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(1)DIE ANWENDUNG NEUERER LITERATURWISSENSCHAFTLICHER METHODEN IN DER ARABISTIK Von Gregor Schoeler, Gießen I

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(1)

DIE ANWENDUNG NEUERER LITERATURWISSENSCHAFTLICHER

METHODEN IN DER ARABISTIK

Von Gregor Schoeler, Gießen

I.

Die Literaturwissenschaft, wie sie von den "klassischen" literaturwissen¬

schaftlichen Fächern Germanistik, Romanistik, Anglistik usw. vertreten wird,

hat in den letzten Jahrzehnten eine Vielfalt von Methoden entwickelt (l). Ein

Großteil dieser Methoden existierte bis vor kurzem mehr oder weniger fried¬

lich nebeneinander her; doch war abzusehen, daß der "Methodenpluralismus"

über kurz oder lang zu einer "Methodendiskussion" führen würde. Diese Ent¬

wicklung trat jedoch erst unter dem Eindruck nicht mehr zu ignorierender von

außen kommender Herausforderungen ein - ich nenne die wachsende Bedeu¬

tung der modernen Linguistik und Soziologie. Da aber "die Diskussion über

Methoden ... (schon) Entscheidungen auf einer anderen Ebene ... voraus-

(setzt)", indem "die Antwort auf Einzelfragen ... erst auf dem Boden einer

grundlegenden Theorie möglich (ist)" (2), führte die oben umrissene Ent¬

wicklung ihrerseits zu einer intensiven Beschäftigung mit der Theorie der Me¬

thoden und Methodenbildung, also der Methodologie.

Methodenfragen und Beschäftigung mit Methodologie bestimmen z.Z. das

Interesse der "klassischen" literaturwissenschaftlichen Disziplinen, in ganz

besonderem Maße das der neueren Germanistik.

Die literaturwissenschaftlich befaßte Arabistik hat von der dargestellten

Entwicklung in den Nachbarfächern nur wenig Kenntnis genommen. Diese Iso¬

lierung ist ihr nun in allerjüngster Zeit namentlich von linguistischer und li¬

teraturwissenschaftlicher Seite vorgeworfen worden. Dabei ist es bezeichnend,

daß die Kritik nicht direkt von Vertretern der genannten Disziplinen kam, son¬

dern von linguistisch bzw. literaturwissenschaftlich ausgebildeten Orientali¬

sten, und zwar im Rahmen von z.T. recht temperamentvollen Rezensionen (3).

Besteht der Vorwurf, die Arabistik kapsele sich von ihren Nachbarfächern

ab und mache deren methodische Fortschritte nichf'mit, zu Recht? Um diese

Frage beantworten zu können, möchte ich zunächst versuchen, den Ort der

Arabistik innerhalb der geschichtlichen Entwicklung der Literaturwissenschaf¬

ten zu bestimmen.

Der Konstanzer Romanist Hans Robert Jauß hat in seinem Aufsatz "Para¬

digmawechsel in der Literaturwissenschaft" (4) die Methoden der Literatur¬

wissenschaft in ihrem historischen Wandel charakterisiert. Er benutzt dabei

das Schema des Physikers Thomas S. Kuhn, das dieser in seinem Buch "Die

Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" (s) entwickelt hat. Kuhn und Jauß

bringen den Wechsel von Methoden auf den Begriff eines Paradigmawechsels.

Dabei ist Paradigma "eine neue, durch umwälzende Erkenntnisse begründete

Methode (also nicht jede beliebige neue Methode! ) (eine Methode), die System¬

charakter hat und die für gewisse Zeit einer Gemeinschaft von Fachleuten Mo¬

delle und Lösungen liefert" (Jauß, S. 275). Paradebeispiel eines Paradigma

(2)

wechseis in der Geschichte der Naturwissenschaften ist die Kopernikanische

Reform (S. 276). "Der Erfolg eines neuen Paradigmas beruht darauf, daß es

im vornhinein die erfolgreiche Klärung der meisten Beobachtungen und Expe¬

rimente einer Wissenschaft garantiert. Jedes Paradigma leitet eine neue Nor¬

malphase der Forschung ein, die dadurch definierbar ist, daß es sich hier

um die Klärung von Rätseln mit zugesicherter Lösung handelt. Normale Wissen¬

schaft strebt demnach gar nicht nach tatsächlich und theoretisch Neuem, son¬

dern ist bemüht, die Rätsel zu lösen, deren Lösung durch das Paradigma schon

zugesichert ist ... Auf diesem Wege wird das Paradigma allmählich ausge¬

schöpft ..." - Zum Wechsel eines Paradigmas kommt es, wenn "Erwartun¬

gen gestört werden und Anomalien eintreten, die neue Fragestellungen herauf¬

rufen ..." (S. 275-6).

