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Krankheitsbedingte Kündigung und Weiterbeschäftigung auf einem angemessenen Arbeitsplatz

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„Krankheitsbedingte Kündigung und Weiterbeschäftigung auf einem angemessenen Arbeitsplatz“

von Rechtsanwältin Bettina Schmidt Fachanwältin für Arbeitsrecht

Fachanwältin für Sozialrecht

Ist eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer1 aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit auszuüben, so stellt sich in der arbeitsrechtlichen Praxis häufig die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Kündigungsmöglichkeit besteht.

I. Grundsätze einer krankheitsbedingten Kündigung

Die Kündigung wegen Krankheit ist einer der Hauptanwendungsfälle der

personenbedingten Kündigung i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG. Krankheit als solche ist kein Kündigungsgrund, sondern nur dann, wenn sie zu erheblichen betrieblichen oder wirtschaftlichen Beeinträchtigungen im Arbeitsverhältnis führt, die vom Arbeitgeber nicht mehr hinzunehmen sind2. Krankheit bewirkt aber auch keine Kündigungssperre.

Krankheit ist jeder regelwidrige Körper- und Geisteszustand, der in der Regel eine Heilbehandlung erforderlich macht und die den Arbeitnehmer hindert, die von ihm vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen3. Eine Krankheit ist

grundsätzlich keine Behinderung iSd Richtlinie 2000/78/EG4.

Die Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung erfolgt nach ständiger Rechtsprechung des BAG in drei Stufen5:

1 Ein kurzes Wort zur Sprache: In diesem Skript wird aus Platzgründen und aus Gründen der besseren

Lesbarkeit auf eine gendergerechte Sprache verzichtet; selbstverständlich sind bei Verwendung der

„männlichen“ Bezeichnung – soweit nicht ohnehin eine Bezeichnung zB als schwerbehinderter Mensch erfolgt – auch alle weiblichen oder intersexuellen Menschen mitangesprochen.

2 Vgl. dazu Linck in: Schaub, § 131, Rn. 31; ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 110, 111 mwN.

3 BAG vom 25.06.1981 – 6 AZR 940/78, NJW 1982, 712, Rn. 42; Vgl. dazu auch Linck in: Schaub, § 131, Rn.

31; ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 112 mwN.

4 EuGH vom 11.04.2013 – C-335/11; Linck in: Schaub, § 131, Rn. 31.

5 Vgl. etwa BAG vom 12.04.2002 – 2 AZR 148/01, NZA 2002, 1081, Rn. 41; BAG vom 24.11.2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665, Rn. 35; BAG vom 08.11.2007 – 2 AZR 292/06, NZA 2008, 593, Rn. 15, 16; BAG vom 30.09.2010 - 2010 – 2 AZR 88/09, NZA 2011, 39 mwN; LAG Köln vom 13.04.2012 – 5 Sa 551/11 (juris);

ausführlich LAG Hamburg vom 20.11.2019 – 2 Sa 30/18, Rn. 85 ff.; LAG Rheinland-Pfalz vom 10.07.2017 – 3 Sa 153/17, Rn. 82 ff.; LAG Rheinland-Pfalz vom 26.01.2021 – 6 Sa 124/20, Rn. 43; LAG Rheinland-Pfalz vom 13.04.2021 – 8 Sa 240/20; Rn. 38 mwN; LAG Köln vom 12.03.2021 – 10 Sa 804/20, Rn. 33 mwN.; vgl.

auch Linck in: Schaub, § 131, Rn. 34 mwN.

(2)

1) Es besteht eine negative Gesundheitsprognose.

2) Aufgrund der negativen Gesundheitsprognose ist in der Zukunft mit erheblichen Fehlzeiten zu rechnen.

3) Im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung ist dann zu prüfen, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht

hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen.

Die krankheitsbedingte Kündigung stellt keine Sanktion für die Fehlzeiten in der Vergangenheit dar, sondern gibt dem Arbeitgeber die Möglichkeit, zu erwartenden betrieblichen Beeinträchtigungen zuvorzukommen6.

Dabei sind die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der

krankheitsbedingten Kündigung die maßgebliche Beurteilungsgrundlage für die zukünftige Entwicklung und damit für ihre soziale Rechtfertigung. Die spätere

tatsächliche Entwicklung kann in der Regel nicht mehr zur Korrektur herangezogen werden7. Die für den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung festgestellte

negative Zukunftsprognose lässt sich nicht mehr mit der weiteren Entwicklung des Gesundheitszustandes korrigieren. Dies gilt nicht nur, wenn der Arbeitnehmer sich nach Ausspruch der Kündigung einer nun einer längst fälligen Operation unterwirft oder seine bisher ungesunde Lebensführung ändert. Auf die gesundheitliche

Entwicklung nach Zugang der Kündigung kommt es generell nicht an8. Es ist aber – insbesondere, wenn dem Kündigungsgrund ein prognostisches Element innewohnt – nicht unzulässig, die spätere Entwicklung in den Blick zu nehmen, wenn sie die Prognose bestätigt9.

Bei einer außerordentlichen Kündigung ist dieser Prüfungsmaßstab auf allen Stufen erheblich strenger. Die prognostizierten Fehlzeiten (erste Stufe) und die sich aus ihnen ergebenden Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen (zweite Stufe) müssen deutlich über das Maß hinausgehen, welches eine ordentliche

Kündigung sozial zu rechtfertigen vermag. Der Leistungsaustausch muss zwar nicht komplett entfallen, aber schwer gestört sein. Es bedarf eines gravierenden

6 BAG vom 12.04.2002 – 2 AZR 148/01, NZA 2002, 1081, Rn. 57; LAG Rheinland-Pfalz vom 10.07.2017 – 3 Sa 153/17, Rn. 88.

7 BAG vom 27.02.2020 – 8 AZR 215/19, Rn. 70; BAG vom 26.01.2017 – 2 AZR 61/16, Rn. 33; BAG vom 12.04.2002 – 2 AZR 148/01, NZA 2002, 1081; LAG Rheinland-Pfalz vom 26.01.2021 – 6 Sa 124/20, Rn.45;

LAG Berlin-Brandenburg vom 16.01.2020 – 26 Sa 1200/19, Rn. 27; vgl. dazu auch ausführlich ErfK/Oetker,

§ 1 KSchG, Rn. 115 und Linck in: Schaub, § 131, Rn. 37 jeweils mwN.

8 BAG vom 12.04.2002 – 2 AZR 148/01, NZA 2002, 1081; BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612, 614, Rn. 21 mwN; vgl. dazu auch Linck in: Schaub, § 131, Rn. 37 und ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 115 jeweils mwN.

9 LAG Berlin-Brandenburg vom 16.01.2020 – 26 Sa 1200/19, Rn. 27 unter Hinweis auf BAG vom 23.01.2014 – 2 AZR 582/13, Rn. 21 und vom 13.05.2004 – 2 AZR 36/04.

(3)

Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung. Ggf. ist im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung (dritte Stufe) zu prüfen, ob die gravierende Äquivalenzstörung dem Arbeitgeber auf Dauer zuzumuten ist10.

1. Häufige Kurzerkrankungen a) Negative Prognose

Es müssen, und zwar abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt, objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können – auf der ersten Stufe der Prüfung der Kündigungsgründe - indiziell für eine künftige negative Entwicklung des Krankheitsbildes sprechen11. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Krankheiten ausgeheilt sind12. Zudem setzt die Indizwirkung einen hinreichend prognosefähigen Zeitraum voraus. Vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalles soll nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung für die Erstellung der Gesundheitsprognose ein Referenzzeitraum von drei Jahren als belastbare

Grundlage maßgeblich sein13. Allerdings kann sowohl ein kürzerer Zeitraum als auch bei einzelnen Fehlzeiten erst ein längerer Zeitraum zu betrachten sein, um eine negative Prognose zu rechtfertigen14.

Hinsichtlich dieser negativen Prognose zukünftiger weiterer Erkrankungszeiten gilt eine abgestufte Darlegungslast:

- Traten während der letzten Jahre jährlich mehrere Kurzerkrankungen auf, sprechen diese für ein entsprechendes Erscheinungsbild auch in der Zukunft.

Der Arbeitgeber, der die Krankheitsursachen nicht kennt, darf sich zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu

10 BAG vom 23.01.2014 – 2 AZR 582/13, Rn. 28; BAG vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18, Rn. 20; vgl. ausführlich LAG Hamm vom 17.06.2020 – 6 Sa 1521/19, Rn. 64.

11 BAG vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18, Rn. 19; Sächsisches LAG vom 25.11.2020 – 2 Sa 37/20, Rn. 31.

