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Rezension zu: Karin Birkner / Nina Janich (Hrsg.): Handbuch Text und Gespräch. Berlin/Boston: de Gruyter 2018 Friedrich Markewitz

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Rezension zu: Karin Birkner / Nina Janich (Hrsg.):

Handbuch Text und Gespräch. Berlin/Boston: de Gruyter 2018 Friedrich Markewitz

In ihrem 2018 erschienenen Handbuch der Reihe Handbücher Sprachwissen fokus- sieren die HerausgeberInnen Karin Birkner und Nina Janich ebenso wie die 22 wei- teren AutorInnen den Zusammenhang von Text, Gespräch und Wissen aus intradis- ziplinärer Perspektive. Insbesondere geht es ihnen darum, eine Brücke zwischen Text- und Gesprächslinguistik zu schlagen.

In einem Handbuch wird textsortenentsprechend der Kenntnisstand zu einem be- stimmten (Forschungs-)Objekt aus einer bestimmten (Forschungs-)Perspektive (und damit mit Zuordnung zu einem bestimmten Denkkollektiv) zur Darstellung gebracht, wobei zumeist der Versuch bemerkbar ist, dem Ganzen eine gewisse the- matische, kategoriale o.ä. Kohärenz zu geben. Die Auswahl der AutorInnen oder Artikel trägt so zur Festigung der grundlegenden Begriffe, Paradigmen o.ä. eines Forschungskollektivs als Denkkollektiv bei. Im Handbuch entscheidet sich also

"was als Grundbegriff zu gelten habe, welche Methoden lobenswert heißen, welche Richtungen vielversprechend erscheinen, welchen Forschern ein Rang zukomme und welche einfach der Vergessenheit anheimfallen" (Fleck 1980 [1935]: 158).

Dergestalt ist auch Text und Gespräch konzipiert, wobei die denkkollektiven Per- spektiven von den HerausgeberInnen in einer konzisen Einleitung benannt werden:

Das Aufgreifen "wesentliche[r] Traditionslinien und zentrale[r] Erkenntnisse der Textlinguistik und der Gesprächsforschung" (IX) sowie das Aufzeigen der Ver- schränkung der Kategorien 'Text' und 'Gespräch' und die Betonung des Zusammen- hangs zwischen beiden sowie der Gesellschaft bzw. gesellschaftlichem Wissen (vgl. IX).

Hinsichtlich ersterem Aspekt wird der Begriff der kommunikativen Praktik im Sinne Steins (2011) als einendes Konstrukt angegeben, das als "Überbegriff für (medial) gesprochene und geschriebene Texte" (IX) gelten soll und den AutorInnen als Konzeptbegriff für die Fassbarkeit der Verschränkung von Text und Gespräch sowie Mündlich(keit) und Schriftlich(keit) angeboten wurde. Ohne inhaltliche As- pekte vorwegzunehmen, kann darauf orientiert werden, dass von 23 Texten in 13 explizite Rekurse auf kommunikative Praktiken zu finden waren. In weiteren 8 fan- den sich Bezüge zu anderen Formen (z.B. der gesellschaftlichen Praktik) – diese Differenziertheit des Praktiken-Begriffes durchzieht aber nahezu alle Artikel und auch in denen, die explizit mit dem Begriff der kommunikativen Praktik arbeiten, finden sich andere Formen der deskriptiven, interaktiven (Deppermann: 111), dis- kursiven, nicht-sprachlichen (Spieß: 149, 153), literalen (Lehnen: 172), mündlich- dialogischen, medial-mündlichen ((Roth: 492, 493), dissensorientierten, sachorien- tierten oder kulturellen Praktik (Holly: 516, 517, 526) – und in zwei Artikeln (Nickl und Niehr) wurde auf keine Form des Praktiken-Begriffs Bezug genommen. Dies indiziert die Differenzierung des anhand der Texte rekonstruierbaren Denkkollek- tivs. Zugleich ist es wichtig hervorzuheben, dass terminologische Gemeinsamkei- ten noch keine konzeptionellen implizieren. Auch wenn die AutorInnen auf gleiche oder ähnliche Begriffe rekurrieren, kann sich ihre Implementierung, Ver- bzw. An- wendung und konkrete inhaltliche Füllung und Reichweichte doch unterscheiden.

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Dies ist vor dem Hintergrund zu bedenken, dass die AutorInnen zwar auf das Prak- tiken-Konzept rekurrieren, aber oft nicht weiter bzw. genauer ausführen, was sie spezifisch darunter verstehen. Weiterhin erscheint relevant, in welches Beziehungs- verhältnis Text und Gespräch gebracht wurden: In 12 Texten wurde die Verwoben- heit betont bzw. die Überholtheit der Trennung hervorgehoben. In weiteren 9 wur- den Text und Gespräch eher trennend behandelt, wobei zu unterscheiden ist, ob im Artikel nur ein Objekt behandelt wurde – in diesem Fall ist die Trennung durch die Verengung vorgezeichnet – oder ob auf beide, aber aus differenzierender Perspek- tive Bezug genommen wurde. Zur ersten Ausprägung lassen sich 6 Texte zuordnen, zur zweiten 3. In weiteren 2 Texten wurde die Differenzierung als nicht relevant gesehen und dies so im Text vermerkt (vgl. z.B. Holly: 511).

Im Rahmen des zweiten Aspekts der Verschränkung von Text/Gespräch sowie Gesellschaft soll der Wissens-Begriff produktiven Zugang zum soziokulturell-ge- sellschaftlichen Potenzial der Texte wie Gespräche ermöglichen. Dies sehen die HerausgeberInnen durch die Forschungsausrichtungen der Disziplinen bestätigt:

"SeitJahrzehnten wird in Text- und Gesprächslinguistik intensiv untersucht, wel- ches Wissen über (gesprochene und geschriebene) Texte notwendig ist, um Wissen in (gesprochenen und geschriebenen) Texten adäquat zu verstehen bzw. zu vermit- teln" (IX-X; Hervorhebungen im Original). In dieser Hinsicht sind die Begriffe Wis- sen und, bis zu einem gewissen Grad, Verstehen als zentral anzusehen. Diese An- nahme wird durch die Texte bestätigt, finden sich doch in 15 der Artikel explizite Verweise auf den Wissens- und z.T. auch den Verstehensbegriff.

Insgesamt versuchen die einzelnen Beiträge die diskursive Konstitution und Vermittlung von Wissen in Texten und Gesprächen sowie das Wissen über ge- schriebene und gesprochene Texte in den Blick zu nehmen. Dabei wird bewusst versucht, "zwischen den 'Welten' der Textlinguistik und der Gesprächsforschung zu vermitteln und, wo immer möglich, die verbreitete theoretisch-methodische Tren- nung von (medial geschriebenen, tendenziell monologischen) Texten und (medial gesprochenen, tendenziell dialogischen) Gesprächen zu überwinden" (X, Hervor- hebung im Original).

Dieser Ausrichtung folgend ist das Handbuch in vier Bereiche aufgeteilt, dem sich die einzelnen Artikel zuordnen, die nun im Einzelnen besprochen werden sol- len.

Abschnitt 1: Grundlegendes

Der erste Aufsatz Stephan Steins zu Oralität und Literarität (3-25) setzt sich zum Ziel, die Differenzierung wie Vernetzung von Text und Gespräch aufzuarbeiten. In einem ersten Abschnitt leitet er die Trennung aus den "verschiedenen Wissen- schaftstraditionen stammende[n] Konzepte[n] und Begrifflichkeiten" (4) ab.

Gleichzeitig macht er deutlich, dass die "Redeweise von 'gesprochener Sprache' bzw. von 'geschriebener Sprache' aus konzeptioneller Sicht suggeriert, man habe es mit zwei homogenen Untersuchungsbereichen zu tun" (6). Eine Konzeptualisie- rung, die er als nicht haltbar (vgl. 7) zurückweist. Letztlich sieht er die Trennung eher in Forschungslogiken begründet, da sich mit dieser Opposition "grundlegende Unterschiede der beiden Existenzformen von Sprache am besten verdeutlichen las- sen" (7). Aus diesen Überlegungen leitet er zum zweiten Abschnitt über, in dem das Verhältnis von Text und Gespräch anhand verschiedener Brennpunkte bestimmt

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werden soll. Dabei geht Stein auf die Problematik des Fehlens "tragfähige[r] Un- terscheidungsmerkmale" (7), die sprachtheoretische Debatte der vermeintlichen Abhängigkeit von geschriebener und gesprochener Sprache (vgl. 8), die kulturelle Signifikanz beider Modi (vgl. 9), die Bedeutung unserer kulturellen Prägung als Schriftkultur (vgl. 11) und auf Unterschiede hinsichtlich Varianz und Regelhaf- tigkeit von geschriebener und gesprochener Sprache ein (vgl. 12-13). Nachdem diese Traditionslinien und Forschungskontexte so knapp wie präzise aufgearbeitet wurden, widmet er sich Vergleichsperspektiven und sieht in dem Modell Koch/O- esterreichers (1986) (vgl. 13-14) ein geeignetes Werkzeug der Überwindung der Trennung von Text und Gespräch. Das Modell wird aber nicht unkritisch übernom- men und der Autor verweist auf verschiedene Aspekte der Weiterentwicklung, z.B.

aufgrund der veränderten technischen Bedingungen, ungenauen Terminologisie- rung und fehlenden Transparenz (vgl. 15-17). Aus dem Aufgearbeiteten leitet Stein zum Konzept der kommunikativen Praktik über: "Es bedarf […] eines vom Media- len (zunächst) unabhängigen text- und gesprächssortenübergreifenden Konzepts, wie es in Form der kommunikativen Praktiken vorliegt" (20). Er begründet dies mit in der Sprachpraxis auftretenden Mischphänomenen (vgl. 20) und verweist dabei auf die sprachhistorische Tendenz der Vermündlichung der Gegenwartsprache (vgl.

21f.). Steins Beitrag zeichnet sich durch seine umfassende Perspektive aus. Dass er dabei auf verschiedene Konzept-, Begriffs- und Forschungstraditionen zurück- greift, kann an einigen Stellen dazu führen, dass der 'rote Faden' (vom Trennenden zum Einenden) etwas verloren geht. Dies schmälert nicht den Wert des Textes, der es schafft, seine Gegenstände konzise einzuführen sowie zentrale Fragen und Per- spektiven vorzustellen und kritisch zu reflektieren, die den LeserInnen im weiteren Verlauf immer wieder begegnen.

