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Archiv "Motorische Ersatzoperationen an der oberen Extremität" (30.04.1999)

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otorische Ersatzoperatio- nen gehören zu den faszi- nierendsten Eingriffen in der rekonstruktiven Chirurgie, da mit ihrer Hilfe irreparabel verlorene mo- torische Funktionen – und damit Be- wegungsabläufe – wiederhergestellt werden können.

Ersatzoperationen stellen eine Umverteilung gesunder Sehnen-Mus- kel-Einheiten auf ausgefallene Mus- kelgruppen dar und führen im Ideal- fall zu einer Imitation des ursprüngli- chen Bewegungsablaufes. Der Spen- dermuskel kann hierbei gestielt verla- gert werden, indem er proximal in situ verbleibt und seine Sehne auf den pe- ripheren Anteil des zu ersetzenden Muskels transponiert wird (unipolar), als Inseltransplantat mit Verlagerung von Ursprung und Ansatz (bipolar), oder es erfolgt eine Muskeltransplan- tation. Hierbei wird der Muskel frei verpflanzt und neurovaskulär im Empfängergebiet angeschlossen.

Die Idee zu einer Ersatzoperati- on wurde nach Vulpius (14), einem ihrer frühesten Vertreter, bereits 1869 von Tillaux und 1876 von Du- play bei Strecksehnendefekten an der Hand beschrieben und von Nico- ladoni 1880 bei einem gelähmten M.

triceps surae durch Verpflanzung bei- der Peronealsehnen übernommen und erweitert.

Während derartige Eingriffe ins- besondere nach beiden Weltkriegen von besonders großer Bedeutung wa- ren und auf Grund variierender ner- valer Ausfallmuster eine Vielzahl un- terschiedlicher Transpositionen ent- wickelt wurden, traten diese Metho- den später zunächst wieder um so mehr in den Hintergrund, wie nervale mikrochirurgische Rekonstruktionen

an Bedeutung gewannen und Erkran- kungen wie Polio ihren Schrecken verloren.

Die heute bekannten Grenzen mikrochirurgischer Möglichkeiten – insbesondere bei proximalen nerva- len Läsionen – haben jedoch wieder dazu geführt, daß Ersatzoperationen an Bedeutung gewonnen haben. Sie stellen in diesen Fällen häufig die einzige Möglichkeit dar, eine Funkti- onsverbesserung zu erreichen, wobei additive Eingriffe die Ergebnisse weiter verbessern können. Hierzu gehören neben stabilisierenden Ope- rationen an Gelenken sowie Teno- tomien und Sehnenverlängerungen vor allem statische und dynamische Tenodesen, bei denen durch aktive Bewegungen eines proximalen Ge- lenkes passive Stellungsänderungen in einem distalen Gelenk erreicht werden können.

Indiziert sind motorische Ersatz- operationen in erster Linie bei irrepa-

Motorische

Ersatzoperationen an der oberen Extremität

Peter Brüser

Motorische Ersatzoperationen stellen ein Verfahren dar, funktionslose Muskelgruppen durch gesunde Muskel-Seh- nen-Einheiten an anderer Stelle zu ersetzen. Hierdurch wird im Idealfall eine Imitation des ursprünglichen Bewe- gungsablaufes erreicht. Muskeltranspositionen können so- wohl primär als temporärer Ersatz nach Nervennaht bei hoher Läsion als auch sekundär bei irreparabel zerstörten motorischen Einheiten erfolgen. In der Regel stellen Ersatz- operationen sekundäre Eingriffe dar, die nach endgültiger Beurteilung der funktionellen motorischen Ausfälle durch- geführt werden. An der oberen Extremität wurden für alle Stammnerven zahlreiche Ersatzoperationen entwickelt, de-

ren Prognose insbesondere von den nervalen Ausfallmustern, den lokalen

Unfallfolgen (unter anderem Weichteile, Gelenke) sowie den physiologischen Eigenschaften des transponierten Mus- kels abhängt. Auch wenn bei komplexen nervalen Schädi- gungen die Ergebnisse wesentlich unbefriedigender ausfal- len können als nach isolierten motorischen Ausfällen, stel- len Ersatzoperationen doch einen wertvollen Funktions- gewinn dar, der Greifformen häufig erst wieder ermöglicht.

