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Kann der Shareholder-Ansatz Orientierung bieten?

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Kann der Shareholder- Ansatz Orientierung bieten?

von Prof. Dr.

Rüdiger Waldkirch

Standort Meschede

Nr. 1/2008

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Herausgeber Der Rektor der

Fachhochschule Südwestfalen Autor Prof. Dr. Rüdiger Waldkirch

Fachhochschule Südwestfalen Lindenstr. 53, 59872 Meschede Telefon: 0291 9910-320

Telefax: 0291 9910-321 waldkirch@fh-swf.de

Layout Dezernat für Öffentlichkeitsarbeit der Fachhochschule Südwestfalen pressestelle@fh-swf.de

Druck MBR Druck GmbH, Hagen ISSN Print: 1866-0320

Internet: 1866-0339 ISBN Print: 978-3-940956-00-2

Internet: 978-3-940956-01-9 Hochschulschriften der

Fachhochschule Südwestfalen Nr. 1/2008

Iserlohn, im Januar 2008

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Kann der Shareholder-Ansatz Orientierung bieten?

Von Prof. Dr. Rüdiger Waldkirch

Die öffentliche und wissenschaftliche Diskussion um das richtige Management von Unternehmen ist gegenwärtig durch eine kaum übersehbare Vielfalt von Konzepten, Begriffen und Prinzipien geprägt. In erster Linie wird bei der Frage des Erfolgs von Unter- nehmen und ihrem Management sicherlich an Größen wie Gewinn, Eigenkapitalrendite oder seit einigen Jahren: Shareholder-Value gedacht. Spätestens seit dem Aufkommen der Unternehmensethik sind jedoch dieser Reihe weitere ‚Zielgrößen‘ hinzugefügt worden, die beachtet werden wollen: Stakeholder Management, Triple Bottom Line und Corporate Social Responsibility – um nur drei zu nennen.

Damit ist die Unsicherheit des Managements darüber noch größer geworden, welchem Prinzip sie bei der Führung ihres Unternehmens folgen sollen. Den Wirtschaftswissenschaften ist es bislang nicht gelungen, diese Unsicherheit abzubauen; sie lassen das

Management weiterhin fast gänzlich ungeschützt im Regen stehen.

Allerdings hat sich seit gut drei Dekaden ein stark polarisierendes Begriffspaar festgesetzt, das der öffentlichen Diskussion und ihre wissenschaftliche Aufarbeitung Struktur verleiht: Es ist die Unter- scheidung von Shareholdern und Stakeholdern oder deutsch: von Anteilseignern und Anspruchsgruppen. Diese Differenz dient zugleich auch der Grenzziehung zwischen den widerstreitenden Gruppen. Auf der einen Seite stehen die Verfechter der freien Marktwirtschaft und des Unternehmertums aus Wissenschaft und Wirtschaft, die im Shareholder-Value eine gelungene sprachliche Formel für die alte, ihrer Meinung nach: unumstößliche Erkenntnis sehen, dass Unternehmen im Interesse der Eigentümer geführt werden sollten. Auf der anderen Seite formieren sich vor allem Globalisierungskritiker und einige Wissenschaftler, die mit ihrem Begriff des Stakeholder-Value, der Ausbalancierung der Interessen

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der verschiedenen Anspruchsgruppen in erster Linie normative Bedenken gegenüber dem Shareholder-Value formulieren, aber zugleich auch die zahlreichen Fälle einer missbräuchlichen Nutzung von Handlungsspielräumen durch das Management anprangern wollen, wie sie in den Bilanzmanipulationen und der ‚Selbstbedie- nungsmentalität‘ des Managements im Rahmen der Aktienoptions- programmen sichtbar geworden sind. Angesichts dieser Melange ist jeder, der eine weitere Polarisierung des öffentlichen Meinungsaus- tausches vermeiden will, gut beraten, sich der vorbildlichen Vorge- hensweise von Jürgen Schrempp anzuschließen und auf eine Verwendung beider Begriff (vorläufig?) zu verzichten (vgl. Bierach 1997).

Als Wissenschaftler und Ökonom interessiert angesichts dieser Lage insbesondere die Frage, weshalb sich in der Öffentlichkeit und den Wirtschaftswissenschaften kein allgemein akzeptiertes Prinzip oder Konzept für das Management von Unternehmen herausbilden konnte. Oder anders formuliert: Weshalb ist es der Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler, die den Shareholder-Value verfechten, bislang nicht gelungen, die Minderheit der Wirtschaftswissenschaftler und die breite Öffentlichkeit von ihrem „Axiom“ (Coenenberg 2003; S.

3) zu überzeugen? Steht der Shareholder-Value auf einem schwan- kenden Fundament?

Ich möchte dieser Frage in drei Schritten nachgehen. Im ersten Schritt skizziere ich holzschnittartig den gesellschaftlichen Hinter- grund, vor dem die Frage nach dem Management von Unternehmen zu stellen ist und die Antworten des Shareholder- und des Stake- holder-Ansatzes. Im zweiten Schritt spanne ich die Argumentations- bögen, mit denen die beiden Ansätze ihre divergierenden Folge- rungen zu begründen versuchen. Im dritten und letzten Schritt möchte ich aufzeigen, wie die beiden Ansätze fruchtbar miteinander in Diskussion gesetzt werden können. In letzter Konsequenz geht es darum, dem Management Hilfestellung in Fragen der richtigen Unternehmensführung zu geben. Bevor dieses Ziel jedoch erreicht werden kann, müssen sich die Wirtschaftswissenschaften selbst ihres Kategoriensystems versichern.

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Moderne Gesellschaft und das Management von Unternehmen

Das gesellschaftspolitische Problem, das der Diskussion um die Prinzipien des Managements von Unternehmen zugrunde liegt, stellt sich in dieser Form erst seit gut 150 Jahren. In dieser Zeit hat die Gesellschaft das Aufkommen, die massenhafte Verbreitung und den immensen Bedeutungszuwachs von Organisationen erlebt (vgl. u.a.