12 BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, Rn. 20; BAG vom 08.11.2007 – 2 AZR 292/06, Rn. 16; BAG vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, Rn. 17 mwN.; LAG Rheinland-Pfalz vom 10.07.2017 – 3 Sa 153/17, rn. 91, 115 ff.; LAG Berlin-Brandenburg vom 16.01.2020 – 26 Sa 1200/19, Rn. 21; LAG Hamburg vom 20.11.2019 – 2 Sa 30/18, Rn. 86; LAG Düsseldorf vom 09.12.2020 – 12 Sa 554/20, Rn. 63; vgl. auch ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 121 ff., 123 mwN.

13 BAG vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18, Rn. 23; BAG vom 23.01.2014 – 2 AZR 582/13, Rn. 32; LAG Berlin- Brandenburg vom 16.01.2020 – 26 Sa 1200/19, Rn. 23; LAG Hamburg vom 20.11.2019 – 2 Sa 30/18, Rn.

86; LAG Köln vom 12.03.2021 – 10 Sa 804/20, Rn. 34 mwN.

14 BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 665, Rn. 24 mwN; BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612, 613, Rn. 19 mwN; LAG Rheinland-Pfalz vom 10.07.2017 – 3 Sa 153/17, Rn. 118 ff; Vgl. dazu auch Linck in: Schaub, § 131, Rn. 35 und ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 123 mwN.

(4)

behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten15.

- Bei einer negativen Indizwirkung ist der Arbeitnehmer dann gefordert, im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb mit geringeren Fehlzeiten zu rechnen sei. Trägt er selbst konkrete Umstände, wie die Krankheitsursachen vor, so müssen diese geeignet sein, die Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten zu erschüttern16. Der Arbeitnehmer genügt seiner prozessualen

Mitwirkungspflicht hierbei, wenn er die Behauptungen des Arbeitgebers nicht nur bestreitet, sondern seinerseits vorträgt, die ihn behandelnden Ärzte hätten die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet17. Weigert sich der Arbeitnehmer, die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden und trägt er auch sonst nichts vor, was für eine baldige

Genesung spricht, gilt der Vortrag des Arbeitgebers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden18.

- Je nach Erheblichkeit des Vortrags des Arbeitnehmers ist es Sache des Arbeitgebers, den Beweis für das Vorliegen einer negativen

Gesundheitsprognose zu führen19. Es gehört zum sachgerechten Vortrag des Arbeitgebers zu den Krankheitsursachen vorzutragen und im

Bestreitensfall Beweis dafür anzubieten, dass es sich nicht um ausgeheilte Krankheiten handelt, sondern um Krankheiten, mit deren Wiederauftreten zu rechnen ist20.

15 BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 665, Rn. 24; LAG Rheinland-Pfalz vom 10.07.2017 – 3 Sa 153/17, Rn. 121 mwN; LAG Köln vom 12.03.2021 – 10 Sa 804/20, Rn. 34; vgl. dazu auch ausführlich

ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 121 ff., 123 mwN.

16 Vgl. zusammenfassend Sächsisches LAG vom 25.11.2020 – 2 Sa 37/20, Rn. 31.

17 BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 665, Rn. 20; BAG vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, Rn.

17; LAG Rheinland-Pfalz vom 26.01.2021 – 6 Sa 124/20, Rn. 45 mwN; LAG Köln vom 12.03.2021 – 10 Sa 804/20, Rn. 37 mwN.; ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 125 mwN.

18 Vgl. dazu Linck in: Schaub, § 131, Rn. 38 und ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 125 jeweils mwN.

19 BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 665, Rn. 20 mwN; BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612, 613, Rn. 17 mwN; LAG Köln vom 12.03.2021 – 10 Sa 804/20, Rn. 37 mwN.

20 LAG Nürnberg vom 18.02.2020 – 7 Sa 124/19, Rn. 63.

(5)

Praxistipp:

Der notwendige Beweis wird in der Regel durch den Arbeitgeber nur durch Einholung eines Sachverständigengutachtens geführt werden können21. Die Berufung auf das Zeugnis des Betriebsarztes reicht nicht aus, wenn der

Arbeitnehmer diesen nicht von der ärztlichen Schweigepflicht entbindet, die dieser zu beachten hat (§ 8 Abs. 1 S. 3 AsiG). Es gehört auch gemäß § 3 Abs. 3 AsiG nicht zu den Aufgaben der Betriebsärzte, Krankmeldungen der Arbeitnehmer auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen.

Allerdings muss der Arbeitgeber weder vor Ausspruch der Kündigung

Nachforschungen über den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers anstellen, noch muss auf der anderen Seite der Arbeitnehmer eine Auskunft erteilen22. Weigert sich der Arbeitnehmer vorprozessual, die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, ist es ihm nicht verwehrt, im

Kündigungsschutzprozess die negative Gesundheitsprognose unter Bezugnahme auf ein ärztliches Zeugnis zu bestreiten23.

Es steht einer negativen Prognose nicht entgegen, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten auf verschiedenen Krankheitsursachen beruhen24. Auch dann, wenn diese einzelnen Erkrankungen jeweils ausgeheilt sind, können sie den Schluss auf eine gewisse Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers zulassen und damit eine negative Prognose begründen25.

In einem derartigen Fall muss der Arbeitnehmer, um die Gesundheitsprognose zu erschüttern, konkret darlegen, dass und ggf. wann welcher ihn behandelnde Arzt die künftige Entwicklung seiner Erkrankungszeiten vor welchem tatsächlichen

Hintergrund positiv beurteilt hat26.

Fehlzeiten, die nach Art der Erkrankung keine Aussagekraft für eine

Wiederholungsgefahr haben, wie zB ausgeheilte Knochenbrüche, Zerrungen oder ähnliche Erkrankungen, lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung

21 Vgl. dazu ausführlich ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 126 mwN.

22 BAG vom 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, NJW 1983, 2897.

23 BAG vom 12.04.2002 – 2 AZR 148/01, NZA 2002, 1081; LAG Rheinland-Pfalz vom 10.07.2017 – 3 Sa 153/17, Rn. 121 mwN; vgl. auch Linck in: Schaub, § 131, Rn. 35 mwN.

24 LAG Berlin-Brandenburg vom 16.01.2020 – 26 Sa 1200/19, Rn. 63.

25 BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 665, Rn. 25 mwN; BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612, 613, Rn. 20 mwN; BAG vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18, Rn. 19; LAG Rheinland-Pfalz vom 10.07.2017 – 3 Sa 153/17, Rn. 119 mwN; LAG Berlin-Brandenburg vom 16.01.2020 – 26 Sa 1200/19, Rn. 26;

LAG Köln vom 12.03.2021 – 10 Sa 804/20, Rn. 36.

26 LAG Rheinland-Pfalz vom 10.07.2017 – 3 Sa 153/17, Rn. 120 mwN.

(6)

ebensowenig zu wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (zB eine Operation) ergriffen wurden27.

Etwas anderes gilt, wenn die bisherigen Fehlzeiten vor allem auf Erkältungs- bzw. Entzündungserkrankungen sowie auf Beschwerden des

Bewegungsapparats basieren. Bei solchen Erkrankungen liegt, - wenn nicht besondere Therapiemaßnahmen (beispw. Operationen) ergriffen worden sind - grundsätzlich die Gefahr einer Wiederholung nahe, selbst wenn die akuten

Erkrankungsfälle ausgeheilt sind. Sie zeugen von einer gewissen Anfälligkeit28. Der Arbeitnehmer muss dann darlegen und beweisen, warum die

Krankheitsanfälligkeit nicht mehr besteht; nicht ausreichend ist die Darlegung des Arbeitnehmers, er habe beschlossen, gesund zu werden und wieder zu arbeiten29. Für die negative Gesundheitsprognose dürfen auch frühere prognosefähige Erkrankungen herangezogen werden, die bereits vergeblich eine vorangegangene Kündigung rechtfertigen sollten30.

Maßgeblicher Beurteilungszeitzeitraum für die Negativprognose und

Rechtmäßigkeit der Kündigung ist ihr Zugang beim Gekündigten31. Nach Zugang der Kündigung eingetretene weitere Umstände können die vorher erstellte Prognose nicht beeinträchtigen. Allenfalls zur Bestätigung der ursprünglichen Prognose können spätere Entwicklungen berücksichtigt werden32.

b) Erhebliche betriebliche oder wirtschaftliche Beeinträchtigungen Die prognostizierten, erheblichen Fehlzeiten sind jedoch nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes auf der zweiten Stufe festzustellen ist33.

