz f ü r jüdische Zwangsarbeiter in der ostgalizischen Rüstungswirtschaft. Zusammenfassend ist jedoch zu sagen, daß die Aufsätze von Berenstein immer noch die einzige publizierte Analyse der Vorgänge in Ostgalizien darstellen. Diese Veröffentlichungen w u r d e n bisher jedoch nur von bundesdeutschen Staatsanwälten gründlich verwertet.

32 Hilberg, Vernichtung; ders., Täter; Yahil.

33 Daniel J. Goldhagen: The Socio-Psychology of Nazi Executioners. Diss. phil. Harvard Univer- sity 1993 (erscheint 1996 unter dem Titel: Hitler's Willing Executioners).

34 Littner (das Buch wurde auf der Basis von Littners Aussagen von Koeppen verfaßt); Heinrich Boll: Der Zug war pünktlich, Opladen 1949.

35 Krausnick/Wilhelm; Streim, Tasks; Blank; Grabitz/Scheffler. Weiterführend: Wilhelm, Historio- graphie.

34 A l y / H e i m , Vordenker, S. 446-453. Vgl. Aly, „ E n d l ö s u n g " .

37 Held.

38 Freundlich; Just-Dahlmann; Schmalhausen.

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Ziel der Arbeit

Die Untersuchungen von Tatiana Berenstein sollen hier aufgenommen und in erheblich erweitertem Umfang weitergeführt werden. Auf der Basis des umfangreichen, teilweise jetzt erst zugänglich gewordenen Quellenmaterials widmet sich die vorliegende Arbeit, und dies möchte ich besonders hervorheben, fast ausschließlich dem Verfolgungsprozeß, d. h. der Besatzungspolitik und den Tätern der nationalsozialistischen Judenverfolgung.

Der Schwerpunkt liegt dabei auf den regionalen Mittelinstanzen, also den Behörden der Distrikt- und Kreisebene. Zur Erforschung der jüdischen Geschichte unter deutscher Besatzung in Ostgalizien wären jiddische und hebräische Sprachkenntnisse erforderlich, über die ich nicht verfüge. Diese Einschränkung ist schmerzlich, aber unumgänglich.

Es geht in der vorliegenden Arbeit zunächst um die genaue Rekonstruktion der ein- zelnen Vorgänge bei der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Ostgalizien. Zwar sind die meisten Mordaktionen schon in der Literatur verstreut erwähnt worden, die Entscheidungsfindung der deutschen Instanzen und die Organisation der Judenverfol- gung blieb jedoch weitgehend im dunkeln. Zur analytischen Durchdringung dieser Ge- schehnisse sollen folgende Leitfragen näher untersucht werden:

1. Zunächst soll die Ausgangsposition der ostgalizischen Gesellschaft umrissen wer- den: In welcher Lage befanden sich die dortigen Juden vor dem deutschen Einmarsch?

Wie stand es um die wirtschaftliche Situation und die gesellschaftliche und politische Organisation, wie um das Verhältnis zur ukrainischen Bevölkerungsmehrheit? Zu fra- gen ist vor allem nach der Stabilität der jüdischen Minderheit, also inwieweit sie für den Vernichtungsschlag gewappnet war. Auf der anderen Seite wurde die Einstellung der Nichtjuden gegenüber den Juden in erheblichem Maße vor dem deutschen Einmarsch geprägt; sie beeinflußte das Verhalten der Ukrainer und Polen unter deutscher Besat- zung.

2. Den Zusammenhängen des deutschen Einmarsches im Juni/Juli 1941 gilt der näch- ste Fragenkomplex: Welche Vorbereitungen traf die deutsche Führungsspitze, mit wel- chen Prämissen bezüglich der Juden in den neu eroberten Gebieten marschierte die Wehrmacht ein? Wie kamen die Pogrome zustande, und welche Rolle spielte dabei die Entdeckung unmittelbar zuvor begangener NKVD-Verbrechen? Gab es noch eine ge- wisse Offenheit der Situation bzw. war der Weg zur vollständigen Ermordung der Juden bereits nicht mehr zu verhindern? Welche Rolle spielten die Einsatzgruppen in Ostgali- zien bei der Judenverfolgung, welche die Wehrmacht?

