BYZANTINER IM 6. UND 7. JH.
Von Peter Schreiner, Köhl
Byzantinische Autoren äußem sich zu den Nachbarvölkern des Reiches vor¬
nehmhch daim, wenn kriegerische Auseinandersetzungen anstehen. Da die Sassa¬
niden zwischen dem 4. und dem 7. Jh. ständige Gegner der Byzantiner waren,
gehören die byz. Geschichtsschreiber dieses Zeitraumes auch zu den HauptqueUen
der sassanidischen Geschichte' . Die überwiegende Mehrzahl der Quehen schildert
jedoch nur die außenpolitischen Vorgänge, hn wesenthchen die Feldzüge der
Byzantiner gegen die Perser. In unserem Zusammenhang aber geht es nicht um
politische Geschehnisse, sondem um die Frage, wie die Byzantiner die Perser ein¬
geschätzt haben, welche Vorstellung sie von üinen hatten - kurz, um das Perser-
bUd der Byzantiner.
Wie alle anderen Völker werden auch die Sassaniden als „Barbaren" bezeich¬
net' . Aus der Gesamtschau der Zeugnisse geht aber gleichzeitig klar hervor, daß die
Byzantiner das sassanidisehe Reich, zumindest m rebus politicis, als einen ihnen
ebenbürtigen Partner betrachteten und sie üim auch die Anerkennung, eine staat¬
hche Organisation zu besitzen, nie versagten, ganz im Gegenteü zu den nomadischen
Völkem oder den Germanen, mit denen sie sich m diesem Zeitraum ebenfaUs
auseinanderzusetzen hatten. Von besonderer Intensität war die Gegnerschaft der
beiden Staaten im 6. und frühen 7. Jh. Sie war damals sogar von weltgeschichthcher
Bedeutung, da es, unter Kaiser Herakleios, um das Überleben des Byz. Reiches und
der hellenischen Kultur ging. Es ist daher auch nicht verwunderhch, daß byz. Auto¬
ren dieses Zeitraumes die Perser mit erhöhter Aufmerksamkeit behandeln. Leider
sind eine Reihe von Quellen verloren oder nur mehr in Fragmenten erhalten, die
den Reichtum an Information gerade noch erahnen lassen. Dies güt im besonderen
für Menander Protektor, den in Auszügen das Exzerptenwerk des Kaisers Konstan¬
tin Porphyrogennetos wiedergibt'. Georgios Pisides, Hofpanegyrist unter Kaiser
1 Zusammenstellung bei A. Christensen, L 'Iran sous les Sassanides, Kopenhagen 1936, 68-74.
2 K. Lechner, Hellenen und Barbaren im Weltbild der Byzantiner (ungedr. Dissertation), Mün¬
chen 1954, auszugsweise wiedergegeben unter dem Titel „Byzanz und die Barbaren" in Saeculum 6 (1955), 292-306. Zu den griech. Wurzeln der byz. VorsteUung s. H. Jüthner, Hellenen und Barbaren, Leipzig 1913, und H. DiUer, Die HeUenen-Barbaren Antithese im Zeitalter der Perserkriege, Fondation Hardt, Entretiens Vlll (1962), 37-82. Das Perserbild in der Kyropädie Xenophons hat, soweit ich sehe, keinen Einfluß ausgeübt; W Knauth, Das altiranische Fürstenideal von Xenophon bis Ferdousi, Wiesbaden 1975 gibt ein verzerrtes BUd der tatsächlichen Einschätzung der Perser.
3 Excerpta de legationibus, ed. C. de Boor, Berhn 1903, in deutscher Übersetzung bei E.
Doblhofer, Byzantinische Diplomaten und östhche Barbaren, Graz 1955 (= Byzantinische Geschichtsschreiber 4).
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Herakleios, sieht die Perser ziemlich einseitig nur als die Andersgläubigen'' . Sie sind
gottlose Barbaren - athesmoi barbaroi -, die das Geschaffene anbeten, statt den
Schöpfer selbst' . Er gelangt zu einer Kritik der zoroastrischen Rehgion, die darin gipfelt, daß die Perser zwei Elemente als göttlich anerkennen, die sich doch gegen¬
seitig zerstören: Wasser und Feuer*. Chosrau II. wird als zweiter Pharao bezeich¬
net^, über den der Kaiser Herakleios den Sieg erlangte, weh er fähig war, die reli¬
giöse Erfurcht vor dem wahren Gott im Heer zu verankern*.