Chandler 1977 u. Luhmann 2000). Die moderne Gesellschaft ist nachhaltig von Organisationen geprägt. Die meisten Interaktionen in der Gesellschaft finden unter der Beteiligung von Organisationen unterschiedlichster Couleur statt: Staaten, Parteien, Vereine, Nicht- regierungsorganisationen und nicht zuletzt die Prototypen moderner Organisationen, die Unternehmen der Wirtschaft, prägen das

Gesicht der modernen Gesellschaft. Es wird geschätzt, dass an zwei Drittel des Welthandels große, multinationale Unternehmen beteiligt sind und ein Drittel des Welthandelns innerhalb dieser ‚global player‘

abgewickelt wird.

Angesichts dieser gesellschaftlichen Entwicklung sind die Wirt- schaftswissenschaften vor zwei Fragen gestellt worden, die zu- mindest seit den 30er-Jahren des 20sten Jahrhunderts – unter verschiedenen Vorzeichen, d.h. mit eigenen Fragestellungen und Methoden – ausführlich verhandelt werden (vgl. u.a. Knight 1921, Coase 1937).

Die erste, grundlegende Frage zielt auf die Bestimmung der gesellschaftlichen Funktion von Unternehmen ab. Angestrebt wird eine gesellschaftstheoretische Reflexion der Entstehungsgründe von Organisationen, der ‚reasons of organizations’ (vgl. Waldkirch 2002).

Die Leitfrage lautet entsprechend: Weshalb sieht die demokratisch und marktwirtschaftlich verfasste Gesellschaft ein System der Orga- nisationsfreiheit, sprich: die Möglichkeit der Gründung korporativer Akteure vor? Oder in geläufigeren Worten: Weshalb gibt es Unter- nehmen?

Es stellt sich sodann eine zweite, nachrangige Frage. Sie betrifft die gesellschaftliche Aufgabe des Managements von Unternehmen.

Als ihre Leitfrage lässt sich formulieren: Welche gesellschaftlichen Rechte und Pflichten hat das Management von Unternehmen? Oder

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in einer anderen Diktion: In wessen Interesse sollen und in wessen Interesse werden Unternehmen geführt (vgl. u.a. Hayek 1967)?

Zur Beantwortung dieser zwei gesellschaftspolitischen Frage- stellungen haben sich in den Wirtschaftswissenschaften mit dem Shareholder-Ansatz und dem Stakeholder-Ansatz zwei Argumen- tationsfiguren etabliert und jeweils eigene Antworten in die Diskus- sion eingebracht. Der Shareholder-Ansatz sieht die Funktion von Unternehmen in der Besserstellung der Shareholder und will folglich auch das Management durch die Steigerung des Shareholder- Values auf die Interessen der Shareholder verpflichtet wissen.

Demgegenüber sieht der Stakeholder-Ansatz die Funktion von Unternehmen in der Besserstellung der Stakeholder und möchte das Management auf die Ausbalancierung der Interessen der Stake- holder verpflichten. Worin liegen nun diese scheinbar diametral zueinander stehenden Antworten begründet und wie sind sie zu bewerten? Um diese Frage zu beantworten, ist das argumentative Fundament beider Ansätze herauszuarbeiten.

Die Argumentation des Shareholder-Ansatzes

Im Bemühen eine Theorie der Unternehmung zu entwickeln, greift der Shareholder-Ansatz auf das in der Tradition tief verankerte Konzept des (Privat-) Eigentums zurück und wendet dieses zur Lösung der vorliegenden Problemstellung an. Den theoretischen Ausgangspunkt bildet eine Prämisse, die den Shareholder-Ansatz in die Tradition des Liberalismus eines J. Locke (1992) stellt: Es gibt gesellschaftlich vorgegebene Eigentumsrechte, auf deren Funda- ment eine Theorie der Unternehmung errichtet werden kann. In der Sprache der Vertragstheorie würde man sagen, dass der Share- holder-Ansatz von der Annahme des Vorliegens eines zustimmungs- fähigen Gesellschaftsvertrags ausgeht, der die Rechte und Pflichten der Eigentümer gegenüber der Gesellschaft vollständig definiert (vgl.

u.a. Speckbacher 1997).

Infolge dieser Prämisse werden die individuellen Träger der Eigentumsrechte und ihre Entscheidungen über den Umgang über die Nutzung ihres Eigentums in den Vordergrund der Theoriebildung

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gerückt. Dabei steht den Eigentümern auch die Möglichkeit offen, ihre Rechte in ein Unternehmen einzubringen. Da an modernen Unternehmen regelmäßig eine Mehrheit von Akteuren beteiligt ist, kann konsequent von einem Modell der Zusammenlegung von Eigentum gesprochen werden: Mehrere Träger von Eigentumsrechte fassen den in der Organisationsverfassung festgehaltenen Ent- schluss, ihre Rechte in einen gemeinsamen Ressourcenpool einzubringen und diesen einer gemeinsamen Kontrolle zu unter- stellen (vgl. u.a. Coleman 1992 u. Haase 2000).

Diese theoretische Vorgehensweise, der Einstieg in die Theorie der Unternehmung mit der Prämisse vorgegebener Eigentumsrechte, führt – kategorial bedingt (!) – zu einer Reihe von Implikationen:

(1) Die grundlegende gesellschaftspolitische Frage nach den

‚reasons of organizations‘ wird im Modell der Eigentumszusammen- legung nicht ausgehend von der Gesellschaft und ihres Beschlusses gestellt, die Gründung von Unternehmen einzelnen gesellschaft- lichen Akteuren zu überlassen, sondern ausgehend von den Trägern privater Eigentumsrechte und deren Beschluss, diese für ein gemein- sames Unterfangen zu bündeln. Die aufgeworfene Frage lautet folglich: Weshalb gründen mehrere Akteure ein Unternehmen?