Jauß stellt drei große Paradigmata der Literaturwissenschaft

fest: 1. das Vorbild des klassischen Altertums, 2. den Historismus (mit der

historisch-kritischen und später der positivistischen Methode) und 3. Stilistik

und werkimmanente Ästhetik (S. 276-282). Die gegenwärtige Lage der Litera¬

turwissenschaft zeichnet sich nach Jauß dadurch aus, daß zwar noch kein neu¬

es, viertes Paradigma erkennbar ist, daß aber "alle Anzeichen einer lebhaften

Krise gegeben sind", da "das Ungenügen an der werkimmanent-formalistischen Methode", also dem dritten Paradigma, "unübersehbar" ist (S. 282).

Wenn wir nun nach dem Ort der arabistischen Literaturwissenschaft in die¬

sem Schema fragen, so werden wir auf das zweite Paradigma, "Historismus",

verwiesen. Nur sehr wenige, neuere Arbeiten lassen sich dem dritten

Paradigma, "Formalismus", zuordnen.

Es ist also festzustellen, daJB die Arabistik mit der Entwicklung der anderen

literaturwissenschaftlichen Disziplinen nicht Schritt gehalten hat. Woran liegt

das? Mit Sicherheit nicht zuletzt daran, daß das im Rahmen des Jauß'schen

Schemas zweite Paradigma, "Historismus", noch nicht ausgeschöpft ist - noch

viel weniger das dritte Paradigma, dessen Aufkommen ja seinerseits eine Er¬

schöpfung des zweiten voraussetzt.

Bleibende Leistungen der historisch-kritischen und der positivistischen Me¬

thoden sind Texteditionen, Biographien, Quellenforschung, Stoff- und Litera¬

turgeschichten; die Arabistik besitzt, um nur ein paar - negative - Beispiele

herauszugreifen, noch keine vollständigen Editionen der Diwane von Abbasi-

dendichtern ersten Ranges wie Abü Nuwäs, Ibn ar-Rümi, Ibn al-Mu©tazz; da¬

mit hängt zusammen, daß es auch noch keine Geschichte der abbasidischen Li¬

teratur gibt.

Eine bleibende Leistung der formalistischen Methode ist es, "ein großes In¬

strumentarium an Interpretationstechniken geschaffen (zu haben), die das li¬

terarische Werk überhaupt erst zu einem selbständigen Gegenstand der For¬

schung erhoben" (Jauß, S. 281); die Arabistik besitzt so gut wie gar keine Ge¬

dichtinterpretationen; Beschreibungen sprachlicher Mittel, literarischer Ver¬

fahren und Aufbauformen sind noch sehr selten.

Schon an dieser Stelle können wir eine Zwischenbilanz ziehen und feststellen:

Auch in Zukunft wird es sich nicht vermeiden lassen, daß die Arabistik, zu¬

mindest in einem bestimmten Teil ihrer Forschungstätigkeit, wissenschaftsge¬

schichtlich gesehen hinter der Entwicklung der Nachbarfächer zurück¬

bleibt. - Allerdings wird die Chance, daß wir den Vorsprung der an¬

dern in absehbarer Zeit doch etwas ausgleichen, durch die rege Aktivität der

modernen arabischen Gelehrten vor allem auf dem Gebiet der Textedition,

Monographie usw. ganz erheblich verbessert.

(3)

Demgegenüber ist zu bedenken: Wenn oben von "bleibenden Leistungen" des

Historismus und des Formalismus die Rede war, so impliziert das, daß be¬

stimmte andere Arbeitsgebiete, Fragestellungen und Theorien dieser Para¬

digmata endgültig der Vergangenheit angehören. Dergleichen trotzdem weiter

zu tradieren, kann sich die Arabistik, darin ist unseren Kritikern zuzustim¬

men, nicht leisten.

