Kongressbericht
Bessere Kommunikation, mehr häusliche Betreuung und neue Neutropenieprophylaxe
Mit dem Motto der diesjährigen Jahrestagung „Gerechtigkeit: Jeder Patient. Täglich. Überall.“ fordert die ASCO, dass möglichst viele Patienten Zugang zu den neuesten Krebstherapien erhalten sollen und dass Krebspatienten besser über Chancen und Möglichkeiten mit ihrer Erkrankung umzugehen informiert werden.
I
m Themenbereich Supportivtherapie standen die Einbindung der Erkrankten in die Kommunikation von Therapie
entscheidungen, Dosismodifikationen und das Management von Symptomen und therapieassoziierten Nebenwirkun
gen im Fokus. Aber auch optimierte
„klassische“ supportive Maßnahmen und das Management von Spätfolgen fanden Eingang in die Sitzungen.
Die Kommunikation muss sich an die Patientenbedürfnisse anpassen 1.221 Patienten mit metastasiertem Mammakarzinom zeigten in einer OnlineUmfrage über soziale Medien, die von Patientenselbsthilfegruppen ge
steuert wurde, ein starkes Interesse an mehr Informationen zu Dosisanpassun
gen, zur Vermeidung schwerwiegender Neben wirkungen und Therapieabbrü
chen und/oder unterbrechungen. 86 % der Patienten erlebten mindestens eine signifikante behandlungsbedingte Ne
benwirkung, die sich bei 83 % nach einer Dosisreduktion verbesserte [Loeser A et
al ASCO. 2021;Abstr 1005]. Die For
schenden ziehen den Schluss, dass inno
vative dosisbezogene Strategien zur Aufrechterhaltung der Lebensqualität
gerechtfertigt sind. ArztPatienten
Gespräche, bei denen die körperlichen Eigenschaften und Umstände des Patien
ten regelmäßig beurteilt werden, können die richtige Dosis für den Patienten zu Beginn und im Verlauf der Behandlung und danach bestimmen. Die große Mehrzahl (92 %) der Befragten gaben an, dass sie für solche Gespräche empfäng
lich seien.
Häusliches Monitoring verringert Gesundheitsinterventionen
Ein intensiviertes häusliches Monitoring von Krebspatienten unter Therapie konn
te insbesondere in der Zeit der COVID19Pandemie ungeplante Klinik
besuche, Notaufnahmen und Klinikauf
enthalte vermindern, die Symptombelas
tung verringern und die Lebensqualität erhalten. Dies war das Ergebnis der ran
domisierten Studie (NCT04464486) an
252 Patienten mit Mamma Ovarial und Kolonkarzinomen unter Chemotherapie und/ oder Bestrahlung [Mooney K. et al.
ASCO. 2021;Abstr 12000]. Die Patienten wurden in zwei Arme randomisiert: 128 Patienten erhielten eine so genannte
„Symptom Care at Home (SCH)“ und 124 die übliche Betreuung (UC). Das SCH
System erfragte per Fernabfrage die Häu
figkeit und den Schweregrad von 9 übli
chen Symptomen und Nebenwirkungen.
Bei bestätigten Symptomen erhielten die SCHTeilnehmer ein sofortiges, maßge
schneidertes automatisiertes Selbst
managementCoaching.
Beide Gruppen wurden zu Studien
beginn und monatlich über bis zu 5 Monate auf Symptombelastung (MDA
SI), psychisches Wohlbefinden und sozi
ale Isolation (PROMIS; HADS) und ge
sundheitsbezogene Lebensqualität (HR
QoL) untersucht (Penedo COVID19 HRQoLSubskala). Die Daten wurden von spezialisierten onkologischen Pfle
gekräften ausgewertet, welche die Pati
enten bei relevanten Veränderungen an
riefen. Ungeplante Inanspruchnahme von Leistungen der Gesundheitsversor
gung wurde aus der Patientenakte ext
rahiert. Das mediane Patientenalter lag bei 61 Jahren, die meisten Patienten waren weiblich und von weißer Hautfar
be. 60 % hatten Tumorstadium 3/4. In
©Nmedia - Fotolia
57. ASCO-Jahrestagung Nun das zweite Jahr in Folge fand die Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) virtuell statt.
Aber auch dieses Jahr gab es viel zu diskutieren.
++ ASCO 2021 ++ ASCO 2021 ++ ASCO 2021 ++
68 Im Fokus Onkologie 2021; 24 (4)
Supportivtherapie Kongressbericht
Kongressbericht
einem longitudinalen MixedEffects
Modell wurden signifikante Effekte für eine geringere Symptombelastung (p = 0,018) und eine bessere HRQoL (p = 0,007) für SCHTeilnehmer im Vergleich zu UC in den Monaten 1 und 2 detek
tiert, wobei die Verbesserungen in den späteren Monaten nachließen. Das psy
chische Wohlbefinden und die soziale Isolation unterschieden sich nicht signi
fikant. Es gab insgesamt 71 ungeplante medizinische Ereignisse – 28 für die SCHBetreuung und 43 für UC. Zu den ungeplanten Ereignissen gehörten: un
geplanter Klinikbesuch, Notaufnahme
Besuch und Krankenhauseinweisungen.
Insgesamt hatten die SCHTeilnehmer seltener ungeplante medizinische Ereig
nisse als UCTeilnehmer (p = 0,04). Als Fazit schlussfolgerten die Autoren, dass die Ausweitung der häuslichen Versor
gung auf die SCH während der Pande
mie die Nachfrage nach dem Gesund
heitssystem verringern und die Sympto
merfahrung von Krebspatienten verbes
sern konnte.