Nach Steins einleitend-einendem Beitrag zum Verhältnis von geschriebener und gesprochener Sprache fokussieren die nächsten zwei Beiträge von Kirsten Adamzik und Andreas Gardt vornehmlich den Text-Begriff, gehen aber auch auf die Verbin- dungslinien zwischen Text und Gespräch ein. Sie werden so der Ausrichtung des Handbuches deutlicher gerecht als die zwei darauffolgenden Beiträge von Schwi- talla und z.T. Deppermann, die (insbesondere ersterer) eher darum bemüht sind, das Gespräch abgrenzend vom Text zu definieren (etwas, das zwar in der Einleitung der HerausgeberInnen als durchaus gewünscht markiert wird, vor dem Hintergrund der integrativen Perspektive der textlinguistisch ausgerichteten beiden Artikel auf- fällt, die sich deutlicher um das Aufzeigen von Verbindungslinien bemühen).

Adamzik nähert sich in Was ist ein Text (26-51) der Problematik über die in der Textlinguistik immer noch verwendeten, aber weithin kritisierten Textualitätskrite- rien (de Beaugrande/Dresslers 1981) an (vgl. 30ff.). Zuvor bestimmt sie leitende Perspektiven auf den Text, die abhängig von der Forschungsausrichtung unter- schiedliche Facetten betonen: So kann Text nach einer weiten Definition als Zei- chen beschrieben werden, aus enger gefasster Perspektive als sprachliche Satzfolge und zuletzt kann auf den Aspekt der interaktiven Hervorbringung verwiesen werden (vgl. 29). In diesem Spektrum lassen sich text- wie gesprächslinguistische For- schungsinteressen verorten. Der Aspekt des Spektrums bzw. der Skala ist dabei zentrales Moment des Beitrags. Adamzik wendet sich einem skalaren Ansatz der Text-Bestimmung zu, um so gesprochene wie schriftliche Texte erfassbar zu ma- chen. Als beide Forschungsbereiche wie -objekte einendes Konzept sieht auch Adamzik das der kommunikativen Praktik (vgl. 38), ebenso wie sie die Bedeutung

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des Modells Koch/Oesterreichers (1986) hervorhebt (vgl. 38). Seinen Erfolg sieht sie erneut im Aspekt des Kontinuums begründet, "das es erlaubt, in Skalen statt in Dichotomien zu denken" (39). Als letztes konstitutives Moment setzt die Autorin den Aspekt des Textwissens. Da sich ihr Beitrag auf den phänomenologischen Sta- tus des Textes bezieht, geht es ihr vor allem um das Wissen über Texte und die Frage, wie man zu diesem gelangt (vgl. 39). Dabei betont Adamzik erneut die Aus- richtung an einem skalaren Denkmodell (vgl. 40) und schlägt vor, die bisherige

"Dichotomie raum-zeitliche Kopräsenz durch die Skalen Verbreitungs-/Gültig- keitsradius und Bestands-/Gültigkeitsdauer zu ersetzen" (44), um so die kulturelle Signifikanz eines Textes erfassen zu können (vgl. 49). Adamziks Beitrag verfügt ebenfalls über einen weiten Fokus und greift verschiedene intradisziplinäre Zusam- menhänge auf. Aus textlinguistischer Perspektive erweist sich der Abschnitt zu den Textualitätsmerkmalen aber als etwas veraltet. Neuere Konzepte zur Textualität, z.B. der Vorschlag von Hausendorf/Kesselheim/Kato/Breitholz (2017), hätten zu- mindest Erwähnung finden können. Abseits dessen zeichnet sich der Text durch seinen logischen Aufbau und seine präzise Ausgestaltung aus.

Der Aspekt des Textwissens spielt auch im Beitrag Gardts, Wissenskonstitution im Text (52-79), eine, schon im Titel deutlich gemachte, konstitutive Rolle. Gardt geht von der Interdependenz von Text und Wissen aus (vgl. 52) und sieht Text "als zentrale[n] Ort der Bündelung, Sicherung und Vermittlung von Wissen" (53).

Nachdem er in einem ersten Abschnitt seinen Wissensbegriff exemplifiziert hat, geht es in einem zweiten darum, das Verhältnis von Wissen und Text zu konturie- ren, wobei er als grundsätzlich setzt, dass "Wissen in Texten […] durch die Bedeu- tung der textuellen Zeichen geschaffen [wird], vor dem Hintergrund der Kenntnis des pragmatisch-kommunikativen Rahmens, in dem der Text steht" (57). Das Ver- stehen von Texten (somit die Bedeutungs-Rekonstruktion) ist ein auf Vorwissen beruhender subjektiv-individueller sowie dezidiert konstruktivistischer Akt (vgl.

59). In dieser Hinsicht kann man von einer prinzipiellen Bedeutungs-Offenheit sprechen (vgl. 61). Diese korreliert mit der offenen Bedeutungs- bzw. Wissenskon- stitution im Text, da alles "an einem Text […] Bedeutung und damit zugleich Wis- sen konstituieren [kann]" (61). In Bezug auf die Bedeutungs- bzw. Wissenskonsti- tution richtet er sich auch gegen die in der Textlinguistik vorherrschende enge Ver- bindung zwischen Autor- und Textintention und verweist zu Recht darauf, dass sich die Literaturwissenschaft schon länger skeptisch zu dieser Verbindung positioniert hat (vgl. 67). Schließlich wendet auch er sich kritisch der Trennung von Mündlich- keit und Schriftlichkeit zu (und verweist in diesem Zusammenhang ebenfalls auf das Modell Koch/Oesterreichers (1986) (vgl. 67)), orientiert aber diesbezüglich auf die allgemeine kulturgeschichtliche Relevanz der Schriftlichkeit aufgrund der Be- deutung kanonischer Texte der Geistesgeschichte (vgl. 68). Dergestalt greift er the- matische sowie argumentative Linien der vorhergegangenen Aufsätze auf. Diese intertextuelle Verschränkung der Beiträge findet sich auch in anderen (z.B. bei Adamzik: 34/50). Die Gemeinsamkeit von Text und Gespräch bestimmt auch Gardt über das Konzept der "kommunikativen Praktiken als einer Kategorie […], die Texte wie Gespräche überdacht" (68, Hervorhebung im Original). Somit werden

"Texte wie Gespräche gleichermaßen als Ausdruck eines Handelns von Subjekten gesehen […], die das Ziel verfolgen, mittels und in Sprache die gesellschaftliche Welt zu gestalten" (68). Zuletzt geht es – dies zeichnet den stärker methodisch ori-

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entierten Ansatz aus – um die Darstellung von Methoden der textuellen Bedeu- tungs- bzw. Wissensanalyse, wobei der Autor auf die Frame-Analyse (vgl. 70), die Wordfeldtheorie (vgl. 71), die Schlagwort-, Metaphern- und Toposanalyse (vgl. 71- 72) Bezug nimmt. Mit einem knappen Fazit schließt der Beitrag, der sich durch seine stärker praxisorientierte Ausrichtung auszeichnet. So durchziehen den Text methodische Einschübe und erschließen die theoretischen Positionierungen auf an- wendungsbezogener Ebene, indem Anwendungsmöglichkeiten der theoretischen Zusammenhänge aufgezeigt werden.

Nachdem die beiden Beiträge Adamziks und Gardts eher die Phänomengestalt 'Text' in den Blick genommen haben, aber auch auf die Überwindbarkeit einer Tren- nung verwiesen haben, folgen zwei Artikel zum Gespräch (Schwitalla) sowie dem Verhältnis von Gespräch und Wissen (Deppermann). Johannes Schwitalla orientiert in Was ist ein Gespräch (80-103) nach einer knappen Einleitung, in der er auf eine aus der Dialoglinguistik stammende prototypische Definition von Gespräch als

"mündliche (verbale), beobachtbare […] Äußerungen zweier oder mehrerer körper- lich anwesender und körperlich agierender Personen […], die abwechselnd, z.T.

auch gleichzeitig sprechend […] eine kommunikative Aufgabe bearbeiten" (81) verweist, auf dessen konstitutive Eigenschaften, wie Kopräsenz, Multimodalität, Medialität, "finite Sinnprovinzen" (im Sinne von Alfred Schütz (1973)), Konstitu- tionsebenen sowie Beteiligungsrollen und -formen (vgl. 82-97). Während die ersten vier Ebenen eher theoretisch ausgerichtet sind, um die kommunikativen Eigenhei- ten des Gesprächs erfassen zu können (dabei wird deutlich, dass die besprochenen Charakteristika eher als Abgrenzungsmerkmal von Text und Gespräch verstanden werden), eröffnet der Aspekt der Konstitutionsebenen Zugänge zu Analyseperspek- tiven, werden hier doch Kategorien gesprächslinguistischer Analysen vorgestellt, z.B. Handlung, Aktivität, Interaktionstyp, Gesprächsorganisation, Thema, Inhalt, Beziehung, Selbst- und Fremdpositionierung, Emotion, Interaktionsmodalität und Kontextualisierung (vgl. 92-97). Unter dem Aspekt der Handlung, Aktivität und des Interaktionstyps wird auch auf das Konzept der kommunikativen Praktik Bezug genommen (vgl. 94), ohne es aber umfassend als überdachendes Prinzip von Text und Gespräch vorzustellen (er verweist aber auf ihr Potenzial als "Bindeglied"

(94)). Auf den Aspekt der kommunikativen Praktik wird so nur randständig verwie- sen und die Trennung von Mündlich(keit) und Schriftlich(keit) weiterhin vollzogen.

Dahingehend ist der Beitrag eher gesprächslinguistische Zusammenhänge rekapi- tulierend, denn neu perspektivierend, zeichnet sich aber durch seine Lesbarkeit, klare Übersichtlichkeit und stringente Themenführung aus.