(2) Die Antwort auf diese Frage kann letztlich nur im Verweis auf die Vorteile der beteiligten Akteure liegen. Insofern ist die Funktion von Unternehmen auch aus der Perspektive der an der Gründung des Unternehmens beteiligten Akteure bestimmt: Unternehmen dienen der besseren Realisierung der Interessen ihrer Eigentümer.

Diese Sichtweise, die fest in der Ökonomik und den Rechtswissen- schaften verankert ist, hat der Rechtswissenschaftler E. Merrick Dodd (1932; S. 1146f.) schon früh treffend festgehalten: „[A]

corporation is an association of stockholders formed for their private gain“.

(3) Im Fokus des Shareholder-Ansatzes steht das Verhältnis zwischen den Trägern der Eigentumsrechte und den im Unter- nehmen zusammengelegten Ressourcen. Da im Modell der Eigen- tumszusammenlegung die Unternehmensressourcen weiterhin im Eigentum der zusammenlegenden Akteure verbleiben, diese jedoch nunmehr ihre Kontrollrechte gemeinsam ausüben (müssen), stellt

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sich die Frage, nach welchem Gesichtspunkt die Entscheidungen über das gemeinsame Eigentum getroffen werden sollen. Insofern die gesellschaftlich gegebenen Eigentumsrechte ihren Eigentümern erlauben, vielmehr sie nachgerade dazu auffordern, ihre Entschei- dungen über das Eigentum ausschließlich an ihren eigenen Interes- sen auszurichten, sind auch die Entscheidungen über das zusam- mengelegte Eigentum einzig und alleine an dem gemeinsamen Inte- resse der Eigentümer zu binden. Als einziger in Frage kommender Maßstab können hier daher nur die gemeinsamen Interessen der Eigentümer genannt werden. Sprich: Unternehmen sind im Interesse ihrer Eigentümer, den Shareholdern zu führen.

(4) Moderne Unternehmen werden jedoch regelmäßig nicht mehr von den Eigentümern selbst, sondern von professionellen Managern geführt. Diese Trennung von Eigentum und seiner Kontrolle, wie sie im Zuge der Umwandlung von Privatunternehmen zu Publikums- gesellschaften erfolgt, haben Berle/Means (1932) eindrucksvoll auf die sprachliche Formel der Auflösung, der Explosion des Atoms

‚Eigentum‘ gebracht. Vor diesem Hintergrund tritt ein neuartiges Interaktionsproblem auf, das darin begründet liegt, dass die Inte- ressen der Eigentümer und des Managements systematisch ausein- anderfallen, da beide jeweils ihren eigenen Anreizen folgen. Die Ökonomik hat dieses Interaktionsproblem als Prinzipal-Agenten- Problem dankbar aufgenommen und in unzähligen Varianten analysiert (vgl. u.a. Jensen/Meckling 1976). Mittlerweile lassen sich drei systematische Gründe für sein Auftreten benennen: Das Management verfügt, erstens, regelmäßig über bessere Informationen hinsichtlich der Erfolgsbedingungen der

Unternehmensstrategie. Es kann, zweitens, seine Handlungen gegenüber den Eigentümern (partiell) geheim halten. Drittens, ist es sinnvoll, dem Management Handlungsspielräume einzuräumen, damit sie das Unternehmen auf veränderte Wettbewerbsbedin- gungen einstellen können (vgl. Williamson 1990). In der Sprache der Vertragstheorie formuliert, heißt dies: Der Vertretungsvertrag

zwischen den Eigentümern und dem Management ihres Unterneh- mens ist unvollständig (vgl. u.a. Williamson 1963 u. Tirole 2001).

Als Folge der Offenheit des Vertrags ist davon auszugehen, dass regelmäßig die Gefahr besteht, dass Unternehmen nicht im Interesse

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der Eigentümern, sondern nach den Interessen der Manager geführt werden.1

(5) Daher kommt den Eigentümern – und letztlich auch der Gesellschaft, die ihre Eigentumsrechte zu schützen hat (!) –, als Gestaltungsaufgabe die Etablierung von institutionellen Vorkeh- rungen zu, mit denen die Interessen des Managements mit ihren eigenen Interessen in Einklang gebracht werden können. Auch hier hat die Ökonomik eine Reihe von Institutionen analysiert und diskutiert, die zur Bewältigung dieser Aufgabe beitragen: Kontroll- gremien, die aktive Vertretung der Interessen von Anteilseignern, der Markt für Unternehmensübernahmen, der Markt für Führungskräfte, die Reputation der Manager sowie die erfolgsabhängige Entlohnung des Managements über Beteiligungen, Optionen oder andere variable Gehaltsbestandteilen – um nur einige zu nennen.

(6) Eine wesentliche institutionelle Vorkehrung ist hierbei die Bereitstellung eines klaren, verlässlichen Orientierungspunkts, nach dem sich das Management bei der Ausübung seiner Entscheidungs- freiheiten richten kann und an dem das Vergütungssystem des Managements ansetzt, um die Anreizkompatibilität des gewünschten Verhaltens herzustellen. Mit dem Shareholder-Value liegt ein neuerer Vorschlag für einen solchen Orientierungspunkt vor, dessen Anwei- sung an das Management lautet: Orientiere Dich in Deinem Handeln an dessen ökonomische Rendite für die Anteilseigner, die in Form der Steigerung des Shareholder-Values ausgedrückt werden kann (vgl. Rappaport 1995; S. 12). Oder kurz: Maximiere den

Shareholder-Value.