Schlüsselwörter: Motorische Ersatzoperation,

N. Radialisparese, N. Medianusparese, N. Ulnarisparese, Bizepsersatzoperation

ZUSAMMENFASSUNG

Tendon Transfers of the Upper Extremity

Tendon transfers are surgical procedures which replace non-functioning muscle groups by means of autogenic muscle-tendon transplantation. Ideally, this will produce an imitation of the original movement.Transfers may be performed primilarily as a temporary substitute following proximal nerve repair or secondarily when motor units have been irreparably damaged. Usually, transfers are secondary procedures for replacing function once final appraisal of the functional motor loss has been made.

Numerous transfer procedures have been developed for

every nerve trunk of the upper extremity. Their prognosis depends mainly on the type of nerve

loss, other local effects of the trauma (e.g. involvement of soft tissues, joints) and the physiological characteristics of the transferred muscle. Even if the results of the tendon transfers ultimately may be less satisfactory in cases of complex nerve damage than in cases of isolated motor losses, they do provide a valuable gain in function, often being the only possibility to restore grip function.

Key words: Tendon transfer, radial nerve palsy, median nerve palsy, ulnaris nerve palsy, elbow flexion paralysis

SUMMARY

M

Abteilung für Hand-, Plastische und Wieder- herstellungschirurgie (Chefarzt: Prof. Dr.

med. Peter Brüser) Malteser Krankenhaus, Bonn-Hardtberg

(2)

rablen traumatischen Nervenausfäl- len, Erkrankungen peripherer Ner- ven (zum Beispiel Lepra, Polio), nach irreparablen traumatischen oder an- geborenen Sehnen- oder Muskelaus- fällen (zum Beispiel Arthrogryposis), bei angeborenen Fehlbildungen so- wie begrenzt bei spastischen Bewe- gungsmustern zentraler Erkrankun- gen.

Voraussetzungen

Das Ergebnis einer motorischen Ersatzoperation hängt ganz wesent- lich von der Ausgangssituation im Empfänger- und Spendergebiet, von den physiologischen Eigenschaften des Spendermuskels sowie von der zeitliche Abfolge ab.

An der Empfängerstelle müssen die Gelenke der Extremität passiv frei beweglich, die Gleitlager mög- lichst narbenfrei und die Haut- verhältnisse stabil sowie gut ver- schiebbar sein, damit der transpo- nierte Muskel trotz veränderter La- ge eine ausreichende Gleitfähigkeit

und Kraftentwicklung entfalten kann. Adhäsionen sind eine der we- sentlichen Ursachen für den Kraft- verlust, der auf der Skala zur Bewer- tung der Muskelkraft etwa ein Grad beträgt.

Es muß auch sichergestellt sein, daß die Antagonisten nicht überdehnt oder kontrahiert sind, da hier- durch die neugeschaffene Balan- ce gestört wird. Hieraus ergibt sich die große Bedeutung einer frühzeitig einsetzenden physio- therapeutischen Behandlung nach Unfällen, da es wesentlich leichter ist, Gelenke mobil zu hal- ten als versteifte Gelenke zu mo- bilisieren.

An der Entnahmestelle muß sichergestellt sein, daß der zu transponierende Muskel ersetz- bar ist und ausreichend auftrainiert wurde, da- mit er an anderer Stelle aktiv innerviert werden kann. Der durch Physio- therapie erreichte prä- operative Kraftzuwachs stellt häufig ein Maß für die unabdingbare Motivation der Patienten dar, ohne die derartige Eingriffe häufig fehlschlagen. Die physiologi- schen Eigenschaften des zu transponierenden Muskels müssen dem ursprünglichen Muskel ähneln und werden durch Muskelkraft, Amplitu- de und Funktionsanpassung charakterisiert. Die Muskel- kraft wird im klinischen All- tag nach der Wertung des British Medical Research Council in Schweregrade von 0 bis 5 eingeteilt und sollte mindestens dem Grad 4 ent- sprechen. Die erforderliche Gleitamplitude einer Sehne ist der Weg, der innerhalb des vollständigen Bewe- gungsspieles eines Gelenkes zurückgelegt werden muß.