3. Durch die Einrichtung des Distrikts Galizien entstand ein völlig neuer regionalpoli- tischer Rahmen: Welche institutionellen und personellen Strukturbedingungen be- stimmten die Durchführung der Besatzungspolitik ab August 1941? Hierbei soll eine Einordnung des Distrikts Galizien in die gesamte nationalsozialistische Besatzungspoli- tik versucht werden. Wie war die „Judenpolitik" innerhalb der anderen Sektoren der Be- satzungspolitik gelagert? Wie waren die Zuständigkeiten in der „Judenpolitik" verteilt;

wer füllte diese Zuständigkeiten aus?

4. Weiter ergibt sich die Frage nach der Zielsetzung der Instanzen und Zentrum-Peri- pherie-Beziehung: Welche Ziele in der „Judenpolitik" verfolgte die Staatsführung, wel- che die Behörden vor Ort? Hier ist nach allgemeinen Vorbildern zu suchen, aber auch nach konkreten Weisungen aus Berlin. Dies kann nur innerhalb einer Analyse der Ent- scheidungsfaktoren aller Instanzen geschehen. Gab es dabei Unterschiede? Vergleichend

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sind die Maßnahmen gegen andere Gruppen von Opfern heranzuziehen. Von besonde- rer Bedeutung ist die Klärung des Befehlszusammenhangs vom September/Oktober 1941: Wer ergriff die Initiative, auch jüdische Frauen und Kinder ermorden zu lassen?

5. Wie wurden die Befehle zum Massenmord an den Juden vor O r t von den Mittelin- stanzen umgesetzt? Die Realisierung der Mordbefehle soll auf mehreren Ebenen unter- sucht werden: welche Impulse zum Massenmord aus Berlin kamen, welche Institutionen für ihre Verwirklichung verantwortlich zeichneten und wie diese zusammenwirkten;

schließlich: inwieweit die Persönlichkeit der Täter eine Rolle für den regionalen Verlauf der „Endlösung" spielte.

6. Zu ermitteln sind die Bestimmungsfaktoren der deutschen Politik 1942/43: Wurde die Judenverfolgung linear weitergetrieben oder unterlag sie Schwankungen je nach po- litisch-wirtschaftlicher Lage? Hier gilt es, das Geschehen in den chronologischen Ver- lauf der „Endlösung" einzubetten und Zäsuren herauszuarbeiten. Es ist aber auch nach den regionalen Rahmenbedingungen während dieser Jahre zu fragen sowie nach den Hindernissen, die dem Massenmord entgegenstanden. An erster Stelle gilt das Interesse dabei wirtschaftlichen Kalkülen, insbesondere dem Verhältnis von Zwangsarbeit und Massenmord.

7. U m individuelle Widerstände aufzudecken, ist zunächst zu ermitteln, wie stark die Kenntnis über die Durchführung der „Endlösung" verbreitet war. Dann stellt sich die Frage, ob dieses Wissen im Besatzungsapparat zu irgendwelchen Konsequenzen führte.

Wie reagierte die polnisch-ukrainische Gesellschaft auf die Judenverfolgung und welche Bedeutung hatte dies für den Verlauf des Geschehens? Inwieweit wurden Ukrainer und Polen in die Judenverfolgung einbezogen; welche Rolle spielte hierbei die nationalisti- sche Untergrundbewegung? Dabei ist wieder eine genaue zeitliche Differenzierung not- wendig, wobei auch andere Faktoren zu berücksichtigen sind, die das Leben der Ukrai- ner und Polen bestimmten.

8. Welche Bedeutung hatte das Verhalten der Juden für das deutsche Vorgehen in der

„Endlösung"? Auch hierbei gilt es in einem ersten Schritt herauszufinden, welche Kenntnisse die jüdischen Gemeinden von der „Endlösung" hatten und ob sie daraus Konsequenzen zogen. Dann folgt die Frage nach dem Widerstand der Juden und wie er sich im Kalkül des Besatzungsapparates niederschlug.

9. Abschließend soll versucht werden, einige generelle Kennzeichen der Vorgänge herauszuarbeiten: Welche Rolle spielten die Vorgänge in Ostgalizien in der gesamten

„Endlösung" und in der Geschichte totalitärer Massenverbrechen? Schließlich ist die Ju- denverfolgung in Ostgalizien als Teil eines europaweiten Prozesses zu sehen; daher sind die Entscheidungen auf zentraler Ebene und der Vergleich mit anderen Besatzungsge- bieten notwendiger Teil der Darstellung. Erst auf dieser Grundlage kann bestimmt wer- den, ob die Judenverfolgung in Ostgalizien eher als exemplarisch oder aber als Sonder- fall innerhalb der „Endlösung" in Polen und im deutsch besetzten Europa anzusehen ist.