Was ist nun damit gemeint? Der Shareholder-Value basiert auf einer dreifachen Grundidee: (1) Unternehmen können als ein betriebliches Unterfangen verstanden werden, das mit einem

zukünftigen, unsicheren Strom an Ein- und Auszahlungen verbunden ist. In diesem Sinne gleichen sie einer Investition, deren Zweck in der Generierung eines zukünftigen Zahlungsüberschusses besteht. (2)

1 Hierauf hat schon A. Smith (1996; S. 629f.) hingewiesen: „Von den Direktoren einer solchen Gesellschaft, die ja bei weitem eher das Geld anderer Leute als ihr eigenes verwalten, kann man daher nicht gut erwarten, dass sie es mit der gleichen Sorgfalt einsetzen und überwachen würden, wie es die Partner einer privaten Handelsgesellschaft mit dem eigenen zu pflegen. … Daher müssen Nachlässigkeit und Verschwendung in der Geschäftsführung einer solchen Gesellschaft stets mehr oder weniger vorherrschen.“

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Der Wert einer Investition lässt sich dadurch ermitteln, dass die mit ihr verbundenen, zukünftigen Zahlungsströme prognostiziert, zum jeweiligen Gegenwartswert diskontiert und dann aufsummiert werden. Diese Kapital- oder Barwertmethode lässt sich auch auf Unternehmen als Ganzes anwenden. Der Wert eines Unternehmens lässt sich daher als Gegenwartswert aller zukünftigen, betrieblichen Zahlungsüberschüsse ermitteln. (3) Da Unternehmen in der Regel sowohl über Eigenkapital als auch über Fremdkapital finanziert werden, ist der Unternehmenswert in die Beträge aufzuspalten, die auf die beiden verschiedenen Kapitalformen entfallen. Der

Shareholder-Value berechnet sich daher als Subtraktion des Marktwerts des Fremdkapitals vom Unternehmenswert.

Gegenüber den traditionellen Maßgrößen der Leistung des Managements, wie z.B. den Gewinn oder den Return on Investment, weist der Shareholder-Value wesentliche Vorteile auf: Erstens basiert er nicht auf buchhalterischen Daten der Vergangenheit.

Zweitens betrachtet er den zeitlichen Verlauf der Zahlungsflüsse.

Drittens berücksichtigt er die Kosten des Kapitals für die Unter- nehmung. Und, viertens, stellt er das mit dem betrieblichen Unter- fangen einhergehende Risiko in Rechnung.

Mit dieser knappen Darstellung der Argumentation für den Shareholder-Value als Prinzip für das Management von Unter- nehmen möchte ich es bewenden lassen und mich der Entwicklung des Argumentationsgangs des Stakeholder-Ansatzes widmen.

Die Argumentation des Stakeholder-Ansatzes

Die Argumentation des Shareholder-Ansatzes konnte oben klar herausgearbeitet werden, weil sie entlang des Kategoriensystems einer fest etablierten Tradition geführt wird, das vereinheitlichend wirkt. Beim Stakeholder-Ansatz fällt es schon wesentlich schwerer die Argumentationslinie herauszuarbeiten, da er seinem Leser nicht als monolithischer Block gegenübertritt. Für die angestrebte Rekon- struktion der Argumentationslinie des Stakeholder-Ansatzes er- scheint es insofern ratsam, sich an den Veröffentlichungen seines bedeutenden Protagonisten R. Edward Freeman zu orientieren.

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Die Geburtsstunde des Stakeholder-Ansatzes von Freeman stellt dessen 1984 veröffentlichtes Werk Strategic Management dar, in dem er die Gedanken mehrerer Forschungsrichtungen zusam- menträgt und zu seinem Ansatz verbindet. Dort stellt er zu Beginn dieselbe Diagnose wie dieser Beitrag: Das Management von Unternehmen sieht sich im Zeitalter der Globalität mit erheblichen Orientierungsschwierigkeiten konfrontiert, an denen die Wirtschafts- wissenschaften nicht unbeteiligt sind. Auf diese Diagnose reagiert Freeman (1984; Kap. I) als Wissenschaftler und untersucht, weshalb die beiden gängigen Konzepte der Wirtschaftswissenschaften versagen. In der produktionsorientierten Sichtweise wird die Auf- merksamkeit des Managements auf einen effizienten, reibungslosen Ablauf von der Beschaffung, über die Produktion bis zum Verkauf gelenkt und als Anspruchsgruppen die Lieferanten und Kunden identifiziert. In der managementorientierten Sichtweise wird die Ausdifferenzierung des organisatorischen Positionsgefüges im Zuge des Aufkommens von Publikumsgesellschaften vollzogen: die Positionen von Eigentümer, Manager und Mitarbeiter fallen

systematisch auseinander und müssen neben den Lieferanten und Kunden als weitere Anspruchsgruppen berücksichtigt werden. Für Freeman (1984; Kap. I) sind nun beide Sichtweisen für ein erfolg- reiches Management von Unternehmen problematisch, da sie den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen nur unzureichend Rechnung tragen und die Aufmerksamkeit des Managements in Fragen der Unternehmensstrategie fehlleiten. Wer ausschließlich auf die Gruppen der Eigentümer, Manager, Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden fokussiert, vernachlässigt die Bedeutung neuer Akteure, wie Konsumentenschützer, Umweltschutzbewegungen, Massenmedien oder ausländische Konkurrenten, für den Erfolg des Unternehmens.

Vor diesem Hintergrund propagiert Freeman eine Stakeholder- Orientierung von Unternehmen und ihrem Management:

„Organizations have stakeholders. That is, there are groups and individuals who can affect, or are affected by, the achievement of an organization’s mission“ (Freeman 1984; S. 52, H. R.W.). Die von Freeman (1984) vorgelegte Argumentation für eine Stakeholder- Orientierung des Managements von Unternehmen basiert insofern ausschließlich auf dem positiven Argument, dass im Zeitalter der Globalisierung ein erfolgreiches Management die Anerkennung des (langfristigen) Einflusspotentials der am Unternehmen beteiligten und von ihm betroffenen Stakeholder voraussetzt. Oder anders

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formuliert: Langfristig lassen sich Unternehmen nicht gegen die Interessen der Stakeholder erfolgreich führen.