Der sich anschließende Artikel Arnulf Deppermanns zum Wissen im Gespräch (104-142) will einen Überblick darüber geben, wie "grundlegend Wissen als Vo- raussetzung, Gegenstand und Produkt von Verständigungsprozessen für die Orga- nisation von Gesprächen ist" (104). Dabei wird ein Fokus auf die konversations- analytische Sicht gelegt und der Autor plädiert dafür, (in Bezug auf die "Rolle von Wissen als Interaktionsvoraussetzung" (133)) Konversationsanalyse mit Kogniti- onspsychologie zu verbinden (vgl. 133). Nach der Einführung seines Wissens-Be- griffes rekurriert auch dieser Autor auf das Konzept der kommunikativen Gattung/

Praktik und sieht den primären Zweck einiger Gattungen "in der Vermittlung und Überprüfung von Wissen" (109), was sie für die wissensorientierte Konversations- analyse so relevant erscheinen lässt. Als grundlegende wissensvermittelnde und verstehenssichernde Gattungen benennt er deskriptive Praktiken des Zeigens und

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Benennens (vgl. 109), sowie des Erzählens (vgl. 110-111), Erklärens, Begründens, Rechtfertigens und Entschuldigens (vgl. 111). Als Zugriff auf die Voraussetzungen zur Herstellung von geteiltem Wissen in Interaktionen rekurriert er auf die Aspekte des 'recipient designs' (vgl. 112) und 'groundings' (vgl. 117). Beide Konzepte wer- den durch z.T. umfassendere Transkriptauszüge untermauert, die die Produktivität wie Umsetzbarkeit der Kategorie aufzeigen sollen. Die hohe Dichte an Beispielen ist positiv hervorzuheben, zeigt sie doch die Umsetzung der eingeführten theoreti- schen Konzepte. Im letzten Abschnitt wird auf den epistemischen Status der Inter- agierenden verwiesen (vgl. 121). Zwar fehlen auch hier deutlichere Bezüge zu As- pekten wie der Verbindung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie dem Ver- hältnis von deskriptiver und kommunikativer Praktik, es wird aber durch den Rekurs auf kommunikative Gattungen zumindest indirekt ein ähnlicher Effekt erreicht. Ein weiteres Mal ist der Beitrag aber – dies machen auch die Beispiele deutlich – aus einer subdisziplinären linguistischen Perspektive (der Konversationsanalyse) ver- fasst worden. Umfassend und mit vielen Beispielen konturiert Deppermann den konversationsanalytischen Zugriff auf Wissenskonstitution in Interaktionen und vermag es, die eingeführten theoretischen Zugänge wie methodischen Kategorien nachvollziehbar darzustellen. Zusätzlich regt er weitere Forschungsperspektiven an und entgrenzt in dieser Hinsicht den bisher thematisch gesetzten Rahmen.

Im diesen Abschnitt abschließenden Beitrag zur Wissenskonstitution im Diskurs (143-168) setzt sich Constanze Spieß das Ziel, aufzuzeigen, "wie Wissen in Dis- kursen konstituiert wird, wie kommunikative Praktiken als diskursive Elemente an der Wissenskonstitution beteiligt sind und welche sprachlichen Elemente aus dis- kurslinguistischer Perspektive zentrale Elemente der kommunikativen Praktiken sind" (143). Schon aufgrund dieser Ausrichtung wird deutlich, dass das Konzept der kommunikativen Praktik eine große Rolle einnehmen wird, ebenso wie das der gesellschaftlich-diskursiven Wissenskonstitution. Auch wird die Aufhebung der Trennung von Mündlich(keit) und Schriftlich(keit) in den Blick genommen, da die Diskursperspektive eher Einendes denn Trennendes fokussiert (vgl. 150). Hinsicht- lich ihrer diskursiven Orientierung rekurriert Spieß auf einen Diskursbegriff, "der davon ausgeht, dass Wissen innerhalb von Diskursen prozessual auf verschiedenen Ebenen hervorgebracht, distribuiert und verhandelt wird" (144). Damit zusammen- hängend werden die kommunikativen Praktiken als "zentrale Elemente von Diskur- sen" (144) gesehen. Explizit versteht die Autorin diese als "sowohl schriftsprachli- che als auch gesprochensprachliche, multimodale, körperbezogene, mehr oder we- niger routinisierte, medial und historisch bedingte sowie handlungsorientierte Ak- tivitäten" (144). Nach diesen Festlegungen geht es in einem ersten Abschnitt um die Konturierung der Begriffe Wissen und Diskurs (vgl. 145-154). Beide werden anhand diskurstheoretischer Ausführungen Foucaults umrissen und um diskurslin- guistische Perspektivierungen ergänzt. Wichtig ist die Konzeptualisierung von Dis- kursen als Ansammlungen von Texten und Aussagen einer Wissensformation (vgl.

152-153). In einem zweiten Abschnitt geht Spieß auf methodologische Analysean- sätze näher ein und stellt zentrale Analyseebenen (Lexik, Aussage, Einzeltext, Transtext und Episteme) (vgl. 156) und sowohl das DIMEAN-Modell Spitzmül- ler/Warnkes (vgl. 159) als auch ihr eigenes Modell (vgl. 160) vor, wobei sie den Vorteil ihres Modells darin sieht, dass es die verschiedenen Analysedimensionen (stärker) miteinander in Beziehung setzt (vgl. 163). Zuletzt verweist sie auf weitere Forschungsperspektiven und betont das Potenzial der Verbindung von Gesprächs-

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und Diskurslinguistik (vgl. 164). Auch hebt sie die Bedeutung des Einbezugs "von Bildmaterialien oder weiteren nichtsprachlichen Zeichentypen" (164) hervor und orientiert auf die Erweiterung der Diskurslinguistik um den Dispositivbegriff (vgl.

164). Ihr Beitrag ist somit eine schöne Übersicht diskurslinguistischen Arbeitens, ohne den Zusammenhängen neue Dimensionen, sondern stattdessen perspektivie- rende Konzentration zu geben.

Abschnitt 2: Wissen in Sprachproduktion und -rezeption

An die sechs Grundlagen vermittelnden Beiträge schließen sich im zweiten großen Abschnitt vier Texte zu Produktions- wie Rezeptionsbedingungen an, wobei Katrin Lehnen eher text- und Katharina Bremer gesprächsbezogene Aspekte behandeln, während Susanne Göpferich-Görnert (Textverständlichkeit) und Ulrich Schmitz (Visualisierungen) spezifischere Aspekte diskutieren. Lehnens Artikel zum Schrei- ben und Lesen (171-199) fokussiert diese Prozesse "unter dem Aspekt der Wissens- verarbeitung und Wissensorganisation" (171). Dabei rekurriert sie auf die eigene Textsorte des Handbuchartikels als "gutes Beispiel für den engen Zusammenhang von Lese- und Schreibprozessen" (171). Lesen und Schreiben werden als kognitiv anspruchsvolle, strategisch geprägte Prozesse mit hohem Selbstregulationsbedarf und offenem Ausgang beschrieben (vgl. 174). Der hohe Grad an Offenheit und Komplexität beruht auf individuellen sowie sozial-kulturellen Erfahrungen, ebenso wie auf Motivation, Sozialisation und Kompetenz (vgl. 175), so dass man nicht von dem, sondern immer von spezifischem Lesen und Schreiben sprechen muss (vgl.

176). Als zentrale Größe für das Gelingen wird der Rückgriff auf bestehendes Wis- sen angeführt (vgl. 176). Auch die Aspekte der Wissensverarbeitung (vgl. 185) und -erzeugung (vgl. 187) werden angeführt, wobei Lehnen sich gegen die Modellie- rung des Schreibens als Problemlöseprozess wendet, bei dem das sprachliche For- mulieren lediglich als Übersetzung mentaler Konstrukte behandelt wird. Eine sol- che reduktionistische Ausrichtung räume der Sprache eine zu geringe Rolle ein (vgl. 188). Insbesondere hebt sie die Rolle des epistemischen Schreibens hervor, bei dem neues "Wissen entsteht oder erkundet, allmählich verfertigt bzw. struktu- riert und in Form eines knowledge transforming […] oder knowledge crafting […]

organisiert wird" (189, Hervorhebung im Original). Sie beendet den Abschnitt mit der Anführung intertextuellen, diskursiven Schreibens als eines "reading to write"

(190, Hervorhebung im Original) und mit einem Exkurs zum Unterschied zwischen Wissen im Kopf und Wissen im Text (vgl. 191ff.). Darauf folgt die Skizzierung methodologischer Herausforderungen, die im Problem der Erfassbarkeit nicht-ma- terialisierten, impliziten Wissens liegen (vgl. 193). Zuletzt folgt eine Angabe von Forschungsdesiderata, wobei vor allem auf den Aspekt der Aufarbeitung medialer Veränderungen rekurriert wird, ebenso wie auf die Darstellung kooperativer For- men des Lesens und Schreibens. In dieser Hinsicht endet der Beitrag praxisnah und gemäß seiner Ausrichtung folgerichtig. Die Prozessbedingungen des Lesens und Schreibens werden präzise dargestellt und machen den Beitrag zu einem guten Überblick.

Nach den Prozessen des Schreibens/Lesens schließt sich folgerichtig Bremers Text zum Sprechen und Hören (200-228) an, der den Aspekt der "Wissensorgani- sation und Wissensverarbeitung im Sprechen und Hören" (200) thematisiert. Dabei wird schon zu Anfang die Verschränkung von Sprechen (und Hören) mit unserem

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Wissen zur Situation und den relevanten Hintergründen hervorgehoben (vgl. 200).

Auch Bremer rekurriert auf die reduktionistische Sicht auf Sprache bzw. Sprechen als (versprachlichtes) Denken, geht diesen Aspekt aber kognitivistischer an, indem sie anführt, dass wesentliche Bereiche des Denkens wie der Welterfahrung nicht per se sprachlich organisiert seien. In dieser Hinsicht komme Denken prinzipiell ohne Sprache aus, aber Sprache verändere das Denken, indem es ihm eine neue Qualität gäbe (vgl. 202-204). An diese Überlegungen schließen zwei Abschnitte zur Wissensverwendung im Prozess des Sprechens und in dem des Verstehens an. Spre- chen wird als 3-stufiger Prozess beschrieben (Konzeptualisierung, Formulierung und Artikulation (vgl. 206)), wobei die kommunikative Situation als Rahmung für die Sprecher ebenfalls bedeutsam ist (vgl. 206). Zudem hebt die Autorin die funk- tionale Perspektive hervor, aus der heraus die Klärung von Sprechprinzipien statt- findet: "Forschungsleitend ist hier die Frage, in welchem Rahmen über welche Pa- rameter die Lösung konkreter kommunikativer Aufgaben variiert" (213). Als kon- stitutiv für die Realisierung alltägliche Aufgaben orientiert sie auf Aspekte der Makrostruktur und Linearisierung (vgl. 214). Alltagssprachlich zu bewältigende Aufgaben sind u.a. die kommunikativen Praktiken (ohne diese so zu benennen) des Erzählens, Instruierens und Beschreibens (vgl. 214-216). Relevante Aspekte der Wissensverwendung im Prozess des Verstehens und damit Hörens sind a) die situ- ative Rahmung (vgl. 218), b) das Prozesshafte (vgl. 219) und c) das Hintergrund- wissen, das sie als zentral für das Verstehen ansetzt und in dieser Hinsicht an den Beitrag Lehnens anschließt. Generell lassen sich beide Texte – auch wenn dies von den Autorinnen nicht explizit benannt wird – in ein Verhältnis zueinander setzen.