Diese Fragestellungen erfordern eine stärkere Einbeziehung der Vorgeschichte der Ereignisse und der Rahmenbedingungen der Judenverfolgung. Damit sind in erster Li- nie die formale und reale Verfassung der Besatzung und die zentralen Felder der Besat- zungspolitik gemeint. Die Darstellung muß immer wieder über den Rahmen Ostgali- ziens hinausgreifen, um eine Einordnung regionaler Vorgänge in den gesamteuropäi- schen Kontext zu ermöglichen.

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Quellenlage

Die Quellenlage zum Thema ist nicht unproblematisch. Ein erheblicher Teil der Doku- mente der Besatzungsinstitutionen wurde vernichtet, der Rest ist über ganz Europa ver- streut. Im Westen sind nur wenige Aktensplitter überliefert. Die Masse des relevanten Materials liegt in ukrainischen Archiven39. Im einzelnen interessieren die Akten der Zentralbehörden Reichsführer-SS, die im Bundesarchiv aufbewahrt werden, und der Be- stand Reichssicherheitshauptamt, der auf das Bundesarchiv und auf Archive in War- schau bzw. Moskau verteilt ist, dessen wichtigste Teile (Judenreferat) jedoch als vernich- tet gelten. Einige wenige relevante Akten befinden sich auch in Kiew. Die vom Reichssi- cherheitshauptamt gesteuerten Einsatzgruppen waren nur kurz in Ostgalizien, ihre Be- richte liegen in mehreren Ausfertigungen in deutschen Archiven.

Unter den zentralen Besatzungsbehörden ist die Regierung des Generalgouverne- ments von großer Bedeutung, Bestände ihrer Akten lagern in Koblenz und in zwei Ar- chiven in Warschau. Leider fehlen auch hier die Registraturen der wichtigen Hauptab- teilung Arbeit und der Unterabteilung Bevölkerungswesen und Fürsorge, die für Juden zuständig waren. Akten der Wehrmachtstellen aus Krakau und Lemberg befinden sich im Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg, in Kopie im Institut für Zeitgeschichte, Mün- chen. Die Kriegstagebücher der Oberfeldkommandantur und des Rüstungskommandos in Lemberg sind die einzigen durchgängig erhaltenen Aktensätze für die Untersuchung.

Die Provenienzen der Behörden des Distrikts Galizien, wie Ostgalizien ab dem 1. August 1941 hieß, befinden sich zum größten Teil in Lemberg, weitere Bestände (Ab- teilung Wirtschaft des Distrikts und Stadthauptmann Lemberg) in Warschau. Akten in Ostgalizien eingesetzter deutscher Firmen liegen in der Bundesrepublik40 und in Lem- berg vor. Die einschlägigen Polizeiakten müssen bis auf Splitter von wenigen hundert Blatt als verschwunden gelten41. Die bedeutendste Ausnahme von dieser Regel ist der - bereits mehrfach publizierte - Abschlußbericht des SS- und Polizeiführers über die

„Endlösung der Judenfrage in Galizien", auch Katzmann-Bericht genannt42.

Für die Judenverfolgung in Ostgalizien sind natürlich auch Akten deutscher und ukrainischer Kreis- und Lokalbehörden von Bedeutung, die fast ausschließlich in Lem- berg und Ivano-Frankivs'k (früher Stanislau) lagern43. Es handelt sich um Akten der

39 Erste impressionistische Überblicke geben Krakowski, Neue Möglichkeiten; ders.: Documents on the Holocaust in Archives of the Former Soviet Union, in: Cesarani, S. 291-299; Lucjan Do- broszycki: Captured Nazi Documents on the Destruction of Jews in the Soviet Union, in: ders./

Gurock, S. 215-221. Akten aus ukrainischen Archiven werden nach der dortigen Nomenklatur zitiert: Fond (Bestand)/opys (Findbuch)/sprava (Akte).

40 Vgl. Bericht ZStL II 212 A R 1410/66 betr. Auswertung der Akten der Karpaten Öl A G . Weitere Akten der Karpaten Ol A G befinden sich im Staatsarchiv Jaslo.

