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D Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge – ein Weg aus der Sackgasse

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Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge –

ein Weg aus der Sackgasse

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ie Anrechnung beruflicher Kom­petenzen auf Hoch- schulstudiengänge ist ein we- sentlicher Bestandteil der Bo- logna-Reform­. Sie auch in Deutschland zu verankern, ha- ben sich seit einigen Jahren ver- schiedene Initiativen auf den Weg gem­acht. Eine davon ist die von HIS, dem­ VDI/VDE-IT und dem­ BIBB wissenschaftlich begleitete BMBF-Initiative AN- KOM. Dass Anrechnung trotz eindeutiger Dokum­entenlage noch im­m­er wenig zur Kenntnis genom­m­en wird, hat verschie- dene Gründe. Der Hauptgrund:

Der Blick auf Bologna ist hier- zulande nahezu ausschließlich auf die Ausgestaltung gestufter Studiengänge beschränkt.

Die Idee des Bologna-Prozesses ist eine umfassendere: Ein zu gestal- tender moderner europäischer Bildungs- und Hochschulraum soll sich durch ein Maximum an regio- naler und interinstitutioneller Transparenz und Vergleichbarkeit (nicht Gleichheit) und vor allem eine größere horizontale und ver- tikale Durchlässigkeit auszeichnen.

Beginnend mit der Bolognakonfe- renz 1 haben alle Nachfolge- konferenzen in zunehmender Dif- ferenziertheit die Forderung nach Anrechnungsmöglichkeiten von vorangegangenen Lernergebnis- sen (prior learning) formuliert. Auf der Londoner Konferenz im Mai 2007 wird dies ein Schwerpunkt der Arbeit sein. Auch die European University Association, die Interes- senvertretung der Hochschulen auf europäischer Ebene, hat sich im Jahr 2005 in der Glasgow-Erklä-

rung dazu bekannt, Anrechnung zu ihrer Sache zu machen.

Warum wird mehr Durch- lässigkeit zwischen den Bil- dungssystemen benötigt?

Berufliche Bildung und Allgemein- bildung haben in Deutschland eine lange Geschichte gegensei- tiger Abschottung hinter sich.

Martin Baethge, Direktor des Sozi- ologischen Forschungsinstituts SOFI, nennt dies das „deutsche Bil- dungs-Schisma“ und verweist auf die Einzigartigkeit dieser Segmen- tierung in Europa. Diese historisch gewachsene Entfremdung zwi- schen beruflicher Bildung und All- gemeinbildung resp. Hochschul- bildung mit ihren hoch selektiven und schwer korrigierbaren Wei- chenstellungen für Bildungs- und Partizipationschancen ist aber zu- gleich mit verantwortlich dafür, dass sich besonders die universi- täre Hochschulbildung enorm schwer tut, außerhochschulisch erworbene Kompetenzen als stu- dienrelevant anzuerkennen und die Berufswelt außer-

halb ihres ureigenen Beschäftigungsseg- mentes, der hoch- schulischen oder hochschulnahen For- schung und Lehre, wahrzunehmen. An- dererseits ruhte das duale Ausbildungs- system in seiner ei-

genen Logik und Verbindung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmer- interessen lange Zeit in sich und schien bei aller Modernisierung von Ausbildungsinhalten keinen grundlegenden Bedarf an struktu- rellen Veränderungen zu haben.

Insofern ist es historisch gar nicht hoch genug zu bewerten, dass die Hochschulen und beide großen gesellschaftlichen Gruppen – Ar- beitnehmer und Arbeitgeber –

durch ihr

gemeinsames Bemühen um An- rechnungswege beruflicher Kom- petenzen auf Hochschulstudien- gänge den gefährlich werdenden alten Zustand zu überwinden su- chen.

Ein zweiter Sachverhalt ist die soziale Segmentierung, die unser tradiertes Bildungswesen hervor- gebracht hat. Jürgen Baumert, Di- rektor des MPI für Bildungsfor- schung, fasste dies im Juni 2006 auf einer Ringvorlesung an der Universität Göttingen in dem Satz zusammen, Deutschland sei „Welt- meister im Erzeugen sozialer Dis- paritäten“. Ein Teil dieser sozialen Disparitäten geht direkt auf das von Baethge beschriebene „Bil- dungs-Schisma“ zurück. Wer ein- mal früh den Weg aus dem allge- meinbildenden Schulwesen in die

berufliche Bildung ge- wählt hat, steht vor enormen Hindernissen, sich eine Tür zu einem späteren, ggf. berufsbe- gleitenden Studium zu öffnen und sich auf die- se Weise beruflich wei- terzuentwickeln oder abzusichern. Nur eine verschwindend kleine Minderheit schafft es in Deutsch- land, auf nicht konventionellem Weg an die Hochschule zu gelan- gen.