Die Wahl des zu transponieren- den Muskels hängt jedoch in entschei- dendem Maße auch von seiner Lage ab. Synergisten besitzen eine gleiche oder ähnliche Verlaufsrichtung, eine ähnliche Funktion und zusätzlich ein ähnliches Innervationsmuster, wo- durch das Umlernen erleichtert wird.

Als einfaches Beispiel für der- artige Überlegungen gilt die Exten- sor-Indicis-Plastik, bei welcher die Funktion der langen Daumenstreck- sehne durch Verlagerung einer Zei- gefinger-Strecksehne ersetzt wird.

Ähnliche Funktion, Lage und phy- siologische Eigenschaften führen in

der Regel zu exzellenten Ergebnis- sen.

Funktionelle Synergisten eignen sich deshalb als Ersatz, weil sie trotz unterschiedlicher Einzelfunktion bei einem bestimmten Bewegungsablauf gleichzeitig mit innerviert werden. So eignet sich ein Handgelenksstrecker als Ersatz für einen Langfingerbeuger, weil er beim Faustschluß das Handge- lenk kompensatorisch stabilisiert und deshalb gleichzeitig mit den Finger- beugesehnen innerviert wird.

Elektromyographische Funkti- onsanalysen haben zusätzlich gezeigt, daß beispielsweise der FCU (Textka- sten)nach Transposition trotz seiner neuen Funktion doppelte und un- terscheidbare elektromyographische Aktionsphasen für seine alte (= Beu- gung) und seine neue (= Streckung) Bewegungsrichtung aufweist. Eine hieraus errechenbare Extensionsquo- te könnte eine weitere Entschei- dungshilfe für die Auswahl der zu tranponierenden Muskeln sein (15).

Antagonisten sowie funktionelle Synergisten benötigen in der Regel eine erheblich veränderte Verlaufs- richtung, zum Beispiel von der Beu- ge- auf die Streckseite der Hand. Sie verlieren durch derartige Richtungs-

Abkürzungen

APB Abduktor pollicis brevis BR Brachioradialis

ECRB Extensor carpi radialis brevis ECRL Extensor carpi radialis longus EDC Extensor digitorum communis EI Extensor indicis

FCR Flexor carpi radialis FCU Flexor carpi ulnaris

FDP Flexor digitorum profundus FDS Flexor digitorum superficialis FPB Flexor pollicis brevis

Opp Opponens pollicis

Abbildung 1: a) Radialisersatzoperation bei hohem Ausfall mit Transposition des M. pronator teres auf den kurzen Handgelenks- strecker. Sichtbarer Flexor carpi ulnaris nach Umleitung auf den Extensor digitorum communis; b) Verbesserte Streckung des Handgelenkes durch Vorspannung der verlagerten FCU-Sehne beim Faustschluß durch einen dynamischen Tenodese-Effekt

a

b

(3)

wechsel an Gleitfähigkeit und Kraft.

Unabhängig davon zeigt die Erfah- rung jedoch, daß im Prinzip alle Mus- kelgruppen, also auch Antagonisten verlagert werden können, sofern sie bewußt durch den Patienten inner- vierbar sind.

Einen weitern, wesentlichen Fak- tor spielt die Zeitplanung. Während Ersatzoperationen in Ausnahmefäl- len auch primär vorgenommen wer- den können, um Funktionsausfälle bis zur endgültigen Reinnervation

genähter Nerven zu kompensieren, stellen sie in der Regel Sekundärver- fahren dar.