Dieses positive Argument für eine Stakeholder-Orientierung wird in späteren Veröffentlichungen durch ein anderes, normatives Argument gestützt: Der Stakeholder-Ansatz erhält eine normative Neufundierung. Der selbstgestellte Auftrag lautet nun, ihn „along essentially Kantian lines“ (Evan/Freeman 1988; S. 97) zu reformulieren. Damit wird der Stakeholder-Ansatz in eine

moralphilosophische Tradition gestellt, die ihren Ausgang in einer spezifischen Interpretation der grundlegenden Idee der

Selbstbestimmung, der Autonomie des Werkes von Immanuel Kant (1968) nimmt. Nach dieser Lesart kommt jeder Person ein

intrinsischer Wert, ein unveräußerliches Recht zu, als ein Ziel an sich, nicht nur als bloßes Mittel zu einem anderen Ziel, behandelt zu werden (vgl. ebd.; S. 97, 100 sowie Donaldson/Preston 1995).

Diesem normativen Prinzip wird ein unbedingter Geltungsanspruch zuerkannt, der weder durch die Theorie selbst noch durch

gesellschaftliche Institutionen, wie z.B. Eigentumsrechte oder Rechte an Unternehmen, verletzt werden darf.

Aufgrund dieser normativen Fundierung kann Freeman nun ein zweites Argument für die Stakeholder-Orientierung anführen. Die Fokussierung des Shareholder-Ansatzes auf die Eigentümer stellt eine Verletzung des skizzierten normativen Grundprinzips dar und ist insofern als „normatively inacceptable“ (Donaldson/Preston 1995; S.

82) einzustufen. Der Shareholder-Value ist Ausdruck eines unmora- lischen Shareholder-Interessenmonismus zulasten eines morali- schen Stakeholder-Interessenpluralismus (vgl. Steinmann 1969). Im Umkehrschluss fordert daher Freeman, dass die Interessen aller Stakeholder in der Bestimmung des ‚Zwecks‘, der ‚Zielfunktion‘ von Unternehmen und ihres Management verankert werden (vgl.

Freeman/McVea 2001; S. 193): Unternehmen sind grundsätzlich Mittel aller Stakeholder, die durch sie besser gestellt werden (müssen). In den Worten von Evan/Freeman (1988; S. 103f., H.

R.W.): „The very purpose of the firm is, in our view, to serve as a vehicle for coordinating stakeholder interests. It is through the firm that each stakeholder group makes itself better off.“ Das

Management von Unternehmen ist daher Treuhänder aller Stake- holder und als solcher dazu verpflichtet, die unterschiedlichen

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Ansprüche aller Stakeholder in ihren Entscheidungen auszubalancieren (vgl. Freeman 2005; S. 118).

Um diese Funktionsbestimmungen auch wirksam werden zu lassen, schlägt der Stakeholder-Ansatz eine ganze Reihe von Anpassungen der gesellschaftlichen und organisatorischen Institutionen vor (vgl. u.a. Evan/Freeman 1988; S. 104): die Parti- zipation der Stakeholder an den Entscheidungen, das Einrichten eines Stakeholder-Dialogs, den Umbau der Kontrollgremien von Unternehmen zu Stakeholder-Gremien sowie die Erweiterung des rechtlichen Rahmens unternehmerischen Handelns um legitime Ansprüche der Stakeholder – um nur einige Wenige zu nennen.

Das Verhältnis von Shareholder- und Stakeholder-Ansatz

Über das Verhältnis von Shareholder- und Stakeholder-Ansatz ist schon soviel geschrieben worden, dass man sehr gute Gründe für eine erneute Beschäftigung mit dem Thema anführen muss (vgl. u.a.

Speckbacher 1997). Beim Blick in die vorhandene Literatur fällt jedoch die Einseitigkeit auf, mit der sich die Autoren im Allgemeinen der Frage nach dem Verhältnis beider Ansätze nähern. Zumeist werden direkt die Ergebnisse der Ansätze verglichen und versucht die scheinbare Widersprüchlichkeit beider Values durch eine instrumentalisierende Über- oder Unterordnung aufzulösen. Eine solche Vorgehensweise berücksichtigt jedoch nicht hinlänglich, dass beide Prinzipien im Rahmen grundverschiedener Argumentations- linien entwickelt werden. Ein Vergleich beider Argumentationsbögen verspricht daher weitere, bislang unentdeckte Lernpotentiale zu erschließen. Diese sind vor allem an fünf Stellen erkennbar.

(1) Bedingt durch das Modell der Eigentumszusammenlegung wird im Shareholder-Ansatz nicht klar zwischen den gesell- schaftlichen Institutionen des Eigentums und des Unternehmens getrennt. Bei Privatunternehmen erscheint die Trennung überhaupt nicht notwendig zu sein, da die mit dem Eigentum verbundenen Rechte des residualen Einkommens und der residualen Kontrolle beim Träger der Eigentumsrechte vereint bleiben. Selbst beim Übergang zur Publikumsgesellschaft kommt der Trennung besten- falls eine nachrangige Bedeutung zu. Zwar fallen die mit der

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Institution Eigentum verbundenen Rechte an Einkommen und Kontrolle nunmehr zwei unterschiedlichen Akteuren zu, aber damit wird das Eigentumsrecht der Shareholder am Unternehmen nicht außer Kraft gesetzt. Darüber hinaus steht die Gleichsetzung des Unternehmens mit den Eigentumsrechten der Shareholder einer Analyse des Interaktionsproblems zwischen Prinzipal und Agent nicht im Wege. Insofern wird im Shareholder-Ansatz das Aufkommen von Organisationen mithilfe des vorhandenen Konzepts des (Privat-) Eigentums analysiert – auf eine Reflektion der Fruchtbarkeit und Anwendbarkeit dieses Konzepts auf moderne Unternehmen wird verzichtet.

