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Archiv "Krankenhaus-Tagebuch: Acht Tage auf Station S" (26.05.2000)

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ontag, 13. Dezember 1999

Ich habe ein Problem. Eigentlich kein großes, vielleicht nur drei Zenti- meter im Durchmesser. Nur sitzt die- ses Etwas in meiner rechten Lunge und will sich nicht klar äußern, ob Freund oder Feind. Mein autoritärer Erziehungsstil richtet sich jetzt gegen mich selbst, dieses Etwas muss raus.

Also werde ich mich nach Absprache heute morgen in der Champions League der Lungenheilkunde einfin- den, der X-Klinik in Y-Stadt.

Als Mediziner wird man von Kol- legen oft sehr verkrampft behandelt, das Pflegepersonal reagiert spröde, wenn man den Facharzt raus- hängen lässt. Also nehme ich mir vor, ein braver, normaler Patient zu sein, der nicht über das Essen oder die unfreundli- che Behandlung mosert. Am Eingang der Klinik stehen eini- ge Patienten im Regen. Sie ha- ben alle diesen etwas gesenk- ten, unterwürfigen Blick mit diesem Funken Angst in den Augen. Es geht um ihren Arsch. Es geht jetzt auch um meinen Arsch, also lege ich den arroganten, erhobenen Medi- zinerblick ab und werde ganz unterwürfig in der Patienten- anmeldung vorstellig. Dort er- klärt mir eine kreiselförmige Person, sie wisse nichts von meiner Anmel- dung, habe meinen Namen nicht no- tiert und sowieso kein Bett, und damit hätte ich auch gar keine Chance, hier im Hause unterzukommen. Eine Welt bricht zusammen. Sollen die ganzen Pirouetten mit Praxisvertretung, Or- ganisation, Sorgen, Furcht umsonst gewesen sein? Mein Einwand, ich sei doch für ein Einzelzimmer vorge- merkt, wird mit einem Blick abge- straft, der mich mit Mädchenmördern gleichsetzt. Zufällig kommt der chir- urgische Oberarzt B. herein, ich er- kenne ihn gleich, obwohl ich das letz- te Mal vor zehn Jahren als Gastarzt in dieser Klinik war. Fügung des Schick- sals? Helfen kann er mir aber nicht, also muss ich bei dem Kreisel meine Krallen ausfahren und werde zweibet- tig nach Station S verwiesen.

Dort werden die Röntgenbilder konfisziert und ich auf 114 platziert.

Mein Mitbewohner hält mich erst für

den Assistenzarzt; seit der OP vor vier Tagen habe er außer den Schwestern niemanden gesehen. Sein Problem:

Die Drainage brennt, er findet keine Ruhe, kann nachts nur im Stehen schlafen. Ich sage nichts dazu. Neun Uhr. Es regnet, wir reden über Bau- träger und Bausünden. Zehn Uhr. Es regnet, Wirtschaftspolitik. Elf Uhr.

Regnet. Autos. Zwölf Uhr. Trotz Re- gen hat mein Mitpatient die Hoffnung nicht aufgegeben, dass der weih- nachtsbaumartige Infusionsständer mit all seinen Medikamenten heute noch zum Einsatz kommt. Die Drai- nage brennt immer noch. Die Schwe- ster sagt, die Stationsärztin wisse Be-

scheid und verschwindet unverrichte- ter Dinge. Ich versuche, meinen Mit- patienten über seine beidseitig durch fehlgelaufene Infusionen entzünde- ten und geschwollenen Unterarme hinwegzutrösten.

12.15 Uhr.

Mittagessen in der Cafe- teria, ich bin jetzt schon geübt im Be- schwichtigen von Patienten. Ein Jurist mokiert sich, warum er um neun Uhr einbestellt wird, wenn bis jetzt rein gar nichts passiert sei.

15 Uhr.

Ich bin ziemlich nervös.

Meine Chancen, morgen noch auf den OP-Plan zu kommen, sind minimal.

Also Attacke. Ich besorge mir von der Stationsleitung mit den leuchtend roten Locken alle Einverständnis- erklärungen, fülle sie aus und unter- schreibe sie, platze bei Oberarzt B. ins Zimmer und bedanke mich über- schwänglich, dass er mich morgen mit auf den OP-Plan gesetzt hat. Er fängt

umgehend an zu toben. Ich erkenne die Sinnlosigkeit meines Tuns, kann mir aber die Bemerkung nicht ver- kneifen, dass Breschnew vor 20 Jah- ren sein „Njet“ weitaus charmanter über die Lippen gebracht habe. Ich Idiot. Warum musste ich ihn denn ge- gen mich aufbringen!?

