MODERNISIERUNG DES ARABISCHEN
Von M. Hamui, Freiburg
Wenn heute von der Modernisierung des Arabischen gesprochen wird, so
ist damit die arabische Hochsprache gemeint, und nicht nur die arabische
Schriftsprache, wie manche deutsche Arabisten sie zu bezeichnen pflegen.
Die arabische Hochsprache beschränkt sich nicht nur auf die Schrift, sondern
sie wird auch im Rundfunk, Fernsehen, Film, Theater, in Vorträgen, Vor¬
lesungen und zwischen den gebildeten Menschen gepflegt, sobald sie aus den
verschiedenen arabischen Ländern stammen.
Die arabische Hochsprache spielt in der arabischen Welt die gleiche
Rolle, wie beispielsweise Hochdeutsch in der Schweiz.
Innerhalb zweier Perioden in der Geschichte stand die arabische Sprache
vor der Aufgabe, sich der modernen Welt anzupassen. Wie Sie
wissen, erstmals, als die Araber auf einen religiösen Eroberungszug gingen
und im achten Jahrhundert ein Reich gründeten, das sich von der Atlantischen
Küste Portugals bis zum westlichen Randbezirk von China erstreckte. Dieses
Reich umfasste die Hälfte der damals bekannten Welt.
Die arabische Sprache konnte die Erfordernisse der damaligen Zivilisation
nicht erfüllen. Zwar verfügte sie über einen großen Wortschatz, so zum Bei¬
spiel über 100 Namen für "Wein", 170 für "Wasser", 250 für das "Kamel"
und 350 für den "Löwen".
Die Araber sahen sich daher gezwungen, zu Lehnwörtern zu greifen. Be¬
reits im Koran stoßen wir auf griechische, lateinische und persische Ä'örter,
wie: "strata" (Straße), "castra" (Alkazar), "Paradies" und "Burg". Im 19.
Jahrhundert wurde die arabische Sprache wiederholt vor die Aufgabe gestellt,
sich die Begriffe der modernen Welt anzueignen. Diese Entwick¬
lung war jedoch sehr begrenzt. Osmanische Termini fand zwar ihren Nieder¬
schlag, aber einen neuen Umschwung erlebte die arabische Sprache erst, als
die Medizinische Fakultät der Syrischen Universität im Jahre 1919 gegründet
und in Arabisch gelehrt wurde. Später auch, als die Arabische Sprachakade¬
mie 1934 in Kairo ins Leben gerufen wurde.
Selbst Großmächte unterlagen den Schwierigkeiten bei Ubersetzungen von
Fachausdrücken, so daß sie keine andere Wahl hatten, als bei Ubersetzungen
auf eine Genauigkeit zu verzichten. Beispielsweise vermochte die USA nicht
das Wort "Exequatur" in einem Staatsvertrag mit einem arabischen Land in
richtiger Ubersetzung wiederzugeben. Sie umging die Schwierigkeit, indem
sie das Wort mit der Bezeichnung "Amtliche Urkunde" erläuterte. Eine an¬
dere Weltmacht, die Sowjetunion, war während einer Verhandlung mit dem
ägyptischen Regierungschef nicht in der Lage, das Wort "Manöver" ins Ara¬
bische zu übersetzen. Die Ubersetzung für "Manöver" lautete "Puppe". Fer¬
ner wurde in einem Staatsvertrag zwischen der BR Deutschland und einem ara¬
bischen Staat der Satz "Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten usw —"
ganz einfach in der Ubersetzung ausgelassen. Solche Probleme haben sich
nicht nur auf ausländische Mächte beschränkt, auch die arabischen Regierun¬
gen und Universitätprofessoren sind manchmal nicht in der Lage, die präzise
arabische Terminologie zu beherrschen.