Bei einer durchschnittlichen Re- generationsgeschwindigkeit von 1 bis 2 mm/Tag (10) kann es bei proximaler nervaler Schädigung mehrere hundert Tage dauern, um die periphere Mus- kulatur zu reinnervieren. Langandau- ernde krankengymnastische Bewe- gungsübungen sind deshalb notwen- dig, um die oben genannten Voraus- setzungen zu schaffen. Andererseits kann es bei derart langen Zeitverläu- fen notwendig werden, „temporäre Ersatzoperationen“ durch Seit-zu- Seit-Nähte vorzunehmen, ohne die Empfängersehnen zu durchtrennen, damit die Transposition später gege- benenfalls wieder rückgängig ge- macht werden kann.

Ersatzoperationen an der oberen Extremität

An der oberen Extremität wer- den motorische Ersatzoperationen sowohl zur Wiederherstellung der Greifformen einer Hand als auch zur Verbesserung der Bewegungsfunk-

tionen des Ellenbogen- und Schulter- gelenkes vorgenommen. Die Beweg- lichkeit des Ellenbogengelenkes er- möglicht der Hand die Arbeitsposi- tion, das Schultergelenk die bessere Positionierung im Raum. Die fast unübersehbare Vielzahl publizierter Ersatzoperationen läßt sich dadurch erklären, daß – insbesondere bei Läh- mungen des Plexus brachialis – unter- schiedlich komplexe Ausfallmuster mit wechselnder Beteiligung aller Stammnerven sowie unterschiedliche Reinnervationsmu- ster einzelner Mus- kelgruppen vorlie- gen können. Liegt eine Läsion des Ple- xus brachialis proxi- mal seiner Termi- naläste vor, sind auch die Nachbar- nerven mit entspre- chenden motori- schen Schwächen betroffen. Bei der Wahl des Verfahrens muß der Arm des- halb als Einheit be- trachtet werden, dessen Rekonstruk- tion individuell abgestuft erfolgen muß. Im Folgenden sollen nur die Grundprinzipien motorischer Er- satzoperationen bei Ausfäl-

len der Stammnerven an der oberen Extremität beschrie- ben werden.

Ausfälle des Nervus radialis

Periphere Radialis-Aus- fälle führen zu einem Streck- ausfall der Fingergrundgelen- ke, des Daumens einschließ- lich der Abduktion sowie in unterschiedlichem Ausmaß des Handgelenkes. Obwohl die Möglichkeiten der Radia-

lisersatzoperationen auf den ersten Blick außerordentlich verwirrend sind, weil zahlreiche Spendermuskel zu Verfügung stehen, ergibt sich – oh- ne Anspruch auf Vollständigkeit – doch ein relativ homogenes Schema der muskulären Verteilungsmuster (Tabelle).

Die ausgefallene Handgelenks- streckung wird hierbei in der Regel

durch den vom N. medianus inner- vierten M. pronator teres korrigiert, der auf den Extensor carpi radialis brevis transponiert wird. Dieser Ein- griff eignet sich auch als temporä- rer Ersatz, da die Reinnervations- zeit nach Naht des N. radialis je nach Höhe bis zu einem Jahr betra- gen kann. Hierdurch wird das Tra- gen einer Extensionsschiene vermie- den.

Die Streckung der Langfinger läßt sich durch Transposition des Flexor carpi ulnaris oder der ober- flächlichen Beugesehne des Mittel- fingers wiederherstellen. Der FCU besitzt zwar eine geringere Gleitam- plitude als der zu ersetzende EDC (4,2 cm zu 5,5 bis 5,9 cm [2]), jedoch eine wesentliche größere Kraft. Die geringere Amplitude kann häufig nur dadurch ausgeglichen werden, daß durch leichte Beugung des Handgelenkes die dorsal verlagerte Sehne vorgespannt wird und da- durch die Streckung der Langfinger verbessert wird (dynamischer Teno- deseeffekt). Aus diesem Grunde schlug Brand (2) die Transposition einer oberflächlichen Fingerbeuge- sehne vor. Ihre Gleitamplitude ent- spricht zwar der EDC-Sehne, sie be- sitzt jedoch erheblich weniger Kraft

als die FCU-Sehne und stellt einen Antagonisten dar, der das Umlernen erschwert.