Praxistipp:

Der Arbeitgeber hat die betrieblichen Beeinträchtigungen konkret darzulegen und im Streitfall zu beweisen. Schlagwortartige oder pauschale Behauptungen, z.B.

27 BAG vom 14.01.1993 – 2 AZR 343/92, NZA 1994, 309; BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006,

665, Rn. 26;LAG Berlin-Brandenburg vom 16.01.2020 – 26 Sa 1200/19, Rn. 26..

28 BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 665, Rn. 26; BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612, 613, Rn. 20 mwN; LAG Köln vom 12.03.2021 – 10 Sa 804/20, Rn. 38; vgl. auch ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 124 und Linck in: Schaub, § 131, Rn. 36 zu weiteren Erkrankungen.

29 Vgl. dazu Linck in: Schaub, § 131, Rn. 38 mwN.

30 BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 665, Rn. 27.

31 BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05.

32 LAG Berlin-Brandenburg vom 16.01.2020 – 26 Sa 1200/19, Rn. 27 unter Hinweis auf BAG vom 23.01.2014 – 2 AZR 582/13, Rn. 21 und vom 13.05.2004 – 2 AZR 36/04; vgl. dazu auch ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 115 mwN.

33 St. Rspr. vgl. etwa LAG Hamburg vom 20.11.2019 – 2 Sa 30/18, Rn. 86, 91 mwN.

(7)

dauernde Vertretung, Unruhe bei den Kollegen, genügen für sich allein nicht. Der Arbeitgeber muss vielmehr die aufgetretenen Störungen genau beschreiben und hat auch darzulegen, inwiefern er den Ausfall nicht mehr überbrücken kann34.

Die vom Arbeitgeber im Einzelnen darzulegende unzumutbare Beeinträchtigung betrieblicher Interessen kann sich dabei sowohl aus eingetretenen und zu erwartenden unzumutbaren Störungen des betrieblichen Ablaufes (z.B.

Maschinenstillstände, Produktionsausfall, Materialverlust - etwa bei rasch

verderblichen Gütern -) als auch aus einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung infolge außergewöhnlich hoher Lohnfortzahlungskosten ergeben35.

Zu berücksichtigen sind wirtschaftliche Beeinträchtigungen wie Mehrkosten für den Einsatz von Aushilfskräften, insbesondere aber die zu erwartenden

Entgeltfortzahlungskosten; diese sind aber erst kündigungsrelevant, wenn sie für mehr als sechs Wochen im Jahr anfallen36. Da die für die Zukunft zu erwartenden Belastungen zu prognostizieren sind, sind Kosten für einmalige Erkrankungen nicht mit einzubeziehen, wenn ihre Wiederholung für die Zukunft nicht zu erwarten ist37.

Bei gleichzeitigen Störungen des Betriebsablaufs können auch schon jährliche Ausfallzeiten mit Entgeltfortzahlung von weniger als sechs Wochen

kündigungsrelevant sein38. Solche erheblichen Betriebsablaufstörungen liegen z.B. vor, wenn Störungen im Produktionsablauf eintreten, wiederholt

vorübergehend Aushilfskräfte eingestellt werden, der Betriebsfrieden infolge sich wiederholender Vertretungsnotwendigkeiten gestört wird, Kunden verärgert werden, weil Aufträge nicht termingerecht abgewickelt werden können oder eine fehlende Einplanbarkeit in Dienstplänen zu betrieblichen Störungen führt39. Eine Personalreserve ist bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Belastung des Arbeitgebers mit erheblichen Lohnfortzahlungskosten zu seinen Gunsten zu berücksichtigen40. Häufige Kurzerkrankungen von jährlich mehr als sechs Wochen werden, abgesehen von den Lohnfortzahlungskosten, regelmäßig mit weiteren betrieblichen Beeinträchtigungen verbunden sein. Hält der

34 LAG Hamburg vom 20.11.2019 – 2 Sa 30/18, Rn. 92.

35 BAG vom 02.11.1983 – 7 AZR 272/82, DB 1984, 831, Rn. 30 mwN.

36 BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655, Rn. 31; BAG vom 08.11.2007 – 2 AZR 292/06, NZA 2008, 593; BAG vom 10.12.2009 – 2 AZR 400/08, NZA 2010, 398, Rn. 15; BAG vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18, Rn. 19; LAG Hamburg vom 20.11.2019 – 2 Sa 30/18, Rn. 86; 93; LAG Düsseldorf vom 09.12.2020 – 12 Sa 554/20, Rn. 63; vgl. dazu und zu Kleinbetrieben Linck in: Schaub, § 131, 40 mwN.

37 BAG vom 06.09.1989 – 2 AZR 19/89, NZA 1990, 307; vgl. auch BAG vom 12.04.2001 – 2 AZR 148/01, NZA 2002, 1081, Rn. 57 zur Zukunftsbezogenheit der Prognose der zu erwartenden Beeinträchtigungen.

38 St. Rspr. vgl. etwa LAG Hamburg vom 20.11.2019 – 2 Sa 30/18, Rn. 93 unter Hinweis auf BAG vom 06.09.1989 – 2 AZR 224/89 und BAG vom 29.08.1991 – 2 AZR 220/91.

39 Vgl. BAG vom 02.11.1983 – 7 AZR 272/82, DB 1984, 831; ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 141 mwN.

40 BAG vom 29.07.1993 – 2 AZR 155/93, NZA 1994, 67, Rn. 24 mwN; vgl. dazu auch Linck in: Schaub, § 131, Rn. 39; ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 141 mwN.

(8)

Arbeitgeber eine den Erfahrungswerten entsprechende Personalreserve vor, so wird er Betriebsablaufstörungen weitgehend auffangen können, obwohl nicht zu verkennen ist, dass es gerade in Fällen, in denen bei Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen allein auf die Lohnfortzahlungskosten abgestellt wird,

regelmäßig um solch hohe Krankheitszeiten geht, dass auch eine großzügig bemessene Personalreserve hier nicht immer zum Ausgleich ausreicht. Hält der Arbeitgeber demgegenüber nur eine geringe oder gar keine Personalreserve vor, so wird er in größerem Umfang mit Betriebsablaufstörungen zu kämpfen haben.

Ist der Betrieb personell überbesetzt, so kann die Krankheit eines Arbeitnehmers einen Vertretungsbedarf auslösen und so einen beabsichtigten Personalabbau verzögern, der Vertreter des kranken Arbeitnehmers, der sonst zur Entlassung anstünde, würde hier als Personalreserve fungieren41.

Nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung werden häufige Kurzerkrankungen nur als geeigneter Kündigungsgrund erachtet,

- wenn über einen Zeitraum von drei Jahren in jedem Jahr Entgeltfortzahlung für mehr als sechs Wochen zu gewähren war und aufgrund der negativen Prognose anzunehmen ist, dass sich dieser Zustand nicht ändert42; - wenn bei Ausfallzeiten bis zu sechs Wochen jährlich erhebliche

Betriebsablaufstörungen vorliegen43.

Um einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 BGB für eine außerordentliche

Kündigung mit sozialer Auslauffrist bei tariflich unkündbaren Arbeitnehmern bilden zu können, müssen die zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten deutlich über das Maß hinausgehen, welches eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermöchte. Es bedarf nicht nur eines erheblichen, sondern eines gravierenden Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung. Ein solches liegt nicht erst vor, wenn den Entgeltfortzahlungen des Arbeitgebers keine (nennenswerte)

Arbeitsleistung mehr gegenübersteht. Der Leistungsaustausch muss nicht (nahezu) entfallen, er muss „nur“ besonders schwer gestört sein. Wann das

Äquivalenzverhältnis aufgrund zu erwartender Entgeltfortzahlungskosten als so schwer („gravierend“) gestört anzusehen ist, dass dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann, an einem ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnis dauerhaft

festzuhalten, hängt maßgeblich davon ab, wie der dem Arbeitnehmer zukommende

41 Vgl. dazu BAG vom 29.07.1993 – 2 AZR 155/93, NZA 1994, 67, Rn. 25.

42 BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 665; BAG vom 08.11.2007 – 2 AZR 292/06, NZA 2008, 593, Rn. 16 mwN.

43 BAG vom 06.09.1989 – 2 AZR 224/89, NZA 1990, 434; vgl. auch ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 144 mwN.