Meine seit dem Jahre 1947 veröffentlichten Bücher liefern für meine Be¬
hauptung eindeutige Beweise. Ein Botaniker und Mitglied der Akademie der
arabischen Sprache in Kairo übersetzte "Avocatobaum" mit "Rechtsanwalt¬
baum", weil er der Annahme war, daß das Wort aus dem italienischen "Avvo-
cato" stammt. Zwei neu erschienene Wörterbücher übernahmen sogar seine
falsche Bezeichnung. Die richtige Bezeichnung ist "Alligator Birne" oder
"Hodenbaum". Ein Völkerrechtler an einer Universität übersetzte "Rekredi- tive" ( = lettres de recreance) mit "Unterhaltungsschreiben", weil er der An¬
nahme war, daß "recreance" von "recreation" abzuleiten sei. Der ägyptische Generalstab übersetzte "Miliz" mit "Kriegskunst", eine völlig veraltete Be¬
deutung des französischen Wortes "Milice". Die Generalstäbe der arabischen Welt übersetzten "Lenksäule" (eines Fahrzeuges) mit "Marschkolonne" und
"Großeinsatz" mit "einem gefährlichen chirurgischen Eingriff". In einer Ar¬
beit, die vom "Obersten Rat zur Förderung der Literatur und der Sozialwis¬
senschaften" in Ägypten herausgegeben wurde, übersetzten Professoren der
politischen Geographie das Wort "Irredentismus" mit der gegenteiligen Be¬
deutung "Seperatismus" . Experten der Sozialwissenschaften in Ägypten über¬
setzten das iVort "Gewerkschaft" ( = trade union) mit "Handelsunion". Die
Akademie der arabischen Sprache in Kairo beging auch den gleichen Fehler.
Erlauben Sie mir bitte, jetzt über meine eigenen, persönlichen Erfahrungen
auf dem Gebiet arabischer Termini zu berichten. /.Is ich 1946 aus Deutsch¬
land nach Syrien zurückkehrte, und ein Buch über "Die Diplomatie" in Ara¬
bisch veröffentlichen wollte, stieß ich dabei auf unüberwindbare Schwierig¬
keiten. In den meisten Fällen fand ich keine präzisen Fachausdrücke des zwi¬
schenstaatlichen Rechts in Arabisch. Begriffe, wie Exterritorialität, freies
Geleit, Unantastbarkeit, Unverletzlichkeit, Pakt, Charta, Protokoll, Schlu߬
akte gehörten zwar zu meiner Fachsprache, die arabischen, gleichbedeuten¬
den Wörter waren jedoch in den Lehr- oder Wörterbüchern nicht zu finden,
oder nicht präzise ausgedrückt. Diese Tatsache zwang mich, eine detaillierte
Forschung darüber aufzunehmen. Nach dem Erscheinen dieser Arbeit beauf¬
tragte mich die Syrische Regierung ein Projekt aufzustellen, damit über die
Liga der arabischen Staaten diese Fachausrücke einheitlich Anwendung finden
können.
Auch das Außenministerum in Kairo gab mir 1960/1961 die volle Freiheit,
auf diesem Gebiet weiterzuforschen und beschloß später, diese Arbeit als ihre
Publikation zu veröffentlichen. Zwei Wochen danach geschah jedoch die Tren¬
nung zwischen Ägypten und Syrien.
Der Herausgeber des "Al-Mounged", wie Sie wissen für die Araber gleich¬
bedeutend einem "Duden", "Sprachbrockhaus" oder "Petite Larousse", beauf¬
tragten mich 1966, den französisch-arabischen "Al-Mounged" zu überprüfen
und ggfs. zu berichtigen. Für Begriffe, die der arabischen Welt bisher unbe¬
kannt geblieben waren, nahm ich Wortprägungen vor.
Folgende Methoden fanden dabei ihre Anwendung:
1. Wiederaufleben von Ausdrücken aus der arabischen Klassik;
2. Ableitung neuer Ausdrücke aus arabischen Grundformen;
3. Wortneubildungen (Neologismus) durch etymologische Forschung;
4. Wortzusammensetzungen.
In den Fällen, in denen alle diese Methoden absolut keine Anwendung finden
konnten, blieb nur noch eine fünfte,
5. die Lehnübernahme.
Man wird dadurch erkennen, daß es keine einfache Formel gab, die befolgt
werden konnte, sondern vielmehr ein kompliziertes Arbeitsverfahren entwik-
kelt werden mußte.