Es ist das bisher nur unzureichend gewürdigte Verdienst von Berle/Means (1932) schon früh darauf hingewiesen zu haben, dass das Aufkommen großer Publikumsgesellschaften das konzeptionelle Fundament der Ökonomik so stark erschüttert, dass die bislang verwendeten Kategorien zunächst auf ihre Anwendbarkeit hin untersucht und die auf ihrem Fundament abgeleiteten Schlüsse erneut begründet werden müssen.2 Der oben skizzierte Stakeholder- Ansatz teilt mit Berle/Means (1932) und anderen Vordenkern dieses Bestreben, wenn er die Eigenständigkeit von Unternehmen gegen- über den Shareholdern betont, Unternehmen als eine gesellschaft- liche Institution sui generis versteht und folglich auch das Junktim zwischen den Shareholder-Interessen und den Interessen des Unternehmens zerschlagen will. Zum Ausdruck kommt dies durch die Betonung der Treuhandbeziehung zwischen dem Management und dem Unternehmen als reale, abstrakte Einheit (vgl. u.a.

Evan/Freeman 1988; S. 103 u. Dodd 1932; S. 1160), der Idee, dass Unternehmen kein Gebilde privatrechtlicher, sondern nationalwirt- schaftlicher Interessen sind (vgl. Rathenau 1917), durch den Vorrang der Interessen der Gesellschaft über die privaten Interessen der Eigentümer (vgl. Berle/Means 1932; S. 356) sowie der Tatsache, dass die Gesellschaft im Regelfall privates Eigentum mit anderen Rechten und Pflichten ausstattet als Unternehmen (vgl. u.a. Dodd 1932). Damit kann festgehalten werden, dass gegenüber dem Shareholder-Ansatz der Stakeholder-Ansatz Unternehmen als soziale Entitäten sui generis betrachtet.

2 Means (1983; S. 467, 485) weist diesen Punkt als das Hauptziel des Werkes von 1932 aus und sieht die Aufgabe als bislang unerledigt an.

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(2) Unbestritten liegt der Hauptimpetus der Kritik der Vertreter des Stakeholder-Ansatzes am Shareholder-Ansatz in einer Engführung derjenigen Akteure, die in einer Theorie der Unternehmung und seinem Management Berücksichtigung finden müssen. Über die Eigentümer und das Management hinaus sind weitere Stakeholder im harten Kern der Theorie zu verankern. Bei der positiven Variante sind alle Anspruchsgruppen zu berücksichtigen, die gegenwärtig über ein Störpotential verfügen oder sich ein solches zukünftig erarbeiten können. Bei der normativen Variante gilt mit dem Univer- salisierbarkeitsprinzip der kantischen Ethik, dass grundsätzlich alle Betroffenen den Handlungen von Unternehmen und ihres Manage- ments zustimmen können müssen. Kurz: Die positive Variante fordert die Berücksichtigung weiterer Stakeholder, die normative Variante letztlich die Berücksichtigung aller Stakeholder durch das Management von Unternehmen.

Nimmt man die Zustimmungsfähigkeit der Bürger zu gesell- schaftlichen Institutionen wörtlich, so hat dies eine grundstürzende Auswirkung auf die Theoriebildung: Unternehmen und ihr Manage- ment sind ausgehend von der Gesellschaft, von allen Bürgern zu konzeptualisieren. Die Prämisse gesellschaftlich vorgegebener Eigentumsrechte, die im Shareholder-Ansatz den Einstieg in die Argumentation bildet, ist aufzugeben und der normativen Idee der Selbstbestimmung aller Betroffenen zur Geltung zu verhelfen, indem nicht mehr nach den Vorteilen von Unternehmen für die Shareholder, sondern für die aller Stakeholder gefragt wird.3 Letztlich ist die Zu- stimmungsfähigkeit aller Betroffenen zur gesellschaftlichen Institution

‚Unternehmen‘ der unhintergehbare Ausgangspunkt jeglicher Theoriebildung, die zur gesellschaftspolitischen Gestaltung der Organisationsfreiheit beitragen will.

(3) Der Ökonom J. Tirole (2001; S. 2) hat darauf hingewiesen, dass die Diskussion um den Shareholder-Value von den meisten Ökonomen als Implementations- und nicht als Begründungsdiskurs geführt wird. In erster Linie geht es daher in ihren Beiträgen darum,

3 Das eben dies der Shareholder-Ansatz nicht macht, kommt in folgender Argumentation von Coenenberg (2003; S. 9) zum Ausdruck: „In einer auf dem Eigentum basierenden freien Marktwirtschaft ist oberster Prinzipal stets der Eigentümer. Das Handeln im Interesse des Eigentümers (Shareholders) ist folglich als Unternehmensziel der Marktwirtschaft immanent.“

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welche Bedingungen im Unternehmen und der Gesellschaft erfüllt sein müssen, damit das Management aus seinem Eigeninteresse heraus den Interessen der Shareholder folgt und den Shareholder- Value steigert. Im Vordergrund stehen damit die Fragen seiner Operationalisierung und die Herstellung seiner Anreizkompatibilität.

Die Rekonstruktion der Argumentationslinien des Shareholder- und Stakeholder-Ansatzes verdeutlicht, dass der Befund von J.