41 Es gibt einige Indizien dafür, daß solche Akten in sowjetische Hände gefallen sind; sie sind aber bis heute noch nicht aufgetaucht. Vgl. etwa D. N. Medvedev: Sil'nye duchom, Moskva 1969, S. 525 f., über Aktenfunde im Lemberger Gestapo-Gebäude 1944. Akten zur Kollaboration lie- gen - bisher weitgehend unzugänglich - beim Ukrainischen Sicherheitsdienst SBU.

4 2I M T Band 38, S. 391-431 (Dokument L-18); Faksimile zuerst in Tuviah Friedmann (Hrsg.): Be- richt des SS- und Polizeiführers über die Vernichtung der Juden Galiziens, Haifa 1959. Im fol- genden zitiert als Katzmann-Bericht, mit Blattzahlen des Originals.

43 Die einschlägigen Archivführer geben leider kaum Hinweise: L'vivs'kij oblasnyj derzavnyj ar- chiv. Putivnyk, L'viv 1965; Gosudarstvennyj archiv Ivano-Frankovskoj oblasti. Putevoditel', Kiev 1983.

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Landkreise, der Stadt Lemberg und der ukrainischen Kommunalverwaltungen. Ergän- zend wurden noch Bestände von Untergrundorganisationen herangezogen, die vor al- lem in Kiewer und Lemberger Archiven zu finden sind. Einige wenige Dokumente jüdi- scher Gemeinden konnten in Warschau und Lemberg ermittelt werden. Alle diese Akten sind bisher nur zu einem Bruchteil ausgewertet worden.

Bezüglich der Kriegsakten aus polnischen und sowjetischen Archiven sind seit den sechziger Jahren von Verteidigern in NS-Verfahren Zweifel an der Echtheit der Doku- mente angemeldet worden44. Diese Argumentation erwies sich als äußerst durchsichtig und wurde schon von den Gerichten zurückgewiesen45. Eine kritische Prüfung kann hier nur begrenzt vorgenommen werden. Soweit dies aber möglich war, wurden diese Quellen vergleichend mit im Westen überlieferten Akten benutzt. Hierbei ergaben sich kaum Verdachtsmomente für Fälschungen. Die Analyse der Quellen erfordert darüber hinaus weitere methodische Vorkehrungen: Gerade bezüglich der Judenverfolgung ent- halten die Schriftstücke aus dem deutschen Aktengang eine verharmlosende Sprache, vermitteln daher nicht immer inhaltliche Eindeutigkeit. Dies und die äußerst fragmenta- rische Uberlieferung führen dazu, daß die Zusammenhänge erst aus der Gesamtschau ermittelt werden können.

Der zweite Quellenfundus dieser Arbeit, die ab 1944 entstandenen Ermittlungsakten in NS-Verfahren, ist ebenfalls bisher so gut wie nicht ausgewertet worden. Allein in der Bundesrepublik wurden von Staatsanwaltschaften mindestens 70 einschlägige Verfahren durchgeführt und zum Teil vor Gericht gebracht. Diese zentrale Quellengattung hilft oft über das Fehlen zeitgenössischer Akten hinweg und öffnet Zugang zu Fragen, die durch jene allein überhaupt nicht zu klären sind. Die Ermittlungsakten liegen zum Teil bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg, meist noch bei den Staatsanwaltschaften selbst, oder sie wurden an Landesarchive abgegeben. Die rechts- kräftigen Urteile bis einschließlich 1965 sind bereits veröffentlicht46. Für die vorliegende Arbeit konnte wegen der immensen Fülle nur etwa die Hälfte der Ermittlungsverfahren ausgewertet werden47. Dies scheint insoweit vertretbar, als infolge von Aktenübersen- dungen wichtige Vorgänge in mehreren Verfahren gleichzeitig vorliegen und zahlreiche Ermittlungen Einzelstraftaten, aber keine Massenverbrechen zum Gegenstand hatten und somit nur punktuell von Bedeutung sind.

Schwieriger als diese technischen Probleme ist allerdings die quellenkritische Prüfung der Befragungen48, die viele Gedächtnisfehler, Schutzbehauptungen und auch falsche Beschuldigungen enthalten. Hier mußten die Aussagen verglichen werden, von der Stel-

4 4 Vgl. dazu Boshyk, S. 131-144.

4 5 Im Stanislau-Prozeß wurden die in Osteuropa gelagerten, damals ausgeliehenen Beweisdoku- mente einer kriminaltechnischen Prüfung unterzogen, die keine Fälschungsindizien zeitigte, ZStL 208 A R - Z 398/59, Protokoll Hauptverhandlung L G Münster 5 Ks 4/65 ./. Krüger u. a., 11. 10. 1967, Bl. 1028ff.