Bei Betrachtung der klassischen arabischen Sprache ist auffallend, daß sie
weit davon entfernt ist, unserem gegenwärtigen Wissen zu entsprechen und un¬
sere modernen Bedürfnisse zu erfüllen.Die Wörterbücher der klassischen ara¬
bischen Sprache kannten keinen Unterschied zwischen "Kiefer, Zeder und Wach¬
holder oder zwischen Gänsen und Enten, oder zwischen Mandeln und Haselnüs¬
sen, oder zwischen Aal, Wels (Waller) und Neunauge (Lamprette)". In den
klassischen arabischen Wörterbüchern bezeichnet man "Heuschrecken, Flie¬
gen und Bienen" als Vögel und nicht als Insekten. Insekten waren aber: "Maus,
Ratte, Eidechse und Igel". "Mohn, Hanf und Senf" wurden als Bäume bezeich¬
net. Andererseits ist die klassische arabische Sprache bei Ausdrücken wie:
Adler und Geier, oder Tiger, Panther und Gepard viel präziser als das Durch¬
einander der heutigen Anwendung.
Erlauben Sie mir, Ihnen in diesem Zusammenhang folgende Anekdote zu er¬
zählen: "A.ls die ägyptischen, syrischen und libyischen Staatsoberhäupter 1971
zusammentrafen, um eine Union zu gründen, beabsichtigten sie für diese neue
Union ein Hoheitszeichen auszuwählen. Sie entschlossen sich für einen "Nasr".
Der Beduine Gadafi, naturverbunden, konnte aber nicht verstehen, wieso man
einen "Geier" als Hoheitszeichen auswählen konnte und erhob Einspruch. Der
ägyptische und der syrische Präsident, die den wirklichen Sachverhalt nicht
erkannten, und fälschlicherweise den "Nasr" für einen "Adler" hielten, einig¬
ten sich schließlich mit dem Libyer auf einen "Falken".
Jeder, der sich mit einer solchen sprachlichen Forschung befaßt, muß zu der
Erkenntnis kommen, daß tief eingebürgerte, falsche Bezeichnungen nicht im¬
mer druch präzise Ausdrücke zu ersetzen sind. Die USA z.B. heißt im Arabischen
"Die Vereinigten Provinzen von Amerika". Aus erklärlichen Gründen können
wir hier keine Berichtigung vornehmen. Vergleichsweise verwendet man in
Deutschland den falschen Ausdruck "Völkerrecht". Die richtige Bezeichnung,
"Zwischenstaatliches Recht" hat sich bis jetzt nicht durchgesetzt.
Manchmal steht man vor der unerfreulichen Aufgabe, sich vom Sprachge¬
brauch oder von der Grammatik zu befreien.
1947 verwendete ich den Ausdruck "duwali", um dem Unterschied zwischen
"staatlich und international", d.h. zwischenstaatlich, Ausdruck zu verleihen,
was eine heftige Kritik konservativer Kreise zur Folge hatte. Zu meinem Glück
sanktionierte die A.rabische Sprachakademie nach einer gewissen Zeit eine sol¬
che Prägung.
In weiten Teilen der arabischen Welt hat man durch das verhältnismäßig
neugeborene arabische Nationalgefühl eine tiefe Abneigung gegen das Lehn¬
oder Fremdwort. A,ls die Staatsoberhäupter von Ägypten, Irak und Syrien
1963 eine Union zu gründen beabsichtigten, und ihr eine Verfassung geben woll¬
ten, wurde das persische Wort "dastur" für "Verfassung" abgelehnt. Sie wähl¬
ten dafür das Wort "Kanun Assassi", also "Grundgesetz", ohne zu erkennen,
daJJ sie vom Regen in die Traufe kamen, denn der neu gewählte Ausdruck
stammt ja aus dem Alt-Griechischen. Andererseits hat sich inzwischen die
arabische Sprache so weit entwickelt, daJ3 für die modernen Begriffe unseres
Zeitalters eine ganz genaue Termini vorhanden ist, so auf dem Gebiet der Wis¬
senschaften, wie zum Beispiel für Geologie, Biologie, Histologie undPathologi
In der Philosophie für Agnostizismus, Epistemologie und Instrumentalismus.