Der Chronist Theophanes beschränkt sich, dem annahstischen Charakter seines
Werkes entsprechend, fast ausschließlich auf die bloßen Fakten der Ausemanderset-
zung. Er, genauer gesagt seine unbekannte Quelle, bezeichnet Chosrau als den Ver¬
nichter der Welt (kosmolethros)' , an anderen Stellen aber auch wiederum ganz
objektiv als „König der Perser" (ho tön Persön basUeus)'". Aus einer weiteren
Stelle bei Theophanes zeigt sich ebenfaUs der religiöse Aspekt des Kampfes unter
Herakleios, wenn dieser in einer Rede sagt, die Soldaten sollten sich tapfer verhalten im Kampf gegen die Feinde, die so viel Böses den Christen angetan hätten" . Man würde an dieser Stelle eher den staathch-neutralen Begriff „Romäer" - die Selbst¬
bezeichnung der Byzantiner erwarten, doch hat der Kampf gegen die Perser unter
Herakleios überhaupt Züge angenommen, die bisweilen als kreuzzugsähnhch be¬
trachtet werden können" .
Ein recht ungeschminktes Bild der Einschätzung der Perser gibt das bedeutendste militärische Handbuch der frühbyz. Zeit, das sog. Strategikon, dessen Verfasser mit
hoher Wahrschemlichkeit Kaiser Maurikios selbst war und das um 600 entstand.
Dort heißt es: „Das persische Volk ist schurkisch, heuchlerisch und servil, liebt aber
das Vaterland und ist gehorsam; der Obrigkeit ist es aus Furcht Untertan; daher
nehmen sie auch tapfer Mühen und Kriege für die Heimat auf sich"". Wenn ich vom „ungeschminkten" PerserbUd sprach, so besonders deshalb, weil das Strategi¬
kon des Maurikios zu den ganz wenigen byz. Texten zählt, die keine rhetorischen
Khschees verwenden und auch aus der Vergangenheit überkommenen VorsteUungen
nicht verpfhchtet sind.
Am ausführiichsten unter ahen byz. Autoren äußert sich Theophylaktos Simo¬
kattes zu den Persern. Ich habe ihn daher auch in den Mittelpunkt dieses Referates
4 Giorgio di Pisidia, Poemi l. Panegiriei epici, ed. A. Pertusi, Ettal 1960 (mit Übersetzung und reichem historischen und literarischen Kommentar).
5 Expeditio Persica 1, 18 ff (ed. Pertusi).
6 ibid. Die Auseinandersetzung mit nichtchristlichen Religionen war immer ein Anliegen det Byzantiner, besonders in den folgenden Jahrhunderten gegenüber dem Islam; siehe dazu E.
Trapp, Manuel Palaiologos, Dialoge mit einem „Perser", Wien 1966. Eine Behandlung der byzantinischen Einstellung zum Zotoasmus ist, wenn ich richtig sehe, noch ein Desiderat.
7 Exped. Persica II, 136.
8 Exp. Persica II, 202.
9 Theophanes, Chronographia , ed. C. de Boot, 308, 25.
10 Vgl. auch K.E. Chrysos, The title basileus in early byzantine international relations. Dumb.
Oaks Papers 32 (1978), 29-75.
11 Theophanes, ed. de Boot, S. 307.
12 St. Runciman, Geschichte der Kreuzzüge 1, München 1957, 10-14 und bes. A. Etolow, La deviation dc la 4*^ croisade vets Constantinople. Note additionnellc. La ctoisade et les guerres persanes d'He'taclius, Revue de I'histoire des religions 147 (1955). 50-61.
13 Mautikios, Strategikon , cd. Mihacscu XI, l.
gestellt. Er hat sein Werk, das den Zeitraum 582—602 umfaßt, erst nach dem Tod
Chosraus II., um 630, verfaßt. Diese Tatsache hat nicht nur Konsequenzen für die
Fakten des historischen Ablaufes, worüber hier lucht zu handeln ist, sondem auch
für die Einschätzung der Perser, das PerserbUd. Diese Einschätzung ist immer gese¬
hen ex eventu, vom endgültigen Sieg der Byzantiner aus. Eine Entwicklungshnie
ist also nicht naehzuvollziehen, sondem wir sind immer auf ein punktuehes Mo¬
ment angewiesen.