46 Justiz und NS-Verbrechen.

4 7 Allein die Akten des großen Stuttgarter Galizien-Prozesses von 1968 ergeben aneinandergereiht 16 laufende Meter. Die fünf wichtigsten Verfahren (zu den Komplexen Lemberg, Stanislau, Tar- nopol, Kolomea und Czortkow) umfassen zusammen über 700 Bände mit etwa 150 000 Blatt Ak- ten.

48 Als erster Einstieg: Bernd A. Rusinek/Volker Ackermann/Jörg Engelbrecht (Hrsg.): Einführung in die Interpretation historischer Quellen, Paderborn u. a. 1992, S. 111-131, die sich aber auf Ver- nehmungen durch die Gestapo beschränkt.

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lung des Befragten auf seine Glaubwürdigkeit und die Plausibilität seiner Ausführungen geschlossen werden; schließlich gaben die zusammenfassenden Stellungnahmen der oft jahrelang tätigen Ermittler Hinweise auf die Bewertung. Ausgangspunkt einer Quellen- kritik der Vernehmungen ist der völlig andere Entstehungszusammenhang im Vergleich zu Verwaltungsakten. Die Vernehmungen entstanden in einem anderen politischen Sy- stem, sie hatten kein historiographisches, sondern ein juristisches Erkenntnisinteresse, die Ermittlung von Individualschuld. Andererseits sind den juristischen Schlußfolge- rungen enge Grenzen gesetzt. Der Historiker kann Schlüsse ziehen, die über die rechts- wirksame Beweisbarkeit vor Gericht hinausgehen. Hier liegen auch die Grenzen der staatsanwaltschaftlichen Vermerke und Anklagen wie der Gerichtsurteile49.

Negativ auf den Quellenwert der Vernehmungen wirkt sich vor allem deren straf- rechtliche Relevanz aus, deshalb muß zwischen Befragungen von Beschuldigten und von Zeugen unterschieden werden. Gerade bei beschuldigten ehemaligen Angehörigen der Zivilverwaltung zeigte sich, daß ihre Aussagen zum Teil diametral dem Inhalt des zeitge- nössischen Aktenmaterials entgegenstanden. Diesen Personen stand nach dem Krieg ja ein Statusverlust durch die Verfahren vor Augen, sie bekleideten in der Bundesrepublik oftmals Posten des öffentlichen Lebens. Ferner ist zu berücksichtigen, daß die Verneh- mer relativ wenig Druck ausüben konnten. Insbesondere Anfang der sechziger Jahre tappten manche Polizeibeamte und Staatsanwälte über die Zusammenhänge noch im Dunkeln, sie konnten die Zeugen oft nicht mit anderen belastenden Vernehmungen konfrontieren. Ein besonders heikles Problem sind die Absprachen von Zeugen in den sechziger Jahren, Einzelfälle insbesondere aus dem Personenkreis der ehemaligen Zivil- verwaltung und der Ordnungspolizei lassen sich nachweisen. Das Erinnerungsvermö- gen unterlag im Laufe der Zeit auch dem biologischen Verfall, bedingt durch Alter und Zeitabstand. Da die genauen Zusammenhänge der nationalsozialistischen Verbrechen jahrzehntelang öffentlich nicht diskutiert wurden, waren viele Zeugen nach langer Zeit erstmals wieder mit den Kriegsvorgängen konfrontiert. Im Vergleich mit den Verneh- mungen bei den Nürnberger Prozessen, die noch heute vielfach unkritisch von Histori- kern verwertet werden, sind die bundesdeutschen Vernehmungen jedoch viel breiter an- gelegt und zeigen - insbesondere ab etwa 1962/63 - eine weit bessere Sachkenntnis der Vernehmer.