II.

Wir sollten auf jeden Fall mit den Methoden, die unsere Nachbarfächer z.Z.

praktizieren oder auch nur diskutieren, vertraut sein. Ob wir diese Methoden

(bzw. die bei ihnen zur Anwendung kommenden Kriterien und Kategorien) im¬

mer übernehmen können (und sollten), bleibt indes fraglich. Die Methoden

sind in Auseinandersetzung mit und für ein spezielles Gegenüber

entwickelt worden. Ein vergleichbarer aber eben doch nicht gleicher Gegen¬

stand kann schon die Anwendung einer erheblich modifizierten oder einer ganz

anderen Methode erfordern.

Zunächst ein Beispiel aus einem unserer Nachbarfächer. In der Altgerma¬

nistik hat man über "Grenzen und Möglichkeiten einer althochdeutschen Lite¬

raturgeschichte" (6) diskutiert; der Gegenstand - in diesem Falle die alt¬

hochdeutsche Literatur - läßt aufgrund seines Zustandes, der durch Mangel

an Denkmälern, unvollständige und schlechte Uberlieferung gekennzeichnet ist,

keine Geschichtsschreibung in dem Sinne zu, wie sie etwa für das mittelcilter-

lich-lateinische oder das mittelhochdeutsche Schrifttum möglich ist.

Ich komme zur Arabistik zurück. Die unterschiedliche Beschaf¬

fenheit des Gegenstandes - der europäischen Literaturen einerseits und der

arabischen Literatur andererseits - läßt es auch fraglich erscheinen, ob wir

innerfachlich entwickelte Theorien, Kategorien und Terminologien - und dazu

rechne ich auch einen Teil des von den mittelalterlichen arabischen Theoreti¬

kern Geleisteten - grundsätzlich zugunsten der von den Nachbarfächern er¬

arbeiteten Theorien usw. aufgeben sollten.

Entsprechende Bedenken können sich bei der Betrachtung einer Untersuchung

zur altarabischen Poesie einstellen, die - als eine der wenigen Ausnahmen -

moderne formalistische Methoden anwendet und die - in vorbildlicher Weise -

auch Ergebnisse der Nachbardisziplinen berücksichtigt. Ich denke an R. Jacobis

Buch "Studien zur Poetik der altarabischen Qasi4e" (7) und speziell an dessen

viertes Kapitel "Die Qaside als Gattung". Nachdem die Verfasserin dort die

Unmöglichkeit festgestellt hat, die altarabische Qft'side mit den uns geläufigen

Begriffen Epik, Lyrik, Dramatik zu charakterisieren, versucht sie es mit den

damals (gerade noch) aktuellen, von dem Germanisten E. Staiger entwickel¬

ten "Grundhaltungen" "episch", "lyrisch", "dramatisch" (die mit dem konven¬

tionellerweise so Bezeichneten nicht unbedingt identisch sind). Das Ergebnis:

die Qaside ist im nasib und im wa§f-Teil (im Sinne Staigers) "episch", im

zweckgerichteten Schlußteil "dramatisch". Diese Klassifizierung stellt zweifel¬

los einen großen Fortschritt gegenüber den bisherigen analogen Versuchen dar,

die die wichtigste Form der altarabischen Dichtung meist als lyrisch (im üb¬

lichen Sinne) eingeordnet hatten. Von vornherein unbefriedigend ist jedoch,

daß die Staiger'schen Kategorien, vor allem die epische, nun dermaßen er¬

weitert erscheinen, daß man an ihrem heuristischen Wert zweifeln muß. Man

stelle sich vor, daß der Begriff "episch" nun so Verschiedenes wie eine Ho¬

merische Teichoskopie und eine altarabische at;läl-KIage abdecken muß.