Tirole nicht als das gewollte Resultat einer Arbeitsteilung in der Ökonomik gedeutet werden kann, sondern er vielmehr eine funda- mentale Schwäche des Shareholder-Ansatzes zu Tage fördert. Im Grunde genommen unterscheidet der Shareholder-Ansatz nicht zwischen einem Begründungsdiskurs für Eigentumsrechte und einem Begründungsdiskurs für Unternehmen und denkt, wohl angesichts des Vorliegens einer ökonomischen Begründung für Eigentumsrechte, gleich in den Implementationsdiskurs einsteigen zu können.4

Die normative Rechtfertigung, die nur im Rekurs auf die Gesellschaft, auf alle Bürger verlässlich gewonnen werden kann, wird mit der Prämisse vorgegebener Eigentumsrechte für diese als schon erfüllt unterstellt. Durch den Beschluss der Eigentümer, ihr Eigentum zu bündeln, wird die Begründung sodann auf das Unter- nehmen ‚übertragen‘. Anders formuliert: Man ist der Meinung, dass mit einer normativen Begründung von Eigentumsrechten, wie sie in der Ökonomik schon seit L. v. Mises (1927) vorliegt, uno actu eine normative Begründung der Unternehmen und ihres Managements im Interesse der Shareholder vorliegt.

Angesichts der beiden im Stakeholder-Ansatz vermittelten Einsichten, dass Unternehmen eine gesellschaftliche Institution sui generis sind und dass bei Begründungen auf alle Bürger abzustellen ist –, kann der Gedanke einer Übertragung der gesellschaftlichen Zustimmungsfähigkeit vom Eigentum auf Unternehmen durch den Beschluss einiger Shareholder nur als kurzschlüssig erachtet

4 Dies kommt bei Rappaport (1995; S. 1) wie folgt zum Ausdruck: „Das Prinzip, dass die Erhöhung des Wertes des von den Eigentümern investierten Kapitals die fundamentale Zielsetzung eines Unternehmens sei, wird weithin akzeptiert. Uneinigkeit herrscht jedoch darüber, wie sich diese Zielsetzung konkret erreichen lässt.“

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werden. Auch wenn viele Vertreter des Shareholder-Ansatzes das Management von Unternehmen im Interesse der Eigentümer als

„wohl unbestritten“, „gemeinhin akzeptiert“ (beide Zitate: Rappaport 1995; S. xiv) oder gar als „Axiom“ (Coenenberg 2003; S. 3)

betrachten, spricht das Erstarken der kritischen Positionen zu diesem Verständnis in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion eine deutlich andere Sprache. Und das Problem des Shareholder-Ansatzes besteht darin, auf diese Entwicklung lediglich durch die Beschwörung der vorgegeben Eigentumsrechten reagieren zu können – da er, kategorial bedingt, systematisch keine Argumente dafür finden kann, weshalb die Führung von Unternehmen nach dem Shareholder-Value vorteilhaft für die Nicht-Shareholder sein soll.

(4) Vor dem Hintergrund der Theoriebildung im Shareholder- und Stakeholder-Ansatz ist die Frage aufzuwerfen, was zu diesen und anderen verfehlten Theoriebildungsentscheidungen geführt haben mag. Einmal mehr ist diesbezüglich auf das im menschlichen Denken und den Gesellschaftswissenschaften tief verankerte, handlungstheoretische Kategoriensystem zu verweisen. Damit ist das ursprünglich für die Erklärung des Verhaltens eines einzelnen Akteurs entwickelte Ziel-Mittel-Schema gemeint, das in dem Moment problematisch wird, wenn es unmittelbar zur Erklärung und Gestal- tung gesellschaftlicher Sachverhalte angewendet wird (vgl.

Waldkirch 2002).

Das handlungstheoretische Kategoriensystem hat den

Shareholder-Ansatz an seiner zentralen Stelle zu einer verfehlten Theoriebildung verleitet und damit in die oben explizierten Probleme geführt. Es ist die Prämisse vorgegebener, gut begründeter Eigen- tumsrechte, die dem handlungstheoretischen Kategoriensystem zuzurechnen ist. Spätestens im Zeitalter der Globalisierung ist jedoch offensichtlich, dass von vorgegebenen, gut begründeten Institutionen nicht mehr gesprochen werden kann. Unternehmen handeln heute weltweit unter sich laufend verändernden, teilweise fehlenden, manchmal inkonsistenten oder gar divergierenden Spiel- regeln. Im gesellschaftspolitischen Diskurs werden permanent neue Institutionen erfunden und alte Institutionen an die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen angepasst, so dass auch die Rechte und Pflichte von Unternehmen fortlaufend neu verhandelt werden.

Eine Theorie, die davon ausgeht, dass bestimmte Institutionen

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dauerhaft gegeben sind, wird der Realität mit ihren Erklärungen und Gestaltungsvorschlägen immer (stärker) hinterherhinken.

Wie einst Odysseus sich auf Charybdis konzentrierte und der Gefahr Skyllas erlag, hat der Stakeholder-Ansatz mit seinem Verweis auf weitere Stakeholder zwar die Idee vorgegebener Eigentums- rechte außer Kraft gesetzt, nimmt jedoch an einer anderen Stelle eine verfehlte Idee auf: Aufgrund des logischen Vorrangs der Ziele vor den Mitteln im handlungstheoretischen Kategoriensystem, meint der Stakeholder-Ansatz die Interessen der Stakeholder über eine Veränderung der Interessen von Unternehmen und Managern ins Spiel bringen zu müssen. So wird die Moral von Unternehmen an der Erweiterung ihrer ‚Zielfunktion‘ um die Interessen bislang vernachläs- sigter Stakeholder ablesbar. Auch diese Vorstellung ist höchst pro- blematisch, da sie eine fundamentale Erkenntnis der Ökonomik übersieht: Der Verzicht auf Zustimmung ist unter geeigneten Regeln selbst zustimmungsfähig.