Zu den bundesdeutschen kommen noch ausländische Verfahren hinzu. In Österreich wurden etwa zehn einschlägige Ermittlungsverfahren geführt. In Polen waren es rund 40 Prozesse, die sich zum großen Teil gegen Ukrainer und Polen richteten. Erheblich ist si- cherlich die Zahl der sowjetischen Verfahren vor Militär- und Geheimdienstgerichten gegen Ukrainer, die im Verdacht standen, an NS-Verbrechen in Ostgalizien beteiligt ge- wesen zu sein. Diese Akten liegen noch beim ukrainischen Sicherheitsdienst, soweit die Angeklagten nicht inzwischen rehabilitiert wurden. Die Problematik der KGB-Verneh- mungen liegt auf der Hand. Sie entstanden nicht unter rechtsstaatlichen Bedingungen, es besteht der Verdacht der Mißhandlung von Beschuldigten. Eine erste Durchsicht zeigte aber, daß die Darstellungen in den Aussagen durch im Westen lagernde Dokumente weitgehend gedeckt sind. Die Beschuldigten waren durchweg geständig, sie offenbarten

49 Vgl. Wolfgang Scheffler: NS-Prozesse als Geschichtsquelle. Bedeutung und Grenzen ihrer Aus- wertbarkeit durch den Historiker, in: Ders./Werner Bergmann (Hrsg.): Lerntag über den Holo- caust als Thema im Geschichtsunterricht und in der politischen Bildung, Berlin 1988, S. 13-27.

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zahlreiche Details, die bisher nicht bekannt waren. Zuletzt führten auch die Vereinigten Staaten seit den achtziger Jahren zahlreiche Ausbürgerungsverfahren gegen ehemalige Ukrainer durch, die sich mutmaßlich an NS-Verbrechen beteiligt hatten. Alles in allem ist der Quellenwert der ausländischen Verfahrensakten für die Fragestellung der Arbeit nicht allzu hoch zu veranschlagen, soweit sie nicht deutsche Funktionäre betreffen. Sie wurden deshalb nur in Ausnahmefällen herangezogen.

Als letzte Quellengattung neben zeitgenössischen Akten und Gerichtsdokumenten der Nachkriegszeit sind persönliche Aufzeichnungen zu nennen. Hierbei sind vor allem Tagebücher und zeitgenössische Notizen bedeutsam, da sie einen hohen Authentizitäts- Grad haben können. Bekannt sind mehrere Tagebücher von Juden aus Ostgalizien und das eines Täters50. Feldpost aus Ostgalizien ist bisher fast noch nicht publiziert wor- den51. Viele jüdische Uberlebende haben ihre Memoiren veröffentlicht. Diese Veröffent- lichungen werden hier jedoch nur ergänzend herangezogen, weil sie relativ wenig Auf- schlüsse über die „Täterseite" liefern. Dasselbe gilt für die über 50 Gedenkbücher, die von den Landsmannschaften der jüdischen Gemeinden vor allem in Israel herausgege- ben wurden52. Vergleichbar ist ein materialreicher historischer Führer durch die Woje- wodschaft Stanislawow von einem Exilpolen53.

Eine interessante, wenn auch inhaltlich sehr trübe Quelle sind die Selbstdarstellungen damaliger Akteure nach dem Krieg. Mit Ausnahme eines Memoirenbandes54 finden sich diese meist in der Ost-Dokumentation des Bundesarchivs. Angesichts des apologeti- schen Charakters sind diese Quellen nur wegen der Wiedergabe des Zeitkolorits von In- teresse55.

Zuletzt seien zwei Quellengattungen genannt, die in der Forschung bisher weitgehend vernachlässigt wurden. Es sind dies zunächst die Fotos, die von der Judenverfolgung ge- macht wurden. Im Osten gehörte das Fotografieren zum Alltag der Deutschen, beson- ders bei Soldaten, aber auch in Polizei und Verwaltung. Laut Zeugenaussagen muß man davon ausgehen, daß bei einem erheblichen Teil der Judenmorde fotografiert wurde. Ein Bruchteil dieser Bilder wurde bei der Gefangennahme deutscher Soldaten und Haussu- chungen bei mutmaßlichen Tätern sichergestellt. Zusätzlich existiert ein Film, der beim Pogrom in Lemberg gedreht wurde. Leider ist bis heute nur ansatzweise versucht wor- den, alle Tatbilder der Judenverfolgung systematisch zu erfassen56. Auf der Mikroebene erlauben Fotos bisweilen natürlich sehr genaue Täterzuweisungen.

50 Klee/Dreßen/Rieß, S. 88-104. In den Gerichtsakten finden sich vereinzelt Hinweise auf Tagebü- cher von Deutschen aus Ostgalizien oder Exzerpte aus solchen.

51 Vgl. dazu methodisch: Latzel.

52 Verzeichnisse in Jack Kugelmass/Jonathan Boyarin (Hrsg.): From a Ruined Garden. The Memo- rial Books of Polish Jewry, New York 1983, S. 223-264, und Zachary M. Baker: Bibliography of Eastern European Memorial (Yizkor) Books, New York 1992. Teilübersetzungen der Gedenk- bücher befinden sich in den Akten der NS-Verfahren.