Neuer Ansatz in der Neutropenieprophylaxe
Ein neuer, interessanter Ansatz zur Op
timierung der Prophylaxe von Chemo
therapieinduzierter Neutropenie könn
te eine Behandlung mit Plinabulin sein, kein GCSFstimulierendes Agens, son
dern ein selektiver immunomodulieren
der an Mikrotubulibindender Wirk
stoff (SIMBA). Beim ASCO wurde eine Interimsanalyse der randomisierten PhaseIIIStudie PROTECTIVE1
(NCT03102606) von Plinabulin versus Pegfilgrastim vorgestellt [Blayney DW et al. ASCO. 2021;Abstr 547]. Einge
schlossen wurden Patienten mit Mam
ma, Lungen und Prostatakarzinomen, die mindestens einen NCCNRisikofak
tor aufwiesen und Docetaxel in einer Dosierung von 75 mg/m2 erhielten.
Primäres Studienziel war Nichtunterle
genheit. Weitere Endpunkte waren u. a.
Thrombozytenzahl, Knochenschmer
zen, klinische Folgeerscheinungen von Neutropenie bis febriler Neutropenie, Rate an Infektionen, Antibiotikagabe und Krankenhausaufenthalten sowie Si
cherheit. Die vorgestellten Ergebnisse zeigten die Nichtunterlegenheit von Pli
nabulin. Die Toxizität war vergleichbar.
Plinabulin verursachte weniger Kno
chenschmerzen (p = 0,01) und weniger Thrombozytopenie (p < 0,0001 am Tag 15) im Vergleich zu Pegfilgrastim.
Langzeitproblem Chemotherapie- induzierte periphere Neuropathie Die gestiegene Lebenserwartung von Krebsüberlebenden durch Fortschritte in der Behandlung hat zu einer höheren Wahrscheinlichkeit von Langzeitkom
plikationen geführt. Die langanhaltende Chemotherapieinduzierte periphere Neuropathie (CIPN) beeinträchtigt so
wohl die Funktionsfähigkeit als auch die Lebensqualität der Überlebenden ganz erheblich.
In einer Studie wurden 633 Überleben
de von Brust, Darm, Prostata und Lungenkrebs, die eine Chemotherapie erhalten hatten und bereits an der ROCS (Detroit Research on Cancer Survivor
ship Study) teilgenommen hatten, einge
schlossen [Sreeram K et al. ASCO. 2021;
Abstr 12069]. Das Vorliegen einer CIPN beruhte auf selbst berichteten Schmer
zen, Taubheitsgefühl oder Kribbeln in den Händen oder Füßen, die entweder zum ersten Mal auftraten oder sich nach einer Chemotherapie verschlimmert hat
ten. Wenn die Teilnehmer zum Zeit
punkt der Befragung über eine fortge
setzte CIPN berichteten, wurden ihre Symptome als anhaltend gemeldet. Der CIPNSchweregrad wurde selbst als leicht, mittel oder schwer angegeben.
Der Schweregrad der CIPN wurde als leicht, mittel oder schwer angegeben.
Eine logistische Regressionsanalyse
wurde verwendet, um soziodemografi
sche und klinische Faktoren (einschließ
lich 12 häufigen Begleiterkrankungen) im Zusammenhang mit der CIPN
Prävalenz, Persistenz und Schwere
grad zu bewerten. Insgesamt berichteten 67 % der Kohorte über eine CIPN im Median 25,3 Monate (Bereich 2–74 Monate) nach der Krebsdiagnose und 51 % berichteten über eine persistieren
de CIPN. Die Verteilung des CIPN
Schweregrades umfasste 32,2 % bei leichten, 30,8 % bei mittelschweren und 36,9 % bei mittelschweren bis schweren Symptomen. Die Diagnose von primä
rem Mammakarzinom (Odds Ratio [OR] 3,99; 95 %Konfidenzintervall [95 %KI] 1,52–10,46) oder kolorektalem Karzinom (OR 5,24; 95 %KI 2,17–12,69) führte zu einer höheren CIPNPrävalenz im Vergleich zur Diagnose Prostatakar
zinom. Das Vorhandensein jeder zusätz
lichen komorbiden Erkrankung unter den in der Umfrage aufgeführten Er
krankungen führte auch zu einer um 20 % höheren Prävalenz von CIPN (OR 1,2; 95 %KI 1,03–1,39).
Ähnliche Trends wurden bei denjeni
gen beobachtet, die über eine anhaltende CIPN berichteten. Ein Alter > 65 Jahre bei Diagnose als Referenzgruppe, ein Alter < 50 Jahre (OR 2,64; 95 %KI 1,43–4,88) und ein Alter 51–64 Jahre (OR 1,96; 95 %KI 1,14–3,35) führte zu einem erhöhten Risiko für mittelschwere oder schwere im Vergleich zu milder CIPN. In dieser Studie zeigte sich, dass die CIPN bei zwei Drittel der Krebsüberlebenden, die eine Chemotherapie erhielten, persis
tierte. Mehr als ein Drittel hatte mittel
schwere bis schwere Symptomen. CIPN ist eine prom inente Langzeitkomplikati
on onkologischer Therapien und sollte bei Behandlungsentscheidungen und der Entwicklung neuer Chemotherapiesche
mata eine Rolle spielen.
Die CIPNSpätfolgen traten häufiger bei Personen unter 65 Jahren auf. Es ist laut der Ärzte dringend erforderlich die CIPN sehr früh zu erfassen und ggf. Do
sismodifikationen vorzunehmen und Therapieanpassungen vorzunehmen.
Petra Ortner
Bericht vom diesjährigen Annual Meeting der American Society of Clinical Oncology (ASCO) vom 4. bis 8. Juni 2021
Eine häuslichen Betreuung von Krebspati- enten kann Klinikbesuche und Symptom- belasungen verringern.
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Im Fokus Onkologie 2021; 24 (4) 69