Anhand beider werden Ähnlichkeiten der Produktions- wie Rezeptionsprozesse von Text und Gespräch deutlich, wobei vor allem die Rolle des (Vor-)Wissens von kon- stitutiver Bedeutung ist. Die Ähnlichkeit wird auch auf terminologischer Ebene von Bremer antizipiert, die durchgängig von Text spricht. Auch wenn beide nur ein For- schungsobjekt fokussieren, kann durch den Vergleich ein Zusammenhang deutlich gemacht werden.

Susanne Göpferich-Görnert wendet sich in ihrem Beitrag zur Textverständlich- keit (229-248) einem textwissenschaftlich stark bearbeiteten Aspekt zu. Sie be- stimmt Verständlichkeit (aus textlinguistischer Forschungstradition folgerichtig (vgl. z.B. Heinemann/Heinemann 2002:42ff.)) als "eines der zentralen Qualitäts- merkmale von Texten" (229). Dabei ist Verstehen leser-, autorabhängig (vgl. 230) und ein relativer Begriff (nach dem Beitrag Adamziks könnte man von einem ska- laren Begriff sprechen), der adressaten-, produzenten- und kontextabhängig zu ver- stehen ist (vgl. 230-231). Nach diesen knappen Vorbemerkungen geht die Autorin auf die Aspekte der Textverständlichkeit beim Schreiben (232-237) und Lesen (237-244) ein. Sie bestimmt den Grad des Verständnisses eines Textes als abhängig von der Entwicklung der Kompetenz des Schreibers (vgl. 232). Auch sie hebt dabei die Bedeutung des Schreibens als Prozess der Entwicklung neuen Wissens hervor (vgl. 235). Als zentrale Parameter der Textverständlichkeit beim Lesen bestimmt die Autorin Leserlichkeit und Lesbarkeit (vgl. 237) und geht dann auf Methoden der Verständlichkeitsprüfung ein: a) textzentrierte, b) expertenurteilzentrierte und c) zielgruppenzentrierte (vgl. 241-242). Insbesondere letztere hebt sie positiv her- vor, da sich mit "leserzentrierten Methoden […] die am wenigsten spekulativen Aussagen über die Verständlichkeit von Texten gewinnen [lassen]" (242). Sie schließt ihren Beitrag mit einem politisch eingefärbten Ausblick und fordert eine

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Förderung der Textproduktionskompetenz im primären, sekundären und tertiären Bildungsbereich (vgl. 244-245). Auch Göpferich-Görnert fokussiert lediglich ein Forschungsobjekt (Text). Dergestalt verwundert es auch nicht, dass das Konzept der kommunikativen Praktik keine Erwähnung findet. Kenntnisreich und instruktiv vermag sie es aber, den Forschungszweig der Verständlichkeitsforschung aufzuar- beiten und gezielt Schwerpunktsetzungen vorzunehmen.

Ulrich Schmitz' Text zur Visualisierung in Text und Gespräch (249-275) schließt den zweiten Abschnitt des Handbuches konstruktiv ab. Auch wenn schon im Titel auf die verbindende Ausrichtung verwiesen wird, werden Text und Gespräch eher getrennt behandelt. Es geht so um Strategien der Visualisierung in sowohl Text als auch Gespräch und weniger um übergreifend-verbindende Darstellungen. Der Au- tor beginnt seinen Beitrag mit grundlegenden Hinweisen auf die Bedeutung des Vi- suellen sowie den multimodalen Charakter der alltäglichen Kommunikation (vgl.

250) und bestimmt, aufgrund der Verwendungsvielfalt des Ausdrucks Bild, seine Verwendung als 'picture' (und nicht 'image') (vgl. 251). Dann widmet er sich in drei Absätzen den multimodalen kommunikativen Praktiken, dem Unterschied von Ikon, Index und Symbol sowie einer Typologie kommunikativer Visualisierungs- Praktiken und konkretisiert Visualisierungen sowohl mündlicher als auch schriftli- cher Kommunikation. Da alle Verständigung konventionalisierten Routinen folgt, erscheint auch ihm der Rekurs auf das Konzept der kommunikativen Praktik ziel- führend (vgl. 253). Dabei bemängelt Schmitz, dass kommunikative Praktiken des Zusammenspiels von Sprache, Bild, Diagramm und Design bisher nur in Ansätzen erforscht seien und rekurriert auf Überlegungen der Erweiterung des Modells Koch/Oesterreichers um den Aspekt der Visualität (vgl. 255). Deutlich werden so die Verbindungen zu den Beiträgen Adamziks und Gardts. Nach einigen grundle- gende(re)n Ausführungen zur Pierce'schen Differenzierung von Ikon, Index und Symbol (vgl. 256-258) geht es Schmitz um die Erarbeitung einer Typologie von Visualisierungs-Praktiken: Die Typologie orientiert sich an vier Schritten: a) der Bestimmung der Bildsorte (vgl. 259) und b) Sprache-Bild-Sorte (vgl. 259), c) der Analyse der Visualisierung-Typen (vgl. 260) und d) der Beschreibung der Visuali- sierungs-Praktiken (vgl. 260). Dabei führt der Autor zu jedem Schritt eine Vielzahl an Analyseteilschritten an, um so die Füllung(en) der Kategorien deutlich werden zu lassen, und schließt mit einer Liste zu beschreibender Typen (vgl. 260-261). Bei Visualisierungen in der mündlichen Kommunikation orientiert er darauf, dass man erst dann von Visualisierungen spricht, "wenn sprachliche Informationen mehr oder minder intentional von informationstragenden optischen Mitteln begleitet werden"

(262). Als zentrale Aspekte der Visualisierung in schriftlicher Kommunikation nennt er vor allem Layout, Textdesign und Bilder (vgl. 263). Auch verweist er auf die Kompetenzen, über die Produzenten und Rezipienten verfügen müssen, um die Text-Bild-Komplexe adäquat produzieren wie rezipieren zu können (vgl. 263) und schließt eine Darstellung des Einsatzes visueller Mittel in den Domänen Wissen- schaft (264), Wissensvermittlung (266), Bildung (267) und Journalismus (268) an.

Er endet mit einem "Aus-Blick" und benennt Desiderata der Grundlagenforschung, der empirischen Analyse und der Rezeptionsforschung (vgl. 269-270). Der insge- samt visuell recht darstellungsarme Beitrag erweitert den zweiten Abschnitt auf konstruktive Weise und führt mit der Darstellung von Visualisierungsstrategien ei- nen zentralen Aspekt (nicht nur aber insbesondere) modernen Kommunizierens ein.

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Produktiv nimmt er bestehende thematische Linien vorhergegangener Beiträge auf und vermag diese auf die von ihm beschriebenen Kontexte darzustellen.

Abschnitt 3:

Wissen in Text und Gespräch – domänenspezifische Perspektiven Im dritten, umfangreichsten Abschnitt des Handbuches wird der Zusammenhang von Wissensproduktion, -konstitution und -verarbeitung (in den medialen Formen Text und Gespräch) anhand ausgewählter kommunikativer Domänen dargestellt.

Im ersten Beitrag Jörg Kilians geht es um Text und Gespräch in der Schule (279- 297). Zunächst wird der Kommunikationsraum Schule hinsichtlich der in ihm aus- gebildeten "Text- und Gesprächssorten" (280) umrissen, wobei ein Fokus auf den Kommunikaten liegt, die dem "wesentlichen Zweck der Institution Schule dienen sollen. Als solcher sind die Vermittlung vorhandenen und, zumindest mittelbar, die Erzeugung neuen Wissens anzusehen" (280). In zwei großen Abschnitten werden dann Text und Gespräch als didaktische bzw. gesellschaftliche Instrumente bzw.

Gegenstände des Lehrens und Lernens in den Blick genommen. Dabei zeichnet sich insbesondere der erste Teil durch seine diachrone Perspektive aus, aus der heraus nicht nur moderne Text- und Gesprächssorten, sondern auch historische, wie z.B.

das mittelalterliche Lehrgespräch (vgl. 282), fokussiert werden. Dabei ist der Autor darum bemüht, eine historische Kontinuität der Text- und Gesprächssorten aufzu- zeigen. Neben umfassender erforschten Textsorten wie dem Aufsatz (vgl. 283) ver- weist er auch auf bestehende Desiderata wenig beachteter Textsorten, wie dem Un- terrichtsentwurf, Tafelbild, Handout, Referat, Protokoll oder Vokabelheft (vgl.

284). Vermissen könnte man bei der Aufzählung schulkontextuelle Gesprächs- und Textsorten wie z.B. den Lehrplan oder aber das historische wie moderne Schulpro- gramm. Im zweiten Abschnitt geht es um den Nachweis, dass die schulischen Text- und Gesprächssorten von gesellschaftlicher Relevanz sind und aufgrund dieser schulische Vermittlung erfahren (285-287). Dabei verweist er auf bildungspoliti- sche Normtexte für den schulischen Fachunterricht und ihre problematische Tren- nung von Gespräch und Text, die im Gegensatz zur modernen Forschung stehe (vgl.

287-288). Kilian endet mit Reflexionen zur Effizienz und Effektivität von Text und Gespräch und benennt ihre Analyse aus diachroner wie synchroner Perspektive als Forschungsdesiderat (vgl. 289-292). Mit einem weiten zeitlichen Rahmen vermag es der Beitrag dennoch, umfassend in den Zusammenhang der wissenskonstituie- renden Produktion wie Rezeption von Texten und Gesprächen im schulisch-unter- richtlichen Kontext einzuführen. Dabei legt der Autor seinen Fokus nicht so sehr darauf, was für Wissen durch Texte vermittelt, sondern was für ein Wissen über die Texte vermittelt wird. Zugleich macht er durch seine Hinweise auf Forschungsdes- iderata deutlich, wie die Kontexte schulisch-unterrichtlicher Lehr-Lernprozesse durch und über Text wie Gespräch umfassender beschrieben werden können.