Die Daumenabduktion mit gleichzeitiger Streckung läßt sich durch die Transposition der Palmaris- sehne auf den Extensor pollicis longus erreichen. Alternativ stehen die Seh- nen des FCR oder FDS IV zur Verfü- gung.

Tabelle

Muskuläre Verteilungsmuster bei Radialis-Ersatzoperationen

Handgelenk M. pronator teres (Tenodese, Arthrodese) Langfinger M. flexor carpi ulnaris

M. flexor digitorum superficialis III Daumen- M. palmaris longus

streckung M. flexor carpi ulnaris Daumen- M. palmaris longus

abduktion M. flexor digitorum superficialis IV

Abbildung 2: Hohe N.-medianus-Läsion links mit Transposition der Extensor-carpi-radialis-longus-Sehne transmembranös nach pal- mar auf die tiefen Langfingerbeugesehnen

(4)

In 41 von uns operierten Fällen ergab die Nachuntersuchung, daß trotz eines relativ inhomogenen Pa- tientenkollektivs von isolierten und komplexen proximalen und distalen Radialislähmungen im Median eine Handgelenksbeweglichkeit bei glei- zeitiger vollständiger Langfinger- streckung von 30/0/40 Grad und bei Fingerbeugung von 50/0/30 Grad wiedererlangt werden konnte (Ab- bildungen 1a und b). Auch die radia- le Daumenabduktion ergab mit 30 Grad eine wesentliche Funktions- verbesserung. Überraschenderweise zeigte die M.-pronator-teres-Verla- gerung zur Stabilisierung des Hand- gelenkes keine wesentliche additive Verbesserung (13), was der elek- tromyographischen Funktionsanaly- se (15) entspricht.

Lähmungen des Nervus medianus

Ein Ausfall des N. medianus in Höhe des Handgelenkes führt neben dem Verlust der Sensibilität der radia- len Finger zu einem Ausfall eines Drittels der intrinsischen Muskulatur, insbesondere des Daumenballens mit der Oppositionsfähigkeit.

Diese Bewegung setzt sich aus ei- ner Abduktion, Adduktion, Flexion sowie Rotation zusammen, an der mehrere isolierte Muskel beteiligt sind. Bei der Auswahl des Kraftspen- ders sollte insbesondere die Verlaufs- richtung des M. abduktor pollicis bre- vis berücksichtigt werden (6). Dem tragen auch die meisten Ansatztech- niken Rechnung, bei denen die Seh- nenzügel in den APB- und -adduktor pollicis-Ansatz eingeflochten werden, um zusätzlich die Rotation des Dau- mens zu verstärken.

Legt man als Maßstab für die zahlreich beschriebenen möglichen Kraftspender die Gesamtwerte der Thenarmuskulatur zugrunde (Kraft, Amplitude), dann eignen sich insbe- sondere die oberflächliche Beuge- sehne des Ring- oder Mittelfingers sowie die Handgelenksstrecker, die jedoch durch Transplantate verlän- gert werden müssen. Als Hypo- mochleon dient eine Verlaufsrich- tung in Höhe des Os pisiforme. Auf alle anderen Variationen kann in die-

sem Rahmen nicht weiter eingegan- gen werden.

Bei einer hohen, isolierten Läsi- on des N. medianus fallen an der Hand zusätzlich die radialen Langfin- gerbeuger aus. Ihre Funktion kann dadurch wiederhergestellt werden, daß ihre Profundussehnen an die vom N. ulnaris innervierten Beugesehnen von Ring- oder Kleinfinger gekoppelt werden. Alternativ sind Transpositio- nen der Mm. ECRL oder ECRB mög- lich.

Hohe Läsionen sind in der Regel jedoch komplexe Plexus-Lähmun- gen, da sowohl bei radikulärer Schä- digung als auch auf Niveau der Stäm- me oder der Faszikel häufig die Nn.

ulnaris, radialis oder musculocutane- us in unterschiedlichem Ausmaße mitbetroffen sind.