Mit dem Vorsatz, jetzt brav alles über mich ergehen zu lassen, ziehe ich mich in die 114 zurück. Um 15.45 Uhr kommt die Stationsärztin vorbei. Sie erklärt mir als Erstes, dass sie um 16 Uhr Feierabend, schon drei Patienten aufgenommen und mich ganz bewusst als letzten drangenommen habe. Wie soll ich das verstehen? Muss ich mich bedanken? Hatten die anderen Patienten nur zwei Minuten Zeit sich zu äußern und ich 15?

Mein Mitpatient leidet im- mer noch unter seiner bren- nenden Drainage, sagt, er kön- ne nur im Stehen schlafen.

„Haben Sie denn keine Medi- kamente bekommen?“ „Ging nicht, der Venenzugang war daneben, die Unterarme sind völlig entzündet.“ „Na ja, die Medikamente sind jetzt ja auf oral umgestellt.“ Gegen 17 Uhr kommt der Chef C. zu meinem Mitpatienten, der wieder mit Hoffnung auf Besserung von der brennenden Drainage be- richtet. „Ah ja.“ Man könnte ja Schmerzmittel geben. Zu mir sagt er in streng-väterlichem Ton, ich könnte ja froh sein, am Mittwoch operiert zu werden. Und basta. Als ich mich von der Station schleiche, bekomme ich mit, wie der große C. und seine Assistenzärztin die brennende Drai- nage von 114 verhandeln. „Geben Sie ihm irgendwas.“ Ich bin seltsam berührt, wie offenkundig gleichgültig das Problem meines Mitpatienten an- gegangen wird. War doch der große C.

in meiner Laufbahn der erste Chirurg, der sich auf höchstem Niveau um die Belange seiner Patienten kümmerte.

Ich schleiche mich von hinnen.

Draußen gießt es sintflutartig.

Dienstag, 14. Dezember

Ich stehe mit dem Versprechen auf, heute der Starpatient von Station S zu sein. Bin pünktlich um halb acht auf Station, lasse mich bereitwillig zur A-1443 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 21, 26. Mai 2000

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Krankenhaus-Tagebuch

A

Acchhtt T Taaggee aauu ff S

Sttaattiioonn S S

M

M

(2)

Ader und versuche überall good vi- brations zu verbreiten. Heute ist rich- tig was los: Ruhe-EKG: „Sie haben einen alten Anteroseptalinfarkt!“

Schon muss ich meinen Vorsatz aufge- ben, mich nicht einzumischen, und protestiere eine Zeile unter der auto- matischen Auswertung. Hoffentlich kommt kein Anästhesist auf die Idee, erst mal einen Herzkatheter durch- führen zu lassen. Röntgen-Thorax: Ja, jetzt meint man, das Schwein im rech- ten Lungenoberfeld zu sehen. Kill him, but not me.

Abends nimmt sich der Chef nochmals viel Zeit, mich über die OP aufzuklären. Auffällig viel Zeit. Lasst mich raten, er hat vielleicht mal einen Kollegen operiert, der ihn später ver- klagte. Kollegen sind meist Querulan- ten. Keine Panik, ich nicht. Weder Klage noch Querele. Ehrlich. Ich bin ein überzeugter Fan der Klinik. Ich habe auch dieses grenzenlose Urver- trauen, das auch manche meiner Pati- enten mir entgegenbringen.

Genauso gründlich klärt mich der Anästhesist auf. Nur bei der Bemer- kung „Periduralanästhesie kann schon mal eine Querschnittslähmung ma- chen“ zucke ich zurück und einige mich mit ihm auf eine systemische Schmerztherapie, was sich aber als schwerer Fehler rausstellen soll. Froh- gemut eile ich zur Station und rasiere meinen rechten Brustkorb. Stimmt, man sieht entschieden sexier aus, wenn man kein Affenfell hat. Abends dann die obligatorische Diazepam-Dröh- nung, ein wohliges Gefühl macht sich breit; bisher ist jeder irgendwie die Niagara-Fälle hinuntergekommen, der sich in einem Fass hineingeworfen hat.