Theophylaktos Simokattes, aus Ägypten gebürtig''', war hoher Staatsbeamter
unter Kaiser Herakleios, hatte Zugang zu aUen Dokumenten und gab, wenn man so
will, die „offizieUe Stimmung" wieder. Fünf Bücher seines Geschichtswerkes sind
nahezu ausschließlich den Persem gewidmet, die übrigen dem zweiten großen
Kriegsschauplatz, auf der Balkanhalbinsel, gegen Awaren und Slawen".
Wir müssen davon ausgehen, daß sich Theophylaktos ganz der heUenistisch-
rhetorischen Nomenklatur bedient. So verwendet er nie den Namen Sassaruden, in
der Mehrzahl der FäUe nennt er sie Perser, bisweilen aber auch gleichbedeutend Parther, Meder, Babylonier und Chaldäer.
Wir betrachten unser Thema unter drei Gesichtspunkten: die Charakterisiemng des Persers im aUgemeinen, das Bild des Tyrannen und die DarsteUung des Staates.
Am knappsten fällt die allgemeine Beurteilung aus. Die Perser sind „eine stolze
und hoffärtige Nation, die sich nur durch großrednerischen Pmnk ihre Macht erwor¬
ben hat"'*. Noch wesenthch heftiger äußert sich Theophylaktos an einer anderen Stelle : „Die Perser sind nämlich ein übles Volk und ihr Leben besteht von Änfang an nur in List, Luxus und Prahlerei"". An einer dritten SteUe vergleicht er sie, in
Anklang an das Neue Testament, mit emem Wildschwem aus dem Eichenwald, das
das Heihge mit den Füßen tritt und die Perien des Glaubens mit den Klauen zer¬
kratzt'*.
In Hormizdas IV. und Chosrau II. zeichnet Theophylaktos das BUd des Tyran¬
nen. Hormizdas ist gewalttätig, unersätthch, habgierig und achtet in nichts das
Recht". Die Charakteristik Chosraus II. ist Hormizdas, semem Vater, in den Mund gelegt, doch spricht hier ganz der Geschichtsschreiber selbst: „Seme Seele ist nicht
körüglich, ihn zeichnet nicht die des Herrschers würdige Gesinnung aus, sein Ver¬
stand taugt nicht fiir die Macht. Ungezügelt ist er in seinen Trieben, rasend ist er in
seinem Zom, menschenabweisend wirkt sein Bhck, er versteht es nicht, mit Würde
zu ertragen, was die Vorsehung bestimmt, er ist von arrogantem Wesen, genußsüch¬
tig in seinen Begierden, seinem persönhchen WoUen setzt er alles andere hintan; er
kann nicht erwarten, was erst später von Nutzen ist, wohlgemeinten Rat verschmäht er, Freigebigkeit weist er von sich, er ist ganz besessen von der Liebe zum Geld, er
14 Buch VII, 16, 10 (cd. dc Boor, con. P. Wirth, Stuttgart 1972).
15 Das Geschichtswerk des Theophylaktos wird demnächst erstmals in einer deutschen Über¬
setzung vorliegen, die der Verfasser dieses Beitrags angefertigt hat.
16 Theoph. Simok. III, 13, 7.
17 id. IV, 13, 1.
18 id. IV, 16, 22.
19 id. III, 16, 8.
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ist streitsüchtig, liebt den Kampf und ist dem Frieden ganz abgeneigt"'" . In der
Antwortrede des Vindöe an den gefangenen Hormizdas wird, wiederum ganz
griechischem Denken entsprechend, der Macht des Einzelnen die weise Vorhersicht (pronoia), der Kriegsmut der Perser und die Tüchtigkeit der Generäle entgegenge¬
setzt" . Jeder einzelne Perser hatte unendliche Opfer zu bringen, damit ein einziger sein verruchtes Glück genießen koimte". Kurz ausgedrückt: es geht hier um Staat und Untertan als Besitz des Einzelnen, des Tyrannen.