Die Ökonomik hat im Rahmen ihrer Begründung der allgemeinen Zustimmungsfähigkeit von Eigentum herausgearbeitet, dass – unter geeigneten Regeln (sic!) – individuelle, am Eigeninteresse ausge- richtete Entscheidungen zu einem Ergebnis allgemeiner Besser- stellung führen können, das nicht erreicht worden wäre, wenn alle an der Entscheidung und ihren Früchten beteiligt sind. Unter geeigneten Rahmenbedingungen ist Privateigentum gemeinnütziger als Gemein- eigentum. In der modernen Gesellschaft agieren Unternehmen unter einer ganzen Reihe von Institutionen. Diese Regeln dienen der Wahrung der Interessen der Nicht-Beteiligten beim Treffen der Entscheidungen. Wenn der Stakeholder-Ansatz nun argumentiert, dass mit dem Orientierungspunkt des Shareholder-Values die Interessen der Stakeholder vernachlässigt werden, so muss er, um einen argumentativen Fehlschluss zu vermeiden, darlegen, weshalb die bestehenden gesellschaftlichen Institutionen nicht ausreichen, die legitimen Interessen der Stakeholder zu wahren. Diese Lücke wird jedoch weder erkannt noch im Rahmen einer positiven Analyse ausgefüllt; es wird vielmehr versucht, sie mit Verweis auf das Diktum Kants normativ zu überbrücken.

(5) Eine weitere problematische Theoriebildungsentscheidung, die auf ein handlungstheoretisches Kategoriensystem

(19)

zurückzuführen ist, betrifft beide Ansätze gleichermaßen. Als logische Voraussetzung für die Anwendung des Ziel-Mittel-Schemas muss unterstellt werden, dass es einen Akteur gibt, dessen Hand- lungen analysiert werden sollen. Mit dieser Unterstellung sind zwei Aspekte verbunden.

Zum einen bleibt ungeklärt, wie es sein kann, dass ein artifizielles Gebilde wie ein Unternehmen überhaupt handeln kann. Der Hinweis darauf, dass das Management im Namen und auf Rechnung für das Unternehmen handelt, der wohl beiden Ansätzen zugrunde liegen dürfte, vermag zwar alltagsweltlich Plausibilität für sich reklamieren zu können, den Ansprüchen einer Theorie der Unternehmung wird er aber nicht gerecht. Hier müssen die gesellschaftlichen Zurechnungs- prozesse betrachtet werden, die erst die Vorstellung der Handlung menschlicher Akteure im Auftrag von korporativen Akteuren für alle sichtbar werden lässt (vgl. Waldkirch 2002).

Zum anderen wird die oben angesprochene, grundlegende gesellschaftpolitische Frage nach der Funktion von Unternehmen, auf der falschen Ebene, nämlich derjenigen der Spielzüge, nicht der Spielregeln, gestellt. Die Fragestellung, die sich beide Ansätze mit weiten Bereichen der ökonomischen Organisationstheorie teilen, bezieht sich auf die Gründung einer Organisation und nicht auf die gesellschaftspolitisch relevante Frage, ob eine marktwirtschaftlich verfasste Demokratie ein System der Organisationsfreiheit etablieren soll und welche institutionellen Vorkehrungen für seine Ausge- staltung zum Wohle aller zu verankern sind. Wenn die Frage so gestellt wird, gereichen weitere Vorteile in den Blick der Theorie, die ansonsten vernachlässigt würden. Allerdings steht diesbezüglich die ökonomische Organisationstheorie erst am Anfang.

(20)

Zusammenfassung

Ausgangspunkt der Untersuchung war die Feststellung, dass der Shareholder-Value als Prinzip des Managements von Unternehmen sich bislang weder in den Wirtschaftswissenschaften noch in der öffentlichen Diskussion durchsetzen konnte. Die vorgelegte Argu- mentation hat zeigen können, dass hierfür methodische Probleme verantwortlich gemacht werden können, die den Shareholder-Ansatz zu Fehlschlüssen in der Argumentation verleitet haben. Auch wenn der ‚Gegenentwurf’ des Stakeholder-Ansatzes diese Fehlschlüsse vermeidet, handelte er sich hierfür andere ein. Letztlich kann das handlungstheoretische Kategoriensystem, entlang dessen die Theo- riebildung beider Ansätze erfolgt, als Quelle für die methodischen Probleme ausgemacht werden.

Für die vorliegende Fragestellung, nach welchem Prinzip Unternehmen in der modernen Gesellschaft geführt werden sollen, ist damit noch keine abschließende Antwort gefunden worden. Die Wirtschaftswissenschaften stehen hierbei vielmehr erst am Anfang einer gesellschaftstheoretisch reflektierten Argumentation. Unab- hängig dieser Einschätzung, lässt sich jedoch sagen, dass der Shareholder-Ansatz ein implementierungsfähiges Prinzip, jedoch keine die Stakeholder überzeugenden Gründe bieten kann, während der Stakeholder-Ansatz wesentliche Fehler in der Argumentations- grammatik vermeidet, aber noch kein implementierungsfähiges Prinzip aufweisen kann. Darüberhinaus kann festgehalten werden, dass im Grunde genommen Organisationen und Unternehmen gesellschaftliche Veranstaltungen zum wechselseitigen Vorteil aller Bürger sind, und es vor diesem Hintergrund sinnvoller ist, statt vom Shareholder-Value vom Prinzip der nachhaltigen Unternehmenswert- steigerung zu sprechen. Damit würde man zum einen die Eigen- ständigkeit von Unternehmen semantisch honorieren und zum anderen die Vorstellung vermeiden, dass die Führung von Unter- nehmen nach dem Shareholder-Value mit einer Unternehmens- führung gleichzusetzen ist, die keine Rücksicht auf die Stakeholder- Interessen nimmt.

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Die "Hochschulschriften" sind eine Veröffentlichungsreihe der Fachhochschule Südwestfalen. Mit ihr werden ausgewählte Ergebnisse aus Lehre und Forschung der Hochschule vorgestellt, um zur Diskussion und zum Lernen anzuregen.

ISBN (Print): 978-3-940956-00-2 ISBN (Internet): 978-3-940956-01-9 zu überzeugen. Er weist hierbei auf methodische Probleme des Shareholder- als auch des Stakeholder-Ansatzes hin.

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