Mittwoch, 15. Dezember

Der Diazepam-Wattebausch hält sich noch in meinem Hirn, also harre ich ohne weiteres Sinnieren über kommende Abenteuer oder Unan- nehmlichkeiten weiterer Dinge. Um zehn Uhr endlich das erlösende „los gehts“. Die OP-Pfleger stellen sich mit Namen vor. Wir plaudern über Saxophone, einer injiziert irgendein farbloses Zeugs und – ZACK – fällt der Vorhang.

Ich muss an dieser Stelle voraus- schicken, dass ich mich an die Er- eignisse der nächsten Tage nicht im justiziablen Sinne erinnern kann, da alles in einen fürchterlichen Nebel eingetaucht ist.

Die Rückkehr ins so genannte Leben fing etwa so an: Erstes Tau- meln durch den Nebel. Ich liege of- fensichtlich auf dem Rücken. Eine Art Häcksler reißt und hackt Mus- kelfetzen zwischen rechtem Schulter- blatt und Lungenspitze heraus. Die kleinste Bewegung animiert den Häcksler, die Drehzahl zu erhöhen.

Also bewege ich nur die Augenlider.

Eine nicht näher definierbare Stim- me sagt, der Lungentumor sei ein Hamartochondrom gewesen. Klasse.

Gutartig. Und draußen. Ab jetzt geht es nur noch aufwärts. Eine andere Stimme klärt mich über eine Art Lichtschalter auf, der vor meiner Nase bau- melt. Wenn ich auf den Knopf drücke, bekomme ich mehr Schmerzmittel.

Ich probiere es aus, tatsächlich,

der Häcksler wird kleiner und lässt mich dann weiterschlafen.

Ich werde geweckt, offensicht- lich vom Intensivpfleger, der sich über meine ganzen Strippen und Ka- bel hermacht. Er bevorzugt einen di- rektiven Telegrammstil, was meiner Motivation, schnell wieder zurück zum normalen Leben zu finden, ent- gegenkommt. Ich soll aufstehen. Ma- che ich. Komme mir aber irgendwie extrem verletzlich vor, wie ich so al- leine, mit allem möglichen Zeug ver- kabelt, splitternackt in dem Raum stehe. Ich stelle mir einen großen Saal mit Publikum vor, alle brechen au- genblicklich in nicht enden wollendes Gelächter aus. Egal, ich soll mich selbst waschen.

Anschließend wieder ins Bett.

Und dann die Urinflasche. Auf Befehl konnte ich noch nie pinkeln. Wie er- wartet, produziere ich nur magere 100 Milliliter, ungünstigerweise dissoziiert mein medizinischer vom allgemeinen Verstand und ich murmele was von Überlaufblase. Der Pfleger greift das begeistert auf und gibt meiner Blase nur noch eine kurze Chance, die diese natürlich mit Arbeitsverweigerung quittiert. Und schon sehe ich ihn mit dem Einmalkatheter auf mich zukom- men. „Das kennen Sie ja.“ Nein, das kenne ich nicht. „Tut nur zweimal kurz weh.“ Stimmt, tut zweimal weh.

Nach fünf Minuten hält er den Erfolg seiner Aktion wie eine olympische Flamme über das Bett. Etwa 400 Mil- liliter. Na prima. Die olympische Flamme brennt in meiner Harnröhre weiter. Ich drücke auf die Schmerz- klingel, weil sich jetzt der Häcksler wieder meldet und tauche ab.

A-1444 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 21, 26. Mai 2000

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Donnerstag, 16. Dezember

Eine gut gelaunte Intensivschwe- ster macht mich abflugfertig für die Normalstation. Ich kann jetzt sogar meine Schläuche sortieren: ein finger- dicker rechts im Rücken, der offenbar in direkter Verbindung zum Häcksler steht, diverse venöse Zugänge an den Händen, ein Venenkatheter unterhalb des rechten Schlüsselbeins sowie eine arterielle Kanüle an der rechten Hand. Die Schwester entfernt alle pe- ripheren Zugänge, jedes Entfernen ei- nes weiteren Schlauches signalisiert:

Es geht aufwärts, kann nur noch bes- ser werden. Krankengymnasten und Physiotherapeuten wechseln sich in rascher Folge ab, ich mache brav mit, es geht bergauf. Eigentlich wäre alles okay, wenn nicht der Häcksler im mei- nem Rücken immer wieder die Dreh- zahl und Zackengröße erhöhen wür- de.

Wenn es unerträglich wird, bitte ich die Schwester um Schmerzmittel, bekomme dann eine Ampulle Dipido- lor. Ein reiner Opiatagonist, praktisch wie Morphin. Die Schwester spritzt schön langsam, dann kommt ein swin- gendes Gefühl auf. Ein schwer defi- nierbarer Geruch macht sich breit (Ko- riander? Kardamon?), und der Häcks- ler wird ganz klein. Ich kann dann so- gar aufstehen, bin fast schmerzfrei.