Es bleibt die Frage, inwieweit diese Charakterisierungen der Wirkhchkeit entspre¬
chen. Die orientahschen Quellen, die ich nur aus zweiter Hand anführen kann,
geben ein erheblich anderes Bild" . Hormizdas ist eher als em volksnaher Herrscher geschildert, gerecht und von feiner Bildungsart, unter dem sich auch die Christen
nicht zu beklagen hatten. Das Bild, das Theophylaktos vom sassanidischen Tyran¬
nen zeichnet, ist doch eher von ahgemeinen ideologischen Prämissen her bestimmt,
die ihren Hintergrund in der eigenen byzantinischen Geschichte haben. Sein Ge¬
schichtsbild ist geprägt von der Vorstellung des gerechten Herrschers, wie hm Mauri¬
kios und Herakleios darstellten. Unterbrochen war diese Epoche vom Schreckens¬
regiment des Phokas, den die byz. Geschichtsschreibung kat' exochen mit dem
Beinamen „tyrannos" versah'^ . Eine unmittelbare Bezugnahme auf Phokas ist im
Geschichtswerk ebenso selten wie diejenige auf Herakleios. Ganz deuthch aber tritt
immer wieder indirekt der Bezug auf Phokas und Herakleios entgegen'' . Es ist für
die Interpretation persischer Verhältnisse nicht unbedeutend festzuhalten, daß sie
für Theophylaktos oft nur Mittel zum Zweck waren: nämlich die gerechte Herr¬
schaft von Maurikios und besonders Herakleios deuthcher herauszustehen. Daneben
enthält die Schilderung des Theophylaktos auch Anklänge an die Nomenklatur des
Tyrannen aus hellenistischer Zeit; fast ahe Züge, die Theophylaktos als tyrannisch hervorhebt, begegnen auch in der Literatur früherer Jahrhunderte'* .
Die Charakteristik des Tyrannen steht in enger Verbmdung mit der Vorstehung
vom Staat, der für den Byzantmer nicht zu trennen war von der Person des Herr¬
schers'"'. Die Emschätzung vom Gegenstand ist klar ausgedrückt in den Worten
einer Novelle des Kaisers Tiberios (578-82): Gott gab mir die Gewalt über den
Staat'* . Hieraus spricht, wenigstens in der Theorie, die Verantwortung des Herr-
20 id. IV, 4, 15; vgl. auch O. Veh, Untersuchungen zu dem byzantinischen Historiker Theo¬
phylaktos Simokattes, Wissensch. Beilage zum Jahresbericht 1956157 des Human. Gymn.
Fürth. 22.
21 id. IV, 5, 9.
22 id. IV, 5, 10.
23 A. Christensen, L'Iran sous les Sassanides, 436 438; siehe auch Knauth, Das alir. Fürsten¬
ideal, 171.
24 Dazu A. Christophilopoulou, Endeixis dia ten chronologcsc tu Akathistu hymnu, Epeteris Het. Byz. Spudön 35 (1966), 47-67 und die Bemerkungen von F. Tinncfeld, Kategorien der Kaiserkritik in der byz. Historiographie, München 1971, 51-52.
25 Diesem Zweek dienen im besonderen auch Prooimion und Einleitung des Geschiehtswerkes.
26 Beste Zusammenfassung des hellenistischen Tyrannenbildes bei H. Berve, Die Tyrannis bei den Griechen, I, München 1967, 476-509.
27 H.-G. Beck, Res publica Romana. Vom Staatsdenken der Byzantiner, Sitzungsber. der Bayer. Akad. d. Wissenschaften 1970, Heft 2. Theophylaktos ist dabei leider kaum herange¬
zogen.
28 Zitiert iWd. 14 A. 14.
schers. Theophylaktos legt gerade dem abgesetzten Hormizdas Worte in den Mund,
die entscheidend fiir das Bestehen staathcher Ordnung sind: „Der Aufstand ist der
Vorläufer der allgemeinen Unordnung, Unordnung aber bedeutet Auflösung der
Herrschaft, diese wiederum ist Ausgangspunkt des Chaos .. . Wenn das Staatsschiff (basileias skaphos) von vielen Steuerleuten gelenkt wird, bringt es schon ein gering-
fiigiger Stoß an den Klippen zum Untergehen"''. Abgesehen von der antiken Re-
mineszenz an das Staatsschiff'", kommt hier ein Gedanke zum Ausdruck, der
durchaus einem echten Ansinnen gegenüber dem sassanidischen Nachbarstaat ent¬
springen kann: die Vermeidung von Rebehion und Chaos. Kaiser Maurikios hat
Chosrau II. gegen Vahräm unterstützt, um dem persischen Bürgerkrieg ein Ende zu
bereiten und eine Person an der Spitze des Staates zu wissen, die diesen unbestritten
repräsentiert. Wie andere zeitgenössische Autoren, von denen eingangs die Rede
war, läßt auch Theophylaktos keinen Zweifel, daß das sassanidisehe Reich eine
pohteia, einen Staat, darsteht, obgleich ihn der Herrscher nicht im Auftrag Gottes
verwaltet. Ideologie und praktisches Handeln stehen dabei im Widerspruch, ohne
daß sich die Byzantiner darüber aherdings Gedanken machen, jedenfalls soweit es
die QueUen erkennen lassen.