53 Barahski.

54 Jordan.

55 Zur problematischen Entstehung dieser Sammlung vgl. Götz Aly/Susanne Heim: The Economics of the Final Solution. A Case Study from the General Government, in: Simon Wiesenthal Center Annual 5 (1988), S. 3-t8, hier S. 44.

56 Vgl. Yad Vashem. Archives of the Destruction, Jerusalem 1981 (Fotosammlung auf Mikrofiche).

Das U.S. Holocaust Memorial Museum in Washington bereitet eine solche Erfassung vor.

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Die letzte hier noch zu berücksichtigende Quellengattung ist ein Spezifikum histori- scher Massenmorde: die Exhumierungsprotokolle. 1944/45 wurden von sowjetischen Untersuchungs-Kommissionen systematisch Massengräber geöffnet. Die Exhumierung ist als letztmöglicher Nachweis zu sehen, besonders wenn keine Zeugen oder Doku- mente zum spezifischen Tatzusammenhang vorhanden sind. Bei kleineren Massengrä- bern wurde zudem eine Zählung der Leichen vorgenommen, bei größeren anscheinend nur eine Schätzung der Opferzahl an Hand der Ausmaße des Grabes. Im Gegensatz zur polnischen Forschung hat die sowjetische nur einen geringen Teil der Exhumierungs- Berichte veröffentlicht oder verwertet.

Methodische Probleme und Aufbau der Arbeit

Die unmittelbare Beschäftigung mit den Massenmorden des Dritten Reiches, d. h. die hier versuchte „Tatort"-Forschung bezüglich Osteuropa, die in der deutschen Historio- graphie bisher kaum betrieben wurde, wirft auch grundsätzliche Probleme auf. Ansätze zur theoretischen Durchdringung der „Endlösung" wie auch anderer staatlicher Mas- senverbrechen waren bisher nicht so ertragreich, daß sie hier aufgenommen würden. Die Versuche der amerikanischen Genocide-Forschung haben dies gezeigt57. Die heftige jü- disch-ukrainische Debatte um die Kollaboration führt zu einem Problem historiogra- phischer Kategorien: Der Massenmord selbst wie seine Analyse wird völlig von einem Nationalitäten-Paradigma überwölbt, d. h. die ethnischen Gruppen in Ostgalizien - Deutsche, Ukrainer, Polen und Juden - werden zu Kollektivakteuren stilisiert. Tatsäch- lich wurde von nationalsozialistischer Seite die - wenn auch in sich widersprüchliche - Definition des „Juden" als Objekt eingeführt. Ebenso hatten die Deutschen im Besat- zungsapparat kraft ihrer Staatsangehörigkeit eine Sonderstellung in Ostgalizien. In Ein- zelvorgängen lösen sich diese Zusammenhänge allerdings bisweilen auf. Weiter erweist sich im Laufe der Untersuchung, daß die Kategorisierung nach Organisationszugehö- rigkeit, etwa SS, Verwaltung, Wirtschaft usw. nur bedingt greift. Deshalb wurde hier ein gemischt institutionell-biographischer Ansatz gewählt, der die reale Verfaßtheit der Handlungsorte wie auch die Biographie des einzelnen, in der Regel des Täters, berück- sichtigt. Auf die Täter-Opfer-Begrifflichkeit konnte nicht verzichtet werden. Jeder Jude unter deutscher Besatzung war immer zugleich Opfer, ganz gleich wie stark er selbst in die Vorgänge eingriff. Als Täter werden alle Personen bezeichnet, die die Judenverfol- gung vorbereiteten und die Morde ausführten oder organisatorisch ermöglichten.

Ein zentrales Problem für die Darstellung ist die geschichtswissenschaftliche Sprache.

Spätestens für die Zeit ab Oktober 1941 dreht es sich hier fast ausschließlich um die Dar- stellung der Organisation und Exekution von blankem Mord. Auf diese Schwierigkeit hat Martin Broszat hingewiesen, denn „für die an erhabene Geschichtsideen gewöhnte Sprache und Reflexion des Historismus sind Massenexekutionen und Gaskammern ein

57 Vgl. Israel W. Charny (Hrsg.): Genocide. A Critical Bibliographie Review. 2 Bde., London 1987/

91. Ein sehr kritisch aufgenommener Versuch der quantifizierenden Theoriebildung: Helen Fein:

Accounting for Genocide. National Responses and Jewish Victimization During the Holocaust, New York 1979.