Bin jetzt noch an eine Absaugung gefesselt, die meinen Bewegungsum- fang auf 5,30 Meter limitiert. Einfa- ches Wasserlassen will damit geplant sein, der Schlauch kunstvoll über das Bett in den angrenzenden WC-Raum geleitet sein. Jede Bewegung muss ganz sorgfältig kontrolliert werden, ei- ne unbedachte Drehung des Oberkör- pers wird mit einem einschneidenden Schmerz bis zur Lungenspitze bestraft.

Aber egal, es geht aufwärts. Die Dipi- dolor-Spritze hält leider nur etwa zwei Stunden an, dann rotiert der Häcksler wieder durch meinen Brustkorb. Nun kann ich nur noch regungslos im Bett liegen, an Atemgymnastik oder gar Abhusten ist nicht zu denken.

Der Nachtpfleger kommt.

Freundlich-dominantes Gehabe, gibt sich als Kenner der Materie aus, der Physiognomie nach Napoleon Bona- parte nicht unähnlich. Er spritzt mir das heiß ersehnte Dipi, und im glei- chen Moment mutiert das lockere

Swingen in eine kakophone Achter- bahn, die meine Eingeweide rück- wärts rotieren lässt. Aus dem Karda- mon wird eine Kloake. Jetzt nur keine falsche Bewegung, ich müsste bre- chen, und Erbrechen mit dem Häcks- ler? Wie soll das gehen? Nach länge- rer Zeit beruhigt sich die Achterbahn allmählich. Schlafen kann ich

trotzdem nicht, weil mein Mitpatient gerade wie- der seinen Schnarchan-

fall hat. Ich bastele mir Ohrenstöpsel aus Papier, die helfen aber nicht da- gegen. Auch die Kopfkissen bieten keinen Schutz gegen das ungestüm heranbrandende Schnarchen. Unter- brochen wird das Ganze nur von Na- poleon, der mir die Dipi verabreicht und mich wieder in diese stinkende Achterbahn schickt. Er gibt mir we- nigstens Ohropax, dann muss ich nur noch mit dem Karussell des Grauens kämpfen.

Freitag, 17. Dezember

Mein erster Gedanke lautet: Bol- zenschussgerät. Macht doch bitte Schluss damit. Häcksler, Achterbahn, Schnarchterror – ich will nicht mehr.

Ich versuche mich zu bewegen, jede Bewegung ist äußerst schmerzhaft, ich brauche zwei Stunden, bis ich vor dem Bett stehe. Der Häcksler schneidet wieder große Fleischstücke aus mei- nem Rücken. Die blonde Schwester kommt und spritzt mir Dipi. Es swingt wieder, die Schmerzen lassen nach, und ich kann sogar frühstücken. Was macht sie bloß anders als Napoleon Bonaparte? Egal, ich liebe sie dafür.

Gegen nachmittag laufe ich sogar über Station, sagenhaft. Traue mir aber nur ganz kurze, oberflächliche Atem- züge zu, bei tiefem Luftholen stellt sich eine Art Besenstiel in meiner rechten

Lungenspitze auf. Sehr unangenehm.

Zumal dann der Häcksler auch wieder in Fahrt kommt. Meinem Mitpatienten wird am Abend noch die Drainage ge- zogen (wo bei mir der Häcksler sitzt), er sagt, er habe dabei keinen Schmerz verspürt.

Napoleon kommt abends wieder vorbei. Ich versuche eine lockere Be- merkung, damit er mich nicht wieder in die Achterbahn schickt. Keine Chance.

Er spritzt, und ich kreisele wieder in den stinkenden Strudel ab- wärts. Was habe ich ihm getan?

Gegen morgen, als er sich wie- der mit der Dipi nähert, prote- stiere ich, höre aber was von

„Anweisung“ und zack – ab gehts in den Stinkestrudel. Da- zwischen die Schnarchattak- ken meines Mitpatienten. Er hat jetzt gar keine Schmerzen mehr. Bekommt trotzdem hoch dosiertes Morphin und Voltaren.