Nachdem Kilian wissenskonstituierende Aspekte im sekundären Bildungsbe- reich fokussierte, richtet sich der Beitrag Christian Efings auf den tertiären: der Wissen(-svermittlung) in der Ausbildung (298-322). Der Vielfältigkeit der Aus- bzw. Weiterbildungsmöglichkeiten geschuldet wird der Fokus auf die duale Aus- bildung verengt (vgl. 298-299), mit dem Ziel der Vorstellung der "kommunikativen Praktiken […], die für jede Aus- und/oder Weiterbildung relevant sind" (289). Auch dieser Text fokussiert also über das Konzept der kommunikativen Praktik ein Text

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und Gespräch einendes Moment, behandelt diese aber im Verlauf medial getrennt.

Zunächst problematisiert der Autor die oft vollzogene Trennung zwischen deklara- tivem (in der Berufsschule) und prozessualem Wissen (im Betrieb), was meist in eine Abwertung des deklarativen Wissens münde (vgl. 301). Daran anschließend orientiert Efing auf zentrale kommunikative schriftliche und mündliche Praktiken:

Hinsichtlich der schriftlichen Wissensverarbeitung verweist er darauf, dass es mehr um Rezeption denn Produktion gehe und in der Ausbildung vorwiegend stark nor- mierte, standardisierte Texte zum Einsatz gebracht würden (vgl. 305). Mündlich realisierte Wissensverarbeitung nehme im Gegensatz zu der schriftlichen einen grö- ßeren Stellenwert ein und finde meist in dialogischen Face-to-face-Situationen zwi- schen Vorgesetzten und Kollegen statt (vgl. 307-308). Als großes Manko benennt Efing das fehlende Wissen bzw. die fehlende Reflexionsfähigkeit der Auszubilden- den über die kommunikativen Praktiken (vgl. 316-317). Schließlich verweist der Autor auf umfangreichen Forschungsleerstellen im Rahmen der verschiedenen Ausbildungsberufe. So lägen zwar für den Bereich der Industrie und des Handwerks Studien vor. "Empirische Daten zu kaufmännischen und anderen Dienstleistungs- berufen fehlen weitgehend" (318). Auch bedürfe es der Aufarbeitung, was es spe- zifisch "für einen Auszubildenden oder einen Ausbilder heißt, mit Text- oder Dis- kursart X umzugehen" (318). In dieser Hinsicht richtet sich Efings Text, ebenso wie der Göpferich-Görnerts, nicht nur an den Kommunikationsbereich Wissenschaft, sondern auch den der Politik. Trotz seines exemplarischen Charakters bietet Efing einen guten Überblick über den Umgang mit Wissen und den kommunikativen Praktiken in der Ausbildung. Insbesondere die Hinweise auf die Trennung der For- men der Wissensvermittlung in Berufsschule und Betrieb verweisen auf ein zentra- les Manko der Ausbildung, das durch eine stärkere Vernetzung beider Teile pro- duktiv überwunden werden sollte.

Die nächsten beiden Artikel Bachmann-Steins und Glonings lassen sich eben- falls im tertiären Bildungsbereich, nun aber der wissenschaftlichen Kommunika- tion, verorten. Andrea Bachmann-Stein fokussiert die Wissenskommunikation in der Hochschule (323-343) und nähert sich diesem Thema in vier Abschnitten an:

Zunächst geht sie auf Möglichkeiten und Probleme einer Typologisierung ein und verweist auf ihr Fehlen (vgl. 324). Schon anhand der Terminologie wird deutlich, dass sie Text und Gespräch als verbunden wahrnimmt, ohne aber auf das Konzept der kommunikativen Praktik Bezug zu nehmen (stattdessen spricht sie u.a. von kommunikativen Strukturen (334) oder Prozessen (323)). Grob unterscheidet sie theoriebezogene, wissenschaftspraktische und organisierende Text- bzw. Ge- sprächssorten (vgl. 325). Hinsichtlich ersterer sieht sie die Monographie, den Arti- kel, das Essay und den Abstract als prototypisch (vgl. 328), geht aber auch auf die Problematik verschiedener Differenzierungsarten ein, wenn es z.B. um die Einord- nung der Dissertation als Monographie geht (vgl. 328-329). Daran schließt sich eine exemplarische Vertiefung einer theoriebezogenen Wissenschaftstextsorte, dem Zeitschriftenartikel, an, wobei auf strukturelle und funktionale (vgl. 329-331) As- pekte Bezug genommen wird. Zu den wissenschaftspraktischen Text- und Ge- sprächssorten zählt die Autorin die Vorlesung, das Seminar, die Übung, das Kolleg, aber auch das Exzerpt, das Protokoll, die Mitschrift und den Stichwortzettel (vgl.

333). Zusätzlich zu den vermittelnden Text- und Gesprächssorten führt sie noch wissensüberprüfende, wie die Hausarbeit und das Prüfungsgespräch an (vgl. 337-

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338). Als vertiefendes Beispiel bespricht sie das Referat und verweist auf Arbeits- schritte wie Charakteristika eines 'guten' Referates (vgl. 334-335). Ihr Beitrag endet mit stilistischen Eigenschaften der Wissenschaftssprache. Mit Rekurs auf kanoni- sche Literatur (z.B. Fix/Poethe/Yos 2003) bestimmt sie Aspekte wie Fachwort- schatz, Nominalstil, Passiv- und Infinitivkonstruktionen, umfassende Gliederungs- signale und das Ich-Verbot (das zu Recht als vermeintlich gekennzeichnet wird) als charakteristisch (vgl. 340). Als Besonderheit der Stilprinzipien gelte ihre Funktion der diskursiven Begrenzung nach dem Prinzip: 'Wer nicht so schreibt, wird nicht gelesen' (vgl. 341).

Auch Thomas Glonings Text zur Wissensorganisation und Kommunikation in den Wissenschaften (344-371) orientiert auf die Generierung und Weitergabe von Wissen als zentrale Aufgabe der Wissenschaft (vgl. 344). Aus diachroner Perspek- tive orientiert der Autor darauf, dass sich die Auffassungen zur Relevanz von wis- senschaftlichem Wissen wie zur Wissenschaft selbst wandeln können (vgl. 345). In zwei weiteren Abschnitten geht Gloning – in dieser Hinsicht ähneln sich beide Texte – auf kommunikative Gattungen und terminologische Aspekte wissenschaft- lichen Schreibens und Sprechens ein; allerdings fokussiert er vor allem epistemi- sche Darstellungsformen, darunter ebenfalls die Monographie, das Hand- und Lehr- buch, mündliche Formen wie den Vortrag und die Präsentation und Formen im kommunikativen Hintergrund, wie Protokolle, Exzerpte oder Notizzettel (vgl. 346- 350). Dabei bespricht er – in der Terminologie Heinemann/Heinemanns (vgl. 2002:

147) – vornehmlich Aspekte der Strukturiertheit und Thematizität dieser kommu- nikativen Praktiken (auf das Konzept verweist er nur an einer Stelle; zugleich fin- den sich weitere Praktiken-Ausprägungen, darunter die sprachliche (345), wissen- schaftliche (349) und Wissens-Praktik (360)) (vgl. 350-353). Besonders hebt er Formen der Visualisierung in den Wissenschaften hervor und verweist auf Struktur und Funktionen von Abbildungen (vgl. 354), Verfahren der Text-Bild-Koordina- tion (vgl. 355) und die spezifischen Visualisierungsformen der einzelnen Wissen- schaftsbereiche (vgl. 356). Der Abschnitt endet mit Hinweisen auf die Zunahme multimodaler wie -medialer Möglichkeiten (vgl. 358-360). Im zweiten Abschnitt reflektiert der Autor dann die Bedingungen und Möglichkeiten wissenschaftlicher Terminologie. Dabei geht es ihm weniger um die Auflistung von Charakteristika, sondern die Darstellung der Gründe, die zu einer entsprechenden Terminologisie- rung geführt haben. Als solche benennt er Aspekte wie Orientierung und Gliede- rung (vgl. 361). Terminologieaufbau und -vermittlung ist dabei auf der einen Seite dynamisch und damit auch der Kritik ausgesetzt (vgl. 363-364), auf der anderen Seite geben Fachausdrücke Einblicke in die inneren Festlegungen und Paradigmen der Denkkollektive – konkurrierende Vorschläge sind so indizierend für konkurrie- rende Denkstile (vgl. 364). In einem letzten Schritt verweist er auf ein weiteres wissenschafts-kommunikatives Moment: über Kritik und Kontroversen Qualitäts- kontrolle zu betreiben (vgl. 364-366). Als spezifische Textsorte bestimmt er dies- bezüglich die Rezension, aber auch das Peer-Review (vgl. 365). In einem Ausblick benennt er als Leerstellen seines Beitrages das Fehlen politischer, wirtschaftlicher und sozioökonomischer Aspekte (vgl. 366-367) und schließt mit einer Übersicht weiterer untersuchungsrelevanter Aspekte, z.B. der Entwicklung der schriftlichen wie mündlichen Darstellungsformen und Multimodalität.

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Es zeigen sich so verschiedene Überlappungen, aber auch konstitutive Differen- zen der Beiträge: Beide orientieren auf zentrale kommunikative Praktiken des Wis- senschaftsbetriebs und rekurrieren auf dessen Terminologie. Bachmann-Steins Text ist dabei aber eher deskriptiv-rekapitulierend ausgerichtet, während Gloning stärker die Eigenlogik und Gewachsenheit des Wissenschaftssystems reflektiert. Weitere Schwerpunktsetzungen führen zu zusätzlichen Differenzierungen (z.B. die Beto- nung visueller Darstellungsformen und kommunikativer Qualitätskontrolle bei Gloning). Trotz einiger Überschneidungen stehen beide Beiträge somit in einem konstruktiven Ergänzungsverhältnis zueinander: Bachmann-Stein beschreibt grundlegende Eigenschaften des Wissenschaftssystems und Gloning reflektiert Be- dingungen und Auswirkungen eben dieser.