Zwei sog. Selbstzeugnisse des Chosrau, als er von Vahräm vertrieben m byz.
Gebiet geflohen war, körmen das Büd vom Staat noch vertiefen. Das erste Doku¬
ment ist ein Brief von Maurikios, der trotz der Versichemng des Historikers, wört¬
Uch wiedergegeben zu sein, zu sehr byz. Denken verrät, um nicht wenigstens überar¬
beitet zu sein. Die für uns relevanten Stellen werden im zweiten Dokument, einer
Rede, die Theophylaktos Chosrau sprechen läßt, wiederholt und erweitert. Schon
daraus ist ersichtlich, daß diese Gedanken, wohte man den Brief als echt anerken¬
nen, auch Theophylaktos büligt. Im „Brief heißt es nun unter anderem: „Von
Anfang an hat Gott bewirkt, daß die gesamte Welt von zwei Augen erleuchtet
werde, d. h. vom mächtigen Kaisertum der Romäer und der besonnenen Macht des
persischen Staates. Denn durch diese gewaltigen Reiche werden die ungehorsamen
und kriegliebenden Stämme niedergezwungen und die Einrichtungen der Menschen
m Ordnung gehalten"" . In der Rede des vertriebenen Chosrau wird die Gleichstel¬
lung des byzantinischen und des sassanidischen Reiches offenbar, eine Gleich¬
stellung, die sich sonst nur im Brüderverhältnis der beiden Herrscher ausdrückt" :
„Nicht eine einzige Herrschaft allein", heißt es in der Rede, „ist in der Lage, die
gewaltige Sorge um die gute Ordnung der Welt sich aufzuladen und rueht mit dem
Ruder nur eines Verstandes läßt sich die ganze Schöpfung lenken, die unter der
Sonne lebt . . . Wenn daher auch die Perser aus dem Feld der Mächte ausgeschaltet sind, wird die Macht sogleich auf andere übergehen"" .
29 Theop. Simok. IV, 4, 11-12.
30 Vgl. Platon, Politikos 297 a und Xenophon, Memorabilia 9, 11.
31 Theoph. Simok. IV, 11, 2-3.
32 F. Dölger, Die „Famihe der Könige" im Mittelalter, in Byzanz und die europäische Staaten¬
welt, Darmstadt 1964, 34-69, bes. 59-61. Dölger hat das Zeugnis der Staatengleichheit nicht mitherangezogen.
33 Theoph. Simok. IV, 13, 7-9.
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Hier drückt sich, beinahe prophetisch, die Bedeutung des persischen Staates aus.
Kaiser Herakleios hat den Zusammenbruch seines Lebenswerkes noch erlebt. Denn
wenige Jahre, nachdem er mit dem Sieg über Chosrau II. den persischen Staat als
politisches Faktum ausgeschaltet hatte, drängen die Araber m jenen Raum vor, der
machtpolitisch ein Vakuum gebheben war. Die Bedeutung, die der persische Staat
für Byzanz hatte, körmte nicht besser ausgedrückt werden als durch diese Worte
des Zeitgenossen Theophylaktos, von dem wir nicht wissen, ob er noch den Unter¬
gang der Staatenschöpfung seines Kaisers erlebt hat.