Samstag, 18. Dezember

Mein Körper fühlt sich wie durch den Wolf gedreht an, die Gedanken sind schwarz. Die Schwesterschülerin kommt mit dem Dipi. Ich bekomme eine Panikattacke und verweigere ihr den Zugang zu meinem Venenkathe- ter. Sie trollt sich unverrichteter Din- ge. Lieber doch den Häcksler ertra- gen, verdammt noch mal, es muss doch besser werden. Ich brauche jetzt zwei- einhalb Stunden, um mich unter Über- windung tierischer Schmerzen in das Reich der Zweibeiner zu bewegen.

So kann es nicht weitergehen. Ir- gend etwas ist mit Napoleons Dipi faul. Ich schleppe mich zur Stationslei- tung (genau, die mit den schönen ro- ten Haaren) und erzähle ihr von mei- nen nächtlichen Horrortrips. „Ja, ist doch klar, wenn man Dipi im Schuss spritzt, bekommen die Patienten einen Alp.“ Wir hatten früher immer An- weisung, Dipi verdünnt zu spritzen, ist schon elf Jahre her, jetzt fällts mir wie- der ein. Ich mache mit der roten Baro- nin einen Deal, dass wir auf Morphin- tabletten umstellen, die kann Napole- on nicht im Schuss spritzen.

Die Visite wird von einem über- aus eiligen Assistenzarzt durchge- führt, der mir wenigstens die Neben- wirkungen des im Schuss gespritzten A-1448 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 21, 26. Mai 2000

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Dipi bestätigt. Gut. Zwar immer noch höllische Schmerzen, aber einen Schritt weiter. Werfe zehn, 20 Milli- gramm Morphinsulfat ein. Mein jetzt völlig beschwerdefreier Mitpatient überlässt mir seine Morphinsulfat, nachdem wir übereingekommen sind, dass aufgrund seines Wohlbefindens ein Auslassversuch durchaus gerecht- fertigt sei. Nichts tut sich. Der Häcks- ler reißt fröhlich weitere Fleisch- brocken aus meinem Rücken. Ich lege mich hin, stehe wieder auf, lege mich hin, döse, fluche, der Häcksler arbei- tet unverdrossen weiter.

Sonntag, 19. Dezember

Eine sehr nette, neue Schwester hat Dienst und macht mir Hoffnung, dass wegen minimaler Förderleistung eventuell heute die Drainage entfernt wird. Wahnsinn! Der Häcksler kommt raus! Soll ja auch gar nicht weh tun, hat mein Mitpatient gesagt. Ich bitte die Schwester erneut um Dipi, die Schmerzen lassen nach, ich kann so- gar mit dem neuen PC spielen, den mir mein Partner gestern mitgebracht hat. Kurz vor Mittag Visite, tatsäch- lich, die Drainage soll raus! Euphorie!

Schluss mit den Schmerzen! Gleißen- des Licht am Ende des Tunnels!

Am frühen Nachmittag werde ich dann in den angrenzenden Neben- raum geholt. Ich bedanke mich nochmals bei dem Kollegen, dass er sogar am Sonntag meine Drainage zieht. Zunächst wird der Verband ent- fernt, dann merke ich ein Pieksen am Drainagenausgang, dort wo der Be- senstiel den Häcksler anwirft. Ich ver- krampfe weiter. Aber meinem Mitpa- tienten hat es ja nicht weh getan. Tief einatmen, und ausatmen, und einat- men – und dann durchtobt ein hölli- scher Schmerz meinen gesamten Brustkorb, der alles Bisherige verblas- sen lässt. Mein Körper schnellt gepei- nigt in die Luft, ich höre schemenhaft irgendwelche Rufe und komme einge- rollt auf allen Vieren auf der Liege langsam wieder zu mir. Schlachten am lebendigen Leib. Nein, nein, nein, macht das nicht noch mal.

Ganz langsam versuche ich zu at- men. Der Häcksler ist immer noch da.

Ich habe genug. Ich will keine Schmerzen mehr haben. Die Schwe- ster spritzt mir nochmal Dipi, ich lege

mich ins Bett und will nichts mehr wis- sen. Dortmund spielt ausnahmsweise gut, Napoleon interessiert sich nicht für Fußball. Meine Drainage ist gezo- gen. Ja, er habe davon gehört. Ich wol- le jetzt keine Schmerzen mehr haben, sage ich, und ob er mir gegen 22, zwei und sechs Uhr (damit ich endlich mal schmerzfrei aufwache) eine Dipi ge- ben könnte. Napoleon plustert sich auf, hält mir einen Vortrag über Milli- grammdosen Dipidolor und meint herrisch, nach meinem Vorschlag wür- de ich mit Dipidolor „satt“ sein. Die- ser Generalmusikdirektorpharmako- loge rückt mich doch glatt in die Nähe von Junkies aus dem Südbahnhof. Mir fehlt die Lust zu diskutieren, also gibt es heute nacht nur zwei Dipi. Wenig- stens bleibt der Stinkestrudel aus. Of- fensichtlich haben die Schwestern bei Napoleons Umgang mit intravenös zu verabreichenden Medikamenten ir- gendwas bewirkt.