Die Prognose einer Ersatzopera- tion verschlechtert sich dadurch sig-

nifikant, da nicht nur das gesamte Spektrum zu verpflanzender Sehnen durch vollständige Lähmungen we- sentlich verringert wird, sondern zu- sätzlich ganze Muskelgruppen zwar noch funktionell ausreichend inner- viert sein können (häufig nach Rein- nervation), ihre Transposition durch die zusätzliche Schädigung jedoch nicht mehr kompensiert werden kann. Auch ist die Gefahr einer ge- störten Synergisten-Antagonist-Ba- lance groß.

Obwohl sich Ersatzoperationen bei derart komplexen Ausfällen nur schwer standardisieren lassen, be- steht das Prinzip darin, bei additiv ausgefallenem N.-ulnaris-Extenso- ren zu transponieren, um zunächst die Abduktion und Opposition des Daumens wiederherzustellen. Für die Fingerbeugung wird hierbei der ECRL bevorzugt, der transmem- Abbildung 3: a) Zu sehen ist die Krallen-

stellung der ulnaren Langfinger bei einer peripheren N.-ulnaris-Schädigung; b) zeigt die anschließende dynamische Er- satzoperation mit der Transposition der verlängerten Extensor-carpi-radialis-lon- gus-Sehne und den Durchzug in die Sei- tenzügel des Streckapparates D IV, D V sowie die Präparation der Extensor-indi- cis-Sehne als Adduktorersatz; c) und d) demonstrieren das postoperative Er- gebnis nach N.-ulnaris-Ersatzoperation mit weitgehender Korrektur der Krallen- stellung.

a

b

c

d

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branös nach palmar durchgezogen und auf die tiefen Beugesehnen verla- gert wird (Abbildung 2).

Verbleibt als Minimalfunktion le- diglich eine Handgelenksstreckung, dann läßt sich durch eine Arthrodese des Daumenendgelenkes mit gleizei- tiger Tenodese der langen Daumen- beugesehne, die am Radius fixiert wird, durch Streckung des Handgelenkes ein seitlicher Fingergriff zum Zeigefinger er- reichen (Schlüsselgriff-Opera- tion nach Brand/Moberg).

Parese des Nervus ulnaris

Ausfälle des Nervus ulna- ris führen zu einem weitgehen- den Verlust der Intrinsikmus- kulatur mit Ausfall der Fein- steuerung der Hand. Im Vor- dergrund stehen hierbei eine Krallenstellung der ulnaren Finger mit einer dyskinetischen Fingerbeugung, ein Stabilitäts- verlust des Daumens sowie des Zeigefingers mit fehlen- der Daumenadduktion und der Verlust der Finger-Ab- und - Anspreizung.

Durch die gestörte Balan- ce der als Antagonist ausgefal- lenen Handbinnenmuskel führen die extrinsischen Fin- gerstrecker zu einer Über- streckung der Grundgelenke und die antagonistischen Beu- ger zu einer Beugung in den Mittel- und Endgelenken (Ab- bildung 3a). Ein Prinzip der Behandlung besteht darin, die Hyperextensionsstellung der Grundgelenke zu korrigieren, um dann über einen leicht vorge- spannten Extensor digitorum nun- mehr auch die Mittel- und Endgelen- ke zu strecken. Dies kann einerseits statisch durch Kapsulodesen der Grundgelenke oder andererseits dy- namisch durch einen Sehnenzügel ge- schehen, der in Beugestellung der Grundgelenke an das A-2-Ringband oder an die Grundphalanxbasis der ulnaren Finger fixiert wird (Lasso- Operation nach Zancolli, 16). Da Kapsulodesen unsicher sind und bei der Lasso-Operation eine zusätzliche

Beugesehne bei einem bereits beste- henden Kraftverlust von zirka 50 Pro- zent (8) geopfert werden muß, bevor- zugen wir einen dynamischen Ersatz der Interosseus-Muskulatur (4).

Hierbei wird ein neuer Motor mit den Seitenzügeln des ausgefallenen int- rinsischen Streckapparates verbun- den, um neben der Beugung im

Grundgelenk gleichzeitig eine aktive Streckung der Mittel- und Endgelen- ke zu erhalten (Abbildung 3b).