Nach diesen ersten drei stark in den Bildungsbereichen verorteten Ausführungen nehmen die Autorinnen Monika Hanauska und Annette Leßmöllmann eine Veren- gung auf einen spezifischeren Sachverhalt einer Domäne Bezug und befassen sich mit dem Aspekt der Dialogizität im Wissenschaftsjournalismus (372-397). Zu- nächst betonen sie die Bedeutung der Wissensvermittlung in einer zunehmend kom- plexeren Gesellschaft (vgl. 372) und benennen als die drei Kernaufgaben des Wis- senschaftsjournalismus: Bezüge zwischen Welt, Wissenschaft und Gesellschaft herstellen, wissenschaftliche Erkenntnisse allgemeinverständlich, aber kritisch auf- bereiten und die Akzeptanz für die Wissenschaft fördern (vgl. 373). In ihrem Arti- kel soll die sich wandelnde Rolle des Journalisten sowie der Medienangebote im Vordergrund stehen, unter der Perspektive, dass die früher passiv-rezipierenden Adressaten wissenschaftsjournalistische Kommunikate nun als Gesprächsangebot auffassen und diese auch zunehmend so konzipiert werden (vgl. 373). Folgerichtig sind die nächsten Abschnitte der sich verändernden Medienlandschaft (vgl. 374- 377) und den dialogischen Elementen im Wissenschaftsjournalismus gewidmet (vgl. 381-384). Ergebnis ist, dass sich ein neuer Typus des mündigen Rezipienten entwickelt habe, auf den auch die Medienangebote einzugehen haben (vgl. 377), dass weder Wissenschaft noch der Wissenschaftsjournalist ausschließlich für die Konstitution, Verbreitung und Legitimation von Wissen gelten können (vgl. 378- 380) und sich am Gespräch orientierte Formen des Journalismus entwickelt haben.

Daran schließt sich die Besprechung kommunikativer Gattungen im Sinne Günth- ners (1995) an, die sich von Textsorten vor allem hinsichtlich ihrer Dialogizität un- terscheiden: Dazu zählen Gespräche über Texte – anhand der Kommentarfunktion von Online-Artikeln lässt sich so "gut demonstrieren, wie aus einer klassischen Textsorte eine kommunikative Gattung wird" (385) –, das schriftliche Gespräch, unter dem die Autorinnen Aushandlungsprozesse auf Twitter und Facebook behan- deln (vgl. 388-389), sowie Synchrongespräche als Medienverknüpfungen über z.B.

second screens (vgl. 391-392). In einem konzisen Fazit verweisen Hanauska und Leßmöllmann auf ihre zentralen Befunde und neue Perspektiven, z.B. Versuche der Typologisierung, aber auch theoretische Reflexionen zum Verhältnis von Text und Diskurs (vgl. 393). So bietet der Beitrag einen nachvollziehbaren wie spannenden Überblick über die sich verändernde Medienlandschaft und Kommunikationsange- bote wie -möglichkeiten. Der Aspekt der Interaktivität wird auch im nächsten Arti- kel Angelika Storrers weitergeführt, sodass beide Texte als produktiv aufeinander bezogen beschrieben werden können. Beide zeichnen sich darüber hinaus durch ihre praktische Ausrichtung und damit verbundene Beispielanalysen aus, aufgrund

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derer die theoretischen Konzepte empirisch untermauert nachvollzogen werden können.

So geht Storrer in ihrem Beitrag Web 2.0 – das Beispiel Wikipedia (398-418) der Frage nach, inwiefern sich im Kontext der "Besonderheiten von Text und Interak- tion im Web 2.0 […] Methoden und Kategorien aus der Textlinguistik und der Ge- sprächsforschung auf die Analyse kommunikativer Prozesse und sprachlicher Pro- dukte im Web 2.0 übertragen lassen" (398). In dieser Hinsicht geht es ihr, nach einer kurz-prägnanten Einführung in die Phänomene des World Wide Webs, des Web 2.0 und der Internetseite Wikipedia (vgl. 399-401), um Reflexionen, inwiefern sich Text- und Hypertext (anhand des Beispiels Wikipedia) zueinander in Bezie- hung setzen lassen. Trotz konstitutiver Unterschiede (hinsichtlich der Nichtlineari- tät, Multimedialität, Interaktivität, Dynamik und Adaptivität von Hypertexten (vgl.

402-407)) rekurriert Storrer auf den funktional-pragmatischen Textbegriff Ehlichs (1994), den sie für geeignet hält, "digitale Hypertextsorten und Formen der inter- netbasierten Kommunikation zu 'traditionellen' Text- und Gesprächsformen in Be- zug zu setzen" (408). Dergestalt lassen sich Wikipedia-Artikel als Texte untersu- chen (vgl. 409). Werden diese zusätzlich um Bild-, Ton- oder Videodateien ergänzt, muss der Artikel als multimodales Dokument wahrgenommen werden, wobei die Autorin zwei multimodale Analyseansätze, datenstrukturorientierte und sichtorien- tierte, ins Feld führt (vgl. 409). In einem weiteren Schritt setzt sie das Gespräch in Bezug zu Formen der internetbasierten Kommunikation. Erneut dient der Rekurs auf in der Forschung herausgearbeitete Unterschiede als Sprungbrett, um auf Basis des Interaktionsbegriffes Imos einen gesprächslinguistischen Anknüpfungspunkt zur Analyse internetbasierter Kommunikation zu präsentieren (vgl. 410). Anhand zweier Elemente, der Situationsgebundenheit (vgl. 411) und sequenziellen Struktu- riertheit (vgl. 412) diskutiert sie die Produktivität dieser Ausrichtung und kommt zum Schluss, dass sich durch diese Herangehensweise produktive Gemeinsamkei- ten ergeben. Ihr Beitrag endet mit einem Plädoyer-artigen Fazit, in dem sie die Auf- gabe der methodischen wie kategorialen Weiterentwicklung traditioneller Diszipli- nen für neue Formen der Kommunikation anmahnt (vgl. 414). Als weitere Deside- rata benennt sie die Zusammenarbeit mit Entwicklern computergesteuerter Werk- zeuge und die Aufarbeitung wie Annotation entsprechender Korpora (vgl. 415). In hervorzuhebender Weise vermag es die Autorin, die Produktivität der Implemen- tierung wie Verbindung der im Handbuch vertretenden Disziplinen der Text- und Gesprächslinguistik aufzuzeigen und darzustellen, wie sich neue Formen der Kom- munikation sinnvoll und in Anschluss an bestehende Analyseebenen wie -katego- rien auswerten lassen.

Im Beitrag von Eva-Maria Graf und Thomas Spranz-Fogasy Helfende Berufe – helfende Interaktionen (419-443) wird ein "typologischer Überblick über helfende Berufe bzw. helfende Interaktionen" (419) gegeben. Deutlicher als die letzten Texte richtet sich der Fokus auf das Gespräch als kommunikative Praktik. Es wird drauf verwiesen, dass ein kommunikatives Beistehen zwar oft als allgemein-menschli- cher Habitus erfasst, in diesem Artikel aber auf den Aspekt "professioneller Inter- aktion" (423) begrenzt wird. Helfende (professionelle) Interaktion hat die Bezie- hungsgestaltung und Kommunikation als zentrale Aufgabe(n), wobei erstere sich entweder als experten- oder patientenzentrierte Interaktion vollziehen kann (vgl.

425). Auf inhaltlicher als auch prozessualer Ebene ist helfende Kommunikation durch den Bezug auf Wissen bzw. Wissensasymmetrien gekennzeichnet (vgl. 427),

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wobei das Wissen den Agierenden als symbolisches Kapital dient. Sich an diese Überlegungen anschließend präsentieren die AutorInnen exemplarische Darstellun- gen helfender Berufe und rekurrieren auf die Beratung (vgl. 429), das Arzt-Patient- Gespräch (vgl. 431), die (Psycho-)Therapie (vgl. 432) und Supervision (vgl. 433).

Alle Beispiele sind ähnlich strukturiert: Zunächst werden definitorische Charakte- ristika angeführt, dann die Struktur beschrieben und auf Strategien der Wissensver- mittlung sowie die damit verbundenen kommunikativen Aufgaben verwiesen. In einem Fazit wird als allgemeiner Typ helfender Interaktion die Beratung festgehal- ten und ein Versuch angeboten, anhand von fünf Dimensionen die verschiedenen Interaktionstypen zu unterscheiden (klienten- vs. expertenzentriertes Vorgehen, Non-Direktivität vs. Direktivität, Prozess- vs. Expertenberatung, Selbst- vs. Kon- textthematisierung und Erfahrungs- vs. Erkenntniswissen) (vgl. 438). Weitere Fak- toren der Beeinflussung sind für die AutorInnen Aspekte wie das Setting, die Räum- lichkeiten, die Zielgruppe, die Abrechnungsmodalitäten oder das Selbstverständnis der Helfenden (vgl. 439). Auf überwiegend hohem sprachlichen wie theoretischen Niveau skizzieren Graf und Spranz-Fogasy Aspekte der Wissenskonstitution, -hie- rarchie aber auch -vermittlung in einem sich zur Kerndomäne wandelnden kommu- nikativen Setting. Dabei gehen sie, eher auf Beispiele verzichtend, auf die kommu- nikativ-interaktiven Herausforderungen sprachlichen Handelns des Helfens als Pro- fession ein. Die in hohem Maße reflektierte Perspektive macht den Aufsatz zu einer so sinnvollen wie interessanten Ergänzung des Handbuches.

Der Beitrag Eva-Maria Jakobs' zu Wissen in Organisationen und Unternehmen (444-466) fokussiert (ebenso wie der Markus Nickls) eine wirtschaftsspezifische Domäne. Dergestalt thematisiert die Autorin "sprachlich relevante Phänomene der Wissenskonstitution, Wissensrepräsentation und Wissensvermittlung in […] ge- winnorientierten Organisationen" (444), wobei vor allem Geschäftsprozesse in den Blick genommen werden. Leitend ist, dass sprachliches Handeln für alle Prozess- typen in Unternehmen von konstitutiver Bedeutung und sprachlich vermitteltes Wissen als vierter Produktionsfaktor eine elementare Voraussetzung für Gewinn (vgl. 447-448) ist. Im zweiten Abschnitt stehen die Industriekommunikation und ihre Medien im Vordergrund: Anhand einer interdisziplinären Studie von Fesidis (2013), auf die die Autorin mehrfach zurückgreift (vgl. 450, 454), werden die An- forderungen an Fachmedien (vgl. 450), die Wissenskommunikation in berufsspezi- fischen Wertschöpfungsketten (vgl. 452) und die übergeordneten Bewertungsmaß- stäbe (vgl. 454) skizziert. Schließlich geht es Jakobs auch um die Darstellung mündlicher Formen der Wissensgenerierung in Wertschöpfungsketten (vgl. 456).