(4)

Nun hat eine neue, mit Methoden der Transformationsgrammatik arbeitende

Untersuchung über die Gattungstheorie, Klaus W. Hempfers Buch dieses Ti¬

tels (8), bewiesen, daß die Staiger'sehe Gattungstheorie mit ihrer Trias der

Grundhaltungen als ewig präexistenter, im Sein des Menschen begründeter

Ideen als falsifiziert gelten muß (Hempfer, S. 73). Eine logisch stringente

Gattungstheorie hat dagegen nach Hempfer drei Ebenen zu unterscheiden:

1. die Sprechsituation. Hier gibt es nur zwei Kategorien: eine darstellende

(performative) und eine berichtende (epische);

2. die Schreibweise. Hierbei handelt es sich um Begriffe wie: das Narrative,

das Satirische, das Komische, das Dramatische, das Didaktische, das De¬

skriptive, das Panegyrische usw. Im Gegensatz zur Ebene der Sprechsi¬

tuation kann es hier viele Kategorien geben (und auch Uberlagerungen von

solchen); wieviele, ist nicht prognostizierbar, sondern muß empirisch

festgestellt werden. - Die verschiedenen Schreibweisen sind entweder in

die berichtende oder in die darstellende Sprechsituation "eingebettet".

3. Während die Kategorien der ersten wie der zweiten Ebene "ahistorische

Konstanten" sind, sind die der dritten Ebene "historisch": Es handelt sich

hier um die eigentlichen "Gattungen" (Epos, Verssatire, Epigramm usw.),

in denen sich die einzelnen Schreibweisen konkretisieren (Vgl. Hempfer,

S. 26-27 u. S. 224-225).

Wenden wir nun dieses Schema auf die altarabische Qasidendichtung an, so

können wir feststellen: Die Qaside, eine "historische Gattung", ist im Rahmen

der Kategorien der ersten Ebene berichtend, im Rahmen der Kategorien der

zweiten Ebene ist sie - Je nach ihren verschiedenen Abschnitten - deskriptiv,

satirisch, panegyrisch usw.

Die Schreibweisen entsprechen nun aber ziemlich genau den von den mittel¬

alterlichen arabischen Theoretikern entwickelten Begriffen wasf, madih, higä'

usw. Berücksichtigt man außerdem, daß die Einteilung nach Sprechsituationen

für die arabische Poesie nicht in Betracht kommt - es gibt praktisch nur be¬

richtende Dichtung - so ergibt sich, daß die von den arabischen Philologen -

am Material erarbeiteten - Kategorien für den Zweck der Charakterisierung

der Qasidendichtung (und der arabischen Dichtung überhaupt) durchaus ge¬

eignet sind, geeigneter Jedenfalls ails die Staiger'schen "Grundhaltungen", die

Ja von der antiken und klassisch-romantischen deutschen Dichtung "abgezo¬

gen" sind. - Das Beispiel sollte zeigen, daß die Orientierung an Theorien

und Kategorienbildungen, die gerade in einem Nachbarfach aktuell sind, ge¬

genüber der Ausrichtung an innerfachlichen Vorgängern für den Arabisten

nicht unter allen Umständen einen Vorteil darstellt.

III.

Es zeigt aber auch, daß ein solches Vorgehen immer ein Wagnis ist. Das

trifft ganz besonders in der gegenwärtigen Lage zu. Denn die Literaturwissen¬

schaft, deren methodische Fortschritte wir Ja mitmachen oder doch wenig¬

stens in etwa einholen wollen, befindet sich Ja in einer krisenhaften Umbruch¬

situation. Wie sollen wir uns angesichts dieser Tatsache verhalten?

Mustert man die neueren und neuesten literaturwissenschaftlichen Veröffent¬

lichungen durch, so wird - trotz des verwirrenden Gesamtbildes - doch eine

fast allen Diskussionsbeiträgen gemeinsame Tendenz sichtbar: die Forderung

(5)

nämlich, die Literatur nicht länger von der Geschichte zu isolieren. Je nach Standpunkt wird dabei unter "Geschichte" mehr die innerliterarische Evolu¬

tion (Spätphase des Russischen Formalismus (9), Wellek (lO)) oder der hi¬

storisch-gesellschaftliche Prozeß (marxistische Literaturwissenschaft (ll),

Literatursoziologie (12)) oder beides zusammen (z.B. Jauß (l3), Hermand(l4),

Emrich (15)) verstanden. Es spricht vieles dafür, daß man sich auf den zuletzt

genannten Standpunkt, der ja die beiden anderen zu vermitteln sucht, einigt.