Insofern war die Selbstver- pflichtung der europäischen Mi- nisterinnen und Minister auf der

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Karl-Heinz Minks minks@his.de legte Kompetenzen auch in

beruflichen Tätigkeitsfeldern, die (heute noch) nicht auf akade- mische Abschlüsse rekurrieren, bedeuten aber, dass sich – der Trennung der Bereiche der beruf- lichen Bildung und der Hochschul- bildung zum Trotz – naturwüchsig und in zunehmendem Umfang Überlappungsbereiche an Kom- petenzanforderungen herausge- bildet haben; diese ergeben die Möglichkeit und Notwendigkeit einer gegenseitigen Zurkenntnis- nahme und Anrechnung. Solche Äquivalenzen beruflich und hoch- schulisch erworbener Kompe- tenzen zu identifizieren, ist eine Grundvoraussetzung für Anrech- nung und zugleich eine der größ- ten Herausforderungen.

Ein vierter Grund für Anrech- nung und erhöhte Durchlässigkeit wird augenscheinlich, wenn man sich die höchst wahrscheinliche betriebliche Wirklichkeit in Deutschland in 20 bis 30 Jahren vorstellt: Die Altersstruktur der Be- legschaften in den Betrieben wird sich in Richtung eines erheblich höheren Durchschnittsalters ver- schoben haben. Der Anteil der Be- schäftigten über 45 Jahre wird deutlich größer sein als gegenwär- tig. Innovatives Wissen wird auf- grund der demographischen Ent- wicklung nicht mehr in demselben quantitativen Ausmaß mit jungen Hochschulabsolventen abgedeckt sein, wie dies bislang der Fall war.

Wollten wir die Qualifikationsbasis der Betriebe wie in der Vergangen- heit fast ausschließlich auf neuem Wissen junger Hochschulabsol- venten gründen, wären viele Be- triebe in nicht allzu ferner Zukunft mit einem dramatischen Qualifika- tionsmismatch konfrontiert.

Schließlich braucht Europa, wenn die eingangs genannten Ziele realisiert werden sollen, kom-

patible Bildungsstrukturen, die sich nicht an einer überholten, na- tional unterschiedlichen Bewer- tung von Bildungsabschlüssen nach Institutionen und Bildungs- sektoren, sondern an den erwor- benen Kompetenzen orientieren.

Für Deutschland liegen hierin große Chancen.

Frau Ministerin Schavan hat kürzlich eine Lanze für eine Bil- dungsforschung gebrochen, die etwas verändert: Dazu ist die Ent- wicklung nachhaltiger Anrech- nungsverfahren ein wichtiger, wenn auch nicht der einzige not- wendige Schritt.

Im Rahmen der Anrechnungs- initiative ANKOM

(http://ankom.his.de) sind zwölf Entwicklungsprojekte dabei, bis zum Jahresende 2007 praktikable und qualitätsgesicher- te Anrechnungsverfahren an ihren Hochschulen zu verankern. Die Überwindung der Entfremdung zwischen beruflicher und hoch- schulischer Bildung ist nicht nur ein Ziel der Entwicklungsprojekte, sondern gestaltet sich bereits von Beginn an in enger Kooperation zwischen beteiligten Hochschu- len, Sozialpartnern, Betrieben und Trägern der beruflichen (Weiter-) Bildung.

Bologna-Nach- folgekonferenz in Berlin 2003 keines-

wegs trivial, als sie erklärten, „sich mit allen geeigneten Mitteln dafür einsetzen zu wollen, den Zugang zur Hochschulbildung für alle auf der Grundlage ihrer Eignung zu ermöglichen“; im selben Atemzug forderten sie von den Hochschu- len, Anrechnung „früher erwor- bener Kenntnisse“ einzuführen.

(Auszüge aus dem Berlin Kommu- niqué 2003)

Ein dritter Sachverhalt, der nicht nur die soziale Dimension von Durchlässigkeit betrifft, zwingt dazu, den Zugang zur Hochschule gerade auch für Erwerbstätige durchlässiger zu machen:

Die Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts war durch relativ lange Inno- vationszyklen mit entspre- chend langen Phasen der individuellen und betrieb- lichen Verwertbarkeit von ein- mal erlangten Qualifikationen gekennzeichnet. In Zukunft – und vielfach auch schon heute – wer- den Kompetenzanforderungen gestellt, die sich ständig neu gene- rieren müssen. In vielen Bereichen des Beschäftigungssystems haben die Anteile systematischer (theo- retischer), kommunikativer und problemlösender Kompetenzen zugenommen, die nicht mehr al- lein auf Primärausbildung und Be- rufserfahrung beruhen. In einer sich entwickelnden Kompetenz- gesellschaft ist die ständige Bereit- schaft erforderlich, sich beruflich neu zu disponieren und zu defi- nieren. Wachsende Anforderungen an systematische, theorieunter-

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