(9)

Sonderkündigungsschutz ausgestaltet ist44. Bei einem aufgrund Lebensalter und Betriebszugehörigkeit ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnis kann eine

gravierende Störung des Äquivalenzverhältnisses allein deshalb vorliegen, wenn voraussichtlich im Durchschnitt mehr als ein Drittel der jährlichen Arbeitstage mit Entgeltfortzahlung belastet sein werden45.

c) Interessenabwägung

Im Rahmen der Interessenabwägung haben die Arbeitsgerichte zu prüfen, ob die betriebliche Beeinträchtigung durch die Krankheit des Arbeitnehmers auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalles vom Arbeitgeber billigerweise noch

hinzunehmen ist oder ihn überfordert46. Dabei sind im Rahmen der

Interessenabwägung u.a. auch die familiären Verhältnisse des Arbeitnehmers, insbesondere seine Unterhaltspflichten sowie eine mögliche

Schwerbehinderteneigenschaft zu berücksichtigen47. Des Weiteren ist zu

berücksichtigen, ob die Krankheiten auf betrieblichen Ursachen beruhen48, ob und wie lange das Arbeitsverhältnis zunächst ungestört verlaufen ist, ob der Arbeitgeber eine Personalreserve vorhält und ob es neben

Betriebsablaufstörungen zusätzlich zu hohen wirtschaftlichen Belastungen des Arbeitgebers gekommen ist49.

Die Nichtdurchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM - § 167 Abs. 2 SGB IX) ist ebenfalls im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen50. § 167 Abs. 2 SGB IX stellt eine Konkretisierung des dem gesamten Kündigungsschutzrecht innewohnenden

Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Danach ist eine Kündigung

unverhältnismäßig und folglich rechtsunwirksam, wenn sie nicht durch andere mildere Mittel vermieden werden kann; dabei ist das bEM für sich gesehen kein milderes Mittel iSd Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes51.

Mildere Mittel können insbesondere

44 BAG vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18, Rn. 37 ff. mwN.

45 BAG vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18, Rn. 38 ff., 40; LAG Hamm vom 17.06.2020 – 6 Sa 1521/19, Rn. 63

46 St. Rspr. vgl. etwa LAG Düsseldorf vom 09.12.2020 – 12 Sa 554/20, Rn. 63 mwN.

47 BAG vom 20.01.2000 – 2 AZR 378/99; BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655, Rn. 34.

48 BAG vom 08.11.2007 – 2 AZR 292/06, NZA 2008, 593.

49 Vgl. dazu ausführlich Linck in: Schaub, § 131, Rn. 41 und zur Betriebsratsanhörung Rn. 42; vgl. dazu auch BAG vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18, Rn. 19.

50 BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612, 614, Rn. 24 mwN; LAG Hamburg vom 20.11.2019 – 2 Sa 30/18, Rn. 99; LAG Rheinland-Pfalz vom 26.01.2021 – 6 Sa 124/20, Rn. 48.

51 LAG Rheinland-Pfalz vom 24.08.2020 – 3 Sa 87/20, Rn. 112 mwN; BAG vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 28.

(10)

- die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereiches oder

- die Weiterbeschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten Arbeitsplatz sein52.

Darüber hinaus kann sich - auch bei häufigen Kurzerkrankungen - aus dem

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, ggf.

spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, insbesondere Maßnahmen der gesetzlichen Sozialversicherungsträger zur medizinischen Rehabilitation, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen53.

Ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 167 Abs. 2 SGB IX (bEM) ist nicht nur bei lang andauernden Krankheiten geboten, es ist auch bei häufigen Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers nicht ausgeschlossen oder von

vornherein überflüssig. Nach der gesetzlichen Regelung des § 167 Abs. 2 SGB IX kommt es allein auf den Umfang, nicht auf die Ursache der Erkrankungen an.

Auch aus Krankheiten, die auf unterschiedlichen Grundleiden beruhen, kann sich, zumal wenn sie auf eine generelle Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers hindeuten, eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses ergeben, der das bEM entgegenwirken soll54.

2. Lang andauernde Krankheit

Die Kündigung wegen einer langandauernden Krankheit ist nur zulässig, wenn die Arbeitsunfähigkeit bei Zugang der Kündigung noch andauert, eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt, eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen55.

52 BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612, 614, Rn. 24 mwN; LAG Hamburg vom 20.11.2019 – 2 Sa 30/18, Rn. 99; LAG Düsseldorf vom 09.12.2020 – 12 Sa 554/20, Rn. 65.

53 BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612 ff., Rn. 24, 50 mwN; BAG vom 21.11.2018 – 7 AZR 394/17, Rn. 36; LAG Hamburg vom 20.11.2019 – 2 Sa 30/18, Rn. 99; LAG Düsseldorf vom 09.12.2020 – 12 Sa 554/20, Rn. 65.

54 BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612, 616, Rn. 42 mwN; LAG Rheinland-Pfalz vom 10.07.2017 – 3 Sa 153/17, Rn. 131.

55 BAG vom 12.04.2002 – 2 AZR 148/01, NZA 2001, 1081, Rn. 41 mwN.

(11)

a) Negative Prognose

Eine lang andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in der unmittelbaren Vergangenheit stellt ein gewisses Indiz für die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit in der Zukunft dar56. In der Regel ist dann von einer lang anhaltenden Erkrankung, die einer Dauererkrankung gleichgestellt werden kann, auszugehen, wenn der Arbeitnehmer etwa 1 ½ Jahre arbeitsunfähig und ein Ende der Erkrankung nicht abzusehen ist57. Allerdings gibt das Gesetz keine Auskunft, ob und wenn ja, welche Zeit abzuwarten ist, bevor der Arbeitgeber berechtigt ist, das

Arbeitsverhältnis sozial gerechtfertigt zu beenden. Es gibt keine festen

„Abwartezeiten“ für den Arbeitgeber, sondern es ist auf die Besonderheiten des Einzelfalles abzustellen58. Ist der Arbeitnehmer bereits längere Zeit –also

mindestens 1 ½ Jahre – arbeitsunfähig erkrankt und ist im Zeitpunkt der

Kündigung die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit noch völlig ungewiss, soll aber allein schon diese Ungewissheit zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Belange führen, weil der Arbeitgeber auf unabsehbare Zeit gehindert ist, sein Direktionsrecht auszuüben59.

Praxistipp:

Der Arbeitgeber genügt deshalb seiner Darlegungslast für eine negative Prognose zunächst, wenn er die bisherige Dauer der Erkrankung in der Vergangenheit und die ihm bekannten Krankheitsursachen vorträgt60.

Der Arbeitnehmer muss dieser durch die lange Arbeitsunfähigkeit in der

Vergangenheit begründeten Indizwirkung in erheblicher Weise entgegentreten und vortragen, dass und unter welchen Bedingungen innerhalb dieses Zeitraums eine Besserung wahrscheinlich ist. Dazu ist konkreter Sachvortrag erforderlich, dass in absehbarer Zeit die Wiedererlangung der Arbeitsunfähigkeit zu erwarten ist61.

56 BAG vom 12.04.2002 – 2 AZR 148/01; BAG vom 12.07.2007 – 2 AZR 716/06, Rn. 27; BAG vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 14; LAG Rheinland-Pfalz vom 13.04.2021 – 8 Sa 240/20, Rn. 39 mwN.

57 LAG Rheinland-Pfalz vom 13.04.2021 – 8 Sa 240/20, Rn. 39; ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 129.

58 LAG Rheinland-Pfalz vom 13.04.2021 – 8 Sa 240/20, Rn. 40; ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 131, 134.

59 BAG vom 21.05.1992 – 2 AZR 399/91, NZA 1993, 497; Vgl. auch ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 132, 133 mwN.

60 BAG vom 12.04.2002 – 2 AZR 148/01; BAG vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 14; LAG Rheinland- Pfalz vom 13.04.2021 – 8 Sa 240/20, Rn. 39.

61 BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612, 616, Rn. 22; BAG vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 15 mwN.

(12)

b) Erhebliche betriebliche oder wirtschaftliche Beeinträchtigungen Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne Weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen62. Eine – bei langandauernden Erkrankungen häufig gegebene – völlige Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsunfähigkeit steht – so sie tatsächlich vorliegt - nach der Rechtsprechung des BAG einer

krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit dann gleich, wenn jedenfalls in den nächsten 24 Monaten mit einer Genesung nicht gerechnet werden kann63.

Einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten kann der Arbeitgeber typischerweise ohne Schwierigkeiten durch die Einstellung einer Ersatzkraft mit einem zeitbefristeten Arbeitsverhältnis nach § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG überbrücken64. Meist lässt sich die Kündigung wegen langandauernder Krankheit daher in der zweiten

Prüfungsstufe allenfalls mit erheblichen betrieblichen Ablaufstörungen begründen. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt eine

krankheitsbedingte Kündigung des Arbeitnehmers als letztes Mittel erst dann in Betracht, wenn dem Arbeitgeber nicht mehr zuzumuten ist, die Kündigung durch Überbrückungsmaßnahmen zu vermeiden. Der Arbeitgeber muss prüfen, ob sich negative betriebliche Auswirkungen durch Einstellung von Hilfskräften, Mehrarbeit, Versetzungen oder befristete Einstellungen zur Vertretung des

erkrankten Arbeitnehmers vermeiden lassen. Dabei hat der Arbeitgeber bei einem langjährig beschäftigten Arbeitnehmer einen längeren Zeitraum für geeignete und zumutbare Überbrückungsmaßnahmen hinzunehmen als bei einem nur kurzfristig tätigen Arbeitnehmer65. Vom Arbeitgeber kann auch verlangt werden, dass der Arbeitgeber eine Aushilfskraft auf unbestimmte Zeit einstellt. Der Arbeitgeber hat konkret darzulegen, weshalb die Einstellung einer Aushilfskraft nicht möglich oder nicht zumutbar ist66.

Der Hinweis auf gesetzliche Lohnfortzahlungskosten durch den Arbeitgeber kann bei langandauernden Krankheiten eine für ihn unerträgliche wirtschaftliche Belastung nicht begründen. Im Unterschied zu dem Fall häufiger Kurzerkrankungen

62 BAG vom 19.04.2007 – 2 AZR 239/06, Rn. 18; BAG vom 30.09.2010 – 2 AZR 88/09, Rn. 11; BAG vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 18.

63 BAG vom 12.04.2002 – 2 AZR 148/01, NZA 2001, 1081; BAG vom 08.11.2007 – 2 AZR 425/06, NZA 2008, 471; BAG vom 30.09.2010 – 2 AZR 88/09, Rn. 11; BAG vom 20.11.2014 – 2 AZR 664/13, Rn. 14; BAG vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 18.

64 BAG vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 18 mwN.

65 BAG vom 22.02.1980 – 7 AZR 295/78, DB 1980, 1446; Vgl. auch ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 135 mwN.

66 BAG vom 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, DB 1983, 1047.

(13)

(unterschiedlicher Art) ist das Lohnfortzahlungsrisiko wegen der Begrenzung des Anspruchszeitraums auf sechs Wochen meist auf ein zumutbares Maß beschränkt67. Auch die weiterhin entstehenden Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers

vermögen nicht zu einer nicht mehr hinzunehmenden Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers führen. Gesetzliche und regelmäßig auch tarifvertragliche Urlaubsansprüche erlöschen bei fortdauernder

Arbeitsunfähigkeit jeweils 15 Monaten nach des betreffenden Urlaubsjahres und wachsen daher nach Ablauf von zwei Jahren und drei Monaten typischerweise nicht mehr an68.

c) Interessenabwägung

Auch bei der personenbedingten Kündigung wegen lang andauernder Erkrankung ist eine Abwägung der beiderseitigen Interessen erforderlich69.

Zugunsten des Arbeitnehmers sind Lebensalter und Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Dem Umstand, dass die Erkrankung eine betriebliche Ursache hat, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Auf Seiten des Arbeitnehmers spielen die betrieblichen Belastungen durch die andauernde Erkrankung eine Rolle70.

67 Vgl. dazu BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655; Vgl. auch ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 130 mwN.

68 BAG vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 27 mwN.; str. ist, ob Urlaubsansprüche langandauernd erkrankter Arbeitnehmer auch dann mit dem 31. März des zweiten Folgejahres erlöschen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während der ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit nicht auf den drohenden Verfall der Urlaubsansprüche hingewiesen hat: bejahend: LAG Hamm vom 24.07.2019 – 5 Sa 676/19; LAG Rheinland-Pfalz vom 15.01.2020 – 7 Sa 284/19, Rn. 49; der 9. Senat des BAG hat am 07.07.2020 – 9 AZR 401/19 (Revisionsverfahren zur Entscheidung des LAG Hamm vom 24.07.2019 – 5 Sa 676/19) den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über folgende Fragen ersucht:

1. Stehen Art. 7 RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union der Auslegung einer nationalen Regelung wie § 7 Abs. 3 BUrlG entgegen, der zufolge der bisher nicht erfüllte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eines im Verlauf des Urlaubsjahres arbeitsunfähig

erkrankten Arbeitnehmers, der den Urlaub vor Beginn seiner Erkrankung im Urlaubsjahr - zumindest teilweise - noch hätte nehmen können, bei ununterbrochen fortbestehender Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres auch in dem Fall erlischt, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben?

2. Sofern die Frage zu 1. bejaht wird: Ist unter diesen Voraussetzungen bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit auch ein Verfall zu einem späteren Zeitpunkt ausgeschlossen?

69 BAG vom 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, DB 1983, 1047.

70 Vgl. dazu ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 136 mwN.

(14)

Die Nichtdurchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM - § 167 Abs. 2 SGB IX) ist ebenfalls im Rahmen der Störung der betrieblichen Interessen zu berücksichtigen71.

Nach dem das ganze Kündigungsrecht beherrschenden

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine krankheitsbedingte Kündigung auch dann ungerechtfertigt, wenn sie zur Beseitigung der betrieblichen

Beeinträchtigungen und der eingetretenen Vertragsstörung nicht erforderlich ist.

Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung künftiger Fehlzeiten gibt72.

Mildere Mittel können insbesondere

- die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereiches oder

- die Weiterbeschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten Arbeitsplatz sein73.

Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die

Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung die Chance zu bieten, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten

auszuschließen74.

Zu den die Kündigung bedingenden Tatsachen gehört auch das Fehlen

alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten, die einen zukünftigen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses möglich erscheinen lassen. Die Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung ist ein solches milderes Mittel. Wenn eine Umsetzungsmöglichkeit besteht, hat die Krankheit keine erhebliche

Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zur Folge75.

3. Darlegungs- und Beweislast

Der Arbeitgeber trägt nach § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast76.

71 BAG vom 08.11.2007 – 2 AZR 425/06, NZA 2008, 471, Rn. 18.

72 BAG vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, Rn. 24; BAG vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 99; LAG Düsseldorf vom 09.12.2020 – 12 Sa 554/20, Rn. 65.

73 BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612, 614, Rn. 24 mwN; BAG vom 20.03.2014 – 2 AZR 565/12, Rn. 29; BAG vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 99.

74 BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612, 614, Rn. 24 mwN; BAG vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 99.

75 St. Rspr. des BAG, Vgl. zuletzt BAG vom 26.11.2009 – 2 AZR 272/08, NZA 2010, 628, Rn. 34 mwN;

BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 1020/08, NZA 2010, 1234, Rn. 15 mwN.

76 St. Rspr. vgl. nur LAG Düsseldorf vom 09.12.2020 – 12 Sa 554/20, Rn. 66 mwN.

(15)

Besteht keine Pflicht zur Durchführung eines betrieblichen

Eingliederungsmanagements nach § 167 Abs. 2 SGB IX (bEM), kann sich der Arbeitgeber im Rahmen seiner Darlegungen zunächst darauf beschränken, zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestünden keine alternativen

Beschäftigungsmöglichkeiten77. Daraufhin hat der Arbeitnehmer konkret darzulegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder seine weitere Beschäftigung - ggf. zu geänderten Arbeitsbedingungen - unter

Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorstellt.

Anderes gilt, wenn die Voraussetzungen gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX vorliegen, die den Arbeitgeber verpflichten ein bEM durchzuführen. In diesem Fall gewinnt die Erforderlichkeit eines bEM nach § 167 Abs. 2 SGB IX Bedeutung für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast78. Besteht eine Verpflichtung für den Arbeitgeber zur Durchführung eines bEM, treffen den Arbeitgeber treffen erweiterte Darlegungspflichten, wenn er entweder

- ein bEM nicht angeboten oder

- nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat.

In dem Fall hat der Arbeitgeber detailliert darzulegen, dass keine Möglichkeit bestanden hat, die Kündigung durch mildere Mittel zu vermeiden79.

Entsprechend abgestuft ist die Darlegungslast des Arbeitgebers, wenn sich der Arbeitnehmer darauf beruft, die Kündigung sei deshalb unverhältnismäßig, weil eine dem Arbeitgeber bekannte, ihm gleichwohl nicht geboten erscheinende Therapiemöglichkeit bestanden habe80.

Ist der Arbeitnehmer also krankheitsbedingt auf Dauer nicht mehr in der Lage, die geschuldete Arbeit auf seinem bisherigen Arbeitsplatz zu erbringen oder ist seine Leistungsfähigkeit gemindert,

→ muss der Arbeitgeber, um die Kündigung zu vermeiden, zunächst prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit dem Arbeitnehmer besetzt

werden können81.

