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Das Einmaleins der Skepsis : Statistiken: Was sagen uns Zahlen über die Wahrscheinlichkeit von Risiken?

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Academic year: 2022

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tatistiken: Was sagen uns Zahlen über die Wahrscheinlichkeit von Risiken?

Rechtschreibfehler sind den meisten Menschen peinlich, und kaum jemand wird diese Schwäche auf einer Party als lobenswerten Charakterzug ausgeben; einen völ- lig anderen sozialen Status hinge- gen hat die Mathematik. »In Mathe war ich immer schlecht«: Dieses Eingeständnis gehört durchaus zum Repertoire des Smalltalks. Kein Wunder also, dass die Pisa-Studie unserem Schulsystem gerade im Fach Mathematik besonders große Schwächen zugeschrieben hat. Da erweist sich ein im besten Sinne populärwissenschaftliches Angebot für ein wenig Mathe-Nachhilfe ge- wiss als nützlich, zumal dann, wenn es inzwischen als preiswertes Ta- schenbuch daherkommt.

Der Psychologe Gerd Gigerenzer ist Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin und erforscht dort in einem interdiszi- plinären Team die kognitiven Stra- tegien, mit denen wir zum Beispiel unter Zeitdruck und mit unvollstän- digem Wissen Urteile fällen und Entscheidungen treffen. Eine Er- kenntnis seiner Forschung ist: Selbst viele Ärzte und Juristen haben nie gelernt, aus Wahrscheinlichkeiten rationale Schlüsse zu ziehen, und wissenschaftliche Laien könnten häufig mit derartigen Angaben erst recht nichts anfangen. Ein simples Beispiel ist der Wetterbericht, den manche Radiostationen seit einigen Jahren mit statistischen Daten wür- zen: Bedeutet 30 Prozent Regen- wahrscheinlichkeit, dass es morgen sieben Stunden lang regnen wird?

Oder dass es auf 30 Prozent der Fläche regnen wird? Beides ist – lei- der – ganz falsch, aber Gigerenzer gibt dem Leser (und den Wetterpro- pheten) die passende Hilfestellung:

Verzichte auf Prozentwerte, inter- pretiere die Daten stattdessen in natürlichen Häufigkeiten. Für den Wetterbericht heißt das: An 30 von 100 mit morgen vergleichbaren Ta- gen wird es regnen.

Schwer verständliche Angaben beim Wetterbericht haben allenfalls nasse Kleidung zur Folge; unver- ständliche Aussagen eines Arztes

können hingegen jahrelange seeli- sche Belastungen zur Folge haben.

Ein dramatisches Beispiel ist die Dis- kussion um das Screening auf Pros- tatakrebs. Gibt man in die Internet- Suchmaschine Google die Wörter

»Prostatakrebs« und »Früherken- nung« ein, erhält man knapp 10 000 Treffer, viele davon werben aus- drücklich für die Früherkennung.

Eine Broschüre der Krebshilfe zitiert beispielsweise ungenannte Experten, denen zufolge jeder Mann über 50 einmal im Jahr zur Früherkennung gehen sollte. Diese Kontrolle sei un- ter anderem deshalb wichtig, weil Prostatakrebs im Anfangsstadium fast niemals deutliche Beschwerden verursache; aus anderen Quellen kann man entnehmen, dass das mittlere Erkrankungsalter bei 72 Jahren liegt. Die Frage lautet nun:

Soll ich ab 50 tatsächlich alljährlich zum Test auf Prostatakrebs gehen?

Gerd Gigerenzer sagt eindeutig: Nein!

Das überrascht zunächst, aber seine Antwort liegt bei näherer Be- trachtung auf der Hand: Wenn das mittlere Erkrankungsalter jenseits der 70 liegt und die Erkrankung an- fangs jahrelang keine Beschwerden verursacht, dann plagt man sich womöglich Jahrzehnte lang mit dem Wissen um eine Krebserkran- kung, aber man stirbt am Ende mit 85 ganz friedlich am Herzinfarkt.

Man müsse die richtigen Fragen stellen, schreibt Gigerenzer, und um die stellen zu können, brauche man mathematisches Verständnis oder – wie der Titel des Buches schon sagt – ein gerüttelt Maß an Wissen über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken. Eine banale, aber gleichwohl viel zu selten ge- stellte Frage lautet in solch einem Fall: Worin besteht der Nutzen, und was sind die möglichen Nachteile des Screenings? Gigerenzer: »Es (gibt) derzeit keinen Beweis für die Verminderung der Sterblichkeit durch das Prostata-Screening.« Sehr wohl aber gebe es Beweise für arge Nebenwirkungen der Therapien, die einem Manne angeraten werden, wenn bei ihm ein Tumor im Früh- stadium erkannt worden sei. Zu- sammengefasst muss man sich also fragen: Was habe ich von einer Früherkennung, wenn deren Er-

gebnis keinerlei Auswirkungen auf meine Lebensdauer hat?

Zu welchen groben Missver- ständnissen und Fehlschlüssen die von ihm allerorten wahrgenomme- ne »Zahlenblindheit« führen kann, zeigt Gigerenzer auch an anderen aktuellen Beispielen wie der Diskus- sion um das Brustkrebs-Screening, der AIDS-Diagnostik und der DNA- Analyse in der Rechtsprechung.

Der Autor übt dabei nie Experten- schelte, sondern nutzt die Irrtümer beim Umgang mit Statistiken stets als Ausgangspunkt für Hinweise, wie wir lernen können, mit statisti- schen Befunden richtig umzugehen.

Nach der durchaus vergnüglichen Lektüre seines Buches hat man

F o r s c h u n g F r a n k f u r t 3 – 4 / 2 0 0 4 89

G u t e B ü c h e r

Das Einmaleins der Skepsis

Statistiken: Was sagen uns Zahlen über die Wahrscheinlichkeit von Risiken?

Der Autor

Dr. Karl-Heinz Wellmannstudierte an der Universität Frankfurt Biologie und ist Redakteur der Hörfunk-Wissenschafts- redaktion des Hessischen Rundfunks.

Gerd Gigerenzer Das Einmaleins der Skepsis.

Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin, 2004, ISBN

3833300418, 406 Seiten, 10,50 Euro.

daher nicht nur sein Faktenwissen auf vielerlei Fachgebieten auf den neuesten Stand gebracht und Ent- scheidungshilfen auch für etliche lebenspraktische Dinge vermittelt bekommen, sondern – quasi neben- bei – diverse nützliche Denkwerk- zeuge für das Leben im Informa- tionszeitalter erworben. ◆

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