Montag, 20. Dezember

Alles wie gehabt. Völlig gerädert, Schmerzen beim Atmen, Nebel im Kopf. Als Ausdruck des Protestes ge- gen die Wechselbäder Häcksler, Stin- kestrudel, Schmerzen, Luftnot ziehe ich mir meine Straßenkleidung an und schlurfe durch die Klinik. Oberarzt D.

läuft mir über den Weg, ich berichte ihm von meiner Schmerzkarriere. Ja- ja, wir Ärzte sind halt empfindlicher gegen Schmerzen. Du Arschloch.

Lass Dir doch mal einen Häcksler ein- bauen, ich komme dann dazu und spritze Dipi unverdünnt im Schuss.

Meine Unmut wächst. Das ist ge- fährlich. Ich neige dann zu plötzlichen Befreiungsschlägen. Mein Mitpatient lässt sich von meinem Gemaule an- stecken. Irgendwas muss sich ändern.

Nur was? Meine Frau kommt. Für ei- nen kurzen Augenblick lichtet sich der Nebel. Mir wird klar, dass ein Großteil meiner Beschwerden durch das Krankenhaus und die Behandlung hervorgerufen wird. Klare Konse- quenz: Hau ab. Also bitte ich meine Frau, meine ganzen Klamotten einzu- packen. Und sie sieht alles genauso wie ich und packt alles ein. Sie ist wun- dervoll. Ich liebe sie.

Das Dienstzimmer vom leitenden Oberarzt ist nebenan. „Herr B., haben Sie eine Minute Zeit?“ „Nein!“ „Herr

B., ich gehe jetzt.“ Pause. „Das kön- nen Sie nicht machen! Warten Sie eine halbe Stunde, ich werde bei Visite alles klären, nur eine halbe Stunde!“ Er verschwindet. Wir warten eine Stunde.

Das Zimmer des Oberarztes ist ver- schlossen. Was soll er mir jetzt eigent- lich noch bieten? Also gehen wir. Ich verabschiede mich von der roten Ba- ronin und unterzeichne den obligato- rischen „auf eigene Verantwortung“.

Der Rückzug auf juristische Formali- en ist für mich aber die primitivste Form der Bearbeitung menschlicher Interessenkollisionen, also gehe ich beim Oberarzt A. vorbei. Er bedauert meinen Entschluss, hält mich aber nicht auf, meint, er würde sich genauso verhalten. Wir plaudern noch eine Weile über die Krankenhausstruktu- ren, dann trolle ich mich. Schade. Rein emotional bin ich der Meinung, dass mit einem Oberarzt A. als betreuen- dem Arzt die Geschichte eine völlig andere Wendung genommen hätte.

Zu Hause angekommen, be- grüßen mich Sohn 1 und Sohn 2 in be- währt überschießender Manier. Mir steigt das Wasser in die Augen. Und jetzt bastel’ ich mir meine Schmerz- therapie selbst; wenn es nicht klappt, kann ich mich selbst beschimpfen. Als erste Maßnahme werfe ich 150 Milli- gramm Diclofenac ein und lasse mir von meinen Söhnen ein Bier vor dem Fernseher kredenzen.

Dienstag, 21. Dezember

Der erste weitgehend schmerz- freie, auch kopfklare Morgen. Auf kathartische Wirkungen hoffend, set- ze ich mich an den Computer und schreibe alles runter.

Sonntag, 30. Januar 2000

Fünf Wochen ist der Spuk jetzt vorbei, erscheint wie ein böser Alb- traum, mit dem ich eigentlich nichts zu tun hatte. So gut funktionieren die Verdrängungsmechanismen. Und doch hat sich vieles geändert. Mir ist klar geworden, dass medizinische Therapieformen auch einmal unter dem Gesichtspunkt zu betrachten sind, ob sie dem Patienten tatsäch- lich entgegenkommen oder ob sie nur ihrer selbst willen praktiziert werden. Dr. med. Thomas Böhmeke A-1450 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 21, 26. Mai 2000

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