Obwohl auch hierbei die Transpo- sition einer oberflächlichen Beugeseh- ne den Vorteil besitzt, einen synergisti- schen Ablauf zu ermöglichen, führt sie zu einer zusätzlichen Schwächung.

Wir bevorzugen deshalb Handgelenk- strecker (ECRL), die jedoch durch Transplantate verlängert werden. Sie haben den Vorteil, daß sie als funktio- neller Synergist bei beugeseitiger Ver- lagerung durch Streckung des Handge-

lenkes angespannt werden und damit den zusätzlich gewünschten Tenodese- Effekt verstärken, da ihre Amplitude ansonsten nicht ausreichen würde.

Innerhalb der letzten drei Jahre wurden von uns 24 Finger in dieser Technik operiert. Mit Ausnahme von zwei Fingern ließ sich die Krallenposi- tion fast vollständig beheben und die

dyskinetische Beugung beseitigen (Abbildung 3c, d).

Der Stabilitätsverlust des Dau- mens mit einer Adduktionsschwäche bis zu 75 Prozent (9) kann durch die Transposition der ECRB-Sehne, BR, FDS II oder E I kompensiert werden, die jeweils über ein Hypo- mochleon im intermetakarpalen Raum oder durch die Palmarapo- neurose an den Ansatz der Adduk- torsehne fixiert werden. Wir bevor- zugen hierfür die Sehne des Exten- sor indizis.

Abbildung 4: a) Bipolare M.-latissimus-dorsi-Trans- position als Bizeps-Ersatz; b) und c) zeigen das post- operative Ergebnis nach M.-latissimus-dorsi-Transpo- sition zur Wiederherstellung der Ellenbogengelenk- bewegung.

a

c

b

(6)

Ersatzoperationen am Bizeps

Ersatzoperationen am Bizeps sind vorwiegend nach Plexusschäden erforderlich, bei denen die Mm. bi- zeps brachii, brachioradialis sowie brachialis in unterschiedlichen Kom- binationen ausfallen. Neben einer aktiven Beugung im Ellenbogenge- lenk können – in Abhängig vom Ver- fahren – zusätzlich eine Stabilität im Glenohumeralgelenk sowie eine Su- pinationsmöglichkeit im Unterarm erzielt werden. Für den Ersatz ste- hen verschiedene Muskelgruppen zur Verfügung, die sich den physiolo- gischen Eigenschaften nach deutlich unterscheiden (3). Verwandt werden vorwiegend die Mm. latissimus dorsi, pectoralis major und triceps brachii, oder es erfolgt eine Proximalisierung der am Epicondylus ulnaris anset- zenden Beugergruppen.

Die bipolare Transposition des M. latissimus dorsi, der an seinem langen Gefäßnervenbündel der Ver- laufsrichtung des M. biceps brachii entsprechend transponiert werden kann, stellt für uns Methode der Wahl dar, da seine Arbeitsleistung der des M. biceps brachii ähnelt, eine adäquate Hebelarmausrichtung er- reicht wird (Abbildung 4a) und der Verlust kompensiert werden kann.

Die erzielbaren Ergebnisse sind – unserer Metaanalyse zufolge – gut und lassen ein Bewegungsausmaß von 90 bis 125 Grad erwarten (3).

Dem entsprechen auch die eigenen Ergebnisse, bei denen ein Bewe- gungsausmaß von im median 120º (70º bis 140º) erreicht wurde (Abbil- dung 4b, c).

Auffallend ist jedoch der erheb- liche Kraftverlust, da die erreichbare Kraftentwicklung lediglich bei 0,5 bis 4 kg lag. Da es sich hierbei in der Regel um Plexusschädigungen han- delte, bei denen unter anderem auch der N. radialis ausgefallen war, muß- te in drei Fällen zusätzlich eine Ra- dialisersatzoperation vorgenommen werden, die auch in der Kombinati- on der Verfahren eine Handgelenk- streckung von über 0 Grad ergab.