Sollten wir nicht auch einmal versuchen, hier anzuknüpfen?

Zum Begriff "gesellschaftlich" ist vielleicht eine kurze Anmerkung ange¬

bracht. Wie angedeutet, hat die Literaturwissenschaft, indem sie die gesell¬

schaftliche Dimension ihres Gegenstandes wieder mehr berücksichtigt, auf

eine Anregung (um nicht zu sagen: Herausforderung) des Marxismus und der

Soziologie reagiert. Man hätte entsprechende Anregungen - darüber sind sich

die Literaturwissenschaftler heute im klaren - aber schon zu einem früheren

Zeitpunkt auch von einer ganz anderen Seite, nämlich den alttestamentlichen

Wissenschaften, beziehen können, wenn man sich um deren Ergebnisse nur

gekümmert hätte ... (l6). Denn bei den Alttestamentlern ist die Bedeutung,

die der "Sitz im Leben" für eine literarische Gattung hat, seit langem erkannt

und in vorbildlicher Weise erforscht worden.

Wie sieht es nun in dieser Beziehung in der Arabistik aus ? So

schwerwiegend der Mangel an formalistischen Arbeiten ist - das

fast völlige Fehlen des entsprechenden Paradigmas in unserer Wis¬

senschaft hat doch auch eine gute Seite: In der Arabistik sind die

"Fäden, die vom Werk nach (allen) anderen Richtungen laufen", nie so "ri¬

goros" abgeschnitten worden (17) wie in den literaturwissenschaftlichen Nach¬

bardisziplinen. So haben Nallino und Blachere - leider nur bis zur Umaiya-

denzeit gediehene - Literaturgeschichten verfaßt, in denen übrigens auch

die historisch-gesellschaftlichen Implikationen der Literatur berücksichtigt

werden - und das zu einer Zeit, da die Literaturwissenschaftler in Frank¬

reich "explication de textes" (und in der Bundesrepublik "werkimmanente In¬

terpretation") betrieben. Und von Grunebaum hat in einigen seiner Studien (18)

bereits Ansätze zu einer bewußt soziologischenBetrachtungsweise der Lite¬

ratur geliefert - in einer Zeit, als in Amerika die New Critics und - spä¬

ter - Wellek das Feld beherrschten.

Was den historisch-gesellschaftlichen Aspekt anlangt, unter dem die ara¬

bische Literatur zu betrachten ist, so sind, wie ich meine, in den Arbeiten

Nallinos, Blacheres und vor allem von Grunebaum* mögliche inner fachliche

Anknüpfungspunkte für künftig zu leistende Untersuchungen gegeben.

Ziel ist auf jeden Fall - wie bei den Nachbarfächern so auch bei uns -

eine wirkliche Literatur gesehiehte, die einerseits die verschiedenen Gat¬

tungen, Formen, Motive, Bilder und literarischen Techniken darstellt, und

zwar sowohl synchronisch, d.h. im System, im Zusammenhang mit (bzw. in

Opposition zu) den gleichzeitigen literarischen Erscheinungen, als auch dia¬

chronisch, d.h. in ihrer Entwicklung; andererseits aber auch die historisch¬

gesellschaftlichen Implikationen von alledem aufzeigt. - Sachlich und zeit¬

lich eingegrenzte Untersuchungen, für die diachronische Ebene etwa Geschich¬

ten von einzelnen literarischen Gattungen, Formen und Techniken, für die syn¬

chronische Ebene z.B. Feststellung und genaue Untersuchung von literarischen

Wendepunkten, die eine exakte Periodisierung der Literaturgeschichte erlau¬

ben (l9), könnten sinnvolle Vorarbeiten sein.

(6)

Wie eine derartige Vorarbeit in groben Umrissen aussehen könnte, möchte

ich nun an einem Beispiel veranschaulichen. Und zwar möchte ich versuchen,

einen Wendepunkt in der Entwicklung der arabischen Poesie kurz zu charak- '

terisieren. Es versteht sich, daß eine solche Charakterisierung, da sie auf

die Darstellung von Einzelphänomenen verzichten muß, wo es doch gerade auf

sie ankommt, nur demonstrativen Wert haben kann.