77 St. Rspr. vgl. nur BAG vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 100 und LAG Düsseldorf vom 09.12.2020 – 12 Sa 554/20, Rn. 66.

78 Vgl. dazu BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612, 614, Rn. 25 mwN; BAG vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 100.

79 BAG vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, Rn. 27; BAG vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 100; LAG Düsseldorf vom 09.12.2020 – 12 Sa 554/20, Rn. 66.

80 BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612, 614, Rn. 25 mwN.

81 Vgl. dazu BAG vom 24.11.2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665, 667; BAG vom 19.04.2007 – 2 AZR 239/06, NZA 2007, 1041, 1042; BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 1020/08, NZA 2010, 1234, Rn. 15; LAG Köln vom 13.04.2012– 5 Sa 551/11, Rn. 39.

(16)

Dabei kommen nach ständiger Rechtsprechung des BAG im Rahmen der Prüfung anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten grundsätzlich nur solche Arbeitsplätze in Betracht, die entweder gleichwertig mit der bisherigen Beschäftigung oder geringer bewertet sind82. Der Arbeitgeber muss, um eine Beendigungskündigung zu vermeiden, den Arbeitnehmer – wenn dies sein Weisungsrecht zulässt – auf diesen freien Arbeitsplatz versetzen oder andernfalls eine

Änderungskündigung aussprechen.

→ Der Arbeitgeber ist darüber hinaus aber auch verpflichtet,

leidensgerechte Arbeitsplätze frei zu machen oder zu schaffen, soweit das im Rahmen seines Direktionsrechtes möglich ist83.

Dazu gehört neben der Änderung von Arbeitsabläufen und dem Umverteilen von Aufgaben auch die Versetzung anderer Mitarbeiter84. Der Arbeitgeber ist jedoch weder verpflichtet, einen Arbeitsplatz „frei zu kündigen“, noch muss er das Zustimmungsersetzungsverfahren einleiten, wenn der Betriebsrat seine Zustimmung zu einer Versetzung verweigert, mit der für den erkrankten

Mitarbeiter ein leidensgerechter Arbeitsplatz freigemacht werden soll85. Lediglich bei Vorliegen besonderer Umstände kann nach der Rechtsprechung des 2.

Senates des BAG eine Pflicht des Arbeitgebers angenommen werden, gegen den Betriebsrat vorzugehen und durch ein entsprechendes Beschlussverfahren ggf.

die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat zu belasten. Als solche besonderen Umstände kommen in Betracht etwa ein offensichtlich unbegründeter Widerspruch des Betriebsrates oder ein kollusives Zusammenwirken zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat86.

Darüber hinaus geht eine bestehende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen Arbeitsplatz auch dann einer Beendigungskündigung vor, wenn sie nur zu geänderten Arbeitsbedingungen erfolgen kann87.

82 BAG vom 01.03.2007 – 2 AZR 650/05, Rn. 24; BAG vom 19.04.2007 – 2 AZR 239/06, NZA 2007, 1041, 1043 mwN.

83 BAG vom 29.01.1997 – 2 AZR 9/96, NZA 1997, 709; BAG vom 19.04.2007 – 2 AZR 239/06, NZA 2007, 1041, 1042; BAG vom 12.07.2007 – 2 AZR 716/06, NZA 2008, 173; BAG vom 30.09.2010 – 2 AZR 88/09, NZA 2011, 39, Rn. 12 mwN; LAG Köln vom 13.04.2012 – 5 Sa 551/11, Rn. 39.

84 BAG vom 29.01.1997 – 2 AZR 9/96, NZA 1997, 709.

85 BAG vom 29.01.1997 – 2 AZR 9/96, NZA 1997, 709; BAG vom 22.09.2005 – 2 AZR 519/04, NZA 2006, 486, 490.

86 BAG vom 22.09.2005 – 2 AZR 519/04, NZA 2006, 486, 490.

87 BAG vom 22.09.2005 – 2 AZR 519/04, AP § 81 SGB IX Nr. 10; LAG Köln vom 13.04.2012 – 5 Sa 551/11, Rn. 40.

(17)

4. Krankheitsbedingte Leistungsminderung

Bei der Leistungsminderung geht es nicht darum, dass ein Arbeitnehmer

außerstande ist, alle Tätigkeiten auszuüben, zu denen er vertraglich verpflichtet ist. Dieser Arbeitnehmer ist arbeitsunfähig. Es gibt arbeitsrechtlich keine teilweise Arbeitsfähigkeit88. Mit der krankheitsbedingten Leistungsminderung sind vielmehr Fälle angesprochen, in denen der Arbeitnehmer alle Tätigkeiten ausüben, dabei aber qualitativ oder quantitativ nicht (mehr) die volle Leistung erbringen kann, was eine Kündigung rechtfertigen kann, wenn dies zu einer nicht erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führt89.

Die ordentliche Kündigung aufgrund krankheitsbedingter Leistungsminderung beurteilt sich nach den zur Krankheit entwickelten Grundsätzen, die

vorstehend dargestellt worden sind.

Die erheblichen Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen können sich nicht aus der Belastung mit Lohnfortzahlungskosten ergeben, weil der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz anwesend ist. Sie liegen darin, dass der Zahlung des vollen Zeitlohnes keine nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen adäquate Arbeitsleistung gegenübersteht. Da die Beeinträchtigung betrieblicher Interessen erheblich sein muss, genügt hierfür nicht jede geringfügige Minderleistung90. Es kommt darauf an, ob die Arbeitsleistung die berechtigten Erwartungen des Arbeitgebers von der Gleichwertigkeit der beiderseitigen Leistungen in einem Maße unterschreitet, dass ihm ein Festhalten an dem (unveränderten)

Arbeitsvertrag unzumutbar wird91. Das BAG hat eine Minderleistung von 35%

ausreichen lassen, um die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers zu rechtfertigen92. Steht das Ende der krankheitsbedingten Leistungsminderung nach ärztlicher Erkenntnis unmittelbar bevor, oder ist die volle Leistungsfähigkeit bereits wiederhergestellt, ist die Kündigung ausgeschlossen.

Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit liegen die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen nach Auffassung des BAG auf der Hand, weil der Arbeitgeber auf unabsehbare Zeit gehindert ist, sein Direktionsrecht

auszuüben und der Einsatz des Arbeitnehmers sich nicht mehr ordnungsgemäß

88 BAG vom 13.06.2006 – 9 AZR 229/05, NZA 2007, 91.

89 BAG vom 26.09.1991 – 2 AZR 132/91, NZA 1992, 1073; BAG vom 12.07.1995 – 2 AZR 762/94, NZA 1995, 1100; Vgl. dazu auch Linck in: Schaub, § 131, Rn. 45 mwN.

90 BAG vom 26.09.1991 – 2 AZR 132/91, NZA 1992, 1073.

91 BAG vom 11.12.2003 – 2 AZR 667/02, NZA 2004, 784.

92 BAG vom 26.09.1991 – 2 AZR 132/91, NZA 1992, 1073.

(18)

planen lässt. Daher komme es nicht mehr darauf an, ob eine Vertretung des Arbeitnehmers möglich sei, weil dies nicht sinnvoll erscheine93.

Ist der Arbeitnehmer dauerhaft außer Stande, die vertraglich geschuldete

Arbeitsleistung zu erbringen, ist eine negative Prognose hinsichtlich der künftigen Entwicklung des Gesundheitszustandes indiziert. Der dauernden

Leistungsunfähigkeit steht die völlige Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gleich. Eine solche Ungewissheit besteht, wenn in absehbarer Zeit nicht mit einer positiven Entwicklung gerechnet werden kann. Als absehbar ist in diesem Zusammenhang nach der Rechtsprechung des BAG ein Zeitraum von bis zu 24 Monaten94.

Auch bei krankheitsbedingter Leistungsunfähigkeit und Leistungsminderung muss wie bei jeder Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG vor Ausspruch der Kündigung die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz und/oder unter anderen Arbeitsbedingungen im Betrieb oder Unternehmen auch nach Fortbildung oder Umschulung geprüft werden als milderes Mittel vor einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses geprüft werden95. Mildere Mittel in diesem Sinne sind insbesondere

- die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereiches

- oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leistungsgerechten Arbeitsplatz.

Dies schließt in Krankheitsfällen die Verpflichtung des Arbeitsgebers ein, einen leidensgerechten Arbeitsplatz durch Ausübung seines Direktionsrechtes

"freizumachen" und sich gegebenenfalls um die erforderliche Zustimmung des Betriebsrates zu bemühen. Scheidet eine Umsetzungsmöglichkeit aus, kann sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch eine Änderungskündigung - und sei es mit dem Ziel einer Weiterbeschäftigung zu schlechteren

Arbeitsbedingungen - als vorrangig erweisen96.