Diese knappen Ausführungen lassen sich, wie mir scheint, m zweifacher Hin¬
sicht zusammenfassen. Als Person ist der Perser konträr dem Romäer, dem Byzan¬
tiner, entgegengesetzt; auch der Herrscher ist, unter diesem Aspekt, nicht davon
ausgenommen und wird gerade zum Prototyp des Tyraimen. Das Perserbild ist
hierbei sehr schablonenhaft, es hat kaum persönhche Züge und erinnert an das
Araberbild späterer Jahrhunderte, über das in eigenem Zusammenhang zu handeln
wäre. Der Perser ist eben seit Jahrhunderten der Landesfeind, unter hterarischem
Gesichtspunkt schon seit Herodot, wie in der Folge der Araber. Ganz anders steht
es mit dem Staat als organisatorischem Ganzen. Seine Existenz wird nicht in Frage
gesteUt, sogar als notwendig erachtet, in der Realpohtik natürhch nur msoweit, als
er die vereinbarten Grenzen nicht überschreitet.
Die wenigen, aber bisweilen doch ausführhchen Quellen, im besonderen Theo¬
phylaktos Simokattes, eriauben doch, ein PerserbUd der Byzantiner zu skizzieren.
Es wäre veriockend, seitens der Iranisten zu erfahren, wie die Sassaruden die Byzan¬
tiner einschätzten. Als Nichtspezialist scheint mir jedoch, daß dafür die Quehen in keiner Weise ausreichen und die hier vorgetragene Betrachtung damit notgedrungen einseitig bleibt** .
34 Amir Mahdi Badi, Los Grecs et les Barbares, Lausanne 1963 (mir nicht /.ugänglich).
ALTTESTAMENTLICHER PROPHETIE
Von Ulrich Wehr, Hamburg
Persönliche Vorbemerkung: Als Pastor fühle ich mich manchmal identisch mit
jenem „pastor" (västar) Zarathustra Y 27,13; cf. 29,1, der laut Söderblom' und Schlerath' seinem Auftrag aus ,, soziologischer Vereinzelung" heraus nachkam. Es ist jedenfalls diese soziologische Vereinzelung, unter der ich em wenig leide, weü mir als Pastor Zeh und Gelegenheit fehlen, den Kontakt mit Iranisten oder auch nur Theologen zu halten. Um so mehr freut und ehrt es mich, hier sprechen zu körmen.
Auch für diesen Vortrag steht mir nur knappe Zeh zur Verfügung. Verzichtet
habe ich deshalb auf einen Überbhck über die Sekundärhteratur, die im Anschluß
an ZS (Zätspram) 21 und das Ardäi VTräz Nänak Zarathustra als Propheten sieht;
gestrichen ist auch em Abschnht über Selbstbezeichnungen Zarathustras.
Beherzigen wir den Ratschlag Lommels', in der Diskussion über Zarathustra
nicht dessen eigene Stimme zu überhören! Die drei Selbstbezeichnungen zaotar
.Priester' (33,6), mat?ran ,Ma;>ra-Sprecher' (51,8) und staotar ,Lobsänger' (50,11)
weisen gerade nicht auf eine spezielle prophetische Tätigkeit hin; mai?ra ist bei
Zarathustra, wie Thieme'' gezeigt hat, spekulatives Dichterwort, das tiefsmnig
Wahrheiten aufdeckt.
Um aber nicht an isolierter Wortsemantüc hängen zu bleiben, möchte ich
vorweg die Hauptthese „verraten":
I THESE UND DEFINITION
Zarathustra ist zwar im engeren Sinn des Wortes Icein Prophet; aber seine Gathas
enthalten trotzdem eine Reihe von prophetischen Elementen, so daß man ihn als
Priester mit prophetischem Einschlag bezeichnen darf.
Zur Begründung dieser These schließe ich gleich eine Definition an. Dabei lasse
ich mich leiten von Ansätzen, wie sie in alttestamentlicher Forschung üblich smd:
Unter emem Propheten verstehe ich jemanden, der aufgrund göttlicher Berufung
oder Beauftragung Gegenwart und Vergangenheit mahnend und scheltend aufgreift
und das zukünftige, durch eigenes Verhalten ausgelöste und durch Gott vollendete
Geschick Einzelner oder des Volkes in die Form von Visionen und v.a. Prophe¬
zeiungen kleidet.
1 Söderblom, Der lebendige Gott, 1942, 200.
2 Schlerath im Sammelband Zarathustra, 1970, 355.
3 Cf etwa Sammelband Zarathustra, 49.
4 ZDMG 107 (1957), 67 ff; bes. 94: „Es sind spekulative Gedanken und Gesichte, bei denen es vor allem darauf ankommt, daß sie Wahrheiten aufdecken. . .".