Der erste Wendepunkt in der Geschichte der arabischen Dichtung ist m.E. in

der Periode zu sehen, wo die bislang rein-beduinische Poesie in den Anzie¬

hungsbereich der Höfe der Lai3miden von al-Hira und der Gassäniden gerät.

Dieser Wendepunkt liegt also nur wenig später als der Zeitpunkt, wo die ara¬

bische Dichtung überhaupt in unseren Blick tritt - mag sein, daß aus diesem

Grund die Wandlungen, die mit ihm eingetreten sind, bisher zwar schon be¬

schrieben (20), der Wendepunkt als solcher aber noch nicht genügend erkannt

worden ist.

War die Dichtung in der beduinischen Gesellschaft - vor allem in ihren

Hauptgattungen higä-' und madih - ursprünglich eine magische Institution ge¬

wesen - die Schmähung sollte dem feindlichen Stamm oder Gegner (auch phy¬

sisch) schaden, der Preis dem eigenen Stamme oder dessen Saiyid Segen brin¬

gen (21) - so wird sie jetzt, nachdem ihr "Sitz im Leben" sich an die Höfe

verlagert hat, für den Fürsten ein Instrument der Propaganda und für den Dich¬

ter ein Mittel, seinen Lebensunterhalt zu erwerben.

Diese Wandlung ist von den mittelalterlichen arabischen Theoretikern genau¬

estens beschrieben worden. Nach Ibn Rasiq (22) soll der Dichter an-Näbiga

acJ-Dubyänl, der an den Höfen der Lahmiden und der Gassäniden lebte, der

erste gewesen sein, der durch seine Kunst ein Vermögen verdient hat. Dem

entspricht, daß sich seine Lobqasiden in augenfälliger Weise von denen älterer

und gleichzeitiger Dichter, die nicht oder nicht in dem Maße von den Höfen ge¬

prägt sind, unterscheiden. Wie R. Jacobi (23) gezeigt hat, ist der Ton des

madih bei an-Näbiga devot, der Katalog der zu preisenden Tugenden ändert

sich, und im stilistischen Bereich gewinnt die Hyberbel und der hyperbolische

Vergleich früher nicht dagewesene Bedeutung. Darüber hinaus begründet an-

Näbiga eine neue Gattung bzw. Untergattung der Lobdichtung: die Entschuldi¬

gungsdichtung, ein Genre, das in der beduinischen Gesellschaft undenkbar ge¬

wesen wäre.

Von einem literarischen Wendepunkt ist zu postulieren, daß die mit ihm ein¬

tretenden Veränderungen und Neuerungen eine gewisse Durchschlagskraft und

Dauer haben müssen. Die Voraussetzung für Kontinuität und Weiterentwick¬

lung einer '"höfischen" Lobdichtung wird - nach dem Verschwinden der LaJ)-

miden und Gassäniden - durch das Aufkommen der Höfe von Damaskus und

- später - von Bagdad gegeben sein.

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, möchte ich abschließend

noch einmal betonen: Es ist nicht zu fordern, daß die literaturwissenschaft¬

lich befaßte Arabistik sich in Zukunft ausschließlich "werktranszendie-

renden" Arbeiten, wie ich sie oben zu charakterisieren versucht habe, zu¬

wendet; neben derartigen, gewiß erfolgversprechenden und notwenigen Initi¬

ativen sind weiterhin u.a. dringende Desiderata: Texteditionen und Monogra¬

phien, Ubersichten über Themenkreis, Bildersprache und rhetorische Mit¬

tel einzelner Dichter, Untersuchungen literarischer Einflüsse, Motiv- und

Bilderkataloge, Begriffsbestimmungen und - vor allem - Gedichtinterpre¬

tationen, mag das alles auch - wissenschaftsgeschichtlich gesehen - älteren

Paradigmata der Literaturwissenschaft zuzuordnen sein.

(7)

Anmerkungen

1. Zum folgenden vgl. J. Hauff, A. Heller u.a.: Methodendiskussion. Ar¬

beitsbuch zur Literaturwissenschaft. Bd. 1-2. Durchg. u. erg. Aufl.

Frankfurt 1973 ( = Fischer Athenäum Taschenbücher Literaturwissen¬

schaft 2003-4), S. 1-3.