Die Proximalisierung der am Epicondylus ulnaris ansetzenden Flexor- beziehungsweise Pronator- muskelmasse (OP nach Steindler) er-

gibt eine durchschnittliche aktive Be- weglichkeit von 0 – 22 – 115 Grad bei einem Kraftgewinn von zirka 0 bis 2,5 kg (3). Dieses Verfahren sollte nur dann angewandt werden, wenn an der Hand die Beuge-Streckbalance nicht gestört ist. Es hinterläßt jedoch in der Regel ein Streckdefizit im El- lenbogengelenk und besitzt einen außerordentlich ungünstigen Hebel- arm.

Der Schulterbereich

Ersatzoperationen im Bereich der Schulter werden heute in der Mehrzahl nach geburts- oder post- traumatischen Plexussschädigun- gen vorgenommen. Sie beziehen sich in erster Linie auf das Glenohume- ralgelenk, wobei Innenrotations- kontrakturen sowie Einschränkun- gen oder Ausfälle der Abduktion- Außenrotation im Vordergrund ste- hen.

Da rekonstruktive nervale Ein- griffe, insbesondere bei geburtstrau- matischen Schädigungen im Bereich des Plexus brachialis bereits sehr frühzeitig unter anderem in Abhän- gigkeit von der Innervation des M.

biceps brachii ab etwa drei Monaten

erfolgen (7), werden die Indikatio- nen zur Ersatzoperation bereits zwi- schen dem zweiten und fünften Jahr gestellt.

Neben Desinsertionen des M.

subscapularis zur Beseitigung einer Innenrotationskontraktur können Ersatzoperationen zur Verbesserung der Außenrotation durch Tranposi- tionen der Mm. latissimus dorsi und/oder teres major erfolgen. Auch wenn hierdurch die Ausgangspositi- on für eine Abduktion verbessert wird, kann eine weitere Transpositi- on erforderlich werden, um die Del- toideusfunktion mit Abduktion im Schultergelenk wiederherzustellen.

Es werden zahlreiche Varianten be- schrieben, wobei wir beim Erwach- senen die Trapezius-Transposition nach Saha (12) bevorzugen, da die gleichzeitige Verlagerung des os- sären akromio-klavikularen Trapezi- usansatzes eine bessere Fixation am Humerus ermöglicht. Die Erwar- tungshaltung darf jedoch nicht zu hoch geschraubt werden, da die Er- gebnisse, insbesondere beim Er- wachsenen, einen Funktionsgewinn von nicht mehr als im median 40 Grad erwarten lassen (11), auch wenn in Einzelfällen eine Abduktion bis 90 Grad möglich ist. Aus diesen Gründen sollten alle mikrochirurgi- schen nervalen Möglichkeiten ge- nutzt werden, bevor derartige Ein- griffe erfolgen.

Auf die Vielzahl motorischer Ersatzoperationen im Bereich des Schultergürtels kann aus räumlichen Gründen nicht weiter eingegangen werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-1134–1139 [Heft 17]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. med. Peter Brüser

Abteilung für Hand-, Plastische und Wiederherstellungschirurgie Malteser Krankenhaus Von-Hompesch-Straße 1 53123 Bonn

Diskussionsbeiträge

Zuschriften zu Beiträgen im medi- zinisch-wissenschaftlichen Teil – ausgenommen Editorials, Kon- greßberichte und Zeitschriftenre- ferate – können grundsätzlich in der Rubrik „Diskussion“ zusam- men mit einem dem Autor zuste- henden Schlußwort veröffentlicht werden, wenn sie innerhalb vier Wochen nach Erscheinen der be- treffenden Publikation bei der Me- dizinisch-Wissenschaftlichen Re- daktion eingehen und bei einem Umfang von höchstens zwei Schreibmaschinenseiten (30 Zei- len mit je 60 Anschlägen) wissen- schaftlich begründete Ergänzun- gen oder Entgegnungen enthalten.

Für Leserbriefe zu anderen Beiträ- gen gelten keine besonderen Re- gelungen (siehe regelmäßige Hin-

weise). DÄ/MWR

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