Dabei konzentriert sie sich auf die Methodik der industriellen Prozessmodellierung, die sich in ein 5-stufiges Ablaufprinzip, bestehend aus Planung, Ist-Analyse, Soll- Konzept, Implementierung und kontinuierliches Prozessmanagement (vgl. 457) aufteilt. Anhand eines Fallbeispiels, "einer videogestützten Beobachtung einer An- wendung der Methodik […] in einem Sachgüter produzierenden Unternehmen"

(458), skizziert sie die sprachlichen Anteile der Ist-Phase und benennt verbale Er- hebungen (Schritt 1) (vgl. 458), interaktive Prozessmodellierung (Schritt 2) (vgl.

459) und interaktive Auswertung der Zwischenergebnisse sowie Erstellung eines Gesamtmodells der betrachteten Produktionskette (Schritt 3) (vgl. 459). Weiterhin reflektiert sie die Bedingungen der Wissenskonstitution (anhand des Fallbeispiels).

Da die Befragung eine sensible Situation ist (vgl. 460), erscheine es notwendig, eine

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Vertrauensbasis aufzubauen, ebenso wie die Erwartungen im Vorfeld klar zu for- mulieren (vgl. 460-461). Die Autorin schließt mit einer Übersicht des kommunika- tiven Wandels in Unternehmen (vgl. 464). Insgesamt zeichnet sich der Beitrag durch eine positive Verschränkung von theoretischer Reflexion und Darstellung bisheriger Forschungen und konkreten Beispielen aus, anhand derer die dargestell- ten Analysekategorien nachvollziehbar dargestellt werden.

Teilweise irritierend ist der Artikel Markus Nickls über Technische Kommuni- kation (467-485), der sich in Teilen eher als Werbung für den dargestellten Beruf des technischen Redakteurs liest. Exemplarisch dafür sollen folgende Zitate stehen:

Technische Kommunikation kann demnach für Geisteswissenschaftler […] eine in- teressante und langfristig tragfähige Berufsoption bieten. Darüber hinaus bietet Technische Kommunikation gute Möglichkeiten, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren (469).

Technische Kommunikation ist heute ein in der Öffentlichkeit zwar wenig bekann- tes, gleichzeitig aber attraktives und dynamisch wachsendes Berufsfeld. Ausgehend von der Tätigkeit als 'Anleitungsschreiber' übernehmen Technische Redakteure zu- nehmend umfassendere Aufgaben und unternehmensweite Funktionen. Dies ver- spricht auch für die nächsten Jahre und Jahrzehnte ein attraktives Aufgabenfeld für Technische Redakteure zu sein und zu bleiben (474).

Abseits dieser (vielleicht ungewollten oder nur vom Rezensenten so wahrgenom- menen) stilistischen Ausrichtung konturiert der Beitrag sowohl die professionelle Rolle des technischen Redakteurs (vgl. 467-474) als auch die Gebrauchsanleitung als Kerntextsorte (vgl. 475-478). Dabei – und dies wird durch die angeführten Zitate deutlich – wird der Beruf insgesamt als sich wandelnd beschrieben (vgl. 471-473).

Bei der Skizzierung der Gebrauchsanweisung wird vor allem der mediale Wandel und Trend zu alternativen Formen angesprochen (vgl. 477-478). Zudem stehen die Funktionen der Textsorte im Vordergrund (Risikoabsicherung, Produktbenutzung ermöglichen, Produktwissen vermitteln und Marketing) (vgl. 475). Der Beitrag en- det mit einem Ausblick auf Trends der technischen Kommunikation, z.B. die Stan- dardisierung (vgl. 478), das Wissensmanagement (vgl. 480) sowie der Aufbau von Product Communities (vgl. 483) (vergleichbar mit den interaktiven Formen, die Hanauska/Leßmöllmann und Storrer in ihren Beiträgen perspektivieren). Insgesamt vermittelt der Text zwar einen interessanten Überblick über den Bereich der tech- nischen Kommunikation, kann aber durch den 'werbenden' Ton unter Umständen irritieren.

Der dritte Abschnitt des Handbuches endet mit dem Beitrag Kersten Sven Roths zur Didaktisierung von Wissen in der politischen Kommunikation (486-506). Als Bedingungsrahmen verweist Roth unter anderem darauf, dass es sich bei diesen Wissensvermittlungsprozessen um persuasive Prozesse handle (vgl. 488). Nach den Vorbemerkungen fokussiert der Autor (an Beispielen) die Didaktisierung in kom- munikativen Praktiken der Politik. Auch von ihm wird die Verwendung des Kon- zepts der kommunikativen Praktik mit dem Versuch der Relativierung der Diffe- renz von Text und Gespräch begründet (vgl. 492). Weiterhin scheint es ihm sinn- voll, das "Repertoire an Praktiken der politischen Kommunikation mit Blick auf deren Leistungsfähigkeit und Eignung für die Aufgabe der Didaktisierung von Wis- sen" (492) anhand prototypischer Realisierungsformen zu differenzieren. In dieser Hinsicht spricht er von medial schriftlichen (z.B. dem Parteiprogramm) und medial

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mündlichen (z.B. der Rede) Kommunikationsformen (vgl. 493) und gibt den Rol- lenunterschied zu bedenken (innerhalb dessen die Rolle des Politikers sich wandelt, ob er als konkrete Person oder abstrakt durch Wahlprogramme auftritt (vgl. 493)).

Anschließend verweist er auf persuasive Subfunktionen der Fokussierung und Ver- mittlung von Wissen und geht dabei auf Möglichkeiten der Differenzierung nach der Systematik der Rhetorik und nach der Josef Kleins (1998) (vgl. 494) ein. Daran schließen sich Beispiele kommunikativer Praktiken (das Partei-Grundsatzpro- gramm (vgl. 495), die parlamentarische Rede (vgl. 497), die politische Gedenk- und Festrede (vgl. 499) und das TV-Interview bzw. die Talkshow (vgl. 501)) unter den Gesichtspunkten a) der dominierenden Wirkungsebene, b) des Verhältnisses von Information und persuasivem Appell, c) des Status' konkurrierender Wissensper- spektivierungen, d) des dominierenden Typs des zu vermittelnden Wissens, e) der sprachlichen Konzeptualisierung und f) der Geeignetheit für strategische Wissens- perspektivierung an (vgl. 495). Der Beitrag endet mit der Betonung der Didaktisie- rung als konstitutivem Element demokratisch-politischer Kommunikation, wobei dieser Prozess "als Information in Persuasion" (504, Hervorhebung im Original) zu denken sei. Mit dem präzisen, kenntnisreichen sowie anschaulichen Text endet der dritte Handbuchabschnitt, der einen vielseitigen Überblick über den Umgang mit Text und Gespräch in den verschiedenen Domänen gibt und deutlich macht, wie relevant und produktiv die Perspektive auf die Konstitution wie Rezeption von Wis- sen im Rahmen der kommunikativen Praktiken sein kann.

Abschnitt 4: Wissenskonflikte in Texten, Gesprächen und Diskursen Das Handbuch schließt mit einem vierten Abschnitt zu einem Schwerpunkt, der weniger das Verhältnis von Text und Gespräch behandelt (in den Texten Hollys und Niehrs spielt dieser Aspekt so gut wie keine Rolle und wird nur von Janich explizit aufgeführt), sondern Bedingungen des Gelingens wissensbasierter Kom- munikation anhand der Aspekte Streit (Holly), Normenkonflikte (Niehr) und Nicht- wissen (Janich) thematisiert. In dieser Hinsicht geht es Werner Holly in den vier Teilen seines Artikels (509-532) darum, das Verhältnis von Wissen und Streit zu konturieren (vgl. 509-511) und sich dann den Aspekten Wissen über (vgl. 511-521) und im Streit (vgl. 521-524) anzunähern, um mit der Darstellung der Domänen pro- fessionalisierten Streits zu enden (vgl. 525-527). Als konstitutiv für Streit benennt er dessen dialogische Struktur (vgl. 509) und Wissensdivergenzen (vgl. 510). Daran anschließend wird der "Alltagsbegriff" (511) genauer konturiert, wobei es Holly darauf ankommt, neben Hinweisen auf das Begriffsfeld 'Streit' (vgl. 512-515) auf Muster, Sequenzen, Praktiken und Formen Bezug zu nehmen. Als Kriterien einer Typologisierung dissensorientierter Praktiken bestimmt er die drei Aspekte: a) sach- vs. beziehungsorientiert, b) Kommunikationsform und c) Domäne (vgl. 517).

Zuletzt wird die Bedeutung des Streits für diskursive Machtverhältnisse hervorge- hoben: So erweisen sich Streit und Diskurs "als zwei Seiten einer Medaille, ohne deren Zusammenspiel die diskursive Konstruktion von Wissen in der Gefahr steht, von Vornherein bloßes Herrschaftsinstrument zu werden" (521). Im zweiten Ab- schnitt ist die Frage leitend, wie sich Wissen sprachlich im Streit zeigt (vgl. 521), wobei Aspekte der Wortwahl, grammatischen Konstruktion und Formen des Argu- mentierens verhandelt werden (vgl. 522). Bezüglich der Wortwahl wird auf seman- tische Kämpfe als nicht nur Streit mit, sondern auch Streit um Wörter eingegangen

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(vgl. 522-523), im Kontext der grammatischen Konstruktionen die Subtilität dieser Methode hervorgehoben, so dass "man schon durch die Wahl von Prädikationsklas- sen und vor allem mit Prädikationsrahmen […] Sachverhalte konfigurieren kann"

(523), und hinsichtlich der Argumentationsformen knapp auf bestehende Forscher wie Klein (2001), Hausendorf/Kesselheim (2008) und die Topos-Analyse verwie- sen, ohne dass diese Zusammenhänge genauer erläutert werden. Auch hätte man die Aufzählungen durch Beispiele ergänzen können. Die Domänen institutionali- sierten Streits werden ebenfalls nur kurz gestreift, wobei der Autor darauf hinweist, dass normative gesellschaftliche Grundlagen zwar in allen Domänen verhandelt werden, sich aber kulturelle Praktiken der Streitregelung in den Bereichen der Po- litik, Justiz und Verwaltung konstituiert haben (vgl. 526). Als Fazit zieht er, "dass Streit und Dissens kaum wirklich logisch-argumentativ, immer aber persuasiv und interessengesteuert ausgetragen werden" (527) und dies sowohl in den religiösen Streitgesprächen der frühen Neuzeit aber auch den Blogs einer (post-)modernen (Medien-)Gesellschaft. Positiv zeichnet sich der Beitrag Hollys durch die Fülle an verhandelter Forschungsliteratur aus, die nachvollziehbar zusammengetragen und dargestellt wird. Allerdings erscheint die Behandlung bestimmter Aspekte arg skiz- zenhaft und hätte erweitert sowie durch Beispiele untermauert werden können.