Bei schwerbehinderten Arbeitnehmern ist auch der Anspruch des

schwerbehinderten Arbeitnehmers auf angemessene Beschäftigung nach § 164

93 BAG vom 19.04.2007 – 2 AZR 239/06, NZA 2007, 1041.

94 BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 664/13, NZA 2015, 931, 933, Rn. 14 mwN; BAG vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14, Rn. 18.

95 BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 1020/08, NZA 2010, 1234, Rn. 14, 15; BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 664/13, NZA 2015, 931, 933, Rn. 14 jeweils mwN.

96 BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 664/13, NZA 2015, 931, 933, Rn. 15 mwN.

(19)

Abs. 4 SGB IX im Rahmen der Prüfung, ob die personenbedingte Kündigung das mildeste Mittel darstellt zu berücksichtigen97.

II. Anspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers auf angemessene Beschäftigung nach § 164 Abs. 4 SGB IX

1. Inhalt des Beschäftigungsanspruchs

§ 164 Abs. 4 S. 1 SGB IX regelt in der Nr. 1 den Rechtsanspruch der

schwerbehinderten Menschen98 auf eine Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können (§ 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX). Nach § 164 Abs. 4 S. 3 SGB IX steht dieser besonders kodifizierte Beschäftigungsanspruch allerdings unter dem Vorbehalt, dass seine Erfüllung für den Arbeitgeber zumutbar und nicht mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden sein muss.

Dabei erstreckt sich der Anspruch auch darauf, dass der bereits vom schwerbehinderten Mitarbeiter besetzte Arbeitsplatz entsprechend

behinderungsgerecht mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen ausgestattet (§

164 Abs. 4 S. 1 Nr. 5 SGB IX) bzw. eingerichtet und ggf. umgestaltet wird (§ 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 SGB IX).

Kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer die konkret zugewiesenen Tätigkeiten wegen seiner Behinderung nicht mehr ausüben,

→ so führt dieser Verlust nach der Konzeption der §§ 164 ff SGB IX nicht ohne weiteres zum Wegfall des Beschäftigungsanspruchs. Der schwerbehinderte Arbeitnehmer hat vielmehr Anspruch auf eine anderweitige

behinderungsgerechte Beschäftigung und, soweit der bisherige Arbeitsvertrag diese Beschäftigungsmöglichkeiten nicht abdeckt, auf eine entsprechende Vertragsänderung99.

§ 164 Abs. 4 SGB IX begründet damit einen den Rahmen des Arbeitsvertrages übersteigenden Anspruch auf Nutzung aller dem Arbeitgeber zumutbaren

97 BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 664/13, NZA 2015, 931, 933, Rn. 15 mwN.

98 Der Beschäftigungsanspruch nach § 164 Abs. 4 SGB IX gilt über § 151 Abs. 3 SGB IX auch für Gleichgestellte i.S.v. § 2 Abs. 3 SGB IX.

99 BAG vom 04.10.2005 – 9 AZR 632/04, NZA 2006, 442, 444; BAG vom 10.05.2005 – 9 AZR 230/04, NZA 2006, 155, 158; BAG vom 14.03.2006 – 9 AZR 411/05, NZA 2006, 1214, 1216, Rn. 18 mwN; LAG Köln vom 21.09.2012 – 5 Sa 187/12; LAG Hessen vom 05.11.2012 – 21 Sa 593/10, Rn. 26; LAG Rheinland- Pfalz vom 20.02.2013 – 8 Sa 512/12, Rn. 31; LAG Rheinland-Pfalz vom 03.03.2016 - 5 Sa 341/15, Rn. 65 mwN; vgl. dazu auch zusammenfassend LAG Köln vom 18.06.2020 – 8 Sa 27/18, Rn. 291 mwN und BAG vom 03.12.2019 – 9 AZR 78/19, Rn. 24 mwN.

(20)

Möglichkeiten zur behinderungsgerechten Beschäftigung100. Da das betriebliche Eingliederungsmanagement auch dazu dient, zur Re-Integration arbeitsunfähiger Arbeitnehmer etwaige Möglichkeiten der Umorganisation zu prüfen, um einer Kündigung entgegenzuwirken – einschließlich des Freimachens von Arbeitsplätzen durch Umsetzungen101 - reicht es also nicht aus, wenn lediglich die Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes geprüft wird. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer vielmehr auch mitteilen, welche – auch besetzten Arbeitsplätze für eine

Versetzungsmaßnahme in Betracht kommen. Sodann ist im Rahmen des BEM- Verfahrens zu prüfen, ob bei einer etwaigen Versetzung ebenfalls mit erheblichen Ausfallzeiten zu rechnen oder eine positive Zukunftsprognose abgegeben werden kann, und ob eine solche Maßnahme möglich und dem Arbeitgeber zumutbar ist102.

Praxistipp:

Die Verpflichtung zur leidens- und behinderungsgerechten Beschäftigung nach § 164 Abs. 4 S. 1 SGB IX geht über die Verpflichtung des Arbeitgebers zur

vertragsgemäßen Beschäftigung hinaus. Denn der Arbeitgeber ist hierbei verpflichtet, den Arbeitsplatz bzw. die Arbeitsorganisation ggf. (um-) zu gestalten, um den

Beschäftigungsanspruch des schwerbehinderten Menschen zu erfüllen. Soweit der bisherige Arbeitsvertrag diese Beschäftigungsmöglichkeit nicht erfasst, können daher schwerbehinderte Menschen bis zur Grenze der Zumutbarkeit die Durchführung des Arbeitsverhältnisses entsprechend ihrer gesundheitlichen Situation verlangen103. Die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers nach § 241 Abs. 2 BGB, wonach jede Partei des Arbeitsvertrages zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und

Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet ist, begründet dagegen keine Verpflichtung zu einer vertragsfremden Beschäftigung des Arbeitnehmers. Der

Arbeitgeber kann im Rahmen der Rücksichtnahmepflicht lediglich gehalten sein, dem Wunsch des Arbeitnehmers nach einer Vertragsänderung nachzukommen,

insbesondere, wenn andernfalls ein dauerhaftes Unvermögen des Arbeitnehmers droht104.

100 Vgl. dazu auch Düwell in LPK-SGB IX, 5. Aufl. 2018, § 167, Rn. 126.

101 BAG vom 23.04.2008 – 2 AZR 1012/06, NZA-RR 2008, 515; BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 664/13, NZA 2015, 931, 933, Rn. 15 mwN.

102 BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 664/13, NZA 2015, 931, 933, Rn. 15 mwN; LAG Berlin-Brandenburg vom 17.08.2009 – 10 Sa 592/09, Rn. 28 unter Hinweis auf LAG Düsseldorf vom 30.01.2009 – 9 Sa 699/08; LAG Hessen vom 21.03.2013 - 5 Sa 842/11, Rn. 38 ff.; LAG Hessen vom 11.12.2013 - 12 Sa 1436/11, Rn. 21; LAG Schleswig-Holstein vom 17.12.2013 - 1 Sa 175/13, Rn. 54; LAG Köln vom 28.08.2014 - 7 Sa 642/13, AE 2016, 33, Rn. 42; LAG Hessen vom 02.11.2015 - 16 Sa 473/15, br 2016, 87, Rn. 25; LAG Rheinland-Pfalz vom 21.04.2016 - 5 Sa 243/15, Rn. 65; vgl dazu auch Beyer/Wocken, DB 2013, 2270, 2272; vom Stein, ZFA 2016, 549, 561.

103 LAG Köln vom 18.06.2020 – 8 Sa 27/18, Rn. 293.

104 BAG vom 03.12.2019 – 9 AZR 78/19, Rn. 21 unter Hinweis auf BAG vom 21.02.2017 – 1 AZR 367/15, Rn.

22; BAG vom 19.05.2010 – 5 AZR 162/09, Rn. 26; BAG vom 13.08.2009 – 6 AZR 330/08, Rn. 31.

(21)

Ein Arbeitgeber ist zwar nicht verpflichtet, für den schwerbehinderten Menschen einen zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten105, muss aber nach § 106 S. 3 GewO unter Berücksichtigung der Behinderung dem schwerbehinderten Arbeitnehmer einen freien geeigneten Arbeitsplatz zuweisen106. Dabei sind zurzeit von

Leiharbeitnehmern besetzte Arbeitsplätze wie freie Arbeitsplätze anzusehen107; so dass dieser Umstand zu einem Vorrang des durch § 164 Abs. 4 S. 1 SGB IX

geschützten Arbeitnehmers bei der Besetzung des einem Leiharbeitnehmer zugedachten Arbeitsplatzes führen kann108.