2. Hauff usw.: a.a.O., S. 2.

3. Zum Beispiel H. Fähndrich: Literaturwissenschait und Arabistik. Ein¬

zelfall oder Symptom einer "Altertumswissenschaft"? In: Die Welt des

Orients 7 (1974), S. 259-266. - G. Windfuhr: (Rez. von:) M.C. Bateson:

Structural Continuity in Poetry ... undR. Jacobi : Studien ... In: Journal

of the American Oriental Society 94 (1974), S. 529-533, bes. S. 530 b oben.

- Ders. : (Rez. von: ) B. Reinert: Häqäni als Dichter ... In: ZDMG 125

(1975), S. 408-413.

4. In: V. Zmegac (Hrsg.): Methoden der deutschen Literaturwissenschaft.

Korr. Neuaufl. Frankfurt 1974 ( = Fischer Athenäum Taschenbücher Li¬

teraturwissenschaft 2001), S. 274-290.

5. Frankfurt 1967 ( = Theorie 2 Reihe des Suhrkamp Verlages).

6. W. Schröder: Grenzen ... Berlin 1959 ( = Berichte über die Verhand¬

lungen der Sächs. Ak. d.Wiss. zu Leipzig. Phil . -hist. Kl ., Bd. 105, H. 2).

7. Wiesbaden 1971 ( = Ak.d.Wiss.u.d. Lit. Veröffentlichungen d. Orient.

Komm. Bd. XXIV).

8. K.W. Hempfer: Gattungstheorie. München 1973 ( = Uni-Taschenbücher

133).

9. Vgl. J. Tynjanov: Uber die literarische Evolution. In: J. Striedter;

Russischer Formalismus. München 1971 ( = Uni-Taschenbücher 40), S.

433-461.

10. Vgl. R. Wellek: Literaturtheorie, Kritik und Literaturgeschichte. In: ders. :

Grundbegriffe der Literaturkritik. 2. Aufl. Stuttgart, Berlin usw. 1971,

S. 9-23, bes. S. 9u. 22.-Welleks Stsindpunkt kann für die charakterisierte

Tendenz freilich nur mit Einschränkungen geltend gemacht werden.

11. Vgl. vor allem die Schriften G. Lukäcs' . - Eine gute Auswahl bietet der

Sammelband G. L. : Schriften zur Literatursoziologie (Werkauswahl Bd. l).

Ausgew. u. eingel. v. Peter Ludz. 5. Aufl. München 1972 ( = Soziologi¬

sche Texte Bd. 9).

12. Vgl. die Aufsatzsammlung J. Bark (Hrsg. : ) Literatursoziologie Bd. 1-2.

Stuttgart, Berlin usw. 1974. - A. Hauser: Sozialgesehichte der Kunst und

Literatur. München 1953.

13. H.R. Jauß: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft.

In: ders.: Literaturgeschichte als Provokation. 5. Aufl. Frankfurt 1974

( = edition suhrkamp 418), S. 144-207.

14. J. Hermand: Synthetisches Interpretieren. 4. Aufl. München 1973 ( = Samm¬

lung Dialog 27), bes. S. 173-258.

15. W. Emrich: Ein Fragebogen aus Moskau. In: V. Zmegac (s. Anm. 4. ),

S. 249-258.

16. Vgl. H.R. Jauß: Theorie der Gattungen und Literatur des Mittelalters. In:

ders. u. E. Köhler (Hrsg.): Grundriß der romanischen Literaturen des

Mittelalters. Heidelberg 1968 ff. Bd. I (1973), S. 107-138, bes. S. 129 ff.

17. F. Sengle, zitiert nach J. Hermand (s. Anm. 14), S. 185.

18. Vgl. vor allem : Städtische Züge in der arabischen Literatur und: Wesen

(8)

und Werden der arabischen Poesie ... In: ders. : Kritik und Dichtkunst.

Studien zur arabischen Literaturgeschichte. Wiesbaden 1955, S. 52-69 bzw.

S. 17-27.

19. Derartige Untersuchungen fordert E. Köhlerj Uber die Möglichkeiten histo¬

risch-soziologischer Interpretation. In: V. Zmegac (s. Anm. 4), S. 227-

248, bes. S. 232.