Thomas Niehr wendet sich in seinem Artikel zu Normenkonflikten (533-544) dem Verhältnis sprachkritischer Laienlinguistik und linguistisch fundierter Sprach- kritik zu. Nach einem kurzen historischen Abriss (der Platon streifend vornehmlich die Situation im 18. und 19. Jahrhundert thematisiert und dabei die Trennung von Sprachkritik und -wissenschaft hervorhebt (vgl. 534-535)) werden in einem ersten Schritt das Selbstverständnis der Laienlinguistik ebenso wie ihre Charakteristika umschrieben. Dabei wird eine Verengung vorgenommen; der Autor fokussiert nur die laienlinguistische Sprachkritik (vgl. 536). Diese zeichne sich durch die Aus- blendung theoretisch-methodischer linguistischer Grundlagen, das Fehlen empiri- scher Analysen, eine omnipräsente Wort- und Stilkritik (vgl. 538) sowie normative, meist negative Bewertung der Sprache aus (vgl. 539). Ausgehend von der Skizzie- rung grundlegender Eigenschaften und Unterschiede stellt Niehr die den Akteuren zugrundeliegenden Normverständnisse dar: Während sich die Sprachwissenschaft an funktionalen Aspekten orientiert (vgl. 542), geht die laienlinguistische Sprach- kritik von einem stärker reduktionistischen Verständnis von Sprache aus und arbei- tet mit strikten Normen, deren Verstoß zu einem Verfall der Sprache führen würden (vgl. 550). Knapp, aber präzise stellt Niehr Normen für die Bereiche des Wortes, des Textes und der Grammatik dar (vgl. 544-549) und schließt mit dem Fazit, dass der laienlinguistischen Sprachkritik eine sehr statische Sprachauffassung zugrunde liege und sie sich stark an vermeintlich tradierten Normen orientiere (vgl. 550). So kann von einer Unvereinbarkeit nicht nur von laienlinguistischer Sprachkritik und Sprachwissenschaft, sondern auch linguistischer Sprachkritik ausgegangen werden (vgl. 550), da letztere Wandel und -variation als notwendigen Teil natürlicher Spra- chen in Rechnung stelle und zu "Normenreflexionen anregen und nicht zur unkriti- schen Befolgung von Normen aufrufen" (551) will. Als konstruktives Prinzip der Bewertung sprachlicher Handlungen wird schließlich das der kommunikativ-funk- tionalen Angemessenheit angeführt (vgl. 551). Der Beitrag Niehrs ist ein sehr guter Überblick über den in der Linguistik z.T. kontrovers verhandelten Bereich der Sprachkritik und vermag nachvollziehbar über das Bezugskonzept der Norm die verschiedenen Traditions- wie Argumentationslinien darzustellen. Insbesondere als

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Einführung kann er, aufgrund seiner Übersichtlichkeit wie Umfassendheit, nur empfohlen werden.

Das Handbuch endet mit dem Beitrag Nina Janichs zu Nichtwissen und Unsi- cherheit (555-583). Über den "häufig" (556) gewählten etymologischen Einstieg reflektiert die Autorin Metaphernbereiche des Wissens, wobei sie diesem den As- pekt des (Be-)Greifens und Sehens, dem Nichtwissen den des Nicht- bzw. Überse- hens zuschreibt (vgl. 557). Wissen wie Nichtwissen seien "immer an Träger gebun- den, an jemanden, der etwas weiß" (557, Hervorhebung im Original), beziehen sich auf etwas und haben in dieser Hinsicht Referenz (vgl. 557), verfügen über eine epistemische Qualität (vgl. 558) und manifestieren sich auf z.T. divergenten Ebe- nen (vgl. 558-559). Den sprachlichen Manifestationsformen von Wissen ist der erste große Abschnitt gewidmet, wobei das Fazit gezogen wird, dass "Nichtwissen erstens in gesprochenen und geschriebenen Texten explizit oder auch implizit sowie modal und temporal unterschiedlich akzentuiert versprachlicht sein kann, und dass das thematisierte Nichtwissen zweitens positiv oder negativ bewertet sein kann"

(564). Im zweiten Abschnitt geht es um diskursive Zuschreibungspraxen, wobei als mögliche Fragestellungen die Aspekte der Wissensasymmetrien und -konflikte an- geführt werden (vgl. 565). Dabei bezieht sich auch Janich auf das DIMEAN-Modell Spitzmüller/Warnkes und benennt als zu berücksichtigende Ebenen die der Ak- teure, der transtextuellen und intratextuellen Ebene (vgl. 566). Als zentrale Analy- seaspekte bestimmt sie a) den Vergleich kommunikativer Praktiken, b) die Analyse kommunikativer Konflikte aufgrund von Nichtwissen, c) den Vergleich der Ge- wichtung und argumentativen Einbindung diskursiver Zuschreibungen von Nicht- wissen und d) die Analyse von Diskursrisiken für Nichtwissende (vgl. 568). Neben dem Rekurs auf die einschlägigen Forschungsfelder der Experten-Laien-Kommu- nikation (vgl. 569) sowie interdisziplinärer Kontexte (vgl. 570) stellt sie schließlich interdisziplinäre Befunde zu diskursivem Nichtwissen vor (vgl. 571-577) und ori- entiert dabei z.B. auf den Aspekt, dass Nichtwissen-Aussagen "in gesprochenen und geschriebenen Texten sehr unterschiedliche Funktionen einnehmen können"

(575); dies wird zumindest beispielhaft an wissenschaftlichen, populärwissen- schaftlichen sowie journalistischen Texten skizziert (vgl. 575-576). Der Beitrag schließt mit einer knappen Zusammenfassung und dem Versuch einer Synthese.

Dabei betont Janich, dass Arbeiten zur Thematisierung von Nichtwissen über die lexikalische und rhetorische Ebene hinausgehen und auch Aspekte des Modus, Tempus und der Negation einarbeiten sollten (vgl. 577). Auch das grammatische, lexikalische und stilistische Inventar, das zwar schon teilweise aufgearbeitet wurde, sollte stets kontext- wie kotextabhängig ausgedeutet werden (vgl. 577-578). Zudem spielen auch die Intentionen und Interessen der Sprechenden bzw. Schreibenden sowie die Temporalität der Nichtwissen-Konzepte eine große Rolle (vgl. 578).

Schließlich sei Nichtwissen als domänen- bzw. kommunikationsbereichspezifisch eingegrenzt zu betrachten (vgl. 578). Mit diesen Aufrufen endet der umfangreiche, aber dennoch präzise und anschauliche Artikel, dem es gelingt, das Phänomen des Nichtwissens nachvollziehbar darzustellen und weiterzuentwickeln.

Das Handbuch schließt mit einem recht knappen (3-seitigen) Register, in dem die für die Aufsätze als auch übergreifend relevanten Ausdrücke aufgeführt werden.

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Schlussbemerkungen

Die Handbuchreihe Handbücher Sprachwissen, zu dem auch der hier besprochene Band gehört, hat sich – nach Produktinformation – das konzeptionelle Ziel gesetzt, Wissen über sprachliche Zusammenhänge in prägnanter, übersichtlicher Form [zu vermitteln]. Die Bände gehen von den sprachlichen Phänomenen selbst aus, nicht von linguistischen Forschungsausrichtungen und Teildisziplinen. Dabei verlieren die Handbücher den Sprachgebrauch nie aus dem Blick und betrachten die unter- suchten Phänomene als Teile sozialer Praktiken.

Dieser Ausrichtung wird auch das fünfte Handbuch dieser Reihe (wenn auch in von Beitrag zu Beitrag leicht abweichender Hinsicht) gerecht. Dabei wird der Ver- such eines einenden Blickes (auf Text und Gespräch) ebenso deutlich und durch den Bezug auf das Konzept der kommunikativen Praktik in vielen Beiträgen expli- zit nachvollzogen. Auch der von Gloning benannten primären Funktion des Hand- buches, "einen zu einem bestimmten Zeitpunkt vorliegenden fachlichen Erkennt- nisstand für die Fachkollegen in systematischer und aktueller Form aufzubereiten"

(347), kann dieses gerecht werden und bietet einen ebenso interessanten wie facet- tenreichen Überblick über den Zusammenhang medial schriftlicher und mündlicher Formen hinsichtlich der sprachlichen Konstitution von Wissen und dem damit ver- bundenen Umgang. Dass die Schwerpunktsetzung, der Aufbau, die Umsetzung, der Zugriff aber auch das Verhältnis von theoretischer, methodischer und praktisch- empirischer Aufarbeitung von Beitrag zu Beitrag schwankt, ist der Individualität der Schreibenden geschuldet, kann aber – wendet man sich dem Buch als Ganzes zu – zu einer abwechslungsreichen Lektüre führen. Viele der Beiträge sind als aus- gezeichnete Einführungen zu sehen und bieten sich für den Einsatz im Rahmen ein- führender, aber auch weiterführender Seminare an. Insgesamt zeichnen sich die Texte durch einen hohen Grad an Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit aus, sind klar strukturiert und können ihre Themen logisch weiterentwickeln. Dabei ha- ben einige einen z.T. sehr weiten Fokus und einen sowohl sprachlichen als auch theoretischen hohen Grad an Komplexität, der die Lektüre aber nur in seltenen Fäl- len behindert. Auf die individuellen Stärken und Schwächen der Beiträge wurde bei der Besprechung der einzelnen Texte verwiesen, so dass dieses Fazit etwas kürzer ausfallen kann:

Als Übersicht zu Entwicklungen wie theoretischen und methodischen Festlegun- gen der Text- und Gesprächslinguistik hinsichtlich der Interdependenz der Erfor- schung ihrer Analyseobjekte ist das Handbuch Text und Gespräch sehr zu empfeh- len und bietet eine anschauliche, oft praxisnahe und didaktisch gut aufbereitbare Lektüre, zu der an dieser Stelle nur aufgerufen werden kann.

Literatur

Beaugrande, Robert-Alain de / Dressler, Wolfgang Ulrich (1981): Einführung in die Textlinguistik. Tübingen: Max Niemeyer Verlag.

Ehlich, Konrad (1994): Funktion und Struktur schriftlicher Kommunikation. In:

Günther, Hartmut/Ludwig, Otto (Hg.), Schrift und Schriftlichkeit. Ein interdis- ziplinäres Handbuch internationaler Forschung. Berlin/New York: de Gruyter, 18-41.

Referenzen

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