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,Stilbruch' der Geschichte"58. Sprachliche Mittel finden hier ihre Grenzen, Wortwieder- holungen lassen sich leider nicht immer vermeiden. Eine völlige Distanzierung von der

„Tätersprache" ist mangels Alternativen nicht möglich, oftmals mußte zu Anführungs- zeichen gegriffen werden59.

Die Arbeit gliedert sich in mehrere chronologische und strukturell angelegte Kapitel.

Zunächst soll die Lage der Juden in der ostgalizischen Gesellschaft charakterisiert wer- den. Das Selbstverständnis und die Dynamik der nationalsozialistischen Judenverfolgung bis zum deutschen Einmarsch runden diese Vorgeschichte ab. Nach der Darstellung des Einmarschs erfolgt die Strukturdarstellung des Besatzungsapparates, dann der chronolo- gische Verlauf der Judenverfolgung auf Distriktebene. Durch das Zusammenbinden von Einzelentwicklungen in - manchmal nur Monate dauernde - kurze Phasen soll die Ent- wicklung des „Vernichtungsprozesses" herausgearbeitet werden. Diese Darstellungswei- se ist dem Gegenstand vor allem deshalb angemessen, weil sich die geschichtliche Ent- wicklung in dieser Zeit stark verdichtet. Daneben werden in einem Strukturkapitel die Detailorganisation der Mordaktionen und der Zwangsarbeit sowie die Reaktion der Öf- fentlichkeit auf die Verbrechen dargelegt. Den Abschluß bildet die Verlaufsdarstellung der Endphase der Besatzung und der Nachwirkung der Vorgänge bis heute.

Abschließend noch einige terminologische Bemerkungen: Wird im Text von „Juden"

gesprochen, so handelt es sich dabei um die jeweils im Besatzungsapparat verwendete - oft willkürliche - Definition. Das Wort „Juden" wird nicht nach dem Geschlecht diffe- renziert, sondern als Sammelbegriff für jüdische Männer und Frauen verwendet. „Po- len" und „Ukrainer" meint die christliche Bevölkerung; bisweilen mußte zur Abgren- zung auch auf den unschönen Begriff „nichtjüdisch" zurückgegriffen werden. „Deut- sche" meint Angehörige des Besatzungsapparats, soweit nicht vom Reich die Rede ist. In der Publikation werden Personennamen anonymisiert, wenn es sich nicht um rechts- kräftig Verurteilte oder in der einschlägigen Forschung gängige Namen handelt. Ge- nannt werden die Namen solcher Personen, die einen erheblichen funktionalen Anteil an der Judenverfolgung in Ostgalizien hatten und somit als zeitgeschichtlich bedeutsam eingestuft werden müssen.

Die Verwendung des Begriffs „Ostpolen" impliziert hier keine Werturteile über die Legitimität der polnischen Herrschaft in diesen Gebieten (die ukrainische Geschichts- wissenschaft spricht für die Jahre 1921 - 1939 von „polnischer Besatzung der West- ukraine"). Mit „Wolhynien" ist das Gebiet der ehemaligen polnischen Wojewodschaft Wolyn gemeint60. Die Ortsnamen werden in der deutschen Schreibweise während der Besatzung wiedergegeben, die sich weitgehend an den polnischen Vorkriegs-Benennun- gen orientierte, aber keine diakritischen Zeichen gebrauchte61. Ukrainische bzw. russi- sche Eigennamen und Buchtitel werden im Text wissenschaftlich transliteriert. Alle Ubersetzungen in Zitaten stammen von mir.

58 Martin Broszat: „Holocaust" und die Geschichtswissenschaft, in: VfZ 27 (1979), S. 285-298, hier S. 296.

59 Vgl. zu diesem Dilemma Saul Friedländer: Kitsch und Tod. Der Widerschein des Nazismus, München 1986, S. 78-81.

6 0 Diese umfaßt nur den Westteil der zaristischen Volynskaja gubernija, aber die heutigen Oblasti Volyn' und Rivne, Artikel „Volyn'", in: Encyklopedija Ukrai'noznavstva. Band 1, [Reprint] L'viv 1993, S. 303 f.

61 Vgl. Amtliches Gemeinde- und Dorfverzeichnis.

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