Der Arbeitgeber ist auch nicht zur Kündigung eines bestehenden Arbeitsplatzes verpflichtet109. Das BAG hat offengelassen, ob etwas anderes zu gelten hat, wenn der Stelleninhaber einer für den erkrankten Mitarbeiter in Frage kommenden Stelle noch keinen Kündigungsschutz genießt, seinerseits nicht behindert ist und die Kündigung für ihn keine besondere Härte darstellen würde. Die Beweislast hierfür trägt der Arbeitnehmer, und zwar auch dann, wenn der Arbeitgeber die

Durchführung eines bEM unterlassen hat110. Danach scheidet eine Pflicht des Arbeitgebers zur „Freikündigung“ jedenfalls dann aus, wenn der Inhaber der infrage kommenden Stelle den allgemeinen Kündigungsschutz genießt111. Der 5.

Senat des BAG hat in einer neueren Entscheidung unter Bezugnahme auf Art. 5 S. 1 der RL 2000/78/EG und Art. 27 Abs. 1 S. 2 Buchst. I der UN-

Behindertenrechtskonvention entschieden, dass das SGB IX nicht die Entlassung anderer Arbeitnehmer verlangt, um den Beschäftigungsbedarf schwerbehinderter Menschen verwirklichen zu können. Daher ergibt sich auch keine Verpflichtung, dem schwerbehinderten Menschen eine behinderungsgerechte

Beschäftigungsmöglichkeit zu eröffnen, für die der Arbeitgeber keinen Bedarf hat112.

105 BAG vom 14.03.2006 – 9 AZR 411/05, NZA 2006, 1214, Rn. 18, 19; BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 664/13, NZA 2015, 931, 934, Rn. 25, 30 ff.; BAG vom 16.05.2019 – 6 AZR 329/18, Rn. 36; BAG vom 14.10.2020 – 5 AZR 649/19, Rn. 23; LAG Schleswig-Holstein vom 19.06.2012 – 1 Sa 225e/11, LAGE § 81 SGB IX Nr. 11, Rn. 76; LAG Hessen vom 05.11.2012 – 21 Sa 593/10, Rn. 27; LAG Schleswig-Holstein vom 17.12.2013 - 1 Sa 175/13, Rn. 54; LAG Hamm vom 21.08.2014 - 8 Sa 1697/13, Rn. 54; LAG Köln vom 28.08.2014 - 7 Sa 642/13, Rn. 42; LAG Hamburg vom 15.04.2015 - 5 Sa 107/12; Rn. 24; LAG Rheinland-Pfalz vom 03.03.2016 - 5 Sa 341/15, Rn. 65; LAG Rheinland-Pfalz vom 21.04.2016 - 5 Sa 243/15, Rn. 65; vgl dazu auch Beyer/Wocken, DB 2013, 2270, 2271; vom Stein, ZFA 2016, 549, 561.

106BAG vom 03.12.2019 – 9 AZR 78/19, Rn. 24 mwN. BAG vom 10.05.2005 – 9 AZR 230/04, NZA 2006, 155; BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 664/13, NZA 2015, 931, 933, Rn. 15 mwN; ErfK/Rolfs, § 164 SGB IX, Rn. 10 mwN.

107 LAG Hessen vom 05.11.2012 – 21 Sa 593/10, Rn. 38; Beyer/Wocken, DB 2013, 2270, 2271 mwN.

108 BAG vom 15.10.2013 - 1 ABR 25/12, NZA 2014, 214, Rn. 24.

109 BAG vom 10.05.2005 – 9 AZR 230/04, NZA 2006, 155, 159; BAG vom 04.10.2005 – 9 AZR 632/04, NZA 2006, 442, 444 mwN; BAG vom 22.11.2005 – 1 ABR 49/04, NZA 2006, 389, 393 mwN; BAG vom 14.03.2006 – 9 AZR 411/05, NZA 2006, 1214, 1215, Rn. 19 mwN; BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 664/13, NZA 2015, 931, 934, Rn. 30 ff.; BAG vom 16.05.2019 – 6 AZR 329/18, Rn. 36; vgl dazu auch vom Stein, ZFA 2016, 549, 561.

110 BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 664/13, NZA 2015, 931, 935, Rn. 35; vgl dazu auch vom Stein, ZFA 2016, 549, 561 f.

111 BAG vom 16.05.2019 – 6 AZR 329/18, Rn. 36.

112 BAG vom 14.10.2020 – 5 AZR 649/19, Rn. 23.

(22)

Der schwerbehinderte Mensch hat nach der Rechtsprechung des BAG keinen

Anspruch auf einen bestimmten Arbeitsplatz oder darauf, nach seinen Neigungen oder Wünschen beschäftigt zu werden113. Der Anspruch beschränkt sich vielmehr auf solche Tätigkeiten, für die der schwerbehinderte Mensch nach seinen Fähigkeiten und Kenntnissen unter Berücksichtigung der Behinderung befähigt ist114.

Ist eine behinderungsgerechte Umgestaltung der Arbeitsorganisation möglich, ist der Arbeitgeber nach § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 SGB IX auch zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation bzw. einer Änderung der Arbeitsverteilung verpflichtet, um den Beschäftigungsanspruch des schwerbehinderten Menschen zu erfüllen115. Der Arbeitgeber ist jedoch durch die gesetzliche Regelung in § 164 Abs. 4 S. 1 SGB IX auch nicht gehindert, eine Organisationsentscheidung zu treffen, die zum Entfall des Arbeitsplatzes eines schwerbehinderten Menschen führt. Die soziale Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung hängt dann bezogen auf das

Beschäftigungsbedürfnis allein von der Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz ab116.

Praxistipp:

Im bestehenden Arbeitsverhältnis führt der Anspruch des schwerbehinderten Menschen nach § 164 Abs. 4 S. 1 SGB IX zu einer Einschränkung der

Organisationsfreiheit des Arbeitgebers, denn dieser ist zu einer

behinderungsgerechten (Um-)Gestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet, um den Beschäftigungsanspruch des schwerbehinderten Menschen zu erfüllen. Ggf. hat er eine diesem Anspruch entgegenstehende betriebliche Umstrukturierung sogar rückgängig zu machen117.

So kann der Arbeitnehmer verlangen, dass er nur mit leichteren Arbeiten beschäftigt wird, sofern im Betrieb die Möglichkeit zu einer solchen

Aufgabenumverteilung besteht und soweit dies mit deren eigenen

arbeitsvertraglichen Vorgaben kompatibel ist118. Dazu muss der Arbeitgeber den

113 BAG vom 23.01.2001 - 9 AZR 287/99, NZA 2001, 1020, 1022; BAG vom 10.05.2005 – 9 AZR 230/04, NZA 2006, 155, Rn. 34; LAG Rheinland-Pfalz vom 25.08.2020 – 8 Sa 427/19, Rn. 155; ErfK/Rolfs, § 164 SGB IX, Rn. 9.

114 BAG vom 10.05.2005 – 9 AZR 230/04, NZA 2006, 155, Rn. 37.

115 BAG vom 04.10.2005 – 9 AZR 632/04, NZA 2006, 442, Rn. 27 mwN; BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 664/13, NZA 2015, 931, 933, Rn. 15 mwN; BAG vom 16.05.2019 – 6 AZR 329/18, Rn. 35 mwN; LAG Stuttgart vom 22.06.2005 – 2 Sa 11/05, br 2006, 82, Rn. 27; LAG Rheinland-Pfalz vom 20.02.2013 – 8 Sa 512/12, Rn. 34; LAG Hessen vom 21.03.2013 - 5 Sa 842/11, Rn. 34; LAG Köln vom 28.08.2014 - 7 Sa 642/13, Rn. 40; LAG Köln vom 18.06.2020 – 8 Sa 27/18, Rn. 291; LAG Hamburg vom 15.04.2015 - 5 Sa 107/12, br 2016, 19, Rn. 24 mwN.

116 BAG vom 16.05.2019 – 6 AZR 329/18, Rn. 36.

117 LAG Köln vom 18.06.2020 – 8 Sa 27/18, Rn. 291.

118 BAG vom 14.03.2006 – 9 AZR 411/05, NZA 2006, 1214, Rn. 18; LAG Hessen vom 05.11.2012 – 21 Sa 593/10, Rn. 27; LAG Rheinland-Pfalz vom 20.02.2013 – 8 Sa 512/12, Rn. 31, 34; LAG Hessen vom 21.03.2013 - 5 Sa 842/11, Rn. 39; LAG Köln vom 28.08.2014 - 7 Sa 642/13, Rn. 40.

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