20. Zuletzt von R. Jacobi (s. Anm. 7), S. 9 u. S. 95.

21. Vgl. I. Goldziher: Die Ursprünge der Higä'-Poesie. In: ders.: Abhand¬

lungen zur arabischen Philologie. Bd. I. Leiden 1896, S. 1-105.

22. aI-®Umda I. 4. Aufl. Beirut 1972, S. 80.

23. Studien ... (s. Anm. 7), S. 95-100.

(9)

DIE PRIMÄREN FUNKTIONEN DER PERSONALMORPHEME

DES SEMITISCHEN VERBUMS

Von Gerd Steiner, Marburg/Lahn

Von den Personalmorphemen der beiden Konjugationstypen des semitischen

Verbums zeigen die der Präfixkonjugation eine bemerkenswerte Einheitlich¬

keit in allen semitischen Sprachen, - zu denen hier außer den semitischen

Sprachen im engeren Sinn auch das Ägyptische und das Berberische gerechnet

werden sollen. Eine grundsätzliche Ausnahme bildet dabei nur das Ägyptische,

das an Stelle der Präfixkonjugation überhaupt einen ganz anderen Typ der Kon¬

jugation mit suffigierten Personalmorphemen gebraucht.

Dagegen finden sich bei den Personalmorphemen der Suffixkonjugation in den

einzelnen semitischen Sprachen auffällige Unterschiede der Formen. Zwar sind

gemeinsame Formen für die Morpheme der 3. Person und wohl auch der 1. pl.

anzunehmen; auch gilt das Prinzip, daß die Formen der 2. pl. im chareikte-

ristischen Konsonainten mit den Formen der 2. sg. übereinstimmen. Bei den

Morphemen der 1. und 2. sg. erscheinen aber als gleichwertig nebeneinander

Formen, die sich jeweils durch die charakteristischen Konsonanten /k/ und /t/

unterscheiden. Durch die Kombination dieser Formen ergeben sich in den ein¬

zelnen Sprachen drei verschiedene Serien von Personalmorphemen der Suffix¬

konjugation, die als K-, T- und K/T-Serie bezeichnet werden können, ^ij Dem¬

entsprechend lassen sich die Sprachen, in denen sie gebraucht werden, als

K-, T- und K/T-Sprachen charakterisieren.

K-Sprachen sind das Äthiopische, das Mehri und seine Verwandten, mögli¬

cherweise auch das Altsüdarabische; T-Sprachen das Ugaritische, das Aramä¬

ische, das Kanaanäische und das Nordarabische; und K/T-Sprachen das Ak¬

kadische, das Ägyptische und das Berberische.

Nach der "orthodoxen" Auffassung der Semitistik wären die Formen der

K/T-Serie die ursemitischen Personal morpheme der Suffixkonjugation. In

der K-Serie wären danach die Formen der 2. Person an die Form der 1. sg. ,

in der T-Serie dagegen die Form der 1. sg. an die Formen der 2. Person an¬

geglichen worden. Unerklärt bleibt dabei, warum in der K-Serie die Formen

der 2. pl. ebenfalls sin die Form der 1. sg. angeglichen worden ist, nicht aber

in der T-Serie auch die 1. pl. an die Formen der 2. pl.

Eine von der "orthodoxen" Auffassung abweichende Theorie erklärt die /k/-

und /t/-Formen der 2. Person aus einer primären Funktion der Konsonanten

zur Differenzierung des Genus. Die Form der 2. m. sg. sei ursprünglich /*kä/,

die der 2. f. sg. /*ti/ gewesen; in den Einzelsprachen sei dann ein Ausgleich

nach der /k/- oder der /t/-Form erfolgt. Das Verhältnis dieser Formen der

2. Person zu den entsprechenden Formen der 1. sg. bleibt dabei außer acht.

Eine wesentliche Rolle für die Erklärung der verschiedenen Formen bei den

Personalmorphemen der Suffixkonjugation spielt ein Typ von selbständigen Per¬

sonalpronomina, die ebenfalls mit Morphemen gebildet werden, die grundsätz¬

lich der K/T-Serie entsprechen. So wird die Suffixkonjugation überhaupt als

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