Auf dem Gebiet der Psychologie für Aphasie, Melancholie und Halluzination.
In der Kriegsführung für Schlachtschiff, Kreuzer und Zerstörer. Bei moder¬
nen Gegenständen - Batterie, Bremse und Mikroskop.
Meine Ausführungen möchte ich mit der Bemerkung schließen, daß die deut
sehe Arabistik immer noch vor einem unerschlossenen Gebiet steht.
ZUR KLASSIFIKATION DER RELATIVSÄTZE IM ARABISCHEN
Von Regina Hartmann, Bielefeld
Es mag befremdlich erscheinen, ein Referat ausgerechnet über arabische
Relativsätze zu halten, d.h. über eine grammatische Erscheinung, die - so¬
weit bisher zu sehen - keinerlei Probleme aufgeworfen hat. Zwei Gründe
sprechen jedoch für eine solche Behandlung: Einmal sind Relativsätze ein wich¬
tiges sprachliches Mittel, mit dessen Hilfe man sich auf jede Art von Objek¬
ten - zwecks weiterer Spezifizierung - beziehen kann, ohne für die damit
spezifizierten Objekte einen eigenen (neuen) Namen schaffen zu müssen; des¬
sen ungeachtet, d.h. ungeachtet dieser wichtigen Funktion für die aktive Rede¬
gestaltung, hat der Relativsatz innerhalb der grammatischen Darstellung des
/rabischen wenig Beachtung gefunden (l). Zum andern soll der Beitrag ver¬
suchen zu zeigen, daß die /. rabistik, als die sprachwissenschaftlich orientier¬
te Teildisziplin im Bereich der Islamistik, nicht mehr ohne moderne linguisti¬
sche Methoden auskommt, sofern sie zu zeitgerechten Ergebnissen kommen
will. Denn die meisten deutschsprachigen Grammatiken des Arabischen sind
ziemlich alt und basieren auf den sprachwissenschaftlichen Methoden der Jahr¬
hundertwende (2); insofern bietet es sich an, allmählich die zwischenzeitlich
entwickelten Methoden auch für die Arabistik nutzbar zu machen. Außerdem
hat KAHLE in seinem Artikel (3) gezeigt, daß es in der BRD um das Verhält¬
nis Arabistik/Linguistik - zum Nachteil der Arabistik - schlecht bestellt
ist. Dieser Mißstand sollte schrittweise behoben werden.
1. Im folgenden werden Nebensätze untersucht, die einem substantivischen
Leitwort zugeordnet sind und somit dem entsprechen, was z.B. im Deutschen
unter 'Relativsatz' geführt wird. Dabei wird sich zeigen, daß neben den Re¬
lativsätzen im engen Sinn auch eine Untergurppe der Hälsätze in die Untersu¬
chung einbezogen werden muß. Die 'substantivischen Relativsätze' der ara¬
bischen Grammatik werden nicht behandelt. Die Untersuchung soll die seman¬
tischen Beziehungen erkennen lassen, die zwischen einem Relativsatz und sei¬
nem Bezugssubstantiv bestehen können.
Die dem Beitrag zugrundliegenden Thesen lauten wie folgt:
1. Hälsätze sind eine Untergruppe der Relativsätze.
2. Die Beziehung der Relativsätze zu ihren Bezugssubstantiv kann zweifach
sein: restriktiv und nicht-restriktiv.
3. Der restriktive Relativsatz bestimmt die Artikelselektion seines Bezugs¬
substantivs.
4. "Relativsätze nach genereller Determination" sind normale Relativsätze.
Diese Thesen haben einen unterschiedlichen Status: 1. und 4. berichtigen die
traditionellen Grammatiken, 2. und 3. bereichern sie.
Die Beispiele stammen aus den traditionellen Grammatiken und einigen der
neueren Lehrbücher (4). Daraus ergibt sich (mindestens) eine Schwierigkeit:
die Grammatiken zitieren meistens nur Syntagmen, d.h. keine ganzen Sätze,
so daß die gegebene Interpretation nicht anhand des umgebenden Kontextes